Spruch
L517 2249789-1/19E
Gekürzte Ausfertigung des am 14.06.2023 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Daniel MERTEN und Mag. Dr. Klaus MAYR, LLM. als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , StA.: XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl Partner Rechtsanwälte, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 16. 06.2021, XXXX , nach ergangener Beschwerdevorentscheidung vom 23.09.2021, XXXX , zu Recht erkannt:
A.) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. l Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG),
BGBI. l Nr. 33/2013 idgF, JVm. §§ l Abs. 2 lit. l und 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) idgF und Art. 26 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABI. C 384 l, stattgegeben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG), BGBI. Nr. 1/1930 idgF, zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
06.06.2021 - Antrag der beschwerdeführenden Partei (in der Folge „bP“) auf Ausstellung einer Ausnahmebestätigung gem. § 3 Abs. 8 AuslBG beim AMS XXXX (in der Folge „AMS“ bzw. belangte Behörde „bB“)
10.06.2021 - Parteiengehör
11.06.-12.06.2021 - Beantwortung Parteiengehör (E-Mail-Schriftverkehr)
16.06.2021 - Bescheid der bB: Abweisung des Antrags auf Ausstellung einer Ausnahme-bestätigung gem. § 3 Abs. 8 AuslBG (zugestellt am 21.06.2021)
02.07.-04.07.2021 - E-Mail-Schriftverkehr zwischen bP und bB zum Bescheid vom 16.06.2021
16.07.2021 - Beschwerde samt Beilagen
23.09.2021 - Beschwerdevorentscheidung verschickt, aber nicht zugestellt
15.11.2021 - Beschwerdevorentscheidung erneut verschickt und am 16.11.2021 zugestellt
19.11.2021 - Vorlageantrag
21.03.2022 - Erkenntnis des BVwG
21.04.2022 - Eingabe der bP in Fremdsprache an das BVwG
26.04.2022 - Beantwortung der Anfrage durch das BVwG
04.05.2022- außerordentliche Revision der bP
26.04.2023 - VwGH Erkenntnis
05.06.2023 – ergänzendes Vorbringen bP
14.06.2023 - mündliche Verhandlung vor dem BVwG mit gleichzeitiger mündlicher Verkündung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
Die bP besitzt die britische Staatsbürgerschaft.
Sie beantragte am 06.06.2021 die Ausstellung einer Ausnahmebestätigung von der Anwendbarkeit des Ausländerbeschäftigungsgesetzes gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG beim AMS.
Mit Parteiengehör vom 10.06.2021 brachte die bB der bP die einschlägigen Rechtsgrundlagen des AuslBG, der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 sowie des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/C 384 I/01) zur Kenntnis und teilte ihr mit, dass die bP nicht als britische Grenzgängerin gelte. Die bP habe weder einen Wohnsitz noch eine Aufenthaltsberechtigung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat. Insbesondere habe sie keinen Aufenthaltstitel gemäß Art. 50 EUV. Die bP sei zwischen 12.02.2017 und 03.01.2020 jeweils im Winter einige Wochen in Österreich beschäftigt gewesen und übe seither keine Erwerbstätigkeit oder Berufsausbildung mehr in Österreich aus. Die Voraussetzungen des Art.14 (Recht auf Ein-, Ausreise bzw. vorübergehender Aufenthalt), 24 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 3 des Austrittsabkommens iVm. § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG (unbeschränkter Arbeitsmarktzugang im Bundesgebiet) seien daher nicht erfüllt. Die bP könne gegen die getroffenen Feststellungen bis 18.06.2021 schriftlich Einwendungen erheben und Nachweise zu einem Wohnsitz und einer Aufenthaltsberechtigung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat sowie zur Beibehaltung ihrer Arbeitnehmereigenschaft in Österreich (Arbeitsvertrag, Sozialversicherungsunterlagen, aktuelle Firmenbuchauszüge, Gewerbescheine, Krankenstandbestätigung, Anmelde-bestätigung eines Lehrbetriebs oder einer Bildungsinstitution) erbringen.
Mit E-Mails vom 11.06.2021 und 12.06.2021 nahm die bP Stellung zum Parteiengehör vom 10.06.2021. Darin teilte sie mit, dass sie bereits vor 31.12.2020 eine Aufenthaltsberechtigung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat (Großbritannien) gehabt hätte. Das Brexit Abkommen zwischen Großbritannien (UK) und der EU würde unter anderem gewährleisten, dass Grenzgänger, die bereits vor dem 31.12.2020 eine Erwerbstätigkeit in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgeübt hätten, dies auch nach dem Austritt Großbritanniens tun können. Die Informationen der bB, des österreichischen Bundeskanzleramts und der britischen Regierung würden dies ebenfalls bestätigen. Die bP sei geprüfte Ski- und Snowboardlehrerin und habe in den letzten Jahren eine Berufsausbildung in Kaprun absolviert. Ihre Situation könne mit der Situation einer britischen Staatsbürgerin verglichen werden, welche vor 31.12.2020 in Deutschland gelebt und in Österreich gearbeitet habe. Auch die bP habe vor 31.12.2020 in einem EU-Mitgliedsstaat (Großbritannien) gelebt und in Österreich gearbeitet.
Mit Bescheid vom 16.06.2021 (zugestellt am 21.06.2021) wies die bB den Antrag der bP auf Ausstellung einer Ausnahmebestätigung (Bestätigung des unbeschränkten Arbeitsmarkt-zuganges gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG für Artikel 50 EUV-Grenzgängerinnen und Grenzgänger) gemäß § 2 Abs. 1 AuslBG iVm. Art. 26 des Austrittsabkommens ab. Wiederholt führte sie aus, dass die bP mit Ende des Übergangszeitraums (31.12.2020) keinen Wohnsitz und keine Aufenthaltsberechtigung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat, insbesondere keinen Aufenthaltstitel nach Art. 50 EUV gehabt und seit 04.01.2020 keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr nach Art. 45 oder 49 AEUV in Österreich ausgeübt hätte, weshalb zum Entscheidungszeitpunkt keine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Austrittsabkommens vorgelegen sei. Mit Stichtag zum 31.12.2020 habe die bP im Vereinigten Königreich gewohnt und würde sie auch weiterhin dort wohnen. Daraus könne sie als britische Staatsangehörige gemäß Punkt 2.22 (gemeint wohl: Punkt 2.2.2.) des Leitfadens zum Austrittsabkommen jedoch keine begünstigten Rechte nach dem Abkommen ableiten. Aufenthaltszeiten in einem anderen EU-Mitgliedsstaat seien am Ende des Übergangszeitraums nicht vorgelegen. Frühere Aufenthaltszeiten, die vor Ende des Übergangszeitraumes abgelaufen seien, könnten gemäß Punkt 2.2.4. des Leitfadens nicht berücksichtigt werden. Die bP gelte daher nicht als britische Grenzgängerin im Sinne des Austrittsabkommens.
Mit Schriftverkehr vom 02.07.2021 bis 04.07.2021 übermittelte die bP der bB unter anderem die Informationen des österreichischen Bundeskanzleramts, wonach sie als britische Staatsangehörige auch nach dem 31.12.2020 unbeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt genießen würde und gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG eine Ausnahmebestätigung beim regionalen Arbeitsmarktservice beantragen könne. Die bP ersuchte die bB folglich um Darlegung, weshalb sie keine britische Grenzgängerin im Sinne des Austrittsabkommens sei.
Mit Schriftsatz vom 16.07.2021 erhob die bP rechtzeitig Beschwerde gegen den Bescheid der bB vom 16.06.2021. Darin brachte die Rechtsvertretung der bP zusammengefasst vor, die bP habe im Jahr 2007 ihr Unternehmen in Großbritannien verkauft und sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, eine Ausbildung als Skilehrerin in Österreich zu absolvieren. Seit November 2014 nehme sie fortlaufend an unterschiedlichsten, anerkannten Ausbildungen und Lehrgängen des Wiener Ski- und Snowboardlehrerverbandes teil und habe die Prüfungen für den Skilehrer-Anwärter, den Landesskilehrer 1 sowie den Skilehrer und die Skitheorie für den Landesskilehrer 2 bestanden, wobei sie noch für den persönlichen Skileistungsteil zum Landesskilehrer 2 trainieren würde. Zudem habe die bP den Alpinkurs für Bergsicherheit bestanden, welche Teil der Qualifikation für den Landesskilehrer 2 sei. Die bP habe in den Jahren 2014 bis 2015 fünf Wochen, in den Jahren 2015 bis 2016 neun Wochen, in den Jahren 2016 bis 2017 siebzehn Wochen, in den Jahren 2017 bis 2018 sechzehn Wochen, in den Jahren 2018 bis 2019 neunzehn Wochen und in den Jahren 2019 bis 2020 sechs Wochen zur Ausbildung, zum Training oder zum Arbeiten in Österreich verbracht, wobei sie stets in Hotels genächtigt habe. Danach sei die bP wieder nach Großbritannien zurückgekehrt. In den Jahren 2020 bis 2021 habe die bP pandemiebedingt nicht als Skilehrerin in Österreich arbeiten können. Die bP sei somit seit Februar 2017 jeden Winter für mehrere Wochen in einer Skischule angestellt gewesen. Aktuell sei die bP erneut von der Skischule gebeten worden, in der Wintersaison 2021 bis 2022 als Skilehrerin zu arbeiten. Aufgrund der guten Arbeitsbeziehung zur Skischule und den Trainings in Kaprun habe die bP am 12.04.2021 eine kleine Wohnung für drei Jahre dort angemietet. Im November 2021 wolle die bP ihre Ausbildung als Skilehrerin in Österreich fortsetzen.
Als Beschwerdegründe machte die Rechtsvertretung neben einem unzureichend erhobenen Sachverhalt (keine Einvernahme der bP zu den aus rechtlicher Sicht zu klärenden Fragen) eine unrichtige Interpretation des Leitfadens zum Austrittsabkommen durch die bB geltend. So sei die bB rechtsirrig davon ausgegangen, dass der bP keine Arbeitnehmereigenschaft zukomme und frühere Aufenthaltszeiten, die vor Ende des Übergangszeitraumes abgelaufen seien, nicht berücksichtigt würden. Darüber hinaus sei die Liste der in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG aufgezählten Umstände, unter denen die Arbeitnehmereigenschaft beibehalten werden könne, nicht erschöpfend und könnten auch besondere Umstände wie die Saisonalität der Erwerbstätigkeit der bP, ihre auf Österreich und den hier bestehenden Wintertourismus ausgerichtete Berufstätigkeit, ihre fortlaufend vorgenommenen einschlägigen Ausbildungen sowie die pandemiebedingte Nichtfortsetzung ihrer Arbeitstätigkeit zum Ende des Übergangszeitraums am 31.12.2020 zur Beibehaltung ihrer Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art. 45 AEUV führen. So habe der EuGH bereits im Falle einer Frau, die ihre Erwerbstätigkeit oder Arbeitssuche wegen der körperlichen Belastungen ihrer Schwangerschaft und nach der Geburt ihres Kindes aufgegeben habe, entschieden, dass ihre Arbeitnehmereigenschaft weiterbestehe, sofern sie innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der Geburt ihre Beschäftigung wiederaufnehmen oder eine andere Stelle finden würde. Fallbezogen habe die bP ihre Berufstätigkeit als saisonal tätige Skilehrerin in Österreich allerdings nie eingestellt, weshalb sie in ihren Rechten auf uneingeschränkte Ausübung ihrer Berufstätigkeit in Österreich und Gleichbehandlung aufgrund ihrer britischen Staatsangehörigkeit verletzt werden würde. Die vor Ablauf der Übergangsfrist (31.12.2020) getroffene Lebensentscheidung der bP, Skilehrerin in Österreich zu werden, würde entgegen der Zielsetzung des Austrittsabkommens zudem nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen interpretiere die britische Regierung das Austritts-abkommen hinsichtlich EU-Grenzgänger/innen dahingehend, dass ausreichend sei, wenn seit Beginn der Arbeitstätigkeit zumindest einmal alle zwölf Monate in den UK gearbeitet werde.
Die Rechtsvertretung schloss der Beschwerde unter anderem Zertifikate und Teilnahmebestätigungen des Wiener Ski- und Snowboardlehrerverbandes von 2015 bis 2018, eine E-Mail-Korrespondenz zwischen der bP und der Skischule XXXX von 2019 bis 2021, einen Mietvertrag vom 12.04.2021 sowie Lohnabrechnungen der bP von 2017 bis 2019 betreffend ihre Beschäftigung als Skilehrerin in Österreich bei.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 23.09.2021 wies die bB die Beschwerde der bP als unbegründet ab. Darin führte sie im Wesentlichen erneut aus, dass die bP nicht als britische Grenzgängerin im Sinne des Austrittsabkommens gelte, da es ihr bereits an einem rechtmäßigen Aufenthalt und Wohnsitz in einem anderen EU-Mitgliedsstaat fehle. Auf die von der Rechtsvertretung vorgebrachten Umstände für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft komme es daher nicht an. Abgesehen davon würden auch die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 3 lit. a, b, c und d der Richtlinie 2004/38/EG nicht vorliegen, zumal sich die bP nach Beendigung eines befristeten Vertrags mit einer Dauer von weniger als einem Jahr nicht dem zuständigen Arbeitsmarktservice zur Verfügung gestellt habe, das Dienstverhältnis nicht wegen, sondern bereits vor der Pandemie beendet worden sei und die bP nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses in das Vereinigte Königreich zurückgekehrt sei. Der Sachverhalt sei daher bereits aus diesen Gründen nicht mit der vorgebrachten EuGH-Rechtsprechung vergleichbar. Die Interpretation der britischen Regierung sei ebenfalls nicht entscheidungsrelevant, wobei ungeachtet dessen bereits mehr als zwölf Monate seit der letzten Beschäftigung der bP in Österreich vergangen seien. Ein mögliches Aufenthaltsrecht nach Art. 50 EUV aufgrund der in der Beschwerde vorgebrachten Ausbildungen und der in der Vergangenheit getroffenen Lebensentscheidung der bP sei überdies nicht Gegenstand des Verfahrens.
Gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 23.09.2021 (per Post am 15.11.2021 erneut verschickt und am 16.11.2021 zugestellt) erhob die bP am 22.11.2021 fristwahrend einen Vorlageantrag. Darin verwies die Rechtsvertretung auf das bisherige Beschwerdevorbringen und brachte ergänzend vor, dass die bP zwar nicht durchgehend in Österreich aufgrund ihrer saisonalen Tätigkeit als Skilehrerin und der Covid-19 Pandemie beschäftigt gewesen sei, dies jedoch nichts daran ändern würde, dass die bP ihre Arbeitstätigkeit und Berufswahl bereits weit davor auf ihre Skilehrerinnentätigkeit in Österreich ausgelegt habe. Die bB würde hingegen strikt auf den Stichtag 31.12.2020 abstellen und die Lebensentscheidung der bP sowie die besonderen Umstände unberücksichtigt lassen.
Am 22.12.2021 legte die bB dem BVwG den Verwaltungsakt samt einer ergänzenden Stellungnahme zur Entscheidung vor. In der Stellungnahme betonte die bB abermals, dass dem Leitfaden zum Austrittsabkommen zufolge die Begriffsbestimmungen des Art. 9 „vor Ende des Übergangszeitraumes … und danach weiter dort wohnen“ eine Art Zeitstempel bilden würden, weshalb ein Aufenthalt im Einklang mit dem Unionsrecht nur dann für Zwecke von Teil Zwei des Abkommens berücksichtigt werden könnte, wenn der Aufenthalt am Ende des Übergangszeitraums (31.12.2020) weiterginge. Frühere Aufenthaltszeiten, die vor Ende des Übergangszeitraumes abgelaufen seien (z.B. ein Aufenthalt zwischen 1980 und 2001) oder Aufenthaltszeiten, die erst nach Ende des Übergangszeitraumes beginnen würden, blieben dagegen unberücksichtigt. Im Übrigen werde auf die Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung vom 23.09.2021 verwiesen.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 21.03.2022 wurde die Beschwerde der bP als unbegründet abgewiesen. Die bP erfülle zum einen die Begrifflichkeit eines „Grenzgängers“ iSd Art. 9 lit. b des Austrittsabkommens nicht und wäre die Republik Österreich weder Aufnahme- noch Arbeitsstaat im Sinne der Begriffsbestimmungen des Art. 9 lit. c und d sublit. ii des Austrittsabkommens.
Am 21.04.2022 langte beim BVwG eine in englischer Sprache verfasste Anfrage der bP ein, worin sie angab, gegen die Entscheidung des Gerichts vorgehen zu wollen. Sie würde dazu keinen Anwalt einschalten wollen, sondern den Fall wenn möglich selbst behandeln wollen.
Am 26.04.2022 erging das Antwortschreiben des BVwG an die bP worin die bP auf die deutsche Amtssprache aufmerksam gemacht wurde und ihr eine Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde.
Am 04.05.2022 erhob die Rechtsvertretung der bP eine außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des BVwG. Im Wesentlichen wurde die Gesetzesauslegung des entscheidenden Gerichts beanstandet und wurden andere Auslegungsvarianten aufgezeigt. Daraufhin erließ der Verwaltungsgerichtshof am 26.04.2023 ein aufhebendes Erkenntnis.
Am 05.06.2023 ging beim BVwG ein ergänzendes Vorbringen des Rechtsvertreters der bP ein.
Am 14.06.2023 wurde eine mündliche Verhandlung beim BVwG zur Erörterung der im höchstgerichtlichen Erkenntnis angeschnittenen Themenbereiche und Einvernahme der bP durchgeführt. In der Folge erging ein mündliches Erkenntnis.
Ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung ging binnen der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Ausfolgung der Niederschrift nicht ein.
2.0. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes und unter Heranziehung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen insbesondere des Austrittsabkommens, geht der erkennende Senat davon aus, dass es sich bei der bP um einen britischen Grenzgänger der in Österreich einer wirtschaftlichen Tätigkeit von 2014 bis 2019 nachgegangen ist, handelt. Die bP hatte auch nachweislich die Absicht in der Wintersaison 2020/2021 die Tätigkeit als Schilehrer Anwärter weiter auszuüben. Bedingt durch den Umstand der COVID-Pandemie war es ihr aber faktisch verwehrt, ihr Vorhaben umzusetzen. Nach strenger Auslegung wäre die bP zum
Stichtag 31.12.2020 aufgrund der fehlenden Tätigkeit und des unbestimmten Begriffes im Austrittsabkommen „wohnen" nicht von der Ausnahmebestimmung für eine Tätigkeit in Österreich umfasst.
Der erkennende Senat zieht aber die besonderen Umstände der COVID-Pandemie, der Absicht der bP sowie ihre bisherige jahrelange Ausübung der Freizügigkeit für die Entscheidungsfindung heran und berücksichtigt die vom EuGH normierte Möglichkeit den Begriff des Grenzgängers unterschiedlich zu beurteilen.
Der britische Staatsbürger, der seinen Wohnsitz im UK besitzt nahm zwar Unterkunft während seiner Tätigkeit als Schilehrer Anwärter in den diversen Pensionen, dies war aber aufgrund der Entfernung zu seinem Wohnsitz (15-stündige Fahrt) nicht anders möglich. Nach seinen saisonalen Beschäftigungsverhältnissen kehrte dieser aber, sofern nicht ein Urlaub angeschlossen wurde, regelmäßig in sein Heimatland zurück. Das Gericht vertritt die Ansicht,
dass aufgrund der besonderen Umstände der Wohnsitzbegriff des Austrittsabkommens in diesem vorliegenden Sachverhalt weiter auszulegen ist. Würde man den Grenzgängerbegriff enger auslegen so würde dies zu einer Schlechterstellung von Wanderarbeitnehmern gegenüber Drittstaatsangehörigen führen, welche als Stammarbeitnehmer bei der bB registriert werden.
Demnach hat die bB der bP eine Ausnahmebestätigung nach § 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes auszustellen.
Zu Spruchpunkt B):
Aufgrund der fehlenden Rechtsprechung der Höchstgerichte zum Grenzgängerbegriff für britische Staatsbürger als auch der vom EuGH zugelassenen Auslegungsvarianten wird die
Revision zugelassen, auch handelt es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.