Spruch
W191 2276844-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2023, Zahl 1322724701/222757857, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 und §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein indischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 02.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
1.2. Der BF wurde am 04.09.2022 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Hindi, erstbefragt und gab an, dass er aus dem Bundesstaat Haryana stamme und der Glaubensgemeinschaft des Hinduismus angehöre. Er spreche Hindi als Muttersprache und habe zwölf Jahre die Grundschule besucht.
Als Fluchtgrund gab der BF zusammengefasst an, dass er in Indien keine Arbeit finde und Armut befürchte.
1.3. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) am 30.06.2023, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Punjabi, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben hinsichtlich der Personalien und des Reiseweges.
Zudem gab er an, dass er Angehöriger der Volksgruppe bzw. Kaste der Jat sei. Er sei ledig und habe keine Familienangehörigen in Österreich. Seine Familie habe in Indien eine Landwirtschaft. Er sei am 28.08.2022 legal nach Serbien geflogen und am 06.09.2022 nach Österreich gereist. Seinen Reisepass habe er in Serbien verloren.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF zusammengefasst an, dass er in Indien keine Arbeit gefunden habe.
1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 24.07.2023 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 02.09.2022 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat.
Der BF habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Indien. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Indien.
Zu seinem Fluchtvorbringen führte das BFA beweiswürdigend aus, dass der BF kein fundiertes und substantiiertes Vorbringen dargelegt habe und dieses sehr vage sei. Er habe Indien lediglich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und keine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen oder aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit vorgebracht.
1.5. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben seines Vertreters vom 17.08.2023 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen unrichtiger Feststellungen, „Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ und unrichtiger rechtlicher Beurteilung ein.
In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen zusammengefasst vorgebracht, dass der BF wegen konkreter Vorfälle, die er in der Einvernahme näher dargestellt hätte, ungerechtfertigten und willkürlichen Vorwürfen gegen ihn seitens der indischen Behörden und schwerwiegenden Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wäre, wogegen er sich aufgrund der Korruption und Inkompetenz der indischen Polizei nicht wehren hätte können. Zudem verfüge der BF in seiner Heimat über kein Auffangnetz mehr, das ihm eine Rückkehr ermöglichen könne. Er sei aus seiner Heimat entwurzelt und im Falle einer Rückkehr wäre davon auszugehen, dass er in eine ausweglose Lage geraten würde und damit eine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte vorliegen würde.
Auch bemühe sich der BF intensiv um eine Anpassung an das Leben in Österreich, habe die deutsche Sprache erlernt, intensive soziale Kontakte geknüpft, ohne dies irgendwie näher auszuführen oder zu konkretisieren, sei unbescholten und durchaus selbsterhaltungsfähig.
Beantragt wurde unter anderem, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 04.09.2022 und der Einvernahme vor dem BFA am 30.06.2023, den angefochtenen Bescheid sowie die gegenständliche Beschwerde
Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Indien, Seiten 65 bis 129 im Verwaltungsakt)
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen, glaubhaft gemachten Sachverhalt aus:
3.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist indischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe bzw. Kaste der Jat an, bekennt sich zur Glaubensgemeinschaft des Hinduismus und ist ledig. Er stammt aus einem Dorf im Bundesstaat Haryana. Der BF beherrscht Hindi als Muttersprache sowie Punjabi.
Der BF hat zwölf Jahre lang die Schule besucht und war in Indien nicht erwerbstätig. Seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester leben nach wie vor in Indien.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat mit seinem Vorbringen, dass er in Indien keine Arbeit gefunden habe, eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Der BF hat nicht glaubhaft gemacht, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus den oben genannten Gründen ausgesetzt wäre.
Der BF kann in seinen Herkunftsstaat Indien zurückkehren.
Da der BF – er ist im erwerbsfähigen Alter, männlich und arbeitsfähig und verfügt über Schulbildung – in Indien ein Fortkommen hat, ist es ihm auch zumutbar, einer allfälligen Verfolgung durch die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Flucht- bzw. Schutzalternative zu entgehen. Etwaige Gründe, warum ihm eine Niederlassung in einem anderen Teil Indiens nicht möglich wäre, hat der BF vorgebracht.
3.4. Zur Integration des BF in Österreich:
Der BF ist seit September 2022 in Österreich aufhältig. Ihm steht in Österreich kein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylrechtes zu, und er hatte niemals ein anderes als das vorübergehende Aufenthaltsrecht als Asylwerber in Österreich.
Der BF verfügt über keine familiären oder relevanten privaten Bindungen in Österreich. Auch Anhaltspunkte für die Annahme einer Integration in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind nicht hervorgekommen.
Der BF wurde im März 2023 bei der Ausübung von Schwarzarbeit betreten.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Eine Integration des BF in Österreich in besonderem Ausmaß liegt nicht vor.
Der BF hat keine hinsichtlich Art. 8 EMRK relevanten Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich.
3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Indien (Schreibfehler teilweise korrigiert, Stand 17.05.2023):
[...] 2. Covid-19
Letzte Änderung: 17.05.2023
Indien hatte hinsichtlich COVID-19-Impfungen einen langsamen Start. Logistische Probleme, Lieferengpässe, zögerliche Reaktionen auf den Impfstoff und eine zweite Welle von COVID-19 während dieser Zeit erschwerten die Einführung (BBC 18.07.2022). Ein Impfprogramm für die 15- bis 18-Jährigen begann im Jänner 2022, für die 12- bis 14-Jährigen im März 2022. Laut dem indischen Gesundheitsministerium haben 2,17 Milliarden Menschen in Indien mindestens eine Impfdosis erhalten (MoHFW 22.09.2022). Damit haben 98% der Erwachsenen mindestens eine Dosis des COVID-19-Impfstoffs erhalten, und 90% sind vollständig geimpft worden (BBC 18.07.2022).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass nach dem Zufallsprinzip ankommende Flugpassagiere einem kostenpflichtigen COVID-19-Test am Flughafen unterzogen werden (AA 13.04.2023; vgl. BMEIA 13.04.2023). Bei positivem Testergebnis kann eine Heimquarantäne verfügt werden. Ein-, Durch- und Weiterreisen auf dem Landweg sind aufgrund der Schließung der Grenzen zu den Nachbarländern derzeit nicht möglich (AA 13.04.2023).
Ausgangssperren, bundesstaatliche Einreisebeschränkungen und Kontrollmaßnahmen sowie sonstige einschränkende Maßnahmen einschließlich verpflichtender kostenpflichtiger Corona Schnelltests können orts- und lageabhängig kurzfristig verhängt werden. Verstöße gegen Pandemieauflagen können als Straftaten geahndet werden (AA 13.04.2023).
Das Exekutivdirektorium der Weltbank hat am 28.06.2022 zwei sich ergänzende Darlehen in Höhe von jeweils 500 Millionen US-Dollar zur Unterstützung und Verbesserung des indischen Gesundheitssektors genehmigt. Die COVID-19-Pandemie hat demnach die Notwendigkeit unterstrichen, die Kernfunktionen des öffentlichen Gesundheitswesens in Indien neu zu beleben, zu reformieren und auszubauen sowie die Qualität und den Umfang der Gesundheitsdienste zu verbessern (WB 28.06.2022). Offizielle Daten zeigen seit 31.05.2022 im Wesentlichen einen Nettozuwachs an Krankenhausbettenkapazität. So haben sich die Krankenhäuser auch darauf geeinigt, 80% ihrer COVID-19-Betten zu staatlichen Tarifen abzurechnen und für die restlichen 20% die Krankenhaustarife zu berechnen (BuS 08.06.2022). [...]
3. Politische Lage
Letzte Änderung: 17.05.2023
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen (AA 22.09.2021; vgl. CIA 01.09.2022) und einer multireligiösen sowie multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt. Trotz vieler, teils durchaus gravierender, Defizite im Menschenrechtsbereich ist die Stabilität Indiens als rechtsstaatliche Demokratie mit weitgehenden individuellen Freiheitsrechten - besonders im regionalen Vergleich - nicht gefährdet (AA 22.09.2021). Seit fast sieben Jahrzehnten finden freie und faire Wahlen statt (BS 23.02.2022; vgl. FH 24.02.2022). Das Parteiensystem ist relativ stabil und gesellschaftlich verwurzelt, wobei allerdings informelle Verfahren, Fraktionszwang und Klientelismus vorherrschen (BS 23.02.2022).
Indien ist eine Mehrparteiendemokratie. Die Wahlen und Auswahlverfahren der Exekutive werden im Allgemeinen als frei und fair angesehen. Die Exekutivgewalt liegt bei einem Premierminister, in der Regel dem Vorsitzenden der Mehrheitspartei in der Lok Sabha (Volkskammer), und einem Kabinett von Ministern, die vom Premierminister ernannt werden. Sie werden vom Präsidenten ernannt und sind der Lok Sabha verantwortlich. Narendra Modi wurde nach dem Sieg der BJP bei den Lok-Sabha-Wahlen 2019 für eine zweite Amtszeit als Premierminister vereidigt (FH 2023; vgl. USDOS 20.03.2023). Der Präsident, der eine weitgehend symbolische Rolle spielt, wird von den Gesetzgebern der Bundesstaaten und des Landes für eine fünfjährige Amtszeit gewählt (FH 2023). Er ist das Staatsoberhaupt, und der Premierminister fungiert als Regierungschef (USDOS 12.04.2022). Neben seiner allgemeinen repräsentativen Funktion entscheidet der Präsident, welche Partei am besten in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Weiters umfassen seine legislativen Befugnisse u. a. die Auflösung oder Einberufung des Parlaments. Zu seinen exekutiven Befugnissen gehört die Ernennung des Obersten Richters Indiens aus einer Liste, die ihm vom Obersten Gerichtshof übermittelt wird; zudem fungiert der indische Präsident auch als Oberbefehlshaber der Armee, wenngleich der Premierminister über die exekutive Gewalt verfügt (KAS 7.2022). Seit Ende Juli 2022 hat den Posten des Präsidenten erstmals eine indigene Frau inne: Droupadi Murmu, die der Santal-Gemeinschaft (einer der ältesten und größten indigenen Gruppen Indiens) angehört (KAS 7.2022; vgl. E+E 27.07.2022).
Als Premierminister wird normalerweise der Spitzenkandidat der stärksten Parteien bzw. der Mehrheitsfraktion in der Lok Sabha, dem indischen Unterhaus, berufen. Er wird formal vom Unterhaus für fünf Jahre gewählt und kann ebenfalls wiedergewählt werden. Der Premierminister und der Ministerrat führen die Regierungsgeschäfte. Aufgrund der dynastischen Traditionen werden wichtige Entscheidungen oft vom Premierminister und seinen Beraterstäben ohne Abstimmung und Rücksprache mit den jeweiligen Ministerien getroffen (BPB 07.04.2014).
Bei den Parlamentswahlen 2019 erzielte das von der amtierenden Bharatiya Janata Party (BJP, „Indische Volkspartei“) angeführte Bündnis einen weiteren Sieg gegen den Indischen Nationalkongress (INC) und seine oppositionellen Verbündeten (BBC 23.05.2019; vgl. KAS 4.2022). Die BJP gewann 37,76% der Stimmen und 55,8% der Sitze im Parlament. Hingegen errang die INC 19,7% der Stimmen und 9,7% der Parlamentssitze (IV o. D.; vgl. PILS 10.11.2020).
Es gibt eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend von politischer Bedeutung sind (AA 22.09.2021). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Die Hauptstadt Neu Delhi verfügt über einen besonderen Rechtsstatus (AA 25.02.2022). Die horizontale Gewaltenteilung ist in der Verfassung durch ein System der gegenseitigen Kontrolle („Check and Balances“), das weitgehend umgesetzt wird, gewährleistet (BS 23.02.2022).
Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien (INDI 5.2022; vgl. NPI o. D.) ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 12.04.2022). Hinsichtlich der Staatlichkeit weist das Gewaltmonopol des Staates auf seinem Territorium geringe Probleme auf. Die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert den indischen Nationalstaat als legitim. Die Legitimität des Nationalstaates wird jedoch in abgelegenen Gebieten, in denen der Staat und seine Institutionen praktisch nicht vorhanden sind, die von kleinen ethnischen Gruppen und Stämmen bewohnt werden und die auch durch die Präsenz von Rebellenorganisationen gekennzeichnet sind, in Frage gestellt (BS 23.02.2022).
Die von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführte Regierung setzte ihre systematische Diskriminierung und Stigmatisierung von religiösen und anderen Minderheiten, insbesondere von Muslimen, fort. BJP-Anhänger verübten zunehmend gewalttätige Angriffe gegen bestimmte Gruppen. Die hinduistische Mehrheitsideologie der Regierung spiegelte sich in der Voreingenommenheit der Institutionen, einschließlich der Justiz und der Verfassungsorgane wie der Nationalen Menschenrechtskommission, wider (HRW 12.01.2023).
Aktivisten und Minderheitengruppen zufolge wandelt sich Indien allmählich von einer säkularen multikulturellen Nation zu einem hinduistisch geprägten Staat. Unter der seit 2014 amtierenden Regierung von Premierminister Narendra Modi ist demnach der säkulare Charakter des Landes ins Hintertreffen geraten (DW 14.08.2022). Die Hindutva-Ideologie, von der sich die regierende BJP leiten lässt, befürwortet die Vorherrschaft der Hindus und sieht die Errichtung eines „HinduStaates“ (einer „Hindu Rashtra“) vor, wobei Nicht-Hindus nicht alle Rechte eingeräumt werden, die den Hindus zukommen (HBS 12.07.2022). Die BJP gehört zu einem Netzwerk von Organisationen, in dessen Zentrum die radikal hindunationalistische Kaderorganisation „Rashtriya Swayamsevak Sangh“ (RSS) steht, die ursprünglich von den italienischen Faschisten in den Zwanzigerjahren inspiriert wurde (E+E 03.03.2022; vgl. HBS 12.07.2022).
Außenpolitisch wird Indien derzeit vor allem vom Westen kritisch beäugt, da das Land den Krieg Russlands in der Ukraine noch nicht öffentlich verurteilt hat und sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegenüber der russischen Aggression enthielt. Eine Quelle erklärt, dass das Land eine Mittelposition einnimmt und von neuen günstigen Öllieferungen Moskaus profitiert (FAZ 21.07.2022; vgl. WW 05.03.2022). Einer anderen Quelle zufolge hat sich Indien in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt und verfolgt demnach - nachdem es sich während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profiliert hatte - heute eine pro-westliche Politik (BICC 7.2022). Nach wieder anderen Angaben betont das Land trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, z. B. in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad-Staaten (Anmerkung: Staatengruppe bestehend aus Australien, Japan, Indien und USA) hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). [...]
4. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 17.05.2023
Die Sicherheitslage in Indien wird vor allem durch drei wesentliche Konflikte geprägt: der Konflikt in Jammu und Kaschmir, die separatistischen Bewegungen in den nordöstlichen Bundesstaaten und der Aufstand der Naxaliten (EFSAS 12.2019). Im gesamten Land sind kleinere (BICC 7.2022), u. a. in Großstädten auch schwerere terroristische Anschläge möglich (BMEIA 11.10.2022; vgl. AA 18.10.2022, EDA 14.4.2023). Die Sicherheitslage bleibt diesbezüglich angespannt. Dies gilt insbesondere im zeitlichen Umfeld staatlicher und religiöser Feiertage sowie von Großereignissen (AA 18.10.2022). Indien unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung (Prevention of Terrorism Ordinance) verabschiedet (BICC 7.2022). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 621 Todesopfer durch terroristische Gewalt, für 2020 591, für 2021 585; 2022 wurden bis zum 04.10. insgesamt 340 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o. D.b.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in der Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 8.2021).
Sicherheitslage in einzelnen Bundesstaaten
Die Streitkräfte des Landes, die Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten und paramilitärische Kräfte lieferten sich Gefechte mit terroristischen Gruppen in mehreren östlichen Bundesstaaten sowie in Jammu und Kaschmir und mit maoistischen Terroristen im Norden, im Zentrum und im Osten des Landes. Die Intensität der Gewalt in diesen Gebieten nahm jedoch weiter ab (USDOS 20.03.2023).
Dem österreichischen Außenministerium (BMEIA) zufolge besteht in den westlichen Teilen von Ladakh ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 11.10.2022). Das deutsche Auswärtige Amt erachtet die Sicherheitslage hier für grundsätzlich stabil, schließt allerdings einzelne terroristische Aktivitäten nicht aus (AA 18.10.2022). Laut BMEIA besteht weiters ein hohes Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten und in der Gegend westlich von Mulbek, in den Gebieten entlang der pakistanischen und der chinesischen Grenze, in der unmittelbaren Nachbarschaft zur pakistanischen Grenze, in den Bundesstaaten Rajasthan und Punjab sowie in den Gebieten westlich der Orte Jaisalmer und Bikaner. In den Bundesstaaten Chhattisgarh und Jharkand, in den östlichen Landesteilen von Maharashtra und Madhya Pradesh, sowie vereinzelt in Odisha und Bihar sind linksgerichtete Aufständische aktiv, die immer wieder Anschläge auf öffentliche Einrichtungen bzw. öffentliche Verkehrsmittel und Sicherheitskräfte verüben (BMEIA 11.10.2022).
In den nordöstlichen Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Assam, Nagaland, Manipur (BMEIA 11.10.2022; vgl. AA 18.10.2022), Meghalaya, Mizoram und Tripura) sind ebenfalls aufständische Gruppen aktiv (BMEIA 11.10.2022). Diese führen dort einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (FH 2023; vgl. ÖB 8.2021). Dazu zählen beispielsweise Separatistengruppen wie die United Liberation Front Assom, die National Liberation Front Tripura, der National Socialist Council Nagaland, die Manipur People’s Liberation Front und weitere (ÖB 8.2021). Die Regierung und die Behörden des Bundesstaates Assam unterzeichneten am 15.09.2022 eine Vereinbarung mit acht bewaffneten Stammesgruppen in Assam, die darauf abzielt, die Gruppen zu integrieren und ihnen politische und wirtschaftliche Rechte zu gewähren (ICG 9.2022; vgl. TOI 15.09.2022). Gegen militante Gruppierungen, die für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. maoistisch-umstürzlerischen) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind i. d. R. Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 22.09.2021; vgl. ÖB 8.2021).
In der ost- und zentralindischen Bergregion dauert der maoistische Aufstand - gewalttätige linksextremistische Gruppen (sog. „Naxaliten“ oder „maoistische Guerilla“) (AA 22.09.2021) - an, wo lokale Zivilisten und Journalisten, die als regierungsfreundlich gelten, angegriffen und durch Gewalt vertrieben werden und in von der Regierung geführten Lagern leben (FH 2023). Von Chhattisgarh aus kämpfen die Naxaliten in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andhra Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021). In ihrer jetzigen Form sind die naxalitisch-maoistischen Aktivitäten jedoch auf etwa ein Dutzend Bundesstaaten beschränkt. In den Jahren 2019 und 2020 konzentrierten sich, den ACLED-Daten zufolge, 80% dieser Aktivitäten auf nur vier Bundesstaaten - Chhattisgarh, Jharkhand, Odisha und Maharashtra (ACLED 11.03.2021). Der indische Naxalismus entstand in den 1960er-Jahren im Zuge eines Aufstandes armer Landarbeiter gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung in Naxalbari im Unionsstaat Westbengalen. Im Jahr 2019 erhob die verbotene Kommunistische Partei Indiens (Maoisten), auch bekannt als Maoisten oder Naxaliten, ihre Waffen gegen Bergbaukonzerne und Entwicklungsprojekte, die drohten, indigene Stämme (oder Adivasi, ein Oberbegriff für Stammesbevölkerungen) von ihrem angestammten Land zu vertreiben, um den mineralienreichen Boden auszubeuten. Das Ziel dieser Gruppierung ist nach wie vor, den Unterdrückern das Land zu entreißen und es an die Bevölkerung umzuverteilen. Dieser bewaffnete Kampf hat zu Menschenrechtsverletzungen, Massenvertreibungen und mindestens 12.000 Toten (Stand 2018) geführt (EFSAS 12.2019).
In Punjab ist der Terrorismus Ende der 1990er-Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan bzw. dem Ausland aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2021). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt zwei Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2020 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2021 waren es zwei Todesopfer, und bis zum 11.10.2022 wurden für dieses Jahr keine Opfer verzeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP o. D.a.).
Nach wie vor sind auch sogenannte Ehrenmorde ein Problem, vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana (ÖB 8.2021; vgl. USDOS 12.04.2022). Diese sind i. d. R. darauf zurückzuführen, dass das Opfer gegen den Willen seiner Familie geheiratet hat oder heiraten will (USDOS 12.04.2022). Die Ahndung von Ehrenmorden ist schwierig, da diese oft als Selbstmord oder natürlicher Tod ausgelegt werden (ÖB 8.2021).
Im Juni 2022 kam es in mehreren indischen Bundesstaaten zu gewaltsamen Protesten wegen Äußerungen zweier ehemaliger Sprecher der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP), welche als Beleidigung des Propheten Mohammed angesehen wurden (ICG 6.2022; vgl. AI 14.06.2022). Die Zahl der Todesopfer der Gewalttaten belief sich auf zwei. Während die Proteste in Delhi, Maharashtra, Karnataka, Telangana und Gujarat weitgehend friedlich verliefen, wurden aus Uttar Pradesh (Prayagraj), Howrah in Westbengalen und Teilen von Jammu und Kaschmir Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten gemeldet (QT 11.06.2022).
Zwischen religiösen beziehungsweise ethnischen Gemeinschaften bestehen Spannungen, die sich teilweise ohne große Vorwarnung in lokalen, gewaltsamen Zusammenstößen entladen und auch auf andere Ortschaften oder Bundesstaaten überspringen können. Das Potenzial von Eskalationen besteht vor allem zwischen hinduistischen und muslimischen Bevölkerungsgruppen. Es waren jedoch auch wiederholt Angriffe hinduistischer Fundamentalisten auf christliche Kirchen zu verzeichnen (EDA 14.04.2023). [...]
4.1. Jammu und Kaschmir
Letzte Änderung: 17.05.2023
Das Unionsterritorium Jammu und Kaschmir (bis zum 31.10.2019 ein Bundesstaat) ist Teil der größeren Region Kaschmir, die seit der Teilung des Subkontinents im Jahr 1947 Gegenstand von Streitigkeiten zwischen Indien, Pakistan und China ist. Im August 2019 wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Herabstufung von Jammu und Kaschmir vom Status eines Bundesstaates zu dem eines Unionsterritoriums und die Abspaltung eines Teils von Jammu und Kaschmir, der als Region Ladakh bekannt ist, in ein eigenes Unionsterritorium vorsah (EB o. D.; vgl. ÖB 8.2021). Der Widerruf des Autonomiestatuts des einzigen mehrheitlich von Muslimen bewohnten Bundesstaats Jammu und Kaschmir - einer seit Jahrzehnten von politischer Unruhe und Terrorismus gezeichneten Region - ging mit Menschenrechtseinschränkungen einher. So wurden mit der Begründung der Terrorabwehr bürgerliche Freiheiten wie Versammlungs- und Pressefreiheit über Monate hinweg eingeschränkt. Die lokale Bevölkerung wurde unter eine umfassende Kommunikationsblockade von Internet und Telefon gestellt. Lokale Politiker und Aktivisten wurden präventiv inhaftiert oder unter Hausarrest gestellt (AA 22.09.2021; vgl. ÖB 8.2021, BS 23.02.2022). Mit der Union der zwei Territorien in direkter Unterstellung unter die Zentralregierung wurden den Bewohnern viele ihrer bisherigen politischen Rechte entzogen. Bürgerliche Freiheiten wurden beschnitten, um öffentlichen Widerstand gegen die Neuordnung zu unterdrücken. Die indischen Sicherheitskräfte werden häufig der Menschenrechtsverletzungen beschuldigt (FH 24.02.2022; vgl. BICC 7.2022), aber nur wenige werden bestraft (FH 24.02.2022). Die Regierung schloss 2019 die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir und beauftragte die NHRC mit der Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir. Die NHRC ist für alle Menschenrechtsverletzungen zuständig, außer in bestimmten Fällen, an denen Militär und paramilitärisches Personal beteiligt sind (USDOS 20.03.2023).
Drei Jahre, nachdem die Regierung den verfassungsmäßigen Autonomiestatus von Jammu und Kaschmir aufgehoben und das Land in zwei föderal verwaltete Gebiete aufgeteilt hat, hält die Gewalt an. Bis Oktober wurden 229 Todesopfer gemeldet, darunter 28 Zivilisten, 29 Angehörige der Sicherheitskräfte und 172 mutmaßliche Kämpfer (HRW 12.01.2023).
Terroristen in Jammu und Kaschmir, in den nordöstlichen Bundesstaaten und in den vom maoistischen Terrorismus betroffenen Gebieten verübten schwere Übergriffe, darunter Tötungen und Folterungen von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten, Entführungen sowie die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 20.03.2023).
Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit (Public Safety Act, PSA), das nur in Jammu und Kaschmir gilt, erlaubt es den Behörden, Personen ohne Anklage oder gerichtliche Überprüfung bis zu zwei Jahre lang ohne Besuch von Familienangehörigen festzuhalten (USDOS 20.03.2023).
In Jammu und Kaschmir, Punjab und Manipur haben Sicherheitsbeamte besondere Befugnisse zur Durchsuchung und Verhaftung ohne Haftbefehl (USDOS 20.03.2023; vgl. EDA 14.04.2023) oder auf Personen zu schießen, die die öffentliche Ordnung missachten. Bei Unruhen setzen sie scharfe Munition ein, verhängen Ausgangssperren und unterbrechen die Mobiltelefon- und Internetverbindungen (EDA 14.04.2023). Offiziellen Angaben zufolge verzeichnete Jammu und Kaschmir zwischen April 2020 und März 2022 den höchsten Anteil an Todesfällen mit Polizeibeteiligung in ganz Indien (AI 28.03.2023).
Die indischen Behörden verschärften die Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der friedlichen Versammlung in Jammu und Kaschmir (HRW 12.01.2023; vgl. AI 28.03.2023). Die repressive Politik der Regierung und das Versäumnis, mutmaßliche Übergriffe der Sicherheitskräfte zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, haben für die Einwohner die Unsicherheit erhöht (HRW 02.08.2022). Die Behörden berufen sich auf Gesetze sowie auf Terrorismusvorwürfe, um Razzien durchzuführen und willkürlich Journalisten, Aktivisten und politische Anführer ohne Beweise und ohne gerichtliche Überprüfung festzunehmen (HRW 02.08.2022; vgl. USDOS 12.04.2022). Diese können im Übrigen Verdächtige bei Sichtkontakt erschießen und Gebäude zerstören, in denen mutmaßlich Kämpfer oder Waffen untergebracht sind (BS 23.02.2022). Der große Handlungsspielraum, der dem Militär und den paramilitärischen Kräften eingeräumt wird, wird auch oft missbraucht (ÖB 8.2021).
Im März reduzierte die indische Regierung die Zahl der Bezirke, die unter das Gesetz über die Sondervollmachten der Streitkräfte (AFSPA) fallen, in einigen nordöstlichen Bundesstaaten. In Jammu und Kaschmir sowie in 43 von 90 Bezirken in vier nordöstlichen Bundesstaaten blieb das Gesetz jedoch weiterhin in Kraft, sodass Angehörige der Sicherheitskräfte selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen straffrei ausgehen können (HRW 12.01.2023).
In den späten 1980er-Jahren entstanden in der Region militante Organisationen, deren Ziel es war, sich der Kontrolle der indischen Unionsregierung zu widersetzen (EB 25.08.2022). In den letzten drei Jahren sind in Jammu und Kaschmir mehrere neue militante Gruppen entstanden, die durch die Angst und die Wut der Bevölkerung über die Versuche der Zentralregierung, nach 2019 einen demografischen Wandel herbeizuführen, genährt wurden. Ältere Gruppen wie Hizbul Mujahideen und die von Pakistan installierten dschihadistischen Vereinigungen Laschkar-e Taiba und Jaish-e-Mohammed sind immer noch aktiv (ICG 28.06.2022; zu Laschkar-e Taiba vgl. ACLED 18.08.2022) und zu Jaish-e Mohammed vgl. ACLED 06.10.2022). Neue Gruppen mit nicht-religiösen Namen wie The Resistance Front, Kashmir Tigers, People’s Anti-Fascist Front oder United Liberation Front of Kashmir stehen jetzt an der Spitze der militanten Aktivitäten, und mehrere haben sich zu Anschlägen auf Hindus und andere Minderheiten bekannt (ICG 28.06.2022; vgl. CFR 12.05.2022, ÖB 8.2021 beispielsweise bzgl. der Gruppe Jaish-e-Mohammed).
Anfang 2021 wurde das Waffenstillstandsabkommen von 2003 über die Line of Control - die De- facto-Grenze zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil von Jammu und Kaschmir - erneuert. Die Meinungsverschiedenheiten über Kaschmir halten jedoch an (ICG 28.06.2022). Laut Bonn International Center for Conflict Studies lässt sich aktuell feststellen, dass sich die Situation in der Kaschmirregion entspannt hat und beide Konfliktparteien sich in letzter Zeit annähern. Eine langfristige Lösung liegt dennoch fern. Dabei charakterisieren Annäherung und Eskalation den Konflikt bereits seit einigen Jahren (BICC 7.2022).
Eine Reihe von im Jahr 2023 verübten tödlichen Angriffen auf Hindus im Distrikt Rajouri im Unionsterritorium Jammu und Kaschmir war Anlass für die Bewaffnung von freiwilligen Zivilpersonen. Die indischen Behörden machen die in Pakistan ansäßige Lashkar-e-Taiba (LeT), eine von mehreren verbotenen militanten Gruppierungen, die in der Region neben lokalen Separatistengruppen aktiv ist, für die Taten verantwortlich. Laut Angaben der örtlichen Sicherheitsbehörden werden derzeit ca. 5.200 freiwillige hinduistische Zivilpersonen bewaffnet. Lokale muslimische Führungspersonen kritisieren die selektive Bewaffnung. Die Regierung rechtfertigt diese Entscheidung damit, dass die Anschläge der jüngeren Vergangenheit nur auf Hindus verübt worden seien (BAMF 13.03.2023). [...]
4.2. Indiens Grenzregionen
Letzte Änderung: 17.05.2023
Die Beziehungen Indiens zu seinen Nachbarn in der südasiatischen Region sind seit Jahrzehnten schwierig (BS 23.02.2022). Es gab drei Kriege gegen Pakistan (1947, 1965 und 1999) (CFR 12.05.2022), mit der Volksrepublik China (VR China) wurden bewaffnete Grenzkonflikte ausgetragen, in Bangladesch und Sri Lanka militärisch interveniert, und zudem übt Indien militärischen Einfluss auf Nepal aus. Darüber hinaus gibt es bewaffnete Konflikte innerhalb des Landes. Der Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan gilt als der bedeutendste regionale Konflikt mit Potenzial zur nuklearen Eskalation (BICC 7.2022; vgl. CFR 12.05.2022).
Indien und Pakistan
Indien und Pakistan teilen sich eine 3.323 km lange Grenze entlang den Bundesstaaten Gujarat, Rajasthan, Punjab sowie den Unionsterritorien Jammu und Kaschmir wie auch Ladakh (MHA o. D.). Die Länder teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch Indiens im Jahr 1947, den Konflikt um Jammu und Kaschmir sowie die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o. D.).
Die angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche mehrfach zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Indien wirft Pakistan u. a. vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region Jammu und Kaschmir, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Kaschmirgebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 7.2022).
Die Regierung hat nach den Mumbai-Anschlägen im November 2008 mit verschärften Anti-Terrormaßnahmen und einer Umstrukturierung der Antiterroreinheiten reagiert und setzt vermehrt auf internationale Zusammenarbeit, insbesondere um den Druck auf die pakistanische Regierung zu erhöhen, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung des von pakistanischem Boden ausgehenden Terrorismus zu ergreifen (ÖB 8.2021).
In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel, „einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen“, heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe „in Wort und Geist“ ab dem 25.02.2021 umzusetzen ist (PIB 25.02.2021; vgl. SZ 26.02.2021).
Indien und China
Indien und China haben die seit 1962 bestehenden Streitigkeiten über den Grenzverlauf im Himalaja nicht beigelegt. Beide Länder beanspruchen Tausende Quadratkilometer in einem Gebiet, das sich von den Schneewüsten in der Region Ladakh im Westen bis zu den Bergwäldern im Osten zieht (DWN 09.09.2022). Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten „Line of Actual Control“ (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin, sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.06.2020).
Indien und Bangladesch
Zwischen Indien und Bangladesch kommt es immer wieder zu kleineren Auseinandersetzungen an deren gemeinsamer Grenze. Vom Bundesstaat Bihar aus gibt es einen regen Schmuggelverkehr nach und von Bangladesch, wodurch sich die Region zu einer regen Transitzone für den Waffenschmuggel entwickelt hat. Zu Spannungen kommt es in Nordost-Indien auch deswegen, weil mindestens 100.000 Bangladescher dort illegal eingewandert sind. Sie werden als Konfliktpotenzial wahrgenommen (BICC 7.2022). Beide Länder sind in hohem Maße vom Ganges-Brahmaputra-Meghna-Becken abhängig. Dementsprechend ist der schwindende Wasservorrat in der Trockenzeit zu einem der Hauptprobleme zwischen den beiden Ländern geworden (JAS-RAE 4.2021). Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 8.2020a; vgl. PIB 07.09.2022). [...]
5. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 17.05.2023
Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, und die Regierung respektierte im Allgemeinen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, doch kam es im Justizsystem zu Verzögerungen, Kapazitätsproblemen und Korruption auf den unteren Ebenen. Das Justizsystem war nach wie vor stark überlastet und verfügte nicht über moderne Fallverwaltungssysteme. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist gesetzlich verankert, außer in Verfahren, bei denen es um Amtsgeheimnisse oder die Sicherheit des Staates geht, und die Justiz hat dieses Recht im Allgemeinen durchgesetzt (USDOS 20.03.2023).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z. B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 22.09.2021), z. B. bei Anwendung des Unlawful Activities Prevention Act (UAPA). Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet, Urteile öffentlich zu verkünden, und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern oder sich schuldig zu bekennen (USDOS 12.04.2022).
Die Justiz in Indien arbeitet formell unabhängig von den politischen Staatsorganen (FH 2023). Es gibt eine verfassungsmäßig garantierte Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 22.09.2021). Die häufig überlange Untersuchungshaft/Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie Korruption schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (USDOS 20.03.2023; vgl. FH 2023). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (AA 22.09.2021; vgl. ÖB 8.2021). Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 22.09.2021). Die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht konsequent eingehalten. Die Bürger sehen sich bei der Verfolgung der Rechtsansprüche mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, darunter z. B. auch mit Forderungen nach Bestechungsgeldern (FH 2023).
Das Justizsystem gliedert sich in: a) Supreme Court - das Oberste Gericht - mit Sitz in Delhi; es regelt als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten und ist auch Berufungsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. b) High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Berufungsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. c) Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. d) Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 8.2021).
Das Gesetz zur Verhinderung rechtswidriger Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act - UAPA), gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen, die mit Aufständen oder Terrorismus in Verbindung stehen, bis zu 180 Tage ohne Anklage in Haft zu nehmen. Das UAPA kann angewandt werden, wenn die Staatsanwaltschaft Beweise für den Besitz von Schusswaffen oder Sprengstoff oder das Vorhandensein von Fingerabdrücken an einem Tatort vorlegen kann, unabhängig davon, ob die Behörden kriminelle Absichten nachweisen (USDOS 20.03.2023).
Im Dezember 2019 veröffentlichte das Ministerium für Recht und Justiz den „Scheme on Fast Track Special Courts for Expeditious Disposal of Cases of Rape and Protection of Children against Sexual Offences (POCSO)“ Act. Das Gesetz zielt darauf ab, 1.023 Fast-Track-Gerichte im ganzen Land einzurichten, um die 166.882 [Stand 2020] Vergewaltigungs- und POCSO-Gesetzesfälle zu erledigen, die bei verschiedenen Gerichten anhängig sind (USDOS 30.03.2021). Das Gesetz sieht vor, dass in jedem Bezirk mindestens ein Sondergericht für Sexualstraftaten gegen Kinder (POCSO-Gericht) eingerichtet wird, aber die Umsetzung dieser Bestimmung verzögert sich (USDOS 20.03.2023).
In Teilen des Landes, vor allem in ländlichen Gebieten, erlassen informelle Gemeinderäte Erlässe zu sozialen Bräuchen. Ihre Beschlüsse führen manchmal zu Gewalt oder Verfolgung von Personen, die gegen die sozialen Normen verstoßen, insbesondere Frauen und Angehörige der unteren Kasten (FH 2023). In Indien gibt es zudem die Möglichkeit der Alternative Dispute Redressal (ADR / Alternative Streitbeilegung) (NPI 26.04.2022; vgl. BuS 09.04.2022). ADR bietet die Möglichkeit, alle Arten von Angelegenheiten zu lösen, einschließlich zivilrechtlicher, kommerzieller, industrieller und familiärer Angelegenheiten usw., bei denen die Menschen nicht in der Lage sind, eine Verhandlung zu beginnen und eine Einigung zu erzielen. Im Allgemeinen wird bei ADR eine neutrale dritte Partei eingesetzt, die den Parteien hilft, miteinander zu kommunizieren, die Differenzen zu erörtern und den Streit zu lösen. Das Verfahren verläuft ohne Einschaltung gerichtlicher Institutionen (LSI o. D.). [...]
6. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 17.05.2023
Für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sind in erster Linie die Bundesstaaten und Unionsterritorien zuständig, wobei die Zentralregierung die politische Kontrolle ausübt. Die Polizei fällt in die Zuständigkeit der Bundesstaaten. Das Innenministerium kontrolliert die meisten paramilitärischen Kräfte, den Inlandsnachrichtendienst und die nationalen Strafverfolgungsbehörden und bietet Schulungen für leitende Beamte der staatlichen Polizeikräfte an. Die zivilen Behörden haben die Sicherheitskräfte wirksam kontrolliert (USDOS 20.03.2023).
Nach dem Armed Forces Special Powers Act (AFSPA) kann die Zentralregierung einen Bundesstaat oder ein Unionsterritorium zu einem „Unruhegebiet“ erklären und die Sicherheitskräfte in diesem Staat ermächtigen, tödliche Gewalt anzuwenden, um „Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten“ und jede Person festzunehmen, „gegen die ein begründeter Verdacht besteht“, ohne den Festgenommenen über die Gründe für die Festnahme zu informieren. Das Gesetz bietet den Sicherheitskräften außerdem Immunität vor ziviler Strafverfolgung für Handlungen, die in Regionen unter dem AFSPA begangen werden (USDOS 20.03.2023).
Die indische Polizei (Indian Police Service) untersteht den Bundesstaaten (AA 22.09.2021). Sie fungiert als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten (BICC 7.2022). Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert (BICC 7.2022; vgl. USDOS 12.04.2022). Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreicher nationaler Strafrechte und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während Erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit die Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die für Frauen und Kinder zuständig sind. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (BICC 7.2022).
Die rechtsstaatliche Kontrolle der Polizei ist in ganz Indien defizitär. Hier zeigt sich vor allem ein den Anforderungen an einen modernen Rechtsstaat nicht adäquater Ausbildungs- und Ausrüstungsstand der Polizei (AA 22.09.2021). Vor allem die Korruption innerhalb der Polizei ist nach wie vor ein Problem (FH 2023). Darüber hinaus wird von Folter, Misshandlung und Vergewaltigung durch Strafverfolgungs- und Sicherheitsbeamte berichtet (FH 2023). Dies schlägt sich in einem mangelhaften Vertrauen der Bevölkerung nieder und hat damit auch mittelbar Auswirkungen auf andere Menschenrechtsbereiche, z. B. die Bereitschaft zu Strafanzeigen bei Menschenrechtsverstößen. Besonders in sogenannten Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 22.09.2021).
Im März reduzierte die indische Regierung die Zahl der Bezirke, die unter das Gesetz über die Sondervollmachten der Streitkräfte (AFSPA) fallen, in einigen nordöstlichen Bundesstaaten. In Jammu und Kaschmir sowie in 43 von 90 Bezirken in vier nordöstlichen Bundesstaaten blieb das Gesetz jedoch weiterhin in Kraft, sodass Angehörige der Sicherheitskräfte selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen straffrei ausgehen können (HRW 12.01.2023). Die Zentralregierung hat das Gesetz in drei Bezirken von Arunachal Pradesh und neun Bezirken von Nagaland um sechs Monate, vom 01.10.2022 bis zum 30.03.2023, verlängert (IT 01.10.2022). Für den Bundesstaat Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 22.09.2021).
Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 7.2022). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 22.09.2021; vgl. BICC 7.2022). Gemessen an der Zahl der Soldaten hat Indien die zweitgrößten Streitkräfte der Welt. Das personalstarke indische Heer verfügt über eine beträchtliche Anzahl an schweren Waffen. Diese sind jedoch teilweise veraltet, insbesondere die noch von der UdSSR gelieferten Waffensysteme. Indien ist jedoch dabei, diese durch neuere Systeme aus Eigenproduktion bzw. aus ausländischer Produktion zu ersetzen (BICC 7.2022).
Das Defense Security Corps sorgt für die Sicherheit der Einrichtungen des Verteidigungsministeriums. Die Border Security Force (BSF) ist für die indisch-pakistanische und indisch-bangladeschische Grenze zuständig; die Sashastra Seema Bal (SSB) bewacht die indisch-nepalesische und indisch-bhutanische Grenze. Die Central Reserve Police Force (CRPF) umfasst eine Rapid Reaction Force (RAF) zur Bekämpfung von Unruhen und das Commando Battalion for Resolute Action (COBRA) zur Aufstandsbekämpfung. Die Assam Rifles unterstehen der administrativen Kontrolle des Ministeriums für innere Angelegenheiten, während die operative Kontrolle dem Verteidigungsministerium (insbesondere der indischen Armee) untersteht (CIA 30.03.2023).
Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte v. a. bei internen Konflikten eingesetzt - so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 7.2022). Eine der paramilitärischen Einheiten der indischen Armee ist die hochspezialisierte Special Frontier Force (SFF). Die Einheit besteht hauptsächlich aus tibetischen Flüchtlingen und operiert entlang der tibetischen (chinesischen) Grenze, um die strategische Sicherheit Indiens gegenüber China zu erhöhen. Aufgrund der Grenzstreitigkeiten und der Bedrohung aus dem Norden hatte Indien Bedarf an einer gezielten Spezialausbildung. Die SFF arbeitet zwar technisch unabhängig, untersteht aber dem Direktor des Research and Analysis Wing (R AW - Indiens wichtigster Auslandsnachrichtendienst) (GD 11.10.2022).
Insgesamt gibt es in Indien 15-16 Arten von paramilitärischen Streitkräften (MVI 09.08.2020). Dazu zählen neben der SFF die Central Reserve Police Force (CRPF), eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze, die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar, die auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt wird; die Assam Rifles, zuständig für die Grenzverteidigung im Nordosten (ÖB 8.2021); die National Security Guard (NSG), die Indo Tibetan Border Police (ITBP), die Central Industrial Security Force (CISF), das Defence Security Corps (DSC), die Railway Protection Force (RPF), die Sashastra Seema Bal (SSB), die India Reserve Battalions (IRB) und einige weitere Einheiten wie die CRPF’s Commando Battalions for Resolute Action (CoBRA) (MVI 09.08.2020), eine Spezialeinheit, die für Guerilla-/Dschungelkriegseinsätze zur Bekämpfung von Maoisten aufgestellt wurde (CRPF 10.06.2022). Die u. a. auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium. Auch die Nachrichtendienste Indiens im Inland (Intelligence Bureau - IB) wie Ausland (R AW) handeln auf gesetzlicher Grundlage. Sie unterstehen über den nationalen Sicherheitsberater direkt dem Premierminister (AA 22.09.2021).
Es gab Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen durch die Regierung oder ihre Vertreter, einschließlich außergerichtlicher Tötungen von mutmaßlichen Kriminellen und Terroristen (USDOS 20.03.2023).
Die Behörden verstärkten ihre Bemühungen, Aktivisten der Zivilgesellschaft und unabhängige Journalisten zum Schweigen zu bringen, indem sie politisch motivierte Anklagen, einschließlich Terrorismus, erhoben, um diejenigen, die Missstände in der Regierung aufdeckten oder kritisierten, ins Gefängnis zu bringen. Die Regierung nutzte Vorschriften zur Finanzierung aus dem Ausland und Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten, um Rechtsgruppen, politische Gegner und andere zu schikanieren (HRW 12.01.2023; vgl. AI 28.03.2023). [...]
7. Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 17.05.2023
Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 22.09.2021). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 7.2022). Ein Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der UN-Anti-Folterkonvention ist, steht noch aus (AA 22.09.2021; vgl. FH 2023).
Das Gesetz verbietet Folter und andere Misshandlungen, aber es gab glaubwürdige Berichte, dass Regierungsbeamte davon Gebrauch machten. Das Gesetz verbietet es den Behörden, erzwungene Geständnisse als Beweismittel zuzulassen, aber einige Nichtregierungsorganisationen (NRO) berichteten, dass die Behörden Folter einsetzten, um Geständnisse zu erzwingen (USDOS 20.03.2023). Folter ist in Indien verboten (AA 22.09.2021), und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften. Allerdings bleiben Menschenrechtsverletzungen, begangen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten, häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren (ÖB 8.2021), weil Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 22.09.2021). Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 8.2021).
Menschenrechtsorganisationen zufolge setzte die Polizei Folter, andere Misshandlungen und willkürliche Festnahmen ein, um erzwungene oder falsche Geständnisse zu erlangen. In einigen Fällen hielt die Polizei Berichten zufolge Verdächtige fest, ohne ihre Verhaftung zu registrieren, und verweigerte den Inhaftierten ausreichend Nahrung und Wasser. Es gab Berichte über Misshandlungen in Gefängnissen durch Wärter und Insaßen sowie Berichte über Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei (USDOS 20.03.2023).
Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam, die unter Umständen auch zum Tode führen können (ÖB 8.2021). Es ist nicht unüblich (AA 22.09.2021) bzw. ist es weit verbreitet, dass Häftlinge misshandelt werden - insbesondere Angehörige marginalisierter Gruppen (FH 2023); in einigen Fällen sogar mit Todesfolge (AA 22.09.2021).
Trotz der Ausbildungsmaßnahmen für höherrangige Polizisten (ÖB 8.2021) gibt es auch weiterhin Berichte über die Anwendung von Folter (USDOS 20.03.2023; vgl. ÖB 8.2021), willkürliche Verhaftungen (USDOS 20.03.2023; vgl. ÖB 8.2021) und erzwungene Geständnisse (USDOS 20.03.2023; vgl. ÖB 8.2021, AA 22.09.2021) - obwohl aufgrund von Folter erlangte Aussagen vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen sind (AA 22.09.2021).
In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Die angerufenen Gerichte haben in den letzten Jahren teilweise verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten (ÖB 8.2021). Auch über Übergriffe und teils schwere Menschenrechtsverletzungen der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die National Human Rights Commission (ÖB 8.2021; vgl. HRW 22.08.2022) - sowohl gegenüber der Zivilbevölkerung, als auch gegenüber Personen, die zu Recht oder zu Unrecht der Militanz zugerechnet werden (ÖB 8.2021). Darunter fallen routinemäßige Schikanen und Misshandlungen (HRW 22.08.2022), sowie willkürliche Festnahmen und extralegale Tötung (HRW 22.08.2022; vgl. ÖB 8.2021).
Vergehen werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, der Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 8.2021). Insgesamt werden den Sicherheitskräften (Polizei, paramilitärische Einheiten, Militär) schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes nachgesagt (BICC 7.2022).
Der Armed Forces Special Powers Act (AFSPA) gewährt den Sicherheitskräften selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen weitgehend Immunität vor Strafverfolgung (USDOS 20.03.2023; vgl. HRW 12.01.2023, AA 22.09.2021). Gemäß dem AFSPA kann die Zentralregierung einen Bundesstaat oder ein Unionsterritorium als Unruhegebiet [disturbed area] erklären und die Sicherheitskräfte in diesem Staat ermächtigen, tödliche Gewalt anzuwenden, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und jede Person zu verhaften, gegen die ein „begründeter Verdacht“ besteht - ohne den Festgenommenen den Grund der Festnahme mitzuteilen (USDOS 20.03.2023; vgl. AA 22.09.2021). Zusätzlich können Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durchgeführt werden (AA 22.09.2021). Jedoch wurde das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz AFSPA im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur (AA 22.09.2021). Für das Unionsterritorium Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 22.09.2021). Auch dort ist das AFSPA weiter in Kraft (HRW 12.01.2023).
Es gibt zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten und ein überbelastetes und unterfinanziertes Gerichtssystem tragen zu einer geringen Zahl von Verurteilungen bei (USDOS 20.03.2023). Neue Fälle von Folter in Polizeigewahrsam und außergerichtlichen Tötungen machen deutlich, dass es nach wie vor an Rechenschaftspflicht für polizeiliche Übergriffe mangelt und Polizeireformen nicht durchgesetzt werden (BICC 7.2022). Die Behörden berufen sich weiterhin auf § 197 der Strafprozessordnung, der die Genehmigung der Regierung für die strafrechtliche Verfolgung von Polizeibeamten vorschreibt, um die Rechenschaftspflicht selbst in Fällen von schweren Misshandlungen zu verhindern (HRW 13.01.2022). [...]
8. Korruption
Letzte Änderung: 17.05.2023
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen wirksam umgesetzt. Sie ist auf allen Regierungsebenen vertreten. NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienste wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder staatlichen Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 20.03.2023).
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig ungestraft davon (USDOS 12.04.2022). Mit dem Lokpal- und Lokayuktas-Gesetz aus dem Jahr 2013 wurden unabhängige nationale und bundesstaatliche Stellen geschaffen, die Beschwerden über Korruption gegen Beamte oder Politiker entgegennehmen, diesen Vorwürfen nachgehen und Verurteilungen gerichtlich durchsetzen sollen. Nur sieben der 29 bundesstaatlichen Lokayuktas hatten im Oktober 2022 öffentlich zugängliche Jahresberichte (FH 2023). Im Juni 2021 berichtete der Anti-Korruptions-Ombudsmann des Landes, dass er im Laufe des Jahres 110 Korruptionsbeschwerden, darunter vier gegen Parlamentsmitglieder, erhalten habe (USDOS 12.04.2022). Das Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern aus dem Jahr 2014 wurde als begrenzt angesehen, und spätere Änderungen wurden kritisiert, weil sie es weiter aushöhlten (FH 2023).
Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung von Einzelfällen finden zwar statt, aber die unzureichende Durchsetzung, der Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten und ein überlastetes und unterfinanziertes Gerichtssystem tragen zu einer geringen Zahl von Verurteilungen bei (USDOS 12.04.2022). Groß angelegte politische Korruptionsskandale haben wiederholt Bestechung und andere Vergehen aufgedeckt, aber es wird angenommen, dass ein großer Teil der Korruption nicht gemeldet und nicht geahndet wird, und die Behörden wurden beschuldigt, selektiv und parteiisch vorzugehen FH 2023).
Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International im Jahre 2022 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 wenig korrupt) auf dem 85. Platz von 180 bewerteten Staaten auf, was keiner Veränderung zu 2021 entspricht (TI 2023; vgl. TI 2022). [...]
9. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 17.05.2023
In Indien gibt es eine schier unüberschaubare Anzahl von NGOs; offizielle Schätzungen gehen von über 300.000 aus - darunter viele in- und ausländische Menschenrechtsorganisationen (AA 22.09.2021). Nach anderen Angaben sind sogar Millionen von NGOs in einer Reihe von Themenbereichen tätig, darunter Umweltfragen, der Schutz der Menschenrechte und der Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter (BS 23.02.2022).
Die meisten in- und ausländischen Menschenrechtsorganisationen können in der Regel ohne Einschränkungen durch die Regierung operieren (USDOS 20.03.2023; vgl. ÖB 8.2021, AA 22.09.2021), Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen und die Ergebnisse veröffentlichen (USDOS 20.03.2023) - zumindest außerhalb von Jammu und Kaschmir (ÖB 8.2021). Die Regierung trifft sich mit inländischen NGOs, beantwortet deren Anfragen und ergreift als Reaktion auf ihre Berichte und Empfehlungen Maßnahmen. Die National Human Rights Commission (NHRC) arbeitet mit zahlreichen NGOs zusammen, und in mehreren Ausschüssen der NHRC sind NGOs vertreten (USDOS 20.03.2023).
Die NHRC ist für alle Menschenrechtsverletzungen zuständig, außer in bestimmten Fällen, an denen Militär und paramilitärische Kräfte beteiligt sind. Die NHRC ist befugt, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, die vom Innenministerium und den paramilitärischen Kräften begangen wurden, die im Rahmen des AFSPA in den nordöstlichen Bundesstaaten tätig sind. Der NHRC ist nicht befugt, die Umsetzung seiner Empfehlungen durchzusetzen. Einige Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Abhängigkeit des NHRC von der staatlichen Finanzierung und seine Politik, keine Untersuchungen durchzuführen, die länger als ein Jahr dauern. Einige behaupteten, der NHRC registriere nicht alle Beschwerden, lehne Fälle willkürlich ab, leite Beschwerden an den mutmaßlichen Rechtsverletzer zurück und schütze die Beschwerdeführer nicht angemessen (USDOS 20.03.2023).
Eine Vielzahl von NRO ist tätig, aber einige, insbesondere diejenigen, die an der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, sind weiterhin Drohungen, rechtlichen Schikanen, übermäßiger Polizeigewalt und gelegentlich tödlicher Gewalt ausgesetzt (FH 2023; vgl. AI 28.03.2023).
Immer wieder werden Aktivisten, oftmals unter dem Vorwurf, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen, verhaftet (ÖB 8.2021); einige NGOs wurden beschuldigt, Verbindungen zu extremistischen Gruppen zu haben (TG 02.01.2022). Die Behörden schikanierten und bedrohten Aktivisten und Rechtsgruppen durch politisch motivierte Strafverfolgungen, Steuerrazzien, Behauptungen über finanzielle Unregelmäßigkeiten und die Anwendung des Foreign Contribution Regulation Act (FCRA), des Gesetzes zur Regelung der ausländischen Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (HRW 12.01.2023).
Ausländische NGOs
Die Aktivitäten ausländischer NGOs wurden weiter eingeschränkt (BS 23.02.2022). Durch den Foreign Contribution Regulation Act 2020 (FCRA) wurde es NGOs mehr oder weniger unmöglich gemacht, ausländische Finanzierungen zu erhalten. Dies betrifft u. a. auch europäische NGOs, bzw. solche, die mit Europa zusammenarbeiten, u. a. die österreichische Dreikönigsaktion (ÖB 9-2021). Die Konten von Amnesty International Indien, welches sich sehr kritisch zu Menschenrechtsverletzungen der Regierung geäußert hatte, wurden auf Basis dieses Gesetzes gesperrt, womit Amnesty seine Arbeit einstellen musste (ÖB 8.2021; vgl. DW 29.12.2021).
Der Foreign Contribution (Regulation) Act (FCRA) von 2010 erlaubt es der Bundesregierung, NRO unter bestimmten Umständen den Zugang zu ausländischen Geldern zu verweigern, und die Behörden wurden beschuldigt, diese Befugnis selektiv gegen vermeintliche politische Gegner einzusetzen (FH 2023).
Unter Anwendung des FCRA entzog das Innenministerium im Juni 2021 der Commonwealth Human Rights Initiative die Zulassung. Die Menschenrechtsorganisation setzte sich für Gerechtigkeit und den Zugang zu Information ein. Auch zehn internationale NGOs, die sich mit Umweltschutz, Klimawandel und Kinderarbeit befassten, verloren ihre Zulassung. Außerdem setzte das Ministerium mehr als 80 Wohltätigkeits- und Menschenrechtsorganisationen ohne Angabe von Gründen auf die sogenannte Prior-Reference-Category-Liste. Organisationen, die auf dieser Liste stehen, können Finanzmittel nur nach einer Genehmigung durch das Innenministerium empfangen oder vergeben, wodurch ihre Arbeit erheblich eingeschränkt wird (AI 29.03.2022).
Jammu und Kaschmir
Die Regierung schloss die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir im Jahr 2019 und beauftragte die NHRC mit der Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir. Einige Menschenrechtsbeobachter in Jammu und Kaschmir können Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, werden aber Berichten zufolge von den Sicherheitskräften, der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden immer wieder behindert oder schikaniert. Die Vereinten Nationen hatten nur begrenzten Zugang zu Jammu und Kaschmir und den nordöstlichen Bundesstaaten (USDOS 20.03.2023). [...]
10. Ombudsmann
Letzte Änderung: 17.05.2023
Im Oktober 1993 wurde die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission / NHRC) gegründet (NHRC 09.10.2018). Ihre Satzung beinhaltet den Schutz des Menschenrechtsgesetzes aus dem Jahre 1993, geändert durch den Protection of Human Rights (Amendment) Act von 2006 (NHRC 09.10.2018; vgl. INDI 13.09.2006). Die Kommission verkörpert nach eigenen Angaben das Anliegen Indiens für den Schutz der Menschenrechte (NHRC 09.10.2018).
Die NHRC ist ein unabhängiges und unparteiisches Untersuchungs- und Beratungsgremium, das von der Zentralregierung eingerichtet wurde und den Auftrag hat, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und zu beheben und das öffentliche Bewusstsein für die Menschenrechte zu fördern. Sie ist dem Parlament gegenüber direkt rechenschaftspflichtig, arbeitet aber in enger Abstimmung mit dem Innenministerium und dem Ministerium für Recht und Justiz. Sie hat das Mandat, Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen oder Nachlässigkeit bei der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen durch Staatsbedienstete zu untersuchen, in Gerichtsverfahren wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen zu intervenieren und alle Faktoren (einschließlich terroristischer Handlungen) zu überprüfen, die gegen die Menschenrechte verstoßen. Das Gesetz ermächtigt den NHRC, Vorladungen zu erlassen und Zeugenaussagen zu erzwingen, Unterlagen vorzulegen und öffentliche Dokumente anzufordern. Der NHRC empfiehlt auch angemessene Abhilfemaßnahmen für Missstände in Form von Entschädigungen für die Opfer von Tötungen durch die Regierung oder deren Familien (USDOS 20.03.2023).
In 24 der 28 Bundesstaaten gibt es Menschenrechtskommissionen, die unter der Schirmherrschaft des NHRC unabhängig arbeiten. Die NHRC hat weder die Befugnis, die Umsetzung ihrer Empfehlungen durchzusetzen, noch die Befugnis, Anschuldigungen gegen militärisches und paramilitärisches Personal zu behandeln. Einige Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Abhängigkeit des NHRC von der staatlichen Finanzierung und seine Politik, keine Untersuchungen durchzuführen, die länger als ein Jahr dauern. Einige behaupteten, der NHRC registriere nicht alle Beschwerden, lehne Fälle willkürlich ab, leite Beschwerden zurück und schütze die Beschwerdeführer nicht angemessen (USDOS 20.03.2023). [...]
11. Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 11.05.2023
Indien unterhält eine Berufsarmee (AA 22.09.2021). Es besteht keine Wehrpflicht (BICC 7.2022; vgl. CIA 30.03.2023). Das Mindesteintrittsalter für den Eintritt in die Armee ist das 16. Lebensjahr (ÖB 8.2021; vgl. CIA 30.03.2023). Fahnenflucht, der Versuch der Fahnenflucht und die Beihilfe dazu werden nach dem Army Act von 1950 und den entsprechend lautenden Navy Act und Air Force Act je nach Schwere des Falles mit hohen Gefängnisstrafen oder mit der Todesstrafe geahndet (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021, INDI 20.05.1950). Eine positive Entwicklung der letzten Jahre war die höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Chancengleichheit von Frauen in den indischen Streitkräften sicherstellt (2020) (AA 22.09.2021). Über Zwangsrekrutierungen durch die Armee ist nichts bekannt (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021). [...]
12. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 11.05.2023
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 22.09.2021). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt (ÖB 8.2021). Die Verfassungs- und Rechtsordnung enthalten Garantien für die grundlegenden Menschenrechte und Freiheiten. Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, welche die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken darüber hinaus die rechtsstaatlichen Garantien, z. B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 22.09.2021; vgl. ÖB 8.2021, BICC 7.2022), wobei Menschenrechtsverletzungen auch von Terroristen in Jammu und Kaschmir, in den nordöstlichen Bundesstaaten und in den vom maoistischen Terrorismus betroffenen Gebieten begangen wurden, darunter Tötungen und Folter von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten, Entführungen sowie die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 20.03.2023).
Die Verfassung garantiert bürgerliche Freiheiten, einschließlich der Meinungs- und Religionsfreiheit, aber die Schikanen gegen Journalisten, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und andere Regierungskritiker haben unter Modi erheblich zugenommen. Die BJP hat zunehmend staatliche Einrichtungen genutzt, um politische Gegner ins Visier zu nehmen. Muslime, registrierte Kasten (Dalits) und registrierte Stämme (Adivasis) werden nach wie vor wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt (FH 2023).
Die Gesetze gestatten der Regierung das Abhören von Gesprächen zum Schutz der Souveränität und Integrität des Landes, der Sicherheit des Staates, der freundschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Staaten, der öffentlichen Ordnung oder zur Verhinderung der Anstiftung zur Begehung einer Straftat. Es gab Berichte, wonach Regierungsbehörden willkürlich oder unrechtmäßig oder ohne entsprechende rechtliche Befugnisse auf private Kommunikation zugriffen, diese sammelten oder nutzten und Praktiken entwickelten, die einen willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriff in die Privatsphäre ermöglichen, einschließlich des Einsatzes von Technologien zur willkürlichen oder unrechtmäßigen Überwachung oder Beeinträchtigung der Privatsphäre von Personen (USDOS 20.03.2023). [...]
13. Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung: 17.05.2023
Die Verfassung sieht zwar die Meinungsfreiheit vor, erwähnt aber nicht ausdrücklich die Pressefreiheit. Einzelpersonen kritisierten die Regierung routinemäßig öffentlich und privat über Online Plattformen, Fernsehen, Radio oder in Printmedien. Die Regierung respektierte im Allgemeinen das Recht auf freie Meinungsäußerung (USDOS 20.03.2023). Allerdings werden häufig Gesetze aus der Kolonialzeit und andere Gesetze herangezogen, um vermeintliche Kritik an der Regierung durch einfache Bürger zu bestrafen. Die Behörden haben Sicherheits-, Verleumdungs-, Aufruhr- und Hassredengesetze sowie Anklagen wegen Missachtung des Gerichts eingesetzt, um kritische Stimmen in den Medien zum Schweigen zu bringen. Hindu-nationalistische Kampagnen, die darauf abzielen, Formen der Meinungsäußerung, die als „antinational“ gelten, zu unterbinden, haben die Selbstzensur noch verschärft (FH 2023).
Die unabhängigen Medien waren aktiv und brachten im Allgemeinen eine große Vielfalt an Meinungen zum Ausdruck. Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen oder Feindschaft zwischen Gruppen schüren könnten. Die Behörden beriefen sich auf diese Bestimmungen, um Printmedien, Rundfunk und Fernsehen, digitale Medienplattformen, einschließlich Streaming Dienste, sowie die Veröffentlichung oder Verbreitung von Büchern zu beschränken (USDOS 20.03.2023). Obwohl Medienberichte über Menschrechtsverletzungen, Korruption und politische Skandale breiten Niederschlag finden (AA 22.09.2021), werden sie durch informelle Maßnahme teilweise eingeschränkt (AA 22.09.2021; vgl. FH 24.02.2022).
Journalisten und NRO berichteten, dass Regierungsbeamte sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene Medienunternehmen durch physische Schikanen und Angriffe einschüchterten, Druck auf die Eigentümer ausübten, Sponsoren ins Visier nahmen, zu leichtfertigen Klagen anregten und in einigen Gebieten Kommunikationsdienste wie Mobiltelefone und das Internet blockierten und die Bewegungsfreiheit einschränkten. Einige NRO behaupteten, dass strafrechtliche Verfolgung und Ermittlungen zur Einschüchterung von regierungskritischen Journalisten eingesetzt würden. Online- und Handy-Belästigungen waren weit verbreitet, und die Berichte über Internet-„TroNing“ nahmen weiter zu. In einigen Fällen nutzte die Polizei Informationen von anonymen Nutzern sozialer Medien als Vorwand, um Strafverfahren gegen Journalisten einzuleiten (USDOS 20.03.2023).
Die Behörden verstärkten ihre Bemühungen, Aktivisten der Zivilgesellschaft und unabhängige Journalisten zum Schweigen zu bringen, indem sie politisch motivierte Anklagen, einschließlich Terrorismus, erhoben, um diejenigen, die Missstände in der Regierung aufdeckten oder kritisierten, ins Gefängnis zu bringen (HRW 12.01.2023; vgl. FH 2023). Solche Angriffe werden nur selten geahndet, und in einigen Fällen war die Polizei daran beteiligt oder hat aktiv daran mitgewirkt (FH 2023). Die Regierung nutzte Vorschriften zur Finanzierung aus dem Ausland und Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten, um Rechtsgruppen, politische Gegner und andere zu schikanieren (HRW 12.01.2023). Es gab auch Berichte über Terroristen und Extremisten, die Tötungen, Gewalt und Einschüchterungen gegen regierungskritische Journalisten verübten (USDOS 20.03.2023).
Das Gesetz erlaubt es der Regierung, Internetseiten und -inhalte zu sperren und das Versenden von Nachrichten, die die Regierung als aufrührerisch oder beleidigend ansieht, zu kriminalisieren. Sowohl die Zentralregierung als auch die Regierungen der Bundesstaaten sind befugt, Richtlinien zum Sperren, Abfangen, Überwachen oder Entschlüsseln von Computerdaten zu erlassen. Es gab Berichte, dass die Regierung gelegentlich Nutzer digitaler Medien wie Chatrooms und die Kommunikation zwischen Personen überwachte (USDOS 20.03.2023). Die im Feber 2021 erlassenen Information Technology (Intermediary Guidelines and Digital Media Ethics Code) Rules ermöglichen darüber hinaus eine stärkere staatliche Kontrolle über Online-Inhalte (HRW 13.01.2022).
Access Now dokumentierte 2022 das fünfte Jahr in Folge die meisten Internetabschaltungen in Indien mit 84 von insgesamt 187 Internetsperren in 35 Ländern, seit 2017 jedoch erstmals weniger als 100. Von den 84 Abschaltungen ereigneten sich 49 im von Indien verwalteten Teil Kaschmirs und machten somit 58% der Sperren verglichen mit noch 80% im Jahr 2021 aus. Die Abschaltungen des Internets erfolgen in der Regel als Reaktion auf Unruhen und werden gelegentlich von gleichzeitig angeordneten Ausgangssperren begleitet (BAMF 06.03.2023).
Im aktuellen Ranking des Press Freedom Index 2022 der NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Indien Platz 150 von 180 bewerteten Ländern, was eine Verschlechterung um acht Plätzen im Vergleich zu 2021 darstellt (RSF 2023).
Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen oder Feindschaft zwischen Gruppen schüren könnten. Behörden berufen sich auf diese Bestimmungen, um Print- und Rundfunkmedien, digitale Medienplattformen - einschließlich Streaming-Dienste - und die Veröffentlichung oder Verbreitung von Büchern einzuschränken (USDOS 20.03.2023). [...]
14. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 11.05.2023
Das Gesetz garantiert die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.03.2023). Trotz einiger Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie z. B. eine Bestimmung der Strafprozessordnung, welche die Behörden ermächtigt, die Versammlungsfreiheit einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen, wenn „sofortige Verhinderung oder schnelle Abhilfe“ erforderlich ist, finden regelmäßig friedliche Demonstrationen statt. Die Regierungen der Bundesstaaten und der Zentralregierung unterbrechen häufig Mobilfunk- und Internetdienste, um Proteste zu unterbinden (FH 2023).
Die Behörden verlangten häufig Genehmigungen und Anmeldungen für Paraden oder Demonstrationen, und die lokalen Regierungen respektierten im Allgemeinen das Recht, sich friedlich zu versammeln und seine Meinung zu äußern. Eine Ausnahme bildete Jammu und Kaschmir, wo die Regierung des Bundesstaates separatistischen politischen Parteien manchmal die Genehmigung für öffentliche Versammlungen verweigerte und Sicherheitskräfte Berichten zufolge Mitglieder politischer Gruppen, die friedlich protestierten, festnahmen und angriffen. In Zeiten ziviler Unruhen in Jammu und Kaschmir griffen die Behörden auf das Gesetz zurück, um öffentliche Versammlungen zu verbieten und Ausgangssperren zu verhängen (USDOS 20.03.203).
Das Gesetz sieht die Vereinigungsfreiheit vor, und die meisten inländischen NRO arbeiteten frei und ohne Einmischung. Die verstärkte Überwachung und Regulierung einiger NRO, die ausländische Mittel erhielten, durch die Regierung wurde von der Zivilgesellschaft kritisiert. In einigen Fällen setzte die Regierung ausländische Banklizenzen aus oder fror die Konten von NRO ein, die angeblich ohne Genehmigung ausländische Gelder erhielten oder ausländische und inländische Gelder unrechtmäßig vermischten (USDOS 20.03.2023).
Das Gesetz sieht das Recht auf die Gründung von und den Beitritt zu Gewerkschaften sowie auf Tarifverhandlungen vor, aber es gibt keine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber, eine Gewerkschaft anzuerkennen oder Tarifverhandlungen zu führen (USDOS 20.03.2023; vgl. FH 2023). Die Durchsetzung des Gesetzes variierte von Staat zu Staat und von Sektor zu Sektor. Die Gewerkschaften waren von der Regierung unabhängig, aber vier der fünf großen Verbände waren mit großen politischen Parteien verbunden. Staatliche und lokale Behörden behinderten mitunter die Registrierung von Gewerkschaften, unterdrückten unabhängige Gewerkschaftsaktivitäten und machten von ihrer Befugnis Gebrauch, Streiks für illegal zu erklären und Gerichtsurteile zu erzwingen (USDOS 20.03.2023; vgl. FH 2023).
Dieses Recht unterliegt allerdings Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung, des Anstands oder der Moral (DFAT 10.12.2020; vgl. INDI 5.2022). Gewerkschaften spielen in Indien jedoch eine relativ geringe Rolle, da nur etwa 10% der arbeitenden Bevölkerung im formellen Sektor beschäftigt sind und nur ca. 8% der indischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind (ÖB 8.2021).
Während die Regierung das Recht auf Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen respektiert, kommt es zu einer verstärkten Überwachung und Regulierung von NGOs, die ausländische Mittel erhalten. Nach Ansicht von Finanzexperten und Vertretern von NGOs schränkt die neue Gesetzgebung im Rahmen des Foreign Contribution Regulation Act 2020 (FCRA) die Möglichkeiten kleinerer, regionaler Organisationen zur Mittelbeschaffung und die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft stark ein (USDOS 12.04.2022).
Es gibt keine Beschränkungen für die Gründung politischer Parteien oder für die Teilnahme von Einzelpersonen jeglicher Gemeinschaft an den Wahlen (USDOS 20.03.2023).
Opposition
Indien hat ein Mehrparteiensystem, und es gibt acht nationale Parteien: BJP (Bharatiya Janata Party), INC (Indian National Congress), CPI-M (Communist Party of India (Marxist), CPI (Communist Party of India), BSP (Bahujan Samaj Party), NCP (Nationalist Congress Party), AITC (All India Trinamool Congress) und NPP (National People’s Party). Daneben hat Indien über 50 anerkannte bundesstaatliche Parteien und 2.796 nicht anerkannte Parteien (JJ 28.01.2022). Andere Stellen sprechen von Hunderten von politischen Parteien, die bei der Wahlkommission registriert sind, wobei nur eine kleine Gruppe als nationale Parteien registriert ist (DFAT 10.12.2020). Neben den großen nationalen Parteien NCP und BJP sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend von politischer Bedeutung sind (AA 22.09.2021).
In den letzten acht Jahren hat sich die Bharatiya Janata Party (BJP) als dominierende Kraft in der indischen Politik etabliert (CEIP 12.07.2022). Auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene lösen sich allerdings regelmäßig verschiedene Parteien in der Regierung ab (FH 2023).
Die politische Opposition kann sich frei betätigen (AA 22.09.2021). Politische Parteien können sich im Allgemeinen ohne Einmischung bilden, und in der Praxis konkurrieren eine Vielzahl von Parteien, die eine Reihe von Ansichten und Interessen vertreten (FH 2023). Die Wahlen zu Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden - ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabetenrate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren - nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt. Behinderungen der Opposition kommen insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebene vor, z. B. durch nur eingeschränkten Polizeischutz für Politiker, Vorenthalten von Genehmigungen für Wahlkampfveranstaltungen, tätliche Übergriffe durch Anhänger anderer Parteien. Derartige Vorkommnisse werden von der Presse aufgegriffen und können von den politischen Parteien öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sie ziehen i. d. R. Sanktionsmaßnahmen der unabhängigen und angesehenen staatlichen Wahlkommission (Election Commission of India) nach sich (AA 22.09.2021). Die Regierungspartei hat dennoch verschiedene Instrumente eingesetzt, um die Wahlkampftätigkeit der Oppositionsparteien einzuschränken (FH 2023).
Die undurchsichtige Finanzierung der politischen Parteien gibt Anlass zu ernster Besorgnis. Ein 2017 eingeführtes System von Wahlanleihen ermöglicht es, die Identität der Spender der State Bank of India mitzuteilen, sie aber vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Dies hat der BJP erhebliche Vorteile bei der Mittelbeschaffung verschafft (FH 2023). Darüber hinaus hat die Regierung über das Criminal Bureau of Investigation selektiv Antikorruptionsermittlungen gegen Oppositionspolitiker durchgeführt und dabei Anschuldigungen gegen politische Verbündete unbeachtet gelassen (FH 2023; vgl. TOI 07.09.2022).
Im Mai stoppte der Oberste Gerichtshof in einer einstweiligen Verfügung die Anwendung des aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzes gegen Aufwiegelung, das von den Behörden wiederholt zur Verhaftung friedlicher Regierungskritiker eingesetzt wurde (HRW 12.01.2023). [...]
16. Todesstrafe
Letzte Änderung: 17.05.2023
Gemäß Art. 53 Strafgesetzbuch von 1860 (INDI 6.10.1860) gilt für bestimmte Verbrechen die Todesstrafe (Mord, Hochverrat, Anstiftung zu Selbstmord eines Kindes, terroristische Gewalttat, Besitz von tödlichem Sprengstoff, wiederholter Drogenhandel, Vergewaltigung von Kindern etc.) (ÖB 8.2021; vgl. INDI 6.10.1860). In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht vorgesehen. Ende 2001 trat eine Änderung des Sprengstoffgesetzes in Kraft, die den Besitz tödlicher Sprengstoffe mit der Todesstrafe bedroht. Die Antiterrorgesetzgebung sieht für terroristische Straftaten, durch die Menschen zu Tode kommen, ebenfalls die Todesstrafe vor (ÖB 8.2021). Der Supreme Court stellte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe nicht infrage, rief die Gerichte aber zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Fälle („rarest of rare cases“) auf (AA 19.07.2019; vgl. ÖB 8.2021). In den letzten Jahren wurde der Anwendungsbereich der Todesstrafe vor allem in Vergewaltigungsfällen weiter ausgedehnt (AA 22.09.2021). Vergewaltigungen von Mädchen unter zwölf Jahren können seit August 2018 mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 19.07.2019; vgl. AI 4.2022), wobei die Strafe für Gruppenvergewaltigung eines Mädchens unter zwölf Jahren entweder eine lebenslange Haftstrafe oder die Todesstrafe ist (USDOS 20.03.2023).
Obwohl jedes Strafgericht die Todesstrafe verhängen kann, wird sie nur nach Bestätigung durch den Obersten Gerichtshof vollstreckt. Letzterer kann eine erneute Beweisaufnahme anordnen oder die Strafe umwandeln. Die Gouverneure in den Unionsstaaten und der Staatspräsident haben das Begnadigungsrecht. Die zahlreichen Berufungsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass die Todesstrafe oft erst viele Jahre nach ihrer Verhängung vollstreckt wird (ÖB 8.2021).
Die indische Regierung hat im Jahr 2012 das inoffizielle Moratorium in Bezug auf die Todesstrafe aufgehoben (HRW 27.01.2016). Die Todesstrafe wird von weiten Teilen der Politik und der Gesellschaft befürwortet (AA 22.09.2021).
Am 20.03.2020 wurden vier Todesurteile im Fall einer 2012 begangenen Gruppenvergewaltigung vollstreckt (AA 22.09.2021; vgl. ZO 20.03.2020, BBC 20.03.2020, IT 20.03.2020). Es waren dies die ersten Hinrichtungen seit dem Jahr 2015 (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021). 2021 wurden 144 Personen zum Tode verurteilt (AI 5.2022). Aktuell warten in indischen Gefängnissen rund 400 Verurteilte auf die Vollstreckung der Todesstrafe (AA 22.09.2021). Ein indisches Gericht verurteilte am 18.02.2022 im Zusammenhang mit einer 2008 verübten Serie von Bombenanschlägen in Ahmedabad im Bundesstaat Gujarat, bei denen 56 Menschen getötet und 200 verwundet wurden, 38 Personen zum Tode (BAMF 21.02.2022). [...]
20. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 17.05.2023
Die Niederlassungsfreiheit (ÖB 8.2021; vgl. FH 2023) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.03.2023; vgl. AA 22.09.2021, ÖB 8.2021). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen (USDOS 20.03.2023; vgl. ÖB 8.2021). In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits erforderlich (USDOS 20.03.2023). Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit, sich in anderen Landesteilen niederzulassen. Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut (ÖB 8.2021). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert (FH 24.02.2022).
Es gibt immer noch kein staatliches Registrierungssystem, was bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung keinen Personalausweis besitzt. Daran hat auch die Einführung des digitalen Identitätssystems Aadhaar im Jahr 2009 nichts geändert, da die Registrierung weiterhin freiwillig ist. Dies begünstigt die Ansiedlung in einem anderen Teil des Landes im Falle von Verfolgung. Selbst bei laufender Strafverfolgung ist es keine Seltenheit, in ländlichen Gebieten in einem anderen Teil des Landes leben zu können, ohne verfolgt zu werden (AA 22.09.2021).
Die Regierung kann jedem Antragsteller einen Reisepass verweigern, wenn er sich außerhalb des Landes an Aktivitäten beteiligt, die „der Souveränität und Integrität der Nation schaden“ (USDOS 20.03.2023). Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller - einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren - zusätzlichen Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 12.04.2022). [...]
20.1. Meldewesen
Letzte Änderung: 14.11.2022
Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021) und auch kein zentralisiertes Strafregister (AA 22.09.2021). Im Jahr 2009 führte Indien allerdings Aadhaar ein, ein digitales Identitätssystem für die fast 1,4 Milliarden Menschen des Landes (UCLA 13.04.2022; vgl. CSM 25.04.2022). Das Aadhaar-Programm weist jedem Inder eine eindeutige 12-stellige Nummer zu, die mit den biometrischen Daten der Person verknüpft ist - alle zehn Fingerabdrücke und ein Iris-Scan (UCLA 13.04.2022; vgl. ÖB 8.2021, CSM 25.04.2022). Während das Programm eigentlich freiwillig sein sollte, wurde die Aadhaar-Nummer schnell zur Notwendigkeit, da einige indische Bundesstaaten sie zur Voraussetzung machten, um subventionierten Reis, Kochgas und Schulessen zu erhalten oder um Immobilien zu kaufen. Kritiker bemängeln jedoch, dass das Programm die am stärksten marginalisierten Teile der Bevölkerung nicht berücksichtigt (UCLA 13.04.2022) und die bestehenden Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung bei öffentlichen und privaten Dienstleistungen noch verschärft (CHRGJ 17.06.2022). Es wurde vielfach dokumentiert, wie das Versagen einer Aadhaar-Authen- tifizierungsmethode (Scannen des Fingerabdrucks oder über Mobiltelefon) zur Verweigerung von Sozialleistungen und zum systematischen Ausschluss von Randgruppen führen kann. Das Fehlen und/oder die Veränderung von Fingerabdrücken ist bei vielen Menschen aufgrund von körperlichen Behinderungen, hohem Alter oder jahrelanger körperlicher Arbeit üblich, was zum Scheitern der Authentifizierung führt. Ebenso haben viele Menschen, insbesondere Frauen ohne Einkommen, keine eigene Telefonnummer, was auch nach einer erfolgreichen Registrierung zu Problemen bei der Authentifizierung führen kann, bspw. bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen (Interactions 4.2022). Mittlerweile wurden über 1,2 Milliarden Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 8.2021; vgl. CSM 25.04.2022).
Das National Population Register (NPR) verfügt derzeit über eine Datenbank mit 119 Millionen Einwohnern. Das NPR, dessen Daten erstmals 2010 erhoben und 2015 mit Aadhaar-, Handy- und Lebensmittelkartennummern aktualisiert wurden, soll mit der nächsten Volkszählung aktualisiert werden, die aufgrund der COVID-19-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben wurde (TH 27.04.2022). [...]
21. Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 17.05.2023
Indien hat die UN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet (AA 22.09.2021). Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus nicht vor, und die Regierung hat kein System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge eingerichtet. In Ermangelung eines Rechtsrahmens gewährte die Regierung manchmal situationsbedingt Asyl aus humanitären Gründen im Einklang mit dem Völkerrecht. Dieser Ansatz führte zu unterschiedlichen Schutzstandards für verschiedene Gruppen von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Die Regierung erkannte Flüchtlinge aus Tibet und Sri Lanka an und respektierte im Allgemeinen die Entscheidungen des UNHCR zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus von Personen aus anderen Ländern. (USDOS 20.03.2023).
Gemäß der am 10.01.2020 in Kraft getretenen Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Citizenship Amendment Act, 2019), erhalten bestimmte Migranten, die vor dem 31.12.2014 als Flüchtlinge aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan kamen, vereinfacht die indische Staatsbürgerschaft. Dies gilt für Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jain, Parsis oder Christen, ausgenommen sind Muslime (AA 22.09.2022; vgl. INDI 2019). Allerdings hat der zuständige Minister angekündigt, dass mit der Umsetzung dieses Gesetzes erst nach der COVID- 19-Pandemie begonnen werden wird (CNBC 08.05.2022). Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach zwölfjährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Der Großteil der Tibeter lehnt dies jedoch in der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückkehren zu können, ab. Tibetische Flüchtlinge haben mithilfe von NGOs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv (AA 22.09.2021).
Indien teilt Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Flüchtlinge aus Afghanistan erhielten etwa Land in Lajpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Flüchtlinge nicht nur toleriert, sondern in die indische Gesellschaft integriert und dort akzeptiert (AA 22.09.2021). Im ganzen Land gab es Siedlungen von Binnenvertriebenen. Genaue Zahlen über die durch Gewalt Vertriebenen waren schwer zu ermitteln, da die Regierung die Bewegungen der Vertriebenen nicht überwacht und humanitäre Organisationen und Menschenrechtsorganisationen nur begrenzten Zugang zu Lagern und betroffenen Regionen hatten. Die Behörden registrierten zwar die Bewohner der Vertriebenenlager, doch eine unbekannte Zahl von Vertriebenen hielt sich außerhalb der Lager auf (USDOS 20.03.2023).
Binnenvertriebene lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Vertriebene aufgrund von Naturkatastrophen, Vertriebene aufgrund von Entwicklungsmaßnahmen wie dem Bau von Staudämmen und Vertriebene aufgrund von Gewalt und Konflikten. Für die ersten beiden Kategorien gibt es in Indien Gesetze (OI 06.04.2022) - das Grunderwerbsgesetz (INDI 2013) und das Katastrophenmanagementgesetz (INDI 2005). Für die dritte Kategorie von Vertriebenen gibt es in Indien jedoch kein eigenes Gesetz (OI 06.04.2022).
Für die Versorgung der Binnenvertriebenen waren in der Regel die Regierungen der Bundesstaaten und die lokalen Behörden zuständig, was zu Lücken in den Leistungen und einer unzureichenden Rechenschaftspflicht führte. Die Zentralregierung gewährte den Binnenvertriebenen nur begrenzte Unterstützung, gestattete jedoch NRO und Menschenrechtsorganisationen den Zugang zu den Binnenvertriebenen; weder der Zugang noch die Unterstützung waren für alle Binnenvertriebenen oder alle Situationen einheitlich (USDOS 20.03.2023).
Seit der Unabhängigkeit hat Indien immer wieder gewaltsame Zusammenstöße zwischen Gemeinschaften erlebt, die zu umfangreichen Vertreibungen geführt haben (OI 06.04.2022). Die Vertreibung aus langwierigen Konflikten stellt in Indien eine Herausforderung dar. Viele Menschen wurden vor Jahrzehnten durch Konflikte in den Bundesstaaten Assam, Mizoram und Tripura im Nordosten vertrieben. In Jammu und Kaschmir wurden, wenn überhaupt, nur geringe Fortschritte bei der Erreichung dauerhafter Lösungen erzielt (IDMC 19.05.2022).
Die Regierung hat im Allgemeinen mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammengearbeitet, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylbewerbern sowie anderen betroffenen Personen ein Mindestmaß an Schutz und Unterstützung zu gewähren. Das UNHCR hat zwar kein offizielles Abkommen mit der Regierung, ist aber im Allgemeinen in der Lage, Asylbewerbern und Flüchtlingen aus nicht benachbarten Ländern zu helfen. Das UNHCR hatte keinen direkten Zugang zu neu ankommenden Flüchtlingen an der Grenze zu Burma oder zu Langzeitflüchtlingen aus Sri Lanka in Tamil Nadu. Darüber hinaus fehlten den vom UNHCR anerkannten Flüchtlingen und Asylbewerbern nach wie vor staatlich anerkannte Ausweispapiere, was ihren Zugang zu nationalen Sozialprogrammen einschränkte (USDOS 20.03.2023). [...]
22. Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 17.05.2023
Allgemeine Wirtschaftsleistung
Indiens Wirtschaft zählt zu den größten und am schnellsten wachsenden weltweit (DS 15.08.2022; vgl. IBEF 8.2022). Das reale BIP-Wachstum im Geschäftsjahr 2021-22 liegt bei 8,7% (IBEF 8.2022). Damit wurde der durch die COVID-19-Pandemie bedingte Wirtschaftseinbruch überwunden (WKO 4.2022; vgl. IBEF 8.2022), und die indische Wirtschaft befindet sich wieder auf einem positiven Wachstumspfad. Für das am 01.04.2022 begonnene Wirtschaftsjahr wird ein Wachstum von 7,2% des BIP prognostiziert. Diese Wachstumsdynamik wird von einem wiedererstarkten Privatkonsum, einem enormen Investitionsprogramm-Stimulus der Regierung sowie einer relativ hohen COVID-19-Impfquote der Bevölkerung getragen (WKO 4.2022).
Die Inflationsrate in Indien betrug im Jahr 2021 rund 5,13% (laenderdaten.info ohne Datum; vgl. CIA 30.03.2023).
Arbeitsmarkt
Laut Zahlen des Centre for Monitoring the Indian Economy (CMIE) umfasste die Erwerbsbevölkerung 2021 durchschnittlich 430 Millionen Menschen (GTAI 19.04.2022). Nur 5% der Gesamtarbeitskräfte sind ausgebildete Fachkräfte. Nicht mehr ganz die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig (ÖB 8.2021).
Der indische Arbeitsmarkt wird vom informellen Sektor dominiert. Dieser umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung durch den Staat. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelten Arbeitsverhältnisse (Wiemann 2019; vgl. AAAI 8.2020). Annähernd 90% der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet - sie sind weder gegen Krankheit (Wiemann 2019; vgl. AAAI 8.2020, BMZ 01.08.2022) oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wiemann 2019; vgl. AAAI 8.2020). Geregelte Arbeitsverhältnisse mit angemessenen und regelmäßigen Einkünften sind im „informellen“ Sektor die Ausnahme (AA 22.09.2021).
Es besteht eine umfassende und internationalen Standards im Wesentlichen entsprechende Arbeits- und Sozialgesetzgebung, aber sie betrifft nur die Beschäftigten in formellen Arbeitsverhältnissen - das sind ca. 8% (AA 22.09.2021) bis 10% (ÖB 8.2021). Gewerkschaften konzentrieren sich immer noch ganz überwiegend auf den (kleinen) formellen Sektor und sind zumeist parteipolitisch gebunden (AA 22.09.2021).
Die nationale Arbeitsvermittlungsagentur, die bei dem Ministerium für Arbeit und dem Direktorat für Arbeit und Training angesiedelt ist, bietet Arbeitssuchenden Stellen an. Letztere müssen sich dort selbst registrieren und werden sofort informiert, sobald eine passende Stelle verfügbar ist. Einige Bundesstaaten bieten Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen Informationen über die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Fähigkeiten entsprechend der Marktnachfrage zur Verfügung gestellt werden (IOM 2021).
Der erste Lockdown führte zum Verlust von 140 Millionen Arbeitsplätzen (ÖB 8.2021). Dem Centre for Monitoring the Indian Economy (CMIE) zufolge lag die Arbeitslosenquote 2021 bei durchschnittlich 7,8% (GTAI 19.04.2022; vgl. laenderdaten.info o. D.). Für Februar 2022 meldet CMIE 8,1%. Damit liegt die Arbeitslosigkeit weiterhin über den Werten von vor der Pandemie (GTAI 19.04.2022).
Das Gesetz verbietet alle Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit, aber Zwangsarbeit, einschließlich Schuldknechtschaft für Erwachsene und Kinder, war weiterhin weit verbreitet (USDOS 20.03.2023; vgl. FH 2023).
Die Gesetze der Bundesstaaten legen Mindestlöhne und Arbeitszeiten fest. Der tägliche Mindestlohn variierte, lag aber über dem offiziell geschätzten Armutseinkommen. Die Regierungen der Bundesstaaten legen einen gesonderten Mindestlohn für Landarbeiter fest. Das Gesetz schreibt auch sichere Arbeitsbedingungen vor (USDOS 20.03.2023).
Nahrungsmittelsicherheit, Armut
In absoluten Zahlen ist Indien mit 230,8 Millionen Menschen nach wie vor das Land mit den meisten Menschen, die in Armut leben. Es ist jedoch gelungen, in den vergangenen Jahren weite Teile der Bevölkerung aus der Armut zu befreien. 2005/06 waren davon noch 55,1% der Einwohner betroffen, 2015/16 dann 27,7% und 2020/21 16,4%. 415 Millionen Menschen entkamen so innerhalb von 15 Jahren der Armut (Welt 17.10.2022; vgl. UNDP / OPHI 10.2022).
Trotzdem war Indien 2021 mit rund 224,3 Millionen unterernährten Menschen das Land mit den meisten von Hunger und Unterernährung betroffenen Menschen (Statista 17.08.2022). Im Welthunger-Index (WHI) 2022 stuft die NGO Welthungerhilfe die Hungerlage in Indien mit einem WHI-Wert von 29,1 als „ernst“ ein. Indien rangiert auf Platz 107 von insgesamt 121 bewerteten Ländern im Index (GHI 10.2022; vgl. AJ 15.10.2022)). Auf der Grundlage von Daten aus den Jahren 2019-2021 sind 16,3% der indischen Bevölkerung unterernährt (AJ 15.10.2022). Etwa ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren leidet wegen chronischer Unterernährung an Wachstumsverzögerungen. Die Kindersterblichkeit ist höher als in den Nachbarländern Nepal und Bangladesch, die zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehören (BMZ 01.08.2022).
Ein Programm, demzufolge 800 Millionen Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa zwei Drittel der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert und im April 2021 im Zuge der zweiten Covid-19-Welle wieder in Kraft gesetzt. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der Covid-19-Krise betroffen ist (ÖB 8.2021). Das Programm ist bis Dezember 2022 verlängert worden (PIB 15.10.2022).
Wohnraum und Sozialwesen
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (IOM 2021). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze (IOM 2021; vgl. NSAP 21.11.2017) oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, das den Teilnehmern ermöglicht, systematisch Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (IOM 2021).
Zahlreiche Sozialprogramme sollen die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. De facto ist der Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen in vielen Teilen Indiens noch wegen gravierender qualitativer und quantitativer Mängel, Korruption und Missmanagement beschwerlich bzw. oft verwehrt. Mit der Einführung der Identifikationsnummer „Aadhaar“ und der davon unabhängigen Eröffnung von Bankkonten für jeden Haushalt in Indien konnten erste Erfolge bei der Eindämmung von Korruption und beim „verlustfreien“ Transfer staatlicher Sozialleistungen verbucht werden (AA 22.09.2021).
Die Aadhaar-Karte enthält eine zwölfstellige persönliche Identifikationsnummer, die vor allem den ärmeren Bevölkerungsgruppen besseren und einfacheren Zugang zu staatlichen Transferleistungen verschaffen soll (SWP 06.10.2021). Seit 2010 wurde rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-Karte ausgestellt (DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. Später wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.09.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist (DFAT 10.12.2020).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 22.09.2021). [...]
24. Rückkehr
Letzte Änderung: 14.11.2022
Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und einer gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021). Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 22.09.2021; vgl. DFAT 10.12.2020).
Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützt haben, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, welche die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben. Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert (ÖB 8.2021).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer allgemein oder für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige im Speziellen (AA 22.09.2021). Die indischen Regierungen bieten allerdings eine Vielzahl an Sozialhilfen für Rückkehrende an. Die Berechtigung, diese auch in Anspruch nehmen zu dürfen, hängt von Faktoren wie der wirtschaftlichen Lage, dem Alter, dem Minderheiten- bzw. Kastenstatus, dem Geschlecht etc. ab (IOM 2021). Individuelle Reintegrationshilfen werden auch im Rahmen des JRS-Programms (Joint Reintegration Services), welches von Frontex finanziert und durch Partner durchgeführt wird, angeboten. Hierbei handelt es sich u. a. um folgende Hilfeleistungen: Unterstützung bei der Unterbringung, medizinische Versorgung, Berufsberatung, Bildung, Familienzusammenführung (FRONTEX o. D.). [...]
26. Dokumente
Letzte Änderung: 14.11.2022
Der Zugang zu gefälschten Dokumenten ist leicht (AA 22.09.2021; vgl. DFAT 10.12.2020). In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Betrugsfälle erhöht (LCI 08.04.2022). Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Hinzu kommt, dass die indischen Gerichte keine einheitlichen Formulare verwenden. Eine Überprüfung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die indischen Behörden sowie die weiteren Beteiligten nur zögerlich oder überhaupt nicht kooperieren. Hinweise auf Fälschungen sind insbesondere unvollständige Siegelstempel, fehlende Unterschriften sowie bei Rechtsanwälten fehlende Adressenangabe und Aktenzeichen (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021). In der Vergangenheit waren davon öfter Dokumente (z. B.: Haftbefehle, Bestätigungsschreiben von Rechtsanwälten) im Zusammenhang mit Strafsachen und Fahndung sowie dazugehörige eidesstattliche Versicherungen (affidavits) betroffen (AA 22.09.2021). Auch echte Dokumente unwahren Inhalts sind problemlos erhältlich (AA 22.09.2021; vgl. DFAT 10.12.2020) (gegen entsprechende Zahlungen oder als Gefälligkeit). Bei Personenstandsurkunden handelt es sich dabei um echte Urkunden falschen Inhalts, bei Gerichtsentscheidungen (z. B. Scheidung, Sorge) um echte Urteile, die jedoch aufgrund erfundener Sachverhalte und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrenserfordernisse (rechtliches Gehör, Interessenabwägung, Begründung) ergehen (AA 22.09.2021).
Die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten gestaltet sich als schwierig. So besteht etwa zwischen zahlreichen Personen aus dem Punjab, Delhi und Haryana eine Namensidentität, sodass die Zuordnung eines Haftbefehls häufig problematisch ist. Der Namenszusatz männlicher Sikhs ist „Singh“ (Löwe), der aller weiblichen Sikhs „Kaur“ (Prinzessin); Singh ist zudem ein verbreiteter Hindu-Nachname in Nordindien. Die Mitteilung sämtlicher Vornamen sowie des Geburtsdatums und der Name der Eltern sind daher für die eindeutige Zuordnung unerlässlich (ÖB 8.2021; vgl. AA 22.09.2021).
In Indien wurden bisher insgesamt 1,32 Milliarden Aadhaar-Karten (LM 21.09.2022), die seit 2010 Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative sind, ausgestellt (DFAT 10.12.2020). Aadhaar ist ein Personalausweis, welcher eine zwölfstellige Identifikationsnummer beinhaltet. Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, müssen folgende Daten bei der Registrierungsstelle eingereicht werden: ausgefülltes Anmeldeformular, demografische und biometrische Daten, ein Identitätsnachweis, ein Adressnachweis und Geburtsurkunde. Mit Aadhaar soll einerseits der Zugang zu Sozialleistungen und Subventionen erleichtert, andererseits die doppelte Vergabe und Erstellung von gefälschten Personalausweisen reduziert bzw. verhindert werden (UIAI 03.07.2022). Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020).
In manchen Bundesstaaten ist die Verifikation von Strafverfahren anhand der FIR-Nummer (Aktenzeichen der Anzeige bzw. des Strafverfahrens) online möglich. Beschuldigte in Strafverfahren verfügen i. d. R. über die Aktenzeichen der Polizei oder des Strafgerichts, da diese den Betroffenen formell an die Wohnadresse zugestellt werden (AA 22.09.2021). [...]
4. Beweiswürdigung:
Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.
4.1. Zur Person des BF:
4.1.1. Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem BFA und in der Beschwerde.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im Asylverfahren. Der BF hat zwar während des Verfahrens zu Name und Geburtsdatum gleiche Angaben gemacht, seine Identität konnte jedoch – mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel – nicht abschließend geklärt werden.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des BF in Indien, stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Verfahren vor dem BFA und in der Beschwerde sowie auf die Kenntnis und Verwendung der Sprachen Punjabi und Hindi sowie die Kenntnis der geografischen Gegebenheiten Indiens.
4.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Die Feststellungen zu den Gründen des BF für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die in der Erstbefragung, in der Einvernahme vor dem BFA und in der Beschwerde getroffenen Aussagen.
Als fluchtauslösendes Ereignis brachte der BF zusammengefasst vor, dass er in Indien keine Arbeit gefunden habe.
Es obliegt dem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Wie sich aus der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA ergibt, hatte der BF ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel vorzulegen.
Der BF machte lediglich vage und unkonkrete Angaben zu seinen Fluchtgründen. Es ist den Ausführungen des BFA im verfahrensgegenständlichen Bescheid zu folgen, wonach der BF im verwaltungsbehördlichen Verfahren ausschließlich wirtschaftliche Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates ins Treffen geführt hat.
Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des BF im gesamten Verfahren ergibt sich somit, dass der BF mit dem genannten Vorbringen eine Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Indien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft gemacht hat. Es konnte weder eine konkret gegen die Person des BF gerichtete Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung im Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen hätten.
In einer Gesamtbetrachtung ist den Ausführungen der Behörde sohin beizupflichten, dass der BF sein Fluchtvorbringen weder konkret vorgebracht noch glaubhaft gemacht hat. Mit diesem Vorbringen ist es dem BF nicht gelungen, eine konkrete und individuelle Verfolgung glaubhaft zu machen.
Auch das Vorbringen in der Beschwerde war in keiner Weise geeignet, das bisherige Vorbringen des BF zu unterstützen, zumal auch hier Fluchtgründe des BF weder angegeben, noch näher ausgeführt und auch in keiner Weise belegt wurden. Auch in der Beschwerde wurden keinerlei konkrete Angaben zu Personen, Orten, Zeiten oder Ereignisse gemacht.
Der Ermittlungspflicht der Behörden steht eine Mitwirkungspflicht des BF gegenüber. Der Verwaltungsgerichtshof (in der Folge VwGH) hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der BF die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des „Glaubhaft-Seins“ der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH 13.04.1988, 86/01/0268). Der Antragsteller hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u. a. VwGH 26.06.1997, 95/18/1291, VwGH 17.07.1997, 97/18/0336, VwGH 05.04.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.
Da Fluchtgründe weder behauptet wurden, noch von Amts wegen hervorgekommen sind, konnte eine Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden.
4.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Dass dem BF eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat möglich ist, ergibt sich aus der aktuellen Länderinformation der Staatendokumentation des BFA sowie seinen eigenen Angaben.
Der BF wurde in Indien geboren und ist dort aufgewachsen. Er spricht Hindi als Muttersprache und die weitere Verkehrssprache Punjabi, ist im erwerbsfähigen Alter, arbeitsfähig und verfügt über Schulbildung. Auch die Familie des BF lebt nach wie vor in Indien.
Die diesem Erkenntnis zugrundegelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.5.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.
Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides des BFA in Indien allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Indien stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u. a. durch Einschau etwa in die aktuelle Länderinformation der Staatendokumentation) versichert hat.
Die im Bescheid angeführten Berichte hat der BF in seiner Beschwerde nicht substantiiert bestritten, zumal er auch dort nicht darlegte, inwiefern er eine konkrete Verfolgung in seinem Herkunftsstaat zu befürchten hätte.
4.4. Zu den Feststellungen des (Privat-) Lebens des BF in Österreich:
Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich stützen sich auf die Angaben des BF im erstbehördlichen Verfahren und in der Beschwerde sowie auf die eingeholten Registerabfragen des BVwG (Strafregister, Zentrales Melderegister, Fremdenregister, GVS-Auszug).
Dass der BF nicht in einem besonderen Ausmaß integriert ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass er sich erst seit September 2022 in Österreich aufhält. Der BF hat weder belegt, dass er Deutschkurse besucht habe, kulturelle Aktivitäten gesetzt habe oder über maßgebliche soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfüge, noch haben sich solche integrativen Schritte im Verfahren ergeben. Er hat auch nicht belegt, einer legalen Erwerbstätigkeit nachzugehen, sondern wurde im März 2023 bei der Ausübung von Schwarzarbeit betreten.
5. Rechtliche Beurteilung
5.1. Anzuwendendes Recht:
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.
Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
5.2. Rechtlich folgt daraus:
Zu Spruchteil A):
5.2.1. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 17.08.2023 beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 21.08.2023 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.
5.2.2. Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde.
Dem BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahmen vor dem BFA – jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher – ausreichend rechtliches Gehör gewährt.
Die belangte Behörde befragte den BF insbesondere zu der von ihm behaupteten Gefahrensituation in Indien und legte ihrer Entscheidung umfangreiche Berichte unbedenklicher Stellen über die Situation in Indien zu Grunde.
5.2.3. Zur Beschwerde:
Das Vorbringen in der Beschwerde war nicht geeignet, das Vorbringen des BF zu unterstützen, da es sich im Wesentlichen in einer unsubstantiierten Kritik am Verfahren vor dem BFA erschöpfte. Zudem brachte der BF auch in der Beschwerde keinerlei asylrelevantes Fluchtvorbringen oder seine Identität vor und brachte keinen neuen Aspekt in das Verfahren ein, der erheblich wäre.
Angemerkt wird, dass der Antrag, „aufschiebende Wirkung zu gewähren“, ins Leere geht, da die Beschwerde aufschiebende Wirkung hatte.
5.2.4. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:
5.2.4.1. Zu § 3 AsylG (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
5.2.4.1.1. Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529 u. a.). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung – zusammenhängt. Derartiges hat der BF jedoch nicht behauptet.
Innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative:
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. z. B. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; VwGH 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).
5.2.4.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Eine diesbezügliche Verfolgung konnte vom BF jedoch nicht glaubhaft gemacht werden. Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar.
Da der BF die behaupteten – zumal wirtschaftlichen – Fluchtgründe nicht hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vor.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
5.2.4.2. Zu § 8 AsylG (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
5.2.4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.
Nach der Rechtsprechung des VwGH setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Für das Vorliegen einer realen Gefahr („real risk“) reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist; es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte – EGMR und des Europäischen Gerichtshofes – EuGH).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) zur Verfügung steht (§ 8 Abs. 3 AsylG). Dies ist gemäß § 11 Abs. 1 AsylG dann der Fall, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG, K15).
Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, muss es dem Asylwerber möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154 mit Verweis auf VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).
Der VwGH hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Asylwerber das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.06.1997, 95/18/1291; VwGH 17.07.1997, 97/18/0336). Diese Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG in Erledigung des Eventualantrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bescheidmäßig festzustellen, ob dem Antragsteller der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist. Dieser ist dann zuzuerkennen, wenn die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nicht zulässig ist.
5.2.4.2.2. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder den relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht ihm im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten Rechte nach der EMRK. Eine solche Gefahr hat der BF weder glaubhaft gemacht, noch ist diese von Amts wegen hervorgekommen oder der Behörde bekannt. Selbiges gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Somit sind keine Umstände hervorgetreten, die zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention führen könnten.
Wie schon unter Punkt 5.2.4.1. zu Spruchpunkt I. ausgeführt, haben sich im gesamten Verfahren keine Anhaltspunkte gefunden, die zu einem anderen Ergebnis als im erstbehördlichen Bescheid führen würden. Daher war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des im Spruch bezeichneten Bescheides abzuweisen.
5.2.4.3. Zu den Spruchpunkten III., IV. (Rückkehrentscheidung) und V. (Abschiebung) des angefochtenen Bescheides:
5.2.4.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in der geltenden Fassung ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 Abs. 1 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur nachvollziehbar behauptet wurde. Der BF befindet sich erst seit September 2022 im Bundesgebiet, und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt.
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der BF ist als Staatsangehöriger von Indien kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre (§ 9 Abs. 3 BFA-VG).
Bei der Abwägung, die durch Art. 8 EMRK vorgeschrieben wird, stehen die Interessen des Fremden an seinem Verbleib im Inland, die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt sind, dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes gegenüber.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der VwGH feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva u. a. gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).
Der VwGH hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 u. a. mwN). Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).
Der Aspekt der Bindungen zum Heimatstaat steht in direkter Beziehung zur Integration im Bundesgebiet: Je länger der Aufenthalt im Gastland, desto stärker wird der Verlust an Bindungen zum Heimatland sein. Mit der Abnahme von Bindungen zum Herkunftsstaat wird in der Regel auch der Integrationsgrad im Bundesgebiet zunehmen. […] (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 858 f.).
5.2.4.3.2. Der BF hat keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des BF auf Schutz des Familienlebens.
Die Dauer des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet seit September 2022 ist als sehr kurz zu bezeichnen und wird weiter dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein.
Weitere ausgeprägte private und persönliche Interessen hat der BF im Verfahren nicht dargetan und auch keine Kenntnisse der deutschen Sprache sowie die Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit belegt. Es ist davon auszugehen, dass im Falle des BF ein nur geringer Grad an Integration erreicht worden ist.
Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene BF den überwiegenden und prägenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat und dort sozialisiert wurde, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort weiterhin seine Verwandten leben und der BF auch eine Sprache des Herkunftsstaates als Muttersprache beherrscht.
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof (in der Folge VfGH) und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).
Daher ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
Daher war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV. und V. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG sowie §§ 46 und 52 FPG als unbegründet abzuweisen.
5.2.4.4. Zum Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (Frist zur freiwilligen Ausreise):
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen.
Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da Gründe im Sinne von § 55 Abs. 2 FPG im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
5.2.4.5. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S. 389 (2010/C 83/02), entgegenstehen.
Dem BVwG liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem BF mündlich erörtert hätte werden müssen. Die Ausführungen in der Beschwerde sind daher nicht geeignet, erheblich erscheinende neue Tatsachen oder Beweise (vergleiche § 10 VwGVG) darzustellen und eine Verhandlungspflicht auszulösen. Da der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entgegen dem Parteienantrag eine mündliche Verhandlung somit unterbleiben.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH zur Glaubhaftmachung asylrelevanter Verfolgungsgründe, den Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz und zu Rückkehrentscheidungen auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen sowie eine Interessenabwägung maßgeblich für die zu treffende Entscheidung waren.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.