JudikaturBVwG

W261 2290040-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
26. April 2024

Spruch

W261 2290040-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den KOBV, Der Behindertenverband für Wien, NÖ Bgld., gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 01.02.2024, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht mehr vorliegen, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 01.02.2024, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht mehr vorliegen, behoben und wird die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides, an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist seit 12.03.2018 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert (v.H.) und seit 31.12.2020 mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

2. Am 20.05.2022 stellte der Beschwerdeführer beim Sozialministeriumservice (in der Folge: belangte Behörde) einen Antrag auf Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.

3. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 02.08.2022 erstatteten Gutachten vom 22.08.2022 stellte der medizinische Sachverständige fest, dass beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen „Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen – Dorsalgie, Position 02.01.02 der Anlage der Einschätzungsverordnung (EVO), Grad der Behinderung (GdB) 40 %, Asthma bronchiale, Position 06.05.02 der Anlage der EVO, GdB 30 %, Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2), Position 03.06.01 der Anlage der EVO, GdB 20 % und koronare Herzerkrankung bei mäßiggradiger Koronarsklerose, Position 05.05.01 der Anlage der EVO, GdB 20%“ und einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. vorliegen würde. Weiters stellte der medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.

4. Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23.08.2022 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

5. Der Beschwerdeführer machte mit einem Schreiben vom 08.09.2022 von diesem Recht Gebrauch und legte weitere Befunde vor.

6. Die belangte Behörde ersuchte den befassten Sachverständigen um eine ergänzende Stellungnahme, welche dieser am 24.10.2022 abgab. Darin führte er aus, dass keine neuen Befunde vorgelegt worden seien. Es bestehe weder in Beziehung zum Gesamtgrad der Behinderung noch im Hinblick auf die Unzumutbarkeit eine Änderung zur bisherigen Begutachtung.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.10.2022 stellte die belangte Behörde den Grad der Behinderung neu mit 40 % fest.

Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungnahme in Kopie an.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er einen Gehstock benötigen würde, an schlechten Tagen einen Rollator. Er sei maximal 100 – 150 Meter mobil, darüber hinaus komme es zu starken Schmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine. Seine Söhne müssten ihm im Alltag helfen, da er im Zusammenhang mit der nach wie vor belastungsabhängigen Atemnot nach COVID-Impfung nicht schaffen würde. Im Vergleich zum Vorgutachten aus 04/2021 habe sich sein Gesamtzustand sowie seine Mobilitätsschwankungen sowie der Fremdhilfebedarf in keinster Weise geändert, geschweige denn verbessert habe, weshalb er die Reduktion des gesamten Grades seiner Behinderung nicht nachvollziehen könne und diesbezüglich Einspruch erhebe. Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde keine Befunde an.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.02.2023, Zl. W265 2264159-1/7E wurde der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht bemängelte im Wesentlichen, dass das der Entscheidung zugrundeliegende medizinische Sachverständigengutachten im Ergebnis nicht schlüssig und nachvollziehbar sei. Es werde ein psychiatrisch/neurologisches Sachverständigengutachten einzuholen sein.

10. Die belangte Behörde holte dem Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes ein medizinisches Sachverständigengutachten einer medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Psychiatrie ein. In deren Sachverständigengutachten vom 17.04.2023 (vidiert am 20.04.2023), beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 14.04.2023 kam diese zum Ergebnis, dass bei diesem die Funktionseinschränkungen „Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen – Dorsalgie, Position 02.01.02 der Anlage der EVO, GdB 40 %, kombinierte Persönlichkeitsstörung bei Benzodiazepinabhängigkeit mit depressiven Symptomen und Ängsten, Position 03.04.01 der Anlage der EVO, GdB 30 %, Asthma bronchiale, Position 06.05.02 der Anlage der EVO, GdB 30 % und koronare Herzerkrankung bei mäßiggradiger Koronarsklerose, Position 05.05.01 der Anlage der EVO, GdB 20 %“ und ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. vorliegen würden. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass würden aus medizinischer Sicht nicht vorliegen.

11. Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20.04.2023 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

12. Der Beschwerdeführer machte mit Emailnachricht vom 03.05.2023 von diesem Recht Gebrauch und legte in weiterer Folge ein fachärztliches Gutachten eines Facharztes für Anästhesie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin vom 02.05.2023 vor, welches im Rahmen eines Verfahrens nach dem Impfschadensgesetz eingeholt wurde.

13. Über Ersuchen der belangten Behörde gab der ärztliche Dienst in einer sofortigen Beantwortung vom 13.06.2023 eine Stellungnahme ab, wonach die orthopädischen Leiden nicht so schwerwiegend seien, dass die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliegen würde.

14. Die belangte Behörde übermittelte das Ergebnis der Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13.06.2023 und vom 24.07.2023 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

15. Mit Emailnachricht vom 03.08.2023 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er gegen das Ergebnis Einspruch erhebe. Er habe am 22.08.2023 einen Termin bei einem namentlich genannten Arzt und werde Befunde nachreichen.

16. Der Beschwerdeführer übermittelte der belangten Behörde in weiterer Folge am 28.08.2023 eine Reihe von medizinischen Befunden.

17. Die belangte Behörde nahm dies zum Anlass, um einen medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Orthopädie einzuholen. In seinem medizinischen Sachverständigengutachten vom 11.11.2023, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.11.2023 kam dieser zusammenfassend zum Ergebnis, dass bei diesem die Funktionseinschränkungen „Degenerative Wirbelsäulenveränderungen, chronische Lumbalgie, Dorsalgie bei lumbalen Bandscheibenschaäen und Osteochondrosen, Position 02.01.02 der Anlage der EVO, GdB 40 %, kombinierte Persönlichkeitsstörung bei Benzodiazepinabhängigkeit mit depressiven Symptomen und Ängsten, Position 03.04.01 der Anlage der EVO, GdB 30 %, Asthma bronchiale, Position 06.05.02 der Anlage der EVO, GdB 30 % und koronare Herzerkrankung bei mäßiggradiger Koronarsklerose, Position 05.05.01 der Anlage der EVO, GdB 20 %“ und ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. vorliegen würden. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass würden aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.

18. Die belangte Behörde übermittelte das Ergebnis der Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20.11.2023 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.

19. Der Beschwerdeführer legte dazu ein neuroimmunologisches Fachgutachten eines Facharztes für Neurologie vom 23.11.2023 vor, welches im Rahmen des von diesem angestrebten Verfahren nach dem Impfschutzgesetz eingeholt worden war.

20. Mit Schreiben vom 01.02.2024 informierte die belangte Behörde den Beschwerdeführer darüber, dass nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 % festgestellt worden sei. Es würden die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses und für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ bestehen. Der Behindertenpass werde unbefristet ausgestellt.

Der alte Behindertenpass sei ungültig und sei dem Sozialministeriumservice vorzulegen. Für die Vorlage werde eine Frist von vier Wochen vorgemerkt. Der Beschwerdeführer werde darauf aufmerksam gemacht, dass der ungültig gewordene Behindertenpass nicht missbräuchlich verwendet werden würde und ein Zuwiderhandeln den Tatbestand des Betruges gemäß dem Strafgesetzbuch erfüllen würde. Die belangte Behörde schloss diesem Schreiben die eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten an.

21. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2024 stellte die belangte Behörde fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht mehr vorlägen. In einem weiteren Spruchpunkt stellte die belangte Behörde fest, dass der Behindertenpass unverzüglich der belangten Behörde vorzulegen sei. Die belangte Behörde schloss diesem Bescheid das medizinische Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie an.

22. Der Beschwerdeführe erhob mit Eingabe vom 14.02.2024, vertreten durch den KOBV, Der Behindertenverband für Wien, NÖ Bgld., fristgerecht gegen beide Spruchpunkte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führte der Beschwerdeführer aus, dass das Ermittlungsergebnis der belangten Behörde ergeben habe, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Vergleich zum Vorgutachten unverändert sei. Im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 26.04.2021 sei ihm die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gewährt worden. Zum damaligen Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er in etwa 100 – 150 m gehen könne, bevor er starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule bekäme. Nunmehr habe der Beschwerdeführer angegeben, dass sich die Gehstrecke auf 25 m reduziert habe. Wie damals verwende der Beschwerdeführer eine Gehhilfe. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei nicht eingetreten und stehe daher auch der Entziehung der Zusatzeintragung die Rechtskraft der früheren Entscheidung entgegen. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers habe sich infolge seiner Long-Covid-Erkrankung weiterhin verschlechtert, er leide unter anderem an einer Atemmuskelschwäche mit Minderbelastbarkeit und Dyspnoe. Auch habe sich der Zustand der Wirbelsäule weiter verschlechtert. Der Beschwerdeführer stellte den Antrag, der Beschwerde Folge zu geben und den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben. Er schloss der Beschwerde aktuelle medizinische Befunde, unter anderem einen ärztlichen Befundbericht eines Facharztes für Lungenkrankheiten samt Lungenfunktionsmessung an.

23. Die belangte Behörde forderte den Beschwerdeführer neuerlich mit Schreiben vom 11.03.2024 auf, den ungültigen Behindertenpass innerhalb einer Frist von vier Wochen vorzulegen.

24. Aus einer von der belangten Behörde veranlassten sofortigen Beantwortung des ärztlichen Dienstes ist zu entnehmen, dass die belangte Behörde veranlasste, die Gutachten aus dem Impfschadenverfahren hochzuladen.

25. Der Beschwerdeführer legte der belangten Behörde den Behindertenpass, welcher am 03.05.2021 mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 % und mit der Gültigkeit ab 31.12.2020 ausgestellt wurde, vor.

26. In einer weiteren sofortigen Beantwortung vom 22.03.2024 führte die Leiterin des ärztlichen Dienstes aus, dass der früheste Termin für eine lungenfachärztliche Untersuchung der 11.04.2024 möglich sei. Da im lungenfachärztlichen Befund vom 30.01.2024 keine deutliche Einschränkung der Lungenfunktion beschrieben werde und die Sauerstoffsättigung bei Raumluft bei 96 % (Normbereich) sei, könne keine aktenmäßige Beurteilung erfolgen. Somit könne die vorgeschriebene Frist zur Erledigung der Beschwerdevorentscheidung nicht eingehalten werden.

27. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 10.04.2024 zur Entscheidung vor, wo dieses am 11.04.2024 einlangte.

28. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.04.2024 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

29. Nachdem im angefochtenen Bescheid nicht nur die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorgenommen wurde, sondern die belangte Behörde auch die Einziehung des Behindertenpasses nach § 43 Abs. 1 BBG anordnete, eröffnete das Bundesverwaltungsgericht hierfür zu Zahl W 261 2290841-1 ein eigenes Beschwerdeverfahren, über welches gesondert entschieden werden wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Vorweg wird festgehalten, dass Gegenstand dieses Verfahrens die Feststellung ist, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht mehr vorliegen.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Der Beschwerdeführer leidet unter anderem an einer Lungenerkrankung, welche im letzten vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 11.11.2023 (vidiert am 14.11.2023), beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.11.2023 als Leiden 3 mit einem GdB von 30 % eingestuft wurde. Als Leiden 4 wurde in dem genannten Gutachten eine koronare Herzerkrankung mit mäßiggradiger Koronarsklerose mit einem GdB von 20 % eingeschätzt. In den Feststellungen zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt der medizinische Sachverständige in diesem Sachverständigengutachten, welches der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, mit keinem Wort aus, ob diese Lungenerkrankung und die Herzerkrankungen Einfluss auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben, oder nicht. Ebenso wenig wird im genannten medizinischen Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, worin die Verbesserung des Leidenszustandes im Hinblick auf die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass im Vergleich zum Vorgutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin und Facharztes für Innere Medizin vom 26.04.2021 konkret besteht.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Genau diese vom VwGH geforderte Einschätzung, ob die Leiden 3 und 4 Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben, oder nicht fehlen im genannten medizinischen Sachverständigengutachten, weswegen dieses in diesem Punkt weder schlüssig noch nachvollziehbar ist und der Entscheidung nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, worin eine Verbesserung des Leidenszustandes des Beschwerdeführers im Vergleich zum Vorgutachten vom 26.04.2021 besteht.

Dass belangte Behörde selbst davon ausging, dass das das Ermittlungsverfahren zu ergänzen sein wird, ergibt sich aus der sofortigen Beantwortung des ärztlichen Dienstes vom 22.03.2024, wonach der früheste Termin für eine lungenfachärztliche Untersuchung erst am 11.04.2024 möglich ist.

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren die Frage zu klären haben, welche Auswirkung die Leiden 3 und 4 auf seine Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen haben, bzw. ob dadurch maßgebende Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, welche ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich erschweren, vorliegen, oder nicht. Zudem wird nachvollziehbar festzustellen sein, welche Leidenszustände des Beschwerdeführers sich seit dem Jahr 2021 derart verbessert haben, dass es dem Beschwerdeführer nunmehr zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Diese Frage wird durch ergänzende Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Lungenheilkunde bzw. Interne Medizin/Kardiologie/Allgemeinmedizin aufgrund einer neuerlichen Untersuchung des Beschwerdeführers zu beurteilen sein. Das Ergebnis der Begutachtung ist medizinischen Sachverständigengutachten zusammenzufassen.

Dabei wird insbesondere zu beurteilen und zu begründen sein, ob beim Beschwerdeführer wegen seiner dauernden Gesundheitsschädigungen aufgrund der Leiden 3 und 4 maßgebende Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, welche ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich erschweren, vorliegen, oder nicht.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde sind in einer Gesamtbeurteilung zusammenzufassen.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführer noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Rückverweise