Spruch
W252 2280887-1/6Z
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth SCHMUT LL.M. als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichterinnen Dr.in Claudia ROSENMAYR-KLEMENZ und Mag.a Adriana MANDL als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX (Erstbeschwerdeführer), geb. XXXX , XXXX , und XXXX (Zweitbeschwerdeführer), (mitbeteiligte Partei: XXXX ) gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde vom 30.01.2023, GZ XXXX in einer datenschutzrechtlichen Angelegenheit, in nichtöffentlicher Sitzung, beschlossen:
A)
I. Das Verfahren wird hinsichtlich der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gegen Spruchpunkt 1. gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-416/23 über das Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofs vom 27.06.2023, Ra 2023/04/0002 ausgesetzt.
II. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers gegen Spruchpunkt 2. wird zurückgewiesen.
B) Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Eingabe vom 08.05.2022 erhob der Erstbeschwerdeführer (in Folge: BF1) für sich und seinen minderjährigen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer (in Folge: BF2), eine Datenschutzbeschwerde. Die mitbeteiligte Partei habe ihn und seinen Sohn in ihrem Recht auf Berichtigung und Einschränkung der Verarbeitung verletzt, indem sie seinen diesbezüglichen Anträgen nicht entsprochen habe.
2. Mit Bescheid vom 30.01.2023 lehnte die belangte Behörde die Behandlung der Datenschutzbeschwerde des BF1 ab, da dessen Verfahrensführung aufgrund der Gesamtanzahl der von ihm bisher eingebrachten Beschwerden/Eingaben (seit Juni 2018 über 300) und des gleichbleibenden „Kerns“ seiner Beschwerdeführung exzessiv sei. Der BF1 sei hinsichtlich des BF2 nicht obsorgeberechtigt und somit auch nicht vertretungsbefugt, weshalb die Beschwerde im Namen des BF2 zurückzuweisen sei.
3. Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 27.02.2023, die der BF1 für sich und den BF2 erhob. Die belangte Behörde gehe unrichtig von einer exzessiven Verfahrensführung aus. Unter anderem reiche die bloße Anführung der Anzahl der von ihm angestrengten Beschwerdeverfahren nicht aus, um von einer Exzessivität auszugehen. Hinsichtlich der Beschwerde des BF2 führte der BF1 aus, dass es der belangten Behörde nicht zustehe festzustellen, dass er seit 2018 nicht mehr für den BF2 obsorgeberechtigt sei.
4. Die belangte Behörde legte die Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsakts mit Schriftsatz vom 08.11.2023, hg eingelangt am 09.11.2023, vor und beantragte – unter Verweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheids – die Beschwerde abzuweisen.
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 27.06.2023, Ra 2023/04/0002 folgende Fragen an den EuGH, dort anhängig unter C-416/23, zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Ist der Begriff "Anfragen" oder "Anfrage" in Art. 57 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO) dahin auszulegen, dass darunter auch "Beschwerden" nach Art. 77 Abs. 1 DSGVO zu verstehen sind?
Falls die Frage 1 bejaht wird:
2. Ist Art. 57 Abs. 4 DSGVO so auszulegen, dass es für das Vorliegen von "exzessiven Anfragen" bereits ausreicht, dass eine betroffene Person bloß innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine bestimmte Zahl von Anfragen (Beschwerden nach Art. 77 Abs. 1 DSGVO) an eine Aufsichtsbehörde gerichtet hat, unabhängig davon, ob es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt und/oder die Anfragen (Beschwerden) unterschiedliche Verantwortliche betreffen, oder bedarf es neben der häufigen Wiederholung von Anfragen (Beschwerden) auch einer Missbrauchsabsicht der betroffenen Person?
3. Ist Art. 57 Abs. 4 DSGVO so auszulegen, dass die Aufsichtsbehörde bei Vorliegen einer "offenkundig unbegründeten" oder "exzessiven" Anfrage (Beschwerde) frei wählen kann, ob sie eine angemessene Gebühr auf der Grundlage der Verwaltungskosten für deren Bearbeitung verlangt oder deren Bearbeitung von vornherein verweigert; verneinendenfalls welche Umstände und welche Kriterien die Aufsichtsbehörde zu berücksichtigen hat, insbesondere ob die Aufsichtsbehörde verpflichtet ist, vorrangig als gelinderes Mittel eine angemessene Gebühr zu verlangen, und erst im Fall der Aussichtslosigkeit einer Gebühreneinhebung zur Hintanhaltung offenkundig unbegründeter oder exzessiver Anfragen (Beschwerden) berechtigt ist, deren Bearbeitung zu verweigern?“.
1.2. Der BF1 erhob die gegenständliche Bescheidbeschwerde auch im Namen seines Sohnes, des BF2. Die Bescheidbeschwerde lautet diesbezüglich wie folgt:
„Zweitbeschwerdeführer:
Der am XXXX in XXXX geborene gemeinsame Sohn von XXXX , geb. XXXX und XXXX (Erstbeschwerdeführer),
vertreten durch: seinen sorgepflichtigen Vater XXXX , der in der Ausübung elterlicher Verantwortung handelt.“ (OZ 1, S 172).
Der BF1 ist für den BF2 seit dem 19.04.2018 nicht mehr obsorgeberechtigt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen hinsichtlich der dem VwGH vorgelegten Fragen ergeben sich aus dem Beschluss des VwGH vom 27.06.2023, Ra 2023/04/0002, sowie einer Nachschau auf der Website des EuGH (curia.europa.eu), auf der das Vorabentscheidungsersuchen mit der entsprechenden Verfahrenszahl aufscheint.
2.2. Der Inhalt der Bescheidbeschwerde ergibt sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt, dem diese beiliegt (OZ 1, S 172). Die Beschwerde ist derart formuliert, dass darin der BF1 auch als Vertreter des BF2 auftritt. Wie die belangte Behörde bereits nachvollziehbar ausführte, hat das Oberlandesgericht Trient – Außenabteilung Bozen mit Dekret vom 19.04.2018, Zl. 2266/2018 und Zl. 4327/2017 rechtskräftig ausgesprochen, dass die Kindesmutter nunmehr die alleinige Obsorgeberechtigung für den BF2 trägt und der BF1 als Kindesvater nicht mehr zu dessen Vertretung berechtigt ist (OZ 1, S 138 f). Hierbei wird nicht übersehen, dass der BF1 in der Bescheidbeschwerde zu seiner familiären Situation Stellung bezog. Zwar führt er mehrfach aus, dass die belangte Behörde nicht berechtigt sei über die Vertretungsbefugnis für seinen Sohn abzusprechen und sie durch die Zurückweisung dessen Rechte verletze, allerdings bringt er nicht vor, dass die Obsorgeregelung nicht mehr aktuell wäre (OZ 1, S 203 ff). Insofern besteht für das erkennende Gericht kein Zweifel, dass dem BF1 die für eine Vertretung erforderliche Obsorgeberechtigung für den BF2 fehlt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Gemäß § 38 AVG, der gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, kann eine Behörde ein Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei ua dem zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
3.2. Eine Hauptfrage in diesem Sinne kann auch eine Vorlagefrage eines beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren sein. Sie berechtigt zur Aussetzung nach § 38 AVG, wenn sie für das verwaltungsgerichtliche Verfahren präjudiziell ist (vgl zB VwGH 13.12.2011, 2011/22/0316). Präjudiziell ist eine Rechtsfrage dabei auch zu einer "bloß" ähnliche Rechtsfrage, und zwar auch dann, wenn nicht dieselbe gesetzliche Regelung desselben Gesetzgebers betroffen ist (vgl VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0068).
3.3. Im vorliegenden Fall sind die vom Verwaltungsgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof herangetragenen Vorlagefragen für die Behandlung der hier zu klärenden Rechtsfragen, ob die gegenständliche Datenschutzbeschwerde als „Anfrage“ iSd Art 57 Abs 4 DSGVO zu qualifizieren ist, welche Voraussetzungen für die Beurteilung „Exzessivität“ von Anfragen gelten und wie die belangte Behörde mit derartigen Anfragen umzugehen hat, maßgeblich. Die vorgelegten Rechtsfragen sind den im gegenständlichen Verfahren zu lösenden Rechtsfragen im Sinne der oben angeführten Judikatur jedenfalls ähnlich und auch präjudiziell. Die vorgelegten Fragen sind für das gegenständliche Verfahren relevant, um den Umfang der Ablehnungsbefungis bzw der Gebühreneinhebung der belangten Behörde beurteilen zu können.
3.4. Es wird daher die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich Spruchpunkt 1. – mit nicht bloß verfahrensleitenden Beschluss (vgl VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0119) – bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH in der Rechtssache C-416/23 beschlossen.
3.5. Zur Beschwerde des BF2:
Sofern der BF1 in Vertretung und im Namen des minderjährigen BF2 Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. erhob, fehlt es ihm an der Legitimation zur Beschwerdeerhebung, da er über keine Vertretungsbefugnis für seinen minderjährigen Sohn verfügt. Die Beschwerde im Namen des BF2 gegen Spruchpunkt 2. war daher mangels Beschwerdelegitimation zurückzuweisen.
3.6. Es war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Hinsichtlich der Anwendung des § 38 AVG konnte sich das erkennende Gericht auf eine – jeweils zitierte – gefestigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stützten. Die Beurteilung, dass die gegenständliche – bei einem anderen Gericht (dem EuGH) anhängige – Rechtsfrage, für das hiergerichtliche Verfahren präjudiziell bzw „ähnlich“ ist, erfolgte anhand der vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Grundsätze und ist als einzelfallbezogene Beurteilung nicht reversibel (vgl VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0068).