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W286 2269864-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 2023

Spruch

W286 2269864-1/ XXXX

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2023, Zl. 1323782710-222830414, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger mit tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am Luftweg von Moskau über Armenien und Moldau nach Österreich ein und stellte nach Ankunft am Flughafen Schwechat am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Sichergestellt wurden beim Beschwerdeführer ein russischer Auslands-Reisepass mit der Gültigkeit von XXXX , den der Beschwerdeführer am Flughafen, bevor er den Antrag auf internationalen Schutz stellte, auf der Toilette zerrissen hatte, der aber noch sichergestellt werden konnte, sowie ein Inlandspass, gültig ab XXXX .

1.2. Am nächsten Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

Der Beschwerdeführer gab darin zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er in Moskau zur Ausbildung gewesen sei. Die Polizei in Moskau habe gewollt, dass er zum Militär und anschließend in die Ukraine gehe, um dort für Russland zu kämpfen. Ein Bekannter des Beschwerdeführers sei im Krieg gestorben, der Beschwerdeführer habe Angst um sein Leben und sei deswegen geflüchtet.

1.3. Am 13.01.2023 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) statt.

Zu seinen Fluchtgründen brachte er hier im Wesentlichen vor, dass er wegen des Krieges ausgereist sei, man habe ihn in den Krieg schicken wollen. Während seines Studiums in Moskau sei er mehrere Male angehalten und befragt worden, ob er eine Vorladung bekommen habe, was er überhaupt mache und warum er nicht in der Ukraine sei. Er schilderte einen Vorfall, bei dem er im Winter 2022, ca. ein Monat nach Kriegsbeginn, da er sich nicht ausweisen habe können, von der Polizei zu einer Dienststelle mitgenommen worden sei, wobei er am Weg dorthin ebenfalls gefragt worden sei, warum er nicht in der Ukraine sei – er habe aber studiert und sei wegen des Studiums nicht einberufen worden. Nach mehreren Stunden auf der Dienststelle und nachdem seine Personalien festgestellt worden seien, sei er entlassen worden. Er sei dann zu seinem Studium zurückgekehrt. Zu Studienende habe er im Militärkundeunterricht erfahren, dass es bei einem weiterführenden Studium keinen Aufschub vom Militär mehr gebe. Er habe weiterstudieren wollen und angefangen, nach Möglichkeiten zu suchen, Russland zu verlassen. Nachdem er das Studium abgeschlossen hatte, habe er versucht ein Visum zu bekommen, was nicht gelang, dann sei er nachhause gefahren. Dort habe er seinen Inlandspass umtauschen müssen, da er XXXX alt geworden sei, das habe vier Wochen gedauert. Dann seien die Nachrichten von einer landesweiten Mobilisierung gekommen und er habe nach Ausreisewegen gesucht. Vor Kriegsbeginn seien Tschetschenen überhaupt nicht eingezogen worden, nach Kriegsbeginn seien massenhaft Ladungen zugestellt worden. Er habe schon einige gekannt, die eine Ladung bekommen hätten, er selbst habe bis dahin keine bekommen. Er würde lieber ins Gefängnis gehen, als jemanden umzubringen, dahin wolle er aber auch nicht. Er habe nach Ausreisemöglichkeiten gesucht, und im Internet nach Transitfügen gesucht, um nach Europa zu kommen und einen Asylantrag zu stellen, dann sei er mit dem Flugzeug hierher gekommen. Gefragt, ob er noch weitere Fluchtgründe habe, antwortete der, er habe einen gekannt, der eingezogen worden sei. Gefragt, ob er Gründe habe, die mit dem Krieg nichts zu tun hatten, gab er an, dass er einfach Angst gehabt habe, dass er früher oder später auch dran sei. Auf nochmalige Nachfrage gab er an, was ihn persönlich betreffe, habe er keine Ausreisegründe, die nichts mit dem Krieg zu tun haben. Nach Beweismitteln gefragt, gab er an, dass am 02.01.2023 die Polizei zu ihnen gekommen sei – seine Schwester habe ihm gesagt, dass ihm eine Ladung persönlich ausgefolgt hätte werden sollen. Er habe seine Schwester schon im Vorfeld gebten, dass sie, falls so etwas passiere, sie die Ladung abfotografieren und hierherschicken solle. Seine Schwester habe den Besuch filmen wollen – sie hätten das aber gesehen und verboten. Derzeit habe er also keine Beweismittel. Am 03.01.2023 sei ein örtlicher Polizist gekommen und habe gefragt, ob er nachhause gekommen sei. Der Beschwerdeführer verneinte die Frage, ob es irgendwelche Übergriffe, Drohungen oder Beschimpfungen gegen ihn in der Russischen Föderation gegeben habe. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er gleich am Flughafen festgenommen werde und dann für den Krieg ausgebildet werde. Der Beschwerdeführer vereinte die Frage, ob er in der Heimat vorbestraft sei oder nach ihm gefahndet werde. Zu seiner Ausreise gab er an, zuerst nach Moskau gefahren zu sein, von dort nach XXXX und weiter nach Moldawien und von dort nach Wien geflogen zu sein. Zu seiner Ausreise aus Russland befragt, gab er an, dass er am Flughafen von der Grenzbeamtin kontrolliert worden sie, diese habe ihn zu einer gründlichen Kontrolle geschickt, aber nach 1 ½ Stunden habe er ins Flugzeug dürfen. Österreich sei sein Reiseziel gewesen, da seine Schwester hier lebe. In Österreich kenne er zudem einen Freund, der auch mit ihm in der Unterkunft lebe; der Beschwerdeführer sei früher ausgereist. Zudem wurde der Beschwerdeführer umfassend zu seiner Integration in Österreich befragt. Auf die abschließende Befragung, ob er genug Zeit gehabt habe, seine Fluchtgründe zu erörtern, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Cousin eingezogen worden sei und jetzt in der Ukraine kämpfe. Erneut gefragt, ob er sonst noch etwas ergänzen wolle, meinte der Beschwerdeführer, ihm falle derzeit nichts ein - hinzufügen wolle er, dass er sehr schlecht schlafe, bisher habe er keinen Psychologen finden können. Die Frage, ob er noch etwas ergänzen wolle, was für das Fluchtvorbringen relevant sei, verneinte der Beschwerdeführer. Nach Rückübersetzung des Protokolls gab der Beschwerdeführer noch an, dass sein Cousin mittlerweile gefallen sei, und dass dieser aber nicht im Zuge der Mobilisierung eingezogen wurde, sondern bereits vor Kriegsbeginn bei der Armee war.

1.4. Der Beschwerdeführer legte der belangten Behörde in weiterer Folge am 07.02.2023 persönlich, am 17.02.2023 per Mail, Schriftstücke (Einberufungsbefehl/Militärbuch) vor, die von der belangten Behörde einer Übersetzung zugeführt wurden.

1.5. Mit Bescheid vom 27.02.2023, Zl. 1323782710-222830414, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.). Dem Beschwerdeführer wurde keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt IV. und V.). Ferner wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Asylantrages stützte die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass sie zwar die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel für authentisch befand und vom Bestehen eines Einberufunsgbefehls ausging, allerdings anhand der Länderberichtslage folgerte, dass dem Beschwerdeführer kein Einsatz im Ukrainekrieg drohen würde. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Befürchtungen seien zwar nicht völlig von der Hand zu weisen, würden jedoch eine bloß theoretische Möglichkeit darstellen und drohe ihm eine Auslandsverwendung für die russische Armee demzufolge nicht unmittelbar und nicht mit der für die Schutzgewährung erforderlichen Wahrscheinlichkeit. Die davon möglicherwiese abweichende Praxis in Tschetschenien werde zwar nicht außer Acht gelassen, jedoch würden bei besonderer Berücksichtigung der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.11.2022 auch keine hinreichend substantiierten Hinweise darauf vorliegen, dass Tschetschenen in erheblicher Zahl oder gar systematisch für den Ukrainekrieg zwangsverpflichtet würden. Dem Fluchtvorbrignen des Beschwerdeführers wohne keine Schutzrelevanz inne, da die Einberufung zum Wehrdienst keinesfalls gleichbedeutend mit einer militärischen Auslandsverwendung in der Ukraine sei. In der Begründung der Abweisung hinsichtlich des subsidiären Schutzes prüfte die belangte Behörde die Wehrpflicht an den Maßstäben der Art. 2 und 3 EMRK, die Rückkehrstituation wurde im Rahmen der Beweiswürdigung reflektiert, die im Wesentlichen zur Feststellung führte, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nicht drohe, in eine aussichtslose Lage zu geraten, oder hinsichtlich seines Rechts auf Leben oder körperliche Unversehrtheit verletzt zu werden. Auch drohe ihm keine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung. Den Erlass einer Rückkehrentscheidung begründete die belangte Behörde zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer zwar gewillt sei, in Europa zu verbleiben und er unbescholten sei, und er zudem Integrationsschritte gesetzt habe, er andererseits aber nicht schutzbedürftig sei, sohin sein Verbleib dem öffentlichen Interesse am geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufe und, dass er weder familiär noch sozial im Inland verankert sei und die Bande zu seinem Herkunftsstaat unbeschadet aufrecht seien.

1.6. Im Zuge einer Dokumentenvorlage vom 06.03.2023 legte der Beschwerdeführer der belangten Behörde Integrationsunterlagen vor.

1.7. Gegen den am 08.03.2023 zugestellten Bescheid vom 27.02.2023 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Diese stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die belangte Behörde zwar den Einberufungsbefehl und das Militärbuch als authentisch eingestuft hätte, aber in der Schlussfoglerung nicht davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine kämpfen müsste. Bereits zwei Mal sei die Polizei bei ihm zuhause gewesen, um den Einberufungsbefehl zu übergeben bzw. seinen Aufenthalt zu erfragen. Beim nächsten Mal sei der Mutter des Beschwerdeführers der Einberufungsbefehl übergeben worden. Es sei auch bereits gedroht worden, dass sein jüngerer Bruder Probleme bekommen würde, wenn der Beschwerdeführer nicht zurückkehre. Bei näherer Befragung hätte er angeben können, dass Minderheiten vermehrt rekrutiert würden, zB. junge Männer aus Tschetschenien. Aus den Aussagen des Beschwerdeführers dazu, dass er nicht am Krieg teilnehmen wolle, zeige sich bereits, dass seine Ansichten nicht mit der aktuellen Regierung in Russland übereinstimme, dies beziehe sich auch auf die lokale Regierung in Tschetschenien. Aufgrund seiner oppossitionellen Gesinnung und Volksgruppenzugehörigkeit fürchte er auch weitere Probleme bzw. eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich wurde insbesonder die Beziehung zu seiner Schwester, zu deren Ehemann und die sportlichen Aktivitäten des Beschwerdeführers hervorgehoben. Im weiteren rügt die Beschwerde mangelhafte Länderfeststellungen.

1.8. Am 28.03.2023 legte die belangte Behörde die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

1.9. Im Zuge einer Stellungnahme vom 05.05.2023 gab der Beschwerdeführer an, dass er im bisherigen Verfahren aufgrund der Sorge um seine Familie in Tschetschenien Teile der traumatisierenden Erlebnisse noch nicht vorbringen habe können. Er sei in Tschetschenien festgenommen und gefoltert worden. Zudem sei er gezwungen worden, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, dass er in den Krieg gegen die Ukraine ziehen werde. Dazu wurde ein konkreter Vorfall vorgebracht, bei dem der Beschwerdeführer von der Polizei in Zusammenhang mit der Explosion eines Autos verdächtigt worden, festgenommen und gefoltert worden sei; nach zweimaliger Geldzahlung durch seine Familie sei er freigelassen worden. Vor einigen Tagen habe er die Information erhalten, dass sein Bruder von der tschetschenischen Polizei aufgesucht und geschlagen worden sei, seinem Bruder sei gesagt worden, dass der Beschwerdeführer zurückkehren müsse. Er könne Fotos von den Verletzungen des Bruders vorlegen. Der Stellungnahme waren zwei Fotos beigelegt.

1.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.05.2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

1.11. In einer Stellungnahme vom 01.06.2023 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation fürchte, als Mann im wehrpflichtigen Alter auf der Seite der russischen Streitkräfte für den Ukrainekrieg gegen seinen Willen eingezogen zu werden. Ferner zitierte er mehrere Länderinformationen.

1.12. Im Rahmen einer Nachreichung im Beschwerdeverfahren vom 25.08.2023 legte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen vor.

1.13. Mit Parteiengehör vom 05.09.2023 wurde der Vertretung des Beschwerdeführers die Länderinformation der Staatendokumentation Russische Föderation, Version 12, vom 04.07.2023 übermittelt. Der Rechtsvertretung wurde die Möglichkeit eingeräumt, bis spätestens 12.09.2023 einlangend eine schriftliche Stellungnahme diesbezüglich abzugeben.

1.14. Im Zuge der Stellungnahme vom 12.09.2023 brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Bruder sich geweigert habe am Ukrainekrieg teilzunehmen, er daraufhin geschlagen worden sei und sich in einem Krankenhaus aufhalte. Zudem würden zu den Familienangehörigen des Beschwerdeführers immer wieder Polizisten kommen und fragen, wo der Beschwerdeführer sei und wann er wieder zurückkommen würde. Die Bedrohung sei daher weiterhin aufrecht. Ferner liege hinsichtlich des Privat- und Familienlebens bereits eine besondere Integration des Beschwerdeführers in die lokale Gesellschaft vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer heißt XXXX und ist am XXXX geboren (AS 1, AS 89 [Auslandsreisepass] AS 145 [Inlandspass], AS 173, Protokoll der mV S. 7). Er ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und ist muslimischen Bekenntnisses (AS 1, AS 3, Protokoll der mV S. 7). Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch als Muttersprache und Russisch als weitere Sprache (AS 2, AS 172).

Der Inlandspass und der Auslandsreisepass des Beschwerdeführers sind echt und richtig (AS 181, 191).

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX in Tschetschenien. Er ist in XXXX in XXXX geboren (AS 1, AS 173, Protokoll der mV S. 7).

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig (AS 173, Protokoll der mV S. 19).

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer war nicht bei der Musterung für den Wehrdienst. Der Beschwerdeführer ist nicht als wehrpflichtig registriert. Im Inlandspass des Beschwerdeführers ist nicht eingetragen, dass er wehrpflichtig ist. Der Beschwerdeführer hat keinen Einberufungsbefehl bekommen.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst in der Russischen Föderation noch nicht abgeleistet und kann im Falle einer Einberufung zum Wehrdienst auch einen Wehrersatzdienst leisten. Er ist kein Reservist. Er läuft nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation zum Wehrdienst einberufen und zwangsweise im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden. Es ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des Wehrdienstes im Ukraine-Krieg eingesetzt würde.

1.2.2. Der Beschwerdeführer wurde nicht in Zusammenhang mit einer Autoexplosion festgenommen, angehalten, beschuldigt und gefoltert und er unterschrieb keine Verpflichtungserklärung für den Ukraine-Krieg.

1.2.3. Der Bruder des Beschwerdeführers war und ist keinen Eingriffen ausgesetzt (gewesen), die in Zusammenhang mit dem Beschwerdeführer stehen.

1.2.4. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch russische Behörden oder durch andere Personen.

1.2.5. Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten oder wegen seines Auslandsaufenthaltes und Stellung eines Asylantrages, insbesondere droht ihm keine Verfolgung wegen der von ihm im Asylverfahren vorgebrachten Gründe.

Er ist nie gegen oder aufgetreten, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch oder journalistisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Behörden im Herkunftsstaat.

1.2.6. Ferner droht dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation wegen seines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich und/oder wegen seines Aufenthalts außerhalb der Russische Föderation weder Verfolgung noch sonst psychische oder physische Gewalt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Die Feststellung der maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation basiert auf vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichten, aus denen folgende Auszüge als Feststellungen getroffen werden:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

COVID-19-Situation

Letzte Änderung: 03.07.2023

In Teilen der Russischen Föderation bestehen aufgrund der Regionalisierung von COVID-19-Schutzmaßnahmen teilweise noch Einschränkungen, welche Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Räumen oder Zugangsbeschränkungen zu Hotels und Restaurants (QR-Code) beinhalten können (AA 26.6.2023). Die Hygienemaßnahmen wurden großteils zurückgenommen. Es müssen keine verpflichtenden Temperaturmessungen oder COVID-Tests am Arbeitsplatz mehr durchgeführt werden. Auch die teilweise Fernarbeitspflicht ist beendet (WKO 25.7.2022).

Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik V), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, Covivac, Salnavac, Konwasel und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). COVID-Impfungen sind ab einem Alter von 12 Jahren möglich (RFE/RL 9.2.2022; vgl. CWRR o.D.a) und für russische Staatsbürger kostenlos (Iswestija 1.7.2022; vgl. ÖB 30.6.2022).

Die Einreise in die Russische Föderation ist ohne PCR-Test möglich. Bei der Einreise ist das Ausfüllen eines Gesundheitsfragebogens erforderlich, anhand dessen ein PCR-Test angeordnet werden kann (BMEIA 24.6.2023). Der europäische Impfnachweis wird nicht anerkannt (AA 26.6.2023).

Moskau

In der Hauptstadt Moskau sowie im Moskauer Gebiet wurden die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auf öffentlichen Plätzen sowie die Abstandsregelungen abgeschafft (Russland-Analysen 11.4.2022).

Tschetschenien

In Tschetschenien wurden alle COVID-Beschränkungen aufgehoben (RN 11.3.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536, Zugriff 30.6.2023

BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (24.6.2023): Reiseinformation: Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 30.6.2023

CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (o.D.a): Часто задаваемые вопросы [FAQ], https://стопкоронавирус.рф/faq/, Zugriff 30.6.2023

CWRR – COVID-19-Webseite der Regierung [Russland] (o.D.b): Все о вакцинации против COVID-19 [Alles über die COVID-19-Impfung], https://вакцина.стопкоронавирус.рф/, Zugriff 19.8.2022 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

Iswestija (1.7.2022): Минздрав продолжит оформлять сертификаты о вакцинации против COVID-19 [Gesundheitsministerium stellt weiterhin COVID-19-Impfzertifikate aus], https://iz.ru/1358412/2022-07-01/minzdrav-prodolzhit-oformliat-sertifikaty-o-vaktcinatcii-protiv-covid-19, Zugriff 30.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (13.8.2022): Дагестанские активисты усомнились в необходимости ужесточения антиковидных мер [Aktivisten aus Dagestan bezweifelten Notwendigkeit der Verschärfung von Anti-COVID-Maßnahmen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/380112/, Zugriff 30.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (7.6.2022): Масочный режим отменен в Дагестане [Maskenpflicht in Dagestan gefallen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/377927/, Zugriff 30.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (9.2.2022): Russia’s Daily COVID-19 Infection Rate Hits Record Again, https://www.rferl.org/a/russia-covid-new-record/31694474.html, Zugriff 30.6.2023

RN – RIA Nowosti [Russland] (11.3.2022): В Чечне сняли все ограничения по коронавирусу [In Tschetschenien alle COVID-Beschränkungen aufgehoben], https://ria.ru/20220311/chechnya-1777599119.html, Zugriff 30.6.2023

Russland-Analysen (Nr. 418) (11.4.2022): Chronik 14.-18.3.2022, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/418/RusslandAnalysen418.pdf, Zugriff 30.6.2023

WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.7.2022): Coronavirus: Situation in Russland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html, Zugriff 25.7.2022 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

Politische Lage

Tschetschenien

Letzte Änderung: 29.06.2023

Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 22.2.2023a). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2022; vgl. EIU 2.2.2023, UG 3.2023, FH 24.5.2023, Russland-Analysen 20.6.2022). Die im Verfassungsartikel 10 vorgesehene Gewaltenteilung (Duma 6.10.2022; vgl. AA 22.2.2023b) ist de facto stark eingeschränkt (AA 22.2.2023b). Das politische System ist zentral auf den Präsidenten ausgerichtet (AA 28.9.2022; vgl. FH 2023, Russland-Analysen 20.6.2022), was durch den Begriff der Machtvertikale ausgedrückt wird (SWP 19.4.2022). Gemäß Artikel 83 der Verfassung der Russischen Föderation ernennt der Staatspräsident (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Regierungsvorsitzenden und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte vor. Laut Verfassungsartikel 129 werden der Generalstaatsanwalt sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen. Darüber hinaus ernennt und entlässt der Präsident die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus (Artikel 83-84, 87). Der Präsident bestimmt die grundlegende Ausrichtung der Innen- und Außenpolitik (Verfassungsartikel 80) (Duma 6.10.2022). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2022). Der Präsident der Russischen Föderation wird laut Verfassungsartikel 81 für eine Amtszeit von sechs Jahren von den Bürgern direkt gewählt (Duma 6.10.2022). Die letzte Präsidentschaftswahl fand am 18.3.2018 statt. Ein echter Wettbewerb fehlte. Auf kritische Stimmen wurde Druck ausgeübt (OSCE 6.6.2018). Putins einflussreicher Rivale Alexej Nawalnyj durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Nawalnyj war zuvor in einem als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden (FH 2023). Es wurden Transparenzmängel bei der Präsidentenwahl 2018 festgestellt (OSCE 6.6.2018). Die Geldquellen für Putins Wahlkampagne waren undurchsichtig (FH 2023). Auch kam es zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Wahlgeheimnisses. Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 67,47 %. Als Sieger der Präsidentenwahl 2018 ging Putin mit 76,69 % der abgegebenen Stimmen hervor (OSCE 6.6.2018). Regierungsvorsitzender ist Michail Mischustin (PM o.D.).

Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (RI 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 2023). Unter anderem erhält durch die Verfassungsreform (2020) das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise die Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich. Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten für Kritik (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020, RI 4.7.2020).

Das Parlament (Föderalversammlung) besteht gemäß Verfassungsartikel 94 und 95 aus zwei Kammern, dem Föderationsrat und der Staatsduma (Duma 6.10.2022). Dem Parlament fehlt es an Unabhängigkeit von der Exekutive (USDOS 20.3.2023). Gemäß Verfassungsartikel 95 werden die Mitglieder des Föderationsrates für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören laut Verfassungsartikel 102: Bestätigung des präsidentiellen Erlasses über die Verhängung des Ausnahme- und Kriegszustands; sowie Amtsenthebung des Präsidenten. Gemäß Verfassungsartikel 95 und 96 werden die 450 Duma-Abgeordneten für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt (Duma 6.10.2022). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSCE 25.6.2021; vgl. RN 6.10.2021). Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 2023; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021, KAS 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, darunter Stimmenkauf, Fälschung von Wahlprotokollen und Druck auf Wähler (FH 28.2.2022; vgl. SWP 14.10.2021, Russland-Analysen 1.10.2021, KAS 21.9.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022). Die Wahlbeteiligung bei der letzten Dumawahl betrug 52 % (FH 2023; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021, RN 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 28.2.2022). Die Partei Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als kremltreue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS 21.9.2021). Neue politische Parteien können in der Regel nur dann registriert werden, wenn sie die Unterstützung der Machthaber im Kreml genießen (AA 28.9.2022). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):

Einiges Russland (Edinaja Rossija): 322 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)

Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)

sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)

Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)

Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Aleksej Netschaew)

Zwei Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an.

Drei Abgeordnetenmandate sind derzeit unbesetzt (Duma o.D.).

Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch-rechtspopulistisch ausgerichtet (SWP 14.10.2021; vgl. KAS 21.9.2021). Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale Mitte-Rechts-Partei. Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' vertritt sozialpatriotische Inhalte (KAS 21.9.2021).

Die föderale Struktur der Russischen Föderation ist in der Verfassung festgeschrieben. Laut Verfassungsartikel 66 kann der Status von Föderationssubjekten in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Duma 6.10.2022). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 22.2.2023b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates (ZOIS 3.11.2021; vgl. FH 24.5.2023). Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOIS 3.11.2021).

Die 2014 von Russland vorgenommene Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol ist international nicht anerkannt (AA 22.2.2023b). Am 21.2.2022 wurden die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk von Putin als unabhängig anerkannt. Am 24.2.2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (Eur-Rat 16.8.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk sowie in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über den Beitritt zur Russischen Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Luhansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Die 'Referenden' in den vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet und international nicht anerkannt (UN 27.9.2022; vgl. Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN 27.9.2022). Die 'Stimmabgaben' erfolgten unter Zwang und Zeitdruck (Rat der EU 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN 27.9.2022). Nach dem Ende der Scheinreferenden baten die Anführer der prorussischen Separatisten in den ukrainischen Regionen Luhansk und Cherson den russischen Präsidenten Putin um Annexion dieser Regionen (NDR/T 28.9.2022). Am 29.9.2022 wurde die 'staatliche Souveränität' und 'Unabhängigkeit' der Regionen Cherson und Saporischschja von Putin per Erlass anerkannt (RI 30.9.2022a; vgl. RI 30.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kreml 30.9.2022). Am 3. und 4.10.2022 stimmten die beiden russischen Parlamentskammern der Annexion zu (Tass 4.10.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).

Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (UN-OHCHR 16.3.2023; vgl. HRW 21.4.2022). Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die rechtswidrige Annexion einiger ukrainischer Regionen hat die EU mehrere Sanktionspakete angenommen, nämlich: Wirtschaftssanktionen; individuelle Sanktionen gegen unter anderem Wladimir Putin, den Außenminister Sergej Lawrow und Mitglieder der Staatsduma sowie des Nationalen Sicherheitsrats. Außerdem wurde das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt (Eur-Rat 12.5.2023). Auch die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada, Japan, die Schweiz und die restliche westliche Welt haben umfassende Sanktionen gegen Russland eingeführt (WKO 3.2023).

Quellen:

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AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.2.2023b): Russische Föderation: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 9.6.2023

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Lenta (27.9.2022): Объявлены окончательные результаты референдума в ДНР [Verkündet wurden die Endresultate des Referendums in der DVR], https://lenta.ru/news/2022/09/27/dnrr/, Zugriff 9.6.2023

NDR/T – Norddeutscher Rundfunk/Tagesschau (28.9.2022): Nach Ende der Scheinreferenden: Separatisten-Chefs bitten um Annexion, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/scheinreferenden-annexion-101.html, Zugriff 9.6.2023

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RI – Rechtsinformationen [Russland] (4.7.2020): Конституция Российской Федерации [Verfassung der Russischen Föderation], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202007040001?type=pdf, Zugriff 16.9.2022 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

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ZOIS – Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien / Stanislav Klimovich (3.11.2021): Russland auf dem Weg zum Zentralstaat? (ZOIS Spotlight 39/2021), https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/russland-auf-dem-weg-zum-zentralstaat, Zugriff 9.6.2023

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen (FR o.D.). Laut Aussage des Republikoberhaupts Ramsan Kadyrow leben rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland (ÖB 30.6.2021). Kadyrow ist seit dem Jahr 2007 in Tschetschenien an der Macht. Er kämpfte im ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) aufseiten der Unabhängigkeitsbefürworter. Im zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) wechselte Kadyrow die Seite (ORF 30.3.2022). In Tschetschenien gilt Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB 30.6.2022; vgl. RFE/RL 3.2.2022, HRW 9.2.2022). Fraglich bleibt die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt (ÖB 30.6.2022). Kadyrow bekundet jedoch immer wieder seine absolute Treue gegenüber dem Kreml (ÖB 30.6.2022; vgl. SZ 3.3.2022). Beobachter stufen Tschetschenien zunehmend als Staat im Staat ein, in welchem das Moskauer Gewaltmonopol vielfach unwirksam ist (Dekoder 10.2.2022). Kadyrow besetzt hohe Posten in Tschetschenien mit Familienmitgliedern (KU 17.1.2023; vgl. KU 25.4.2023, KR 5.10.2022). Das Republiksoberhaupt ist für die Regierungsbildung zuständig. Die Regierung ist dem Republikoberhaupt gegenüber rechenschaftspflichtig (FR o.D.b). Regierungsvorsitzender Tschetscheniens ist Muslim Chutschiew (RN 13.1.2023). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022).

Die Gesetzgebung wird vom Parlament Tschetscheniens ausgeübt. Das Parlament besteht aus 41 Abgeordneten, welche mittels Verhältniswahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt werden (FR o.D.b). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 96,13 % der Stimmen (Russland-Analysen 1.10.2021; vgl. RN 6.10.2021). Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' errang 0,93 %, die Kommunistische Partei (KPRF) 0,75 %, Neue Leute 0,24 %, und die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) gewann 0,11 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 94,42 % (RN 6.10.2021). Zeitgleich fand in Tschetschenien die Direktwahl des Republikoberhaupts statt (RN 21.9.2021). Dessen reguläre Amtszeit beträgt fünf Jahre (FR o.D.b). Kadyrow, welcher die Partei Einiges Russland repräsentierte, gewann 99,7 % der Stimmen. Der Kandidat der Kommunistischen Partei errang 0,12 % und der Kandidat der Partei Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit 0,15 % (RN 21.9.2021). Vor allem im Nordkaukasus ist Wahlbetrug weitverbreitet (BS 2022).

Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Gewaltformen an, darunter Entführung, Folter und außergerichtliche Tötung (FH 2023; vgl. COE 3.6.2022). Regimekritiker müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten sowie physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen (AA 28.9.2022). Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von Gegnern innerhalb und außerhalb Russlands angeordnet zu haben (FH 2023). Das Republiksoberhaupt Tschetscheniens wurde von der Schweiz, Kanada, der EU und den USA mit Sanktionen belegt (KU 17.1.2023; vgl. OFAC 8.6.2023, EUR-Lex 25.7.2014).

Quellen:

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Dekoder (10.2.2022): Warum Ramsan Kadyrow (fast) alles darf, https://www.dekoder.org/de/article/ramsan-kadyrow-kritiker, Zugriff 9.6.2023

EUR-Lex (EU-Rechtsdatenbank) (25.7.2014): COUNCIL IMPLEMENTING REGULATION (EU) No 810/2014 of 25 July 2014 implementing Regulation (EU) No 269/2014 concerning restrictive measures in respect of actions undermining or threatening the territorial integrity, sovereignty and independence of Ukraine, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/GA/TXT/?uri=CELEX%3A32014R0810, Zugriff 9.6.2023

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KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (17.1.2023): Кадыров Рамзан Ахматович [Kadyrow Ramsan Achmatowitsch], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/85366, Zugriff 9.6.2023

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SZ – Süddeutsche Zeitung (3.3.2022): Mordpläne gegen Tschetschenen, https://www.sueddeutsche.de/politik/tschetschenien-auftragsmord-muenchen-1.5540824, Zugriff 9.6.2023

Sicherheitslage

Aufgrund der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine ist die Lage in Russland zunehmend unberechenbar. Am 23. und 24.6.2023 kam es im Südwesten Russlands zu einer bewaffneten Auseinandersetzung (EDA 27.6.2023). Am Morgen des 24.6.2023 übernahmen Angehörige der privaten paramilitärischen Organisation 'Gruppe Wagner' unter der Führung von Ewgenij Prigoschin die Kontrolle über zentrale Einrichtungen der russischen Streitkräfte in der Stadt Rostow am Don (BAMF 26.6.2023). Vorausgegangen waren ein seit Monaten andauernder Machtkampf zwischen dem Chef des Militärunternehmens und Verteidigungsminister Schojgu (BAMF 26.6.2023; vgl. FA 12.5.2023, ISW 12.3.2023). Auch erfolgten unbestätigten Angaben zufolge Angriffe der regulären Streitkräfte auf ein Feldlager der Söldnertruppe. Im Tagesverlauf besetzte die Wagner-Gruppe weitere Militäreinrichtungen in den Regionen Rostow und Woronesch und rückte weitgehend ungehindert mit mehreren Tausend Kämpfern in Richtung Moskau vor - mit dem erklärten Ziel, die Militärführung um Verteidigungsminister Schojgu und Generalstabschef Gerasimow zu stürzen. Als Reaktion wurden in der Hauptstadt Truppen zusammengezogen, Kontrollpunkte eingerichtet und das Anti-Terror-Regime ausgerufen, welches den Sicherheitskräften eine weitreichende Kommunikationsüberwachung, Personenkontrollen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit erlaubt. Auf Vermittlung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko erklärte sich Prigoschin am Abend des 24.6.23, mutmaßlich aufgrund des Ausbleibens erwarteter Unterstützung von Militär und Machteliten, zum Rückzug seiner Truppen bereit. Dieser ist weitgehend vollzogen. Im Gegenzug sicherte die Regierung den am Aufstand beteiligten Söldnern Straffreiheit und Prigoschin persönlich darüber hinaus einen freien Abzug nach Belarus zu (BAMF 26.6.2023). Gemäß Berichten schoss die Wagner-Gruppe am 24.6. Militärhubschrauber sowie ein Flugzeug ab (MOD 29.6.2023). Mittlerweile hat sich die Sicherheitslage vordergründig beruhigt, bleibt aber angespannt (EDA 27.6.2023). Das Anti-Terror-Regime wurde in Moskau und Woronesch mittlerweile wieder aufgehoben (NAK 26.6.2023).

Aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine kommt es vermehrt zu Sicherheitsvorfällen in russischen Grenzregionen. Vor allem die Grenzregionen Belgorod, Rostow, Brjansk und Kursk sind mit täglichem Beschuss und Drohnenangriffen konfrontiert. Im Mai 2023 sind zwei bewaffnete Verbände in die Region Belgorod eingedrungen, was zu Kämpfen und der Evakuierung der Bevölkerung führte. Angeblich bestanden die zwei Verbände aus russischen Staatsangehörigen, welche auf der Seite der Ukraine kämpfen (ACLED 8.6.2023). In mehreren russischen Regionen nahe der Ukraine wurde der Notstand ausgerufen (AA 26.6.2023). Das Kriegsrecht wurde in Russland bislang nicht ausgerufen (Interfax 31.5.2023). Stattdessen spricht Russland nur von einer 'militärischen Spezialoperation' in der Ukraine (Kreml 9.6.2023).

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland (auch außerhalb der Kaukasus-Region) zu Anschlägen kommen. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Im Gebiet der Russischen Föderation ist es in jüngster Zeit wiederholt zu Drohnenangriffen gekommen, auch in Moskau. Mehrere russische Regionen, darunter Moskau, wurden in einem abgestuften System in erhöhte Alarmbereitschaft gesetzt. Diese Anordnungen geben den dortigen lokalen Behörden und Sicherheitskräften Befugnisse zu eingreifenden Sicherheitsmaßnahmen, Kontrollen, Durchsuchungen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (AA 26.6.2023). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 27.6.2023).

Nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan haben Russland und Tadschikistan ihr Militärbündnis gestärkt und gemeinsame Übungen an der tadschikisch-afghanischen Grenze abgehalten, um die Grenzsicherheit zu erhöhen (USDOS 27.2.2023). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2023), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 45. von insgesamt 93 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf niedrigem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2023).

Die folgende Karte stellt sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 1.1.-23.6.2023 dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: Kampfhandlungen (gelb) und Explosionen/'remote violence' (rot). Die dunkelgrauen Punkte beinhalten sowohl Kämpfe als auch Explosionen/'remote violence'. Wie auf der Karte zu sehen ist, konzentrieren sich die sicherheitsrelevanten Ereignisse auf westliche Teile Russlands (ACLED o.D.):

Sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 1.1.-23.6.2023

ACLED o.D. [Quellenbeschreibung siehe Kapitel Länderspezifische Anmerkungen]

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.6.2023): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536, Zugriff 30.6.2023

ACLED – Armed Conflict Location Event Data Project (8.6.2023): Regional Overview: Europe Central Asia May 2023, https://acleddata.com/2023/06/08/regional-overview-europe-central-asia-may-2023/, Zugriff 29.6.2023

ACLED – Armed Conflict Location Event Data Project (o.D.): Dashboard: Russia - Point View, https://acleddata.com/dashboard/#/dashboard, Zugriff 29.6.2023

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (26.6.2023): Briefing Notes, Übermittlung per E-Mail

EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (27.6.2023): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 29.6.2023

FA – Foreign Affairs / Andrei Soldatov, Irina Borogan (12.5.2023): Why Putin Needs Wagner: The Hidden Power Struggle Sustaining Russia’s Brutal Militia, https://www.foreignaffairs.com/russian-federation/why-putin-needs-wagner?utm_medium=newsletters utm_source=twofa utm_campaign=Why%20America%20Is%20Struggling%20to%20Stop%20the%20Fentanyl%20Epidemic utm_content=20230519 utm_term=FA%20This%20Week%20-%20112017, Zugriff 29.6.2023

IEP – Institute for Economics Peace (3.2023): Global Terrorism Index 2023: Measuring the Impact of Terrorism, https://www.economicsandpeace.org/wp-content/uploads/2023/03/GTI-2023-web-170423.pdf, Zugriff 29.6.2023

Interfax (31.5.2023): Песков отметил, что введение военного положения во всей России не обсуждается [Peskow stellte fest, dass Einführung des Kriegszustands in ganz Russland nicht diskutiert wird], https://www.interfax.ru/russia/904050, Zugriff 29.6.2023

ISW – Institute for the Study of War (12.3.2023): Russian Offensive Campaign Assessment, https://www.understandingwar.org/sites/default/files/Russian%20Operations%20Assessment%20March%2012%2C%202023.pdf, Zugriff 29.6.2023

Kreml [Russland] (9.6.2023): Ответ на вопрос о ситуации в зоне СВО [Beantwortung der Frage zur Situation in Zone der speziellen Militäroperation], http://kremlin.ru/events/president/news/71329, Zugriff 29.6.2023

MOD – Ministry of Defence [Vereinigtes Königreich] (29.6.2023): Defence Intelligence Update on Ukraine, https://twitter.com/DefenceHQ/status/1674296106157502464/photo/1, Zugriff 29.6.2023

NAK – Nationales Anti-Terrorismus-Komitee [Russland] (26.6.2023): Официальное сообщение НАК [Offizielle Mitteilung des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees], http://nac.gov.ru/hronika-sobytiy/oficialnoe-soobshchenie-nak-1.html, Zugriff 29.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (27.2.2023): Country Report on Terrorism 2021 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2087892.html, Zugriff 15.5.2023

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 04.07.2023

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert. Die Zahl der Opfer gewalttätiger Zusammenstöße hat in den letzten Jahren abgenommen. Es ist nicht mehr von einer breiten islamistischen Bewegung im Nordkaukasus auszugehen, wenngleich es vereinzelt zu Anschlägen kommt, die von den Behörden auch mit dem 'Islamischen Staat' (IS) in Verbindung gebracht werden. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat bisher keinen Einfluss auf die Sicherheitssituation im Nordkaukasus gehabt (ÖB 30.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist (ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal 'Kaukasischer Knoten' fielen zwischen Jänner 2022 und Mai 2023 insgesamt 19 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Jeweils vier dieser Personen wurden in Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und der Region Stawropol getötet, zwei in Kabardino-Balkarien und eine Person in Nordossetien (KU 5.6.2023; vgl. KU 9.5.2023, KU 5.4.2023, KU 5.1.2023, KU 4.10.2022, KU 6.7.2022, KU 5.4.2022). Terroranschläge ziehen staatlicherseits unter anderem kollektive Bestrafungsformen nach sich. Dies bedeutet, Familienangehörige werden für die Taten ihrer Verwandten zur Verantwortung gezogen (RUSI 30.7.2021) und müssen gemäß gesetzlichen Vorgaben Schadenersatz leisten (USDOS 20.3.2023).

Tschetschenien

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Antiterroroperationen durchgeführt (KU 29.3.2023b). Tschetschenische Behörden wenden regelmäßig kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen an, beispielsweise indem Familienangehörige dazu gezwungen werden, die Republik zu verlassen (USDOS 20.3.2023). In Tschetschenien gibt es eine Anti-Terrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Kadyrow ist (NAK o.D.a). Im September 2018 wurde ein Grenzziehungsabkommen zwischen Tschetschenien und der Nachbarrepublik Inguschetien unterzeichnet, was in Inguschetien zu Massenprotesten der Bevölkerung führte und in der Gegenwart noch für gewisse Spannungen zwischen den beiden Republiken sorgt (KU 15.11.2021).

Quellen:

Dekoder (10.2.2022): Warum Ramsan Kadyrow (fast) alles darf, https://www.dekoder.org/de/article/ramsan-kadyrow-kritiker, Zugriff 9.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.6.2023): В мае 2023 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе погибли два человека [Im Mai 2023 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus zwei Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/389365, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (12.5.2023): Дагестан: хроника террора (1996-2023 годы) [Dagestan: Chronik des Terrors (1996-2023)], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/73122/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (9.5.2023): В апреле 2023 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе четыре человека погибли [Im April 2023 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus vier Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/388512/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.4.2023): В I квартале 2023 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе погибли 7 человек [Im Quartal I 2023 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus sieben Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/387466/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (29.3.2023b): Чечня после КТО: диверсии, теракты, похищения [Tschetschenien nach der Anti-Terror-Operation: Sabotagen, Terroranschläge, Entführungen], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/155726/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.1.2023): В IV квартале 2022 в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе погибли 4 человека [Im Quartal IV 2022 kamen im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus 4 Personen um], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/384685/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (4.10.2022): Жертв в III квартале 2022 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе не зафиксировано [Keine Opfer im Quartal III 2022 im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/381760/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (6.7.2022): В ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе во II квартале 2022 года убито 2 человека [Im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus im Quartal II 2022 wurden zwei Personen getötet], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/378859/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (5.4.2022): В I квартале 2022 года в ходе вооруженного конфликта на Северном Кавказе жертв не зафиксировано [Keine Opfer im Quartal I 2022 im Zuge des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/374864/, Zugriff 28.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (15.11.2021): Угрозы Кадырова отнять землю возмутили ингушских пользователей сети [Drohungen Kadyrows, sich Land anzueignen, riefen bei Inguscheten online Empörung hervor], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/370165/, Zugriff 28.6.2023

NAK – Nationales Anti-Terrorismus-Komitee [Russland] (o.D.a): Чеченская Республика [Republik Tschetschenien], http://nac.gov.ru/subekty-federacii/chechenskaya-respublika.html, Zugriff 28.6.2023

NAK – Nationales Anti-Terrorismus-Komitee [Russland] (o.D.b): Республика Дагестан [Republik Dagestan], http://nac.gov.ru/subekty-federacii/respublika-dagestan.html, Zugriff 28.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx, Zugriff 5.6.2023

OSAC – Overseas Security Advisory Council / Bureau of Diplomatic Security / US Department of State [USA] (8.2.2021): Russia Country Security Report, https://www.osac.gov/Content/Report/f312a926-0723-427a-947f-1c391b3776e8, Zugriff 28.6.2023

RUSI – Royal United Services Institute (30.7.2021): Identifying an Integration Model for the North Caucasus (RUSI Newsbrief, VOLUME 41, ISSUE 6), https://rusi.org/explore-our-research/publications/rusi-newsbrief/identifying-integration-model-north-caucasus, Zugriff 28.6.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (10.2021): Issue Update Russia: Religious Freedom Violations in the Republic of Chechnya, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069579/2021+Chechnya+Issue+Update.pdf, Zugriff 31.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Rechtsschutz / Justizwesen

Gemäß der Verfassung ist die Russische Föderation ein Rechtsstaat, Richter sind unabhängig, und Gerichtsverhandlungen sind mit Ausnahme gesetzlich geregelter Fälle öffentlich (Verfassungsartikel 1, 120 und 123). Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes werden vom Föderationsrat auf Vorschlag des russischen Präsidenten ernannt. Mitglieder der anderen Gerichtshöfe auf föderaler Ebene werden vom russischen Präsidenten ernannt (Art. 128). Der Präsident der Russischen Föderation initiiert die Entlassung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes (Art. 83). Der Generalstaatsanwalt und sein Stellvertreter sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation werden nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen (Art. 129). Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Gesetze und andere rechtliche Bestimmungen der Subjekte der Russischen Föderation dürfen föderalen Gesetzen nicht widersprechen. Im Falle eines Widerspruchs gilt das föderale Gesetz. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Gemäß dem Verfassungsartikel 79 werden Entscheidungen internationaler Institutionen, welche der Verfassung der Russischen Föderation widersprechen, in der Russischen Föderation nicht vollstreckt (Duma 6.10.2022; vgl. BPB 2.7.2020, KAS 7.2020).

Die Rechtsstaatlichkeit wird von Russlands politischer Führung oft untergraben, um die Stabilität des politischen Systems aufrechtzuerhalten (BS 2022). Gemäß dem Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project nimmt Russland aktuell den 107. Rang von insgesamt 140 Ländern ein und befindet sich zwischen den Ländern Libanon und Côte d'Ivoire (WJP o.D.). Das Justizwesen in Russland ist nicht unabhängig (SWP 19.4.2022; vgl. UN-HRC 1.12.2022, FH 2023). In der Praxis wird die Justiz von der Exekutive kontrolliert (BS 2022; vgl. FH 19.4.2022). Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genügend Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB 30.6.2022). Richter des Verfassungsgerichtshofes dürfen ihre abweichenden Meinungen nicht öffentlich machen (UN-HRC 1.12.2022).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet grundsätzlich nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 28.9.2022). Das Justizwesen ist von Korruption befallen (BS 2022). Gemäß Berichten geraten seit Russlands Ukraine-Invasion Rechtsanwälte immer mehr ins Visier. Beispielsweise wird ihnen der Zugang zu Mandanten auf Polizeistationen und die Vertretung ihrer Mandanten bei Gerichtsverhandlungen verwehrt (EUAA 16.12.2022b). Es kommt vor, dass Rechtsanwälte ungerechtfertigten Disziplinarverfahren und strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind, insbesondere wenn sie Teilnehmer an Anti-Kriegsprotesten verteidigen (UN-HRC 1.12.2022). Es gibt Berichte über Anwälte, welche verhaftet wurden, weil sie Opfer politischer Repressionen unterstützt haben (EUAA 16.12.2022b).

Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Verhaftung und andere Garantien zur Durchführung ordnungsgemäßer Verfahren werden regelmäßig verletzt (FH 2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen Inhaftierte die Gesetzmäßigkeit ihrer Inhaftierung gerichtlich überprüfen lassen. Wegen der mangelnden Unabhängigkeit des Justizsystems schließen sich Richter für gewöhnlich der Ansicht des Ermittlers an und weisen Beschwerden Angeklagter ab. Angeklagte und ihre Rechtsvertreter müssen bei Gerichtsverhandlungen persönlich oder über Video anwesend sein. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung sowie das Recht auf ein faires und öffentliches Gerichtsverfahren. Diese Rechte werden nicht immer respektiert (USDOS 20.3.2023). Vertreter der Opposition und der kritischen Zivilgesellschaft können in Ermittlungsverfahren und vor Gericht nicht auf eine faire Behandlung bzw. einen fairen Prozess vertrauen (AA 28.9.2022). Gerichtsverfahren enden sehr selten mit Freisprüchen (USDOS 20.3.2023). Das öffentliche Vertrauen in die Justiz ist gering (UN-HRC 1.12.2022; vgl. LZ 20.9.2022).

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Personen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen klagen können. Jedoch sind diese Mechanismen oft nicht effektiv (USDOS 20.3.2023). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Zunächst hatte der Europarat wegen des bewaffneten russischen Angriffs auf die Ukraine die Mitgliedschaftsrechte Russlands im Europarat suspendiert (Europarat 25.2.2022). Russland war dem Europarat 1996 beigetreten (Europarat 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (Europarat 16.9.2022; vgl. Europarat o.D.b). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (Europarat o.D.). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den EGMR anzurufen (SWP 19.4.2022). Der EGMR ist weiterhin für die Bearbeitung von Beschwerden gegen Russland zuständig, welche bis 16.9.2022 eingereicht wurden. Das Ministerkomitee des Europarats überwacht weiterhin die Umsetzung der Urteile (Europarat 16.9.2022). Gemäß einer von der Russischen Föderation verabschiedeten Gesetzesänderung vom Juni 2022 unterliegen Beschlüsse des EGMR, welche nach dem 15.3.2022 in Kraft traten, aber nicht mehr der Vollstreckung in der Russischen Föderation (RF 11.6.2022). Vor dem EGMR waren mit Stand 30.4.2023 15.700 Beschwerden gegen Russland anhängig (ECHR 30.4.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BPB – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (2.7.2020): Verfassungsreferendum in Russland, https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/312075/verfassungsreferendum-in-russland/, Zugriff 5.6.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

ECHR – European Court of Human Rights (30.4.2023): PENDING APPLICATIONS ALLOCATED TO A JUDICIAL FORMATION, https://www.echr.coe.int/Documents/Stats_pending_month_2023_BIL.PDF, Zugriff 5.6.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

Europarat (16.9.2022): Presseraum: Russland keine Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr, https://www.coe.int/de/web/portal/-/russia-ceases-to-be-party-to-the-european-convention-on-human-rights, Zugriff 5.6.2023

Europarat (16.3.2022): Presseraum: Russische Föderation wird aus dem Europarat ausgeschlossen, https://www.coe.int/de/web/portal/-/the-russian-federation-is-excluded-from-the-council-of-europe, Zugriff 16.5.2023

Europarat (25.2.2022): Presseraum: Europarat entzieht Russland Recht auf Vertretung, https://www.coe.int/de/web/portal/-/council-of-europe-suspends-russia-s-rights-of-representation, Zugriff 5.6.2023

Europarat (o.D.): Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, https://www.coe.int/en/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte, Zugriff 5.6.2023

Europarat (o.D.b): The European Convention on Human Rights: A Convention to protect your rights and liberties, https://www.coe.int/en/web/human-rights-convention, Zugriff 5.6.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

FH – Freedom House (19.4.2022): Nations in Transit 2022: Russia, https://freedomhouse.org/country/russia/nations-transit/2022, Zugriff 22.5.2023

KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung / Thomas Kunze (7.2020): Länderbericht: Russlands neue Verfassung, https://www.kas.de/documents/252038/7938566/Russlands+neue+Verfassung.pdf/98a99078-4c44-87ac-bf83-a5f18d21df10?version=1.0 t=1593680876015, Zugriff 5.6.2023

LZ – Lewada-Zentr [Lewada-Zentrum] (20.9.2022): Доверие общественным институтам [Vertrauen in öffentliche Institutionen], https://www.levada.ru/2022/09/20/doverie-obshhestvennym-institutam-2/, Zugriff 5.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (11.6.2022): Федеральный закон "О внесении изменений в Уголовно-процессуальный кодекс Российской Федерации" от 11.06.2022 N 180-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über Änderungen des Strafprozessgesetzbuches der Russischen Föderation' vom 11.06.2022 N 180-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_419069/, Zugriff 5.6.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sabine Fischer (19.4.2022): Russland auf dem Weg in die Diktatur (SWP-Aktuell, Nr. 31), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A31_Russland_Diktatur.pdf, Zugriff 22.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

WJP – World Justice Project (o.D.): 2022 WJP Rule of Law Index® - Rankings, https://worldjusticeproject.org/rule-of-law-index/global, Zugriff 5.6.2023

Tschetschenien und Dagestan

Letzte Änderung: 29.06.2023

Föderale Gesetze gelten für das gesamte Territorium der Russischen Föderation. Republiken haben ihre eigene Rechtsordnung, solange dadurch die Kompetenzen der Russischen Föderation unberührt bleiben (Verfassungsartikel 76) (Duma 6.10.2022). Die Situation in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien und Dagestan ist problematisch. Vor allem bleiben schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, straffrei. Es kommt vor, dass Rechtsanwälte, welche ihre Mandanten verteidigen, Angriffen durch Strafverfolgungsbehörden im Nordkaukasus ausgesetzt sind (COE 3.6.2022).

Tschetschenien

Tschetschenien verwaltet sich im Rechtsbereich weitgehend selbst (KAS 12.12.2022). Gemäß Artikel 96 der tschetschenischen Verfassung gibt es in Tschetschenien föderale Gerichte, den Verfassungsgerichtshof und Friedensrichter. Friedensrichter sind als Gericht erster Instanz für die Überprüfung von Zivil-, Verwaltungs- und strafrechtlichen Fällen zuständig (Artikel 101 der tschetschenischen Verfassung) (RT 23.3.2003). Behörden verletzen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Das Justizsystem dient als Vergeltungsmaßnahme gegen Personen, welche Fehlverhalten des tschetschenischen Republikoberhaupts Kadyrow aufdecken (USDOS 20.3.2023). Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (Adat; einschließlich der Tradition der Blutrache) und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 28.9.2022). Gemäß Aussage von Einwohnern Tschetscheniens lautet das grundlegende Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagte'. Dies bedeutet, Kadyrows mündliche Aussagen sind einflussreicher als die Rechtssysteme und widersprechen diesen möglicherweise (CSIS 24.1.2020).

Das Gewohnheitsrecht (Adat) umfasst zwischenmenschliche Beziehungen wie beispielsweise Vermögensverhältnisse, persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen. Es variiert regional und von Sippe zu Sippe und beruht auf dem Prinzip der Wiedergutmachung von Unrecht anstatt Bestrafung (Gumppenberg/Steinbach 2018). Im Gegensatz zum islamischen Recht liegt dem Gewohnheitsrecht (Adat) die kollektive Verantwortung für Rechtsverletzungen zugrunde (RAPSI 4.4.2022). Da es im Rahmen des Gewohnheitsrechts keine individuelle Verantwortung gibt, steht nicht der Täter im Mittelpunkt, sondern dessen Familienclan. Dieser trägt die Verantwortung. Um Stammeskriege und die Ausrottung ganzer Gemeinschaften zu vermeiden, sieht das Gewohnheitsrecht bestimmte Verfahren vor, um die Sippe des Opfers zu versöhnen und Verletzung sowie Verlust auszugleichen (Gumppenberg/Steinbach 2018). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Zum Adat gehört beispielsweise der alte Brauch der Blutrache (RAPSI 4.4.2022; vgl. Gumppenberg/Steinbach 2018). Die Blutrache entstand zum Schutz der Ehre und des Vermögens im Rahmen der Sippenstruktur und verpflichtet die Angehörigen eines Ermordeten, sich an dem Mörder oder dessen Angehörigen zu rächen. Blutrache hat keine Verjährungsfrist. Es gab Fälle, in welchen die Blutrache nach 50 oder 100 Jahren vollzogen wurde, als der Mörder und dessen nahe Verwandte bereits verstorben waren. Aus Gründen der Selbsterhaltung wurde eine Reihe von Methoden ausgearbeitet, um dem Morden ein Ende zu setzen und stattdessen Geldstrafen einzuführen. 2010 gründete Kadyrow die 'Kommission für nationale Versöhnung', welche darauf abzielte, Blutfehdekonflikte zu lösen. In Tschetschenien existieren Versöhnungskommissionen zur Lösung von Konflikten (KU 1.2.2023). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 28.9.2022; vgl. KU 1.2.2023). Die Einstellung der tschetschenischen Führung zur Blutrache ist oft situationsabhängig (KR 27.2.2023). Gemäß § 105 des russischen Strafgesetzbuches zieht Mord mit dem Motiv der Blutrache eine Freiheitsstrafe von 8-20 Jahren, eine lebenslange Freiheitsstrafe oder die Todesstrafe nach sich (RF 28.4.2023). Seit 1996, als Russland Mitglied des Europarats wurde, ist die Todesstrafe aufgrund eines Moratoriums ausgesetzt (AI 5.2023; vgl. CCDPW 27.3.2012, OSCE 7.10.2022).

Im islamischen Rechtssystem (Scharia) trägt nur der Einzelne die Schuld für begangene Taten. Traditionelle Hauptanwendungsgebiete für die Scharia sind Familien-, Erbrecht und teilweise Vermögensrecht (Gumppenberg/Steinbach 2018).

Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz. Hierzu gehören Menschenrechtsaktivisten, sexuelle Minderheiten, Oppositionelle, Regimekritiker, Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, sowie Personen, die sich gegen Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen auf Instagram veröffentlicht. Teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie angeblich Feinde des tschetschenischen Volkes sind, oder er ruft offen dazu auf, sie umzubringen (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (5.2023): Global Report: Death Sentences and Executions 2022, https://www.amnesty.org/en/wp-content/uploads/2023/05/ACT5065482023ENGLISH.pdf, Zugriff 16.5.2023

CCDPW – Cornell Center on the Death Penalty Worldwide / Cornell Law School (27.3.2012): Cornell Database Results: Russian Federation (Russia), https://deathpenaltyworldwide.org/database/#/results/country?id=60#fn-20828-N10C57M605057, Zugriff 16.5.2023

COE – Council of Europe (3.6.2022): The continuing need to restore human rights and the rule of law in the North Caucasus region, https://pace.coe.int/en/files/30064/html?__cf_chl_tk=N0MvfyHujStO1y2i5De4AjF5sOdH0kwzw1IPrh2B99Q-1660131174-0-gaNycGzNCpE, Zugriff 22.5.2023

CSIS – Center for Strategic and International Studies / Irina Kosterina (24.1.2020): Civil Society in the North Caucasus - Latest Trends and Challenges in Chechnya, Ingushetia and Dagestan, https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX, Zugriff 5.6.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

Gumppenberg, Marie-Carin von/Udo Steinbach (Hg.) (2018): Der Kaukasus. Geschichte - Kultur - Politik. 3. Aufl. München: C.H.Beck

KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung / Jeronim Perovic (12.12.2022): Die Politische Meinung (Ausgabe 577, 67. Jahrgang): Staat im Staate - Tschetschenien als inneres Ausland, https://www.kas.de/documents/258927/21591476/51_Perovic.pdf/333d5349-de7f-c3d9-9e07-7458e2ae13fd?t=1669894749831, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (2.3.2023): Кадыров призвал ввести военное положение и "привлечь к ответу семьи" после событий на Брянщине [Kadyrow rief dazu auf, das Kriegsrecht einzuführen und nach den Ereignissen in Brjansk 'die Familien zur Verantwortung zu ziehen'], https://www.kavkazr.com/a/kadyrov-prizval-vvesti-voennoe-polozhenie-posle-sobytiy-v-bryanskoy-oblasti-i-privlechj-k-otvetu-semji-/32296290.html, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (27.2.2023): "Буду преследовать кровника до конца своих дней". Вендетта в Чечне Кадырова ['Ich werde meine Blutrache-Absicht bis zum Ende meiner Tage verfolgen'. Blutrache in Kadyrows Tschetschenien], https://www.kavkazr.com/a/budu-presledovatj-krovnika-do-kontsa-svoih-dney-vendetta-v-chechne-kadyrova/32227736.html, Zugriff 5.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (1.2.2023): Кровная месть - как теперь убивают на Кавказе [Blutrache - wie jetzt im Kaukasus getötet wird], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/296137/, Zugriff 5.6.2023

OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (7.10.2022): The Death Penalty in the OSCE Area - Background Paper 2022, https://www.osce.org/files/f/documents/2/6/527082_1.pdf, Zugriff 16.5.2023

RAPSI – Rossijskoe agentstwo prawowoj i sudebnoj informazii [Russische Agentur für Rechts- und Gerichtsinformationen] (4.4.2022): Шариат и адат: по каким законам живут мусульмане Кавказа [Scharia und Adat: nach welchen Gesetzen Muslime des Kaukasus leben], https://rapsinews.ru/incident_publication/20220404/307852546.html, Zugriff 5.6.2023

RD – Republik Dagestan [Russland] (10.7.2003): Конституция Республики Дагестан (принята Конституционным Собранием 10 июля 2003 г.) (с изменениями и дополнениями) [Verfassung der Republik Dagestan (verabschiedet von der Verfassungsversammlung am 10. Juli 2003) (mit Änderungen und Ergänzungen)],

https://constitution.garant.ru/region/cons_dagest/, Zugriff 5.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RT – Republik Tschetschenien [Russland] (23.3.2003): Конституция Чеченской Республики (принята 23 марта 2003 г.) (с изменениями и дополнениями) [Verfassung der Republik Tschetschenien (verabschiedet am 23. März 2003) (mit Änderungen und Ergänzungen)], https://constitution.garant.ru/region/cons_chech/, Zugriff 5.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 29.06.2023

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Staatssicherheit, Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung, Korruptionsbekämpfung sowie Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst. Die Nationalpolizei untersteht dem Innenministerium und ist für Verbrechensbekämpfung zuständig. Die Nationalgarde unterstützt den Grenzwachdienst des FSB bei der Grenzsicherung, ist für Waffenkontrolle sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung verantwortlich, bekämpft Terrorismus und das organisierte Verbrechen und bewacht wichtige staatliche Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes in Koordination mit dem Verteidigungsministerium teil (USDOS 20.3.2023). Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung werden vom Nationalen Anti-Terrorismus-Komitee koordiniert (USDOS 27.2.2023). Zivilbehörden halten im Allgemeinen eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Gegen Beamte, die missbräuchliche Handlungen setzen und in Korruption verwickelt sind, werden selten strafrechtliche Schritte unternommen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (USDOS 20.3.2023). Ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 28.9.2022). Die Polizei wendet häufig übermäßige Gewalt an (FH 2023). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden (AA 28.9.2022).

Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen Verdächtige für eine Dauer von maximal 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung inhaftiert werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise oder Zeugen. Anderenfalls ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete werden von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Inhaftierten muss die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt ordnet die Geheimhaltung der Inhaftierung an. Verhaftete müssen von der Polizei innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor haben sie das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu sehen. Spätestens 12 Stunden nach der Festnahme muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Polizei muss Festgenommene nach 48 Stunden gegen Kaution freilassen - es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, die Inhaftierungsdauer auszudehnen. Zuvor (mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haftdauer) muss die Polizei einen diesbezüglichen Antrag eingereicht haben. Im Allgemeinen werden von den Behörden die rechtlichen Beschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (USDOS 20.3.2023).

Tschetschenien

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte bestehen aus (ORYX 23.11.2022):

dem 141. motorisierten Spezialregiment 'A. Ch. Kadyrow'

dem 249. motorisierten Spezialbataillon 'Süden'

der Schnellen Sondereingriffseinheit 'Achmat' (SOBR)

der Mobilen Einheit für Sonderaufgaben 'Achmat-Grosnyj' (OMON)

dem Polizeiregiment für Sonderaufgaben 'A. A. Kadyrow' (PPSN) und

uniformierten Polizeitruppen.

Im Juni 2022 verkündete das Republikoberhaupt Kadyrow die Gründung von vier zusätzlichen Bataillonen zur Unterstützung der russischen Kämpfer in der Ukraine (ORYX 23.11.2022). Die Zivilbehörden auf nationaler Ebene üben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien aus. Diese sind nur Kadyrow gegenüber rechenschaftspflichtig (USDOS 20.3.2023; vgl. ÖB 30.6.2022). Mit den sogenannten Kadyrowzy verfügt Kadyrow über eine persönliche Armee (FPRI 15.6.2022). Bei den Kadyrowzy handelt es sich formal um Einheiten der tschetschenischen Nationalgarde, deren zahlenmäßige Stärke geheim ist. Russische Quellen nennen Zahlen zwischen 10.000 und 18.000 Soldaten (TELEPOLIS 9.7.2022). Theoretisch übt die russische Nationalgarde die Kontrolle über die Kadyrowzy aus, welche allerdings faktisch von Kadyrow kontrolliert werden (ORYX 23.11.2022). Die Kadyrowzy werden für zahlreiche Missbrauchshandlungen verantwortlich gemacht, darunter willkürliche Festnahmen, Folter und außergerichtliche Tötungen. Strafrechtliche Konsequenzen haben die Handlungen der Kadyrowzy nicht (EUAA 16.12.2022a). Die Kadyrowzy kommen im Ukraine-Krieg zum Einsatz (KU 7.4.2023).

Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem langen Arm des Regimes von Republikoberhaupt Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs auch in Moskau präsent. Es wird von Einzelfällen berichtet, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von Angehörigen sexueller Minderheiten, die gegen ihren Willen von anderen russischen Regionen nach Tschetschenien zurückgeholt wurden (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/, Zugriff 16.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (7.4.2023): Главное о кадыровцах на Украине [Das Wichtigste über die Kadyrowzy in der Ukraine], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/373751/, Zugriff 15.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ORYX / Stijn Mitzer, Joost Oliemans (23.11.2022): The Army Within: Chechnya’s Security Forces, https://www.oryxspioenkop.com/2022/11/the-army-within-chechnyas-security.html, Zugriff 15.5.2023

TELEPOLIS (9.7.2022): Ukraine-Krieg: Wer will 'nach Berlin durchmarschieren'?, https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Krieg-Wer-will-nach-Berlin-durchmarschieren-7167389.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (27.2.2023): Country Report on Terrorism 2021 - Chapter 1 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2087892.html, Zugriff 15.5.2023

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 29.06.2023

Folter, Gewalt sowie unmenschliche bzw. grausame oder erniedrigende Behandlung und Strafen sind in Russland auf Basis des Art. 21 der Verfassung verboten (Duma 6.10.2022). Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wurde von Russland 1987 ratifiziert. Das Zusatzprotokoll hat Russland nicht unterzeichnet (UN-OHCHR o.D.). Die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen durch systematische Gewaltanwendung wird gemäß § 117 Strafgesetzbuch mit Freiheitsbeschränkung von bis zu drei Jahren, Zwangsarbeit von bis zu drei Jahren oder Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren bestraft. Wird dieselbe Tat beispielsweise von mehreren Personen oder mit besonderer Grausamkeit begangen, ist das Opfer eine minderjährige Person oder wird die Tat zum Beispiel aus politischen, ideologischen oder religiösen Motiven begangen, hat dies Freiheitsentzug von 3 - 7 Jahren zur Folge. Gemäß § 286 Strafgesetzbuch führt die Anwendung von Folter im Rahmen der Überschreitung von Amtsbefugnissen zu Freiheitsentzug von 4 - 12 Jahren (RF 28.4.2023).

Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut (ÖB 30.6.2022). Die Polizei nutzt Folter, um Andersdenkende unter Druck zu setzen. Im März 2022 berichteten mehrere Demonstranten und Demonstrantinnen, die bei Antikriegskundgebungen festgenommen worden waren, auf Polizeiwachen gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein (AI 28.3.2023). In den Haftanstalten sind Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung (AI 28.3.2023) und die dafür Verantwortlichen werden selten strafrechtlich verfolgt (AI 28.3.2023; vgl. ÖB 30.6.2022). Foltervorwürfe werden nicht effektiv untersucht (UN-HRC 1.12.2022). Gemäß Berichten kommt es vor, dass Journalisten und Aktivisten, welche über Folterfälle in Gefängnissen berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 20.3.2023). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für zum Teil schwere Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein (ÖB 30.6.2022). Gemäß zahlreichen Berichten erzwingen Strafverfolgungsbehörden Geständnisse gewaltsam, durch Folter und Missbrauchshandlungen. Es kommt zu Todesfällen aufgrund von Folter (USDOS 20.3.2023). Das Problem der Folter und Erniedrigungen hat systemischen Charakter (Gulagu.net o.D.). Betroffene, welche vor Gericht Foltervorwürfe erheben, werden zunehmend unter Druck gesetzt, beispielsweise durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist kürzer geworden (früher fünf bis sechs Jahre), Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 28.9.2022). Es existieren keine verlässlichen Statistiken zu Folter und Misshandlungen (UN-HRC 1.12.2022).

Nordkaukasus/Tschetschenien

Im Nordkaukasus kommt es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter und Misshandlungen (UN-HRC 1.12.2022). Gemäß weitverbreiteten Berichten begehen Sicherheitskräfte in nordkaukasischen Haftanstalten Missbrauchshandlungen und wenden Folter an (USDOS 20.3.2023). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das tschetschenische Republikoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 2023). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit Folter zur Erlangung von Geständnissen einher (AA 28.9.2022). Es herrscht in Tschetschenien diesbezüglich Straflosigkeit (ÖB 30.6.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (28.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089408.html, Zugriff 17.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.15.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

Gulagu.net (o.D.): Torture in Russia, https://gulagu.net/Torture_in_Russia, Zugriff 17.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

UN-OHCHR – United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (o.D.): Russian Federation: Status of Ratification – Interactive Dashboard, https://indicators.ohchr.org/, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Korruption

Letzte Änderung: 29.06.2023

Im Jahr 2006 ratifizierte Russland das UN-Übereinkommen gegen Korruption (UNTC 19.5.2023). 2012 trat Russland der OECD-Konvention gegen Bestechung bei (OECD o.D.). Es existiert ein Nationaler Plan zur Korruptionsbekämpfung für die Jahre 2021-2024 (Präsident 16.8.2021). Eine gesetzliche Grundlage stellt das Föderale Gesetz 'Über die Korruptionsbekämpfung' dar (RF 6.2.2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben wird Behördenkorruption strafrechtlich verfolgt, jedoch werden die gesetzlichen Vorschriften von der Regierung im Allgemeinen nicht wirksam umgesetzt (USDOS 20.3.2023). Ein Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es öffentlich Bediensteten, ungestraft Straftaten zu begehen (FH 2023). Korruption ist in Russland weitverbreitet (TI 4.3.2022; vgl. FH 2023). Von Korruption sind die Exekutive, die Legislative und das Justizwesen auf allen Ebenen betroffen. Behördenkorruption grassiert in zahlreichen Bereichen, darunter im Bildungs-, Gesundheits- und Wohnungswesen, Militärbereich, im Handel und im Bereich der sozialen Fürsorge. Zu den Formen von Korruption zählen Bestechung öffentlich Bediensteter, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl öffentlichen Eigentums, Bestechungsgelder im Beschaffungswesen, Erpressung sowie die missbräuchliche Verwendung der beruflichen Position, um sich persönlich zu bereichern (USDOS 20.3.2023). Experten bezeichnen das politische System als Kleptokratie (FH 2023; vgl. TI 4.3.2022), was bedeutet, dass das öffentliche Vermögen von den regierenden Eliten geplündert wird (FH 2023). Korruptionsanschuldigungen innerhalb der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BS 2022).

Medien und NGOs werden systematisch daran gehindert, Korruptionsfälle öffentlich zu machen (BS 2022). Alexej Nawalnyj gründete im Jahr 2011 eine Antikorruptionsstiftung (FBK), welche sich der Untersuchung und Aufdeckung von Behördenkorruption auf höheren Ebenen widmete (FBK o.D.). Die Antikorruptionsstiftung des Oppositionspolitikers Nawalnyj wurde 2021 als extremistische Organisation eingestuft und von russischen Behörden aufgelöst (EUAA 16.12.2022b; vgl. DW 9.6.2021).

Gemäß dem Korruptionswahrnehmungsindex 2022 von Transparency International wird die Russische Föderation mit 28 von 100 Punkten bewertet (0=sehr korrupt, 100=sehr wenig korrupt). Im Vorjahr lag Russland bei 29 Punkten. Die Russische Föderation nimmt aktuell den Rang 137 von 180 untersuchten Staaten/Regionen ein und liegt gleichauf mit Mali und Paraguay (TI 2023; vgl. TI o.D.).

Tschetschenien

Die Achmat-Kadyrow-Stiftung wurde im Jahr 2004 gegründet und wird von der Mutter des tschetschenischen Republiksoberhaupts Kadyrow geleitet. Die Stiftung verfolgt wohltätige Zwecke wie beispielsweise Instandsetzung zerstörter Häuser, materielle Unterstützung behinderter Personen, Förderung von Kultureinrichtungen usw. Jedoch kommt aufgrund von Korruption ein Teil der Hilfe bei den Bedürftigen nicht an. Die Stiftung dient dem tschetschenischen Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow zur persönlichen Bereicherung. Aus welchen Geldquellen sich die Stiftung speist, liegt im Dunkeln. Öffentlich Bedienstete müssen monatlich ca. 10 % ihres Einkommens für wohltätige Zwecke spenden (KU 15.5.2023).

Quellen:

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

DW – Deutsche Welle (9.6.2021): Nawalnys Netzwerk ist zerschlagen, https://www.dw.com/de/nawalnys-netzwerk-ist-zerschlagen/a-57536221, Zugriff 19.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

FBK – Fond borby s korrupziej [Antikorruptionsstiftung] (o.D.): О фонде: Фонд борьбы с коррупцией [Über die Stiftung: Antikorruptionsstiftung], https://fbk.info/, Zugriff 19.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (15.5.2023): Фонд Кадырова: как тратят "деньги от Аллаха" [Kadyrow-Stiftung: Wie das 'Geld Allahs’ ausgegeben wird], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/310518/, Zugriff 19.5.2023

OECD – Organisation for Economic Co-operation and Development (o.D.): Russia - OECD Anti-Bribery Convention, https://www.oecd.org/corruption/russia-oecdanti-briberyconvention.htm, Zugriff 19.5.2023

Präsident [Russland] (16.8.2021): Указ Президента РФ от 16.08.2021 N 478 "О Национальном плане противодействия коррупции на 2021 - 2024 годы" [Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 16.08.2021 N 478 'Über den Nationalen Plan zur Korruptionsbekämpfung für die Jahre 2021-2024‘], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_392999/, Zugriff 19.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (6.2.2023): Федеральный закон "О противодействии коррупции" от 25.12.2008 N 273-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Korruptionsbekämpfung' vom 25.12.2008 N 273-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_82959/, Zugriff 19.5.2023

TI – Transparency International (2023): Corruption Perceptions Index 2022, https://images.transparencycdn.org/images/Report_CPI2022_English.pdf, Zugriff 19.5.2023

TI – Transparency International (4.3.2022): Countering Russia's kleptocrats: What the West’s response to the assault on Ukraine should look like, https://www.transparency.org/en/news/countering-russian-kleptocrats-wests-response-to-assault-on-ukraine, Zugriff 19.5.2023

TI – Transparency International (o.D.): Corruption Perceptions Index 2022: Russia, https://www.transparency.org/en/cpi/2022/index/rus, Zugriff 19.5.2023

UNTC – United Nations Treaty Collection (19.5.2023): 14. United Nations Convention against Corruption - New York, 31 October 2003, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND mtdsg_no=XVIII-14 chapter=18 clang=_en, Zugriff 19.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 29.06.2023

Nordkaukasus

Menschenrechtsverteidiger sind im Nordkaukasus Schikanierungen ausgesetzt (UN-HRC 1.12.2022). Internationale NGOs im Menschenrechtsbereich sind dort kaum präsent. Es existieren ein paar örtliche NGOs, welche Menschenrechtsprobleme ansprechen. Sie erörtern selten politisch sensible Themen, um Vergeltungsmaßnahmen lokaler Behörden zu vermeiden (USDOS 20.3.2023). Viele örtliche NGOs wurden geschlossen oder gezwungen, ihre Tätigkeiten auszusetzen (COE 3.6.2022).

Tschetschenien

Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Menschenrechtsaktivisten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppe auf Instagram veröffentlicht. Teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie angeblich Feinde des tschetschenischen Volkes sind, oder er ruft offen dazu auf, sie umzubringen (AA 28.9.2022). Menschenrechtsaktivisten sind schweren Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane ausgesetzt, darunter Folter, Verschwindenlassen von Personen, rechtswidrige Festnahmen und Fälschung von Straftatbeständen (ÖB 30.6.2022; vgl. EEAS 19.4.2022). Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen Straflosigkeit (ÖB 30.6.2022). Die Arbeit unabhängiger NGOs vor Ort ist praktisch unmöglich (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (26.1.2023): Russland: Auflösung der Moskauer Helsinki-Gruppe ist rechtswidrig, https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/russland-aufloesung-moskauer-helsinki-gruppe-rechtswidrig, Zugriff 22.5.2023

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (27.3.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw13-2023.pdf?__blob=publicationFile v=3, Zugriff 22.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

COE – Council of Europe (31.8.2022): Support Russian and Belarusian civil societies and human rights defenders, https://www.coe.int/en/web/commissioner/-/support-russian-and-belarusian-civil-societies-and-human-rights-defenders, Zugriff 22.5.2023

COE – Council of Europe (3.6.2022): The continuing need to restore human rights and the rule of law in the North Caucasus region, https://pace.coe.int/en/files/30064/html?__cf_chl_tk=N0MvfyHujStO1y2i5De4AjF5sOdH0kwzw1IPrh2B99Q-1660131174-0-gaNycGzNCpE, Zugriff 22.5.2023

EEAS – European External Action Service (19.4.2022): EU ANNUAL REPORT ON HUMAN RIGHTS AND DEMOCRACY IN THE WORLD 2021 COUNTRY UPDATES, https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2021%20EU%20Annual%20Human%20Rights%20and%20Democracy%20Country%20Report.pdf, Zugriff 22.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

FH – Freedom House (19.4.2022): Nations in Transit 2022: Russia, https://freedomhouse.org/country/russia/nations-transit/2022, Zugriff 22.5.2023

FPG – Fond presidentskich grantow [Fonds für präsidentielle Subventionen] [Russland] (o.D.): О фонде [Über den Fonds], https://президентскиегранты.рф/public/home/about, Zugriff 22.5.2023

HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085489.html, Zugriff 22.5.2023

KR – Kawkas.Realii (14.3.2023): "Ни на что не повлияет". В Дагестане Общественную палату обяжут публично отчитываться ['Wird nichts beeinflussen'. In Dagestan wird die Gesellschaftskammer zur öffentlichen Berichterstattung verpflichtet], https://www.kavkazr.com/a/ni-na-chto-ne-povliyaet-v-dagestane-obschestvennuyu-palatu-obyazhut-publichno-otchityvatjsya/32316954.html, Zugriff 22.5.2023

MCG – Moskowskaja Chelsinkskaja Gruppa [Moskauer Helsinki-Gruppe] (25.1.2023): Суд ликвидировал Московскую Хельсинкскую группу из-за того, что она занималась правозащитой за пределами Москвы [Gericht löste Moskauer Helsinki-Gruppe auf, weil sie außerhalb Moskaus tätig war], https://www.mhg.ru/news/sud-likvidiroval-moskovskuyu-helsinkskuyu-gruppu-iz-za-togo-chto-ona-zanimalas-pravozashchitoy, Zugriff 22.5.2023

Memorial (o.D.): Startseite, https://www.memo.ru/ru-ru/, Zugriff 22.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.12.2022): Федеральный закон "О контроле за деятельностью лиц, находящихся под иностранным влиянием" от 14.07.2022 N 255-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Überwachung der Tätigkeit von Personen, die unter ausländischem Einfluss stehen' vom 14.07.2022 N 255-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_421788/, Zugriff 22.5.2023

Russland-Analysen (Nr. 427) / Anke Giesen (8.12.2022): Zur aktuellen Lage von Memorial International, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/427/RusslandAnalysen427.pdf, Zugriff 22.5.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sabine Fischer (19.4.2022): Russland auf dem Weg in die Diktatur (SWP-Aktuell, Nr. 31), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A31_Russland_Diktatur.pdf, Zugriff 22.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 29.06.2023

Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 27 Jahren der Einberufung zum Wehrdienst (RF 13.6.2023). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel der jährlich ins wehrdienstpflichtige Alter kommenden jungen Männer. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium (ÖB 30.6.2022). Es gibt in Russland zweimal jährlich eine Stellung (Spiegel 31.3.2022). Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Kreml 30.9.2022) und für das Frühjahr 2023 147.000 (Präsident 30.3.2023). Die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen ist relativ gering, im Durchschnitt 500 Einberufene pro Einberufungsperiode (ÖB 25.1.2023). Einberufungsbefehle werden Einzuberufenden in schriftlicher Form und zusätzlich elektronisch übermittelt. Die Einberufungsbefehle werden vom Militärkommissariat per eingeschriebenem Brief verschickt. Möglich ist unter anderem auch die persönliche Aushändigung des Einberufungsbefehls durch Mitarbeiter des Militärkommissariats (§ 31 des Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst') (RF 13.6.2023). Wer zum Wehrdienst einberufen wurde, darf das Land bis zur Beendigung des Wehrdiensts nicht verlassen (§ 15 des Gesetzes ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation') (RF 14.4.2023).

Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, welche ein Studium absolvieren oder einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Auch Angehörige bestimmter Berufsgruppen können einen Aufschub des Wehrdienstes beantragen. Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (vor allem staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB 30.6.2022). Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 12.5.2023). Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten (CIA 15.6.2023). Nach dem Grundwehrdienst gibt es die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (ÖB 30.6.2022). Bislang kamen als Vertragssoldaten russische Staatsbürger im Alter von 18-40 Jahren sowie Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren infrage. Im Mai 2022 wurden diese Altersgrenzen bis zum Pensionsalter angehoben (Duma 25.5.2022; vgl. NZZ 25.5.2022). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. SWP 7.12.2022, GS o.D.).

Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 20.3.2023; vgl. SWP 7.12.2022). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') – ein System der Erniedrigung bis hin zur Vergewaltigung von sich ausgeliefert fühlenden Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und kein Ausgang bzw. kaum Urlaub - dürfte eine maßgebliche Ursache sein. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022). NGOs gehen von Hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt bzw. geduldet (ÖB 30.6.2022). Die Diskreditierung der Armee ist gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches strafbar (RF 28.4.2023). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, welche in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie übliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).

Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 25.8.2022 ist mit 1.1.2023 die russische Armee auf einen Personalstand von 2.039.758 Bediensteten aufgestockt worden, davon 1.150.628 Militärbedienstete und der Rest Zivilpersonal wie Verwaltungsangestellte usw. (RI 25.8.2022; vgl. ORF 25.8.2022). Für den Zeitraum 2023-2026 ist eine Erhöhung der Anzahl der Militärbediensteten auf 1,5 Millionen geplant (Iswestija 17.1.2023). Im Jahr 2022 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (SIPRI o.D.). Gemäß Verfassungsartikel 87 ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Duma 6.10.2022).

Mobilmachung / Ukraine-Krieg

Gemäß rechtlicher Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen im Ausland entsandt werden zu können. Jedoch zu Kriegszeiten oder im Falle der Ausrufung des Kriegsrechts ist es möglich, Wehrpflichtige früher heranzuziehen. Innerhalb Russlands dürfen Wehrpflichtige sofort (auch unausgebildet) herangezogen werden (ISW 30.10.2022). Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine (EUAA 16.12.2022a; vgl. ÖB 8.11.2022, ÖB 25.1.2023). Wehrpflichtige werden allerdings in Grenzregionen stationiert (EUAA 16.12.2022a; vgl. ISW 13.6.2023) (beispielsweise in Belgorod, Kursk, Brjansk, Rostow und Krasnodar) sowie auf der von Russland besetzten Krim (EUAA 16.12.2022a). Es gab Berichte über Wehrpflichtige, welche unter Druck gesetzt wurden, ihre Dienstzeit durch Freiwilligenverträge zu verlängern (RFE/RL 14.7.2022). Alle russischen Regionen wurden angewiesen, Freiwilligenbataillone für den Einsatz in der Ukraine zusammenzustellen (ÖB 30.6.2022). Mit der Rekrutierung Freiwilliger wurde im Juli/August 2022 begonnen (EUAA 16.12.2022a). Bis spätestens 1.7.2023 haben die Freiwilligenformationen einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abzuschließen (VM 10.6.2023). Das Verteidigungsministerium rekrutiert seit September 2022 Strafgefangene, welchen als Gegenleistung für einen Kampfeinsatz Geld und frühzeitige Entlassung aus dem Gefängnis angeboten wird (EUAA 16.12.2022a). Eine gesetzliche Neuregelung vom November 2022 ermöglicht die Mobilisierung von Schwerverbrechern. Davon ausgenommen sind unter anderem Terroristen, Spione sowie Personen, die Minderjährige sexuell missbrauchten (RN 4.11.2022; vgl. RF 4.11.2022).

Gemäß dem präsidentiellen Erlass (Ukas) vom 21.9.2022 werden mobilisierte Staatsbürger Vertragssoldaten gleichgestellt, auch hinsichtlich der Besoldung. Die Verträge der Vertragssoldaten laufen erst mit dem Ende der Teilmobilmachung aus. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einzuberufenden Staatsbürger. [Anzumerken ist auch, dass der Punkt 7 des Erlasses nicht veröffentlicht wurde und dem 'Dienstgebrauch' dient. Sein Inhalt ist unbekannt. - Anm. der Staatendokumentation] Die Umsetzung der Mobilmachung obliegt den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung sind gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden (RI 21.9.2022), außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Kommersant 23.9.2022). Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten (RI 21.9.2022). Folgende Personengruppen sind ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit Behinderungen; kinderreiche Familien; Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; Veteranen im Ruhestand, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; sowie Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen (Meduza 22.9.2022). Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen sind, beispielsweise Krebskranke (Kommersant 26.9.2022). Die Teilmobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (OWD-Info o.D.a; vgl. Standard 22.9.2022) sowie zu einer Ausreisebewegung (WP 28.9.2022). Es wird berichtet, dass seit Verkündung der Teilmobilmachung Hunderttausende Männer Russland verließen (DW 6.10.2022). Manche Personen, welche während der Mobilisierung die Flucht versuchten, trafen an der Grenze auf Sicherheitspersonal, welches ihnen Einberufungsbefehle ausgehändigt hat (FH 2023). Bürger, welche im Militärregister aufscheinen, dürfen ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (§ 21 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Seit Kriegsbeginn bieten NGOs juristische Beratung für Grundwehrdiener und Soldaten an (ÖB 30.6.2022).

Am 28.10.2022 vermeldete der Verteidigungsminister an Präsident Putin den Abschluss der oben beschriebenen Teilmobilmachung (Tass 28.10.2022). Am 31.10.2022 bestätigte Putin mündlich das Ende der Teilmobilmachung (Kreml 31.10.2022). Gemäß einer schriftlichen Mitteilung der russischen Präsidialverwaltung vom Jänner 2023 ist der präsidentielle Erlass zur Einleitung der Teilmobilmachung (21.9.2022) nach wie vor in Kraft (ISW 20.1.2023; vgl. ÖB 25.1.2023). Im Rahmen der Teilmobilmachung wurden nach offiziellen Angaben 300.000 Reservisten einberufen (RG 21.9.2022). Als Reservist gilt jede männliche und weibliche Person, die ein Militärbuch besitzt (ÖB 19.10.2022). Prinzipiell erhalten alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch. Es häufen sich aber Aussagen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten. Dieses besagt dann jedoch, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen (ÖB 25.1.2023). Ethnische Minderheiten aus ärmeren Regionen waren überproportional von der Mobilisierungswelle betroffen (Standard 28.9.2022; vgl. ISW 17.10.2022). Derzeit wird vom Kreml eine verdeckte Mobilisierung durchgeführt. Dies bedeutet, es werden beispielsweise finanzielle Anreize geschaffen und auch Zwangsmaßnahmen gesetzt, um Menschen für den Militärdienst zu gewinnen (ISW 8.6.2023).

Zu den Kämpfern in der Ukraine zählt die russische Wagner-Gruppe (RBK 13.6.2023; vgl. DW 26.6.2023). Private Militärfirmen wie 'Wagner' sind formal illegal (SWP 7.12.2022) [Informationen zum Wagner-Aufstand vom 24.6.2023 finden sich im Kapitel Sicherheitslage.]. Zur Unterstützung Russlands wurden auch syrische Söldner für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat der EU 22.7.2022). Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (UN-OHCHR 16.3.2023; vgl. HRW 21.4.2022) [siehe dazu auch das Kapitel Politische Lage].

Tschetschenien

Tschetschenische Gruppierungen kämpfen in der Ukraine seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 (EUAA 16.12.2022a). Die von Präsident Putin am 21.9.2022 verkündete Teilmobilmachung (RI 21.9.2022) wurde in Tschetschenien nicht durchgeführt. Das tschetschenische Republiksoberhaupt, Ramsan Kadyrow, begründete dies damit, dass Tschetschenien bereits überproportional viele Kämpfer in die Ukraine entsandt hatte und somit die Quote übererfüllt war (KU 23.9.2022). In Tschetschenien wurden Freiwilligenbataillone gebildet (EUAA 16.12.2022a). Nach wie vor entsendet Tschetschenien Gruppen Freiwilliger als Kämpfer in den Ukraine-Krieg (KU 20.6.2023). Der rechtliche Status der Freiwilligen ist unklar. Ab Juni 2022 wurden Freiwillige mittels kurzfristiger Verträge an Militäreinheiten angegliedert, an private Militärunternehmen wie Wagner oder an die Nationalgarde. Am 26.6.2022 verkündete Kadyrow die Gründung von vier tschetschenischen (an das Verteidigungsministerium angegliederten) Freiwilligenbataillonen mit den Bezeichnungen Süd-Achmat, Nord-Achmat, West-Achmat sowie Ost-Achmat. Wegen des Personalmangels stammen Mitglieder dieser Einheiten hauptsächlich aus tschetschenischen Polizeieinheiten und der Nationalgarde. Zur selben Zeit begann Kadyrow mit Rekrutierungen im Kreis der tschetschenischen Sicherheitskräfte (EUAA 16.12.2022a). Am 11.6.2023 verkündete Kadyrow die Gründung von zwei tschetschenischen Regimentern des Verteidigungsministeriums: 'Achmat-Russland' und 'Achmat-Tschetschenien' (KU 20.6.2023). Zu den Kämpfern in der Ukraine zählen auch die sogenannten Kadyrowzy. Diese stellen eine Art Privatarmee des tschetschenischen Machthabers Kadyrow dar. Formal sind die Kadyrowzy der Nationalgarde unterstellt (SWP 7.12.2022). [zu den Kadyrowzy siehe auch das Kapitel Sicherheitsbehörden]

Nach Aussage von Republikoberhaupt Kadyrow sind alle in der Ukraine kämpfenden Tschetschenen, darunter auch die Sicherheitskräfte, Freiwillige (KU 1.1.2023). Tatsächlich finden in Tschetschenien Rekrutierungen von Kämpfern in einer allgemeinen Atmosphäre des Zwanges und unter Verletzung von Menschenrechtsstandards statt. In vielen Fällen erfolgen Zwangsrekrutierungen (EUAA 16.12.2022a; vgl. KR 8.6.2023, ISW 10.6.2023), wobei Methoden wie Drohungen und Entführungen angewandt werden (EUAA 16.12.2022a). Behörden in Tschetschenien betreiben eine aggressive Anwerbungskampagne, um Einheimische als 'freiwillige' Kämpfer für die Ukraine zu gewinnen (RFE/RL 10.11.2022; vgl. ÖB 25.1.2023). Kadyrow drohte Kampfunwilligen mit der 'Hölle' (KU 17.7.2022) und ordnete die Streichung von Sozialleistungen für Familien von Kriegsdienstverweigerern an (KU 25.8.2022). In Tschetschenien gibt es keine NGOs, welche eingezogene Personen unterstützen (EUAA 16.12.2022a).

Quellen:

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Wehrersatzdienst

Letzte Änderung: 29.06.2023

Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch Artikel 59 der Verfassung garantiert (Duma 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das föderale Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' dar (RF 13.6.2023a). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB 30.6.2022). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Kliniken oder Feuerwehr (ÖB 30.6.2022; vgl. AA 28.9.2022, RF 13.6.2023a). Jährlich wird eine Liste an Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, in welchen die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (FAAB o.D.).

Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts sind beim Militärkommissariat spätestens sechs Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten (§ 11 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst'). Die Anträge werden laut § 10 von der Einberufungskommission geprüft (RF 13.6.2023a). Wer bereits den Wehrdienst ableistet, darf keinen Antrag mehr auf Ableistung eines Wehrersatzdienstes stellen. Jährlich werden in etwa 2.000 Anträge auf Wehrersatzdienst gestellt, wovon geschätzt die Hälfte positiv beschieden wird (EUAA 16.12.2022a). Zeugen Jehovas sind von Verletzungen des Rechts auf Wehrdienstverweigerung betroffen (EBCO 12.5.2023; vgl. WHJW 21.3.2022). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Ableistung des Zivildiensts ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden (§ 15 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst') (RF 13.6.2023a). Mit Stand Februar 2023 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) 1.140 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst. In Tschetschenien und Dagestan absolvierte gemäß dieser Statistik niemand den alternativen Zivildienst (FAAB 1.2.2023). Die Verweigerung der Ableistung des Zivildiensts zieht gemäß § 328 des Strafgesetzbuches folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 80.000 [ca. EUR 868] oder in der Höhe von bis zu sechs Monatseinkommen, bis zu 480 Stunden Pflichtarbeiten oder Arrest von bis zu sechs Monaten (RF 28.4.2023).

Bei Verkündung einer Mobilmachung ist die Fortsetzung des zivilen Ersatzdienstes in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen gestattet. Staatsbürger, welche zu Zeiten einer Mobilmachung den zivilen Ersatzdienst in nichtmilitärischen Einrichtungen absolvieren, können als ziviles Personal in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen zum Einsatz kommen (§ 17.1 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Die Militärkommissariate und Gerichte lehnen Anträge von Personen, die für einen Einsatz in der Ukraine eingezogen worden waren und stattdessen Zivildienst leisten wollten, routinemäßig ab (AI 28.3.2023; vgl. EUAA 16.12.2022a). Zur Begründung heißt es, dass es keine spezifischen gesetzlichen Regelungen bezüglich des Zivildiensts in Zeiten einer Teilmobilmachung gibt (AI 28.3.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (28.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089408.html, Zugriff 17.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EBCO – European Bureau for Conscientious Objection (12.5.2023): Annual Report: Conscientious Objection to Military Service in Europe 2022/23, https://ebco-beoc.org/sites/ebco-beoc.org/files/attachments/2023-05-12-EBCO_Annual_Report_2022-23.pdf, Zugriff 26.6.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

FAAB – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) [Russland] (1.2.2023): Численность граждан, проходящих альтернативную гражданскую службу (по состоянию на 01.02.2023г.) [Anzahl von Bürgern, die alternativen Zivildienst leisten], https://rostrud.gov.ru/upload/iblock/c5f/chislennost-na-01.02.2023-g.doc, Zugriff 26.6.2023

FAAB – Föderales Amt für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) [Russland] (o.D.): Альтернативная гражданская служба [Alternativer Zivildienst], https://rostrud.gov.ru/rostrud/deyatelnost/?CAT_ID=4580, Zugriff 26.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (13.6.2023a): Федеральный закон "Об альтернативной гражданской службе" от 25.07.2002 N 113-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' vom 25.07.2002 N 113-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_37866/, Zugriff 26.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (4.11.2022): Федеральный закон "О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации" от 26.02.1997 N 31-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation' vom 26.02.1997 N 31-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_13454/, Zugriff 5.6.2023

WHJW – World Headquarters of Jehovah’s Witnesses / Office of Public Information (21.3.2022): INFORMATION ON CONSCIENTIOUS OBJECTION TO MILITARY SERVICE INVOLVING JEHOVAH’S WITNESSES - CONTRIBUTION FOR THE OHCHR QUADRENNIAL ANALYTICAL REPORT ON CONSCIENTIOUS OBJECTION TO MILITARY SERVICE, https://www.ohchr.org/sites/default/files/2022-05/OPIJW-HRC50.pdf, Zugriff 26.6.2023

Desertion, Wehrdienstverweigerung

Letzte Änderung: 29.06.2023

Wehrdienstverweigerung

Die Verweigerung der Einberufung zum Wehrdienst zieht folgende Strafen nach sich (§ 328 StGB): Geldstrafen von bis zu RUB 200.000 [ca. EUR 2.171] oder in der Höhe von bis zu 18 Monatseinkommen, Zwangsarbeit von bis zu zwei Jahren, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren. § 337 StGB sieht unter anderem Folgendes vor: Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. zehn Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren bestraft. Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von fünf bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge schwieriger Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten gemäß diesem Paragrafen (§ 337) verantwortlich (RF 28.4.2023).

Wer während des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von zwei bis drei Jahren bestraft (§ 332 StGB). Wenn diese Taten mit schwerwiegenden Folgen verbunden waren, zieht dies eine Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren nach sich. Gemäß § 339 StGB wird die Verweigerung des Wehrdiensts durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung, Fälschung von Dokumenten usw.) folgendermaßen geahndet: Wehrdienstbeschränkung von bis zu einem Jahr, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von bis zu einem Jahr. Dieselbe Tat (mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich. Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren nach sich. Gemäß § 51 des Strafgesetzbuches bedeutet Wehrdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen (RF 28.4.2023). Neu eingeführt wurde ins Strafgesetzbuch am 24.9.2022 ein Paragraf mit dem Titel 'Sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben' (RG 24.9.2022). Gemäß diesem § 352.1 wird eine solche Tat mit Freiheitsentzug von drei bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn sie Maßnahmen für ihre Befreiung ergriffen haben, zu ihrer Truppe oder Dienstort zurückgekehrt sind und wenn sie während der Kriegsgefangenschaft nicht andere Straftaten begangen haben (RF 28.4.2023).

Internationale und unabhängige russische Medien berichten über viele Fälle von Vertragssoldaten, welche die Entsendung in die Ukraine verweigern oder die Ukraine verlassen haben, um zu ihren Militäreinheiten in Russland zurückzukehren (EUAA 16.12.2022a). In einigen Fällen desertieren Mobilgemachte während des Kampfeinsatzes in der Ukraine (ÖB 25.1.2023). Die genaue Anzahl von Soldaten, welche den Kampf in der Ukraine verweigern, ist unklar (Connection 2.10.2022). Die Regierung veröffentlicht keine Zahlen (AA 28.9.2022). Seit Beginn der Teilmobilmachung in Russland im September 2022 gab es mehr als 1.000 Anklagen wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung von der Truppe oder Befehlsverweigerung (Länder-Analysen o.D.). Die meisten Rekruten werden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und können so nach kurzer Zeit wieder an die Front versetzt werden (Länder-Analysen o.D.; vgl. MOD 24.5.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Connection e.V. / Rudi Friedrich (2.10.2022): Flucht vor der Beteiligung am Krieg – Zahlen zu Russland, Belarus und Ukraine, https://de.connection-ev.org/article-3608, Zugriff 26.6.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

Länder-Analysen (o.D.): Chronik: Russland 24.2.2022-19.06.2023 - Chronikeintrag vom 27.4.2023, https://www.laender-analysen.de/chronik/?c=russland d1=2022-02-24 d2=2023-06-19 t= l=3000 x=0, Zugriff 26.6.2023

MOD – Ministry of Defence [Vereinigtes Königreich] (24.5.2023): Defence Intelligence Update on Ukraine, https://twitter.com/DefenceHQ/status/1661249400281202688/photo/1, Zugriff 26.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (17.3.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

RF – Russische Föderation [Russland] (13.6.2023): Федеральный закон "О воинской обязанности и военной службе" от 28.03.1998 N 53-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' vom 28.03.1998 N 53-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_18260/, Zugriff 26.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (17.5.2023): "Кодекс Российской Федерации об административных правонарушениях" от 30.12.2001 N 195-ФЗ (ред. от 28.04.2023, с изм. от 17.05.2023) ['Kodex der Russischen Föderation über Verwaltungsübertretungen' vom 30.12.2001 N 195-ФЗ (idF vom 28.04.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_34661/, Zugriff 24.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (14.4.2023): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/, Zugriff 16.5.2023

RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (22.8.2022): Russia's Wording On Ukraine Invasion Limits Its Coercive Powers, Says British Intelligence, https://www.rferl.org/a/russia-recruiting-soldiers-ukraine-invasion/31999227.html, Zugriff 26.6.2023

RG – Rossijskaja Gaseta [Russland] (24.9.2022): Путин подписал пакет поправок в УК о военной службе [Putin unterzeichnete ein Paket an Änderungen des StGB zum Thema Militärdienst], https://rg.ru/2022/09/24/putin-podpisal-paket-popravok-v-uk-o-voennoj-sluzhbe.html, Zugriff 26.6.2023

Tass [Russland] (21.6.2023): Шойгу посоветовал выпускникам военных вузов смело внедрять в боевую подготовку опыт СВО [Schojgu riet Militärhochschulabsolventen, mutig die Erfahrung der militärischen Spezialoperation in die Kampfvorbereitung miteinzubeziehen], https://tass.ru/armiya-i-opk/18079369, Zugriff 26.6.2023

Allgemeine Menschenrechtslage, Ombudsperson, Menschenhandel, Flüchtlinge

Letzte Änderung: 29.06.2023

Artikel 19 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert gleiche Rechte und Freiheiten für alle Personen, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Nationalität, Sprache, Herkunft, sozialem Status, Wohnort, Religionszugehörigkeit usw. Gemäß Verfassungsartikel 55 dürfen die Rechte und Freiheiten der Menschen durch die föderale Gesetzgebung nur insoweit eingeschränkt werden, als dies aus folgenden Gründen notwendig ist: zum Schutz der Verfassung, der Moral, Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer Personen, zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit (Duma 6.10.2022). Die Grundrechte werden in Russland zwar in der Verfassung garantiert, es besteht jedoch ein deutlicher Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit (AA 28.9.2022). Russland hat unter anderem folgende internationale Menschenrechtsverträge ratifiziert (UN-OHCHR o.D.):

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

Internationales Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung

Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

Kinderrechtskonvention

Behindertenrechtskonvention

Aufgrund von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine stimmte die UN-Generalversammlung im April 2022 für den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat (UN 7.4.2022). Die Menschenrechtssituation in Russland hat sich im Laufe der vergangenen Jahre sukzessive verschlechtert (EEAS 19.4.2022). Russland wird von der NGO Freedom House als unfrei in Bezug auf politische Rechte und bürgerliche Freiheiten eingestuft (FH 2023). Freiheitsrechte wurden durch die russische Regierung immer weiter eingeschränkt (SWP 19.4.2022). Um die politische Macht und Stabilität zu stärken, untergräbt Russlands politische Führung oft Bürger- und Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit (BS 2022). Die Regierung geht unerbittlich gegen Menschenrechtsorganisationen vor (FH 2023). Zahlreiche davon wurden aufgelöst oder werden in ihren Tätigkeiten beträchtlich behindert (UN-HRC 1.12.2022). 2022 wurde Memorial, eine der ältesten russischen Menschenrechtsorganisationen, auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung aufgelöst (ÖB 30.6.2022; vgl. Memorial o.D.). Die Behörden nutzen neben der Gesetzgebung über 'ausländische Agenten' und 'unerwünschte Organisationen' verschiedene weitere Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger unter Druck zu setzen. Im November 2022 schloss Präsident Putin mehrere prominente Menschenrechtsverteidiger aus dem Menschenrechtsrat des Präsidenten aus und ersetzte sie durch regierungsfreundliche Personen (AI 28.3.2023). Menschenrechtsanwälte geraten zunehmend unter Druck (ÖB 30.6.2022). Mehreren Menschenrechtsanwälten wurde die Anwaltslizenz entzogen, ohne ihnen ein Beschwerderecht einzuräumen (EUAA 16.12.2022b).

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Personen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen klagen können. Jedoch sind diese Mechanismen oft nicht effektiv (USDOS 20.3.2023). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (Europarat 16.9.2022; vgl. Europarat o.D.b). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (Europarat o.D.). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen (SWP 19.4.2022).

Ombudsperson

Die Ombudsperson für Menschenrechte wird laut Artikel 103 der Verfassung der Russischen Föderation vom Parlament (Duma) ernannt und entlassen (Duma 6.10.2022). Zu den Aufgaben der Ombudsperson für Menschenrechte gehören die Kontrolle der Tätigkeiten staatlicher Organe sowie die Bearbeitung von Beschwerden, welche von Bürgern der Russischen Föderation, Staatenlosen oder anderen Personen eingereicht werden (OPMR o.D.a). Jährlich erstellt die Ombudsperson einen Tätigkeitsbericht (OPMR o.D.b). Die Befugnisse der Ombudsperson für Menschenrechte gelten als begrenzt (USDOS 20.3.2023; vgl. OSCE 22.9.2022). In allen Regionen gibt es außerdem regionale Ombudspersonen, deren Wirksamkeit sehr variiert. Örtliche Behörden untergraben oft die Unabhängigkeit der Ombudspersonen (USDOS 20.3.2023).

Menschenhandel

Gemäß § 127.1 des Strafgesetzbuches zieht Menschenhandel eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren nach sich (RF 28.4.2023). Das Strafgesetzbuch definiert den Begriff Menschenhandelsopfer nicht. Die meisten der an Behörden gemeldeten Menschenhandelsfälle werden von der Regierung nicht als Menschenhandel anerkannt, sondern anderen Gesetzesparagrafen zugeschrieben. Dadurch wird das Ausmaß des Problems verschleiert. Regierungsbeamte und die Polizei lassen sich regelmäßig bestechen, um Menschenhandelsfälle zu vertuschen. Die Regierung zeigt kaum Bemühungen zur Unterstützung von Menschenhandelsopfern. Auch existieren keine nationale Strategie und kein nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Menschenhandel. Die Regierung hat Aktivitäten mehrerer zivilgesellschaftlicher Gruppen, die gegen Menschenhandel ankämpfen, unterbunden (USDOS 29.7.2022). Menschenhandelsopfer werden regelmäßig inhaftiert, abgeschoben und gerichtlich verfolgt (FH 2023). Die am weitesten verbreitete Form von Menschenhandel in Russland ist der Handel mit Arbeitskräften. Sexhandel kommt vor (USDOS 29.7.2022). Gesetze, die sich gegen Zwangsarbeit richten, werden von der Regierung nicht wirksam umgesetzt (USDOS 20.3.2023). In der Russischen Föderation gibt es Schutzunterkünfte für Opfer von Menschenhandel. Für gewöhnlich werden diese Unterkünfte von örtlichen NGOs verwaltet (IOM 12.2022).

Flüchtlinge

Gesetzlich ist Asylgewährung vorgesehen. Personen, welche nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, wird von der Regierung das Recht auf temporären Schutz eingeräumt. In der Praxis wird dieses Prinzip von Behörden nicht konsequent umgesetzt (USDOS 20.3.2023). Für ausländische Flüchtlinge ist es de facto schwierig, einen endgültigen oder zeitlich begrenzten Flüchtlingsschutz zu erlangen (AA 28.9.2022). Die Anerkennungsrate von Asylwerbern, die nicht aus der Ukraine stammen, ist niedrig (UN-HRC 1.12.2022). Mit Stand Oktober 2022 besaßen ca. 93.700 Personen einen temporären Schutzstatus. Es mangelt an klaren Verfahrensregeln. Der Non-Refoulement-Begriff ist gesetzlich nicht ausdrücklich festgeschrieben (USDOS 20.3.2023). Für Personen mit besonderen Bedürfnissen sind keine besonderen Verfahrensmaßnahmen vorgesehen. Personen, welchen Asyl gewährt wurde, sind mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert (UN-HRC 1.12.2022).

Gemäß Berichten sind viele Flüchtlinge aus der Ukraine in Russland in sogenannten Filtrationslagern interniert oder sonstigen Bewegungseinschränkungen ausgesetzt. Es wird über Fälle von Folter, geschlechtsspezifischer Gewalt und Erniedrigung ukrainischer Staatsangehöriger sowie über Zwangsverschleppung ukrainischer Kinder nach Russland berichtet (AA 28.9.2022). Die russischen Behörden legen ukrainischen Flüchtlingen die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft nahe bzw. setzen sie diesbezüglich teilweise auch unter Druck (AI 28.3.2023). Mit Stand 3.10.2022 waren in der Russischen Föderation 2.852.395 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert (UNHCR o.D.).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (28.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089408.html, Zugriff 17.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EEAS – European External Action Service (19.4.2022): EU ANNUAL REPORT ON HUMAN RIGHTS AND DEMOCRACY IN THE WORLD 2021 COUNTRY UPDATES, https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2021%20EU%20Annual%20Human%20Rights%20and%20Democracy%20Country%20Report.pdf, Zugriff 22.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

Europarat (16.9.2022): Presseraum: Russland keine Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr, https://www.coe.int/de/web/portal/-/russia-ceases-to-be-party-to-the-european-convention-on-human-rights, Zugriff 5.6.2023

Europarat (16.3.2022): Presseraum: Russische Föderation wird aus dem Europarat ausgeschlossen, https://www.coe.int/de/web/portal/-/the-russian-federation-is-excluded-from-the-council-of-europe, Zugriff 5.6.2023

Europarat (o.D.): Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, https://www.coe.int/en/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte, Zugriff 5.6.2023

Europarat (o.D.b): The European Convention on Human Rights: A Convention to protect your rights and liberties, https://www.coe.int/en/web/human-rights-convention, Zugriff 5.6.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

Memorial (o.D.): Startseite, https://www.memo.ru/ru-ru/, Zugriff 22.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

OPMR – Ombudsperson für Menschenrechte in der Russischen Föderation [Russland] (o.D.a): Статус и полномочия [Status und Befugnisse], https://ombudsmanrf.org/ombudsman/status_auth, Zugriff 5.6.2023

OPMR – Ombudsperson für Menschenrechte in der Russischen Föderation [Russland] (o.D.b): Доклад о деятельности Уполномоченного по правам человека в Российской Федерации за 2022 год [Tätigkeitsbericht der Ombudsperson für Menschenrechte in der Russischen Föderation für das Jahr 2022], https://ombudsmanrf.org/storage/74a0484f-7d5a-4fe4-883d-a1b5ba1dd5f8/mediateca/doclad-2022.pdf, Zugriff 5.6.2023

OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe / Angelika Nußberger (22.9.2022): Report on Russia's Legal and Administrative Practice in Light of its OSCE Human Dimension Commitments, https://www.osce.org/files/f/documents/7/5/526720.pdf, Zugriff 5.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sabine Fischer (19.4.2022): Russland auf dem Weg in die Diktatur (SWP-Aktuell, Nr. 31), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A31_Russland_Diktatur.pdf, Zugriff 22.5.2023

UN – United Nations (7.4.2022): UN General Assembly votes to suspend Russia from the Human Rights Council, https://news.un.org/en/story/2022/04/1115782, Zugriff 5.6.2023

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UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

UN-OHCHR – United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (o.D.): Russian Federation: Status of Ratification – Interactive Dashboard – Ratification of 18 International Human Rights Treaties, https://indicators.ohchr.org/, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (29.7.2022): 2022 Trafficking in Persons Report: Russia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2022/08/22-00757-TIP-REPORT_072822-inaccessible.pdf, Zugriff 25.5.2023

Tschetschenien, Kritiker, Tschetschenienkrieg-Kämpfer

Letzte Änderung: 29.06.2023

In Tschetschenien stellt sich die Menschenrechtssituation als äußerst beunruhigend dar (FCDO 12.2022). Die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen sind staatlichen Akteuren zuzuschreiben (EUAA 16.12.2022b). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das Republiksoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Gewaltformen an, beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 2023; vgl. Europarat 3.6.2022). Es kommt zu Massenrazzien und Massenentführungen (KR 27.3.2023). Einige der Entführten werden von den Behörden unter Druck gesetzt, in der Ukraine zu kämpfen (AI 28.3.2023). Auch kollektive Bestrafungen kommen zur Anwendung (EUAA 16.12.2022b). Die Stabilisierung der Sicherheitslage erfolgt um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, darunter menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige. Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, Verschwindenlassen, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in welchen gefoltert wird, einher (AA 28.9.2022). Kadyrow billigt, beruhend auf seinen religiösen Ansichten, schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Frauen, sexuelle Minderheiten usw. (USCIRF 4.2022). Frauen werden Opfer von Ehrenmorden (USDOS 20.3.2023). Es gibt Clans, die Blutrache praktizieren (AA 28.9.2022; vgl. KU 1.2.2023). Mit der Unterstützung Moskaus wird gewaltsam gegen religiöse Minderheiten vorgegangen (USCIRF 10.2021). Zwischen 2019 und 2021 verschwanden in Tschetschenien 4.984 Personen spurlos. Tschetschenien gehört zu denjenigen Regionen, in welchen Verschwundene am seltensten wiedergefunden werden (KR 28.3.2023). Russland ist dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen nicht beigetreten (UN-OHCHR o.D.).

Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, bleiben straffrei (Europarat 3.6.2022). Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz. Hierzu gehören Menschenrechtsaktivisten, sexuelle Minderheiten sowie Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Menschenrechtsaktivisten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppe auf Instagram veröffentlicht. Teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie angeblich Feinde des tschetschenischen Volkes sind, oder er ruft offen dazu auf, sie umzubringen (AA 28.9.2022). Menschenrechtsaktivisten sind schweren Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane ausgesetzt, darunter Folter, Verschwindenlassen, rechtswidrige Festnahmen und Fälschung von Straftatbeständen (ÖB 30.6.2022; vgl. EEAS 19.4.2022). Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht (ÖB 30.6.2022). In Tschetschenien gibt es eine regionale Ombudsperson für Menschenrechte. Dieses Amt bekleidet derzeit Mansur Soltaew (OMRT o.D.).

Kritiker

Tschetschenische Behörden unterdrücken alle Formen abweichender Meinungen (HRW 12.1.2023). Kadyrow droht denjenigen Personen öffentlich, welche ihn und seine Familie kritisieren (UK-VI 17.11.2022). Mit der Unterstützung Moskaus wird gewaltsam gegen Kritiker des Kadyrow-Regimes vorgegangen (USCIRF 10.2021). Regimekritiker müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten sowie physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen (AA 28.9.2022). In mehreren Fällen kam es zu Folterungen (KR 27.3.2023). Auch kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 28.9.2022). Bürger, welche sich über örtliche Angelegenheiten beschweren (beispielsweise Krankenhausschließung), sind Belästigungen oder Demütigungen ausgesetzt (UK-VI 17.11.2022). Kritiker des Kadyrow-Regimes werden systematisch zu Entschuldigungen gezwungen (KU 29.3.2023).

Oppositionelle, Regimekritiker und Personen, die sich gegen Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben, genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 28.9.2022). Wer aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt wird, kann nicht mit einem fairen Gerichtsverfahren rechnen (UK-VI 17.11.2022). Die Opposition hat sich wegen der Unmöglichkeit von Straßenprotesten in Tschetschenien in soziale Netze und Messenger verlagert. Einer der bekanntesten Oppositionskanäle ist der Telegram-Kanal 1ADAT. Die Inhalte von 1ADAT wurden gerichtlich als extremistisch eingestuft (KU 13.2.2022). 1ADAT steht dem tschetschenischen Republiksoberhaupt Kadyrow äußerst kritisch gegenüber (USDOS 20.3.2023) und lässt regelmäßig Stimmen tschetschenischer Dissidenten zu Wort kommen (HRW 12.1.2023). Der Kanal sammelt Informationen über Verbrechen in Tschetschenien und führt eine Entführungsstatistik (KU 13.2.2022). Mitarbeiter von 1ADAT sind Festnahmen und Folter durch die 'Kadyrowzy' ausgesetzt (KU 13.2.2022; vgl. KR 23.8.2022). Die Kadyrowzy stellen die persönliche Armee von Kadyrow dar (FPRI 15.6.2022). Sie werden für zahlreiche Missbrauchshandlungen verantwortlich gemacht, darunter willkürliche Festnahmen, Folter und außergerichtliche Tötungen. Strafrechtliche Konsequenzen haben die Handlungen der Kadyrowzy keine (EUAA 16.12.2022a). [zum Begriff Kadyrowzy Näheres im Kapitel Sicherheitsbehörden]

Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem Regime Kadyrows nicht sicher. Sicherheitskräfte, welche Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs auch in Moskau präsent. Jedenfalls stehen Tschetschenen in größeren russischen Städten unter Beobachtung ihrer Landsleute, und 'falsches' Verhalten kann ebenfalls das Interesse der tschetschenischen Sicherheitsstrukturen wecken (ÖB 30.6.2022). Gemäß Berichten verfolgen in Einzelfällen die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile. Auch wird von verschiedenen Personengruppen berichtet, die gegen ihren Willen von einem innerstaatlichen Zufluchtsort nach Tschetschenien zurückgeholt und dort Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Zu den Betroffenen gehören Oppositionelle und Regimekritiker, darunter ehemalige Kämpfer und Anhänger der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung (AA 28.9.2022; vgl. KU 22.2.2023, Meduza 23.8.2022). In mehreren Fällen wurden Kritiker Kadyrows, welche außerhalb Russlands lebten, Opfer von Attentaten (KR 31.1.2023; vgl. FH 6.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2022). Im Dezember 2022 wurden einige Familienmitglieder von fünf tschetschenischen Bloggern und Aktivisten, welche im Ausland leben und Kadyrow online kritisiert haben, durch tschetschenische Sicherheitskräfte misshandelt und in Isolationshaft gehalten. Die Familien wurden gezwungen, sich zu entschuldigen und sich öffentlich von ihren Verwandten im Exil loszusagen (HRW 12.1.2023).

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen (auf der Grundlage in ihrer Heimatregion erlassener Rechtsakte) in anderen Gebieten Russlands in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, können Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig gemacht werden (AA 28.9.2022). Die russischen Behörden setzen Kameras mit Gesichtserkennungssoftware ein, um Personen festzunehmen. Solche Kameras sind beispielsweise in der Moskauer U-Bahn installiert (FH 18.10.2022). Unter dem Vorwand der Pandemie-Bekämpfung wird die Gesichtserkennungssoftware in Großstädten flächendeckend eingesetzt (AA 28.9.2022). Bei polizeilichen Personenkontrollen ist Racial Profiling verbreitet (AA 28.9.2022; vgl. UN-HRC 1.12.2022). Racial Profiling steigerte sich gemäß Berichten während der COVID-Pandemie und wird durch die Nutzung neuer Technologien intensiviert (UN-HRC 1.12.2022). Seit langer Zeit missbraucht Russland die von Interpol betriebenen 'red notices' ('rote Ausschreibungen'), um Regimekritiker ausfindig zu machen (Politico 27.7.2022). 'Red notices' informieren weltweit die Polizei über international gesuchte Personen und fordern Gesetzesvollzugsorgane dazu auf, die betreffenden Personen ausfindig zu machen und vorübergehend (bis zu einer Auslieferung usw.) festzunehmen (Interpol o.D.).

Tschetschenienkrieg-Kämpfer

Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow‐Clan selbst, welcher im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen‐ zum Vasallentum wechselte (ÖB 30.6.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (28.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089408.html, Zugriff 17.5.2023

EEAS – European External Action Service (19.4.2022): EU ANNUAL REPORT ON HUMAN RIGHTS AND DEMOCRACY IN THE WORLD 2021 COUNTRY UPDATES, https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2021%20EU%20Annual%20Human%20Rights%20and%20Democracy%20Country%20Report.pdf, Zugriff 22.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022a): The Russian Federation - Military service, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Russia_Military_Service.pdf, Zugriff 16.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

Europarat (3.6.2022): The continuing need to restore human rights and the rule of law in the North Caucasus region, https://pace.coe.int/en/files/30064/html?__cf_chl_tk=N0MvfyHujStO1y2i5De4AjF5sOdH0kwzw1IPrh2B99Q-1660131174-0-gaNycGzNCpE, Zugriff 22.5.2023

FCDO – Foreign, Commonwealth Development Office [Vereinigtes Königreich] (12.2022): Human Rights Democracy: The 2021 Foreign, Commonwealth Development Office Report, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1130821/human-rights-and-democracy-2021-foreign-commonwealth-development-office-report.pdf, Zugriff 22.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

FH – Freedom House (18.10.2022): Freedom on the Net 2022 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2081821.html, Zugriff 22.5.2023

FH – Freedom House (6.2022): Defending Democracy in Exile: Policy Responses to Transnational Repression, https://freedomhouse.org/sites/default/files/2022-05/Complete_TransnationalRepressionReport2022_NEW_0.pdf, Zugriff 5.6.2023

FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/, Zugriff 16.5.2023

HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085489.html, Zugriff 22.5.2023

Interpol (o.D.): About Red Notices, https://www.interpol.int/How-we-work/Notices/About-Red-Notices, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (28.3.2023): Чужой титул. Как Кадыровы стали "главными правозащитниками" Чечни [Fremder Titel. Wie die Kadyrows die 'wichtigsten Menschenrechtsverteidiger' Tschetscheniens wurden], https://www.kavkazr.com/a/chuzhoy-titul-kak-kadyrovy-stali-glavnymi-pravozaschitnikami-chechni/32338770.html, Zugriff 6.6.2023

KR – Kawkas.Realii (27.3.2023): "Жертв собирают по цепочке". Правозащитники – о судьбе похищенных жителей Чечни ['Die Opfer werden kettenweise gesammelt'. Menschenrechtsverteidiger - über das Schicksal entführter Bewohner Tschetscheniens], https://www.kavkazr.com/a/zhertv-sobirayut-po-tsepochke-pravozaschitniki-o-sudjbe-pohischennyh-zhiteley-chechni/32336286.html, Zugriff 6.6.2023

KR – Kawkas.Realii (31.1.2023): Таинственное молчание. Соцсети об исчезновении критиков Кадырова [Geheimnisvolles Schweigen. Soziale Medien über Verschwinden von Kritikern Kadyrows], https://www.kavkazr.com/a/tainstvennoe-molchanie-sotsseti-ob-ischeznovenii-kritikov-kadyrova/32237111.html, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (23.8.2022): Похищенный чеченскими силовиками Салман Тепсуркаев погиб, заявила юрист "Команды против пыток" [Der von tschetschenischen Silowikis entführte Salman Tepsurkajew ist umgekommen, teilte Juristin von 'Komitee gegen Folter' mit], https://www.kavkazr.com/a/yurist-komandy-protiv-pytok-zayavila-o-gibeli-pohischennogo-chechenskimi-silovikami-salmana-tepsurkaeva/32000799.html, Zugriff 6.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (29.3.2023): Мода на извинения: от Чечни до самых окраин [Entschuldigungen in Mode: von Tschetschenien bis zu den äußersten Randgebieten], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/332678/, Zugriff 6.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (22.2.2023): Зарема Мусаева пожаловалась на ухудшение здоровья в изоляторе [Sarema Musaewa beklagte sich über die Verschlechterung des Gesundheitszustandes in der Haft], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/386158/, Zugriff 5.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (1.2.2023): Кровная месть - как теперь убивают на Кавказе [Blutrache - wie jetzt im Kaukasus getötet wird], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/296137/, Zugriff 5.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (13.2.2022): Онлайн оппозиция в Чечне: как устроен 1Adat* [Online-Opposition in Tschetschenien: 1ADAT], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/373106/, Zugriff 6.6.2023

Meduza (23.8.2022): В Чечне убит Салман Тепсуркаев — модератор телеграм-канала 1ADAT, критиковавший Кадырова. Его похитили в 2020 году — и заставили истязать самого себя на видео [In Tschetschenien wurde Salman Tepsurkaew getötet - Moderator des Telegram-Kanals 1ADAT, der Kadyrow kritisierte. Er wurde im Jahr 2020 entführt - und man zwang ihn, sich selbst auf Video zu foltern], https://meduza.io/feature/2022/08/24/ubit-salman-tepsurkaev-moderator-telegram-kanala-1adat-kritikovavshiy-kadyrova-on-propal-v-2020-godu-posle-togo-kak-ego-zastavili-istyazat-sebya-na-video, Zugriff 5.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

OMRT – Ombudsperson für Menschenrechte in der Republik Tschetschenien [Russland] (o.D.): Startseite, http://chechombudsman.ru/, Zugriff 6.6.2023

Politico (27.7.2022): Europe’s debt to Chechens, https://www.politico.eu/article/europe-debt-chechen/, Zugriff 5.6.2023

UK-VI – UK Visas and Immigration [Vereinigtes Königreich] (17.11.2022): Guidance: Country policy and information note: critics of the state, Chechnya, https://www.gov.uk/government/publications/russia-country-policy-and-information-notes/country-policy-and-information-note-critics-of-the-state-chechnya-august-2022-accessible, Zugriff 6.6.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

UN-OHCHR – United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (o.D.): Russian Federation: Status of Ratification – Interactive Dashboard, https://indicators.ohchr.org/, Zugriff 16.5.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): Annual Report 2022: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071908/2022+Russia.pdf, Zugriff 31.5.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (10.2021): Issue Update Russia: Religious Freedom Violations in the Republic of Chechnya, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069579/2021+Chechnya+Issue+Update.pdf, Zugriff 31.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Meinungs- und Pressefreiheit, Internetfreiheit

Letzte Änderung: 29.06.2023

Artikel 29 der Verfassung garantiert Meinungsfreiheit und verbietet Zensur (Duma 6.10.2022). Derzeit herrscht eine Kriegszensur (SWP 19.4.2022). Presse- und Meinungsfreiheit sind eingeschränkt (BS 2022; vgl. UN-HRC 1.12.2022), insbesondere in Bezug auf kriegskritische Aussagen (UN-HRC 1.12.2022). Wer sich offen gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht, muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (AI 28.3.2023). Journalisten dürfen gemäß einer Entscheidung der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor ausschließlich Informationen der russischen Regierung verwenden, wenn sie über den Ukraine-Krieg berichten. Ansonsten drohen Geldstrafen und Blockierung von Webseiten (UN-HRC 1.12.2022). Die Verwendung der Begriffe Krieg, Angriff und Invasion im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg ist verboten. Stattdessen ist der Begriff der 'militärischen Spezialoperation' zu benutzen (SWP 19.4.2022). Die Diskreditierung der Armee kann gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren führen. Bei öffentlicher Verbreitung von Falschinformationen über die Armee droht eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren (§ 207.3 des Strafgesetzbuches) (RF 28.4.2023). Die Maßnahmen haben zur Folge, dass jegliche abweichende Meinung und alternative Informationen über den bewaffneten Konflikt in der Ukraine unterdrückt werden (FNSF 11.2022).

Die Situation unabhängiger Medien und Journalisten hat sich beträchtlich verschlechtert (EEAS 19.4.2022). Immer weniger Medien in Russland sind tatsächlich unabhängig von staatlicher Kontrolle tätig (FNSF 11.2022). Die Regierung subventioniert staatliche Medien mit mehreren Milliarden Rubel jährlich, was den Wettbewerb für unabhängige Medien erschwert (FH 18.10.2022). Laut Berichten betreiben unabhängige Medien in großem Stil Selbstzensur (USDOS 20.3.2023). Es gibt Berichte über Schikanierung von Journalisten, darunter strafrechtliche Verfolgung, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, physische Angriffe und Drohungen, auch gegen Familienangehörige von Journalisten (UN-HRC 1.12.2022). Es herrscht diesbezüglich Straflosigkeit (AI 4.2023). Seit Kriegsbeginn wurde gegen Journalisten und Medienmitarbeiter, darunter Blogger, eine beträchtliche Anzahl strafrechtlicher Anklagen erhoben. Beinahe alle führenden unabhängigen Medien haben mittlerweile ihren Sitz ins Ausland verlegt. Nach Entziehung der Drucklizenz entzog der Oberste Gerichtshof im September 2022 der unabhängigen Nowaja Gaseta ['Neue Zeitung'] die Online-Medienlizenz. Die Nowaja Gaseta hatte alle ihre Aktivitäten in Russland bereits im März 2022 ausgesetzt. Mehrere Journalisten der Nowaja Gaseta gründeten einen Online-Vertrieb in Europa, welcher in Russland ebenfalls blockiert ist (EUAA 16.12.2022b). Mit Echo Moskwy wurde der einzig verbliebene landesweite und vom Kreml unabhängige Rundfunksender, mit TV Doschd der letzte unabhängige Fernsehkanal gesperrt (AA 28.9.2022).

Zahlreiche Journalisten und unabhängige Medien wurden als 'ausländische Agenten' und 'unerwünscht' eingestuft, darunter Meduza, Bellingcat und Kaukasischer Knoten (FCDO 12.2022) [zur Gesetzgebung über 'unerwünschte Organisationen' siehe Kapitel NGOs und Menschenrechtsaktivisten]. Als 'ausländische Agenten' werden laut den gesetzlichen Vorgaben Personen oder Vereinigungen eingestuft, welche ausländische Unterstützung erhalten oder in irgendeiner anderen Form unter ausländischem Einfluss stehen (§ 1 des Gesetzes 'Über die Überwachung der Tätigkeit von Personen, die unter ausländischem Einfluss stehen'). 'Ausländische Agenten' müssen sich laut § 7 des oben genannten Gesetzes in ein Register eintragen lassen. Die Entscheidung der Behörde über die Aufnahme ins Register kann gerichtlich angefochten werden (RF 28.12.2022). Mit der Eintragung als 'ausländischer Agent' gehen umfassende Kennzeichnungs‐ und Berichtspflichten sowie zahlreiche Einschränkungen einher (ÖB 30.6.2022). Gemäß § 330.1 des Strafgesetzbuches drohen bei Verstößen gegen diese Verpflichtungen u. a. Geld- oder Haftstrafen von bis zu fünf Jahren (RF 28.4.2023; vgl. EUAA 16.12.2022b). Die Gesetzgebung zu 'ausländischen Agenten' wird immer extensiver angewendet (AA 28.9.2022) und trägt zur Selbstzensur bei (FH 18.10.2022).

Die gesamte Internet-Kommunikation wird von der Regierung überwacht (USDOS 20.3.2023). Ende Februar 2022 sperrten die Behörden viele Nachrichtenwebseiten, darunter BBC, Deutsche Welle, Bellingcat, Meduza, Mediazona und Radio Free Europe/Radio Liberty (FH 18.10.2022). Soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter wurden ebenfalls gesperrt. Der Facebook-Konzern Meta wurde als extremistische Organisation eingestuft (SWP 19.4.2022). Die Anti-Extremismus-Gesetzgebung wird häufig dazu verwendet, die Meinungsfreiheit zu beschränken (UN-HRC 1.12.2022). Über verschiedene Online-Plattformen, welche sich beispielsweise weigerten, bestimmte Inhalte zu entfernen, verhängte die russische Regierung sehr hohe Geldstrafen. Webseiteneigentümer sind berechtigt, Entscheidungen gerichtlich anzufechten. Dafür sind aber oft nur kurze Zeiträume vorgesehen (FH 18.10.2022).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2023 von Reporter ohne Grenzen rangiert Russland gegenwärtig auf Platz 164 von 180 Staaten/Gebietseinheiten. Russland befindet sich zwischen Bangladesch und der Türkei und verschlechterte sich um neun Plätze gegenüber der Reihung des Vorjahres (RWB o.D.).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (4.2023): РОССИЙСКАЯ ФЕДЕРАЦИЯ: ТЁМНЫЕ ВРЕМЕНА ДЛЯ ПРАВ ЧЕЛОВЕКА - ПРЕДСТАВЛЕНИЕ НА 44-Й СЕССИИ РАБОЧЕЙ ГРУППЫ ПО УПО, 13 НОЯБРЯ 2023 [Russische Föderation: Dunkle Zeiten für Menschenrechte - Präsentation auf der 44. Sitzung der UPR-Arbeitsgruppe, 13. November 2023], https://eurasia.amnesty.org/wp-content/uploads/2023/04/upr44-submission-russian-federation-ru-clean.pdf, Zugriff 22.5.2023

AI – Amnesty International (28.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089408.html, Zugriff 17.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EEAS – European External Action Service (19.4.2022): EU ANNUAL REPORT ON HUMAN RIGHTS AND DEMOCRACY IN THE WORLD 2021 COUNTRY UPDATES, https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2021%20EU%20Annual%20Human%20Rights%20and%20Democracy%20Country%20Report.pdf, Zugriff 22.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

FCDO – Foreign, Commonwealth Development Office [Vereinigtes Königreich] (12.2022): Human Rights Democracy: The 2021 Foreign, Commonwealth Development Office Report, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1130821/human-rights-and-democracy-2021-foreign-commonwealth-development-office-report.pdf, Zugriff 22.5.2023

FH – Freedom House (18.10.2022): Freedom on the Net 2022 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2081821.html, Zugriff 22.5.2023

FNSF – Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit / Sergej Parchomenko (11.2022): Impulspapier: Russlands unabhängiger Journalismus - Der harte Überlebenskampf unter totalitären Repressionsmaßnahmen, https://shop.freiheit.org/download/P2@1350/660666/2022_Impulspapier_Parkhomenko_web_final.pdf, Zugriff 22.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023): "Уголовный кодекс Российской Федерации" от 13.06.1996 N 63-ФЗ (ред. от 28.04.2023) ['Strafgesetzbuch der Russischen Föderation' vom 13.06.1996 N 63-ФЗ (idF vom 28.4.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.12.2022): Федеральный закон "О контроле за деятельностью лиц, находящихся под иностранным влиянием" от 14.07.2022 N 255-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Überwachung der Tätigkeit von Personen, die unter ausländischem Einfluss stehen' vom 14.07.2022 N 255-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_421788/, Zugriff 22.5.2023

RWB – Reporters Without Borders (o.D.): World Press Freedom Index 2023, https://rsf.org/en/index, Zugriff 22.5.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sabine Fischer (19.4.2022): Russland auf dem Weg in die Diktatur (SWP-Aktuell, Nr. 31), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A31_Russland_Diktatur.pdf, Zugriff 22.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

Haftbedingungen

Letzte Änderung: 29.06.2023

Straftäter werden entweder in sogenannten Ansiedlungskolonien (ähnelt dem freien Vollzug), Erziehungskolonien, Besserungsheileinrichtungen, Strafkolonien mit allgemeinem, strengem oder besonderem Regime (hier sitzt der überwiegende Anteil der Inhaftierten ein), oder in einem Gefängnis untergebracht (AA 28.9.2022). Das Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) des Europarats stattete in der Vergangenheit der Russischen Föderation regelmäßig Besuche ab (Europarat 6.10.2021). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Die Behörden gestatten Vertretern öffentlicher Aufsichtskommissionen, Gefängnisse regelmäßig zu besuchen, um die Haftbedingungen zu überwachen. Es gibt in fast allen Regionen öffentliche Aufsichtskommissionen. Menschenrechtsaktivisten äußern sich besorgt darüber, dass einige Kommissionsmitglieder behördennahe Personen sowie Personen mit Erfahrung im Gesetzesvollzug sind. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben haben Mitglieder von Aufsichtskommissionen das Recht, Insassen in Haftanstalten und Gefängnissen mit ihrer schriftlichen Genehmigung auf Video aufzunehmen und zu fotografieren. Kommissionsmitglieder dürfen außerdem Luftproben sammeln, andere Umweltinspektionen sowie auch Sicherheitsbewertungen durchführen und psychiatrische Einrichtungen in Gefängnissen betreten. Gefangene dürfen Beschwerden bei öffentlichen Aufsichtskommissionen oder beim Büro der Ombudsperson für Menschenrechte einreichen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird diese Möglichkeit aber oft nicht genutzt. Laut Aktivisten riskieren nur Gefangene, die glauben, keine andere Option zu haben, die Folgen einer Beschwerde. Beschwerden, welche bei den Aufsichtskommissionen eingehen, konzentrieren sich häufig auf kleinere persönliche Anliegen (USDOS 20.3.2023).

Die Haftbedingungen entsprechen zum Teil nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. Die Probleme in den Haftanstalten reichen von Misshandlungen, fehlenden Resozialisierungsmaßnahmen bis hin zu mangelnder medizinischer Versorgung (ÖB 30.6.2022) und Nahrungsmittelknappheit (USDOS 20.3.2023). In Haftanstalten kommt es zu Folter (UN-HRC 1.12.2022; vgl. AI 4.2023). Die dafür Verantwortlichen werden selten strafrechtlich verfolgt (AI 28.3.2023). Es kommt vor, dass Journalisten und Aktivisten, die über Folter in Gefängnissen berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 20.3.2023). Die Behörden verbieten Inhaftierten, insbesondere Andersdenkenden, häufig den Kontakt zur Außenwelt oder verlegen sie willkürlich in Strafzellen, um Druck auf sie auszuüben (AI 28.3.2023). Für politische Gefangene gestalten sich die Haftbedingungen gemäß Berichten besonders hart. Sie sind zusätzlichen Strafmaßnahmen ausgesetzt, beispielsweise Verbringung in Einzelhaft oder in die Psychiatrie. Mit Stand Dezember 2022 gab es laut der Menschenrechtsorganisation Memorial 488 politische Gefangene im Land. Gemäß Memorial ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (USDOS 20.3.2023). Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in russischen Haftanstalten entsprechen vielfach nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Inhaftierten erfolgt regelmäßig in Schlafsälen. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich und reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis hin zu solchen, die laut NGOs als 'Folterkolonien' berüchtigt sind. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind besser als in den Strafkolonien. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer verlängerten Gerichte die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 28.9.2022).

Für Haftanstalten verantwortlich ist das Justizministerium. Mit Stand 1.1.2023 gab es in Russland insgesamt 433.006 Inhaftierte. 25,5 % der Inhaftierten sind Untersuchungshäftlinge, 8,9 % der Inhaftierten sind weiblich, und 0,2 % der Inhaftierten sind minderjährig. In Summe gibt es 872 Haftanstalten, davon 204 Untersuchungshaftanstalten, 642 Strafkolonien, 8 Gefängnisse und 18 Jugendkolonien. Die offizielle Kapazität des Gefängnissystems beträgt 714.253 Haftinsassen. Die Auslastung betrug mit Stand 31.1.2021 67 %. Während die Gesamtanzahl der Inhaftierten im Jahr 2000 1.060.404 betrug, waren es im Jahr 2020 523.928 Inhaftierte (WPB o.D.). Es gibt Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen zu verhängen, um die Anzahl der Gefängnisinsassen zu verringern (AA 28.9.2022). 2022 begannen die Wagner-Gruppe sowie das Verteidigungsministerium Inhaftierte für den Ukraine-Krieg anzuwerben (ISW 11.5.2023; vgl. MT 3.5.2023). Die Wagner-Gruppe ist ein privates Militärunternehmen (ZDF 4.5.2023).

Laut Berichten des 'Komitees Ziviler Beistand' müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern erklärt, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. Laut dem 'Komitee zur Verhinderung von Folter' gibt es hingegen keine gezielte staatliche Diskriminierung. Es ist flächendeckend sichergestellt, dass muslimische Strafgefangene Zugang zu Gebetsräumen und Imamen haben. Allerdings werden außer medizinisch indizierten Ernährungsvorgaben keine Speisevorgaben religiöser oder sonstiger Art beachtet. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen im Nordkaukasus besser als in den anderen Teilen Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien meist als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an welchen die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien in der Regel eher günstig auswirken, da sie zudem auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

AI – Amnesty International (4.2023): РОССИЙСКАЯ ФЕДЕРАЦИЯ: ТЁМНЫЕ ВРЕМЕНА ДЛЯ ПРАВ ЧЕЛОВЕКА - ПРЕДСТАВЛЕНИЕ НА 44-Й СЕССИИ РАБОЧЕЙ ГРУППЫ ПО УПО, 13 НОЯБРЯ 2023 [Russische Föderation: Dunkle Zeiten für Menschenrechte - Präsentation auf der 44. Sitzung der UPR-Arbeitsgruppe, 13. November 2023], https://eurasia.amnesty.org/wp-content/uploads/2023/04/upr44-submission-russian-federation-ru-clean.pdf, Zugriff 22.5.2023

AI – Amnesty International (28.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; Russland 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089408.html, Zugriff 17.5.2023

Europarat (16.3.2022): Presseraum: Russische Föderation wird aus dem Europarat ausgeschlossen, https://www.coe.int/de/web/portal/-/the-russian-federation-is-excluded-from-the-council-of-europe, Zugriff 16.5.2023

Europarat / European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) (6.10.2021): Council of Europe anti-torture Committee carries out a 15-day visit to the Russian Federation, https://www.coe.int/en/web/cpt/-/council-of-europe-anti-torture-committee-carries-out-a-15-day-visit-to-the-russian-federation, Zugriff 23.5.2023

ISW – Institute for the Study of War (11.5.2023): Russian Offensive Campaign Assessment, https://www.understandingwar.org/sites/default/files/May%2011%20Russian%20Offensive%20Campaign%20Assessment%20PDF.pdf, Zugriff 23.5.2023

MT – Moscow Times, The (3.5.2023): Министерство обороны гребет заключенных на фронт без разбора [Verteidigungsministerium schaufelt Inhaftierte wahllos an die Front], https://www.moscowtimes.ru/2023/05/03/ministerstvo-oboroni-grebet-zaklyuchennih-na-front-bez-razbora-a42007, Zugriff 23.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

WPB – World Prison Brief / Institute for Crime Justice Policy Research, Birkbeck, University of London (o.D.): World Prison Brief data: Russian Federation - Overview, https://www.prisonstudies.org/country/russian-federation, Zugriff 23.5.2023

ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen (4.5.2023): Motivation privater Kampfgruppen: Der Machtkampf unter Russlands Söldnergruppen, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/machtkampf-soeldnergruppen-ukraine-krieg-russland-100.html, Zugriff 23.5.2023

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 29.06.2023

Die Bevölkerung des Landes weist eine religiöse Vielfalt auf. Ca. 68 % sind russisch-orthodox, 7 % Muslime, und 25 % gehören unter anderem folgenden Gemeinschaften an: Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Judentum, Bahai usw. (USCIRF 4.2022). Gemäß einer Umfrage des Lewada-Zentrums von April 2023 bekennen sich 72 % der Befragten zur Orthodoxie, 7 % zum Islam, 13 % zu keiner Religion, 5 % zum Atheismus und ca. 3 % zu anderen Glaubensrichtungen - vor allem Katholiken, Protestanten und Buddhisten (LZ 16.5.2023). Verlässliche Zahlen zu den Mitgliedern bzw. Anhängern einzelner Gemeinschaften gibt es nicht, da ein System der Mitgliederregistrierung fehlt (MR 2022).

Artikel 28 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Religiöse Überzeugungen dürfen frei verbreitet werden. Gemäß Artikel 29 der Verfassung ist das Schüren von religiösem Hass verboten. Laut Verfassungsartikel 14 ist die Russische Föderation ein säkularer (weltlicher) Staat, und es gibt keine Staatsreligion. Staat und Religion sind laut Verfassung voneinander getrennt (Duma 6.10.2022). Gemäß § 3 des Gesetzes 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' darf die Gewissens- und Glaubensfreiheit nur aus folgenden Gründen eingeschränkt werden: zum Schutz der Verfassung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und der gesetzlichen Interessen der Menschen und zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit. Gemäß § 9 sind zur Gründung einer örtlichen religiösen Organisation mindestens zehn erwachsene Staatsbürger notwendig. Zentralisierte religiöse Organisationen bestehen aus mindestens drei örtlichen religiösen Organisationen. Laut § 11 unterliegen religiöse Organisationen einer staatlichen Registrierung. Die Verweigerung der staatlichen Registrierung einer religiösen Organisation kann gerichtlich angefochten werden (§ 12). Religiöse Vereinigungen können aufgelöst werden, wenn sie extremistisch tätig sind (§ 14 des Föderalen Gesetzes 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen') (RF 29.12.2022c). Die Anti-Extremismus-Gesetzgebung wird in Russland überschießend angewandt (UN-HRC 1.12.2022) und wegen ihrer vagen Formulierungen kritisiert, welche breite Interpretationen sowie eine missbräuchliche Anwendung erlauben (EUAA 16.12.2022b). Beschwerden über den Umgang der Regierung mit dem Thema Religionsfreiheit nimmt die Ombudsperson entgegen (USDOS 15.5.2023).

Die Religionsfreiheit ist in Russland eingeschränkt (UN-HRC 1.12.2022). Behörden missbrauchen die Anti-Terrorismus- und Anti-Extremismus-Gesetzgebung, um friedliche religiöse Gruppen als terroristisch, extremistisch und unerwünscht einzustufen. Zu den betroffenen Gruppen gehören Zeugen Jehovas, vier protestantische Gruppen aus Lettland und der Ukraine, ein regionaler Zweig von Falun Gong sowie sieben mit Falun Gong verbundene NGOs. Solchen Gruppen ist die Religionsausübung verboten, und sie sind mit langen Haftstrafen, harten Haftbedingungen, Hausarrest, Razzien, Diskriminierung und Schikanierungen konfrontiert (USDOS 20.3.2023). Viele Muslime wurden in den letzten Jahren wegen ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu verbotenen islamistischen Gruppen inhaftiert (FH 2023). Mindestens 20 angebliche Mitglieder von Hizb-ut-Tahrir wurden im Jahr 2022 im Rahmen politisch motivierter Gerichtsverfahren zu Haftstrafen von 11-18 Jahren verurteilt. Die Bewegung Hizb-ut-Tahrir strebt die Gründung eines Kalifats an, lehnt aber Gewaltanwendung zur Erreichung dieses Ziels ab. Hizb-ut-Tahrir wurde im Jahr 2003 in Russland als terroristische Organisation verboten (HRW 12.1.2023). Zahlreiche Haftstrafen erhielten friedliche Anhänger des gemäßigten muslimischen Theologen Said Nursi sowie der Missionsgruppe Tablighi Jamaat (USCIRF 4.2022; vgl. USCIRF 5.2023). Die Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als stabilitätsbedrohend (USCIRF 4.2022). Mit Stand Dezember 2022 gab es laut der Menschenrechtsorganisation Memorial 488 politische Gefangene im Land, darunter 370 Personen, welche ungerechtfertigt wegen ihrer Religionsausübung inhaftiert sind. Gemäß Memorial ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (USDOS 20.3.2023).

Religiöse Minderheiten sind Diskriminierung ausgesetzt (Sowa-Zentr 24.3.2023; vgl. EEAS 19.4.2022). Orthodoxie, Islam, Judentum und Buddhismus sind als sogenannte traditionelle Religionen anerkannt (MR 2022). Das Föderale Gesetz 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' räumt dem orthodoxen Christentum eine besondere Rolle ein (RF 29.12.2022c). Die russisch-orthodoxe Kirche genießt Privilegien (FH 2023; vgl. BS 2022) und arbeitet im innen- und außenpolitischen Bereich eng mit der Regierung zusammen (FH 2023; vgl. RAD 17.10.2022). Indigene Religionen wurden durch staatliche Programme unter einen gewissen Schutz gestellt. Sie sind jedoch, obwohl seit langer Zeit in Russland verwurzelt, nicht als traditionelle Religionen anerkannt. Ein Beispiel für eine indigene Religion stellt der Schamanismus dar. Die sogenannten traditionellen Religionen haben gesetzlich das Recht, an staatlichen Schulen Religionsunterricht anzubieten. Andere Religionsgemeinschaften dürfen an staatlichen Schulen nicht auftreten (MR 2022). Innerhalb der Politik nimmt Antisemitismus zu (USDOS 2.6.2022; vgl. USCIRF 5.2023). Die Massenmedien bedienen sich antisemitischer Rhetorik (USDOS 15.5.2023). Nach Angaben der israelischen Regierung emigrierten im Jahr 2022 43.685 Personen von Russland nach Israel (TOI 11.1.2023). Vergleichsweise waren im gesamten Jahr 2019 15.930 Russen nach Israel ausgewandert (Reuters 18.8.2022).

Die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche hat, mit verschiedenen Nuancen und Dynamiken, Russlands militärisches Handeln in der Ukraine seit dem 24.2.2022 unverändert unterstützt (Russland-Analysen 23.2.2023). Religiöse Führer werden von der Regierung teils unter Druck gesetzt, um als Unterstützer des Krieges gegen die Ukraine aufzutreten (Forum 18 2.8.2022; vgl. FH 2023).

Quellen:

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EEAS – European External Action Service (19.4.2022): EU ANNUAL REPORT ON HUMAN RIGHTS AND DEMOCRACY IN THE WORLD 2021 COUNTRY UPDATES, https://www.eeas.europa.eu/sites/default/files/documents/2021%20EU%20Annual%20Human%20Rights%20and%20Democracy%20Country%20Report.pdf, Zugriff 22.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (16.12.2022b): The Russian Federation – Political opposition, https://euaa.europa.eu/sites/default/files/publications/2022-12/2022_EUAA_COI_Report_Russian_Federation_Political_Opposition.pdf, Zugriff 19.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

Forum 18 (2.8.2022): RUSSIA: Government pressure on religious leaders to support Ukraine war, https://www.forum18.org/archive.php?article_id=2763, Zugriff 2.6.2023

HRW – Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085489.html, Zugriff 22.5.2023

LZ – Lewada-Zentr [Lewada-Zentrum] (16.5.2023): Религиозные представления [Religiöse Vorstellungen], https://www.levada.ru/2023/05/16/religioznye-predstavleniya-2/, Zugriff 2.6.2023

MR – Missio/Renovabis / Regina Elsner (2022): Länderberichte Religionsfreiheit (55): Russland, https://www.missio-hilft.de/missio/informieren/wofuer-wir-uns-einsetzen/religionsfreiheit-menschenrechte/laenderberichte-religionsfreiheit/laenderbericht-055-russland.pdf, Zugriff 2.6.2023

RAD – Russian Analytical Digest (Nr. 286) / Regina Elsner (17.10.2022): Ideological Pillow and Strategic Partner: The Russian Orthodox Church and the War, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD286.pdf, Zugriff 2.6.2023

Reuters (18.8.2022): Russian Jews head for Israel as Kremlin targets emigration group, https://www.reuters.com/world/russian-jews-head-israel-kremlin-targets-emigration-group-2022-08-18/, Zugriff 2.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (29.12.2022c): Федеральный закон "О свободе совести и о религиозных объединениях" от 26.09.1997 N 125-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' vom 26.09.1997 N 125-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_16218/, Zugriff 2.6.2023

Russland-Analysen (Nr. 432) / Regina Elsner (23.2.2023): Der Krieg und die Kirchen, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/432/RusslandAnalysen432.pdf, Zugriff 2.6.2023

Sowa-Zentr [Sowa-Zentrum] (24.3.2023): Проблемы реализации свободы совести в России в 2022 году [Probleme bei der Umsetzung der Gewissensfreiheit in Russland im Jahr 2022], https://www.sova-center.ru/religion/publications/2023/03/d47883/, Zugriff 2.6.2023

TOI – Times of Israel, The (11.1.2023): Russian Jewish population down sharply since 2010, pre-Ukraine war census indicates, https://www.timesofisrael.com/russian-jewish-population-down-sharply-in-last-decade-pre-ukraine-war-census-shows/, Zugriff 2.6.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (5.2023): Annual Report 2023: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2092540/Russia.pdf, Zugriff 2.6.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): Annual Report 2022: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071908/2022+Russia.pdf, Zugriff 31.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091893.html, Zugriff 2.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073962.html, Zugriff 2.6.2023

Tschetschenien

Artikel 25 der Verfassung der Republik Tschetschenien garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Gemäß Artikel 26 ist Propaganda zur Entfachung von religiösem Hass nicht gestattet. Der Verfassungsartikel 11 definiert Tschetschenien als einen säkularen (weltlichen) Staat und spricht sich gegen eine Staatsreligion aus. Staat und religiöse Vereinigungen sind voneinander getrennt (RT 23.3.2003).

Die Hauptreligionsrichtung in Tschetschenien ist der sunnitische Islam (PPTR o.D.). Seit dem späten 18. Jahrhundert blüht in Tschetschenien der Sufismus, eine von großer Vielfalt gekennzeichnete Bewegung des islamischen Mystizismus (USCIRF 10.2021). Heute identifizieren sich die meisten tschetschenischen Muslime mit dem Sufismus (USCIRF 10.2021; vgl. PPTR o.D.). Das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow hat eine zentralisierte Staatsreligion begründet, welche mit der Unterstützung Moskaus gewaltsam gegen religiöse Minderheiten sowie Kritiker des Kadyrow-Regimes vorgeht. Kadyrow lehnt jede Form von Islam ab, die nicht mit seinem Sufismus-Modell im Einklang steht. Die in Tschetschenien vorherrschende Islam-Interpretation wird stark vom tschetschenischen Gewohnheitsrecht (Adat) beeinflusst (USCIRF 10.2021). Zu den existierenden säkularen (weltlichen) Gesetzen fügt die tschetschenische Führung religiöse Normen hinzu (BS 2022). Die von Kadyrow aufgezwungene offizielle Islam-Version gibt vor, den örtlichen Glauben und die örtliche Kultur zu verteidigen sowie gewalttätigen Extremismus zu bekämpfen. Kadyrow billigt, beruhend auf seinen religiösen Ansichten, schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Frauen, sexuelle Minderheiten usw. (USCIRF 4.2022). Die tschetschenischen Behörden gehen gegen friedliche muslimische Geistliche vor, welche die Einmischung des Regimes in ihre religiösen Angelegenheiten ablehnen (USCIRF 10.2021).

Das Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige ist von Menschenrechts- und Rechtsstaatswidrigkeit gekennzeichnet. Die Bekämpfung von Extremisten geht laut NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, Verschwindenlassen, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in welchen gefoltert wird, einher (AA 28.9.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsbehörden werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

PPTR – Postojannoe predstawitelstwo Tschetschenskoj Respubliki pri presidente Rossijskoj Federazii [Ständige Vertretung der Tschetschenischen Republik beim Präsidenten der Russischen Föderation] [Russland] (o.D.): Общество и религия [Gesellschaft und Religion], http://ppchr.ru/%d0%be%d0%b1%d1%89%d0%b5%d1%81%d1%82%d0%b2%d0%be-%d0%b8-%d1%80%d0%b5%d0%bb%d0%b8%d0%b3%d0%b8%d1%8f/, Zugriff 6.3.2023 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden und verfügbar]

RT – Republik Tschetschenien [Russland] (23.3.2003): Конституция Чеченской Республики (принята 23 марта 2003 г.) (с изменениями и дополнениями) [Verfassung der Republik Tschetschenien (verabschiedet am 23. März 2003) (mit Änderungen und Ergänzungen)], https://constitution.garant.ru/region/cons_chech/, Zugriff 2.6.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2022): Annual Report 2022: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071908/2022+Russia.pdf, Zugriff 31.5.2023

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (10.2021): Issue Update Russia: Religious Freedom Violations in the Republic of Chechnya, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069579/2021+Chechnya+Issue+Update.pdf, Zugriff 31.5.2023

Ethnische Minderheiten

Letzte Änderung: 30.06.2023

Artikel 19 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert für alle ethnischen Gruppen gleiche Rechte und Freiheiten. Die Staatssprache der Russischen Föderation ist Russisch. Die einzelnen Republiken sind berechtigt, ihre eigenen Staatssprachen festzulegen, wobei als Behördensprache parallel das Russische gilt (Art. 68 der Verfassung) (Duma 6.10.2022). Das UN-Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung wurde von Russland im Jahr 1969 ratifiziert (UN-OHCHR o.D.). Der Vielvölkerstaat Russland umfasst mehr als 190 ethnische Minderheiten (MT 30.1.2023). In etwa 81 % der Bevölkerung sind ethnische Russen (AA 28.9.2022).

Fremdenfeindlichkeit ist weitverbreitet und richtet sich vor allem gegen Arbeitsmigranten aus dem Südkaukasus und Zentralasien sowie gegen Studierende aus Afrika (BS 2022; vgl. ÖB 30.6.2022). Es kommt zu Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten (USDOS 20.3.2023). 'Racial Profiling' ist bei polizeilichen Personenkontrollen verbreitet. Der Kontrolldruck der Sicherheitsbehörden gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. NGOs berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei bei Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen. Letztere finden vor allem in Tschetschenien auch ohne Durchsuchungsbefehle statt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden Ausländer und Personen fremdländischen Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden. Ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 28.9.2022). In vielen Fällen werden ethnische Minderheiten aus dem Nordkaukasus und dem Fernen Osten von russischen Behördenvertretern diskriminiert (BS 2022). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 2023). Im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt werden Mitglieder ethnischer Gruppen, insbesondere Nordkaukasier, systematisch diskriminiert. Beispielsweise ist es Bürgern aus dieser Region verboten, auf öffentlichen Märkten in Moskau tätig zu sein (BS 2022).

In Russland sind 47 kleine indigene ethnische Minderheitengruppen offiziell anerkannt (MT 30.1.2023). Gemäß Berichten kommt es zu Verletzungen der Rechte indigener Völker. Diese haben bei Industrieprojekten unzureichende Mitspracherechte hinsichtlich ihrer Ressourcen und Land und Boden (UN-HRC 1.12.2022; vgl. FA 9.12.2022). Der UN-Menschenrechtsausschuss zeigt sich besorgt über die Auflösung des 'Zentrums zur Unterstützung indigener Völker des Nordens'. Indigene Menschenrechtsverteidiger sind Schikanen ausgesetzt (UN-HRC 1.12.2022). Spirituelle indigene Führer werden vermehrt juristisch verfolgt (GFBV 15.12.2022). 2023 wurden die staatlichen Subventionen zur Förderung kleiner indigener Minderheiten gekürzt (WI 30.1.2023).

Ethnische Minderheiten aus dem Süden und Osten des Landes sowie ärmere Bevölkerungsgruppen finden sich in überproportionaler Zahl unter den in der Ukraine gefallenen Soldaten der russischen Armee (SWP 7.11.2022; vgl. FP 23.9.2022, Russland-Analysen 21.12.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

FA – Foreign Affairs (9.12.2022): Putin’s War and the Dangers of Russian Disintegration, https://www.foreignaffairs.com/russian-federation/putins-war-and-dangers-russian-disintegration, Zugriff 16.5.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

FP – Foreign Policy (23.9.2022): Russia Is Sending Its Ethnic Minorities to the Meat Grinder, https://foreignpolicy.com/2022/09/23/russia-partial-military-mobilization-ethnic-minorities/, Zugriff 16.5.2023

GFBV – Gesellschaft für bedrohte Völker (15.12.2022): Repression in Russland. Indigener Schamane Sergej Kechimov erneut verurteilt, https://www.gfbv.de/de/news/repression-in-russland-10915/, Zugriff 16.5.2023

MT – Moscow Times, The (30.1.2023): Population Decline in Russia's Small Indigenous Groups Continues – Report, https://www.themoscowtimes.com/2023/01/30/population-decline-in-russias-small-indigenous-groups-continues-report-a80089, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

Russland-Analysen (Nr. 429) / Alexej Bessudnow (21.12.2022): Sterblichkeit russischer Soldaten in der Ukraine: Sterben Angehörige ethnischer Minderheiten wirklich häufiger?, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/429/RusslandAnalysen429.pdf, Zugriff 16.5.2023

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik / Sebastian Hoppe (7.11.2022): Russlands Regionen und der Krieg gegen die Ukraine (SWP-Aktuell, Nr. 70), https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A70_RusslandsRegionen.pdf, Zugriff 16.5.2023

UN-HRC – United Nations Human Rights Committee (1.12.2022): International Covenant on Civil and Political Rights - Concluding observations on the eighth periodic report of the Russian Federation (CCPR/C/RUS/CO/8), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083107/G2258965.pdf, Zugriff 16.5.2023

UN-OHCHR – United Nations Office of the High Commissioner for Human Rights (o.D.): Russian Federation: Status of Ratification – Interactive Dashboard, https://indicators.ohchr.org/, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

WI – Waschnye istorii [Wichtige Geschichten] (30.1.2023): Народы на грани исчезновения [Völker an der Schwelle zum Verschwinden], https://istories.media/stories/2023/01/30/narodi-na-grani-ischeznoveniya/, Zugriff 16.5.2023

Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Letzte Änderung: 04.07.2023

Gemäß Artikel 27 der Verfassung der Russischen Föderation haben alle Personen, welche sich rechtmäßig auf dem Territorium der Russischen Föderation aufhalten, das Recht auf Bewegungsfreiheit sowie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts. Alle Personen sind laut der Verfassung berechtigt, aus der Russischen Föderation auszureisen. Bürger der Russischen Föderation haben das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren. Gemäß Artikel 61 der Verfassung dürfen Bürger der Russischen Föderation nicht aus der Russischen Föderation ausgewiesen werden (Duma 6.10.2022). Gemäß § 1 des Gesetzes 'Über das Recht der Bürger auf Bewegungsfreiheit' sind Einschränkungen des Rechts auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts nur auf gesetzlicher Grundlage möglich. Gemäß § 8 kann dieses Recht unter anderem dann eingeschränkt werden, wenn in den betreffenden Regionen der Ausnahmezustand oder das Kriegsrecht herrscht. Entscheidungen in Bezug auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes können von den Bürgern gerichtlich angefochten werden (§ 9) (RF 27.1.2023).

Gemäß § 15 des Gesetzes ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' darf das Recht der Staatsbürger auf Ausreise aus der Russischen Föderation vorübergehend beschränkt werden. Von solchen Beschränkungen sind Personen betroffen, die zum Wehrdienst einberufen oder zum Wehrersatzdienst entsandt wurden (bis zur Beendigung des Wehrdiensts oder Wehrersatzdiensts); Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder unter Anklage stehen; Personen, die wegen Begehung einer Straftat verurteilt wurden (bis die Strafe verbüßt oder eine Strafbefreiung eingetreten ist); Personen, die gegen gerichtlich auferlegte Verpflichtungen verstoßen; Mitarbeiter des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB); sowie Personen, die zahlungsunfähig bzw. insolvent sind (RF 14.4.2023). Bürger, welche im Militärregister aufscheinen, dürfen ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (§ 21 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Die Regierung beschränkt Auslandsreisen ihrer Mitarbeiter, darunter Generalstaatsanwaltschaft, Innen- und Verteidigungsministerium usw. (USDOS 20.3.2023; vgl. Bell 7.4.2023). Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden entsprechen in der Regel internationalem Standard (AA 28.9.2022). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 28.9.2022).

Auf Grundlage eines EU-Ratsbeschlusses ist seit 12.9.2022 das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt. Dies bedeutet nun unter anderem höhere Gebühren für einen Visumsantrag, Vorlage zusätzlicher Dokumente und längere Bearbeitungszeiten für Visa (Rat 12.5.2023). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen, diese gelten für ca. 900 russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Weitere Länder (die baltischen Staaten, Tschechien, Niederlande) haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).

Meldewesen

Die Bürger der Russischen Föderation sind verpflichtet, ihren Aufenthalts- und Wohnort innerhalb des Landes registrieren zu lassen. Die Registrierung ist kostenlos (§ 3) (RF 27.1.2023). Die örtlichen Stellen des Innenministeriums sind gemäß § 4 die Meldebehörden (RF 27.1.2023; vgl. AA 28.9.2022). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung des Vermieters und werden damit vorläufig ohne Eintragung im Inlandspass registriert (AA 28.9.2022). Das staatliche Melderegister der Russischen Föderation ist nicht öffentlich zugänglich. Informationen werden natürlichen und nicht staatlichen juristischen Personen auf deren Anfrage nur bei Vorhandensein der Zustimmung derjenigen Person, deren Daten angefragt werden, erteilt; staatlichen Organen, soweit dies zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist (ÖB 1.2.2023).

Die Registrierung des Aufenthaltsortes hat binnen 90 Tagen nach Wohnungsnahme zu erfolgen. Von der Registrierung des Aufenthaltsortes bleibt die Wohnsitzregistrierung unberührt. Aufenthalte bis zu einer Dauer von 90 Tagen bedürfen keiner Registrierung (§ 5 des Gesetzes 'Über das Recht der Bürger auf Bewegungsfreiheit'). Beispiele für Aufenthaltsorte sind Hotels, Sanatorien, Campingplätze, medizinische Einrichtungen, Haftanstalten usw. (§ 2) (RF 27.1.2023). Die Aufenthaltsregistrierung (temporäre Registrierung) wird durch eine Bescheinigung in elektronischer oder in Papierform bestätigt (Gosuslugi o.D.). Temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notfallversorgung (ÖB 30.6.2022).

Bürger, welche ihren Wohnort wechseln, haben binnen sieben Tagen nach Wohnungsnahme die Registrierung zu veranlassen. Dabei ist ein Pass oder ein anderes Identitätsdokument vorzulegen. Anträge können auch elektronisch eingebracht werden, beispielsweise über das Portal Gosuslugi. Die Meldebehörde hat spätestens drei Tage nach Antragstellung die Registrierung vorzunehmen (§ 6) (RF 27.1.2023). Die Wohnsitzregistrierung (Propiska) wird im Pass vermerkt. Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren erhalten eine Registrierungsbescheinigung (Gosuslugi o.D.). Eine permanente Registrierung ist Voraussetzung für stationäre medizinische Versorgung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Pensionszahlungen (ÖB 30.6.2022).

Kaukasus

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile Russlands reisen (AA 28.9.2022). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Bell, The (7.4.2023): Мишустин закрыл свободный выезд из страны высокопоставленным чиновникам правительства. В Кремле таких ограничений нет [Mischustin schob freier Ausreise aus dem Land den Riegel vor - davon betroffen hohe Regierungsbeamte. Im Kreml gibt es solche Einschränkungen nicht], https://thebell.global.ssl.fastly.net/mishustin-zakryl-svobodnyy-vyezd-iz-strany-vysokopostavlennym-chinovnikam-pravitelstva-v-kremle-takikh-ogranicheniy-net, Zugriff 5.6.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

DW – Deutsche Welle (22.8.2022): Folgen des Ukraine-Kriegs: Keine EU-Visa mehr für russische Touristen?, https://www.dw.com/de/keine-eu-visa-mehr-f%C3%BCr-russische-touristen/a-62890546, Zugriff 5.6.2023

FH – Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2088552.html, Zugriff 16.5.2023

Gosuslugi [Staatliche Dienstleistungen] [Russland] (o.D.): Как оформить прописку и временную регистрацию [Wie eine Propiska und eine temporäre Registrierung vorgenommen wird], https://www.gosuslugi.ru/help/faq/temporary_registration/2637, Zugriff 5.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (1.2.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

Rat – Europäischer Rat (12.5.2023): Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (14.4.2023): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/, Zugriff 16.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (27.1.2023): Закон РФ "О праве граждан Российской Федерации на свободу передвижения, выбор места пребывания и жительства в пределах Российской Федерации" от 25.06.1993 N 5242-1 (последняя редакция) [Gesetz der RF 'Über das Recht der Bürger der Russischen Föderation auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts innerhalb der Russischen Föderation' vom 25.06.1993 N 5242-1 (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_2255/, Zugriff 5.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (4.11.2022): Федеральный закон "О мобилизационной подготовке и мобилизации в Российской Федерации" от 26.02.1997 N 31-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung in der Russischen Föderation' vom 26.02.1997 N 31-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_13454/, Zugriff 5.6.2023

USDOS – US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2089062.html, Zugriff 16.5.2023

USDOS – US Department of State [USA] (2.8.2022): Imposing Additional Costs on Russia for Its Continued War Against Ukraine, https://www.state.gov/imposing-additional-costs-on-russia-for-its-continued-war-against-ukraine/, Zugriff 5.6.2023

Tschetschenen innerhalb und außerhalb der Russischen Föderation

Letzte Änderung: 04.07.2023

Die Bevölkerungszahl Tschetscheniens beträgt mit Stand 2023 in etwa 1,5 Millionen (FR o.D.). Laut Aussage des Republiksoberhaupts Kadyrow leben rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland (ÖB 30.6.2021). Zwischen Jänner und November 2022 reisten aus Tschetschenien um ca. 4.000 Personen mehr aus, als sich in Tschetschenien niedergelassen haben, ungefähr doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die Binnenmigration in der Republik Tschetschenien ist angestiegen. Die Anzahl derjenigen Tschetschenen, welche in andere Regionen Russlands reisen, ist merklich höher als die Anzahl der Rückkehrer (KR 15.2.2023). Die tschetschenische Diaspora ist in allen russischen Großstädten stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben). Sie treffen auf antikaukasische Stimmungen (AA 28.9.2022). Die Migration ins Ausland hat ebenfalls stark zugenommen (KR 15.2.2023). Im Jahr 2022 verließen 1.300 Bewohner Tschetscheniens die Russische Föderation, ein Anstieg um das Vierfache im Vergleich zum Jahr zuvor. Hauptziel der Ausreisen waren Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) (KR 1.3.2023). Die tschetschenische Diaspora in Europa zählt nach verschiedenen Einschätzungen zwischen 150.000 und 300.000 Personen. Eine der größten tschetschenischen Gemeinschaften Europas befindet sich in Frankreich, wo um die 60.000 Tschetschenen leben. In Deutschland, Österreich und Belgien leben nach offiziellen Angaben jeweils zwischen 30.000 und 45.000 Tschetschenen (KU 16.5.2023).

Die 'Ständige Vertretung Tschetscheniens beim russischen Präsidenten' vertritt laut Eigendarstellung die Interessen Tschetscheniens in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Kultur und humanitäre Zusammenarbeit. Außerdem pflegt die Ständige Vertretung Kontakte mit Organisationen der tschetschenischen Diaspora (SVTR o.D.a). Um Belange der tschetschenischen Diaspora kümmern sich beispielsweise folgende Organisationen: der Wiener Rat der Tschetschenen und Inguschen (ZO 29.4.2022), der Weltkongress des tschetschenischen Volks (PTR o.D.), die Vereinigung der Tschetschenen Europas (VTE o.D.) und die Versammlung der Tschetschenen Europas (ACE o.D.). Generalsekretär des Weltkongresses des tschetschenischen Volks ist das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow (PTR o.D.).

[zur Situation tschetschenischer Kritiker siehe das Kapitel Tschetschenien, Kritiker, Tschetschenienkrieg-Kämpfer]

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

ACE – The Assembly of Chechens of Europe (o.D.): О нас [Über uns], https://chechenassembly.com/%d0%be-%d0%bd%d0%b0%d1%81-2/, Zugriff 5.6.2023

FR – Föderationsrat [Russland] (o.D.): Энциклопедический справочник: ЧЕЧЕНСКАЯ РЕСПУБЛИКА [Enzyklopädisches Nachschlagewerk: Republik Tschetschenien], http://council.gov.ru/services/reference/10305/, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (1.3.2023): В 2022 году число уехавших из России уроженцев Чечни выросло в четыре раза [Im Jahr 2022 stieg die Anzahl der aus Russland ausreisenden Tschetschenen um das Vierfache], https://www.kavkazr.com/a/v-2022-godu-chislo-vyehavshih-iz-rossii-urozhentsev-chechni-vyroslo-v-chetyre-raza/32294724.html, Zugriff 5.6.2023

KR – Kawkas.Realii (15.2.2023): Миграция из республик Северного Кавказа в 2022 году выросла в три раза [Migration aus den nordkaukasischen Republiken des Nordkaukasus verdreifachte sich im Jahr 2022], https://www.kavkazr.com/a/migratsiya-iz-respublik-severnogo-kavkaza-v-2022-godu-vyrosla-v-tri-raza/32272738.html, Zugriff 5.6.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (16.5.2023): Убийства критиков Кадырова в странах Евросоюза [Ermordungen von Kadyrow-Kritikern in EU-Ländern], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/345591/, Zugriff 5.6.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2021): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2021 (Stand 30.6.2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2059888/RUSS_%C3%96B_Bericht_2021_06.docx, Zugriff 5.6.2023

PTR – Parlament der Tschetschenischen Republik [Russland] (o.D.): Всемирный конгресс чеченского народа - Генеральный Совет [Weltkongress des tschetschenischen Volks - Hauptrat], https://parlamentchr.ru/uncategorised/vsemirnyj-kongress-chechenskogo-naroda.html, Zugriff 5.6.2023

SVTR – Ständige Vertretung der Tschetschenischen Republik beim Präsidenten der Russischen Föderation [Russland] (o.D.a): Задачи [Aufgaben], http://ppchr.ru/%d0%b7%d0%b0%d0%b4%d0%b0%d1%87%d0%b8/, Zugriff 24.2.2023 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

VTE – Vereinigung der Tschetschenen Europas (o.D.): О нас [Über uns], https://ate-europe.eu/o-nas/, Zugriff 24.2.2023 [Webseite nicht mehr abrufbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

ZO – Zeit Online (29.4.2022): Das Déjà-vu von Grosny, https://www.zeit.de/2022/18/fluechtlingshilfe-oesterreich-tschetschenien/komplettansicht, Zugriff 5.6.2023

Grundversorgung und Wirtschaft

Wirtschaft

Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die EU mehrere Sanktionspakete angenommen, um die wirtschaftliche Basis Russlands zu schwächen. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse usw. (Rat 12.5.2023). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, Japan, die Schweiz und die restliche westliche Welt (WKO 3.2023). Der Krieg und die Sanktionen wirken sich auf Wirtschaftssektoren in Russland unterschiedlich aus. In Mitleidenschaft gezogen wurden der Industriesektor sowie der Binnenhandel. Hingegen zählt die Militärproduktion zu den Profiteuren der Sanktionen. Die Energiesanktionen ließen die Staatseinnahmen beträchtlich schrumpfen (WIIW o.D.). Die Wirtschaftssanktionen des Westens haben zu einem Braindrain und einer Kapitalflucht geführt (HF o.D.). Die Isolation Russlands zwingt verstärkt zu einer Eigenproduktion kritischer Waren, darunter Medikamente, Anlagen und Computertechnik (WKO 3.2023). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland ist derzeit schwierig (NDR/Tagesschau 2.8.2022; vgl. Watson 3.2.2023).

Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Amts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2023 gegenüber dem Vorjahr um 1,9 % gesunken (Interfax 17.5.2023). Die Inflation betrug im April 2023 nach Angaben von Rosstat 0,38 % (Interfax 12.5.2023). Um den starken Verfall des Rubels aufzuhalten, führte die Regierung strenge Devisenbeschränkungen sowie weitere einschränkende Maßnahmen zur Stabilisierung der russischen Währung und der Wirtschaft ein (WKO 3.2023). Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2022 14,9 % des Bruttoinlandsprodukts (WIIW o.D.).

Korruption ist weitverbreitet (BS 2022; vgl. HF o.D.). Eine Herausforderung für den Staat stellt die Schattenwirtschaft dar (BS 2022). Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte ist Russland vom Importeur zum größten Weizenexporteur der Welt aufgestiegen (ZOIS 9.3.2023). Die Wirtschaft ist wenig diversifiziert (BS 2022) und stark von Öl- und Gasexporten abhängig (HF o.D.). Russland gehört historisch zu den größten Erdölproduzenten weltweit. Exporte von Öl und Gas haben traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren ausgemacht. Es gelten Exportbeschränkungen für Holzwaren (WKO 3.2023). Um die sinkenden Exporte in die Europäische Union auszugleichen, handelt Russland verstärkt mit China, Indien und der Türkei (FT 19.8.2022).

Grundversorgung

Nach Angaben von Rosstat betrug im Jahr 2022 der Anteil der russischen Bevölkerung mit Einkommen unter der Armutsgrenze 10,5 %, das heißt 15,3 Millionen Personen (Rosstat 10.3.2023). Seit 2021 wird die Armutsgrenze neu berechnet. Die neue Berechnungsmethode wird als willkürliche Verschleierung der wahren Zustände kritisiert (AA 28.9.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (vor allem Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen 21.2.2020a). Die Wirkung von Regierungsprogrammen, die sich dem Kampf gegen Armut im ländlichen Raum widmen, ist begrenzt. In den größeren Städten Russlands ist eine beträchtliche Anzahl von Menschen obdachlos (BS 2022).

Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Im Jahr 2021 wurden mehr als 450 Trinkwasserversorgungseinrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen errichtet und modernisiert. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Bürger, welche mit hochwertigem Trinkwasser versorgt werden, auf 86 % (NPR o.D.a). Im Welthunger-Index 2022 belegt die Russische Föderation Platz 28 von 121 Ländern. Mit einem Wert von 6,4 fällt die Russische Föderation somit in die Schweregradkategorie niedrig. Weniger als 2,5 % der Bevölkerung sind gemäß dem Welthunger-Index unterernährt (WHI o.D.). Laut der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 12.2022).

Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 12.2022). Der Mindestlohn darf das Existenzminimum nicht unterschreiten (RN 16.1.2023). Das Existenzminimum wird per Verordnung bestimmt (AA 28.9.2022). Im Jahr 2023 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung RUB 15.669 [ca. EUR 184], für Kinder RUB 13.944 [ca. EUR 164] und für Pensionisten RUB 12.363 [ca. EUR 145] (Rosstat 10.1.2023). Die Höhe des monatlichen Mindestlohns beträgt für das Jahr 2023 RUB 16.242 [ca. EUR 191] (Duma 1.1.2023) und kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein. In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 23.508 [ca. EUR 276] (RN 16.1.2023). Die primäre Versorgungsquelle der russischen Bevölkerung bleibt ihr Einkommen (AA 28.9.2022). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im März 2023 3,5 % (Rosstat o.D.a). Die Arbeitslosenrate ist von Region zu Region verschieden (IOM 12.2022). Die versteckte Arbeitslosigkeit ist schwer einzuschätzen. Schwer am Arbeitsmarkt haben es ältere Arbeitnehmer. Besonders schwierig bis prekär ist die Lage für viele Migranten, welche überwiegend gering qualifiziert sind. Sie verdienen oft (wenn überhaupt) nur den Mindestlohn (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (1.1.2023): Каким будет МРОТ в 2023 году [Mindestlohn im Jahr 2023], http://duma.gov.ru/news/56138/, Zugriff 30.5.2023

FT – Financial Times (19.8.2022): Russia’s economy is staggering, but still on its feet, https://www.ft.com/content/eebc166b-0ab3-4a69-b61c-62908ee984e5, Zugriff 30.5.2023

HF – Heritage Foundation, The (o.D.): 2023 Index of Economic Freedom: Russia, https://www.heritage.org/index/country/russia, Zugriff 30.5.2023

Interfax (17.5.2023): Росстат оценил снижение ВВП РФ за I квартал в 1,9% в годовом выражении [Rosstat schätzt, dass BIP der RF im 1. Quartal um 1,9 % im Jahresvergleich sank], https://www.interfax.ru/business/901935, Zugriff 30.5.2023

Interfax (12.5.2023): Инфляция в РФ в апреле составила 0,38%, годовая замедлилась до 2,3% [Inflation in RF betrug im April 0,38 %, die jährliche Inflation verlangsamte sich auf 2,3 %], https://www.interfax.ru/business/901264, Zugriff 30.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

NDR/Tagesschau – Norddeutscher Rundfunk/Tagesschau (2.8.2022): Westliche Sanktionen und ihre Wirkung: Was über Russlands Wirtschaft bekannt ist, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/russlands-wirtschaft-daten-101.html, Zugriff 30.5.2023

NPR – Nazionalnye proekty Rossii [Nationale Projekte Russlands] [Russland] (o.D.a): Проекты/Жилье и городская среда/Инициативы: Чистая вода [Projekte/Unterkünfte und Städte/Initiativen: sauberes Wasser], https://национальныепроекты.рф/projects/zhile-i-gorodskaya-sreda/chistaya_voda, Zugriff 30.5.2023

Rat – Europäischer Rat (12.5.2023): Russische Invasion in die Ukraine: Reaktion der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-response-ukraine-invasion/, Zugriff 30.5.2023

RN – RIA Nowosti [Russland] (16.1.2023): МРОТ в 2023 году: на сколько вырос, как рассчитывается и на что влияет [Mindestlohn im Jahr 2023: um wie viel er anstieg, wie er berechnet wird und was er beeinflusst], https://ria.ru/20220627/mrot-1798493712.html, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (10.3.2023): Росстат представляет информацию о границе бедности в IV квартале 2022 года [Rosstat legt Information über Armutsgrenze im 4. Quartal 2022 vor], https://rosstat.gov.ru/folder/313/document/200416, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (10.1.2023): Величина прожиточного минимума, установленная на 2023 год, в целом по Российской Федерации и по субъектам Российской Федерации [Höhe des für 2023 festgelegten Existenzminimums, insgesamt in Russland und in den Subjekten der Russischen Föderation], https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/Vpm_2023.doc, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (o.D.a): Оперативные показатели [Operative Kennziffern], https://rosstat.gov.ru/, Zugriff 30.5.2023

Russland-Analysen (Nr. 382) / Martin Brand (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf, Zugriff 30.5.2023

Watson (3.2.2023): Wirken die Sanktionen gegen Russland – oder nicht?, https://www.watson.ch/international/analyse/461783405-viele-widersprueche-wirken-die-sanktionen-gegen-russland-oder-nicht, Zugriff 30.5.2023

WB – World Bank (o.D.a): People using safely managed drinking water services (% of population) - Russian Federation, https://data.worldbank.org/indicator/SH.H2O.SMDW.ZS?locations=RU, Zugriff 30.5.2023

WB – World Bank (o.D.b): People using at least basic sanitation services (% of population) - Russian Federation, https://data.worldbank.org/indicator/SH.STA.BASS.ZS?locations=RU, Zugriff 30.5.2023

WHI – Welthunger-Index (o.D.): Welthunger-Index 2022: Russische Föderation, https://www.globalhungerindex.org/de/russia.html, Zugriff 30.5.2023

WIIW – Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Russia – Overview, https://wiiw.ac.at/russia-overview-ce-10.html, Zugriff 30.5.2023

WKO – Wirtschaftskammer Österreich (3.2023): Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 30.5.2023

ZOIS – Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien / Linde Götz (9.3.2023): Getreidehandel im Krieg (ZOiS Spotlight 5/2023), https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-spotlight/getreidehandel-im-krieg, Zugriff 30.5.2023

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 04.07.2023

Die sozialwirtschaftlichen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, darunter der Nordkaukasus, ist von Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2022). Der Nordkaukasus weist eine hohe Armutsrate (KR 19.5.2023) und eine hohe Arbeitslosigkeit auf (KR 19.5.2023; vgl. ÖB 30.6.2022). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen 21.2.2020a). In vielen nordkaukasischen Regionen liegen Lohnniveaus und Lebensstandard weit unter dem Landesdurchschnitt (BS 2022). Der Nordkaukasus ist von einem hohen Niveau an informeller Beschäftigung von Arbeitnehmern gekennzeichnet (KU 29.3.2023a). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2022). Im Jahr 2021 zählten Dagestan, Tschetschenien sowie andere nordkaukasische Regionen zu denjenigen russischen Regionen mit dem niedrigsten Bruttoregionalprodukt (Statista 3.2023).

Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (BP 3.9.2021; vgl. AA 28.9.2022). Im Jahr 2021 lebten 19,9 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022). Dank Zuschüssen aus dem russischen föderalen Budget haben sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges deutlich verbessert (AA 28.9.2022). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022). Die Reallöhne der tschetschenischen Bevölkerung sind im Jahr 2021 um beinahe 5 % gesunken. Am besten bezahlt werden Beamte und Mitarbeiter im Finanzbereich (KR 29.8.2022). In Tschetschenien klafft die Einkommensschere weit auseinander (KU 10.5.2023). Im Jahr 2023 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung in Tschetschenien RUB 15.042 [ca. EUR 176], für Kinder RUB 13.386 [ca. EUR 157] und für Pensionisten RUB 11.868 [ca. EUR 139] (Rosstat 10.1.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

BP – Borgen Project, The (3.9.2021): The Nature of Poverty in the North Caucasus, https://borgenproject.org/poverty-in-the-north-caucasus/, Zugriff 30.5.2023

BS – Bertelsmann Stiftung (2022): BTI (Bertelsmann Transformation Index) 2022 Country Report: Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069600/country_report_2022_RUS.pdf, Zugriff 16.5.2023

FPRI – Foreign Policy Research Institute (15.6.2022): The Shifting Political Hierarchy in the North Caucasus, https://www.fpri.org/article/2022/06/the-shifting-political-hierarchy-in-the-north-caucasus/, Zugriff 30.5.2023

KR – Kawkas.Realii (19.5.2023): Мертвые души и черные деньги: Северный Кавказ остается лидером по бедности [Tote Seelen und Schwarzgeld: Nordkaukasus bleibt Spitzenreiter in Bezug auf Armut], https://www.kavkazr.com/a/mertvye-dushi-i-chernye-denjgi-severnyy-kavkaz-ostaetsya-liderom-po-bednosti/32419049.html, Zugriff 30.5.2023

KR – Kawkas.Realii (15.4.2023): Дагестан занял последнее место в стране по качеству окружающей среды [Dagestan nahm landesweit letzten Platz bzgl. Umweltqualität ein], https://www.kavkazr.com/a/dagestan-zanyal-poslednee-mesto-v-strane-po-kachestvu-okruzhayuschey-sredy/32365202.html, Zugriff 30.5.2023

KR – Kawkas.Realii (29.8.2022): Республики Северного Кавказа – худшие в рейтинге по рынку труда [Die Republiken des Nordkaukasus - die schlechtesten im Arbeitsmarkt-Rating], https://www.kavkazr.com/a/respubliki-severnogo-kavkaza-okazalisj-autsayderami-reytinga-po-rynku-truda/32008783.html, Zugriff 30.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (10.5.2023): Республики СКФО оказались в хвосте рейтинга по динамике зарплаты [Republiken des nordkaukasischen föderalen Bezirks Schlusslichter bei Lohndynamik], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/388529/, Zugriff 30.5.2023

KU – Kawkasskij Usel [Kaukasischer Knoten] (29.3.2023a): Три республики СКФО отличились высоким уровнем неформальной занятости работников [Drei Republiken des nordkaukasischen föderalen Bezirks fielen durch hohes Niveau an informeller Beschäftigung von Arbeitnehmern auf], https://www.kavkaz-uzel.eu/articles/387254/, Zugriff 30.5.2023

MT – Moscow Times (13.7.2022): В Чечне обнаружили бурный рост экономики на фоне войны [In Tschetschenien wurde ein rasantes Wirtschaftswachstum vor dem Hintergrund des Krieges festgestellt], https://www.moscowtimes.ru/2022/07/13/v-chechne-obnaruzhili-burnii-rost-ekonomiki-na-fone-voini-a22236, Zugriff 30.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ORF – Österreichischer Rundfunk (30.3.2022): Ramsan Kadyrow: Putins Mann fürs Grobe mit tragender Rolle, https://orf.at/stories/3256468, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (10.1.2023): Величина прожиточного минимума, установленная на 2023 год, в целом по Российской Федерации и по субъектам Российской Федерации [Höhe des für 2023 festgelegten Existenzminimums, insgesamt in Russland und in den Subjekten der Russischen Föderation], https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/Vpm_2023.doc, Zugriff 30.5.2023

Rosstat [Föderales Amt für Staatliche Statistik] [Russland] (27.4.2022): Численность населения с денежными доходами ниже границы бедности в целом по России и по субъектам Российской Федерации [Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze insgesamt in Russland und in den Subjekten der Russischen Föderation], https://rosstat.gov.ru/storage/mediabank/2-4_n.doc, Zugriff 30.5.2023

Russland-Analysen (Nr. 382) / Martin Brand (21.2.2020a): Armutsbekämpfung in Russland, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf, Zugriff 30.5.2023

Standard, Der (21.5.2022): Wer für Putin in den Krieg zieht: Russische Soldaten stammen oft aus ärmeren Landesteilen, https://www.derstandard.at/story/2000135922562/wer-fuer-putin-in-den-krieg-zieht-russische-soldaten-stammen, Zugriff 30.5.2023

Statista (3.2023): Federal subjects with the lowest gross regional product (GRP) per capita in Russia in 2021, https://www.statista.com/statistics/1039684/russia-regions-with-lowest-grp-per-capita/, Zugriff 30.5.2023

Statista (7.2022): Russian regions with the lowest share of the middle-class population from 2021 to 2022, https://www.statista.com/statistics/1039710/russia-regions-with-lowest-middle-class-share/, Zugriff 30.5.2023

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung: 04.07.2023

Artikel 7 der russischen Verfassung definiert die Russische Föderation als Sozialstaat. Gemäß dem Verfassungsartikel 75 wird Bürgern soziale Unterstützung garantiert. Die Verfassung sieht eine obligatorische Sozialversicherung vor (Duma 6.10.2022). Es ist ein System der sozialen Sicherheit und sozialen Fürsorge in Russland vorhanden, welches Pensionen auszahlt und die vulnerabelsten Bürger unterstützt. Zum Kreis vulnerabler Gruppen zählen Familien mit mindestens drei Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie ältere Menschen (IOM 12.2022). Der Staat bietet verschiedene Sozialleistungen an, wovon unter anderem folgende Personengruppen profitieren: Veteranen, Waisenkinder, ältere Personen, Alleinerziehende, Erwerbslose, Dorfbewohner (WSP o.D.), Menschen mit Behinderungen, Familien, Pensionisten (SFR o.D.a), Bewohner des hohen Nordens sowie Familienangehörige Militärbediensteter und von infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten verstorbenen Bediensteten des Innenressorts (Regierung o.D.). Das föderale Gesetz 'Über die staatliche Pensionsversorgung in der Russischen Föderation' zählt im § 5 folgende staatliche Pensionsleistungen auf: Pensionen für langjährige Dienste; Alters-; Invaliditäts-; Hinterbliebenen- und Sozialpensionen (RF 28.4.2023a).

Mit 1.1.2023 wurden der Pensions- und der Sozialversicherungsfonds zum neu geschaffenen 'Fonds für Sozial- und Pensionsversicherung der Russischen Föderation' (kurz 'Sozialfonds') verschmolzen (SFR 17.1.2023). Zu den Aufgaben des neu geschaffenen Sozialfonds gehört die Auszahlung von Pensionen und staatlicher finanzieller Hilfen. In den einzelnen Subjekten der Russischen Föderation gibt es territoriale Abteilungen des Sozialfonds (SFR 30.3.2023).

Quellen:

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

Regierung [Russland] (o.D.): Социальная поддержка отдельных категорий граждан [Soziale Unterstützung für einzelne Bürgergruppen], http://government.ru/rugovclassifier/510/events/, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023a): Федеральный закон "О государственном пенсионном обеспечении в Российской Федерации" от 15.12.2001 N 166-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die staatliche Pensionsversorgung in der Russischen Föderation' vom 15.12.2001 N 166-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_34419/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (30.3.2023): О Фонде [Über den Fonds], https://sfr.gov.ru/about/about/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (17.1.2023): История Социального фонда России [Geschichte des Sozialfonds Russlands], https://sfr.gov.ru/about/history/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (o.D.a): Startseite, https://sfr.gov.ru/, Zugriff 30.5.2023

WSP – Wse o sozialnoj podderschke [Alles über soziale Unterstützung] (o.D.): Меры социальной поддержки граждан в 2023 году [Soziale Unterstützungsmaßnahmen für Bürger im Jahr 2023], https://socialnaya-podderzhka.ru/mery_socialnoj_podderzhki/, Zugriff 30.5.2023

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf , Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.3.2023): Выплаты мамам: как рассчитать декретные в 2023 году [Auszahlungen für Mamas: wie Mutterschutzhilfe im Jahr 2023 berechnet wird], http://duma.gov.ru/news/56511/, Zugriff 30.5.2023

Duma [Russland] (1.2.2023): Все, что нужно знать о материнском капитале в 2023 году [Alles, was man über das Mutterschaftskapital im Jahr 2023 wissen muss], http://duma.gov.ru/news/56275/, Zugriff 30.5.2023

MF – Moi finansy [Meine Finanzen] / Finanzministerium [Russland] (7.3.2023): Компенсация за детский сад: кому положена и как оформить? [Kompensation für den Kindergarten: welche Zielgruppe und wie beantragen?], https://моифинансы.рф/article/kompensaciya-za-detskij-sad-komu-polozhena-i-kak-oformit/, Zugriff 30.5.2023

NPR – Nazionalnye proekty Rossii [Nationale Projekte Russlands] [Russland] (o.D.b): Устроить малыша в ясли и выйти на работу [Die Kleinen in die Krabbelstube bringen und arbeiten gehen], https://национальныепроекты.рф/opportunities/ustroit-malysha-v-yasli-i-vyyti-na-rabotu, Zugriff 30.5.2023

PRF – Präsident der Russischen Föderation [Russland] (31.3.2022): Указ Президента Российской Федерации от 31.03.2022 № 175 "О ежемесячной денежной выплате семьям, имеющим детей" [Erlass [Ukas] des Präsidenten der Russischen Föderation vom 31.03.2022 № 175 'Über die monatliche finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern'], http://publication.pravo.gov.ru/File/GetFile/0001202203310013?type=pdf, Zugriff 23.3.2023 [Webseite nicht mehr verfügbar, aber im Archiv der Staatendokumentation vorhanden]

RF – Russische Föderation [Russland] (28.12.2022b): Федеральный закон "О дополнительных мерах государственной поддержки семей, имеющих детей" от 29.12.2006 N 256-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über zusätzliche staatliche Unterstützungsmaßnahmen für Familien mit Kindern' vom 29.12.2006 N 256-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_64872/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (29.3.2023): Как направить материнский капитал на ежемесячную выплату [Mutterschaftskapital in Form monatlicher Auszahlungen], https://sfr.gov.ru/grazhdanam/msk/get_paid/, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (27.1.2023): Беременным, вставшим на учет в ранние сроки [Personen, die ihre Schwangerschaft früh registrierten], https://sfr.gov.ru/grazhdanam/edinoe_posobie/~8407, Zugriff 30.5.2023

SFR – Sozialnyj fond Rossii [Sozialfonds Russlands] [Russland] (o.D.d): Единовременное пособие при рождении ребенка [Einmalzahlung bei Geburt eines Kindes], https://sfr.gov.ru/grazhdanam/families_with_children/birth, Zugriff 30.5.2023

Arbeitslosenunterstützung

Letzte Änderung: 04.07.2023

Personen können sich bei den örtlichen Arbeitsämtern des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Sollte es dem Arbeitsamt nicht gelingen, der arbeitssuchenden Person binnen 10 Tagen einen Arbeitsplatz zu beschaffen, wird der betreffenden Person der Arbeitslosenstatus und somit eine monatliche Arbeitslosenunterstützung zuerkannt (IOM 12.2022). Während der ersten drei Monate erhält die arbeitslose Person 75 % des Durchschnittseinkommens des letzten Beschäftigungsverhältnisses, jedoch höchstens RUB 12.792 [ca. EUR 150]. Während der folgenden drei Monate beträgt die Höhe der Arbeitslosenunterstützung 60 % des Einkommens bzw. höchstens RUB 5.000 [ca. EUR 59]. Die Mindesthöhe der Arbeitslosenunterstützung beträgt RUB 1.500 [ca. EUR 18] (RG 23.11.2022). Um den Anspruch auf monatliche Arbeitslosenunterstützung geltend machen zu können, haben sich die Arbeitslosengeldbezieher alle zwei Wochen im Arbeitsamt einzufinden. Außerdem dürfen sie beispielsweise nicht in eine andere Region umziehen und keine Pensionsbezieher sein. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Sie stellen verschiedene Dienstleistungen zur Verfügung. Arbeitssuchende, die beim Rostrud registriert sind, dürfen an kostenlosen Fortbildungskursen teilnehmen, um so ihre Qualifikationen zu verbessern (IOM 12.2022).

Quellen:

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

RG – Rossijskaja Gaseta [Russland] (23.11.2022): Установлен размер пособия по безработице на 2023 год [Höhe der Arbeitslosenunterstützung für das Jahr 2023], https://rg.ru/2022/11/23/ustanovlen-razmer-posobiia-po-bezrabotice-na-2023-god.html, Zugriff 30.5.2023

Wohnmöglichkeiten, Sozialwohnungen

Letzte Änderung: 04.07.2023

Artikel 40 der russischen Verfassung garantiert das Recht auf Wohnraum. Laut der Verfassung wird bedürftigen Personen Wohnraum kostenlos oder zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung gestellt (Duma 6.10.2022). Bürger ohne Unterkunft oder mit einer Substandard-Unterkunft und sehr geringem Einkommen dürfen kostenfreie Wohnungen beantragen (IOM 12.2022; vgl. RF 28.4.2023b). Jedoch kann die Wartezeit bei einigen Jahren oder Jahrzehnten liegen. Ein Anrecht auf eine kostenlose Unterkunft haben Waisenkinder und Personen mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen (Tuberkulose etc.). Es gibt Schutzunterkünfte für Opfer von Menschenhandel und häuslicher Gewalt, für alleinerziehende Mütter und andere vulnerable Gruppen. Für gewöhnlich werden diese Unterkünfte von örtlichen NGOs verwaltet. Es gibt keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (mindestens 12 %) (IOM 12.2022). Die Versorgung mit angemessenem Wohnraum stellt ein Problem dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Wohnungskosten sind regional unterschiedlich (MK 17.3.2023; vgl. Rosrealt o.D.). Es mangelt an ausreichendem Wohnraum für Familien (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

MK – Mir kwartir [Welt der Wohnungen] (17.3.2023): В каких городах выгоднее покупать новостройку для сдачи в аренду? [In welchen Städten ist es günstiger, einen Neubau für Vermietung zu kaufen?], https://www.mirkvartir.ru/journal/analytics/2023/03/17/v-kakih-gorodah/, Zugriff 30.5.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023b): "Жилищный кодекс Российской Федерации" от 29.12.2004 N 188-ФЗ (ред. от 28.4.2023) (с изм. и доп., вступ. в силу с 01.03.2023) ['Wohnungskodex der Russischen Föderation' vom 29.12.2004 N 188-ФЗ (Fassung vom 28.04.2023) (mit Änderungen und Ergänzungen, in Kraft seit 01.03.2023)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_51057/, Zugriff 30.5.2023

Rosrealt (o.D.): Цены на аренду квартир и домов в России [Mietpreise für Wohnungen und Häuser in Russland], https://rosrealt.ru/cena/?t=arenda, Zugriff 30.5.2023

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 04.07.2023

Artikel 41 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert russischen Staatsbürgern das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen (Duma 6.10.2022). Eine gesetzliche Grundlage stellt das föderale Gesetz 'Über die Grundlagen des Gesundheitsschutzes der Bürger in der Russischen Föderation' dar (RF 28.4.2023d). Es existiert eine durch präsidentiellen Erlass festgelegte Strategie der Entwicklung des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025 (Präsident 27.3.2023).

Das Basisprogramm der obligatorischen Krankenversicherung gewährleistet die kostenlose medizinische Versorgung für Bürger in allen Regionen Russlands. Das entsprechende Territorialprogramm umfasst Programme auf der Ebene der Subjekte der Russischen Föderation (§ 3 des föderalen Gesetzes 'Über die obligatorische Krankenversicherung') (RF 19.12.2022). Der föderale Fonds der obligatorischen Krankenversicherung ist für die Umsetzung der staatlichen Politik zuständig (Regierung o.D.). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Krankenversicherung, welche eine medizinische Versorgung auf höherem Niveau erlaubt (Sber Bank o.D.). Im Rahmen einer freiwilligen Krankenversicherung oder gegen direkte Bezahlung können entgeltliche medizinische Dienstleistungen in staatlichen und privaten Krankenhäusern in Anspruch genommen werden. Die Webseiten der einzelnen medizinischen Einrichtungen enthalten für gewöhnlich Preislisten, so zum Beispiel die Webseite der Poliklinik in Grosnyj/Tschetschenien: http://gr-polik6.ru/uslugi (IOM 12.2022). Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden.

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos (ÖB 30.6.2022). Bestimmte Patientengruppen erhalten kostenlose oder preisreduzierte Medikamente. Befreit von Medikamentengebühren sind Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren; Menschen mit Behinderungen; Veteranen; Patienten mit spezifischen Erkrankungen wie HIV/Aids, onkologischen Erkrankungen, Diabetes, psychiatrischen Erkrankungen usw. (EUAA 9.2022). Regionale Behörden dürfen kostenlose Medikamente für zusätzliche Patientengruppen zur Verfügung stellen (IOM 12.2022). Die Verfügbarkeit von Medikamenten schwankt. Die Beschaffung und Verteilung medizinischer Vorräte ist unzuverlässig, was zu Medikamentenknappheit und starken Preisschwankungen führt. Ursachen dafür sind unter anderem politische Sanktionen, welche Importe begrenzen, und der damit verbundene Umstieg auf einheimische Arzneimittel (EUAA 9.2022). Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können mehrere Monate betragen. Die Notfallversorgung ist nicht mehr überall gewährleistet. Durch Sparmaßnahmen sind in vielen russischen Verwaltungseinheiten die Notfall-Krankenwagen nur mit einer Person besetzt, welche die notwendigen Behandlungen nicht alleine leisten kann. Besonders angespannt ist die medizinische Versorgung für Kinder, es fehlen Physiotherapeuten und Psychologen (AA 28.9.2022). Mitunter gibt es Probleme bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB 30.6.2022).

In der Praxis müssen viele Leistungen von Patienten selbst bezahlt werden, obwohl die medizinische Versorgung für russische Staatsangehörige kostenfrei sein sollte (AA 28.9.2022). Patienten dürfen Beschwerden einreichen, wenn öffentliche medizinische Einrichtungen Gebühren für eigentlich kostenfreie Dienstleistungen einzuheben versuchen. Patientengebühren tragen zu steigender Ungleichheit bei. Zuzahlungen werden entweder von unversicherten Personen geleistet oder dienen dazu, die Leistungsdeckung der obligatorischen oder freiwilligen/privaten Krankenversicherung zu erhöhen. Beispiele für Zuzahlungen sind offizielle Zahlungen im öffentlichen oder Privatsektor oder informelle Zahlungen im öffentlichen Sektor, um beispielsweise eine spezielle Behandlung zu erhalten. Personen mit höherem Einkommen sowie Bewohner wohlhabenderer Städte wie Moskau und St. Petersburg leisten höhere Zuzahlungen, vor allem betreffend stationäre Behandlungen. Allerdings steigt die Höhe der Zuzahlungen gemäß einer Quelle aus dem Jahr 2018 für ambulante Leistungen für ärmere Bevölkerungsschichten rascher an (EUAA 9.2022). 27,76 % der Ausgaben im Gesundheitssektor entfielen im Jahr 2020 auf Zuzahlungen (WB o.D.c.).

Das Gesundheitssystem ist zentralisiert. Öffentliche Gesundheitsdienstleistungen gliedern sich in drei Ebenen: Die Primärversorgung umfasst allgemeine medizinische Leistungen, Notfallversorgung sowie einige spezielle Dienstleistungen. Die Sekundärversorgung beinhaltet eine größere Bandbreite spezieller medizinischer Leistungen, und die Tertiärversorgung bietet medizinische Leistungen auf Hightechniveau an. Wegen Personalmangels sind Mitarbeiter auf der Primärversorgungsebene oft überlastet. Es fehlt an Koordination zwischen den Ebenen Primär- und Sekundärversorgung. Dem öffentlichen Gesundheitssystem mangelt es an finanziellen Mitteln, Patientenorientierung sowie an Personal, vor allem in ländlichen Gebieten. Das medizinische Personal weist Ausbildungsdefizite auf. Viele Bedienstete im medizinischen Bereich sind wenig motiviert, was teilweise auf niedrige Gehälter zurückzuführen ist. Hinsichtlich verfügbarer Ressourcen und Dienstleistungen herrschen beträchtliche regionale Unterschiede (EUAA 9.2022). Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben (ÖB 30.6.2022). Die medizinische Versorgung ist außerhalb der Großstädte in vielen Regionen auf einfachem Niveau und in ländlichen Gebieten nicht überall ausreichend. Ein Drittel der Ortschaften in ländlichen Gebieten verfügt über keinen direkten Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Weg zum nächsten Arzt kann in manchen Fällen bis zu 400 Kilometer betragen (AA 28.9.2022). Einrichtungen, die hochmoderne Diagnostik sowie Behandlungen anbieten, sind vorwiegend in den Großstädten Moskau und St. Petersburg zu finden (EUAA 9.2022).

Zurückgekehrte Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Personen ohne Dokumente haben das Recht auf eine kostenlose medizinische Notfallversorgung (EUAA 9.2022).

Die folgende Webseite enthält eine Auflistung medizinischer Einrichtungen in der Russischen Föderation mitsamt Kontaktdetails: https://gogov.ru/clinics (IOM 12.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EUAA – European Union Agency for Asylum (9.2022): Russian Federation: Medical Country of Origin Information Report, https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_09_EUAA_MedCOI_Country_Report_Russian_Federation.pdf, Zugriff 16.6.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

Präsident [Russland] (27.3.2023): Указ Президента РФ от 06.06.2019 N 254 (ред. от 27.03.2023) "О Стратегии развития здравоохранения в Российской Федерации на период до 2025 года" [Erlass des Präsidenten der RF vom 06.06.2019 N 254 (Fassung vom 27.03.2023) 'Über die Strategie der Entwicklung des Gesundheitswesens in der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025'], https://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_326419/, Zugriff 19.6.2023

Regierung [Russland] (o.D.): Федеральный фонд обязательного медицинского страхования: Описание [Föderaler Fonds der obligatorischen Krankenversicherung: Beschreibung], http://government.ru/department/191/about/, Zugriff 19.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (28.4.2023d): Федеральный закон "Об основах охраны здоровья граждан в Российской Федерации" от 21.11.2011 N 323-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die Grundlagen des Gesundheitsschutzes der Bürger in der Russischen Föderation' vom 21.11.2011 N 323-ФЗ (aktuelle Fassung)], https://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_121895/, Zugriff 19.6.2023

RF – Russische Föderation [Russland] (19.12.2022): Федеральный закон "Об обязательном медицинском страховании в Российской Федерации" от 29.11.2010 N 326-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz 'Über die obligatorische Krankenversicherung in der Russischen Föderation' vom 29.11.2010 N 326-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_107289/, Zugriff 19.6.2023

Sber Bank (o.D.): Ваш ДМС [Ihre freiwillige Krankenversicherung], http://www.sberbank.ru/ru/person/bank_inshure/insuranceprogram/dms, Zugriff 19.6.2023

WB – World Bank (o.D.c): Out-of-pocket expenditure (% of current health expenditure) - Russian Federation, https://data.worldbank.org/indicator/SH.XPD.OOPC.CH.ZS?end=2020 locations=RU start=2000 view=chart, Zugriff 21.6.2023

Rückkehr

Letzte Änderung: 04.07.2023

Gemäß Art. 27 der Verfassung und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (Duma 6.10.2022; vgl. RF 14.4.2023). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments nach Russland einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen beim Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 28.9.2022). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB 30.6.2022; vgl. EUR-Lex 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB 30.6.2022).

Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Sozialleistungen hängen vom spezifischen Fall des Rückkehrers ab. Zurückkehrende Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Von Rückkehrern aus Europa wird manchmal die Zahlung von Bestechungsgeldern für grundsätzlich kostenlose Dienstleistungen (medizinische Untersuchungen, Schulanmeldungen) erwartet. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB 30.6.2022).

Es sind keine Fälle bekannt, in welchen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (AA 28.9.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2022). Der Kontrolldruck der Sicherheitsbehörden gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. NGOs berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei bei Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen. Letztere finden vor allem in Tschetschenien auch ohne Durchsuchungsbefehle statt (AA 28.9.2022).

Sollte ein Einberufungsbefehl ergangen sein, ist diesem bei Rückkehr Folge zu leisten (ÖB 12.12.2022). Bei Vorliegen eines Einberufungsbefehls werden russische Staatsangehörige aus Tschetschenien - wie auch andere Bürger - nach Rückkehr in die Russische Föderation eingezogen und nach einer Ausbildung im Ukraine-Krieg eingesetzt (ÖB 25.1.2023). Differenziert wird hier zwischen Wehrdienstleistenden oder Reservisten bzw. zur Mobilisierung einberufenen Personen, denn Grundwehrdienstleistende dürfen nicht im Ukraine-Krieg eingesetzt werden (VB 26.4.2023).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

Duma [Russland] (6.10.2022): Конституция РФ с изменениями 2022 года [Verfassung der RF mit den Änderungen des Jahres 2022], http://duma.gov.ru/news/55446/, Zugriff 16.5.2023

EUR-Lex (EU-Rechtsdatenbank) (17.5.2007): Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme - Gemeinsame Erklärungen (ABl. L 129 vom 17.5.2007), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2007.129.01.0040.01.DEU toc=OJ%3AL%3A2007%3A129%3ATOC, Zugriff 16.5.2023

IOM – International Organization for Migration (12.2022): Russian Federation: Country Fact Sheet 2022, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2022_Russia_EN.pdf, Zugriff 16.5.2023

IOM – Internationale Organisation für Migration (7.2022): Russische Föderation: Länderinformationsblatt 2021, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2021_Russia_DE.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (25.1.2023): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (12.12.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (30.6.2022): Asylländerbericht zur Russischen Föderation 2022 (Stand 30.6.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2085109/RUSS_%C3%96B-Bericht_2022_06.pdf, Zugriff 16.5.2023

ÖB – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (4.4.2022): Auskunft der Botschaft, per E-Mail

RF – Russische Föderation [Russland] (14.4.2023): Федеральный закон "О порядке выезда из Российской Федерации и въезда в Российскую Федерацию" от 15.08.1996 N 114-ФЗ (последняя редакция) [Föderales Gesetz ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' vom 15.08.1996 N 114-ФЗ (aktuelle Fassung)], http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_11376/, Zugriff 16.5.2023

VB – Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (26.4.2023): Auskunft per E-Mail

Dokumente

Letzte Änderung: 04.07.2023

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amts hat die Anzahl der im Asylverfahren vorgelegten Vorladungen, Urteile und Beschlüsse, die sich als Fälschungen herausgestellt haben, in der letzten Zeit erheblich zugenommen (AA 28.9.2022). Das niederländische Außenministerium berichtet über manche gefälschte europäische Visa in echten russischen Reisepässen. In der Vergangenheit traten einerseits Fälle gefälschter Einreisestempel in echten russischen Reisepässen auf und andererseits echte russische Reisepässe, welche im Besitz anderer Personen waren (NL-MFA 4.2021).

Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).

Tschetschenien

Die Verwaltungsstrukturen in Tschetschenien sind größtenteils wiederaufgebaut, sodass die Echtheit von Dokumenten aus Tschetschenien grundsätzlich überprüft werden kann. Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass bei den kriegerischen Auseinandersetzungen viele Archive zerstört wurden (AA 28.9.2022).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.9.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Stand: 10.9.2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2079430/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_10._September_2022%29%2C_28.09.2022.pdf, Zugriff 16.5.2023

NL-MFA – Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (4.2021): Country of origin information report for the Russian Federation, https://www.government.nl/binaries/government/documenten/reports/2021/04/12/general-country-of-origin-information-report-for-the-russian-federation-april-2021/General+Country+of+Origin+Information+Report+for+the+Russian+Federation+%28April+2021%29.pdf, Zugriff 16.5.2023

VB – Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (4.3.2021): Auskunft per E-Mail

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation RUSSISCHE FÖDERATION Wehrpflichteintragung im Inlandsreisepass 14.02.2023

Wird es im Inlandsreisepass eingetragen, wenn eine Person wehrpflichtig ist und ein Wehrpflichtbuch ausgestellt wird („Wehrpflichtstempel“)?

Quellenlage/Quellenbeschreibung: Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden Quellen keine Informationen zu dieser Frage gefunden werden, weshalb diese an die XXXX weitergeleitet wurde.

Die XXXX gibt zu dieser Fragestellung an:

Gem. Z 5 Abs 2 der Verordung N 828 der Regierung der Russischen Föderation (RF) „Über den Inlandspass“ vom 08.07.1997 idFv 15.07.2021 sind im Inlandspassdurch die Militärkommissariate oder die Territorialorgane des Innenministeriums Eintragungen über das Verhältnis des Staatsangehörigen, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, zu den militärischen Verpflichtungen vorzunehmen.

Auch die Z 49 der VO N719 der Regierung der RF „Über die Bestätigung des Verfahrens über die Wehrkartei“ vom 27.11.2006 idFv 14.10.2021 normiert, dass in den Inlandspässen Staatsangehöriger der RF durch die Militärkommissariate und die Territorialorgane des Innenministeriums der RF (nur bei einem Austausch des Passes) Vermerke über ihr Verhältnis zur militärischen Verpflichtung in dem Verfahren und der Form anzubringen sind, wie sie durch das Verteidigungsministerium der RF bestimmt werden.

Gem. Z 11 S 1 des 3. Teils der VO N 828 der Regierung der RF vom 08.07.1997 idFv 15.07.2021 ist die Seite 13 des russischen Inlandspassesfür die Anbringung des Stempels über das Verhältnis des Staatsangehörigen zur militärischen Verpflichtung vorgesehen.

In der Anlage N 8 zum Punkt 27 der „Methodischen Empfehlungen zur Führung des Wehrverzeichnisses in Organisationen“ vom 11.07.2017 (bestätigt durch den Generalstab der Streitkräfte der RF) ist geregelt, welche Form und welchen Inhalt der Stempelhaben soll, der im Inlandspass des Wehrpflichtigen anzubringen ist. Er soll 70 x 20 mm groß sein und in der obersten Zeile die Aufschrift „wehrpflichtig“ enthalten. In der Zeile darunter hat die entscheidende Person die Unterschrift anzubringen. In der 3. (und untersten) Zeile ist das Datum der Feststellung des Status anzubringen.

Gem. Z 15 des Erlasses N 700 des Verteidigungsministeriums der RF vom 22.11.2022 wird das Wehrpflichtbuch wehrpflichtigen Personen unter anderem bei Antritt des Militärdienstes oder bei Eintritt in eine militärische berufliche Ausbildungsanstalt ausgehändigt.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die russischen Militärkommissariate eine bestehende Wehrpflicht russischer Staatsangehöriger auf Seite 13 des russischen Inlandspasses bei Feststellung der Tauglichkeit einzutragen haben. Das Wehrpflichtbuch wird unter anderem beim Eintritt in den Militärdienst ausgehändigt.

XXXX (14.2.2023): Auskunft der XXXX per E-Mail

EUAA Country of Origin Information The Russian Federation-Military Service December 2022 (Auszug, „EUAA Dossier“)

1.2. Military service

1.2.1. Conscription and conditions of military service

Conscription has historically constituted ‘the main source of military manpower’ of the RAF49 since it is used to ensure that Russia would have a military reserve that can be used in case of a major war.50 According to Article 59 of the Constitution, all Russian citizens have ‘a duty and obligation’ to defend the country. The same Article stipulates that every citizen is obliged to ‘carry out military service according to the federal law.’ The right to alternative civil service is guaranteed by paragraph 3 of the same Article and the way of its realisation is set to be regulated by the federal law.51

General regulations

One-year military service is compulsory for all Russian men aged 18 – 27.52 The MoD notes that completing compulsory military service is a prerequisite for a career in the public sector and governmental institutions.53 The number of men eligible to be drafted for military service is estimated at 1.2 million each year and around half of this number receives a draft notice requiring them to present themselves at a local military recruitment office (voenkomat).54 Prior to conscription into obligatory military service, young men aged 16 – 17 undergo an initial military registration, which is carried out by military recruitment offices. As stated by MoD, the purpose of the initial registration is ‘to identify the number of pre-conscripts and define if they are medically fit for military service’ as well as to evaluate their level of education for further education or training. During the medical examination, pre-conscripts are assigned categories defining their physical and psychological fitness for military service.55

51 Russia, The Constitution of the Russian Federation, n.d., url

52 Al Jazeera, Fearing front-line deployment, some Russians resist conscription, 18 March 2022, url, Freeman, S.B

and Kjellström Elgin K., What the use of Russian conscripts tells us about the war in Ukraine, Politico, 17 March

2022, url

53 Russia, MoD, Conscription service, n.d., url

54 ISW, Explainer on Russian Conscription, Reserve, and Mobilization, 5 March 2022, url, p. 1

55 Russia, MoD, Military registration, url

3.4. Recruitment of prison inmates

Since spring and, on a large scale, since summer 2022,329 convicts from prison facilities have been exposed to recruitment efforts by private military companies (PMCs), among them primarily the Wagner Group, Russia’s largest PMC (hereafter “Wagner”),330 along with a few smaller companies such as Redoubt.331. Following their example and approach, the Russian Ministry of Defence has begun to recruit prisoners in late September 2022, offering money and early release from prison in exchange for participation in the war in Ukraine.332 According´to Vladimir Osechkin, founder of the human rights project Gulagu.net, Russian judges have been instructed to no longer grant parole but instead to refer the prisoners to the PMCs and the regular forces.333 In an interview on 21 October 2022, Olga Romanova from the prisoner advocacy organisation Russia Behind Bars (RBB) estimated that a total of more than 20 000 inmates had been recruited since the beginning of the war ,334 an estimate that corresponds to data from other human rights organisations.335

330 Doxsee, C., Putin’s Proxies: Examining Russia’s Use of Private Military Companies, CSIS, 21 September 2022, url

331 Novaya Gazeta Europe, Зона поражения. Российские заключённые – новое топливо войны в Украине

[Zone of defeat: Russian prisoners – The new fuel for the war in Ukraine], 10 November 2022, url. For further

examples see Romanova (@oooromanova), [Telegram], posted on: 11 October 2022, url

332 Important Stories, Минобороны России теперь тоже вербует зэков на фронт [The Russian Defence Ministry

now also recruits convicts to the front], 11 October 2022, url; Meduza, The Wagner Group’s ‘best practices’ go

mainstream, 11 October 2022, url

333 We can explain, Отказавшихся воевать заключенных могут просто расстрелять. Владимир Осечкин.

Gulagu.net [Prisoners who refuse to fight can simply be shot. Vladimir Osechkin. Gulagu.net] , Youtube, 28 October

2022, url

334 Agency.News, [Telegram], posted on: 21 October 2022, url

1.4. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

1.4.1. Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in die Russische Föderation nach Tschetschenien, insbesondere seine Heimatstadt XXXX , möglich. Auch eine Rückkehr an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens – zB nach Moskau oder St. Petersburg, ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer kann wieder zusammen mit seiner Familie in Tschetschenien leben, wie er es vor seiner Ausreise tat: Er lebte bis kurz vor seiner Ausreise in XXXX in einem Eigentumshaus, das seinen Eltern gehört (AS 2, AS 175, Protokoll der mV S. 8). Seine Familie lebt nach wie vor in diesem Eigentumshaus (AS 2, AS 173, AS 175, Protokoll der mV S 7, S. 8).

Er kann auch eine Sozialwohnung beantragen, wenngleich dies einige Zeit dauert. Er kann aber auch an einen anderen Ort in der Russischen Föderation ziehen und dort in einer eigenen Wohnung leben – insbesondere nach Moskau: Der Beschwerdeführer lebte bereits von XXXX bis XXXX in Moskau, um dort zu studieren (Protokoll der mV S. 8). Er lebte währenddessen in gemeinsamen Haushalt mit seiner Schwester, die in Moskau als XXXX arbeitet (Protokoll der mV S. 9). Der Beschwerdeführer hat das Studium in Moskau abgeschlossen (AS 7, AS 175, AS 182, Protokoll der mV S. 8).

Nach Abschluss seines Studiums – das Diplom erlangte er am XXXX – fuhr er zurück nach XXXX , wo er für etwa drei Monate in einem Handyshop arbeitete. Am XXXX fuhr er zurück nach Moskau, gab die Mietwohnung zurück, schickte seine Sachen nach XXXX und flog anschließend nach Österreich (Protokoll der mV S. 9; Beilage./1). Für die Mietwohnung, in der der Beschwerdeführer und seine Schwester in Moskau lebten, besteht kein Mietvertrag mehr (Protokoll der mV S. 10). Die Schwester des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in Moskau (AS 175, Protokoll der mV S. 7). Auch ein Cousin väterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Moskau (Protokoll der mV S. 11). Der Beschwerdeführer steht zu seiner Schwester und seinem Cousin in Kontakt (Protokoll der mV S. 11).

1.4.2. Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Im Falle einer Rückkehr würde der Beschwerdeführer in keine existenzgefährdende Notlage geraten und es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer ist XXXX alt, er ist gesund und arbeitsfähig, wie er auch in der Beschwerdeverhandlung bekräftigte (Protokoll der mV S. 19). Der Beschwerdeführer hat sein gesamtes Leben vor der Einreise nach Österreich in der Russischen Föderation verbracht. Er spricht Tschetschenisch und Russisch.

Der Beschwerdeführer besuchte im Herkunftsstaat für 11 Jahre die Schule (AS 1, AS 182) und schloss ein Studium ab. Der Beschwerdeführer finanzierte seinen Lebensunterhalt vor der Ausreise durch die finanzielle Unterstützung seiner Eltern und seiner Schwester. Er hat auch gearbeitet, einmal in einem Handyshop und einmal in einem Barbershop (AS 182, Protokoll der mV S. 9, S. 12). Der Beschwerdeführer kann seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit erwirtschaften. Zudem verfügt der Beschwerdeführer über ein familiäres Netz in der Russischen Föderation, das ihn insbesondere am Anfang unterstützen kann. Zudem kann er wieder im Haus seiner Familie in XXXX leben.

Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet als XXXX (AS 174, Protokoll der mV S. 12). Die Mutter des Beschwerdeführers XXXX arbeitet dort (Protokoll der mV S. 12). Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat (AS 174, Protokoll der mV S. 11).

Die Gesundheitsversorgung ist sichergestellt und kostenlos. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.4.3. Der Beschwerdeführer an keinen schweren physischen oder psychisch akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen. Er gehört keiner Covid-19-Risikogruppe an. Er kann sich zudem mit der Corona-Schutzimpfung im Bundesgebiet oder auch in seinem Heimatstaat impfen lassen.

1.5. Zur Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet

1.5.1. Der Beschwerdeführer reiste im September 2022 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 1ff).

1.5.2. Der Beschwerdeführer hat gute Grundkenntnisse der deutschen Sprache erlangt (Protokoll der mV S. 18). Der Beschwerdeführer besuchte einen „Brückenkurs“ beim XXXX in der Zeit vom XXXX (OZ 20). In diesem lernt er Deutsch, Englisch und Mathematik (Protokoll der mV S. 16, Beilage ./A). Der Beschwerdeführer besucht aktuell den Kurs „ XXXX “ an einer Volkshochschule (OZ 21, Bestätigung vom 21.09.2023).

1.5.3. Der Beschwerdeführer war von 17.11.2022 bis 19.01.2023 bei der XXXX geringfügig beschäftigt (AS 221, Protokoll der mV S. 17). Der Beschwerdeführer übte seine geringfügige Beschäftigung ohne die dafür erforderliche behördliche arbeitsmarktrechtliche Bewilligung aus (OZ 17). Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage vom 19.05.2023 bei der Firma XXXX (Beilage ./C).

Der Beschwerdeführer bezieht aktuell Grundversorgung des Landes XXXX (OZ 23). Der Beschwerdeführer hat sich bei einem Lieferservice beworben (OZ 21).

Der Beschwerdeführer hat sich im Bundesgebiet ehrenamtlich betätigt. Er hat am Projekt „ XXXX “ teilgenommen (OZ 18). Der Beschwerdeführer spielt zudem in einem Fußballverein Fußball (Beilage ./B).

1.5.4. Eine Schwester des Beschwerdeführers namens XXXX , geb. XXXX , lebt gemeinsam mit ihrem Mann im österreichischen Bundesgebiet (AS 2, AS 173, AS 181, Protokoll der mV S. 7). Diese verfügt über eine Rot-Weiß-Rot-Karte Plus (AS 182, Zentrales Fremdenregister). Der Beschwerdeführer steht in nahezu täglichem Kontakt mit dieser (Protokoll der mV S. 19). Er lebt mit dieser nicht in gemeinsamen Haushalt und es besteht auch kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu dieser (Protokoll der mV S. 17, S. 18, Zentrales Melderegister).

Ein Freund des Beschwerdeführers namens XXXX lebt im Bundesgebiet im selben Quartier wie er (AS 181, Protokoll der mV S. 20). Der Beschwerdeführer hat zudem einige Bekanntschaften im Bundesgebiet geschlossen, so sieht er seine Freunde vom Fußball jeden Tag (Protokoll der mV S. 18). Darüber hinausgehende enge Bindungen hat er im Bundesgebiet nicht (Protokoll der mV).

1.5.5. Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet unbescholten (Strafregisterauszug OZ 2).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Identität des Beschwerdeführers konnte aufgrund des vorgelegten Inlandspasses des Beschwerdeführers (AS 143 – AS 149, OZ 9) sowie des (zerrissenen) Auslandsreisepasses des Beschwerdeführers festgestellt werden (AS 135 – 141). Beide Dokumente wurden einer Überprüfung unterzogen und sind unbedenklich (AS 189, AS 191). Der Beschwerdeführer hat den Auslandsreisepass zerrissen, um nicht in die Russische Föderation zurückgeschickt zu werden (AS 180, dazu auch AS 5, wo dies dokumentiert ist).

Die Staats-, Volksgruppe- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers lässt sich aufgrund der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der Erstbefragung (AS 1, AS 3) sowie in der mündlichen Verhandlung feststellen (Protokoll der mV S. 7). Die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers konnten aufgrund seiner stringenten Angaben in der Erstbefragung (AS 2) und der Einvernahme vor der belangten Behörde (AS 172) festgestellt werden.

Dass der Beschwerdeführer aus Tschetschenien stammt, ergibt sich aus dem Umstand, dass er im Herkunftsstaat für lange Zeit in XXXX lebte, dort die Schule besuchte und nach Abschluss seines dreijährigen Studiums in Moskau auch dorthin zurückkehrte, um dort bis kurz vor seiner Ausreise zu leben (Protokoll der mV S. 8). Zwar hat der Beschwerdeführer für drei Jahre in Moskau studiert, er kehrte nach Abschluss seines Studiums jedoch wieder nach XXXX zurück (Protokoll der mV S. 8). Zudem leben die Eltern und die Brüder des Beschwerdeführers nach wie vor in XXXX (AS 2, AS 173, AS 175, Protokoll der mV S 7, S. 8). Der Geburtsort des Beschwerdeführers ergibt sich aus den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (AS 1, AS 173, Protokoll der mV S. 7).

Dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig ist, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer – wenn auch ohne entsprechende behördliche Bewilligung – im Bundesgebiet gearbeitet hat (OZ 17) und auch aktuell eine Einstellungszusage vorgelegt hat (Beilage ./C). Dass er gesund ist, ergibt sich aus seinen gleichgebliebenen Angaben im Verfahren (AS 173, Protokoll der mV S. 19).

2.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

2.2.1. Zum Vorbringen der Einberufung zum Wehrdienst

Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Administrativverfahren vor, dass ihm im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die Einberufung zum Wehrdienst und der Einzug in den Ukrainekrieg drohe. Er führte dazu verschiedene Sachverhalte ins Treffen.

Zum Vorbringen der in Moskau stattgehabten Vorfälle:

Bei der Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen an, dass die Polizei in Moskau gewollt habe, dass er zum Militär und anschließend in die Ukraine gehe, um dort für Russland zu kämpfen (AS 7).

In der Einvernahme vor der belangten Behörde schilderte der Beschwerdeführer Ereignisse in Moskau – so sei er ein paar Mal angehalten und gefragt worden sei, ob er eine Vorladung bekommen hätte, was er überhaupt hier machen würde und warum er immer noch nicht in der Ukraine sei. Diese bloßen Nachfragen, seien sie auch tatsächlich vorgekommen, stellen weder eine tatsächliche Einberufung zum Militärdienst dar, noch haben sie, da diese bloßen Fragen keine relevante Eingriffsintensität aufweisen, sonst Relevanz. Es ergab sich im Verfahren auch nicht, dass hier konkret der Beschwerdeführer ins Visier genommen worden wäre, sondern dass diesem eben, begleitend zu generellen Personenkontrollen, entsprechende Fragen gestellt worden wären. Der Beschwerdeführer selbst leitete daraus auch keine konkreten Konsequenzen für seine Person ab.

Auch aus dem konkreten Ereignis, dass der Beschwerdeführer ausführlich schilderte, ist nichts zu gewinnen: Er schilderte einen Vorfall, bei dem er im Winter 2022, ca. ein Monat nach Kriegsbeginn, da er sich nicht ausweisen habe können, von der Polizei zu einer Dienststelle mitgenommen worden sei, wobei er am Weg dorthin ebenfalls gefragt worden sei, warum er nicht in der Ukraine sei – er habe aber studiert und sei wegen des Studiums nicht einberufen worden. Der Beschwerdeführer habe die Überprüfung seiner Personalien hinterfragt und sei als Einziger von den Polizisten mitgenommen worden. Er habe gefilmt, sei von den Polizisten darum gebeten worden, das Handy auszuschalten, habe das Handy jedoch nicht ausgeschaltet und habe das Video, das er aufgenommen habe, aufbewahrt (AS 175, AS 176). Dieses Video habe er jedoch löschen müssen, als er Moskau verlassen habe müssen und er habe es über iCloud nicht wiederherstellen können (AS 178). Nach mehreren Stunden auf der Dienststelle und nachdem seine Personalien festgestellt worden seien, sei er entlassen worden. Er sei dann zu seinem Studium zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer selbst schilderte damit ein Ereignis, dass per se keinen Hinweis auf eine Verfolgungshandlung gegen seine Person, zudem auch keinen Konnex zu einem Konventionsgrund aufweist und aus dem er selbst ebenfalls keine konkreten Konsequenzen für seine Person ableitete – vielmehr gab er ja selbst an, dass er nach der Feststellung seiner Personlaien zu seinem Studiumzurückkehrte. Dieses schloss er, wie das beigebrachte Dilpom belegt (Beilage ./1), im Juni 2022 ab – auch darin zeigt sich, dass dieses Ereignis überhaupt keine Konsequenzen für den Beschwerdeführer hatte. Selbst bei Wahrunterstellung dieses Vorbringens des Beschwerdeführers ergibt sich nicht, dass aus diesem Vorfall die Gefahr einer Bedrohung oder Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat abgeleitet werden könnte, insbesondere ist auch hier kein Konnex zu einem Konventionsgrund ersichtlich. Dass der Beschwerdeführer versuchte, sich verbal der Mitnahme durch die Polizisten zu widersetzen und gefilmt hätte, obwohl ihm das untersagt worden sei, hatte für den Beschwerdeführer – das ergibt sich klar aus seinen eigenen Angaben – überhaupt keine Konsequenzen. In der bloßen Mitnahme des Beschwerdeführers durch die Polizei zur Identitätsfeststellung, kann, auch wenn er begleitend dazugefragt worden wäre, warum er nicht in der Ukraine sei, und er dies mit seinem Studium begründet hätte, nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat aufgrund dieses Ereignisses verfolgt werden würde. Wie bereits dargelegt, gab er nämlich selbst an, von den Polizisten wieder entlassen worden zu sein und sich wieder seinem Studium gewidmet zu haben (AS 177).

Zum Vorbringen einer tatsächlich geschehenen Einberufung seiner Person zum Wehrdienst und den Beweismitteln „Vorladung“ (Einberufungsbefehl) und „Militärbuch“:

Vor der belangten Behörde gab er in der Einvernahme am 13.01.2023 an, dass am 02.01.2023 (Anm.: vier Monte nach der Ausreise des Beschwerdeführers) die Polizei zu seiner Familie gekommen sei. Die Schwester des Beschwerdeführers habe gesagt, dass sie dem Beschwerdeführer persönlich eine Ladung ausfolgen hätten wollen und dass ihr verboten worden sei, die Besuche zu filmen. Am 03.01.2023 sei ein örtlicher Polizist zu ihnen gekommen und habe gefragt, ob der Beschwerdeführer nach Hause gekommen sei (AS 178). Zu diesem Zeitpunkt verneinte der Beschwerdeführer die Exitenz von Beweismitteln für dieses Vorbringen (AS 178).

Der Beschwerdeführer brachte sodann am 07.02.2023 ein Schriftstück in Kopie bei (Übernahmebestätigung AS 193, Ablichtung des Schriftstücks AS 153), das einer Übersetzung zugeführt wurde (AS 199, Protokoll der mV S. 14), aus der sich ergibt, dass es sich dabei um eine Vorladung zum Einzug zum Militärdienst am 25.01.2023 handelt.

Am 17.02.2023 übermittelte der Beschwerdeführer per Mail zwei Lichtbilder (AS 205 und 205), die ebenfalls einer Übersetzung zugeführt wurden (AS 211, Protokoll der mV S. 14), nach der er sich dabei um einen Militärausweis, der auf den Namen des Beschwerdeführers lautet, handelt.

Zu beiden Beweismitteln ist festzuhalten, dass es sich jeweils um Kopien bzw. Ablichtungen handelt. Von dem Beweismittel „Militärbuch“ brachte der Beschwerdeführer die Seiten 1 und 2 bei (AS 205 und 207), nach seinen Einlassungen in der Beschwerdeverhandlung befinde sich das Original nach wie vor zuhause in XXXX (Protokoll der mV S. 13). Die Vorladung zum Einzug zum Militärdienst (Ablichtung AS 153) wurde in Kopie beigebracht, wie sich aus der Übernahmebestätigung ergibt, auch hierzu gab der Beschwerdeführer an, dass sich das Original in XXXX befinde (Protokoll der mV S 27). Es handelt sich dabei um die Kopie/Ablichtung der Vorderseite einer Vorladung, wie sich aus dem von der belangten Behörde eingebrachten und im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Muster für einen Einberufungsbefehl (AS 343, Bescheid S. 90-92, auf die an dieser Stelle verwiesen wird) ergibt; die Vorlage einer Rückseite zu dieser Vorladung ist nicht aktenkundig. Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid kann jedenfalls nicht gefolgt werden, soweit sie von der Vorlage des „originalen Einberufungsbefehls“ und des „originalen Militärbuchs“ ausgeht (AS 415, Beschwerde S. 3), tatsächlich brachte der Beschwerdeführer nur Kopien oder Ablichtungen als Beweismittel bei.

Hinsichtlich des vorgelegten „Militärbuches“ – konkret, den Lichtbildern der ersten beiden Seiten dieses Buches, mehr legte der Beschwerdeführer nicht vor – ist folgendes festzuhalten:

Der Beschwerdeführer brachte das betreffende Schriftstück nicht im Original, sondern als Kopie bei, sodass eine kriminaltechnische Untersuchung nicht zweckmäßig ist. Es ergaben sich allerdings – insbesondere in Zusammenschau mit den Angaben des Beschwerdeführers – gravierende Zweifel an dem vorgelegten Beweismittel:

Der Beschwerdeführer konnte zum Erhalt seines Militärbuches keine nachvollziehbaren Angaben machen. Der Beschwerdeführer bestätigte zwar in der Beschwerdeverhandlung auf Vorhalt der AS 205 und 207 (Ablichtung der beiden Seiten des Militärbuches), dass es sich dabei um das von ihm angesprochene „blaue Buch, das mit der Einberufung verbunden ist“ handle (Protokoll der mV S. 13), sein Wissen um sein eigenes Militärbuch war allerdings unschlüssig und äußerst vage, zudem erwiesen sich seine Angaben als nicht plausibel.

Auf die Frage, wie er an dieses Militärbuchgekommen sei, behauptete er, dass er noch zu Schulzeiten, glaublich in der 8. Klasse (Anm.: er absolvierte insgesamt 11 Klassen) zu einer „medizinischen Begutachtung“ gefahren sei, wo sie untersucht worden seien, ob sie wehrdienstpflichtig seien. Es liegt auf der Hand, dass der Beschwerdeführer damit die Musterung („Initial Military Registration“) meint. Der Beschwerdeführer scheiterte damit aber bereits an einer plausiblen zeitlichen Einordung – selbst auf Nachfrage, wie alt er in der 8. Klasse gewesen sei, gab er an, dass 13 Jahre alt war und bestätigte auf Vorhalt, dass dies demnach 2015 gewesen wäre, dass es 2015 ist, wenn man zusammenzähle (Protokoll der mV S. 14). Eine Musterung in einem derart jungen Alter lässt sich aber nicht mit den Länderberichten vereinbaren: ausweislich des EUAA-Dossiers „The Russian Federation – Military Service December 2022“ (im Folgenden: EUAA-Dossier) wird die Musterung im Alter von 16 bis 17 Jahren durchgeführt und hat insbesondere den Zweck, die Anzahl der Wehrpflichtigen und ihre medizinische Eignung für den Wehrdienst zu ermitteln, sowie Bildungsstand für die weitere Fortbildung zu beurteilen (vgl. EUAA Dossier S. 15). Die Angabe des Beschwerdeführers also, dass er bereits mit 13 (bzw. in der 8 Klasse) bei der Musterung gewesen wäre, ist vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht plausibel. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer zu einer schlüssigen zeitlichen Einordnung nicht imstande war - schließlich ist er nach elfjährigen Schulbesuch und dreijährigen Studium hoch gebildet, sodass davon auszugehen ist, dass er fähig ist, sich an derartige Ereignisse und deren Zeitpunkt zu erinnern oder einen stringenten Konnex zum eigenen Lebenslauf herstellen zu können. Zum zeitlichen Horizont ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer durchwegs angab, ab Juli 2019 in Moskau studiert zu haben, zuvor hat er elf Klassen Schule abgeschlossen und das Staatsexamen geschafft (zuletzt Protokoll der mV S. 8). Das Studienende lässt sich aufgrund des vorgelegten Diploms (Beilage ./1) mit Juni 2022 festmachen (Protokoll der mV S. 9)., davon ausgehend lässt sich auch der Schulbeginn etwa 14 Jahre zuvor eingrenzen – 2008, was mit dem Geburtsjahr des Beschwerdeführers ( XXXX ) im Großen und Ganzen vereinbar ist. Auch nach dieser Herleitung wäre der Beschwerdeführer in der 8. Klasse jedenfalls zu jung für eine Musterung gewesen und ist seine Behauptung mit der Berichtslage nicht vereinbar. Schon das lässt darauf schließen, dass der Beschwerdeführer nie bei einer Musterung war.

Die Unschlüssigkeit seines Vorbringens zog sich allerdings noch weiter: Gefragt, wann er das Militärbuch (AS 205, 207) ausgehändigt bekommen habe, wich er einer Antwort zuerst aus (er erinnere sich nicht, es sei vor langer Zeit gewesen) und gab schließlich an, dass dies auch in der 8. Klasse – somit im gleichen Jahrgang wie die Musterung – gewesen wäre (Protokoll der mV S. 14 und 15). Dies ist wiederum überhaupt nicht mit dem Inhalt der beiden vorgelegten Seiten aus dem Wehrbuch vereinbar: Auf Seite 1 ist deutlich das Datum „30.01.2019“ eingetragen (AS 205) – laut Übersetzung: am 30.01.2019 erfolgte die Aufnahme des Bürgers beim Militäramt: Stadtkreis XXXX , festgestellt: „A“ tauglich zum Militärdienst (AS 211), dementsprechend übersetzte die Dolmetscherin sinngemäß inhaltlich in der Beschwerdeverhandlung, dass der Beschwerdeführer am 30.11.2019 durch die Kommission in der Stadt XXXX für die Registrierung von Bürgern zum Wehrdienst als wehrdienstfähig anerkannt wurde (Protokoll der mV S. 14). Dem Inhalt dieses Beweismittels nach wäre also die Tauglichkeit des Beschwerdeführers zum Wehrdienst im Jänner 2019 festgestellt worden – das ist mit seiner Darstellung, dass dies in der 8. Klasse/als er 13 Jahre alt war/2015 gewesen wäre, nicht vereinbar.

Wesentlich ist auch, dass nach der Berichtslage prinzipiell alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch erhalten (Länderinfomrationsblatt S. 35); in der Anfragebeantwortung der XXXX vom 14.02.2023 heißt es, das Militärbuch wird bei Antritt des Militärdienstes oder bei Eintritt in eine militärische berufliche Ausbildungsanstalt ausgehändigt (ebendort S. 2). Es steht daher fest, dass das Wehrdienstbuch nicht bei der Musterung, sondern erst bei der Einberufung zum Militärdienst oder Absolvierung einer militärischen Ausbildung ausgestellt wird. Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst eben noch nicht abgeleistet (Protokoll der mV S. 16). Aufgrund seines zu jungen Alters (deutlich unter 25 Jahren) kann bei ihm auch nicht die Aussage greifen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten, das dann jedoch besagt, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen (LIB S. 35). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er das Militärbuch noch in der 8. Klasse bekommen hätte (Protokoll der mV S, 15) als unplausibel. Auch unter diesem Aspekt zeigt sich, dass der Beschwerdeführer den vorgebrachten Sachverhalt rein gedanklich konstruierte – seine Behauptung zum Erhalt des Militärbuches erwies sich als unwahr.

Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Beweismittel „Militärbuch“ ist zudem deshalb in Zweifel zu ziehen, weil im Stempel auf Seite 2 handschriftlich deutlich das Datum „30.01.2009“ eingetragen ist. Der Stempel wurde in der Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung der anwesenden Dolmetscherin eingehend erörtert (Protokoll der mV S. 14 und S. 26 [dort: das G neben der Jahreszahl 2009 sthet für Jahr]. Das Datum „30.01.2009“ ist klar lesbar, insbesondere, weil die Ziffern „200“ bereits vorgedruckt sind und nur eine Ziffer, nämlich „9“ handschriftlich ergänzt wurde; die in das Datumsfeld hineinführende Strichführung ist klar der darunterstehenden Unterschrift zuordenbar. Das Datum „30.01.2009“ macht wiederum keinen Sinn angesichts des damaligen Alters des Beschwerdeführers von XXXX und des Umstands, dass kein zeitlicher oder sonstiger Konnex zu den Angaben des Beschwerdeführers zu Stellung und Wehrdienst herstellbar ist.

Der Beschwerdeführer erklärte in der Beschwerdeverhandlung, auf der in Rede stehenden zweiten Seite des Militärbuches stehe ein Stempel, den er während seines Studiums in Moskau bekommen habe – für den Aufschub habe er auch Geld bezahlt (Protokoll der mV S. 15). Nach den Länderberichten kann von Personen, welche ein Studium absolvieren, ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden (LIB Staatendokumentation S. 33), sodass es grundsätzlich mit dem von ihm angegebenen Lebenslauf vereinbar wäre, dass er einen Aufschub zu Studienzwecken erhalten hätte. Allerdings ergaben sich auch hier Ungereimtheiten: Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer den Stempel über Vermittlung seiner Tante, die „alles organisiert“ und ihm eine im Militärkommissariat arbeitende Person vermittelt hätte, der er Geld bezahlt hätte, bekommen hätte, wenn einen solchen Aufschub wegen seines Studiums (so die Berichtslage) beantragen kann. Erneut konnte der Beschwerdeführer keine schlüssigen zeitlichen Angaben machen: Er gab von selbst an, dass er den Stempel „genau in der Zeit von der Mobilisierung zur Einberufung“ bekommen hätte – auf Nachfragen, um dies zeitlich festzulegen, meinte der Beschwerdeführer, es wäre „genau in der Zeit von der Mobilisierung zur Einberufung“ gewesen. Nach mehreren Nachfragen, was er damit meine, erklärte der Beschwerdeführer, dass er sich damit auf den Ukraine-Krieg bezogen habe (Protokoll der mV S. 15) – dieser begann allerdings erst viel später, nämlich im Februar 2022.

An anderer Stelle gab er zu ebendiesem Stempel an, dass er sich den Stempel 1-2 Monate vor seinem Studienabschluss organisiert hätte, ohne diesen Stempel und Aufschub hätte er sich den Auslandsreisepass nicht organisieren können (Protokoll der mV S. 15). Den Studienabschluss machte der Beschwerdefürher, wie bereits dargestellt, im Juni 2022. Der Stempel datiert, wie ebenso bereits ausgeführt, allerdings mit „30.01.2009“, es findet sich nirgends ein Datum aus dem Jahr 2022. Auch unter diesem Aspekt scheitert also der Beschwerdeführer an einer zeitlichen Einordnung, was aufzeigt, dass er seine Behauptungen nur gedanklich konstruiert, weil diese nicht mit den sich aus dem Beweismittel ergebenden Daten in Einklang zu bringen sind. Selbst, wenn man annehmen würde, dass der Stempel erst 2019 und nicht bereits 2009 eingetragen worden wäre, scheitert die zeitliche Eindordung des Beschwerdeführers um mehrere Jahre, da er den Aufschub-Stempel seinen Angaben nach ja erst 2022 (arg. Ukraine-Krieg bzw. 1-2 Monate vor Studienabschluss) erhalten hätte.

Bemerkenswert ist auch, dass der Beschwerdeführer sich in der Beschwerdeverhandlung – nachdem ihm die Übersetzung der beiden von ihm vorgelegten Seiten verlesen wurde – letztlich darauf zurückzog, dass er vergessen hätte, dass er er dieses Buch überhaupt habe (Protokoll der mV S. 15). Angesichts dessen, dass er sich in seinem Fluchtvorbringen aber zentral auf die von ihm nicht gewollte Ableistung des Wehrdienstes stützt, ist es nicht erklärlich, dass er den Besitz des Militärbuches „vergessen“ hätte, vielmehr deutet auch diese Aussage auf einen bloß konstruierten Sachverhalt hin.

Das Aussageverhalten des Beschwerdeführers insgesamt, insbesondere seine mit den Beweismitteln nicht vereinbaren Behauptungen machen den Beschwerdeführer persönlich unglaubwürdig. Seine zum einen unplausiblen und zum anderen unschlüssigen Angaben führen dazu, dass er insbesondere nicht glaubhaft machte, dass es sich bei dem Beweismittel tatsächlich um eine Ablichtung seines authentischen Militärbuches handeln würde. Dass die Ausstellung echter Dokumente mit falschem Inhalt in der Russischen Föderation möglich ist, steht auf Grund des Länderinformationsblattes fest – in Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Daher geht die erkennende Richterin aufgrund obenstehender Erwägungen davon aus, dass die Ablichtungen der beiden Seiten des Militärbuches aufgrund der dargestellten Divergenzen und Ungereimtheiten als unecht und/oder unrichtig sind; es kann nicht festgestellt werden, ob es sich um ein echtes Dokument falschen Inhalts oder ein gefälschtes Dokument handelt.

Festzuhalten ist an dieser Stelle zudem, dass dem Beschwerdeführer am XXXX ein russischer Inlandspass ausgestellt wurde (vgl. Ablichtungen AS 143ff, kompletter Farbscan OZ 9 und Beilage ./2), der echt ist (Dokumentenüberprüfung AS 189). Der Inlandspass entspricht einer Identitätskarte und ist das wichtigste Identifikationsdokument russischer Bürger innerhalb der Russischen Föderation, er ist dort ab 14 Jahren obligatorisch. Der Inlandpass enthält die Personalien sowie Angaben zur Registrierung am festen Wohnsitz, Zivilstand, Namen und Geburtsdaten allfälliger Kinder, Militärdienstpflicht, Datum Ausstellung Reisepass (teilweise auch eines früheren Inlandpasses). Inlandspässe werden ab dem 14., ab dem 20. und dann ab dem 45. Lebensjahr neu ausgestellt (vgl dazu etwa www.sem.admin.ch/dam/sem/de/data/internationales/herkunftslaender/europa-gus/rus/RUS-ausweise-ausreise-d.pdf.download.pdf/RUS-ausweise-ausreise-d.pdf psig=AOvVaw2Fiplt8aEOA_xFUIRNNwyT ust=1690550032796125 opi=89978449). Vor diesem Hintergrund sind die Angaben des Beschwerdeführers, dass er den Inlandspass mit XXXX tauschen habe müssen (Protokoll der mV S. 12.) plausibel. Auf Seite 19 seines Inlandspasses ist auch die Nummer seines alten Passes vermerkt, dieser wurde am XXXX ausgestellt (auch das passt mit den Länderberichten zusammen, da der Beschwerdeführer damals XXXX Jahre alt war).

Mit Blick auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist allerdings zu konstatieren, dass in seinem Inlandspass eine wesentliche Eintragung nicht vorhanden ist: die zu seiner Wehrpflicht. Auf Grund der Anfragebeantwortung der XXXX vom 14.02.2023 steht fest, dass die russischen Militärkommissariate eine bestehende Wehrpflicht russischer Staatsangehöriger auf Seite 13 des russischen Inlandspasses bei der Feststellung der Tauglichkeit einzutragen haben. Die Seite 13 des Inlandspasses des Beschwerdeführers ist aber leer (vgl. erneut den kompletten Farbscan OZ 9). Dem Beschwerdeführer wurde dieser Umstand auch in der Beschwerdeverhandlung vorgehalten (Protokoll der mV S. 27), repliziert wurde darauf nicht. Auf Basis des echten Inlandspasses des Beschwerdeführers ist daher davon auszugehen, dass beim Beschwerdeführer eben keine Wehrpflicht festgestellt wurde –seine unglaubwürdigen (insb. zeitlich) Angaben zur Musterung (siehe oben) lassen allerdings den Schluss zu, dass er überhaupt nicht bei einer Musterung war. Es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, dass beim Beschwerdeführer im 2022 ausgestellten Inlandspass die Feststellung des Bestehens einer Wehrpflicht bei Feststellung der Tauglichkeit unterblieben wäre; dass bei der Ausstellung 2022 die Daten aus dem vorherigen Inlandspass übernommen wurden, ist schon deshalb anzunehmen, weil auch die Daten des vorherigen Inlandspasses in den neuen Inlandspass eingestempelt wurden (vgl. Inlandspass Seite 19, Beilage ./2 bzw. OZ9, dazu die Übersetzung Protokoll der mV S. 26). Da der besagte Stempel (Wehrpflichtstempel) auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen auf Seite 13 des Inlandspasses einzustempeln ist, sich im Inlandspass des Beschwerdeführers aber ein solcher nicht findet, ist festzustellen, dass beim Beschwerdeführer keine Wehrpflicht festgestellt wurde und er keinen Wehrpflichtstempel hat. Das unterstreicht zudem erneut die obigen Erwägungen dazu, dass es sich beim vorgelegten „Militärbuch“ eben nicht um ein echtes (und/oder richtiges) Dokument handelt. Es steht vielmehr fest, dass das Wehrdienstbuch nicht echt und nicht richtig ist. Es wird auch unter diesem Aspekt ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen rein gedanklich konstruierte und versuchte, dieses durch die Vorlage derartiger „Beweismittel“ zu unterfüttern.

Hinsichtlich des vorgelegten „Einberufungsbefehls“ ist folgendes festzuhalten:

Die belangte Behörde ging in ihrem Bescheid vom 27.02.2023 von der Authentizität des Einberufungsbefehls aus. Dem folgt das erkennende Gericht nicht. Dies bereits aufgrund der beweiswürdigenden Erwägungen dazu, dass der Beschwerdeführer ein unechtes und/oder unrichtiges „Militärbuch“ vorlegte, sein Vorbringen zu diesem aber unglaubwürdig war, und zudem auf Basis des echten Inlandspasses festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer keinen Wehrdienststempel im Inlandspass hat und bei ihm keine Wehrpflicht festgestellt wurde. Unter diesen Gesichtspunkten ist es nicht schlüssig, dass der Beschwerdeführer tatsächlich einen Einberufungsbefehl („Vorladung“) bekommen hätte. Daher ist das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft.

Der Beschwerdeführer brachte zudem auch dieses Schriftstück („Einberufungsbefehl“) nicht im Original, sondern als Kopie bei, sodass eine kriminaltechnische Untersuchung nicht zweckmäßig ist. Zur äußeren Beschaffenheit des Schriftstückes ist festzuhalten, dass es sich um einen Formularvordruck handelt, der handschriftlich ausgefüllt wurde und der abgestempelt ist; es handelt sich um die „Vorderseite“, darunter (arg. „hier abtrennen (ins Militärkommissariat zurücksenden)“) findet sich die „Rückseite“ (AS 155; vgl. damit das bereits im angefochtenen Bescheid S. 89ff enthaltene Muster; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Muster für einen Einberufungsbefehl 07.09.2022). Die „Rückseite“, die eine solche Vorladung ausweislich der Länderberichte hat, und die die Bestätigung des Wehrdienstverpflichteten enthält, dass er sich zu einem bestimmten Termin im Militärkommissariat einzufinden hat, wurde nicht vorgelegt. Das ist insofern bemerkenswert, als der Beschwerdeführer zum Verbleib dieses Abschnittes niemals Angaben machte. Jedenfalls brachte er nichts vor, was den Verbleib dieses Abschnittes – und damit die Vorlage nur eines Teils der Vorladung – erklären könnte. Dass die Ausstellung echter Dokumente mit falschem Inhalt in der Russischen Föderation möglich ist, steht auf Grund des Länderinformationsblattes fest – in Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Aufgrund obenstehender Erwägungenund weil der Beschwerdeführer keinen Wehrpflichtstempel im Inlandsreisepass hat, steht fest, dass der Einberufungsbefehl nicht echt ist.

Da sowohl das „Militärbuch“ als auch der „Einberufungsbefehl“ sich in Zusammenhalt mit den gravierenden Ungereimtheiten, die sich aus den Angaben des Beschwerdeführers ergaben, als unecht und/oder unrichtig erwiesen, ist auch dem darauf aufbauenden Vorbringen des Beschwerdeführers, dass „die Polizei“ am 02.01.2023 bzw. „ein örtlicher Polizist“ am 03.01.2023 zu seiner Familie gekommen wären (AS 178, Einvernahme BFA), und dass immer wieder die regionale Polizei käme, um sich nach dem Verbleib des Beschwerdeführers zu erkundigen (OZ 21, Stellungnahme 12.09.2023) kein Glauben zu schenken: Es ist nämlich nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer, der nicht bei der Musterung war und nicht als wehrpflichtig registriert ist, eine Vorladung (Einberufung) bekommen hätte und in diesem Zusammahang Nachschau nach ihm gehalten würde.

In der Stellungnahme vom 05.05.2023 – in der der Beschwerdeführer zusätzlich zum bisherigen Vorbringen einen gänzlich neuen Sachverhalt vorbrachte (vgl. dazu die Beweiswürdigung unter Punkt 2.2.2.) – behauptete er auch, in Zusammenhang mit dem neu erstatteten Vorbringen, dass er gezwungen worden sei, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, dass er in den Krieg gegen die Ukraine ziehen werde. An dieser Stelle wird bereits festgehalten, dass sich dieses neue Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubwürdig erwies, sodass folglich auch die Behauptung, dass er sich (eben nicht nur für den Wehrdienst an sich, sondern ganz konkret) für einen Einsatz im Ukrainekrieg verpflichten hätte müssen, nicht glaubwürdig ist.

Zum generellen Vorbringen zum Wehrdienst und einem Einsatz im Ukraine-Krieg:

Unbeschadet des unglaubwürdigen individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers (siehe dazu oben, insb. Musterung/Militärbuch/Einberufungsbefehl, polizeiliche Nachschau, etc.) befindet sich der Beschwerdeführer im wehrpflichtigen Alter und brachte generell Befürchtungen in Zusammenhang mit dem Wehrdienst, insbesondere einem Einsatz im Angriffskrieg gegen die Ukraine, vor. Dazu ist folgendes festzuhalten:

Den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen und weiteren Berichten ist zu entnehmen, dass zwar grundsätzlich eine Wehrpflicht für männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 27 Jahren besteht. Gleichzeitig wird die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen als relativ gering angegeben. Die Umsetzung der Mobilmachung in Bezug auf den Ukraine-Krieg obliegt den Regionen und wurde diese in Tschetschenien nicht durchgeführt. Tatsächlich finden in Tschetschenien jedoch Rekrutierungen in einer allgemeinen Atmosphäre des Zwanges und unter Verletzung von Menschenrechtsstandards statt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers kann vor den aktuellen Länderinformationen nicht objektiviert werden. So gab der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren gleichbleibend an, dass er seinen Grundwehrdienst nicht absolviert hat (AS 178, Protokoll der mV S. 16). Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt XXXX alt und fällt somit in die relevante Altersgruppe. Es gibt aktuell jedoch keine Hinweise auf die Teilnahme Wehrpflichtiger an Kampfhandlungen in der Ukraine. Wehrpflichtige werden allerdings in Grenzregionen stationiert. Gemäß rechtlicher Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen ins Ausland entsandt zu werden (LIB S. 34). Den Länderinformationen ist auch zu entnehmen, dass die Teilmobilmachung am 28.10.2022 vom Verteidigungsminister sowie am 31.01.2022 von Präsident Putin für beendet erklärt wurde. Gemäß einer schriftlichen Mitteilung der russischen Präsidialverwaltung vom Jänner 2023 ist der präsidentielle Erlass zur Einleitung der Teilmobilmachung nach wie vor in Kraft. Während der Zeit der Teilmobilmachung wurden 300.000 Reservisten einberufen. Als Reservist gilt dabei jede männliche und weibliche Person, die ein Militärbuch besitzt. Prinzipiell erhalten alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch. Es häufen sich aber Aussagen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten. Dieses besagt dann jedoch, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen (LIB S. 35).

Auf Basis dieser Erkenntnisse ist nicht gänzlich auszuschließen, dass der Beschwerdeführer in der Zukunft zum Wehrdienst einberufen wird. Weiters ist aus den Berichten auch ableitbar, dass derzeit die Teilmobilmachung abgeschlossen wurde, wenngleich sie auch formell nicht dahingehend beendet wurde, dass die Verordnung außer Kraft gesetzt wurde. Da der Beschwerdeführer noch nicht gedient hat, ist die Stellung eines Antrages zur Leistung von Wehrersatzdienst auch in Tschetschenien möglich und ist nach den letzten Berichten diese Möglichkeit nach wie vor weder ausgesetzt noch eingeschränkt. Solange männliche Rückkehrer keine Straftaten begangen haben und auch nicht von den russischen Behörden wegen Vergehen gesucht werden, haben diese bei einer Rückkehr aus Europa oder aufgrund eines in Europa gestellten Asylantrages keine Repressalien zu befürchten, auch wenn bei der Einreise im Zuge der Grenzkontrollen eine Befragung stattfinden sollte.

Es kann nicht erkannt werden, dass der Beschwerdeführer gefährdet wäre einem Einsatz im Ukraine-Krieg ausgesetzt zu sein, zumal er nicht einmal seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat (AS 178, Protokoll der mV S. 16). Da der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst bis dato nicht abgeleistet hat, besteht auch keine Gefährdung einer Verwendung im Ukrainekrieg, womit auch die Frage der Ausübung von Zwang im Zuge einer Rekrutierung bzw. eines Einsatzes in der Ukraine hinfällig ist. Dass Personen, die nicht einmal den Wehrdienst abgeleistet haben, für den Krieg (zwangsweise) rekrutiert werden würden, geht aus den Länderberichten, denen der Beschwerdeführer nicht substanziiert entgegentrat, nicht hervor und ist auch nicht plausibel. Vor dem Hintergrund der zitierten Länderinformationen kann auch die Angabe des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 01.06.2023, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Mobilmachung bereits abgeschlossen sei, nicht nachvollziehbar (OZ 14, hierzu berief sich der Beschwerdeführer auf veraltete Länderberichte vom September und Dezember 2022). Zumal die Teilmobilisierung bereits beendet ist und in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers auch nie umgesetzt wurde, kann selbst für den Fall, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr seinen Wehrdienst ableisten müsste nicht davon ausgegangen werden, dass er unter Zwang in den Ukrainekrieg eingezogen werden würde.

Zur Teilmobilmachung ist zudem noch festzuhalten, dass diese in Tschetschenien nicht durchgeführt wurde. Dass die Rekrutierung von Soldaten aus Tschetschnien auf der Basis von Freiwilligenverbänden (Freiwilligenbataillonen) erfolgt, steht auf Grund der des Länderinformationsblattes fest (LIB S. 35). Zwar kann dem Länderinformationsblatt auch entnommen werden, dass in Tschetschenien Rekrutierungen von Kämpfern unter einer allgemeinen Atmosphäre des Zwanges und unter Verletzung der Menschenrechtsstandards stattfindet (LIB S. 36). Allerdings droht dem Beschwerdeführer – insbesondere bei einer ihm zumutbaren Niederlassung außerhalb Tschetscheniens, in Moskau, wo er auch vor der Ausreise drei Jahre lang studierte und wohnte – keine reale Gefahr, zwangsrekrutiert zu werden. Rekrutierungen zu „Freiwilligenverbänden“ außerhalb Tschetscheniens kommen ausweislich des EUAA-Dossiers vom Dezember 2022 (S. 43) in Gefängnissen vor; es kann aber kein Grund festgestellt werden, warum dem Beschwerdeführer Haft drohen sollte, da sein Fluchtvorbringen nicht zutrifft und die vorgelegte Vorladung („Einberufungsbefehl“) nicht echt ist. Da sich die „wilden Rekrutierungen von Freiwilligen“ auf Tschetschenien beziehen, droht dem Beschwerdeführer bei einer Niederlassung zB in Moskau daher keine Zwangsrekrutierung zu einem „Freiwilligenbataillon“.

Dass der Beschwerdeführer im wehrpflichtigen Alter ist, steht auf Grund des Länderinformationsblattes fest. Dass dem Beschwerdeführer im Falle der Abschiebung keine Einziehung zum Militärdienst droht, steht fest, weil er nicht bei der Musterung war und nicht als wehrpflichtig registriert ist. Überdies steht auf Grund des Länderinformationsblatts fest, dass weiterhin die Möglichkeit besteht, Zivildienst zu leisten. Es besteht auch sonst keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr im Zuge einer Mobilisierung zum Wehrdienst eingezogen wird: Die Teilmobilisierung ist abgeschlossen, eine Generalmobilmachung wurde nicht erklärt. Der Beschwerdeführer hat den Wehrdienst nicht abgeleistet. Er gehört daher nicht der aktiven Reserve an.

2.2.2. Zum Vorbringen der Beschuldigung und Folter in Zuammenhang mit einer Autoexplosion in Grosny sowie einer Verpflichtungserklärung zum Ukraine-Krieg

In der Stellungnahme vom 05.05.2023 erstattete der Beschwerdeführer ein neues Vorbringen mit der Erklärung, dass er im bisherigen Verfahren aufgrund der Sorge um seine Familie in Tschetschenien Teile der traumatisierenden Erlebnisse noch nicht vorbringen habe können. Er sei in Tschetschenien festgenommen und gefoltert worden. Zudem sei er gezwungen worden, eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, dass er in den Krieg gegen die Ukraine ziehen werde. Dazu wurde ein konkreter Vorfall vorgebracht: Der Beschwerdeführer habe sich mit einem Freund namens XXXX , geb. XXXX , IFA: XXXX , in einem Hof getroffen – sie seien dann etwas essen gegangen und zwischenzeitig sei ein Auto in dem Hof explodiert. Am nächsten Tag sei der Beschwerdeführer festgenommen worden, er sei zu Polizeistation gebracht, dort geschlagen und gefragt worden, was er in dem Hog gemacht hätte, man hätte ihn auf Überwachungsvideos gesehen. Man habe ihm gesagt, dass auch sein Freund auf die Polizeistation gebracht worden wäre und dieser hätte schon alles erzählt. Der Beschwerdeführer sei gefoltert worden; nach zweimaliger Geldzahlung durch seine Familie sei er freigelassen worden. Vor einigen Tagen hätte er die Information erhalten, dass sein Bruder von der tschetschenischen Polizei aufgesucht und geschlagen worden sei, seinem Bruder sei gesagt worden, dass der Beschwerdeführer zurückkehren müsse. Er könne Fotos von den Verletzungen des Bruders vorlegen. Der Stellungnahme waren zwei Fotos beigelegt. (OZ 4)

Eingangs ist festzuhalten, dass die erkennende Richterin den Ausführungen in der Stellungnahme vom 05.05.2023, dass der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren aufgrund der Sorge um seine Familie in Tschetschenien Teile der traumatisierenden Erlebnisse noch nicht vorbringen hätte können, keinen Glauben schenkt. Diese bloße Behauptung wurde mit nichts substantiiert – der Beschwerdeführer hat keinen tragfähigen Grund dafür vorgebracht, dass er vor der belangten Behörde tatsächlich gehindert gewesen wäre, dieses Vorbringen zu erstatten. Dem Beschwerdeführer wurde eingangs der Einvernahme vor der belangten Behörde vielmehr ausdrücklich zur Kenntnis gebracht, dass seine Angaben im Asylverfahren vertraulich behandelt werden und nicht an die Behörden seines Heimatlandes weitergeleitet werden (AS 172, Protokoll der Einvernahme S. 2). Der Beschwerdeführer blieb eine Erklärung schuldig, weshalb er seine Aussagen in der Einvernahme von einer österreichischen Behörde dennoch aufgrund einer „Sorge um die Familie“ zurückgehalten hätte, obwohl er von der Vertraulichkeit seiner Aussagen in Kenntnis war. Seiner Erklärung in der Beschwerdeverhandlung, dass er zum ersten Mal im Ausland gewesen wäre, Angst gehabt hätte und nicht gewusst hätte, was er erzählen könne (Protokoll der mV S. 24) kann aufgrund dessen, dass er über die Vertraulichkeit belehrt wurde, nicht gefolgt werden. Es ist auch nicht schlüssig nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer gerade in der Einvernahme zu seinem Antrag auf internationalen Schutz in dem Land, dessen Schutz er begehrt, in der Einvernahme vor der in diesem Land hierfür zuständigen Behörde seine „tatsächlichen“ Fluchtgründe nicht preisgibt. Es ist vielmehr nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer weder in der Erstbefragung, noch in der Einvernahme vor der belangten Behörde diesen Sachverhalt vorbrachte. Ebensowenig ist nachvollziehbar, dass er dann nicht einmal im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes dieses Vorbringen erstattete, er also auch nicht gegenüber seinem eigenen Vertreter bei Beschwerdeerhebung entsprechende Angaben gemacht hätte.

Auf Basis des Ermittlungsgergebnisses (insb. Protokoll der mV S. 19ff) wird deutlich, dass es sich hierbei um ein gesteigertes Vorbringen des Beschwerdeführers handelt, das dieser – im Laufe des Beschwerdeverfahrens – bloß gedanklich konstruierte.

Es fällt ins Auge, dass der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde sogar explizit angab, dass es im Herkunftsstaat keine Übergriffe, Drohungen und Beschimpfungen gegen seine Person gegeben habe (AS 179). Dem stehen seine Angaben im Zuge seiner Stellungnahme vom 05.05.2023 und der Beschwerdeverhandlug zur (ungerechtfertigten) Anhaltung und Anschuldigung, insbesondere aber der Folter, die er erfahren hätte, diametral gegenüber. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer derartige Ereignisse selbst bei expliziter Nachfrage verschwiegen hätte, wenn sie ihm tatsächlich wiederfahren wären und er genau deshalb aus seinem Herkunftsstaat flüchten hätte müssen.

Weder aus seinen Angaben in der Stellungnahme noch aus seinen Angaben im Zuge der Beschwerdeverhandlung geht hervor, inwiefern die Explosion des Autos irgendetwas mit der Person des Beschwerdeführers oder seines Freundes zu tun gehabt hätte. In der Beschwerdeverhandlung brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor (Protokoll der mV S. 23):

„R: Was hat das alles jetzt mit Ihnen zu tun?

BF: Sobald wir weg waren, fünf Minuten nach diesem Zeitpunkt, ist das passiert. Ich denke, sie haben uns sicher in den Überwachungskameras gesehen.

R wiederholt die Frage.

BF: Nur, weil wir dort waren, in dem Moment, sonst kann ich das nicht erklären.

R: Hat Ihnen irgendjemand jemals erklärt, was das mit Ihnen zu tun hat?

BF: Als sie mich weggenommen haben, haben sie mich geschlagen und gezwungen irgendwas zu erzählen, aber ich wusste nicht, was genau. Am dritten Tag haben Sie ein Kabel mit Strom um meinen Finger gewickelt und mich mit Strom gefoltert.“

Keine dieser Angaben des Beschwerdeführers kann entnommen werden, dass die Explosion eines Autos in einem Innenhof in Zusammenhang mit dem Beschwerdeführer oder seinem Freund stehen würde. Es ist daher auch nicht schlüssig, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Explosion, die in keinem Zusammenhang mit seiner Person oder der seines Freundes steht, im Herkunftsstaat der Gefahr einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre oder sei.

In der Beschwerdeverhandlung machte der Beschwerdeführer nur vage, detaillose Angaben zu seiner angeblichen Anhaltung. So gab er etwa an, dass er sich nicht erinnern könne, wie lange er angehalten worden sei und er konnte auch keine Angaben dazu machen, an welchem Tag er freigelassen worden sei (Protokoll der mV S. 23). Da es sich dabei um einschneidende Erlebnisse handelt, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer zeitliche Komponenten bekannt sein müssten und er sich nicht auf vage, allgemeine Angaben beschränken müsste.

Bemerkenswert ist auch, dass der Freund des Beschwerdeführers – der sich ebenfalls ebenfalls in Österreich befindet, hier zwei Monate nach dem Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, und mit diesem in Österreich ein Zimmer teilt (Protokoll der mV S.21) weder im Zuge seiner Erstbefragung noch im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme Angaben zu diesem Vorfall machte. Auch in seinem Beschwerdeschriftsatz fand ein solcher Vorfall keine Erwähnung (OZ12; Beschwerdeverfahren anhängig zu W112 2268683-1).

Letztlich lief das neue, gesteigerte Vorbringen des Beschwerdeführers darauf hinaus, dass er zwar gegen Geldzahlungen freigekommen wäre – er hätte zuvor aber eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben müssen, dass er in den Krieg gegen die Ukraine ziehen werde. Auch dieser Aspekt des Vorbringens ist nicht glaubwürdig: Nach den Angaben des Beschwerdeführers hätte sich der Vorfall im Juli bzw. August 2022 ereignet (Protokoll der mV S. 20). Der Beschwerdeführer reiste jedoch erst im September 2022 aus dem Herkunftsstaat aus. Der Beschwerdeführer führte in der Beschwerdeverhandlung aus, dass er in der Zwischenzeit nur zu Hause gewesen sei (Protokoll der mV S. 23). Er habe sich somit noch etwa drei Wochen vor seiner Ausreise zu Hause aufhalten können (Protokoll der mV S. 24). Es ist nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer während dieser Zeit unbehelligt an seiner Adresse leben habe können, obwohl er - seinen Angaben zufolge - ein Dokument unterschrieben hätte, dass er freiwillig in den Ukrainekrieg ziehen würde (Protokoll der mV S. 23, OZ 4). Dass es sich auch hier (Verpflichtung zum Ukraine-Krieg) um eine bloße gedankliche Konstruktion des Beschwerdeführers handelt, wird insbesondere darin deutlich, dass der Beschwerdeführer im Spetember 2023 legal unter Verwendung seines echten russischen Auslandsreisepasses auf dem Luftweg über den Flughafen Moskau problemlos ausreiste und sogar eine gründliche eineinhalbstündige Kontrolle am Flughafen Moskau durchlief (AS 25, AS 181). Es ist nich schlüssig, dass der Beschwerdeführer in einer Situation, in der er sich ganz konkret dazu verpflichtet hätte, in den Ukraine-Krieg zu ziehen, völlig problemlos ausreisen hätte können.

Zudem gab der Beschwerdeführer im Zuge seiner Erstbefragung im September 2022 an, dass er den Entschluss zu seiner Ausreise ca. ein Jahr zuvor gefasst habe (AS 5). Zumal der Ukrainekrieg erst im Februar 2022 begann, der Beschwerdeführer jedoch den Entschluss zu seiner Ausreise bereits ca. im September 2021 gefasst hatte, fallen das vermeintlich fluchtauslösende Ereignis und der Entschluss zur Ausreise zeitlich weit auseinander. Sofern der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 05.05.2023 und im Zuge der Beschwerdeverhandlung den oben geschilderten Vorfall als fluchtauslösendes Ereignis nannte (Protokoll der mV S. 25) ist anzumerken, dass dieser mit dem in der Erstbefragung geschilderten Zeitpunkt des Entschlusses zur Ausreise zeitlich ebenso weit auseinanderfällt. Auch aufgrund dieses Umstandes kann nicht davon ausgegangen werden, dass das vom Beschwerdeführer geschilderte Vorbringen der Grund seiner Ausreise war.

Insgesamt erwies sich das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Anhaltung und Folter in Zusammenhang mit einer Autoexplosion, wobei er zwar gegen Geldzahlungen freigekommen wäre, aber sich zum Ukraine-Krieg verpflichten hätte müssen, als unglaubwürdiges Vorbringen, zudem auch als ein gesteigertes Vorbringen, das er erstmals im Mai 2023 neu erstattete, wobei seine Erklärung für dieses späte Vorbringen sich als bloße Schutzbehauptung herausstellte.

2.2.3. Vorbringen zum Bruder

Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme vor der belangten Behörde an, dass sein XXXX , im Herkunftsstaat verbliebener Bruder aufgrund einer möglichen Einberufung jetzt Probleme haben „könnte“. Der Beschwerdeführer berichtete hier somit nur von möglichen Problemen aufgrund einer möglichen Einberufung, obwohl er nach eigenen Angaben in Kontakt zu seinen in der Russischen Föderation lebenden Familienangehörigen stehe und daher jedenfalls erfahren würde, falls sein Bruder diesbezüglich Probleme hätte (AS 174). Im Zuge seines Beschwerdeschriftsatzes gab der Beschwerdeführer an, dass bereits gedroht worden sei, dass sein Bruder Probleme bekommen würde, wenn der Beschwerdeführer nicht zurückkehren würde (AS 415). Bis dahin stand dieses Vorbringen ausschließlich in Zusammenhang mit der vom Beschwerdefürher behaupteten Einberufung zum Wehrdienst (das Vorbringen zur Autoexplosion, Folter, Verplichtung zum Ukraine-Krieg stand in diesen Stadien des Verfahrens nämlich noch überhaupt nicht im Raum).

Der Beschwerdeführer steigerte sein diesbezügliches Vorbringen im Zuge seiner Stellungnahme vom 05.05.2023 weiter dahingehend, dass er einige Tage zuvor erfahren hätte, dass sein Bruder von der tschetschenischen Polizei am Arbeitsplatz aufgesucht und geschlagen worden wäre. Die Polizisten hätten zum Bruder des Beschwerdeführers gesagt, dass der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zurückkehren müsse. Ferner legte der Beschwerdeführer gemeinsam mit der Stellungnahme zwei Fotos vor, die seinen Bruder sowie die Verletzungen zeigen sollten, die diesem von den Polizisten zugefügt worden seien. Zudem gab er an, dass sein Bruder geschlagen und nach dem Beschwerdeführer gefragt worden sei. Zwar ist auf den Fotos ein Mann mit Rötungen über einer Augenbraue, unter einer Augenbraue und unter einem Auge sowie mit einer leicht blutenden Unterlippe zu sehen (OZ 4). Der Umstand, dass die Person auf den Fotos leichte Verletzungen im Gesicht aufweist, lässt jedoch keine Rückschlüsse darauf zu, woher diese Verletzungen stammen, auch die Identität der Person blieb letzlich unbelegt. Gleich eingangs der Beschwerdeverhandlung am 25.05.2023 brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Bruder nunmehr entführt worden wäre (Protokoll der mV S. 2), später gab er an, dass der Bruder wegen ihm (dem Beschwerdeführer) „weggenommen“ worden wäre (Protokoll der mV S. 25). Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer nur äußerst vage Angaben machen.

Im Zuge einer Stellungnahme vom 12.09.2023 brachte der Beschwerdeführer schließlich vor, dass er in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, dass sein Bruder in der Russischen Föderation mitgenommen und in eine Art „Trainingslager“ gebracht worden wäre. Der Beschwerdeführer hätte seitdem erfahren, dass sein Bruder sich geweigert habe, am Ukrainekrieg teilzunehmen, er daraufhin geschlagen worden wäre und er sich seitdem im Krankenhaus aufhalte (OZ 21). Dass sein Bruder in ein Trainingslager gebracht worden sei, erwähnte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung jedoch mit keinem Wort.

Zu alldem ist festzuhalten, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers in sämtlichen Aspekten, insbesondere hinsichtlich einer Einberufung seiner Person zum Wehrdienst und einer Anhaltung/Folter in Zusammenhang mit einer Autoexplosion und einer Verpflichtung seiner Person zum Ukraine-Krieg, als unglaubwürdig erwies und der Beschwerdeführer, insbesondere aufgrund der Vorlage unechter und/oder unrichtiger Beweismittel und der unglaubwürdigen Steigerung seines Vobringens im Beschwerdeverfahren, wo er ohne tragfähige Begründung einen gänzlich neuen Sachverhalt ins Treffen führte, selbst persönlich unglaubwürdig ist. Aus diesem Grund ist das Vorbringen zu den seinen Bruder betreffenden Ereignissen – die wiederum auf den Beschwerdeführer zurückzuführen wären und – ebenso unglaubwürdig.

Der Beschwerdeführer konnte daher auch nicht glaubhaft machen, dass sein im Herkunftsstaat lebender Bruder unter Zwang einberufen worden wäre. Insbesondere konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass sein Bruder wegen ihm irgendwelchen Eingriffen ausgesetzt gewesen wäre.

Sonstige Gründe, aus denen ihm eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit oder eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung in der Russischen Föderation drohen würde, wurden nicht behauptet und sind auch nicht hervorgekommen.

2.2.4. Eine aktuelle Verfolgung aus religiösen Gründen brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Er ist Angehöriger des Islam, der in der Russischen Föderation die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft ist. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Eine aktuelle Verfolgung aus diesem Grund ist den Länderberichten mit Blick auf den Beschwerdeführer nicht zu entnehmen.

Eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus ethnischen Gründen kann nicht erkannt werden, weil tschetschenische Volksangehörige in der Russischen Föderation weit verbreitet und nicht grundsätzlicher Benachteiligung oder Übergriffen ausgesetzt sind. Eine solche brachte der Beschwerdeführer ebenfalls nicht substanziiert vor.

Dass der Beschwerdeführer nie gegen Kadyrow oder Putin aufgetreten ist, kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung war, und sich nicht politisch oder journalistisch betätigte hatte, ergibt sich daraus, dass er derartiges nie vorbrachte – vielmehr gab er bereits vor der belangten Behörde an, dass er seine politischen Ansichten bei sich behalten habe. Ferner gab er dort auch an, dass es keine Verfolgungshandlungen aus religiösen Gründen oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit gegeben habe, auch die Frage nach Problemen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verneinte er (AS 180).

Dass er keine Probleme mit staatlichen Behörden oder im Herkunftsstaat hatte, ergibt sich zum einen daraus, dass er dies ebenso verneinte (AS 180) und sich zudem sein Fluchtvorbringen als gänzlich unglaubwürdig erwies.

2.2.5. Dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr wegen seines Aufenthalts in Österreich oder der Antragstellung auf internationalen Schutz keiner Gefährdung ausgesetzt sind, ergibt sich ebenfalls aus den Länderberichten, denen zufolge Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind.

Der Beschwerdeführer war und ist keiner konkreten und individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt. Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht ihm weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch russische Behörden oder durch andere Personen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf eine Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Darüber hinaus sind in den Stellungnahmen des Beschwerdeführers keine Länderberichte enthalten, die den Feststellungen des erkennenden Gerichtes zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers entgegenstünden oder eine andere Beurteilung erfordern würden. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben schlussendlich unbestritten.

2.4. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland, ergeben sich aus den o.a. Länderberichten zur Russischen Föderation und aus den Feststellungen zu seinen persönlichen Umständen. Die Sicherheitslage in der Russischen Föderation ist insbesondere für gewöhnliche Bürger stabil. Es sind im Verfahren keine Gründe dafür hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Heimatregion, konkret seine Heimatstadt XXXX , oder nach Moskau, wo er mehrere Jahre lebte und studierte, oder an einen anderen Ort in der Russischen Föderation nicht möglich ist.

Dass der Beschwerdeführer mit der Lebensart und Kultur Tschetscheniens vertraut sind, steht auf Grund des persönlichen Eindrucks, den er in der Beschwerdeverhandlung vermittelte, fest und mit den Feststellungen, dass er sein gesamtes Leben bis zur Ausreise im Jahr 2022 in Tschetschenien und Moskau lebte, dort sozialisiert wurde und im Familienverband aufgewachsen sind, in Einklang. Der Beschwerdeführer verfügt zudem über familiäre Anknüpfungspunkte (Eltern, Geschwister, Cousin, etc.) in der Russischen Föderation, und zu denen er auch weiterhin Kontakt hält.

Aufgrund der Länderfeststellungen zur Grundversorgung und der Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers steht fest, dass dieser nicht Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft im Falle einer Rückkehr nicht befriedigen zu können.

Dass dem Beschwerdeführer die Rückkehr nach XXXX möglich ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer dort einen Großteil seines Lebens verbrachte. Er lebte – abgesehen von einem dreijährigen Aufenthalt in Moskau aufgrund seines Studiums – ausschließlich in XXXX (Protokoll der mV S. 8). Zudem gab der Beschwerdeführer im Verfahren glaubhaft an, dass er vor seiner Ausreise im Eigentumshaus seiner Eltern lebte (AS 2, AS 173, AS 175, Protokoll der mV S 7, S. 8). Zumal der Beschwerdeführer angab, dass seine Eltern nach wie vor in diesem Haus leben, konnte auch davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation wiederum bei diesen Unterkunft nehmen kann (AS 175). Wie den Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren entnommen werden konnte, ist sein Vater als XXXX (AS 174, Protokoll der mV S. 12) und seine Mutter in XXXX berufstätig (Protokoll der mV S. 12). Die Eltern des Beschwerdeführers leben somit in finanziell abgesicherten Verhältnissen und es haben sich im Verfahren keine Gründe ergeben, die darauf schließen lassen, dass der Beschwerdeführer von seinen Eltern nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht finanziell unterstützt werden könnte. Dass der Beschwerdeführer nach wie vor in regelmäßigem Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat steht, gab er im Verfahren durchwegs an (AS 174, Protokoll der mV S. 11). Zwar führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auch an, dass er in letzter Zeit fast keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen habe, weil er Angst habe, dass sie seinetwegen Probleme bekommen könnten (Protokoll der mV S. 11). Zumal der Beschwerdeführer – wie in Punkt II.2.2. ausgeführt – sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen konnte, war auch nicht glaubhaft, dass er aus diesem Grund weniger in Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat stehe. Es war daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer weiterhin in Kontakt zu seinen Familienangehörigen steht. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer von seinen Familienangehörigen in XXXX nach einer Rückkehr wieder aufgenommen wird, und er, falls er sich nicht eine eigene Wohnung sucht, auch wieder Unterkunft im Elternhaus nehmen kann.

Ferner lebte der Beschwerdeführer während seines Studiums insgesamt drei Jahre in Moskau in gemeinsamen Haushalt mit seiner Schwester (Protokoll der mV S. 8, S. 9). Auch unmittelbar vor seiner Ausreise hielt sich der Beschwerdeführer in Moskau auf (Protokoll der mV S. 9). Zumal der Beschwerdeführer auch in Moskau für einige Jahre gelebt hat, ist ihm auch eine Rückkehr nach Moskau möglich und zumutbar. Zwar ist anzumerken, dass für die Wohnung, in der der Beschwerdeführer und seine Schwester lebten, kein Mietvertrag mehr besteht (Protokoll der mV S. 10). Der Beschwerdeführer kann aber jedenfalls auch eine andere Unterkunft in Moskau finden. Zudem arbeitet seine Schwester als Ärztin in Moskau und lebt somit in finanziell abgesicherten Verhältnissen (Protokoll der mV S. 9, 10). Die Schwester des Beschwerdeführers hat diesen – seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge – bereits während seines Aufenthalts in Moskau finanziell unterstützt und auch seine Mutter hat ihm während dieser Zeit Geld geschickt (Protokoll der mV S. 12). Es haben sich im Verfahren keine Gründe ergeben, die darauf hinweisen würden, dass der Beschwerdeführer eine derartige Unterstützung nicht auch nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation erfahren könnte. Zusätzlich lebt ein Cousin des Beschwerdeführers in Moskau, der den Beschwerdeführer ebenso nach seiner Rückkehr unterstützen kann (Protokoll der mV S. 11). Dass der Beschwerdeführer zu seiner Schwester und seinem Cousin in Kontakt steht, gab er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft an (Protokoll der mV S. 11).

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat die Schule (AS 1, AS 182). und die Universität besucht, er hat ein Studium abgeschlossen und daher eine fundierte Ausbildung (AS 7, AS 175, AS 182, Protokoll der mV S. 8, Beilage ./1). Der Beschwerdeführer war im Herkunftsstaat auch erwerbstätig und arbeitete in einem Friseurgeschäft und in einem Handyshop (AS 182, Protokoll der mV S. 9, S. 12). Es haben sich im Verfahren keine Gründe ergeben, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht wieder einer Beschäftigung nachgehen und somit seine Existenz aus eigenem Erwerb sichern kann. Es ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer für seinen Lebensunterhalt im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation durch seine Erwerbstätigkeit finanzieren kann. Zudem kann er – wie schon bereits vor seiner Ausreise – durch seine Eltern und seine Schwester finanziell unterstützt werden (AS 182, Protokoll der mV S. 9, S. 12).

Da der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist und eine fundierte Ausbildung hat, ist es ihm überdies auch möglich, sich an einem anderen Ort in der Russischen Föderation (außerhalb von XXXX oder Moskau) ein neues Leben aufzubauen und er kann unterstützend die verfügbaren Sozialleistungen, zB betreffend die Schaffung von Wohnraum oder der Arbeitslosenunterstützung, in Anspruch nehmen.

Aus den angeführten Erwägungen ergab sich insgesamt die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden würde sowie dass er nicht Gefahr laufen würde, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr auch nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet ist oder gefährdet ist, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder zu einer Todesstrafe verurteilt zu werden, geht aus dem Länderinformationen zur Russischen Föderation hervor; anderes ist im Verfahren (vor allem in Anebtracht des unglaubwürdigen Fluchtvorbringes) nicht hervorgekommen. Laut den Länderfeststellungen besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern. Der Beschwerdeführer hat nie aktiv gegen das Regime opponiert, war weder exilpolitisch noch journalistisch tätig, sodass ihm auch aufgrund seiner vorgebrachten (unterstellten) politischen Gesinnung (AS 424) keine Gefahr droht.

Auch auf Grund des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Laut den Länderberichten wird die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung und ist davon auch die kostenlose Medikamentenabgabe hinsichtlich einer Vielzahl an Erkrankungen umfasst. Jeder russische Staatsangehörige, egal ob er einer Arbeit nachgeht oder nicht, ist von der Pflichtversicherung erfasst und können medizinische Leistungen ohne unzumutbaren Aufwand regionsunabhängig in Anspruch genommen werden. Der Beschwerdeführer an keinen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen Krankheiten und hat dies auch nicht behauptet.

Laut den medizinischen Indikationen für die Zuordnung zur COVID-19 Risikogruppe gemäß COVID-19 Risikogruppen-Verordnung gehört der gesunde Beschwerdeführer keiner COVID-19 Risikogruppe an. Das Risiko sich zu infizieren besteht in Österreich ebenso und kann er auch in der Russischen Föderation in den Gesundheitseinrichtungen versorgt werden oder vorsorglich, um das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes zu minimieren, die vorhandenen Impfungen in Anspruch nehmen.

Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre, sind daher zusammenschauend nicht hervorgekommen, sodass dies entsprechend festzustellen war. Ebensowenig sind außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, hervorgekommen, sodass auch dies entsprechend festzustellen war.

2.5. Zur Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet

2.5.1. Die Feststellungen betreffend die Einreise und Asylantragsstellung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergeben sich aus dem Akteninhalt (AS 1ff).

2.5.2. Dass der Beschwerdeführer gute Grundkenntnisse in der deutschen Sprache hat, ergibt sich aus der Kommunikation in deutscher Sprache mit ihm in der Beschwerdeverhandlung. Er konnte dort auf Deutsch an ihn gestellten Fragen auf einfachem Niveau sinnergreifend verstehen und beantworten, sodass er damit unter Beweis stellte, dass er sich während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet passable Grundkenntnisse in der deutschen Sprach angeeignet hat (Protokoll der mV S. 18). Dass der Beschwerdeführer einen „Brückenkurs“ besuchte, in dem er Deutsch, Englisch und Mathematik lernt, ergibt sich aus seiner diesbezüglich glaubhaften Angabe in der mündlichen Verhandlung (Protokoll der mV S. 16) sowie einem im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterstützungsschreiben vom 25.05.2023 (Beilage ./A) und der abschließenden Bestätigung (OZ 20). Dass der Beschwerdeführer aktuell den Kurs „ XXXX “ besucht, ergibt sich aus einer dahingehenden Bestätigung der Volkshochschule vom 11.09.2023 (OZ 21).

2.5.3. Die Feststellung betreffend die geringfügige Beschäftigung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ergibt sich aus einem Auszug aus dem AJ-Web (AS 221) sowie aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung (Protokoll der mV S. 17). Dass der Beschwerdeführer diese Beschäftigung ohne die erforderliche behördliche Bewilligung ausübte, ergibt sich aus einem Strafantrag vom 13.06.2023 (OZ 17). Diesem kann entnommen werden, dass im Zuge einer Kontrolle der Finanzpolizei vom 18.01.2023 festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer einer Tätigkeit nachging, ohne im Besitz von entsprechenden arbeitsmarkrechtlichen Dokumenten oder Bewilligungen zu sein. Dies stellte eine Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes dar. Da der Beschwerdeführer auch nicht richtig zur Sozialversicherung angemeldet war, lag auch eine Übertretung des ASVG vor (OZ 17).

Dass der Beschwerdeführer über eine Einstellungszusage verfügt, konnte er durch die Vorlage einer Einstellungszusage vom 19.05.2023 in der mündlichen Verhandlung darlegen (Beilage ./C). Dass sich der Beschwerdeführer bei einem Lieferservice beworben hat, führte der Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom 12.09.2023 an, dies wird ebenso angenommen (OZ 21).

Dass der Beschwerdeführer sich im Bundesgebiet ehrenamtlich betätigt hat, ergibt sich aus einer im Zuge einer Dokumentenvorlage vom 25.08.2023 vorgelegten Bestätigung des Österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX . Dieser ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer den Quartiergeber hinsichtlich eines Projekts tatkräftig unterstützt hat (OZ 18). Die Teilnahme des Beschwerdeführers am Projekt „ XXXX “ ließ sich aufgrund der diesbezüglich vorgelegten Teilnahmebestätigung der Caritas vom XXXX feststellen (OZ 18). Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung zudem eine Bestätigung darüber vorlegen, dass er in einem Fußballverein spielt (Beilage ./B).

2.5.4. Die Feststellung betreffend die im Bundesgebiet lebende Schwester des Beschwerdeführers ergibt sich aus den diesbezüglich gleichgebliebenen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (S 2, AS 173, AS 181, Protokoll der mV S. 7). Ihre Aufenthaltsberechtigung konnte aufgrund der diesbezüglichen Angabe des Beschwerdeführers im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme (AS 182) sowie anhand eines Auszuges aus dem Zentralen Fremdenregister festgestellt werden. Der nahezu tägliche Kontakt des Beschwerdeführers mit dieser konnte aufgrund der diesbezüglichen Angabe des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung festgestellt werden (Protokoll der mV S. 19). Dass der Beschwerdeführer nicht in gemeinsamen Haushalt mit seiner Schwester lebt, ergibt sich aus seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung, dass er in einem Asylheim wohne (Protokoll der mV S. 18) sowie aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister. Dass er zu seiner Schwester nicht in einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis steht, ergibt sich aus seiner glaubhaften Angabe in der mündlichen Verhandlung, dass er von dieser kein Geld erhalte (Protokoll der mV S. 17).

Dass ein Freund des Beschwerdeführers im Bundesgebiet lebt, ergibt sich aus seinen Angaben im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme (AS 181) und der mündlichen Verhandlung (Protokoll der mV S. 20). Dass der Beschwerdeführer einige Bekanntschaften im Bundesgebiet geschlossen hat, er jedoch keine freundschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet hat, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Protokoll der mV S. 18).

2.5.5. Dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister (OZ 2).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Abweisung der Beschwerden gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention – GFK, droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031; 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid (bzw. das Asylerkenntnis) erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 30.08.2017, Ra 2017/18/0119; 28.11.2019, Ra 2018/19/0203) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinn ist die Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793).

3.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

3.2.1. Aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen machte der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung aufgrund eines Vorfalls im Zusammenhang mit einer Autoexplosion oder einer Einberufung zum Militärdienst, drohenden Zwangsrekrutierung bzw. Verpflichtung zum Einsatz im Krieg gegen die Ukraine glaubhaft. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird an dieser Stelle auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers verwiesen. Erachtet die zur Entscheidung über einen Asylantrag zuständige Instanz - wie im gegenständlichen Fall - im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, dann können die von ihm behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, Zl.95/20/0380). Wie in der Beweiswürdigung dargetan, ergibt sich der Schluss auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Fluchtgründe aus einer Gesamtschau seiner Angaben und der von ihm vorgelegten Beweismittel, zudem aus dem in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck.

Der Beschwerdeführer war auch nie Mitglied in einer politischen Partei oder sonstigen politischen Gruppierung, war weder öffentlich journalistisch oder sonst öffentlich und auf seine Person rückverfolgbar regimekritisch tätig, und konnte daher auch nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb ein Interesse der russischen Behörden an ihnen bestehen sollte bzw. er aufgrund einer (unterstellten) politischen Gesinnung verfolgt werden sollte, zumal er vor seiner Ausreise mit den staatlichen Behörden nicht in Konflikt geraten war. Auch aus dem Vorbringen hinsichtlich einer möglichen Einberufung zum Wehrdienst bzw. einer Zwangsrekrutierung konnte aus den in der Beweiswürdigung angeführten Gründen keine konkrete und individuelle Verfolgung glaubhaft gemacht werden. Die Angaben, dass er bei der Musterung gewesen wäre, ein Militärbuch erhalten hätte und später ein Einberufungsbefehl gekommen wäre, waren unglaubwürdig; ebenso das Vorbringen dazu, dass nunmehr sein Bruder (wegen dem Beschwerdeführer) Eingriffen ausgesetzt gewesen bzw. entführt/rekrutiert worden wäre. Hierzu wird auf die umfassende Beweiswürdigung verwiesen.

Auch aus den eingebrachten Berichten ist nicht ableibtbar, dass nunmehr jeder in den Krieg in die Ukraine einberufen werde, zumal auch die Teilmobilisierung beendet ist, wenngleich nicht formell, aber der Beschwerdeführer zunächst seinen Grundwehrdienst absolvieren müsste bzw. die Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes hat. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Einziehung Beschwereführers in den Krieg gegen die Ukraine ist nicht gegeben.

Es kann auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer war und ist keiner konkreten und individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt.

3.3. In Ermangelung von dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsstaat aufgrund generalisierender Merkmale – etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen oder zur Religionsgruppe des Islams – unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden „Gruppenverfolgung“ ausgesetzt wäre. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014).

Muslimen droht als Angehörigen der zweitgrößten Glaubensgemeinschaft und einer der traditionellen Hauptreligionen Russlands keine Verfolgung. Aus den Länderberichten geht auch hervor, dass in der Russischen Föderation rund 20 Millionen Muslime leben. Lediglich Dschihadisten und radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflussten Gruppen, drohen strenge Strafen und stehen diese insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden; dass der Beschwerdeführer zu diesen Gruppen gehört, hat er nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.

Es kann auf Grund der Länderberichte auch keine ethnische Gruppenverfolgung von Tschetschenen festgestellt werden: Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Es ist sohin nicht erkennbar, dass Tschetschenen in der Russischen Föderation grundsätzlich benachteiligt bzw. Übergriffen ausgesetzt sind.

3.4. Dem Beschwerdeführer droht aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen bei ihrer Wiedereinreise in die Russischen Föderation daher keine Gefahr. Zurückkehrende werden wegen der Stellung eines Asylantrages im Ausland oder ihrem Aufenthalt im Ausland nicht verfolgt.

3.5. Demzufolge lässt sich eine aktuelle Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht erkennen.

3.6. Aufgrund der getroffenen Feststellungen und der durchgeführten Beweiswürdigung ist die Entscheidung der belangten Behörde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zu bestätigen und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. abzuweisen.

Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

3.7. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Voraussetzungen dafür, einem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 subsidiären Schutz zu gewähren, unterscheiden sich im Ergebnis nicht von jenen nach § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; 28.06.2005, 2005/01/0080), weshalb zur Auslegung die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu diesen Bestimmungen herangezogen werden kann.

Nach dieser Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine positive Entscheidung betreffend den subsidiären Schutz, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege.

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 08.06.2000, 99/20/0203; 17.09.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, 2002/18/0028; 06.11.2009, 2008/19/0174).

Der Asylwerber hat glaubhaft zu machen, dass er aktuell bedroht sei, dass die Bedrohung also im Fall seiner Abschiebung in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewendet werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509; 22.08.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461; 25.01.2001, 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Die Anerkennung des Vorliegens einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person, die als Zivilperson die Gewährung von subsidiären Schutz beantragt, setzt nicht voraus, dass sie beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung liegt auch dann vor, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EUGH 17.02.2009, Elgafaji, C-465/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 45).

Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582, 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 MRK ist nicht ausreichend (Hinweis E vom 6. November 2009, 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 MRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; Hinweis E vom 21. August 2001, 2000/01/0443). Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 123, mwN).

3.8. Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt ist. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation ist eine Zivilperson aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

3.9. Wie bereits oben ausgeführt wurde, hat der Beschwerdeführer keine ihm konkret drohende aktuelle, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität bzw. keine für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe glaubhaft gemacht. Sein Vorbringen zu den Fluchtgründen ist nicht glaubhaft (siehe Beweiswürdigung); es bestehen daher keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers im Falle ihrer Rückkehr aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht ist. Wie bereits oben zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausgeführt wurde, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ihm in der Russischen Föderation eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

3.10. Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr bzw. Einreise in seinen Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt ist, noch dass „außergewöhnliche Umstände“ der Rückkehr bzw. Einreise des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um eine erwachsene Person, die bis zum Jahr 2022 ihr gesamtes bisheriges Leben in der Russischen Föderation, genauer in XXXX und in Moskau verbracht hat, die Sprache Tschetschenisch als Muttersprache und Russisch als weitere Sprache spricht und über Familienangehörige, so seine Eltern, Geschwister und einen Cousin, verfügt. Ferner hat er im Herkunftsstaat die Schule und die Universität besucht, war neben seinem Studium dort erwerbstätig und hat seine Sozialisation dort erfahren. Der Beschwerdeführer ist mit der tschetschenischen Kultur vertraut. Die Familienangehörigen des Beschwerdeführers, die in XXXX bzw. in Moskau leben, sind allesamt erwerbstätig und können den Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr zusätzlich finanziell unterstützen, wie sie dies bereits vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat getan haben. Zudem kann der Beschwerdeführer – wie auch schon vor seiner Ausreise – einer Erwerbstätigkeit nachgehen und so seinen Lebensunterhalt finanzieren. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation Unterkunft bei seinen Familienangehörigen nehmen kann. So verfügen die Eltern des Beschwerdeführers etwa in XXXX über ein Eigentumshaus, in dem auch der Beschwerdeführer bis kurz vor seiner Ausreise lebte. Von einer hinreichenden Absicherung der Grundbedürfnisse des Beschwerdeführers kann somit ausgegangen werden.

Es steht fest, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage nicht fehlt, zumal ihm als Staatsangehörigen der Russischen Föderation der Zugang zum staatlichen Sozial- und Krankenversicherungssystem offensteht. Entsprechend seiner bisherigen Ausbildung und Arbeitserfahrung kann er eine Beschäftigung ausüben und somit den Lebensunterhalt bestreiten. Es ist ihm somit möglich, seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Er kann wieder in seiner Herkunftsprovinz Tschetschenien Fuß fassen, wo seine Familie noch lebt und er auch im Elternhaus Unterkunft finden kann. Weiters hat der Beschwerdeführer drei Jahre Moskau gelebt und studiert, wo sich derzeit auch seine als Ärztin arbeitende Schwester aufhält, zudem auch ein Cousin lebt, und wo er sich ebenfalls als innerstaatliche Fluchtalternative niederlassen kann, zumal in der Russischen Föderation Niederlassungsfreiheit besteht und er so auch familiäre Kontakt hat, welche ihm bei der Wohnungssuche unterstützen können. Zusätzlich kann der Beschwerdeführer von seiner Familie finanziell unterstützt werden, wie es schon vor der Ausreise der Fall war. Zudem ist es dem gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer, nicht zuletzt aufgrund seines hohen Bildungsstandes, auch möglich und zumutbar, sich an anderen Orten in der Russischen Föderation, etwa St. Petersburg, als innerstaatliche Fluchtalternative niederzulassen, wo er Fuß fassen wird können und ein Leben ohne unbillige Härten führen kann.

3.11. Der Beschwerdeführer ist gesund und steht aufgrund der Länderberichte fest, dass eine allgemeine medizinische Versorgung sowohl in Tschetschenien, als auch in anderen Teilen der Russischen Föderation gewährleistet ist. Exzeptionelle Umstände wurden nicht behauptet und kann von nicht festgestellt werden, dass er an akuten und lebensbedrohlichen Erkrankungen leidet, welche in der Russischen Föderation nicht behandelbar sind und im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat allenfalls zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK führen würden, sodass auch seine gesundheitliche Verfassung einer Abschiebung nicht entgegensteht (zur Judikatur hinsichtlich der Abschiebung kranker Fremder vgl. VfSlg. 18.407/2008).

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers steht in einer Gesamtbetrachtung fest, dass er im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation nicht in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen wird, eine Verletzung ihrer durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Es liegen keine exzeptionellen Gründe vor, die einer Rückkehr in die Russische Föderation entgegenstehen. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr möglich und auch zumutbar ist. Auf Grund der Länderberichte steht auch fest, dass sich der Beschwerdeführer nicht nur in Tschetschenien, sondern auch an jedem anderen Ort in der Russischen Föderation (zB Moskau oder St. Petersburg) niederlassen und registrieren lassen kann.

3.12. Auch unter Berücksichtigung der Covid-19 Pandemie ergibt sich keine andere Beurteilung: Der Beschwerdeführer brachte nicht vor, dass er wegen der derzeitigen Covid-19-Pandemie besonders gefährdet oder einer Risikogruppe zugehörig wäre. Er ist gesund und benötigen aktuell keine medizinische Behandlung. Es liegen daher keine Erkrankungen, insbesondere keine Schwächung des Immunsystems vor, die im Sinne der Covid-19-Risikogruppenverordung das Risiko für einen besonders schweren oder lebensbedrohlichen Verlauf einer erneuten Covid-19 Erkrankung maßgeblich steigern. Der Beschwerdeführer leidet auch an keinen behandlungsintensiven Erkrankungen, sodass auch kurzfristige Engpässe im Gesundheitssystem zu keiner Gefährdung führen würden. Ein Impfstoff gegen schwere Verläufe von Covid-19 ist in der Russischen Föderation vorhanden. Es liegen daher auch mit Blick auf die Covid-19-Pandemie keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 3 EMRK vor. Eine Ansteckung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation mit Covid-19 und ein diesbezüglicher außergewöhnlicher Krankheitsverlauf wären allenfalls spekulativ. Eine reale und nicht auf Spekulationen gegründete Gefahr ist nicht zu erkennen.

3.13. Ebenso unter Berücksichtigung des von Russland geführten Ukraine-Kriegs ergeben sich keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 3 EMRK. Russland setzt im Krieg in der Ukraine Berufssoldaten ein und wurde keine Generalmobilmachung verkündet, sodass der Beschwerdeführer insbesondere auch auf Grund der Möglichkeit einen Wehrersatzdienst zu leisten, nicht Gefahr läuft, zwangsweise im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden.

3.14. Da kein „real risk“ besteht, dass die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen wird und keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen, vorliegen, ist dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht nicht zuerkannt und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. daher abzuweisen.

Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. – VI. der angefochtenen Bescheide

3.15. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zu erteilen ist.

3.16. Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

Der Beschwerdeführer befindet sich seit September 2022 im Bundesgebiet. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt im Bundesgebiet. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im verwaltungsbehördlichen, noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

3.17. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und kein begünstigter Drittstaatsangehöriger. Der Beschwerdeführer hat das Bundesgebiet seit seiner Einreise im September 2022 nicht mehr verlassen. Es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Mit der erfolgten Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz endet grundsätzlich das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlass dieser Entscheidung.

Daher liegen die Voraussetzungen für die Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG vor.

3.18.1. Das Bundesamt hat gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde.

Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG: Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist nach § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet war (Z 9).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruhen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff. NAG) verfügten, unzulässig wäre.

3.18.2. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn darf eine Ausweisung nicht erlassen werden, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes, gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wurde – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.18.3. Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammenleben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellt, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Zur in Österreich lebenden, erwachsenen, verheirateten Schwester des Beschwerdeführers, die im Besitz einer Rot-Weiss-Rot Karte ist, besteht zwar viel Kontakt, aber kein gemeinsamer Wohnistz und kein Abhängigkeitsverhältnis, sodass dieses Verhältnis nicht unter das Familienleben, sondern unter das Privatleben des Beschwerdeführers zu subsumieren ist. Sonstige Familienangehörige oder Verwandte hat er im Bundesgebiet nicht. Es liegt somit kein schützenswertes Familienleben iSd. Art. 8 EMRK vor, in das durch eine Rückkehrentscheidung eingegriffen werden könnte.

3.18.4. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0026). Im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es jedoch maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitprunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste (vgl. VwGH 09.03.2022, Ra 2022/14/0044-0047, mwN).

Der Beschwerdeführer reist im September 2022 legal auf dem Luftweg nach Österreich ein, stellte noch am Flughafen Schwechat am 09.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und hält sich bis dato als Asylwerber rechtmäßig in Österreich auf. Im Hinblick darauf ist die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers seit einem Jahr und drei Monaten verhältnismäßig sehr kurz. Der Aufenthaltsdauer allein wird keine maßgebliche Bedeutung zugemessen, zumal der rechtmäßige Aufenthalt lediglich aufgrund des Asylverfahrens bestand bzw. besteht.

Sowohl die belangte Behörde als auch das Verwaltungsgericht führten kein langes Verfahren und kommt es schließlich innerhalb von neun Monaten zu einer Enscheidung durch das Verwaltungsgericht über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid.

Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass der Beschwerdeführer sich in der kurzen Zeit seines Aufenthalts um Integration bemüht und dies durch zahlreiche Bestätigungen belegen konnte. Insbesondere besuchte er einen Kurs beim XXXX und an der Volkshochschule sowie bei der Caritas. Der Beschwerdeführer hat in dieser Zeit zudem elementar Deutsch gelernt und gemeinnützige Arbeiten für Asylwerber angenommen. Der Beschwerdeführer ist durch seine sportlichen Aktivitäten auch in einem Fußballverein gut integriert.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er war über sein ehrenamtliches Engagement hinaus in Österreich nicht legal erwerbstätig, wenngleich nicht übersehen wird, dass er bemüht ist eine Arbeit zu finden. Festzuhalten ist aber auch, dass der Beschwerdeführer in Österreich etwa zwei Monate geringfügig beschäftigt war, ohne die dafür erforderliche behördliche arbeitsmarktrechtliche Bewilligung zu haben. Der Beschwerdeführer gestand diese Übertretung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz in der Beschwerdeverhandlung auch zu, seitens der Finanzpolizie XXXX wurde mitgeteilt, dass er am 18.01.2023 am Gelände eines Paketzustellers aufgefunden wurde und für den Betrieb XXXX arbeitete. Eine intensive berufliche Integration des Beschwerdeführers erfolgte nicht.

Der Beschwerdeführer hat damit in sprachlicher und (künftiger) beruflicher Hinsicht grundlegende Integrationsschritte gesetzt, die zu seinen Gunsten gewichtet werden. Gegen seine Interessen am Verbleib ist allerdings die Beschäftigung ohne die dafür die notwendige arbeitsmarktbehördliche Bewilligung zu gewichten; eine wirtschaftliche Integration ist nicht zu sehen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Eine intensive soziale Beziehung zu anderen Personen als seiner Schwester und seinem Mitbewohner, den er noch aus der Heimat kennt, konnte er nicht darlegen. So gab er als engste Bezugspersonen die Freunde vom Fußball an, tat über das Fußballspielen hinaus aber keine engen Bindungen dar.

In einer Gesamtbetrachtung stellt sich der Grad der Integration des Beshwerdeführers daher in Relation zur sehr kurzen Aufenthaltsdauer als nicht außergewöhnlich dar, wenn auch ein Integrationswille erkennbar ist.

Der Beschwerdeführer hat aufgrund dessen, dass er sein Leben bis zur Ausreisse im September 2022 in Tschetschenien und Moskau verbracht hat und dort seine Familienangehörigen leben, zu denen er auch Kontakt hat, sehr starke Bindungen an seinen Herkunftsstaat. Er wurde dort von seinen Eltern und seiner Schwester finanziell unterstützt, die ihn auch nach seiner Rückkehr wiederum unterstützen können. Er spricht fließend Russisch und Tschetschenisch, ist mit der russischen und tschetschenischen Kultur und Lebensart sozialisiert worden und mit dieser noch vertraut, hat dort einen langen Bildungsweg erfolgreich abgeschlossen und war erwerbstätig. Es ist nicht ersichtlich, dass die Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat nach seiner kurzen Abwesenheit von dort gänzlich gelöst sind oder auch nur verblasst wären. Der Beschwerdeführer kann nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation – wie bereits vor seiner Ausreise – in gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern in deren Eigentumshaus leben, er kann sich auch einen eigenen Wohnraum schaffen. Er kann auch nach seiner Rückkehr in die Russische Föderation einer Erwerbstätigkeit nachgehen, wie er das schon vor seiner Ausreise getan hat. Da der Beschwerdeführer sein gesamtes Leben in der Russischen Föderation verbracht hat und sich nur für gut ein Jahr im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer problemlos wieder in die russische Gesellschaft integrieren können wird.

Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seines Privatlebens in Österreich wird auch dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthalts und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein musste. Er durfte sich im Bundesgebiet bisher nur auf Grund seines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21.878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten durfte, begründetes Privatleben per se nicht geeignet war, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügte. In diesem Fall muss sich der Beschwerdeführer bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg. 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Dem Beschwerdeführer ist es zudem möglich, den Kontakt zu seiner in Österreich lebenden Schwester durch Mittel der Fernkommunikation sowie durch Besuche seiner Schwester im Herkunftsstaat aufrecht zu erhalten, wie das schon vor seiner Einreise in das Bundesgebiet möglich war, sodass auch diese Bindung an seine hierlebende Schwester nicht maßgeblich zu seinen Gunsten ausschlägt. Im Übrigen ist es dem Beschwerdeführer bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG auch nicht verwehrt, neuerlich in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 861).

In einer Gesamtbetrachtung ergibt sich, dass die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich sehr kurz ist und er in Österreich einen im Ergebnis unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Stärkere Bindungen bestehen zu seiner hier lebenden Schwester, zu der in regelmäßigem Kontakt steht. Der Beschwerdeführer hat zwar einige Kurse zur Vorbereitung für den Pflichtschulabschluss besucht und sich im Bundesgebiet ehrenamtlich betätigt sowie Fußball in einem Verein gespielt. Allerdings hat er auch bereits gegen arbeitsmarktbehördliche Vorschriften in Österreich verstoßen, weil er ohne entsprechende Bewilligung erwerbstätig war. In sprachlicher, kultureller und (küftiger) beruflicher Hinsicht ist der Beschwerdeführer zwar grundlegend, aber nicht außergewöhnlich integriert, in wirtschaftlicher Hinsicht nicht. Er hat darüber hinaus keine wesentlichen Integrationsleistungen erbracht, die sein Interesse am Verbleib in Österreich verstärken würden. Auf Basis der anhaltenden Bindungen an den Herkunftsstaat und der Rückkehrsituation ergibt sich nichts wesentlich für das Interesse des Verbleibs des Beschwerdeführers in Österreich Sprechendes. Den Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib kommt zwar Gewicht zu. Es ist ihm aber möglich, zu seiner im Bundesgebiet lebenden Schwester über Mittel der Fernkommunikation in Kontakt zu stehen, wie er das schon vor seiner Ausreise getan hat. Wesentlich ist, dass die Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers, wie schon ausgeführt, noch dadurch relativiert ist, dass er sich seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste und er seine Integrationsschritte auch in dem Bewusstsein setzte.

In Bezug auf die sehr kurze Aufenthaltsdauer in Österreich und da keine Aspekte einer In Erwägung der öffentlichen Interessen und den gegenläufigen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib, ergibt sich, dass eine Rückkehrentscheidung im Sinne eines geordneten Fremdenwesens in Ansehung des Art. 8 EMRK gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. Die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, überwiegen die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet und ist aufgrund der dargelegten Umstände des Einzelfalls eine Situation gegeben, in der eine Rechtfertigung gegeben ist, in das Privatleben des Beschwerdeführers einzugreifen.

Da keine Anhaltspunkte für eine außergewöhnliche Integration hervorgekommen sind, ist nicht erkennbar, dass aus dem im Zeitraum des lediglich aufgrund der Asylverfahren rechtmäßigen Aufenthaltes entstandenen Privatlebens die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären wäre.

In einer Gesamtabwägung überwiegen daher das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens den Interessen des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seines Privatlebens in Österreich. Die Beschwerde war daher auch in Bezug auf die Rückkehrentscheidung als unbegründet abzuweisen.

3.19. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 GFK), es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat ist zulässig, weil bei der Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten F und der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergibt.

3.20. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides. Dies, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Derartige Gründe wurden im Verfahren nicht vorgebracht und es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine längere Frist erforderlich machen würden.

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.21. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht legte der gegenständlichen Entscheidung insbesondere folgende Rechtsprechung zugrunde: zur Notwendigkeit der Glaubhaftmachung der behaupteten Fluchtgründe (VwGH 09.05.1996, Zl.95/20/0380); zur maßgeblichen Wahrscheinlichkeit bzw. dem Ungenügen einer entfernten Möglichkeit einer Verfolgung (VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031; 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN). Zur Notwendigkeit des Vorliegens exzeptioneller Umstände für die Annahme einer Verletzung von Art. 3 EMRK bei Rückkehr an den Heimatort oder Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; Hinweis E vom 21. August 2001, 2000/01/0443 und der Beurteilung der Anspannung durch die Corona-Virus-Pandemie VwGH 20.08.2020, Ra 2020/19/0239, mwN; 16.09.2020, Ra 2020/14/0389, mwN, 05.02.2021, Ra 2020/19/0322-11; 22.03.2021, Ro 2020/01/0012-8; sowie 26.04.2021, Ra 2021/20/0006-14). Zur Interessenabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidung hinsichtlich der Aufenthaltsdauer VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289 mwN (keine maßgebliche Bedeutung von Aufenthaltsdauer unter fünf Jahren) und VwGH 28.1.2016, Ra 2015/21/0191 (Möglichkeit des Überwiegens der Verbleibinteressen auch bei „kürzerer“ Aufenthaltsdauer), zur Notwendigkeit außergewöhnlicher Integration bei relativ kurzer Aufenthaltsdauer VwGH 14.01.2020; Ra 2019/18/0521, und erneut 20.11.2019, Ra 2019/20/0269, jeweils mwN; zur Relativierung der Integrationsschritte durch Unsicherheit des Aufenthaltsstatus VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003, mwN und zur Gesamtabwägung VwGH 22.02.2017, Ra 2017/19/0043; vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101; insbesondere auch VwGH 27.04.2020, Ra 2020/21/0121.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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