Spruch
W209 2291987-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Gabriele STRAßEGGER und den fachkundigen Laienrichter Peter STATTMANN als Beisitzende über die Beschwerde des XXXX , Görgengasse 9-11/3/19, 1190 Wien, vertreten durch HAIDER/OBEREDER/PILZ Rechtsanwält:innen GmbH, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Favoritenstraße vom 07.03.2024 betreffend Einstellung des Arbeitslosengelds gemäß § 8 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) mit 20.02.2024, nach Beschwerdevorentscheidung vom 17.04.2024, WF 2024-0566-9-008640, und am 12.09.2024 durchgeführter mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 07.03.2024 sprach das Arbeitsmarkservice Wien Favoritenstraße (im Folgenden: belangte Behörde, AMS) aus, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AlVG wegen der Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ab 20.02.2024 kein Arbeitslosengeld gebühre. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an diesem Tag einen Termin für eine Gesundenuntersuchung bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) ohne Angabe triftiger Gründe nicht wahrgenommen habe.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, worin er zusammengefasst vorbrachte, dass er den Termin bei der PVA wegen einer Panikattacke nicht habe wahrnehmen können. Ihm sei seitens des AMS mitgeteilt worden, er werde einen neuen Termin erhalten.
3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 17.04.2024 sprach die belangte Behörde aus, dass der Bescheid vom 07.03.2024 dahingehend abgeändert wird, dass gemäß § 7, 24 Abs. 1 und 8 Abs. 2 AlVG vom 20.02.2024 bis 07.04.2024 kein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht. In der Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer die behauptete Verhinderung aus gesundheitlichen Gründen nicht belegen habe können.
4. Mit einem weiteren Bescheid vom 17.04.2024 schloss die belangte Behörde nachträglich die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aus.
5. Das AMS legte die Beschwerde samt dem Bezug habenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer beigefügten Stellungnahme wies die belangte Behörde insbesondere erneut auf das Fehlen von Nachweisen für das Beschwerdevorbringen hin.
6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.05.2024, GZ: W209 2291338-1/5E, wurde der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung stattgegeben.
7. Am 12.09.2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein von Vertretern der belangten Behörde sowie des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer sowie seine frühere Lebensgefährtin als Zeugin zum verfahrensgegenständlichen Sachverhalt befragt wurden. Seitens des Beschwerdeführers wurden Anrufprotokolle sowie ein medizinischer Befundbericht vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer bezieht seit 21.08.2023 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.
Aufgrund eines vom Beschwerdeführer vorgelegten internistischen Befunds vom 06.12.2023 wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen eines persönlichen Termins am 26.01.2024 von der belangten Behörde ein Untersuchungstermin zur Klärung der Arbeitsfähigkeit bei der PVA zugewiesen. Der Beschwerdeführer wurde dabei auch über die Konsequenzen einer Terminversäumnis aufgeklärt und über den Umstand der Terminzuweisung samt Belehrung eine Niederschrift aufgenommen.
Der Beschwerdeführer leidet an Zyklothymie, Paniksyndrom und Posttraumatischer Belastungsstörung und befindet sich seit April 2024 in psychiatrischer Behandlung.
Am Tag des Untersuchungstermins am 20.02.2024 erlitt der Beschwerdeführer eine Panikattacke, infolge derer es ihm nicht möglich war, zum Termin bei der PVA zu fahren. Aus diesem Grund nahm der Beschwerdeführer sowohl zur PVA als auch zum AMS telefonischen Kontakt auf. Eine Krankmeldung des Beschwerdeführers für den 20.02.2024 erfolgte nicht.
Seitens der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass ihm ein Termin übermittelt werde, wobei der Beschwerdeführer davon ausging, dass er einen neuen Untersuchungstermin erhalten würde. Tatsächlich wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20.02.2024 ein neuer Kontrollmeldetermin bei der belangten Behörde am 04.03.2024 zugewiesen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Leistungsbezug des Beschwerdeführers sowie zu den Umständen der Terminvergabe ergeben sich unstrittig aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.
Zur Klärung des Sachverhalts im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte und von der belangten Behörde in Zweifel gezogene Terminverhinderung am 20.02.2024 wurde am 12.09.2024 eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abgehalten.
Im Zuge dieser Verhandlung ist es dem Beschwerdeführer gelungen, den Umstand seiner Panikattacke am 20.02.2024 glaubhaft darzulegen und mit weiteren Nachweisen zu untermauern:
Der Beschwerdeführer legte zunächst einen Befundbericht einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 12.06.2024 vor, dem die festgestellten Diagnosen samt medikamentöser Behandlung des Beschwerdeführers zu entnehmen waren. Weiters ist darin festgehalten, dass der Erstkontakt des Beschwerdeführers zur Fachärztin am 30.04.2024 – sohin über zwei Monate nach der Terminversäumnis – erfolgte. Diesbezüglich führten jedoch sowohl der Beschwerdeführer als auch die im Anschluss befragte Zeugin plausibel und lebensnah aus, dass ein früherer Termin nicht möglich gewesen sei.
Überdies ist im auf Basis der am 08.04.2024 nachgeholten Begutachtung durch die PVA erstellten chefärztlichen Stellungnahme vom 17.04.2024 als Hauptdiagnose „(Verdacht auf) posttraumatische Belastungsstörung (Totgeburt 1/2024)“ angeführt.
Der vorgelegte Befund zur psychischen Verfassung des Beschwerdeführers steht nicht zuletzt im Einklang mit dem bisherigen Vorbringen des Beschwerdeführers sowie diversen Gesprächsvermerken der belangten Behörde: So wurde etwa anlässlich der Aufnahme der Niederschrift vom 26.01.2024 festgehalten, dass der Termin aufgrund akuter Übelkeit, Schwindel und Tachykardie vorzeitig beendet werden musste und der Beschwerdeführer vom verständigten Rettungsdienst mitgenommen wurde.
Der Beschwerdeführer selbst schilderte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubwürdig, dass er am Tag des Untersuchungstermins am 20.02.2024 eine Panikattacke bis dato unbekannten Ausmaßes gehabt habe; seine Smartwatch habe einen Puls von 190 angezeigt.
Im Einklang damit führte die Zeugin, die ihn zu dem Termin hätte bringen wollen, aus, der Beschwerdeführer habe beim Starten des Autos Schweißausbrüche bekommen, zu weinen begonnen und gesagt, er schaffe das nicht. Selbst 25 Minuten später habe der Beschwerdeführer sich nicht in der Lage gefühlt, zum Termin zu fahren. Noch im Auto habe der Beschwerdeführer telefoniert.
Zwar ist ein Anruf des Beschwerdeführers am betreffenden Tag bei der PVA nicht verzeichnet worden – wie auch im Rahmen eines Auskunftsersuchens des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt wurde –, doch vermochte der Beschwerdeführer mit dem Screenshot eines Anrufprotokolls einen Nachweis dafür vorzulegen, dass er tatsächlich bei der PVA angerufen hat.
Weiters legte der Beschwerdeführer einen solchen Beleg für den Anruf bei der Serviceline des AMS vor, zu dem auch ein Vermerk der belangten Behörde existiert. Demnach habe der Beschwerdeführer sich aus dem Auto gemeldet und angegeben, dass er es körperlich und psychisch nicht schaffe, aus dem Auto auszusteigen. Er habe „sehr fertig“ gewirkt und weiters angegeben, auch schon die PVA angerufen zu haben.
Da die zuständige Beraterin des Beschwerdeführers im Vermerk „um weitere Veranlassungen und ggf. NK [Termin] Zusendung“ gebeten wurde und dem Beschwerdeführer noch am selben Tag tatsächlich ein Termin zugewiesen wurde, erscheint die damalige Annahme des Beschwerdeführers nach dem Telefonat mit dem AMS, er werde einen neuerlichen Untersuchungstermin erhalten, durchaus plausibel. Auch die Vertreterin der belangten Behörde teilte in der mündlichen Verhandlung die Einschätzung, dass der Beschwerdeführer davon hätte ausgehen können, dass er einen neuen Untersuchungstermin bekommen würde.
Schließlich gibt auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer den folgenden Termin bei der PVA tatsächlich wahrgenommen hat, keinen Anlass für Zweifel an seiner grundsätzlichen Bereitschaft, der Anordnung der belangten Behörde Folge zu leisten.
Die Vertreterin der belangten Behörde räumte in der mündlichen Verhandlung ein, dass lediglich die mangelnde Dokumentation für die belangte Behörde dafür ausschlaggebend gewesen sei, dass ein triftiger Grund für die Terminversäumnis zuvor nicht habe anerkannt werden können.
Angesichts der nunmehr vorgelegten Nachweise, insbesondere des psychiatrischen Befundberichts, in Zusammenschau mit den widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Angaben des Beschwerdeführers sowie der Zeugin ist es dem Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gelungen glaubwürdig darzulegen, dass er aufgrund einer akuten schweren Panikattacke nicht in der Lage war, den Untersuchungstermin am 20.02.2024 wahrzunehmen, obwohl er dazu grundsätzlich bereit gewesen wäre.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
Gemäß § 8 Abs. 2 AlVG sind arbeitslose Personen verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn sich Zweifel über ihre Arbeitsfähigkeit ergeben oder zu klären ist, ob bestimmte Tätigkeiten ihre Gesundheit gefährden können. Die Untersuchung der Arbeitsfähigkeit hat an einer vom Kompetenzzentrum Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt festgelegten Stelle stattzufinden. Die Untersuchung, ob bestimmte Tätigkeiten die Gesundheit einer bestimmten Person gefährden können, hat durch einen geeigneten Arzt oder eine geeignete ärztliche Einrichtung zu erfolgen. Wenn eine ärztliche Untersuchung nicht bereits eingeleitet ist, hat die regionale Geschäftsstelle bei Zweifeln über die Arbeitsfähigkeit oder über die Gesundheitsgefährdung eine entsprechende Untersuchung anzuordnen. Wer sich weigert, einer derartigen Anordnung Folge zu leisten, erhält für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.
Im gegenständlichen Fall wurde dem Beschwerdeführer nach Vorlage eines internistischen Befunds zur Abklärung seiner Arbeitsfähigkeit gemäß § 8 Abs. 2 AlVG ein Termin zur ärztlichen Untersuchung bei der PVA zugewiesen. Der Umstand der Anordnung des Untersuchungstermins samt Belehrung des Beschwerdeführers über seine Verpflichtung, dieser Folge zu leisten, wurde niederschriftlich festgehalten.
Der Beschwerdeführer hat den Termin unstrittig nicht wahrgenommen. Im Verfahren zu klären blieb, ob der Beschwerdeführer sich geweigert hat, der Anordnung des Termins Folge zu leisten.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Verweigerung iSd § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG jedenfalls dann nicht vor, wenn eine arbeitslose Person aus triftigen Gründen nicht zur angeordneten Untersuchung erscheinen kann. Dabei kann es sich aber nur um Gründe handeln, die dem Erscheinen zur Untersuchung objektiv entgegenstehen; die subjektive Sicht der arbeitslosen Person ist nicht ausschlaggebend (vgl. VwGH 28.09.2015, Ra 2015/08/0064, mwN).
Wie den Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung zu entnehmen ist, liegt ein solcher triftiger Grund vor: Der Beschwerdeführer erlitt vor dem Termin eine Panikattacke, aufgrund derer es ihm physisch und psychisch unmöglich war, zum Untersuchungsort zu fahren.
Sohin lagen die Voraussetzungen für die Verhängung einer Sanktion gemäß § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG nicht vor, weshalb der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.