JudikaturBVwG

W189 2290001-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
09. Oktober 2024

Spruch

W189 2290001-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2024, Zl. 1366195810-231653295, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.08.2024, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF), eine somalische Staatsangehörige, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 24.08.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Zu ihrem Ausreisegrund gab sie zu Protokoll, dass sie im Haus ihrer Tante gelebt habe. Sie wisse nicht, wo ihre Mutter und ihre Geschwister seien. Die Terroristen der Al Shabaab hätten sie gegen ihren Willen heiraten wollen. Das habe sie nicht wollen. Dreimal habe ein Mitglied dieser Gruppierung versucht, sie mitzunehmen. Danach habe ihre Tante sie mit einer Frau weggeschickt und sie habe sich weiter in Mogadischu aufgehalten. Ihre Tante sei zurückgekehrt und von der Al Shabaab getötet worden. Danach sei die BF in die Türkei gebracht worden. Ihr Onkel aus Saudi-Arabien habe einen Schlepper organisiert, der ihre Reise in die Türkei organisiert habe. Im Falle einer Rückkehr habe die BF Angst vor den Leuten der Al Shabaab.

2. Eine vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) beauftrage multifaktorielle Altersuntersuchung ergab entgegen ihrer Angaben die Volljährigkeit der BF.

3. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA vom 28.02.2024 machte die BF nähere Ausführungen zu ihrem Ausreisegrund.

4. Mit Bescheid des BFA vom 07.03.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der BF wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkte II. und III.).

5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die BF durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist Beschwerde, über welche das Bundesverwaltungsgericht am 28.08.2024 in beider Anwesenheit eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchführte. Die BF gab am 26.08.2024 sowie am 25.09.2024 schriftliche Stellungnahmen ab, in denen sie unter anderem die zusätzliche Befürchtung einer weiteren Vornahme einer FGM im Falle einer Rückkehr äußerte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF

Die Identität der BF steht nicht fest. Sie ist eine Staatsangehörige von Somalia und gehört der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime. Es ist nicht feststellbar, welchem Mehrheitsclan sie angehört. Die BF beherrscht ihre Muttersprache Somali in Wort und Schrift und verfügt über eine Schulbildung. Ihr Herkunftsort kann nicht festgestellt werden. Ihr im Verfahren angegebenes Geburtsdatum XXXX entspricht nicht der Wahrheit, sondern ist sie ist spätestens am XXXX geboren worden.

Entgegen dem Fluchtvorbringen der BF war sie nicht in Qoryooley von einer Zwangsverheiratung mit einem Mitglied der Al Shabaab bedroht. Es droht ihr im Falle einer Rückkehr nach Somalia keine erneute oder weitere FGM. Die BF ist im Falle einer Rückkehr nach Somalia auch keine alleinstehende Frau.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

1.2.1. Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, S. 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, S. 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, S. 44; vgl. SEM, 31.5.2017, S. 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S. 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, S. 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S. 8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S. 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S. 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S. 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S. 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S. 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S. 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S. 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, S. 25).

1.2.2. Frauen

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 12.4.2022, S. 40). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 28.6.2022, S. 17). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, S. 10; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 40). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und werden diesen systematisch untergeordnet. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (USDOS 12.4.2022, S. 40).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, S. 3). Frauen sind das ökonomische Rückgrat der Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019b, S. 2). Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 11). Außer bei großen Betrieben spielen Frauen eine führende Rolle bei den Privatunternehmen. In Mogadischu und Bossaso gehören ca. 45 % aller formellen Unternehmen Frauen (WB 22.3.2022).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist (USDOS 12.4.2022, S. 37), bleiben häusliche (USDOS 12.4.2022, S. 37; vgl. AA 28.6.2022, S. 18) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 12.4.2022, S. 34/37).

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt bleiben ein großes Problem – speziell für IDPs (FH 2022a, G3; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34ff, ÖB 11.2022, S. 11). Im Jahr 2021 kam es zu einem Anstieg an derartigen Fällen, oft werden Opfer auch getötet (HRW 13.1.2022; vgl. UNFPA 14.4.2022). Auch im Jahr 2022 ist die Zahl an Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt weiter gestiegen. Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer. 2021 war eine hohe Rate an Partnergewalt zu verzeichnen; mit der Rücknahme von Covid-19-bedingten Einschränkungen ist die Rate an Partnergewalt zuletzt gesunken. 74 % aller registrierten Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs (UNFPA 14.4.2022). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 12.4.2022, S. 35).

Frauen und Mädchen werden Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Nach anderen Angaben wiederum ereignet sich der Großteil der Vergewaltigungen - über 50 % - im eigenen Haushalt oder aber im direkten Umfeld; das heißt, Täter sind Familienmitglieder oder Nachbarn der Opfer. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Zahl an Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund der Covid-19-Maßnahmen zugenommen hat. Alleine im Juli 2021 wurden von der UN 168 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert - darunter auch Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen. Es wird angenommen, dass die Dunkelziffer viel höher liegt (USDOS 12.4.2022, S. 35f). Insgesamt hat sich aber aufgrund von Chaos und Gesetzlosigkeit seit 1991 eine Kultur der Gewalt etabliert, in welcher Männer Frauen ungestraft vergewaltigen können (TE 11.3.2019). Frauen und Mädchen bleiben daher den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 28.6.2022, S. 17).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage und staatlicher Schutz: Vergewaltigung ist gesetzlich verboten (AA 28.6.2022, S. 18). Allerdings handelt es sich um ein Vergehen gegen Anstand und Ehre - und nicht gegen die körperliche Integrität (HRW 13.1.2022). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 12.4.2022, S. 34). Das Problem im Kampf gegen sexuelle Gewalt liegt insgesamt nicht am Mangel an Gesetzen – sei es im formellen Recht oder in islamischen Vorschriften (SIDRA 6.2019b, S. 5ff). Woran es mangelt, ist der politische Wille der Bundesregierung und der Bundesstaaten, bestehendes Recht umzusetzen und Täter zu bestrafen (SIDRA 6.2019b, S. 5ff; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34). Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 28.6.2022, S. 17). Hinsichtlich einer Strafverfolgung von Vergewaltigern gibt es keine Fortschritte (UNSC 13.5.2022, Abs. 60).

Bei Vergewaltigungen kann von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB 11.2022, S. 11; vgl. BS 2022, S. 19). Generell herrscht Straflosigkeit (USDOS 12.4.2022, S. 35; vgl. ÖB 11.2022, S. 11). Nach anderen Angaben nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an. Trotzdem gibt es noch zahlreiche Mängel und Hürden, wenn Opfer Gerechtigkeit suchen (UNFPA 14.4.2022).

Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019b, S. 2). Außerdem leiden Vergewaltigungsopfer an Stigmatisierung (USDOS 12.4.2022, S. 36). Opfer, die sich an Behörden wenden, werden oft angefeindet; in manchen Fällen sogar getötet (TE 11.3.2019). Aus Furcht vor Repressalien und Stigmatisierung wird folglich in vielen Fällen keine Anzeige erstattet (ÖB 11.2022, S. 11; vgl. UNFPA 14.4.2022; UNSC 10.10.2022, Abs. 132). Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 12.4.2022, S. 36).

Insgesamt werden Vergewaltigungen aber nur selten der formellen Justiz zugeführt (USDOS 12.4.2022, S. 36; vgl. AA 28.6.2022, S. 18; UNSC 10.10.2022, Abs. 132), was u. a. an der Angst vor Rache, vor Stigmatisierung und am schwachen Justizsystem und der allgemeinen Straflosigkeit der Täter liegt (UNSC 10.10.2022, Abs. 132). Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt. Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019b, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (TE 11.3.2019; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 36). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB 11.2022, S. 11; SIDRA 6.2019b, S. 5ff). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Es gibt kleinere Fortschritte dabei, Opfern den Zugang zum formellen Justizsystem zu erleichtern. Einerseits wurden Staatsanwältinnen eingesetzt; andererseits werden Kräfte im medizinischen und sozialen Bereich ausgebildet, welche hinkünftig Opfern zeitnah vertrauliche Dienste anbieten können werden (UNSC 13.5.2020, Abs. 56f). Zusätzlich kommt es zu Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte, um diese hinsichtlich konfliktbezogener sexueller Gewalt und den damit verbundenen Menschenrechten zu sensibilisieren (UNSC 13.11.2020, Abs. 49).

Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 12.4.2022, S. 35). In Puntland wurden zwei Zivilisten (Vergewaltigung und Mord) und in Baidoa ein Polizist (Vergewaltigung einer Schwangeren) – nach Verurteilung – exekutiert (UNSC 13.5.2020, Abs. 48/58). Im Mai 2021 wurden drei Verdächtige festgenommen, die als Sicherheitskräfte Frauen vergewaltigt haben sollen. Ihre DNA-Proben wurden zur Untersuchung nach Garoowe geschickt – dort befindet sich das einzige dafür ausgerüstete Labor Somalias (UNSC 10.8.2021, Abs. 48). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 öffentlich von einem Erschießungskommando exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen an Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet, die Opfer wurden medizinisch versorgt (UNSC 1.9.2022, Abs. 61).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 12.4.2022, S. 37). Zudem gibt es nur wenig Unterstützung in Fällen von Vergewaltigung, da es kaum spezialisierte Anbieter hinsichtlich psycho-sozialer Unterstützung oder zur Behandlung von Traumata gibt (UNFPA 14.4.2022). Sogenannte One-Stop-Centers, die von lokalen und internationalen Organisationen sowie vom Gesundheitsministerium betrieben werden, bieten Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt (auch FGM) rechtliche Hilfe und andere Dienste (UNICEF 29.6.2021). UNFPA unterstützt insgesamt 31 solche Einrichtungen sowie 16 Gesundheitseinrichtungen, welche für Opfer spezialisierte Behandlungen anbieten (UNFPA 5.2022). In ganz Somalia sind 74 NGOs und internationale Organisationen aktiv, um Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt zu unterstützen. In Mogadischu und in Puntland sind z.B. jeweils mehr als 20 Organisationen aktiv. Im Jahr 2021 wurden durch diese Anbieter ca. 51.000 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt behandelt, fast 10.000 Opfern wurde ein safe space zur Verfügung gestellt (UNFPA 14.4.2022). In Lower Shabelle stellen etwa ein Dutzend NGOs und andere Akteure für Vergewaltigungsopfer medizinische Behandlung, Beratung und andere Dienste zur Verfügung (USDOS 12.4.2022, S. 35). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, im Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022).

Eheschließung: Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 11.2022, S. 10). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, S. 7). Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 28.6.2022, S. 18). Nach Angaben einer Quelle sind Zwangsehen in Somalia normal (SPA 1.2021). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 12.4.2022, S. 43). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (LI 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. LI 14.6.2018, S. 10).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. LI 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, S. 11).

1.2.3. Weibliche Genitalverstümmelung und –Beschneidung (FGM/C)

Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (Crawford 2015, S.65f). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM vor:

a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (gudniinka fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; Crawford 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym „FGM“ verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. Crawford 2015, S. 68).

b) Andererseits die Sunna (gudniinka sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. Crawford 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29) bzw. laut einer dritten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (Crawford 2015, S. 41ff/66f). Denn die Sunna wird nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (sunna kabir) und die kleine Sunna (sunna saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. Crawford 2015, S. 41ff/66f). De facto kann unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).

Durchführung: Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (LI 14.9.2022, S. 11; vgl. UNFPA 4.2022). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (LI 14.9.2022, S. 11). Diese „Medizinisierung“ von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021). FGM/C wird also zunehmend im medizinischen Bereich durchgeführt – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. Die Durchführung durch medizinisches Personal ist teilweise schon gängige Praxis – in Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für „FGM clinics“. Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen. Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (Crawford 2015, S. 73f). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).

Verbreitung: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 12.4.2022, S. 37; vgl. AA 28.6.2022, S. 18) und bleibt die Norm (LI 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von „mehr als 90 %“ (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC Yussuf 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022).

Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).

C:\Users\koppensda\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\D72EA668.tmp (STC 9.2017)

Diese Rückläufigkeit wird auch von einer anderen Quelle bestätigt:

C:\Users\koppensda\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\9072A0B6.tmp DNS 2020, S. 220

Sowohl der finanzielle wie auch der Bildungshintergrund spielen bei der Entscheidung hinsichtlich der Form des Eingriffs eine Rolle:

C:\Users\koppensda\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\F56E634.tmp DNS 2020, S. 214

Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (Crawford 2015, S. 69). Vielen Menschen – v.a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022). Bei einer landesweiten Umfrage aus dem Jahr 2017 haben 40,6 % angegeben, von einer Infibulation betroffen zu sein (AV 2017, S. 29). Jedenfalls ist die Quote an Infibulationen im ganzen Land rückläufig (Crawford 2015, S. 70). Während in der ältesten Altersgruppe vier von fünf Frauen eine Infibulation erlitten haben, ist es bei der jüngsten Altersgruppe nicht einmal eine von zwei (28TM o.D.). Generell geht der Trend in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022).

FGM kann als gesellschaftliche Konvention erachtet werden, die von den meisten Menschen als selbstverständliche angesehen wird. Daher stellt sich üblicherweise nicht die Frage, ob der Eingriff durchgeführt wird. Vielmehr geht es um die praktischen Aspekte der Umsetzung (LI 14.9.2022). Üblicherweise liegt die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, in erster Linie bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; LI 14.9.2022, S. 11; Crawford 2015, S. 85). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (LI 14.9.2022, S. 11; vgl. Crawford 2015, S. 85). Dabei geht es bei dieser Entscheidung weniger um das „ob“ als vielmehr um das „wie und wann“ (LI 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022). Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter maßgeblich in die Entscheidung involviert (LI 14.9.2022, S. 11; vgl. Crawford 2015, S. 85). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26). Gerade in Städten ist es heutzutage kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen, und die Zahl unbeschnittener Mädchen steigt (FIS 5.10.2018, S. 31).

In der Diaspora lebende Mädchen werden „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Allerdings nimmt in der Diaspora die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (LI 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich Teile der Bevölkerung gegen jegliche Art von FGM. Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (Crawford 2015, S. 65; vgl. LI 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Überhaupt ist der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, der Druck, sozialen Erwartungen gerecht zu werden (Crawford 2015, S. 82). Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (Crawford 2015, S. 73). Mitunter üben nicht beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. Crawford 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41). Die umfassende FGM in Form einer Infibulation stellt eine Art Garantie der Jungfräulichkeit bei der ersten Eheschließung dar. Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus. Daher wird die Infibulation teils immer noch als notwendig erachtet (LIFOS 16.4.2019, S. 38f; vgl. LI 14.9.2022, S. 11). Kulturell gilt die Klitoris als „schmutzig“, eine Infibulation als ästhetisch. Letztere trägt zur Ehre der Frau bei, denn sie beschränkt den Sexualdrang, sichert die Jungfräulichkeit und sichert die Heirat (LI 14.9.2022, S. 10; UNFPA 4.2022). Dahingegeben werden unbeschnittene Frauen oft als schmutzig oder un-somalisch (LI 14.9.2022, S. 16), als abnormal und schamlos (Crawford 2015, S. 82f) oder aber als un-islamisch bezeichnet. Sie werden mitunter in der Schule gehänselt und drangsaliert und sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. Ein diesbezügliches Schimpfwort ist hier buurya qab (UNFPA 4.2022), ein Weiteres leitet sich vom Wort für Klitoris (kintir) ab: Kinitrey. Allerdings gaben bei einer Studie in Somaliland nur 14 von 212 Frauen an, überhaupt eine (völlig) unbeschnittene Frau zu kennen (LI 14.9.2022, S. 16). Die Sunna als Alternative zur Infibulation wird laut einer rezenten Studie aus Puntland jedoch akzeptiert (UNFPA 4.2022).

Die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, hängt maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S. 23). In der Stadt ist es kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das anders (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Nach anderen Angaben stellt der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung dar, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen FGM ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (LI 14.9.2022).

Eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, wird versuchen, die Tatsache geheim zu halten (FIS 5.10.2018, S. 30f). Nur wenige Mütter „bekennen“, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten (Crawford 2015, S. 65). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Natürlich werden nicht ständig die Genitalien von Mädchen überprüft. Aber Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei (ACCORD 31.5.2021, S. 41). Da gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden, ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht (LI 14.9.2022, S. 16). Gleichzeitig ist FGM auch unter den Mädchen selbst ein Thema. Es sprechen also nicht nur Mütter untereinander darüber, ob ihre Töchter bereits beschnitten wurden; auch Mädchen reden untereinander darüber (Crawford 2015, S. 83). Spätestens bei der Verheiratung ist der physische Status jedenfalls klar (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Trotzdem gibt es sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S. 39). Doch auch dabei gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S. 12f).

1.2.4. Reinfibulation, Defibulation

Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. LI 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. LI 14.9.2022, S. 12). Quellen der norwegischen COI-Einheit berichten, dass es anekdotische Berichte von Fällen gibt, in denen eine neue Intervention durchgeführt wird, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche wünscht (LI 14.9.2022).

Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f) kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich eine Reinfibulation zu unterziehen (Crawford 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (TRF 27.2.2019; vgl. LI 14.9.2022, S. 12). Es kann auch vorkommen, dass Eltern oder Verwandte eine bestehende Infibulation als zu gering erachten und ein Mädchen deswegen zu einem zweiten Eingriff geschickt wird (Crawford 2015, S. 74). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (LI 14.9.2022).

Stellt nämlich der Ehemann in der Hochzeitsnacht fest, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt, kann dies Folgen haben – bis hin zur sofortigen Scheidung. Letztere kann zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).

Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (Crawford 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).

Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).

Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i. d. R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt (CEDOCA 9.6.2016, S. 26), und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (Crawford 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geografisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt (LI 14.9.2022, S. 12f). Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (LI 14.9.2022).

Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann natürlich auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko eine Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f). Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF

Mangels Vorlage von unbedenklichen Dokumenten konnte die Identität der BF nicht bewiesen werden. Zumal sie aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihr in ihren gleichbleibenden und grundsätzlich plausiblen Angaben zu ihrer Staats- und Religionszugehörigkeit gefolgt werden. Hinsichtlich ihrer Clanzugehörigkeit hingegen ist auf der einen Seite dem Protokoll ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu entnehmen, dass sie dem (den Rahanweyn zugehörigen) Mehrheitsclan der Digil, Subclan Bagadi, angehöre (AS 15), andererseits gab sie in der Folge in der Einvernahme durch das BFA an, dem Subclan der Jido zuzugehören (AS 108), sodass ihre tatsächliche Clanzugehörigkeit nicht feststellbar war, würde in Anbetracht der Länderberichte einer somalischen Person ein derartiger Fehler bei der Nennung ihrer Clanzugehörigkeit doch nicht unterlaufen.

Die BF gab in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass sie ihre Muttersprache Somali in Wort und Schrift beherrsche, aber über keine Schulbildung verfüge (AS 15). In der Einvernahme durch das BFA erklärte sie, lediglich „so einen Monat herum“ eine Koranschule besucht zu haben (AS 108). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht blieb sie zwar dabei, nur die Koranschule besucht zu haben, konnte sich nun aber an keinen Zeitraum erinnern, sondern bestritt vielmehr, in der Einvernahme einen solchen angegeben zu haben. Sie meinte nun, „nur manchmal“ in die Koranschule gegangen zu sein (Verhandlungsprotokoll S. 4 f). Dieses Aussageverhalten der BF ist gänzlich unplausibel. Zum einen hatte sie die Richtigkeit des Protokolls ihrer Einvernahme nach einer Rückübersetzung mit ihrer Unterschrift bestätigt und monierte auch etwa in der gegenständlichen Beschwerde insoweit keinen Protokollfehler, sodass ihrer Rechtfertigung in der mündlichen Verhandlung, Derartiges nie gesagt zu haben, jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen ist, zumal der Rechtfertigungsversuch der BF auf eine vorsätzlich falsche, gar erfundene Protokollierung durch die einvernehmende Referentin des BFA und eine vorsätzlich falsche Rückübersetzung durch die beigezogene Dolmetscherin hinausliefe. Zum anderen gab die BF in der Erstbefragung schließlich selbst an, Somali in Wort und Schrift zu beherrschen, was auch aus ihrer Unterschrift, die deutlich, aber schwungvoll die Buchstaben ihres Vornamens enthält, hervorgeht. Dies hätte sie nicht in lediglich einem Monat in – zumal – einer Koranschule, die sich grundsätzlich dem Aufsagen bzw. Erlernen des in arabischer Schrift gehaltenen Korans widmet, gelernt. Daraus folgt zweifellos, dass die BF entgegen ihrer Behauptungen über eine Schulbildung verfügen muss. Umgekehrt zeigt sich bereits hier gerade durch ihre Schutzbehauptung in der mündlichen Verhandlung eine persönliche Unglaubwürdigkeit der BF.

Die BF behauptete im Verfahren, in der Stadt Qoryooley gelebt zu haben, allerdings gab sie widersprüchlich einerseits in der Erstbefragung zu Protokoll, aus dem Stadtbezirk Hawl Wadaag zu stammen (AS 17), andererseits in der Einvernahme durch das BFA wie auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, im Stadtbezirk Hodan gelebt zu haben (AS 109; Verhandlungsprotokoll S. 9). Diesen Widerspruch erklärte sie damit, dass sie in der Erstbefragung von der Reise bzw. Schleppung ermüdet und erschöpft gewesen sei (AS 114), doch ist davon auszugehen, dass eine Person selbst in erschöpftem Zustand fähig ist, ihren Herkunftsort korrekt anzugeben. Darüber hinaus gab die BF in dieser Erstbefragung, die weder früh am Morgen noch spät am Abend stattfand, an, dass sie alles verstanden habe und bestätigte nach einer Rückübersetzung des Protokolls dessen Richtigkeit. Dieser Widerspruch wird noch weiter durch den Umstand verstärkt, dass die Stadt Qoryooley gemäß öffentlich zugänglicher Quellen in die Bezirke Hodan, Halane und Wadajir unterteilt wird (vgl. bspw. Reliefweb, Somalia Reference Map – Qoryooley District, https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-reference-map-qoryooley-district-22-feb-2012; Wikipedia, Qoryooley, https://so.wikipedia.org/wiki/Qoryooley), wohingegen der Bezirk Hawl Wadaag in Mogadischu liegt (Wikipedia, Hawle Wadag District, https://en.wikipedia.org/wiki/Hawle_Wadag_District). Die BF gab somit in der Erstbefragung einen Bezirk zu Protokoll, der nicht einmal in Qoryooley liegt. In der mündlichen Verhandlung darum ersucht, nähere Angaben zu ihrem behaupteten Herkunftsort zu machen, konnte sie schließlich keine konkrete Beschreibung vornehmen, die auf eine tatsächliche Abstammung aus Qoryooley schließen lassen würde, sondern beschränkte sie sich im Wesentlichen auf die Nennung einer einzigen, bekannten Moschee (Verhandlungsprotokoll S. 9 f). Es ist aber davon auszugehen, dass eine Person, die über viele Jahre hinweg an einem Ort lebt, diesen auch konkret beschreiben könnte. Zumal die BF auch nicht ihre Zugehörigkeit zum in Qoryooley wohnhaften Clan der Rahanweyn überzeugend darlegen konnte, ist somit die Herkunft der BF aus Qoryooley stark in Zweifel zu ziehen, weshalb der tatsächliche Herkunftsort der BF letztlich nicht feststellbar war.

Die BF erklärte im Rahmen des Verfahrens, am XXXX geboren worden zu sein. Eine vom BFA im Sinne des § 13 Abs. 3 BFA-VG in Auftrag gegebene multifaktorielle Altersuntersuchung kam zum Ergebnis, dass sie spätestens am XXXX geboren wurde, woraufhin dieses fiktive Geburtsdatum sodann per Verfahrensanordnung dem weiteren Verfahren zugrunde gelegt wurde. Die BF trat dem zu diesem Zeitpunkt wie auch in der gegenständlichen Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Erst nach dieser Verhandlung griff sie das Gutachten der Altersuntersuchung erstmals mit Schriftsatz vom 26.09.2024 an (OZ 7). In diesem wendet sie sich – auch unter Verweis auf vereinzelte Literatur – im Wesentlichen gegen die Wissenschaftlichkeit des Gutachtens, welches selbst zahlreiche Fachliteratur zitiert, ohne diesem jedoch auf gleicher fachlicher (sachverständiger) Ebene entgegenzutreten, sodass ihre Ausführungen ins Leere gehen. Das Gutachten ist nachvollziehbar und schlüssig, wenn es ausgehend von den erfassten Mindestalterwerten von 15,7 Jahren (Handwurzel), 18,89 Jahren (Zähne) und 16,8 Jahren (Schlüsselbeine) im Untersuchungszeitraum ein Mindestalter von 18,8 Jahren und somit eine Volljährigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung feststellt. Der BF gelingt es nicht, diese Ergebnisse und den daraus folgenden Schluss in Zweifel zu ziehen. Es ist somit auch weiterhin das aus dem Gutachten folgende fiktive Geburtsdatum der BF heranzuziehen.

Der von der BF vorgebrachte Grund ihrer Ausreise aus Somalia, wonach sie in Qoryooley von einer Zwangsverheiratung mit einem Mitglied der Al Shabaab bedroht gewesen sei, ist nicht glaubhaft. Auch wenn der BF zuzugestehen ist, dass sie in der freien Erzählung der Einvernahme durch das BFA durchaus breite Ausführungen machte, gelang es ihr doch schon nicht, die Verfolgungshandlung und den Verfolger, somit den zentralen Kern des Fluchtvorbringens, gleichbleibend anzugeben. So erzählte sie nämlich in der Erstbefragung, dass ein Mitglied der Al Shabaab dreimal versucht habe, sie mitzunehmen (AS 23). In der freien Erzählung der Einvernahme hingegen berichtete sie von keinen derartigen Versuchen einer Mitnahme bzw. Entführung, sondern nur von einem einmaligen Besuch und Gespräch – ohne versuchte Mitnahme – und einem Telefonat jeweils mit ihrer Tante (AS 112 f). Im Gegenteil erklärte sie auf konkrete Nachfrage, dass diese Passage des Protokolls ihrer Erstbefragung nicht stimme, wobei sie dies damit begründete, dass sie nach der Schleppung nach Österreich erschöpft gewesen sei (AS 116). Dieser Rechtfertigung kann jedoch aus den schon weiter oben genannten Gründen nicht gefolgt werden, zumal wiederum nicht zu erkennen ist, weshalb sie selbst in einem erschöpften Zustand derartige (Falsch-)Angaben machen würde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht präsentierte die BF schließlich eine dritte Version, wonach Männer der Al Shabaab dreimal bei ihr zu Hause gewesen seien, sie auch ihre Tante bedroht hätten, aber nicht versucht hätten, die BF mitzunehmen. Das habe sie auch in der Einvernahme schon so angegeben (Verhandlungsprotokoll S. 11), der dies aber nicht zu entnehmen ist. Zu ihrem Verfolger, einem Mitglied der Al Shabaab, führte die BF in der Einvernahme aus, dass dieser zuerst ihre Freundin geheiratet habe und sodann auch sie heiraten habe wollen („Ein Al Shabaab Mitglied wollte meine Freundin Dahabo heiraten. […] Ihr Vater hat sie dann hergegeben und sie wurde verheiratet. […] Dann wollte dieses Mitglied mich heiraten.“, AS 112). Dies wiederholte sie in der gegenständlichen Beschwerde mit anderen Worten (AS 233). In der mündlichen Verhandlung hingegen behauptete sie, dass es sich nicht um denselben Mann gehandelt habe. Die BF konnte an dieser Stelle auch keine Angaben zu jenem Mann machen, der sie zuhause besucht habe und der sie heiraten habe wollen (Verhandlungsprotokoll S. 11 f). Dabei machte die BF in der Einvernahme noch breite Ausführungen dazu, dass vor diesen Ereignissen ein bestimmter Mann sie wiederholt intensiv und lange angestarrt habe, wodurch die BF den Eindruck erweckte, dass es sich hierbei um jenen Mann gehandelt hätte, der sie später heiraten habe wollen, und den sie diesfalls aber beschreiben hätte können müssen. Wenn es sich dagegen bei diesem Mann um eine gänzlich andere Person gehandelt hätte, ist nicht ersichtlich, in welchem Zusammenhang diese mit ihrem Fluchtvorbringen stünde. Die BF konnte somit weder zu der erfahrenen Verfolgungshandlung noch zu ihrem Verfolger gleichbleibende, überzeugende Angaben erstatten. Die BF erzählte weiter, dass sie hiernach nach Mogadischu geflohen sei, wo sie für sechs Monate – wiederum widersprüchlich – bei der Freundin ihrer Tante (AS 233) oder aber bei einem Freund ihres Onkels oder aber der Frau des Freundes ihres Onkels (Verhandlungsprotokoll S. 7 f) untergekommen sei. Die BF führte zwar zu keinem Zeitpunkt an, in dieser Zeit selbst eine weitere Bedrohung erfahren zu haben, gab aber in der Einvernahme bekannt, dass Männer der Al Shabaab zu ihrer Tante in Qoryooley gekommen seien und nach der BF gefragt hätten, worauf ihre Tante geantwortet habe, dass ihr der Aufenthaltsort der BF selbst nicht bekannt sei, woraufhin die Männer der Al Shabaab ihr vorgeworfen hätten, dass sie dies melden hätte sollen. Im Weiteren hätten die Männer ihre Tante mitgenommen und sie sei verstorben (AS 113). In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, woher sie den Inhalt dieses Gesprächs kenne, obwohl sie selbst sich in Mogadischu aufgehalten habe, erklärte die BF, dass sie das von ihrem Onkel erfahren habe, der das – weiter befragt – wiederum von einem Freund in Qoryooley erfahren habe, der – nochmals befragt – ihr Nachbar gewesen sei und „schon gewusst“ habe, was geschehen sei (Verhandlungsprotokoll S. 12). Diese mehrfach nachgeschobene Verantwortung macht jedoch einen konstruierten Eindruck, zumal sich diese gewaltsame Entführung der Tante der BF durch die Al Shabaab demnach tagsüber mitten in einer von der somalischen Regierung kontrollierten Stadt zugetragen hätte. Betrachtet man bei alle dem weiters, dass die BF in der mündlichen Verhandlung auffällig häufig an sie gerichtete Fragen damit beantwortete, dass sie sich nicht erinnern könne oder sie die Antwort nicht wisse (Verhandlungsprotokoll S. 4, 5, 6, 7, 8, 13), und insbesondere Widersprüche beinahe durchgehend damit zu rechtfertigen versuchte, dass die Protokolle ihrer Befragungen nicht stimmen würden, ja sogar Angaben in ihrer eigenen Schriftsätzen nicht der Wahrheit entsprächen (Verhandlungsprotokoll S. 4, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 13), sich somit der Eindruck einer persönlich unglaubwürdigen Person verfestigte, ist – auch ohne im Detail auf weitere Ungereimtheiten eingehen zu müssen – in Beachtung aller genannten Erwägungsgründe zwingend der Schluss zu ziehen, dass die BF kein wahres Fluchtvorbringen erstattete. Sie war somit in Somalia nicht von einer Zwangsverheiratung mit einem Mitglied der Al Shabaab bedroht.

Darüber hinaus führte die BF mit schriftlicher Stellungnahme vom 26.08.2024 erstmals an, dass sie in Somalia nach dem WHO-Typ I beschnitten worden sei und im Falle einer Rückkehr eine weitere FGM zu befürchten sei, wobei aber konkret die BF betreffende Umstände, die darauf schließen lassen würden, nicht erwähnt wurden (OZ 4). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte sie dann aus, dass sie „sehr klein“ gewesen sei, als sie beschnitten worden sei. Die Beschneidung sei von ihrer Tante nicht so wie vom Onkel gewünscht durchgeführt worden, weshalb er kurze Zeit danach gesagt habe, dass die BF noch einmal beschnitten werden solle. Danach sei aber nichts mehr passiert. In der mündlichen Verhandlung befragt, wer konkret nun eine weitere FGM von ihr verlangen würde, antwortete die BF: „Niemand. Das habe ich mir selbst ausgedacht.“ (Verhandlungsprotokoll S. 12 f). Nach Schluss der mündlichen Verhandlung legte die BF mit Schriftsatz vom 25.09.2024 wiederum einen Befund der Klinik Ottakring vor, wonach (anamnestisch) die BF als Kind beschnitten worden sei, direkt nach der Beschneidung aber aufgrund von Problemen „teilweise wieder geöffnet“ worden sei, wobei eine erneute Beschneidung zwar geplant, aber nicht durchgeführt worden sei. Diagnostisch liege bei der BF eine FGM nach dem WHO-Typ III bei Defibulation vor (OZ 7). Unabhängig davon, nach welchem WHO-Typ die BF nun tatsächlich beschnitten wurde, ergibt sich aus ihrem Vorbringen aber keine Gefahr einer weiteren FGM im Falle einer Rückkehr, führte sie doch selbst aus, dass ihre Beschneidung – den somalischen Gegebenheiten entsprechend – im jungen Kindesalter durchgeführt worden sei. Mag auch – selbst bei Wahrunterstellung – nach ihrem Vorbringen unmittelbar danach ihr Onkel den Wunsch nach einer anderen/weiteren FGM geäußert haben, so hat er diesen Wunsch offenkundig wieder aufgegeben, erfolgte doch in den folgenden Jahren bis zu ihrer Ausreise im Alter von etwa 18 Jahren kein weiterer Eingriff, woraus nur zu schließen ist, dass die bei der BF vorgenommene Form der FGM im Kontext der somalischen Kultur und gesellschaftlichen Erfordernisse als ausreichend angesehen wurde. Das gestand die BF in der mündlichen Verhandlung letztlich selbst zu. Die BF berichtete auch zu keinem Zeitpunkt von einer auch nur in irgendeiner Form erlittenen Diskriminierung aufgrund einer unzureichenden Beschneidung. Da die an der BF vorgenommene Form der FGM somit offenkundig die kulturellen und gesellschaftlichen Erwartungen in Somalia erfüllt(e), ist nicht zu ersehen, von welcher Seite der zumal inzwischen volljährigen BF im Falle einer Rückkehr die Gefahr einer weiteren FGM drohen sollte.

Die BF brachte schließlich – einzig und allein – in der Stellungnahme vom 26.08.2024 vor, dass ihr als alleinstehende Frau in Somalia verschiedenste Formen geschlechtsspezifischer Gewalt drohen würden (OZ 4). Zu ihren persönlichen Lebensumständen erzählte die BF im Laufe des Verfahrens insoweit, dass sie als kleines Kind von ihrem Onkel mütterlicherseits mitgenommen sei und bei ihm und ihrer Tante aufgewachsen sei. Ihr Vater sei im Juni 2021 verstorben, ihre Mutter und ihre Brüder würden sich in Dadaab aufhalten, wobei die BF nicht wisse, wo das sei. Ihre Mutter habe außer jenem Onkel keine Verwandtschaft. Die Familie ihres Vaters kenne die BF nicht (AS 110 f). Ihr Onkel sei dann im Dezember 2021 illegal nach Saudi-Arabien gegangen, wobei sie wiederum – trotz anhaltenden Kontaktes – den Grund dafür nicht kenne. Sie und ihre Tante hätten nicht den Wunsch gehabt, auszureisen, da sie mit ihrem Leben in Qoryooley zufrieden gewesen seien. (AS 115). Zumal ihre Tante verstorben sei, habe die BF nun keine Angehörigen mehr in Somalia (AS 110). Nun ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sowohl das Fluchtvorbringen der BF – und somit auch das Ableben der Tante – unglaubhaft ist, als auch die BF als Person gänzlich unglaubwürdig ist. Der BF war bereits in ihren Angaben zu ihrem Herkunftsort, zu ihrer Clanzugehörigkeit und zu ihrer Schulbildung nicht zu folgen, weshalb der Schluss, dass sie auch zu ihren Familienverhältnissen keine wahren Angaben macht, nicht fernliegt. Immerhin sagte sie etwa auch im Rahmen ihres Fluchtvorbringens in der Einvernahme aus, dass ihre Tante den Männern der Al Shabaab gesagt habe, dass sie „mit meinen Verwandten“ über die Verheiratung der BF sprechen müsse (AS 112), was die BF wohlgemerkt in der mündlichen Verhandlung wieder bestritt (Verhandlungsprotokoll S. 7), und bestand die BF zum Schluss der Verhandlung bemerkenswerterweise darauf, dass ihr bei einer Rückkehr eine weitere FGM durch Familienangehörige drohen würde, obwohl sie doch keine Familie in Somalia habe (Verhandlungsprotokoll S. 13). Während sie in der Einvernahme den Ausreisezeitpunkt ihres Onkels angeben konnte, meinte sie in der mündlichen Verhandlung, diesen nicht zu kennen (Verhandlungsprotokoll S. 6). Ebenso erscheint es doch erstaunlich, dass die BF – obwohl sie keinen Kontakt zu ihrer leiblichen Familie gehabt habe – das Alter ihrer Geschwister anzugeben vermochte (AS 17) bzw. insoweit sogar einen Protokollfehler geltend machte, obwohl sie andererseits nicht einmal sagen konnte, wie alt sie selbst bei ihrer Trennung gewesen sei (AS 115). In der mündlichen Verhandlung sagte sie widersprüchlich auf der einen Seite aus, dass sie „nicht sehr klein“ gewesen sei, als ihr Onkel sie zu sich genommen habe (Verhandlungsprotokoll S. 6), meinte aber dann an anderer Stelle, dass sie zum Zeitpunkt der Beschneidung durch ihren Onkel und ihre Tante noch „sehr klein“ gewesen sei (Verhandlungsprotokoll S. 13). Gleichzeitig sagte die BF aus, dass sie bereits in Qoryooley geboren worden sei und bis kurz vor ihrer Ausreise immer dort gelebt habe (AS 109), was aber bedeuten würde, dass auch ihre leibliche Familie dort gelebt hätte, womit wiederum der gänzlich mangelnde Kontakt und das Unwissen der BF über das Schicksal der Familie nicht nachvollziehbar wäre, die – folgt man dem Vorbringen der BF – zuletzt in einem großen Flüchtlingslager in Kenia (nämlich Dadaab) gelebt hätte. Insoweit machte die BF auch in der mündlichen Verhandlung keinen überzeugenden, sondern vielmehr unplausiblen und abblockenden Eindruck (Verhandlungsprotokoll S. 5 f). Aus diesen Erwägungsgründen vermochte die BF nicht davon zu überzeugen, keine Anknüpfungspunkte mehr in Somalia zu haben und dort als alleinstehende Frau schutzlos zu sein. Es ist davon auszugehen, dass die BF auch zu ihren Familienverhältnissen keine wahren Angaben machte und somit über (männlichen) Schutz in ihrem Herkunftsort verfügt.

Sonstige Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen brachte die BF nicht vor und sind auch nicht hervorgekommen.

2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 08.01.2024 (Version 6). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).

Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des BF über eine versuchte Zwangsverheiratung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft. Ebenso war keine Gefahr einer erneuten FGM feststellbar und ist die BF in Somalia keine alleinstehende Frau. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung des BF in Somalia aus Konventionsgründen.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt B) wegen Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen, wie sie in der rechtlichen Beurteilung dargelegt wurden. Maßgeblich für die Beurteilung der Sache waren letztlich beweiswürdigende Erwägungen über die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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