JudikaturBVwG

I404 2271905-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
03. Juli 2023

Spruch

I404 2271905-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag.a Alexandra JUNKER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die BBU GmbH, wegen Verletzung der Entscheidungsfrist durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Säumnisbeschwerde) betreffend den Antrag auf internationalen Schutz vom 01.08.2022, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gem. § 8 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 01.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am nächsten Tag wurde er einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen und der Antrag zum Verfahren zugelassen.

3. Am 15.02.2023 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) eine Säumnisbeschwerde des Beschwerdeführers, vertreten durch seinen Rechtsvertreter Dr. Klammer ein, in welcher angeführt wurde, dass der Beschwerdeführer zur angeführten Geschäftszahl XXXX einen aktenkundigen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, wobei seit Antragstellung nun mehr als sechs Monate vergangen seien. Die gesetzliche Entscheidungsfrist des § 73 AVG sei bereits verstrichen und die Behörde sei säumig. Dies ergebe sich unmittelbar aus dem bezeichneten Akt und lege er noch die weiße Verfahrenskarte bei.

Der Beschwerdeführer beantragte, das Verwaltungsgericht möge nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkennen und dem gestellten, anhängigen Antrag stattgeben.

4. Mit Schreiben vom 09.05.2023, beim Bundesverwaltungsgericht einlangend am 15.05.2023, legte die belangte Behörde die Säumnisbeschwerde vor.

Die belangte Behörde legte zugleich eine Stellungnahme vor, in der zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die Einhaltung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist aufgrund des starken Anstieges der Antragstellungen im Bereich des Asylrechtes ab dem zweiten Halbjahr 2021, wobei im Jahr 2022 neue Höchstwerte erzielt worden seien, trotz organisatorischer Umstrukturierungen und Personalaufstockungen nicht in allen Verfahren möglich gewesen sei. Die belangte Behörde sei einer mit dem Jahr 2015 vergleichbaren außergewöhnlichen Belastungssituation iSd Rechtsprechung des VwGH ausgesetzt, sodass kein überwiegendes Verschulden der belangten Behörde an der Verzögerung vorliegend sei.

Weiters wurde die Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres vom 28.02.2023 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit einem Zustrom von Ukraine Flüchtlingen konfrontiert gewesen sei, im gesamten Jahr 2022 seien 90.994 Personen gemäß der Vertriebenen-Verordnung registriert worden. In der zweiten Jahreshälfte sei es zudem zu einem deutlichen Anstieg der Anträge auf internationalen Schutz, insbesondere von nordafrikanischen und indischen Schutzsuchenden, gekommen. Die Grundversorgungsstellen könnten in Bezug auf die Aufnahmekapazitäten nicht immer flexibel reagieren, dies könne zu Verzögerungen führen. Die Dublin-Out-Konsultationsverfahren sowie die Dublin-In-Konsultationsverfahren seien ebenso angestiegen. Es sei bereits zu Personalaufstockungen gekommen, diese würden sich jedoch aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktlage als schwierig erweisen.

5. Mit Schreiben vom 24.05.2023 wurde dem Beschwerdeführer zH seiner Rechtsvertretung die Stellungnahme der belangten Behörde samt Beilage mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt.

6. Mit Schreiben vom 01.06.2023 wurde dem BVwG von der BBU GmbH mitgeteilt, dass sie nunmehr den Beschwerdeführer vertreten und die Vollmacht zur Kanzlei Dr. Klammer mit heutigen Datum aufgelöst worden sei.

7. Es ist in der Folge keine inhaltliche Stellungnahme des Beschwerdeführers eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 01.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag wurde er einer Erstbefragung unterzogen und sein Verfahren am 02.08.2022 zugelassen. Weitere Verfahrensschritte wurden nicht gesetzt.

Der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers hat am 15.02.2023 eine Säumnisbeschwerde eingebracht, ohne weitere Beweismittel vorzulegen.

Der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers war bis zu diesem Zeitpunkt nicht erledigt.

Den Beschwerdeführer trifft an der Verfahrensverzögerung kein Verschulden.

1.2. Die Verzögerung in der Erledigung des Antrages ist auf folgende Umstände zurückzuführen:

1.2.1. Österreich verzeichnete bereits im Jahr 2021, insbesondere im zweiten Halbjahr, einen deutlichen Anstieg der Asylantragszahlen um rund 170 % im Vergleich zum Vorjahr – auf insgesamt rund 40.000 Personen. Auch im Jahr 2022 stiegen die Antragszahlen weiter auf rund 109.000 an. Im Juni 2022 wurde eine Asylantragszahl von über 9.000 Anträgen verzeichnet, die kontinuierlich auf einen Höchstwert von rund 18.000 Anträgen im Oktober 2022 anstieg. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2015 insgesamt 88.340 Asylanträge gestellt.

Abseits der unmittelbaren Asylverfahrensführung stiegen im Jahr 2022 auch die Dublin-Out Konsultationsverfahren mit anderen Mitgliedsstaaten auf rund 15.000 ebenso wie die Dublin-In Konsultationsverfahren von anderen Mitgliedsstaaten auf rund 24.000 Verfahren an und stellten die belangte Behörde damit auch unter diesem Gesichtspunkt vor weitere Herausforderungen. Dies begründet sich damit, dass in Österreich durchgängig alle Antragsteller unmittelbar nach der Antragstellung von der Exekutive erfasst und im Eurodac-System gespeichert werden und Österreich somit vor allem im Dublin-In Bereich als vermeintlich zuständiger Mitgliedsstaat leicht identifiziert werden kann.

Zusätzlich stellte der Ausbruch des Ukrainekriegs im Jahr 2022 eine unvorhersehbare Herausforderung für die belangte Behörde dar, da von Mitte März bis zum Jahresende 2022 rund 90.000 Vertriebenen zu registrieren waren und deren Aufenthaltsrecht durch das belangte Behörde mittels Ausweisen für Vertriebene gemäß § 62 AsylG 2005 zu dokumentieren war.

1.2.2. Insgesamt ging der starke Anstieg an Antragstellungen mit keiner adäquaten Aufstockung der Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der belangten Behörde einher.

Während von 2019 bis 2022 die Mitarbeiterzahl reduziert wurde, stellte die belangte Behörde im Jahr 2019 bereits Überlegungen zur Arbeitsbewältigung im Falle eines zukünftigen starken (Wieder-)Anstiegs der Asylantragszahlen an – z.B. durch Verschiebungen des Personals vom fremdenrechtlichen Bereich zurück zur Bearbeitung von Asylverfahren („Change Back“). Das „Change Back“ ab September 2021 waren im Dezember 2021 rund 197 VBÄ im Bereich der Asylverfahren tätig.

Darüber hinaus wurden Anfang des Jahres 2022 Maßnahmen zur Erweiterung des Personalstandes der belangten Behörde ergriffen. Ende Februar 2022 wurden der belangten Behörde 47 Planstellen auf Ebene der verfahrensführenden Referentinnen und Referenten sowie die Aufnahme von 15 Verwaltungspraktikantinnen und Verwaltungspraktikanten als Supportkräfte bewilligt. Im August 2022 begannen schließlich die ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bis Ende des Jahres 2022 kam es insgesamt zu 62 Neuaufnahmen. Zusätzlich wurden insgesamt 19 nicht verfahrensführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des belangte Behörde als verfahrensführende Referentinnen und Referenten eingesetzt. Auch für das laufende Jahr sind personelle Maßnahmen geplant.

Weitere Schritte, die das belangte Behörde setzte, um die Einhaltung der sechsmonatigen Erledigungsfrist zu gewährleisten, waren vor allem durch das Monitoring der Dauer der Verfahren, die Aktenverteilung im Falle ungleicher Arbeitsbelastung der Organisationseinheiten und durch Maßnahmen im Personal– und Prozessbereich. Durch die Flexibilität in den Abläufen soll zeitnah auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren zu können, wie die steigenden Asylantragszahlen im Jahr 2021.

Kontrollierte Aktenzuteilungen zu den Regionaldirektionen sollten eine rasche Verfahrensführung unterstützen. Nach rund 2.400 Asylerledigungen im August 2021 stieg die Zahl der Erledigungen bis Jänner 2022 auf rund 4.500. Die durchschnittliche Erledigungsdauer von Asylverfahren beim belangte Behörde betrug im vierten Quartal 2021 rund vier Monate.

Das Ausmaß der offenen Verfahren 1. Instanz (inklusive Rechtsmittelfrist) im Jahr 2015 von 73.444 konnte laufend reduziert werden und betrug dies im Jahr 2019 nur noch 3.901, es stieg jedoch im Jahr 2020 wieder an und betrug schließlich im Jahr 2021 19.529 und im Jahr 2022 44.933.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen hinsichtlich der Stellung und Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz sowie der Stellung der Säumnisbeschwerde und Nichterledigung des Antrages auf internationalen Schutz zum Zeitpunkt der Stellung der Säumnisbeschwerde ergibt sich aus der Aktenlage und sind unstrittig.

Es ergaben sich keine Anhaltspunkte, dass die Verfahrensverzögerung auf den Beschwerdeführer zurückzuführen ist, und wurde dies auch von der belangten Behörde nicht behauptet.

2.2. Die Feststellungen bezüglich der Umstände, welche zur Verzögerung der Antragserledigung geführt haben, ergeben sich aus der Stellungnahme der belangten Behörde vom 09.05.2023, der Stellungnahme des BMI vom 28.02.2023 und dem darin zitierten Bericht des Rechnungshofes (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; Follow-up-Überprüfung Bericht des Rechnungshofes Reihe BUND 2023/4) sowie der Asylstatistik Jänner 2023.

Die Feststellungen zur Anzahl der Anträge auf internationalen Schutz für den Zeitraum Jänner 2020 bis Dezember 2022 sowie im Jahr 2015 gründen sich auf die Asyl-Statistik des Bundesministeriums für Inneres für das Jahr 2021 (abrufbar: https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken/files/Jahresstatistiken/Jahresstatistik_2021_v2.pdf) und die Asyl-Statistik des Bundesministeriums für Inneres von Dezember 2022 (abrufbar: https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken/files/Jahresstatistiken/Asylstatistik_Jahresstatistik_2022.pdf). Der Asylstatistik vom Dezember 2022 ist ein Überblick über die jährlichen Asylanträge der Jahre 2015 bis 2022 zu entnehmen und geht daraus zweifelsfrei hervor, dass im Jahr 2022 insgesamt mehr Anträge auf Asyl gestellt wurden als im Jahr 2015.

Wie diesen Statistiken zu entnehmen ist, haben sich die Anträge auf internationalen Schutz im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 170,3 % erhöht und im Jahr 2022, das Jahr in dem der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte, hat sich die Anzahl der Anträge im Vergleich zum Jahr 2021 um 181 % erhöht. Zwar waren im Dezember 2022 die Antragszahlen wieder rückläufig, doch wurden auch im Dezember 2022 im Vergleich zu Dezember 2021 um 52 % mehr Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Die Feststellungen zu den organisatorischen Maßnahmen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gründen sich auf die vorgelegte ausführliche und nachvollziehbare Stellungnahme vom 09.05.2023.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 1. Satz B-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht – soweit sich aus Abs. 3, der die hier nicht relevante Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes regelt – nicht anderes ergibt, über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.2. Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 102/2014 (in Folge: B-VG), erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung – hier der Antrag auf internationalen Schutz vom 16.11.2021– bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Diese Frist ist im gegenständlichen Verfahren abgelaufen und die Säumnisbeschwerde daher zulässig.

Gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG ist die Beschwerde abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Nach § 73 Abs. 1 1. Satz 1. Fall AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.

Da auch in den einschlägigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen - weder im AsylG noch im Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (in Folge: BFA-VG), in Bezug auf eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz wie im gegenständlichen Verfahren Sonderfristen für die Entscheidung vorzufinden sind, ist die belangte Behörde verpflichtet, in einem durch einen Antrag auf internationalen Schutz eingeleiteten Verfahren binnen sechs Monaten nach dessen Einlangen den Bescheid zu erlassen;

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung - hier der Antrag auf internationalen Schutz vom 01.08.2022 - bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Diese Frist ist im gegenständlichen Verfahren abgelaufen und die Säumnisbeschwerde daher zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 8 Abs. 1 VwGVG nicht im Sinn eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen ist, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH vom 22.06.2017, Ra 2017/20/0133 mit Verweis auf die Erkenntnisse des VwGH vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, und vom 28. Juni 2016, Ra 2015/10/0107, jeweils mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein überwiegendes Verschulden der Behörde etwa dann vor, wenn diese die für eine zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH vom 18.12.2014, 2012/07/0087), wenn behördeninterne Besprechungen über Sachverhalte außerhalb des Verfahrensinhaltes abgehalten werden (VwGH vom 28.05.2014, 2013/07/0282), wenn die Behörde erst nach Verstreichen von mehr als zwei Drittel der gesetzlich vorgesehenen Entscheidungspflicht erstmals zielführende Verfahrensschritte setzt (VwGH vom 06.07.2010, 2009/05/0306).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Behörde kein überwiegendes Verschulden vorzuwerfen, wenn sie bemüht war, das Verfahren zügig zu betreiben, insbesondere nicht grundlos zugewartet hat, sondern etwa durchgehend mit den Sachverständigen und der beschwerdeführenden Partei in Kontakt ist, auf die Dringlichkeit des Verfahrens hinweist und Stellungnahmen urgiert, organisatorische Vorkehrungen für die Abwicklung dieses Verfahrens trifft, indem sie konkrete Aufträge an die Amtssachverständigen zur Erstellung von für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen erteilt und mit den Sachverständigen sachlich begründete Termine vereinbart (VwGH vom 18.12.2014, 2012/07/0087).

Der Begriff des behördlichen Verschuldens nach § 73 Abs. 2 AVG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs also objektiv zu verstehen (siehe auch: VwGH vom 18.01.2005, 2004/05/0120). Ein solches Verschulden ist dann anzunehmen, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch ein schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse von der Entscheidung abgehalten wurde. Zur Feststellung, ob ein überwiegendes behördliches Verschulden vorliegt, ist das Verschulden der Partei an der Verzögerung des Verfahrens gegen jenes der Behörde abzuwägen (VwGH vom 31.1.2005, 2004/10/0218, und vom 26.09.2011, 2009/10/0266). Mit anderen Worten: Die Unmöglichkeit, über den Antrag spätestens sechs Monate nach dessen Einlangen den Bescheid zu erlassen, ist in allen jenen Fällen ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen, in denen sie weder durch ein Verschulden der Partei noch durch ein unüberwindliches Hindernis daran gehindert war, die Beweise rasch aufzunehmen und der Partei ohne unnötigen Aufschub Gelegenheit zu geben, das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis zu nehmen (VwGH vom 12.10.1983, 82/09/0151)

Zur Frage der "unüberwindlichen Hindernisse" hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Umstand allein, dass es sich um eine komplexe Materie handelt, nicht ausreicht, um vom Vorliegen eines unüberwindlichen Hindernisses auszugehen (VwGH vom 18.12.2014, 2012/07/0087); ebenso wenig stellt ein Zuwarten, ob eine Einigung hinsichtlich der Kostentragung unter den in Frage kommenden Kostenträgern - auch bei immer wieder stattfindenden Verhandlungen hierüber - erzielt wird, kein unüberwindliches Hindernis dar (VwGH vom 21.10.2010, 2007/10/0096). Auch die Tatsache, dass Sachverständigengutachten und Ermittlungsergebnisse erst nach längerer Zeit abgeliefert werden, ist für sich allein nicht geeignet, das Vorliegen eines unüberwindbaren Hindernisses zu begründen. Es ist Aufgabe der Behörde, mit Sachverständigen und anderen in das Verfahren Involvierten sachlich begründete Termine zu vereinbaren, deren Einhaltung zu überwachen und bei Nichteinhaltung entsprechende Schritte zu setzen (VwGH vom 21.09.2007, 2006/05/0145).

Aus einer Zusammenschau der - in dieser Höhe nicht zu erwartenden - Steigerung der Asylantragszahlen sowie der nachvollziehbaren und an die bisherige Situation hinreichend angepassten Organisation des Bundesamtes ist zu schließen, dass der seit etwa Sommer 2021 im Wesentlichen andauernde, erhebliche Zuwachs an Asylantragsstellungen, die das Bundesamt administrativ zu betreuen hat und hatte, ein unbeeinflussbares und unüberwindliches Hindernis darstellt, das die Sachverhaltsfeststellungen in einer Anzahl von Verfahren verhindert hat. Darüber hinaus stellte auch der unvorhersehbare Krieg in der Ukraine und das damit einhergehende vorübergehende zu bearbeitende Aufenthaltsrecht für Ukraine-Vertriebene eine erhebliche Mehrbelastung für die belangte Behörde dar.

Der VwGH hat im Erkenntnis vom 22. Juni 2017, Ra 2017/20/0133, dargelegt, dass entsprechend der Intention des Gesetzgebers trotz der durch den starken Zustrom Schutzsuchender hervorgerufenen Belastung der Asylbehörde die Erledigung eines Antrags auf internationalen Schutz grundsätzlich binnen 15 Monaten zu erfolgen hat. Davon ausgehend kann die Überlastung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl aufgrund der hohen Zahl an Asylanträgen im Jahr 2015 allein keinesfalls als geeignet angesehen werden, eine längere Verfahrensdauer als 15 Monate zu rechtfertigen. Davon, dass die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde im Sinn des § 8 Abs. 1 VwGVG 2014 zurückzuführen wäre, kann diesfalls ohne Hinzutreten weiterer Gründe nicht (mehr) gesprochen werden (VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0236). Mit anderen Worten, die Überlastung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl führt alleine nicht zu dessen fehlendem Verschulden.

Diesbezüglich ist aber auszuführen, dass diesem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes der Umstand zugrunde lag, dass die Entscheidungsfrist aufgrund der hohen Anzahl an Asylverfahren bereits – zumindest für eine auf zwei Jahre befristete Dauer – vom Gesetzgeber auf insgesamt 15 Monate verlängert wurde, da eine Entscheidung binnen der Sechsmonatsfrist gerade deshalb nicht gewährleistet werden konnte. Der Gesetzgeber ging bei der Verlängerung der Entscheidungsfrist davon aus, dass trotz der zuvor durch den starken Zustrom Schutzsuchender hervorgerufenen Belastungssituation der Behörde die Erledigung eines Antrages auf internationalen Schutz grundsätzlich innerhalb von 15 Monaten möglich ist und daher die Überschreitung der Entscheidungsfrist von 15 Monaten ohne Hinzutreten weiterer Gründe nicht zu einem fehlenden Verschulden führen kann.

Der Beschwerdeführer stellte seinen Antrag auf internationalen Schutz am 01.08.2022 und sind die Anzahl der Asylanträge von im Jahr 2020 14.775 Anträge auf im Jahr 2021 39.930 Anträge gestiegen und haben sich sohin mehr als verdoppelt. Im Jahr 2022 wurden insgesamt 112.272 Anträge auf internationalen Schutz gestellt, die Zahl hat sich sohin im Vergleich zum Jahr 2021 mehr als verdoppelt und wurden mehr Anträge gestellt als im Jahr 2015 mit „nur“ 88.340 Anträgen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat bereits im Sommer 2021 auf den bemerkbaren Anstieg bei Anträgen auf internationalen Schutz reagiert und Referenten und Referentinnen aus dem fremdenrechtlichen Bereich für die Bearbeitung von Asylverfahren eingesetzt. Somit konnten die Entscheidungen bereits vom Jahr 2020 mit 14.062 Entscheidungen auf 29.352 Entscheidungen im Jahr 2021 mehr als verdoppelt werden. Im Zeitraum Jänner bis Dezember 2022 konnten bereits 79.774 Entscheidungen in Asylverfahren getroffen werden. Darüber hinaus wurden insgesamt 47 neue Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufgenommen. Es darf nicht übersehen werden, dass in einem so sensiblen Bereich wie dem Fremden- und Asylwesen nicht ungeschulte Mitarbeiter einsetzbar sind bzw. die eingesetzten Mitarbeiter einer besonderen Schulung bedürfen, sodass die neu aufgenommenen Mitarbeiter erst nach intensiven Schulungen einsetzbar sind; immerhin ist das Fremden- und Asylwesen eine erheblich eingriffsintensive und menschenrechtsrelevante Materie. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat demnach bereits organisatorische Maßnahmen gesetzt, um den steigenden Zahlen in Asylverfahren gerecht zu werden, doch stellen die weiterhin steigenden Anträge auf internationalen Schutz ein unüberwindliches Hindernis dar, wobei auch aufgrund des im Februar 2022 ausgebrochen Ukraine Krieges und das damit einhergehende vorübergehenden Aufenthaltsrechts für Ukraine-Vertriebene eine Mehrbelastung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl darstellte.

Es ist nachvollziehbar, dass ein derartiger Anstieg an Anträgen auf internationalen Schutz zeitgleich mit einem erheblichen Anstieg an Ukraine-Vertriebenen eine extreme Belastungssituation darstellt, welche eine Entscheidung binnen sechs Monaten nicht mehr in jedem Fall gewährleisten kann.

Bereits im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, wurde ausgesprochen, dass dem Verwaltungsgericht nicht entgegen getreten werden kann, wenn es - wie im vorliegenden Fall, d.h. eines spätestens ab dem Jahr 2015 bei der belangten Behörde anhängig gewordenen Asylverfahrens - bei der Verschuldensbeurteilung die dargestellte außergewöhnliche Belastungssituation der belangten Behörde in besonderer Weise ins Kalkül zieht und dabei berücksichtigt, dass die Verletzung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist alleine auf diese Belastungssituation zurückzuführen ist.

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die explosionsartige Antragsentwicklung, spätestens ab dem zweiten Halbjahr 2021, sowie deren Auswirkungen auf das gesamte Asylsystem dazu geführt haben, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einer mit dem Jahr 2015 vergleichbaren außergewöhnlichen Belastungssituation im Sinne der Kriterien des VwGH ausgesetzt ist und als Folge dieser Entwicklung die Einhaltung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist unverschuldet nicht in allen Verfahren gewährleisten kann, weswegen es letztlich auch vorliegend zu einer Verzögerung des Verfahrens kam. Die Nichtverlängerung der Entscheidungsfrist durch den Gesetzgeber führt hierbei nicht automatisch zum Verschulden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, da nach den objektiven Asylstatistiken jedenfalls ein mit dem Jahr 2015 vergleichbarer Sachverhalt vorliegt.

Wie oben bereits festgestellt, hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der mit Beschwerdevorlage vorgelegten Stellungnahme dargelegt, dass im Einzelfall die Entscheidungsfrist von sechs Monaten aus nachvollziehbaren Gründen tatsächlich nicht eingehalten werden kann. Das Bundesamt trifft daher an der Verzögerung der Erledigung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz kein überwiegendes Verschulden und die Säumnisbeschwerde war abzuweisen.

3.3. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 belangte Behörde-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Ungeachtet eines entsprechenden Antrags kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung auch dann unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC nicht entgegenstehen:

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Gemäß Art. 47 Abs. 2 GRC hat zwar jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die in § 21 Abs. 7 belangte Behörde-VG vorgesehene Einschränkung der Verhandlungspflicht iSd Art. 52 Abs. 1 GRC ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch zulässig, weil sie eben - wie in der GRC normiert - gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des in Art. 47 Abs. 2 GRC verbürgten Rechts achtet. Die möglichst rasche Entscheidung über Asylanträge ist ein Ziel der Union, dem ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa Erwägungsgrund 11 der Präambel der RL 2005/85/EG). Das Absehen von einer Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt festgestellt werden kann, ohne dass der Entfall der mündlichen Erörterung zu einer Verminderung der Qualität der zu treffenden Entscheidung führt, trägt zur Erreichung dieses Zieles bei. Damit erfüllt die in § 21 Abs. 7 belangte Behörde-VG vorgesehene Einschränkung auch die im letzten Satz des Art. 52 Abs. 1 GRC normierte Voraussetzung (vgl. dazu auch VfGH 14.3.2012, U 466/11 ua.).

Gemäß der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, dessen Garantien nach Art. 47 Abs. 12 GRC auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten, und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden).

Der Sachverhalt ist aufgrund der Aktenlage geklärt und konnte daher eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Rückverweise