JudikaturBVwG

W200 2270822-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
21. Juli 2023

Spruch

W200 2270822-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Syrien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor Klammer wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, RD Oberösterreich Außenstelle Linz (BFA-O-ASt-Linz), 1309153510-221697970 in Bezug auf den am 25.05.2022 gestellten Antrag auf internationalen Schutz, zu Recht erkannt:

A)

Der Säumnisbeschwerde wird gemäß § 8 VwGVG stattgegeben und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG beauftragt, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der im gegenständlichen Erkenntnis festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts binnen 8 Wochen ab Zustellung zu erlassen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 25.05.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der am 27.05.2022 abgehaltenen polizeilichen Erstbefragung gab er im Wesentlichen an, dass er sich drei Jahre in der Türkei aufgehalten hätte. Er hätte Österreich erreichen wollte, weil hier die Familienzusammenführung besser sei. Er müsse zum Militär und das wolle er nicht. Alle Parteien in Syrien würden zwangsrekrutieren, er wolle nicht kämpfen. In Syrien gebe es eine Arbeit mehr. Er sei Soldat in der kurdischen Armee und sei von dort geflohen, wenn er zurückkehre würden ihn die Kurden bestrafen. Sein Personalausweis sei in der Türkei.

Per Mail wurden am 08.09.2022 diverse Dokumente in Kopie vorgelegt. Für das BVwG ist aufgrund der Aktenführung des BFA nicht erkennbar, ob bzw. welche Dokumente bereits übersetzt vorgelegt wurden oder diese vom BFA einem Dolmetscher zur Übersetzung übermittelt wurden.

Mit Schriftsatz vom 08.02.2023 brachte der Beschwerdeführer im Wege seines ausgewiesenen Rechtsvertreters beim BFA die vorliegende Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht ein. Darin wurde ausgeführt, dass seit der Antragstellung bereits sechs Monate verstrichen seien, ohne dass seitens der Behörde über den Antrag entschieden worden sei. Daher werde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge in Stattgabe der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst entscheiden und dem anhängigen Antrag stattgeben.

Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 24.04.2023 vor. Zur Entscheidungsfrist wurde auf Stellungnahmen des Bundesministeriums für Inneres (BMI) und des BFA verwiesen. Die Stellungnahme des BMI nehme zwar nicht auf konkrete Verfahren Bezug, die Ausführungen hätten aber auch für den vorliegenden Fall Relevanz, zumal die Belastungssituation im Allgemeinen dargestellt würde.

In einer ausgesprochen umfangreichen Ergänzung vom 18.05.2023 brachte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter unter anderem vor, dass es keine Gesamtüberlastung des BFA gebe und die Überlastung einzelner Stellen nicht relevant seien. Die durchschnittliche Dauer eines Asylverfahrens im 1. Halbjahr 2022 betrage – entsprechen der Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage vom 12.09.2922 - 3,2 Monate, und liege somit deutlich unter der gesetzlichen Frist von 6 Monaten. Es sei daher klar, dass die Überschreitung der Verfahrensdauer von 6 Monaten in einzelnen Verfahren deutlich außerhalb der Norm sei und durch eine allgemeine Überlastung der Behörde aufgrund erhöhter Asylantragstellungen nicht zu erklären sei. Vielmehr sei von einem Organisationsverschulden der Behörde auszugehen. Festgehalten werde in dieser Beantwortung auch, dass es 452 verfahrensführende Referenten gebe.

Am 28.06.2023 legte der Beschwerdeführer dem BVwG eine Kopie seines syrischen Reisepasses, ausgestellt am 11.11.2019 mit Gültigkeitsdatum 10.11.2021 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein XXXX Staatsangehöriger Syriens, stellte am 25.05.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das BFA folgte dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 aus. Weitere Ermittlungsschritte wurden nicht gesetzt.

Am 08.02.2023 brachte der Beschwerdeführer beim BFA eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht ein, die dem Bundesverwaltungsgericht durch die Behörde am 24.04.2023 mit allgemeinem Verweis auf die Belastungssituation des BFA vorgelegt wurde.

Das BFA hat bis zum hg. Entscheidungszeitpunkt nicht über den Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen. Eine überzeugende Begründung für eine Säumnis, welche nicht überwiegend von der Behörde verschuldet worden wäre, wurde seitens des BFA nicht abgegeben. Es hat sich nicht ergeben, dass die Behörde durch ein Verschulden des Beschwerdeführers oder ein unüberwindbares Hindernis gehindert gewesen ist, binnen sechs Monaten eine Sachentscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zu treffen.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt sowie einem Auszug aus dem Strafregister des Beschwerdeführers.

Zur Erörterung, weshalb hg. von einem überwiegenden Verschulden der Behörde an der Nichteinhaltung der Entscheidungsfrist ausgegangen wird, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zur Frage der Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde:

Der Gesetzgeber verpflichtet Behörden binnen sechsmonatiger Frist zur Erledigung von Anträgen (§ 73 AVG). Sofern gesetzlich vorgesehen, kann sich diese Frist verkürzen, aber auch verlängern (VwGH 24.06.2016, Fr 2015/10/0005). Wenn diese Frist vollständig abgelaufen und der Antrag noch nicht bescheidmäßig erledigt worden ist, steht als Rechtsbehelf die Säumnisbeschwerde zur Verfügung.

Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde (§ 8 VwGVG)

„§ 8 (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) kann erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Nachholung des Bescheides (§ 16 VwGVG)

„§ 16 (1) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann die Behörde innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen.

(2) Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.“

Im vorliegenden Fall – in dem der Antrag auf internationalen Schutz am 25.05.2022 bei der Behörde einlangte und am 08.02.2023 eine Säumnisbeschwerde erhoben wurde – liegt Säumnis im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG vor.

Ist eine Entscheidung der belangten Behörde nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erfolgt, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Verzögerung auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist; andernfalls ist die Säumnisbeschwerde – als nicht „begründet“ bzw. „berechtigt“ – „abzuweisen“, sodass eine Sachentscheidung (oder auch nur eine „Teilentscheidung“) gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG nicht in Betracht kommt (vgl. dazu Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 VwGVG, Stand 15.02.2017).

Eine Säumnisbeschwerde ist sohin nur berechtigt, wenn das Verstreichen der Entscheidungsfrist nicht dem Antragsteller zugerechnet werden kann, sondern durch das Verhalten oder durch Unterlassungen der Behörde verschuldet wurde. Unerheblich ist dabei, ob ein subjektives Verschulden einzelner Organwalter oder ein objektives Verschulden vorliegt (zB durch Personal- oder Organisationsmängel, VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087). Das Verschulden muss nicht allein bei der Behörde liegen, aber es muss überwiegen (VwGH 26.02.2015, 2012/07/0111). Ein überwiegendes Verschulden der Behörde liegt darin, dass diese die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087). Der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG ist daher nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (VwGH 25.11.2015, Ra 2015/08/0102; siehe zum Ganzen Larcher in Raschauer/Wessely [Hrsg.], VwGVG § 8 Rn 6, Stand 31.03.2018).

Entscheidend ist, ob die notwendigen Ermittlungen im Verfahren innerhalb des Entscheidungszeitraumes vorgenommen werden konnten (VwGH 24.02.2022, Ra 2020/06/0069). Die Behörden haben dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist (VwGH 26.01.2012, 2008/07/0036). Der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde kann behördliches Verschulden nicht ausschließen (vgl. VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).

Davon zu trennen ist die spezifische Konstellation, in der das BFA mit einem – spätestens im Jahr 2015 in voller Intensität einsetzenden – als massenhaft zu bezeichnenden Neuanfall an Asylverfahren bzw. mit einer außergewöhnlich hohen Gesamtzahl an offenen Asyl- und Fremdenrechtsangelegenheiten konfrontiert war, die in der Folge auch den Materiengesetzgeber u.a. zur Verlängerung der Entscheidungsfrist auf 15 Monate veranlasst hat, sodass „unzweifelhaft eine extreme Belastungssituation [vorlag], die sich in ihrer Exzeptionalität von sonst allenfalls bei (anderen) Behörden auftretenden, herkömmlichen Überlastungszuständen ihrem Wesen nach, und sohin grundlegend, unterscheidet.“ In derartigen Ausnahmesituationen muss die Verpflichtung der belangten Behörde, dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist, zwangsläufig an Grenzen stoßen, sodass sie einen hinreichenden Grund für das Vorliegen unüberwindlicher Hindernisse iSd § 8 VwGVG iVm § 73 Abs. 1 AVG darstellen können (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 VwGVG, Stand 15.02.2017, mit Hinweis auf VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001; 27.06.2016, Ra 2016/18/0047; 29.07.2016, Ro 2016/18/0004).

Dass die Untätigkeit des BFA im vorliegenden Fall durch unüberwindbare Hindernisse im Sinne der vorangegangenen Ausführungen verursacht wurde, ist nicht hervorgekommen; es wird vom BFA auch nicht behauptet, dass die antragstellende Partei irgendein Verschulden an der Verzögerung treffen würde. Vielmehr ist aus dem Verwaltungsakt ersichtlich, dass, seitdem der Beschwerdeführer am 25.05.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und am 27.05.2022 einer Erstbefragung unterzogen worden war, vom BFA keinerlei Schritte iS einer zweckentsprechenden und zügigen Verfahrensführung gesetzt worden sind. Auch finden sich im Akt keine Hinweise darauf, dass es sich bei der vom BFA zu prüfenden Materie um eine äußerst komplexe handelt, Beweise nicht erhoben werden könnten oder außerhalb der Einflusssphäre der Behörde gelegene Ereignisse das Verfahren blockierten.

Das BFA veranlasste zweieinhalb Monate nach Einlangens der Säumnisbeschwerde die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Eine für den konkreten Fall individualisierte Begründung für die Säumnis wurde im Rahmen der Beschwerdevorlage nicht genannt. Weshalb das BFA auch noch nach Einlangen der Säumnisbeschwerde keinerlei Ermittlungsschritte gesetzt und eine Erledigung binnen der immerhin dreimonatigen Frist gem. § 16 Abs. 1 VwGVG nicht einmal versucht hat, sondern die Beschwerde ohne zwischenzeitliche Ermittlungsschritte dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt wurde, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Die Begründungen des BFA bzw. des BMI waren nicht geeignet überzeugend darzulegen, dass die Sachentscheidung durch unüberwindliche Hindernisse nicht innerhalb der gesetzlich festgelegten Entscheidungsfrist getroffen hätte werden können.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die aktuelle Entscheidung des VwGH, Ra 2023/20/0166-9 vom 6. Juni 2023, zu verweisen, in der der im Verfahrensgang wiedergegebene Inhalt der Stellungnahme wortident verfahrensgegenständlich war.

Im Verfahren W218 2264846-1/8E hat das BVwG bei der vom (selben) Vertreter vorgebrachten Argumentation im Verfahren über die Erhebung einer Säumnisbeschwerde diese als unbegründet abgewiesen.

Der VwGH hat nach Erhebung einer ao Revision gegen dieses Erkenntnis in diesem Beschluss in Rz 12 wie folgt ausgeführt:

„Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ergibt, dass der Revision im Fall einer inhaltlichen Entscheidung Erfolg beschieden gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nämlich mit den Ausführungen in der vom Revisionswerber eingebrachten Stellungnahme vom 19. Februar 2023 nicht in der vom Gesetz geforderten Weise auseinandergesetzt und auch nicht näher begründet, weshalb es den vom Revisionswerber gestellten Beweisanträgen nicht nachgekommen ist. Es hat die darin enthaltenen Argumente lediglich mit der Bemerkung abgetan, die am 20. Februar 2023 eingelangte Stellungnahme führe nicht dazu, die (vom Bundesverwaltungsgericht angenommene) Beweislage zu entkräften. Den in der Revision dargestellten Verfahrensfehlern - Ermittlungs- und Begründungsmängeln - kann zudem die Relevanz auf den Verfahrensausgang nicht abgesprochen werden. Im Besonderen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber in seiner Stellungnahme vorgebracht hatte, dass beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl „452 verfahrensführende Referenten“ tätig seien, die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren 3,2 Monate betrage und (nach der Aufnahme der angebotenen Beweise) hervorkommen werde, dass eine auf erhöhte Antragszahlen zurückzuführende allgemeine Überlastung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nicht vorgelegen sei, sondern das Nichteinhalten der Entscheidungsfrist in einzelnen Verfahren auf ein Organisationsverschulden der Behörde zurückzuführen sei.“

Wenngleich es als notorisch zu erachten ist, dass seit Sommer 2021 ein deutlicher Anstieg von Anträgen auf internationalen Schutz zu erkennen gewesen ist, zeigt alleine diese Entwicklung – im Lichte der oben wiedergegebenen Judikatur der Höchstgerichte, dass eine generelle Überlastung der Behörde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben durch enormen Arbeitsaufwand ein behördliches Verschulden nicht auszuschließen vermag – ein unüberwindbares Hindernis für eine fristgerechte Entscheidung nicht auf. Dass eine extreme Belastungssituation, wie sie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, vor Augen hatte, im hier relevanten Zeitraum abermals vorgelegen ist, ist nicht zu erkennen. Insbesondere lag – im Unterschied zum Zeitraum 2015/2016 – zuletzt keine Situation vor, die den Gesetzgeber veranlasste, in Reaktion auf eine (extreme) Belastungssituation des BFA legistische Maßnahmen zu setzen – wie es durch die Einführung der in § 19 Abs. 6 AsylG 2005 vorgesehenen Möglichkeit, das BFA im Rahmen des Säumnisbeschwerdeverfahrens mit der Durchführung der Einvernahme des Asylwerbers zu beauftragen, sowie insbesondere der im (mittlerweile außerkraftgetretenen) § 22 Abs. 1 AsylG 2005 befristeten Verlängerung der in § 73 AVG vorgesehenen sechsmonatigen Entscheidungsfrist auf 15 Monate durch BGBl. I Nr. 24/2016 der Fall gewesen ist. Im am 10.02.2023 veröffentlichten Bericht des Rechnungshofes über die Follow-up-Überprüfung des BFA (S 15-18) (abrufbar unter: https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/home_7/2023_4_Bundesamt_Asyl.pdf) wird festgehalten, dass die durchschnittliche Erledigungsdauer von Asylverfahren beim BFA zwischen dem dritten Quartal 2018 und dem vierten Quartal 2021 von 21,6 Monaten auf 3,9 Monate gesunken ist. Laut einem im Oktober 2022 veröffentlichten Bericht des Bundesministeriums für Inneres (S 6) (abrufbar unter: https://www.bfa.gv.at/403/files/Detailstatistik_BFA_Kennzahlen_1-3_Quartal_2022.pdf) beträgt die Verfahrensdauer der erstinstanzlichen Bescheide für Verfahren mit Asylantrag seit 01.06.2018 im arithmetischen Mittel 3,2 Monate. Es ist sohin kein Anhaltspunkt zu erkennen, dass es im gegenständlichen Zeitraum aufgrund einer exzeptionellen Belastungssituation nicht möglich gewesen wäre, durch innerorganisatorische Vorkehrungen auf eine Erledigung des am 25.05.2022 gestellten Antrages auf internationalen Schutz binnen der gesetzlichen Entscheidungsfrist hinzuwirken.

Da somit die Säumnis in diesem konkreten Fall auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist, ist die Säumnisbeschwerde begründet.

Ist die Säumnisbeschwerde – wie vorliegend – zulässig und iSd § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG begründet, kommt § 28 Abs. 7 VwGVG zum Tragen. Danach mündet das Säumnisbeschwerdeverfahren in ein Erkenntnis, mit dem das Verwaltungsgericht entweder zunächst eine (Teil-)Entscheidung in der betriebenen Verwaltungssache oder sogleich eine Entscheidung in d(ies)er Sache selbst trifft (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 28 VwGVG Rn 186, Stand 15.02.2017)

Gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG kann das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

Dadurch wird dem Verwaltungsgericht die Wahlmöglichkeit eingeräumt, im Falle einer zulässigen Säumnisbeschwerde die Zuständigkeit in der Angelegenheit unter den näher bestimmten Voraussetzungen wieder auf die Behörde rückzuübertragen (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0144). Ob das Verwaltungsgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, sein Erkenntnis auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen zu beschränken, liegt in seinem Ermessen. Auch wenn das Gesetz hier nicht explizit Determinanten nennt, ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung in erster Linie die Grundsätze der Verfahrensökonomie zu beachten hat. Aus verfahrensökonomischer Sicht wird die Erlassung eines "Teilerkenntnisses" vor allem dann in Betracht kommen, wenn neben der Lösung der maßgeblichen Rechtsfragen auch noch der Sachverhalt weiter klärungsbedürftig ist (vgl. VwGH 10.03.2022, Ra 2020/15/0103).

§ 28 Abs. 7 VwGVG ermöglicht es dem Verwaltungsgericht somit, aufgrund einer Säumnisbeschwerde zunächst ohne Durchführung eines umfassenden Ermittlungsverfahrens (ohne vollständige Feststellung des maßgebenden Sachverhalts iSd § 37 Abs. 1 AVG) die wesentlichen für die Lösung des Falles maßgeblichen Rechtsfragen zu entscheiden (VwGH 28.05.2015, Ro 2015/22/0017, mwN; vgl. auch Grof in Raschauer/Wessely [Hrsg.], VwGVG § 28 Rn 42 ff, Stand 31.03.2018).

Gemäß § 19 Abs. 6 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG darüber hinaus die Möglichkeit, das Bundesamt mit der Einvernahme des Asylwerbers zu beauftragen.

Da die belangte Behörde im gegenständlichen Fall offenkundig und begründungslos ihre Entscheidungspflicht ungenützt ließ und zentrale Sachverhaltsfragen – insbesondere die Erhebung des Fluchtvorbringens – noch klärungsbedürftig sind, hält es das Bundesverwaltungsgericht für erforderlich und zweckmäßig, der Behörde unter Zugrundelegung seiner Rechtsanschauung die Möglichkeit zu geben, den versäumten Bescheid nachzuholen und damit aufzutragen, bei Vorliegen der Voraussetzungen dem Beschwerdeführer entweder den Status eines Asylberechtigen oder eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder aber einen begründeten abweisenden Bescheid zu erlassen.

Aufgrund des Umstandes, dass sämtliche Voraussetzungen für einen Verfahrensabschluss durch das BFA – nach vorheriger Einvernahme – vorliegen, erscheint es auch möglich, dass das BFA über den Antrag des Beschwerdeführers innerhalb der achtwöchigen Frist fristgerecht entscheiden wird können.

In der vorliegenden Rechtssache macht das Bundesverwaltungsgericht daher von seiner Ermächtigung gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG Gebrauch und trägt der belangten Behörde auf, das inhaltliche Asylverfahren zu führen, über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zu entscheiden und den versäumten Bescheid unter der hier festgelegten Rechtsanschauung innerhalb einer Frist von acht Wochen nachzuholen.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies nach der Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichts wie folgt:

Das BFA hat eine Sachentscheidung (primär) darüber zu treffen, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 erfüllt.

Das BFA wird ausgehend davon zunächst die Fluchtgründe des Beschwerdeführer zu erheben haben. Diesbezüglich ist der Sachverhalt noch klärungsbedürftig, weil der Beschwerdeführer bislang lediglich einer Erstbefragung unterzogen worden ist, die primär der Ermittlung der Identität und der Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005).

Das BFA wird daher zunächst auf Tatsachenebene zu klären haben, welche Region in Syrien als Herkunftsregion anzunehmen ist.

Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm – sollte dies der Fall sein – im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442). Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. EASO, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.06.2016, Ra 2016/18/0055). In Fällen, in denen der Asylwerber nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang auf Grund einer Vertreibung seinen dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatte und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen (vgl. VwGH 30.04.2021, Ra 2021/19/0024, Rn 8; VwGH 25.02.2020, Ra 2019/19/0192, Rn 24).

Ausgehend von der Feststellung der Herkunftsregion wird das BFA anhand konkreter Länderberichte die aktuellen Machtverhältnisse in dieser Region zu ermitteln haben.

Es wird auch den dreijährigen Auslandsaufenthalt des Beschwerdeführers nicht außer Acht lassen dürfen.

Sollte die Prüfung zum Ergebnis führen, dass kein Grund für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorliegt, wird das BFA zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer allenfalls die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfüllt.

Bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen. Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art 3 EMRK zu fallen.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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