JudikaturBVwG

W126 2208176-3 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
31. Juli 2024

Spruch

W126 2208176-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Sabine FILZWIESER-HAT als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2023, Zahl XXXX

A)

zu Recht:

Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. wird als unbegründet abgewiesen;

und fasst den Beschluss:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Spruchpunkt III. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Erstes Verfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 01.07.2011 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.07.2011, Zahl XXXX , bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

3. Die gegen diesen Bescheid am 16.07.2011 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011, Zahl XXXX , als unbegründet abgewiesen.

I.2. Zweites Verfahren

1. Am 29.04.2014 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

2. Der Folgeantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2014, Zahl XXXX , gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

I.3. Drittes Verfahren

1. Am 20.05.2015 stellte der Beschwerdeführer den dritten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der dritte Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2017, Zahl XXXX , gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt III.).

I.4. Viertes Verfahren

1. Am 13.09.2018 stellte der Beschwerdeführer den vierten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018, Zahl XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 13.09.2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Festgestellt wurde weiters, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 15b Abs. 1 AsylG aufgetragen wird, ab 14.09.2018 in einem im Spruch näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.

3. Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.11.2018, GZ XXXX als unbegründet abgewiesen.

I.5. Fünftes Verfahren

1. Am 11.02.2019 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft den fünften Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2019, Zahl XXXX , wurde der fünfte Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

I.6. Sechstes Verfahren

1. Am 18.05.2019 stellte der Beschwerdeführer den sechsten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.06.2019, Zahl XXXX , wurde der sechste Asylantrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

3. Die gegen diesen Bescheid am 11.06.2019 fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2019, GZ XXXX , als unbegründet abgewiesen.

I.7. Siebtes Verfahren

1. Am 11.02.2019 stellte der Beschwerdeführer den siebten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2019, Zahl XXXX , sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

I.8. Achtes (Gegenständliches) Verfahren

1. Am 16.09.2023 stellte der Beschwerdeführer den achten und gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 20.09.2023 und am 09.10.2023 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.

2. Mit im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 16.09.2023 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

3. Gegen den am 17.10.2023 rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht am 30.10.2023 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

4. Mit Schriftsatz vom 09.02.2024 legte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme des Vereins XXXX vor, derzufolge der dringende Verdacht vorliege, der Beschwerdeführer sei Opfer von Menschenhandel geworden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX geboren. Er gehört zur Volksgruppe der Sikhs und bekennt sich zur Glaubensgemeinschaft der Sikhs. Seine Muttersprache ist Punjabi, er spricht aber auch Hindi.

Er stammt aus XXXX Punjab (Indien), wo er im Familienverband aufwuchs und bis zur Ausreise lebte. Er besuchte zehn Jahre die Grundschule und arbeitete als Taxilenker. Es befinden sich noch weitschichtige Verwandte im Herkunftsstaat, zu denen er zuletzt vor etwa ein bis zwei Jahren Kontakt hatte. Deren wirtschaftliche Situation war zum damaligen Zeitpunkt gut. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, welche einer Rückkehr nach Indien entgegenstehen. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Er verließ den Herkunftsstaat etwa im Jahr 2011, reiste spätestens im Juli 2011 ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 01.07.2011 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.07.2011 bzw. mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011 als unbegründet abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung bisher nicht nach und stellte, nachdem weitere sechs Asylanträge mangels neuem Fluchtvorbringen wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen wurden, am 16.09.2023 den achten und verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit im Spruch angeführten Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Da gegen den Beschwerdeführer zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018 eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot erlassen wurde, die das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 06.11.2018 bestätigte, erging im gegenständlichen Verfahren gemäß § 59 Abs. 5 FPG keine Rückkehrentscheidung.

1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Indien:

Der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.07.2011 bzw. mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011 rechtskräftig abgewiesen, zumal das von ihm erstattete Fluchtvorbringen als unglaubhaft beurteilt wurde. Die sechs darauffolgend vom Beschwerdeführer gestellten Asylanträge wurden mangels neuer Fluchtgründe bzw. glaubhaftem Kern des neuen Fluchtvorbringens jeweils gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen. Auch bei seinem achten – gegenständlichen – Antrag auf internationalen Schutz brachte der Beschwerdeführer keine neuen Fluchtgründe vor.

In der Zwischenzeit sind auch keine Umstände eingetreten, wonach dem Beschwerdeführer in Indien aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Indien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

1.3. Zum Vorliegen von groben Ermittlungsmängeln:

Das Bundesamt führte hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durch, indem es im Tatsachenbereich zu einem entscheidenden Umstand, nämlich dazu, ob der Beschwerdeführer Opfer von Menschenhandel wurde, wofür seit der Einvernahme vom 20.09.2023 Indizien bestehen, keine Ermittlungen durchführte.

1.4. Zur maßgeblichen Lage in Indien, die sich seit rechtskräftigem Abschluss seines Erstverfahrens nicht geändert hat, werden nachfolgende Feststellungen getroffen:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Indien wird vor allem durch drei wesentliche Konflikte geprägt: der Konflikt in Jammu und Kaschmir, die separatistischen Bewegungen in den nordöstlichen Bundesstaaten und der Aufstand der Naxaliten (EFSAS 12.2019). Im gesamten Land sind kleinere (BICC 7.2022), u. a. in Großstädten auch schwerere terroristische Anschläge möglich (BMEIA 11.10.2022; vgl. AA 18.10.2022, EDA 14.4.2023). Die Sicherheitslage bleibt diesbezüglich angespannt. Dies gilt insbesondere im zeitlichen Umfeld staatlicher und religiöser Feiertage sowie von Großereignissen (AA 18.10.2022). Indien unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung (Prevention of Terrorism Ordinance) verabschiedet (BICC 7.2022). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 621 Todesopfer durch terroristische Gewalt, für 2020 591, für 2021 585; 2022 wurden bis zum 4. Oktober insgesamt 340 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o.D.b.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in der Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 8.2021).

Sicherheitslage in einzelnen Bundesstaaten

Die Streitkräfte des Landes, die Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten und paramilitärische Kräfte lieferten sich Gefechte mit terroristischen Gruppen in mehreren östlichen Bundesstaaten sowie in Jammu und Kaschmir und mit maoistischen Terroristen im Norden, im Zentrum und im Osten des Landes. Die Intensität der Gewalt in diesen Gebieten nahm jedoch weiter ab (USDOS 20.3.2023).

Dem österreichischen Außenministerium (BMEIA) zufolge besteht in den westlichen Teilen von Ladakh ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 11.10.2022). Das deutsche Auswärtige Amt erachtet die Sicherheitslage hier für grundsätzlich stabil, schließt allerdings einzelne terroristische Aktivitäten nicht aus (AA 18.10.2022). Laut BMEIA besteht weiters ein hohes Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten und in der Gegend westlich von Mulbek, in den Gebieten entlang der pakistanischen und der chinesischen Grenze, in der unmittelbare Nachbarschaft zur pakistanischen Grenze, in den Bundesstaaten Rajasthan und Punjab sowie in den Gebieten westlich der Orte Jaisalmer und Bikaner. In den Bundesstaaten Chhattisgarh und Jharkand, in den östlichen Landesteilen von Maharashtra und Madhya Pradesh, sowie vereinzelt in Odisha und Bihar sind linksgerichtete Aufständische aktiv, die immer wieder Anschläge auf öffentliche Einrichtungen bzw. öffentliche Verkehrsmittel und Sicherheitskräfte verüben (BMEIA 11.10.2022).

In den nordöstlichen Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Assam, Nagaland, Manipur (BMEIA 11.10.2022; vgl. AA 18.10.2022), Meghalaya, Mizoram und Tripura) sind ebenfalls aufständische Gruppen aktiv (BMEIA 11.10.2022). Diese führen dort einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (FH 2023; vgl. ÖB 8.2021). Dazu zählen beispielsweise Separatistengruppen wie die United Liberation Front Assom, die National Liberation Front Tripura, der National Socialist Council Nagaland, die Manipur People’s Liberation Front und Weitere (ÖB 8.2021). Die Regierung und die Behörden des Bundesstaates Assam unterzeichneten am 15.9.2022 eine Vereinbarung mit acht bewaffneten Stammesgruppen in Assam, die darauf abzielt, die Gruppen zu integrieren und ihnen politische und wirtschaftliche Rechte zu gewähren (ICG 9.2022; vgl. TOI 15.9.2022). Gegen militante Gruppierungen, die für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. maoistisch-umstürzlerischen) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind i.d.R. Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 22.9.2021; vgl. ÖB 8.2021).

In der ost- und zentralindischen Bergregion dauert der maoistische Aufstand - gewalttätige linksextremistische Gruppen (sog. „Naxaliten“ oder „maoistische Guerilla“) (AA 22.9.2021) - an, wo lokale Zivilisten und Journalisten, die als regierungsfreundlich gelten, angegriffen und durch Gewalt vertrieben werden und in von der Regierung geführten Lagern leben (FH 2023). Von Chhattisgarh aus kämpfen die Naxaliten in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andhra Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.9.2021). In ihrer jetzigen Form sind die naxalitisch-maoistischen Aktivitäten jedoch auf etwa ein Dutzend Bundesstaaten beschränkt. In den Jahren 2019 und 2020 konzentrierten sich, den ACLED-Daten zufolge, 80 % dieser Aktivitäten auf nur vier Bundesstaaten - Chhattisgarh, Jharkhand, Odisha und Maharashtra (ACLED 11.3.2021). Der indische Naxalismus entstand in den 1960er-Jahren im Zuge eines Aufstandes armer Landarbeiter gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung in Naxalbari im Unionsstaat Westbengalen. Im Jahr 2019 erhob die verbotene Kommunistische Partei Indiens (Maoisten), auch bekannt als Maoisten oder Naxaliten, ihre Waffen gegen Bergbaukonzerne und Entwicklungsprojekte, die drohten, indigene Stämme (oder Adivasi, ein Oberbegriff für Stammesbevölkerungen) von ihrem angestammten Land zu vertreiben, um den mineralienreichen Boden auszubeuten. Das Ziel dieser Gruppierung ist nach wie vor den Unterdrückern das Land zu entreißen und es an die Bevölkerung umzuverteilen. Dieser bewaffnete Kampf hat zu Menschenrechtsverletzungen, Massenvertreibungen und mindestens 12.000 Toten (Stand 2018) geführt (EFSAS 12.2019).

In Punjab ist der Terrorismus Ende der 1990er-Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan bzw. dem Ausland aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2021). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt zwei Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2020 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2021 waren es zwei Todesopfer und bis zum 11.10.2022 wurden für dieses Jahr keine Opfer verzeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o.D.a.).

Nach wie vor sind auch sogenannte Ehrenmorde ein Problem, vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana (ÖB 8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Diese sind i. d. R. darauf zurückzuführen, dass das Opfer gegen den Willen seiner Familie geheiratet hat oder heiraten will (USDOS 12.4.2022). Die Ahndung von Ehrenmorden ist schwierig, da diese oft als Selbstmord oder natürlicher Tod ausgelegt werden (ÖB 8.2021).

Im Juni 2022 kam es in mehreren indischen Bundesstaaten zu gewaltsamen Protesten wegen Äußerungen zweier ehemaliger Sprecher der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP), welche als Beleidigung des Propheten Mohammed angesehen wurden (ICG 6.2022; vgl. AI 14.6.2022). Die Zahl der Todesopfer der Gewalttaten belief sich auf zwei. Während die Proteste in Delhi, Maharashtra, Karnataka, Telangana und Gujarat weitgehend friedlich verliefen, wurden aus Uttar Pradesh (Prayagraj), Howrah in Westbengalen und Teilen von Jammu und Kaschmir Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten gemeldet (QT 11.6.2022).

Zwischen religiösen beziehungsweise ethnischen Gemeinschaften bestehen Spannungen, die sich teilweise ohne große Vorwarnung in lokalen, gewaltsamen Zusammenstößen entladen und auch auf andere Ortschaften oder Bundesstaaten überspringen können. Das Potenzial von Eskalationen besteht vor allem zwischen hinduistischen und muslimischen Bevölkerungsgruppen. Es waren jedoch auch wiederholt Angriffe hinduistischer Fundamentalisten auf christliche Kirchen zu verzeichnen (EDA 14.4.2023).

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, und die Regierung respektierte im Allgemeinen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, doch kam es im Justizsystem zu Verzögerungen, Kapazitätsproblemen und Korruption auf den unteren Ebenen. Das Justizsystem war nach wie vor stark überlastet und verfügte nicht über moderne Fallverwaltungssysteme. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist gesetzlich verankert, außer in Verfahren, bei denen es um Amtsgeheimnisse oder die Sicherheit des Staates geht, und die Justiz hat dieses Recht im Allgemeinen durchgesetzt (USDOS 20.3.2023).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z. B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 22.9.2021) z. B. bei Anwendung des Unlawful Activities Prevention Act (UAPA). Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet, Urteile öffentlich zu verkünden, und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern oder sich schuldig zu bekennen (USDOS 12.4.2022).

Die Justiz in Indien arbeitet formell unabhängig von den politischen Staatsorganen (FH 2023). Es gibt eine verfassungsmäßig garantierte Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 22.9.2021). Die häufig überlange Untersuchungshaft/Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie Korruption schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (AA 22.9.2021; vgl. ÖB 8.2021). Mittlerweile sind ca. 70 % aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 22.9.2021). Die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht konsequent eingehalten. Die Bürger sehen sich bei der Verfolgung der Rechtsansprüche mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, darunter z. B. auch die Forderungen nach Bestechungsgeldern (FH 2023).

Das Justizsystem gliedert sich in: a) Supreme Court - das Oberste Gericht - mit Sitz in Delhi; es regelt als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten und ist auch Berufungsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. b) High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Berufungsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. c) Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. d) Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 8.2021).

Das Gesetz zur Verhinderung rechtswidriger Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act - UAPA), gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen, die mit Aufständen oder Terrorismus in Verbindung stehen, bis zu 180 Tage ohne Anklage in Haft zu nehmen. Das UAPA kann angewandt werden, wenn die Staatsanwaltschaft Beweise für den Besitz von Schusswaffen oder Sprengstoff oder das Vorhandensein von Fingerabdrücken an einem Tatort vorlegen kann, unabhängig davon, ob die Behörden kriminelle Absichten nachweisen (USDOS 20.3.2023).

Im Dezember 2019 veröffentlichte das Ministerium für Recht und Justiz den "Scheme on Fast Track Special Courts for Expeditious Disposal of Cases of Rape and Protection of Children against Sexual Offences (POCSO)" Act. Das Gesetz zielt darauf ab, 1.023 Fast-Track-Gerichte im ganzen Land einzurichten, um die 166.882 [Stand 2020] Vergewaltigungs- und POCSO-Gesetzesfälle zu erledigen, die bei verschiedenen Gerichten anhängig sind (USDOS 30.3.2021). Das Gesetz sieht vor, dass in jedem Bezirk mindestens ein Sondergericht für Sexualstraftaten gegen Kinder (POCSO-Gericht) eingerichtet wird, aber die Umsetzung dieser Bestimmung verzögert sich (USDOS 20.3.2023).

In Teilen des Landes, vor allem in ländlichen Gebieten, erlassen informelle Gemeinderäte Erlasse zu sozialen Bräuchen. Ihre Beschlüsse führen manchmal zu Gewalt oder Verfolgung von Personen, die gegen die sozialen Normen verstoßen, insbesondere Frauen und Angehörige der unteren Kasten (FH 2023). In Indien gibt es zudem die Möglichkeit der Alternative Dispute Redressal (ADR / Alternative Streitbeilegung) (NPI 26.4.2022; vgl. BuS 9.4.2022). ADR bietet die Möglichkeit, alle Arten von Angelegenheiten zu lösen, einschließlich zivilrechtlicher, kommerzieller, industrieller und familiärer Angelegenheiten usw., bei denen die Menschen nicht in der Lage sind, eine Verhandlung zu beginnen und eine Einigung zu erzielen. Im Allgemeinen wird bei ADR eine neutrale dritte Partei eingesetzt, die den Parteien hilft, miteinander zu kommunizieren, die Differenzen zu erörtern und den Streit zu lösen. Das Verfahren verläuft ohne Einschaltung gerichtlicher Institutionen (LSI o.D.)

Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 22.9.2021). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt (ÖB 8.2021). Die Verfassungs- und Rechtsordnung enthalten Garantien für die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten. Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, welche die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken darüber hinaus die rechtsstaatlichen Garantien, z. B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 22.9.2021; vgl. ÖB 8.2021, BICC 7.2022), wobei Menschenrechtsverletzungen auch von Terroristen in Jammu und Kaschmir, in den nordöstlichen Bundesstaaten und in den vom maoistischen Terrorismus betroffenen Gebieten begangen wurden, darunter Tötungen und Folter von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten, Entführungen sowie die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten (USDOS‌ 20.3.2023).

Die Verfassung garantiert bürgerliche Freiheiten, einschließlich der Meinungs- und Religionsfreiheit, aber die Schikanen gegen Journalisten, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und andere Regierungskritiker haben unter Modi erheblich zugenommen. Die BJP hat zunehmend staatliche Einrichtungen genutzt, um politische Gegner ins Visier zu nehmen. Muslime, registrierte Kasten (Dalits) und registrierte Stämme (Adivasis) werden nach wie vor wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt (FH 2023).

Die Gesetze gestatten der Regierung das Abhören von Gesprächen zum Schutz der Souveränität und Integrität des Landes, der Sicherheit des Staates, der freundschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Staaten, der öffentlichen Ordnung oder zur Verhinderung der Anstiftung zur Begehung einer Straftat. Es gab Berichte, wonach Regierungsbehörden willkürlich oder unrechtmäßig oder ohne entsprechende rechtliche Befugnisse auf private Kommunikation zugriffen, diese sammelten oder nutzten und Praktiken entwickelten, die einen willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriff in die Privatsphäre ermöglichen, einschließlich des Einsatzes von Technologien zur willkürlichen oder unrechtmäßigen Überwachung oder Beeinträchtigung der Privatsphäre von Personen (USDOS 20.3.2023).

Bewegungsfreiheit

Die Niederlassungsfreiheit (ÖB 8.2021; vgl FH 2023) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.9.2021, ÖB 8.2021). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 8.2021). In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits erforderlich (USDOS 20.3.2023). Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit, sich in anderen Landesteilen niederzulassen. Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut (ÖB 8.2021). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert (FH 24.2.2022).

Es gibt immer noch kein staatliches Registrierungssystem, was bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung keinen Personalausweis besitzt. Daran hat auch die Einführung des digitalen Identitätssystems Aadhaar im Jahr 2009 nichts geändert, da die Registrierung weiterhin freiwillig ist. Dies begünstigt die Ansiedlung in einem anderen Teil des Landes im Falle von Verfolgung. Selbst bei laufender Strafverfolgung ist es keine Seltenheit, in ländlichen Gebieten in einem anderen Teil des Landes leben zu können, ohne verfolgt zu werden (AA 22.9.2021).

Die Regierung kann jedem Antragsteller einen Reisepass verweigern, wenn er sich außerhalb des Landes an Aktivitäten beteiligt, die "der Souveränität und Integrität der Nation schaden" (USDOS 20.3.2023). Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller - einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren - zusätzlichen Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 12.4.2022).

Grundversorgung und Wirtschaft

Allgemeine Wirtschaftsleistung

Indiens Wirtschaft zählt zu den größten und am schnellsten wachsenden weltweit (DS‌ 15.8.2022; vgl. IBEF 8.2022). Das reale BIP-Wachstum im Geschäftsjahr 2021-22 liegt bei 8,7 % (IBEF 8.2022). Damit wurde der durch die COVID-19-Pandemie bedingte Wirtschaftseinbruch überwunden (WKO 4.2022; vgl. IBEF 8.2022), und die indische Wirtschaft befindet sich wieder auf einem positiven Wachstumspfad. Für das am 1.4.2022 begonnene Wirtschaftsjahr wird ein Wachstum von 7,2 % des BIP prognostiziert. Diese Wachstumsdynamik wird von einem wiedererstarkten Privatkonsum, einem enormen Investitionsprogramm-Stimulus der Regierung sowie einer relativ hohen COVID-19-Impfquote der Bevölkerung getragen (WKO 4.2022).

Die Inflationsrate in Indien betrug im Jahr 2021 rund 5,13 % (laenderdaten.info ohne Datum; vgl. CIA 30.3.2023).

Arbeitsmarkt

Laut Zahlen des Centre for Monitoring the Indian Economy (CMIE) umfasste die Erwerbsbevölkerung 2021 durchschnittlich 430 Millionen Menschen (GTAI‌ 19.4.2022). Nur 5 % der Gesamtarbeitskräfte sind ausgebildete Fachkräfte. Nicht mehr ganz die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig (ÖB 8.2021).

Der indische Arbeitsmarkt wird vom informellen Sektor dominiert. Dieser umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung durch den Staat. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbinFdlichen Bestimmungen oder formal geregelten Arbeitsverhältnisse (Wiemann 2019; vgl. AAAI 8.2020). Annähernd 90 % der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet - sie sind weder gegen Krankheit (Wiemann 2019; vgl. AAAI 8.2020, BMZ 1.8.2022) oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wiemann 2019; vgl. AAAI 8.2020). Geregelte Arbeitsverhältnisse mit angemessenen und regelmäßigen Einkünften sind im "informellen" Sektor die Ausnahme (AA 22.9.2021).

Es besteht eine umfassende und internationale Standards im Wesentlichen entsprechende Arbeits- und Sozialgesetzgebung, aber sie betrifft nur die Beschäftigten in formellen Arbeitsverhältnissen - das sind ca. 8 % (AA 22.9.2021) bis 10 % (ÖB 8.2021). Gewerkschaften konzentrieren sich immer noch ganz überwiegend auf den (kleinen) formellen Sektor und sind zumeist parteipolitisch gebunden (AA 22.9.2021).

Die nationale Arbeitsvermittlungsagentur, welche bei dem Ministerium für Arbeit und dem Direktorat für Arbeit und Training angesiedelt ist, bietet Arbeitssuchenden Stellen an. Letztere müssen sich dort selbst registrieren und werden sofort informiert, sobald eine passende Stelle verfügbar ist. Einige Bundesstaaten bieten Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen Informationen über die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Fähigkeiten entsprechend der Marktnachfrage zur Verfügung gestellt werden (IOM 2021).

Der erste Lockdown führte zum Verlust von 140 Millionen Arbeitsplätzen (ÖB 8.2021). Dem Centre for Monitoring the Indian Economy (CMIE) zufolge lag die Arbeitslosenquote 2021 bei durchschnittlich 7,8 % (GTAI‌ 19.4.2022; vgl. laenderdaten.info o.D.). Für Februar 2022 meldet CMIE 8,1 %. Damit liegt die Arbeitslosigkeit weiterhin über den Werten von vor der Pandemie (GTAI‌ 19.4.2022).

Das Gesetz verbietet alle Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit, aber Zwangsarbeit, einschließlich Schuldknechtschaft für Erwachsene und Kinder, war weiterhin weit verbreitet (USDOS 20.3.2023; vgl. FH 2023).

Die Gesetze der Bundesstaaten legen Mindestlöhne und Arbeitszeiten fest. Der tägliche Mindestlohn variierte, lag aber über dem offiziell geschätzten Armutseinkommen. Die Regierungen der Bundesstaaten legen einen gesonderten Mindestlohn für Landarbeiter fest. Das Gesetz schreibt auch sichere Arbeitsbedingungen vor (USDOS 20.3.2023).

Nahrungsmittelsicherheit, Armut

In absoluten Zahlen ist Indien mit 230,8 Millionen Menschen nach wie vor das Land mit den meisten Menschen, die in Armut leben. Es ist jedoch gelungen, in den vergangenen Jahren weite Teile der Bevölkerung aus der Armut zu befreien. 2005/06 waren davon noch 55,1 % der Einwohner betroffen, 2015/16 dann 27,7 % und 2020/21 16,4 %. 415 Millionen Menschen entkamen so innerhalb von 15 Jahren der Armut (Welt 17.10.2022; vgl. UNDP / OPHI 10.2022).

Trotzdem war Indien 2021 mit rund 224,3 Millionen unterernährten Menschen das Land mit den meisten von Hunger und Unterernährung betroffenen Menschen (Statista 17.8.2022). Im Welthunger-Index (WHI) 2022 stuft die NGO Welthungerhilfe die Hungerlage in Indien mit einem WHI-Wert von 29,1 als "ernst" ein. Indien rangiert auf Platz 107 von insgesamt 121 bewerteten Ländern im Index (GHI 10.2022; vgl. AJ 15.10.2022)). Auf der Grundlage von Daten aus den Jahren 2019-2021 sind 16,3 % der indischen Bevölkerung unterernährt (AJ 15.10.2022). Etwa ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren leidet wegen chronischer Unterernährung an Wachstumsverzögerungen. Die Kindersterblichkeit ist höher als in den Nachbarländern Nepal und Bangladesch, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehören (BMZ 1.8.2022).

Ein Programm, demzufolge 800 Millionen Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa zwei Drittel der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert und im April 2021 im Zuge der zweiten Covid-19-Welle wieder in Kraft gesetzt. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der Covid-19-Krise betroffen ist (ÖB 8.2021). Das Programm ist bis Dezember 2022 verlängert worden‌ (PIB 15.10.2022).

Wohnraum und Sozialwesen

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (IOM 2021). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (IOM 2021; vgl. NSAP 21.11.2017) oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches den Teilnehmern ermöglicht, systematisch Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (IOM 2021).

Zahlreiche Sozialprogramme sollen die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. De facto ist der Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen in vielen Teilen Indiens noch wegen gravierender qualitativer und quantitativer Mängel, Korruption und Missmanagement beschwerlich bzw. oft verwehrt. Mit der Einführung der Identifikationsnummer "Aadhaar" und der davon unabhängigen Eröffnung von Bankkonten für jeden Haushalt in Indien konnten erste Erfolge bei der Eindämmung von Korruption und beim "verlustfreien" Transfer staatlicher Sozialleistungen verbucht werden (AA 22.9.2021).

Die Aadhaar-Karte enthält eine zwölfstellige persönliche Identifikationsnummer, die vor allem den ärmeren Bevölkerungsgruppen besseren und einfacheren Zugang zu staatlichen Transferleistungen verschaffen soll (SWP 6.10.2021). Seit 2010 wurde rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-Karte ausgestellt (DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. Später wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist (DFAT 10.12.2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 22.9.2021).

Medizinische Versorgung

Indiens Gesundheitssystem steht bedingt durch einen akuten Mangel an Infrastruktur und an qualifiziertem Personal vor einer Reihe von Herausforderungen (DFAT 10.12.2020). Die Verfassung überträgt den Bundesstaaten die Verantwortung für die Anhebung des Ernährungs- und Lebensstandards sowie für die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit (DFAT 10.12.2020; vgl. IOM 2021). Infolgedessen besteht eine große Diskrepanz zwischen den Leistungen des Gesundheitssektors der einzelnen Bundesstaaten, wie auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (EDA 14.4.2023; vgl. DFAT 10.12.2020, GTAI‌ 15.6.2021). Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 22.9.2021). Im ländlichen Raum ist die Versorgungsdichte geringer als in urbanen Zentren. Ferner wird auf dem Land oft nur eine Grundversorgung angeboten (GTAI 15.6.2021).

Eine gesundheitliche Minimal-Grundversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.9.2021, IOM 2021), wird aber als durchwegs unzureichend angesehen (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.9.2021). Neben staatlichen gibt es noch viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (IOM 2021). Der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors ist sehr groß (ÖB 8.2021), daher weichen viele Menschen für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, welcher dem westlicher Industriestaaten vergleichbar ist (AA 22.9.2021). Eine private Gesundheitsversorgung ist allerdings vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen (IOM 2021). Dafür genießen die privaten Gesundheitsträger wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich dies aber nicht leisten (ÖB 8.2021).

Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welche sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.9.2021) aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von - vom Arbeitgeber zu entrichtenden - Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 8.2021).

Im Rahmen des staatlichen Versicherungsprogramms Ayushman Bharat wurde 2018 der Zugang zu Gesundheitsleistungen insbesondere für untere Einkommensgruppen verbessert. Das Ziel ist, so insgesamt 500 Millionen Inder zu erreichen. Allerdings gilt hier, dass Leistungen fast ausschließlich in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in Anspruch genommen werden können (GTAI 15.6.2021). Rund 80 % der Inder haben keine berufliche Krankenversicherung, etwa weil sie Tagelöhner oder Taxifahrer sind. Für diese Menschen ist die staatliche Krankenversicherung gedacht, die rund 500 Millionen Inder in Anspruch nehmen können. Sie stellt kostenfreie Programme z.B. gegen HIV, Dengue-Fieber und Malaria zur Verfügung. Außerdem werden Mütter und Kinder umsonst geimpft (Ottonova o.D.). Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische Staatsbürger unterhalb der Armutsgrenze. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (IOM 2021).

Private Krankenversicherungen in Indien kommen nur für die städtische, wohlhabende Bevölkerungsschicht infrage (Ottonova o.D.). Krankenversicherungen für die Allgemeinbevölkerung sind über verschiedene private und öffentliche Unternehmen mit unterschiedlichen Beitragszahlungen erhältlich. Bekannte Versicherungen sind z. B. General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa (IOM 2021).

In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.9.2021). Staatliche Gesundheitszentren (PHCs) bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Sie sind Teil des von der Regierung finanzierten öffentlichen Gesundheitssystems des Landes. Insgesamt gibt es mehr als 25.650 solcher Kliniken in Indien. 60 % dieser Zentren werden von nur einem Arzt betrieben. Einige Zentren sind spezialisiert auf z. B. Schutzimpfungen für Kinder, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle. Zudem gibt es ca. 5.600 Gemeindegesundheitszentren. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen Patienten auf, die von den staatlichen Gesundheitszentren (PHCs) überwiesen werden. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern weiterverwiesen werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung (IOM 2021). Die Regierung in Delhi betreibt auch 189 Aam Aadmi Mohalla-Kliniken für die medizinische Grundversorgung (IOM 2021; vgl. PM 27.12.2021).

Dem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an Ärzten, Krankenschwestern und technischen Mitarbeitern. Vor allem auf dem Land fehlt es an Personal, denn die gut ausgebildeten Ärzte leben lieber in den modernen Städten (Ottonova o.D.). Die Zahl der Stellen für niedriger qualifiziertes medizinisches Fachpersonal ist zwischen 2014 und 2022 um 75 % gestiegen, und die Zahl der Stellen für höher qualifiziertes Personal hat sich um 93 % erhöht. Es wird einige Zeit dauern, bis die Kliniken über genügend praktizierende Fachkräfte verfügen (TL 13.8.2022). Es stehen 0,7 praktizierende Ärzte (StBA 6.2022) und 0,5 Krankenhausbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (StBA 6.2022; vgl. GTAI 23.4.2020). Zwölf indische Bundesstaaten (Bihar, Jharkhand, Gujarat, Uttar Pradesh, Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Madhya Pradesh, Haryana, Maharashtra, Odisha, Assam und Manipur), in denen etwa 70 % der gesamten Bevölkerung leben, verfügen über weniger als den nationalen Durchschnitt von 55 öffentlichen Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner (DFAT 10.12.2020).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 22.9.2021; vgl. ÖB 8.2021), die Kosten für die notwendigsten Medikamente werden staatlich reguliert. Apotheken sind zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden (IOM 2021). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 22.9.2021).

Indien weist derzeit geringe COVID-19-Infektionszahlen auf. Das Serum Institute of India ist der größte Lieferant des weltweiten COVAX-Verteilungssystems, und täglich werden in Indien ca. 10 Millionen an Impfdosen produziert (WKO 4.2022). Indien war eines der am schlimmsten von COVID-19 betroffenen Länder der Welt. Das Gesundheitssystem war völlig unvorbereitet und schlecht ausgerüstet, um eine Pandemie dieses Ausmaßes zu bewältigen. Das indische COVID-19-Impfprogramm war jedoch erfolgreich, ebenso wie die starke Zunahme innovativer digitaler Technologien und der Telemedizin, die dazu beitragen haben, dass in mehreren Teilen des Landes hochwertige Gesundheitsdienste angeboten und überwacht werden konnten. Die Regierung konzentriert sich nun auf den Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur (TL 13.8.2022). [Anm.: Weitere Informationen zur Lage betreffend Covid-19 sind dem Kapitel "Covid-19" zu entnehmen.]

Rückkehr

Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und einer gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.9.2021). Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 22.9.2021; vgl. DFAT 10.12.2020).

Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützt haben, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, welche die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben. Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert (ÖB 8.2021).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer allgemein oder für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige im Speziellen (AA 22.9.2021). Die indischen Regierungen bieten allerdings eine Vielzahl an Sozialhilfen für Rückkehrende an. Die Berechtigung, diese auch in Anspruch nehmen zu dürfen, hängt von Faktoren wie der wirtschaftlichen Lage, dem Alter, dem Minderheiten- bzw. Kastenstatus, dem Geschlecht etc. ab (IOM 2021). Individuelle Reintegrationshilfen werden auch im Rahmen des JRS-Programms (Joint Reintegration Services), welches von Frontex finanziert und durch Partner durchgeführt wird, angeboten. Hierbei handelt es sich u. a. um folgende Hilfeleistungen: Unterstützung bei der Unterbringung, medizinische Versorgung, Berufsberatung, Bildung, Familienzusammenführung (FRONTEX o.D.).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde. Die Feststellungen unter 1.1. zu seiner Person stützen sich auf seine Angaben in den niederschriftlichen Einvernahmen der bisherigen Verfahren.

Der Beschwerdeführer brachte zwar in der niederschriftlichen Einvernahme vom 20.09.2023 vor, es gehe ihm gesundheitlich nicht so gut, da er Stimmen höre und immer das Gefühl habe, andere Menschen würden sich über ihn unterhalten, er legte diesbezüglich jedoch trotz Aufforderung durch die Behörde keine medizinischen Unterlagen vor. Er gab weiters an, sich in Österreich deswegen noch nie an einen Arzt gewandt zu haben. In der Einvernahme vom 09.10.2023 meinte er zwar, er sei vor wenigen Tagen bei einem Arzt gewesen, legte diesbezüglich jedoch keine Bestätigung vor. Er konnte auch nicht angeben, welche konkreten Medikamente dieser ihm verschrieben habe oder welche Untersuchungen durchgeführt worden seien. Mit Schreiben vom 16.10.2023 brachte er vor, er nehme täglich Quetiapin und habe vorerst keine weiteren Arzttermine geplant. Dass er aufgrund von psychischen Problemen schwer beeinträchtigt wäre, behauptete er nicht und ist dies vor dem Hintergrund der soeben dargestellten oberflächlichen Aussagen oder sonst im Verfahren nicht hervorgekommen. Dass er an einer schweren psychischen Erkrankung leidet, welche einer Rückkehr nach Indien entgegensteht, ergibt sich auch aus dem aktenkundigen medizinischen Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin vom 19.12.2016 nicht, demzufolge der Beschwerdeführer an einer leichten depressiven Episode leide. Aktuelle Befunde, aus denen Gegenteiliges hervorgeht, wurden nicht vorgelegt und wird im Übrigen auf die Ausführungen unter 2.2.2. verwiesen. Insofern war auch festzustellen, dass er arbeitsfähig ist.

Die Feststellungen zu seiner Einreise ins Bundesgebiet und dem Gang der bisherigen Verfahren waren unstrittig dem vorliegenden Verwaltungsakt zu entnehmen.

2.2. Zur im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten asylrelevanten Verfolgung und zur Rückkehrmöglichkeit nach Indien:

2.2.1. Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar aufzeigte und sich aus einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren ergibt, sind von ihm keine entscheidungsrelevanten neuen Tatsachen, die einen glaubhaften Kern einer Verfolgung oder sonstige Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Indien aus einem der in der GFK genannten Fluchtgründe beinhalten, vorgebracht worden.

In seinem ersten Asylverfahren brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe Indien verlassen, weil er des Mordes bezichtigt worden sei. Einer seiner Freunde habe nämlich eine Affäre mit einem Mädchen gehabt, sei von deren Brüdern umgebracht worden und hätten die Brüder den Beschwerdeführer für den Mord verantwortlich gemacht. Daraufhin sei er von der Polizei verfolgt und von den Angehörigen des Freundes mit dem Umbringen bedroht worden. Dieses Vorbringen wurde im ersten Asylverfahren sowohl vom Bundesasylamt als auch vom Asylgerichtshof für unglaubhaft befunden und wurde zudem festgestellt, dass dem Beschwerdeführer selbst für den Fall polizeilicher Verfolgung in Indien eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stünde. Während er im zweiten Verfahren kein neues Fluchtvorbringen erstattete, behauptete er im dritten Verfahren, sein Vater sei Mitglied einer politischen Partei in Indien gewesen und in einen Konflikt mit einer gegnerischen Partei geraten. Der Beschwerdeführer habe Poster für die Khalistan Bewegung verteilt, sei von der Polizei festgenommen und nur auf Kaution freigelassen worden. Es habe mehrere Angriffe auf seine Familie gegeben und könnten die Gegner den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr unschuldig einsperren lassen. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2017 wurde festgestellt, dass der Kern des neuen Vorbringens, wie in den beiden Vorverfahren, darauf beruhe, dass der Beschwerdeführer von den Behörden in Indien festgenommen bzw. verfolgt worden sei. Sein Vorbringen sei jedoch nicht glaubhaft und habe sich die maßgebliche Sachlage nicht geändert. Auch im vierten Verfahren brachte der Beschwerdeführer vor, er würde bei einer Rückkehr sofort verhaftet werden und wurde im zurückweisenden Bescheid des Bundesamtes vom 10.10.2018 festgestellt, dass keine neuen Fluchtgründe glaubhaft gemacht worden seien. Dies wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.11.2018 bestätigt. Auch im fünften Verfahren brachte der Beschwerdeführer aktenkundig keine neuen entscheidungsrelevanten Sachverhaltselemente vor. Seine Behauptungen im sechsten Asylverfahren, es laufe im Herkunftsstaat ein Strafverfahren gegen ihn, weil er ein Mädchen gegen den Willen ihrer Familie geheiratet habe, wurden sowohl vom Bundesamt als auch vom Bundesverwaltungsgericht mit aktenkundigem Erkenntnis vom 27.06.2019 als unglaubhaft befunden, zumal die Fluchtgründe bereits während des ersten Asylverfahrens vorgelegen bzw. ihm bereits damals bekannt gewesen seien, und er diese ohne ersichtlichen Grund nicht erwähnt habe. Auch in Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben.

Sowohl im Zuge der Stellung seines siebten als auch des achten und gegenständlichen Asylantrags erstattete der Beschwerdeführer kein neues Fluchtvorbringen. Er gab während der niederschriftlichen Einvernahme vom 20.09.2023 vielmehr an, er habe bereits alles angegeben und könne den vorhergehenden Asylverfahren nichts mehr hinzufügen. Da der Beschwerdeführer bereits den achten Asylantrag stellte und die bisherigen Verfahren immer negativ abgeschlossen wurden, ging die belangte Behörde zutreffenderweise davon aus, dass sich seine Angaben auf ein bereits rechtskräftig als unglaubhaft qualifiziertes Vorbringen stützen würden und eine individuelle, ihn persönlich betreffende Bedrohungslage in Indien nicht vorliege. Zu einer anderen Beurteilung vermag auch sein vages, unzusammenhängendes Vorbringen zu seinen Freunden, die „Gangstertypen“ seien und die, ua nach ihrer Rückkehr nach Indien, inhaftiert worden seien, nicht zu führen. Darüber hinaus verwies die Behörde auf die Niederlassungsfreiheit in Indien. Auch in Hinblick auf das Bestehen allfälliger Refoulement-Gründe habe im Vergleich zu den Feststellungen des Erstverfahrens ein neuer Sachverhalt nicht festgestellt werden können.

Hinsichtlich seines Vorbringens in der Beschwerde, ihm drohe in Indien eine Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu sozialen Gruppe der Opfer von Menschenhandel, ist festzuhalten, dass er keine substantiierten Angaben dahingehend machte und auf Basis der Quellenlage nicht ersichtlich ist, warum er in Indien als Person, die in Österreich bzw. Europa für von ihm verrichtete Arbeiten nicht bezahlt worden sei, einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein sollte.

2.2.2. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer auch kein konkretes Vorbringen dahingehend erstattet, dass betreffend seine individuellen Umstände im Fall einer Rückkehr nach Indien eine entscheidungswesentliche Änderung eingetreten wäre, handelt es sich bei diesem doch, unverändert zum Vorverfahren, um einen gesunden, arbeitsfähigen Mann, der über Schulbildung und Arbeitserfahrung in Indien verfügt. Es ist davon auszugehen, dass er durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, gegebenenfalls durch Gelegenheitsarbeiten, in der Lage sein wird, seine Existenz eigenständig zu sichern, zumal er, wie sich aus dem aktenkundigen Erkenntnis des Asylgerichtshofes zu XXXX ergibt, vor seiner Ausreise die Grundschule besuchte und als Taxilenker arbeitete. Weiters halten sich seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vom 29.09.2023 zufolge weitschichte Verwandte in Indien auf, zu denen er vor etwa ein bis zwei Jahren noch Kontakt gehabt habe und deren wirtschaftliche Situation gut sei, weshalb davon auszugehen ist, dass diese ihn bei einer Rückkehr zumindest anfänglich unterstützen könnten. Wie bereits von der belangten Behörde erörtert ist das Medikament Quetiapin, das der Beschwerdeführer eigenen Behauptungen zufolge regelmäßig einnimmt, in Indien erhältlich. Dies ergibt sich aus der aktenkundigen Anfragebeantwortung zu PTBS, paranoider Schizophrenie vom 06.09.2023. Es ist im Verfahren nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in dauerhafter ärztlicher Behandlung ist und war, wie bereits detailliert dargestellt, nicht von einem gesundheitlichen Problem von lebensbedrohlichem Charakter auszugehen. Der vom Bundesamt ins Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortung ist darüber hinaus zu entnehmen, dass Krankheiten wie PTBS oder paranoide Schizophrenie in Indien behandelbar sind, zumal psychiatrische klinische Behandlungen sowie ambulante Langzeitbehandlungen durch einen Psychiater verfügbar sind.

Insgesamt kann daher, wie bereits von der belangten Behörde ausgeführt, nicht erkannt werden, dass gegenständlich Umstände eingetreten sind, wonach der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person zu gewärtigen hätte oder ihm in Indien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer keine Furcht vor Verfolgung im gesamten Herkunftsstaat glaubhaft machte und keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention vorliegt. Eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und der notorischen Lage in Indien nicht angezeigt, dies wurde auch nicht substantiiert behauptet.

2.3. Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 29.09.2023 vor, er wisse nicht, wo er sich die letzten vier Jahre aufgehalten habe, könne jedoch angeben, dass er etwa drei bis vier Monate in Tschechien und auch in Bosnien sowie Mazedonien gewesen sei. In Tschechien habe er als Abwäscher in einem Lokal gearbeitet. Auf die Frage, ob er in den letzten drei Jahren gearbeitet habe, antwortete er: „Ja, das waren aber alles Gauner, der in XXXX „Pandit“ für den arbeitete ich, er hat mich aber nicht bezahlt. XXXX , für 20-22 Tage, er gab mir für 16-17 Stunden als Abwäscher 200 Euro. Er hat dann auch die Polizei gerufen. So kam es dann auch zu dieser Asylantragstellung.“

Obwohl, wie auch in der Beschwerde geltend gemacht wurde, aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers in der Einvernahme bereits vor der Bescheiderlassung Hinweise vorhanden waren, dass dieser wegen der Ausbeutung seiner Arbeitskraft, zumal er andeutete, er habe für andere Personen gearbeitet, ohne bezahlt zu werden, Opfer von Menschenhandel iSd § 104a Abs. 1 StGB geworden sein könnte, stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesbezüglich keine näheren Fragen und ermittelte vor der Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht einmal ansatzweise, ob der Tatbestand des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG erfüllt sein könnte.

Es wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer erstmals in der Beschwerde vorbrachte, er habe einen Verein aufgesucht, der Männer, die Opfer von Menschenhandel geworden seien, hinsichtlich des weiteren Vorgehens berate. Auch die Stellungnahme des Vereins XXXX vom 09.02.2024, derzufolge der Verdacht bestehe, dass der Beschwerdeführer von einem früheren Arbeitgeber zuerst in Bezug auf die Arbeitsbedingungen getäuscht und ihm dann ein falsches Versprechen hinsichtlich der Hilfe bei der Sicherung des Aufenthaltes gegeben worden sei, erfolgte erst während des laufenden Beschwerdeverfahrens. Dennoch wurde von der belangten Behörde insofern ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, als der Beschwerdeführer keiner genaueren Befragung unterzogen wurde und keine Ermittlungen getätigt wurden, obwohl bereits zum Zeitpunkt der Einvernahme Verdachtsmomente bestanden, dass dieser Opfer von Menschenhandel geworden sein könnte. Es wäre bei der Prüfung der Voraussetzungen des §57 AsylG die Aufgabe der Behörde gewesen, den Beschwerdeführer dazu gezielt einzuvernehmen und bei Verdachtsmomenten zu ermitteln, ob beispielsweise ein etwaiges Strafverfahren gegen seinen Arbeitgeber eingeleitet wurde, was es unterlassen hat. Vielmehr hat es im Bescheid entgegen seiner Angaben und entgegen der Aktenlage festgehalten, dass aus der Aktenlage nicht ersichtlich ist und er nicht behauptet hat, dass er Opfer von Menschenhandel geworden sei.

Anhand der fehlenden Ermittlungen war festzustellen, dass der zur Beurteilung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG notwendige Sachverhalt nicht feststeht.

2.4. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Indien stützen sich auf die vom Bundesamt ins Verfahren eingeführten Länderinformationen der Staatendokumentation vom 17.05.2023, Version 7. Die Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln. Der Beschwerdeführer ist den Berichten in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten und hat eine fallrelevante wesentliche Änderung nicht behauptet.

Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist darzulegen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (Länderinformationen der Staatendokumentation, Indien, Version 8, Stand 28.11.2023) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben. Die Lage in Indien stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids wegen entschiedener Rechtssache gemäß § 68 Abs. 1 AVG:

3.1.1 Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des BFA wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

3.1.2 Wie im Ermittlungsergebnis und in der Beweiswürdigung dargelegt, brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Asylverfahren keine neuen Fluchtgründe mit glaubhaftem Kern vor, dem Asylrelevanz zukommen könnte und ist keine Sachverhaltsänderung eingetreten.

Die Prüfung der Fluchtgründe war Gegenstand der vorangegangenen abgeschlossenen Rechtsgänge, insbesondere des ersten Asylverfahrens. Im Rahmen des Bescheides des Bundesasylamtes vom 07.07.2011 und des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom 30.09.2011 wurde das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen in Hinblick auf dessen Wahrheits- bzw. Glaubhaftigkeitsgehalt untersucht und letztlich abschließend beurteilt. Die darauffolgenden sechs Anträge auf internationalen Schutz wurden mit den oben zitierten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bzw. Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes wegen entschiedener Rechtssache zurückgewiesen.

Im nunmehrigen Verfahren erstattete der Beschwerdeführer kein neues Fluchtvorbringen, sondern gab vielmehr an, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht blieben und er nichts Neues mehr hinzuzufügen habe. Er machte keine neuen sich nach dem Erstverfahren zugetragenen Begebenheiten und keine Änderung seines Fluchtvorbringens geltend. Es ist somit keine Sachverhaltsänderung eingetreten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Sachverhaltselementen rechtlich Asylrelevanz entfalten könnte und zu einer anderen Entscheidung führen könnte. Dies gilt auch für sein Vorbringen zur sozialen Gruppe von Opfern von Menschenhandel, welches im gegenständlichen Fall nicht geeignet ist, einen neuen Verfolgungsgrund, dem Asylrelevanz zukommen könnte, zu begründen.

Im Übrigen wird auf die auch schon im ersten rechtskräftigen Bescheid bzw. im Erkenntnis des Asylgerichtshofes festgestellte Bewegungsfreiheit in Indien und die Möglichkeit, sich auch bei allfälliger Verfolgung in anderen Landesteilen Indiens niederzulassen, hingewiesen.

3.1.3 Insoweit der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass der Asylgerichtshof im Erkenntnis vom 30.09.2011 unter anderem davon ausging, dass es für den Beschwerdeführer zumutbar sei, sich seinen notwendigen Unterhalt im Herkunftsstaat selbst zu sichern und keine Gründe für die Annahme bestünden, dass er in Indien iSd § 8 AsylG bedroht wäre. Zu dieser Annahme gelangte zuletzt auch das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 27.06.2019.

Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zu den Verhältnissen im Herkunftsstaat kann nicht angenommen werden, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten wären, wonach der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Ebenso ist in Bezug auf seine individuellen Umstände, wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargestellt, keine entscheidungswesentliche Änderung eingetreten, auch im Hinblick auf seine gesundheitliche Situation.

3.1.4 Da sohin keine Anhaltspunkte für eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf das individuelle Vorbringen bzw. Umstände des Beschwerdeführers oder allgemein bekannte Tatsachen, die vom Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen wären, vorliegen, und sich auch die Rechtslage in der Zwischenzeit nicht entscheidungswesentlich geändert hat, steht der Behandlung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegen und war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zur Zurückverweisung des Bescheides hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG:

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, hat der VwGH ausgesprochen, dass – im Hinblick auf den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte – von der Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann und eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nur dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. dazu auch VwGH 16.10.2015, Ra 2015/08/0042, VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028; zur vertretbaren Rechtsansicht der nur ansatzweisen Ermittlung siehe auch VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung bereits mehrfach judiziert, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001; VfGH E2018/2019 ua. vom 23.09.2019; vgl. auch VwGH 04.12.2019, Ra 2019/12/0073). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (VfGH E1805/2018 ua vom 10.10.2018).

3.2.2. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Art. 4 EMRK verbietet Menschenhandel als solchen. Der EGMR hat in seiner Entscheidung Rantsev gg. Zypern und Russland, Urteil vom 07.01.2020, Bsw. Nr. 25965/04 dargelegt, dass die Staaten verpflichtet sind, einen rechtlichen und administrativen Rahmen zu seiner Bekämpfung zu schaffen und (potentielle) Opfer zu schützen. Bestehen Gründe für die Annahme, eine bestimmte Person sei Opfer von Menschenhandel oder in Gefahr Opfer zu werden, so müssen die Behörden operative Maßnahmen zu ihrem Schutz treffen und eine Untersuchung durchführen.

3.2.3. Wie im Folgenden dargestellt wird, liegen im gegenständlichen Fall gravierende Ermittlungslücken iSd § 28 Abs. 3 VwGVG vor.

Einem Drittstaatsangehörigen ist unter anderem dann eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel, erforderlich ist.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme zumindest der Anschein, dass er hinsichtlich seiner Arbeitskraft ausgebeutet worden sei, zumal er behauptete gearbeitet zu haben, ohne bezahlt worden zu sein. Obwohl demnach bereits im Verfahren vor der belangten Behörde Indizien hervorgekommen sind, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Opfer von Menschenhandel geworden sein könnte, sind dem Verwaltungsakt keine Unterlagen, Erhebungen oder Erwägungen zu entnehmen, die sich mit dem Vorbringen auseinandersetzen. Das Bundesamt setzte trotz der Aussagen des Beschwerdeführers in der Einvernahme in Bezug auf eine mögliche Verwirklichung des Tatbestandes des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG keine weiteren Ermittlungsschritte. Eine nachvollziehbare Begründung für die im angefochtenen Bescheid getroffene Annahme der Behörde, es sei nicht ersichtlich und habe der Beschwerdeführer nie behauptet, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein, ist weder dem Bescheid noch dem vorangegangenen Ermittlungserfahren zu entnehmen.

Da der Beschwerdeführer bereits in der Einvernahme vor dem Bundesamt indizierte, er sei Opfer von Menschenhandel geworden, hätte die belangte Behörde geeignete Ermittlungen, wie insbesondere eine genauere Befragung des Beschwerdeführers oder etwa die Abklärung der Frage, ob die Einleitung eines Strafverfahrens gegen seinen Arbeitgeber geplant ist bzw. ein solches bereits läuft, durchführen müssen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die Behörde die notwendigen weiteren Ermittlungen zur Klärung des für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG maßgeblichen Sachverhaltes zu veranlassen und in der Folge entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Die ergänzenden Ermittlungen sind unentbehrlich, zumal diese der ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung dienen. Es war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorzugehen, Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes würde nicht zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen, zumal in diesem konkreten Fall angenommen werden muss, dass die belangte Behörde als Spezialbehörde in asyl- und fremdenrechtlichen Angelegenheiten besser und wesentlich rascher sowie effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann, ob die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 2 gegeben sind.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S. 389, (2010/C 83/02) entgegenstehen.

Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG, noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.

Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht somit, dass aus dem Akteninhalt der belangten Behörde die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist.

Der VwGH hat zur Frage der Verhandlungspflicht mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 ausgesprochen, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weitgehend übertragen lässt. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren ist primär § 21 Abs. 1 und subsidiär § 24 Abs. 4 VwGVG als maßgeblich heranzuziehen. Für die Auslegung der Wendung in § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014, „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“, sind nunmehr folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalte behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG 2014 festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Es wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 68 AVG durch Befragung sowie mehrmalige Belehrung der beschwerdeführenden Partei über ihre Mitwirkungspflichten nachgekommen. Der diesbezügliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Mit der Beschwerde wurde daher im Hinblick auf § 68 AVG auf der Sachverhaltsebene nichts Entscheidungsrelevantes mehr vorgebracht, zumal der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift kein substantiiertes neues Fluchtvorbringen erstattete, welches geeignet sein könnte Asylrelevanz zu entfalten. Die unsubstantiierten Behauptungen sind zusammengefasst somit nicht geeignet, erheblich erscheinende neue Tatsachen oder Beweise (vergleiche § 10 VwGVG) darzustellen und eine Verhandlungspflicht auszulösen.

Hinsichtlich der Nichterteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung insofern unterbleiben, als der angefochtene Bescheid in Bezug auf Spruchpunkt III. ohnehin zur Erlassung eines neuen Bescheides behoben und an die Behörde zurückverwiesen wurde.

Zu Spruchteil B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Entscheidungsfindung im gegenständlichen Fall war nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung abhängig, sie erging zum einen in Anlehnung an die in der Begründung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „entschiedenen Sache“ nach § 68 AVG. Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039). Zum anderen liegt auch betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im konkreten Fall keine grundsätzliche Rechtsfrage vor (siehe dazu auch VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, VwGH 30.03.2017, Ra 2017/08/0050), vielmehr handelte es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung im gegenständlichen Fall. In der Beurteilung wurde umfassend dargelegt, dass hinsichtlich Spruchpunkt III. im konkreten Fall im Verfahren vor der belangten Behörde notwendige Ermittlungen unterlassen wurden.

Rückverweise