JudikaturBVwG

W155 2265428-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
25. April 2023

Spruch

W155 2265428-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend einen Antrag auf internationalen Schutz zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein syrischer Staatsbürger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.04.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 13.04.2022 fand vor Organen der Fremdenpolizei die Erstbefragung des BF statt.

Am 28.10.2022 langte mittels Fax beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) ein als „Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art 130 Abs 1 Z 3 BVG“ betitelter Schriftsatz (im Folgenden: Beschwerde) ein. Darin finden sich Ausführungen zur Verletzung der Entscheidungspflicht der belangten Behörde. Beantragt wurde, dass das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) in Stattgebung der Beschwerde in der Sache selbst erkennen und Asyl bzw. subsidiären Schutz zuerkennen möge.

Die belangte Behörde legte dem BVwG die Beschwerde samt den Akten des Verfahrens und eine Stellungnahme vor, in der sie ein überwiegendes Verschulden an der Säumnis verneinte. Die Beschwerde langte am 12.01.2023 beim BVwG ein.

Mit Schreiben vom 28.03.2023 verbesserte der Rechtsvertreter des BF die Säumnisbeschwerde und legte das Protokoll der Ersteinvernahme, aus dem das Datum der Asylantragstellung hervorgeht, bei. Er brachte außerdem vor, dass das überwiegende Verschulden bei der Behörde liege und beantragte darüber eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF stellte am 12.04.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF erhob am 28.10.2022 durch seine rechtsfreundliche Vertretung eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde. In der Beschwerde wird Folgendes ausgeführt:

„a) Ich komme aus Syrien und stellte am 13.04.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.

b) Das Bundesamt hat über meinen Antrag bis dato noch nicht entschieden.

c) Durch Verweis auf die aktenkundige Einreichbestätigung vom 13.04.2022 mache ich glaubhaft, dass seit Antragstellung die Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 1 AVG von sechs Monaten verstrichen ist“.

Der Beschwerdeschrift waren keine weiteren Unterlagen beigefügt, das Einvernahmeprotokoll über die Erstbefragung des BF vom 13.04.2022 wurde nachträglich im Rahmen einer Verbesserung am 28.03.2023 vorgelegt.

Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde von der belangten Behörde bis zu diesem Zeitpunkt nicht erledigt. Die sechsmonatige Erledigungsdauer wurde jedenfalls überschritten.

Die belangte Behörde trifft an dieser Verfahrensverzögerung kein überwiegendes Verschulden.

Die Verfahrensverzögerung beruht auf massiv gesteigerten Asylanträgen, sonstigen bei der belangten Behörde anhängigen Verfahren, den Nachwirkungen der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und den damit verbundenen Asylanträgen. Diese Situation war für die belangte Behörde weder vorhersehbar noch planbar und stellt ein unbeeinflussbares sowie unüberwindliches Hindernis in der Erledigung innerhalb der gesetzlichen Entscheidungsfrist dar.

So verzeichnete Österreich bereits im Jahr 2021, insbesondere im zweiten Halbjahr, einen deutlichen Anstieg der Asylantragszahlen um rund 170 % im Vergleich zum Vorjahr – auf insgesamt rund 40.000 Personen. Auch im Jahr 2022 stiegen die Antragszahlen weiter auf rund 109.000 an. Etwa im Juni 2022 wurde eine Asylantragszahl von über 9.000 Anträgen verzeichnet, die kontinuierlich auf einen Höchstwert von rund 18.000 Anträgen im Oktober 2022 anstieg. Im Vergleich dazu wurden im Jahr 2015 insgesamt 88.340 Asylanträge gestellt. Abseits der unmittelbaren Asylverfahrensführung stiegen im Jahr 2022 auch die Dublin-Out Konsultationsverfahren mit anderen Mitgliedsstaaten auf rund 15.000 ebenso wie die Dublin-In Konsultationsverfahren von anderen Mitgliedsstaaten auf rund 24.000 Verfahren an und stellten die belangte Behörde damit auch unter diesem Gesichtspunkt vor weitere Herausforderungen. Dies begründet sich damit, dass in Österreich durchgängig alle Antragsteller unmittelbar nach der Antragstellung von der Exekutive erfasst und im Eurodac-System gespeichert werden und Österreich somit vor allem im Dublin-In Bereich als vermeintlich zuständiger Mitgliedsstaat leicht identifiziert werden kann. Zusätzlich stellte der Ausbruch des Ukrainekriegs im Jahr 2022 unvorhersehbare Herausforderungen für die belangte Behörde dar, da von Mitte März bis zum Jahresende 2022 rund 90.000 Vertriebenen zu registrieren waren und deren Aufenthaltsrecht durch die belangte Behörde mittels Ausweisen für Vertriebene gemäß § 62 AsylG 2005 zu dokumentieren war. Insgesamt ging der starke Anstieg an Antragstellungen mit keiner adäquaten Aufstockung der Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der belangten Behörde einher. Während von 2019 bis 2022 die Mitarbeiterzahl reduziert wurde, stellte die belangte Behörde im Jahr 2019 bereits Überlegungen zur Arbeitsbewältigung im Falle eines zukünftigen starken (Wieder-)Anstiegs der Asylantragszahlen an – z.B. durch Verschiebungen des Personals vom fremdenrechtlichen Bereich zurück zur Bearbeitung von Asylverfahren („Change Back“). In diesem Zusammenhang erachtete es die laufende Entwicklung der Qualifikation in beiden Bereichen und die Aufrechterhaltung einer Struktur, die den „Change Back“ flexibel ohne Wissensverlust ermöglicht, als zentrale Anforderung. Die belangte Behörde legte 2021 diesen flexiblen Personaleinsatz als ein wesentliches Ziel fest. Das „Change Back“ ab September 2021 waren im Dezember 2021 rund 197 VBÄ im Bereich der Asylverfahren tätig. Darüber hinaus wurden Anfang des Jahres 2022 Maßnahmen zur Erweiterung des Personalstandes der belangten Behörde ergriffen. Ende Februar 2022 wurden der belangten Behörde 47 Planstellen auf Ebene der verfahrensführenden Referentinnen und Referenten sowie die Aufnahme von 15 Verwaltungspraktikantinnen und Verwaltungspraktikanten als Supportkräfte bewilligt. Im August 2022 begannen schließlich die ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bis Ende des Jahres 2022 kam es insgesamt zu 62 Neuaufnahmen. Zusätzlich wurden insgesamt 19 nicht verfahrensführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der belangten Behörde als verfahrensführende Referentinnen und Referenten eingesetzt. Auch für das laufende Jahr sind personelle Maßnahmen geplant. Zum Entscheidungszeitpunkt gibt es als Instrument des flexiblen Personaleinsatzes 32 Dienstzuteilungen „BFA intern“ und 15 externe Dienstzuteilungen an die belangte Behörde. Zwei Mitarbeiter sind aus dem Ruhestand in den Dienststand zurückgekehrt.

Weitere Schritte, die die belangte Behörde setzte, um die Einhaltung der sechsmonatigen Erledigungsfrist zu gewährleisten, waren vor allem durch das Monitoring der Dauer der Verfahren, die Aktenverteilung im Falle ungleicher Arbeitsbelastung der Organisationseinheiten und durch Maßnahmen im Personal– und Prozessbereich. Durch die Flexibilität in den Abläufen soll zeitnah auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren zu können, wie die steigenden Asylantragszahlen im Jahr 2021. Kontrollierte Aktenzuteilungen zu den Regionaldirektionen sollten eine rasche Verfahrensführung unterstützen. Nach rund 2.400 Asylerledigungen im August 2021 stieg die Zahl der Erledigungen bis Jänner 2022 auf rund 4.500. Die durchschnittliche Erledigungsdauer von Asylverfahren beim BFA betrug im vierten Quartal 2021 rund vier Monate. Das Ausmaß der offenen Verfahren 1. Instanz (inklusive Rechtsmittelfrist) im Jahr 2015 von 73.444 konnte laufend reduziert werden und betrug dies im Jahr 2019 nur noch 3.901, es stieg jedoch im Jahr 2020 wieder an und betrug schließlich im Jahr 2021 19.529 und im Jahr 2022 44.933.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Säumnisbeschwerde, der Asylantragstellung und der Nichterledigung des Antrages auf internationalen Schutz zum Zeitpunkt der Stellung der Säumnisbeschwerde ergeben sich aus der Aktenlage.

Die Feststellungen zur Verfahrensverzögerung und den Umständen, die zur Verfahrensverzögerung geführt haben, ergeben sich aus der Stellungnahme der belangten Behörde zur Beschwerde im Rahmen der Aktenvorlage, der amtsbekannten Stellungnahme des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen vom 18.01.2023 und der amtsbekannten Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres vom 28.02.2023 und dem darin zitierten Bericht des Rechnungshofes (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; Follow-up-Überprüfung. Bericht des Rechnungshofes Reihe BUND 2023/4) sowie der Asylstatistik Jänner 2023.

Die in den Stellungnahmen enthaltenen Schlussfolgerungen der belangten Behörde und des Bundesministeriums für Inneres sind aus Sicht des erkennenden Gerichts schlüssig und nachvollziehbar. Anhaltspunkte, dass die der Stellungnahme zugrunde gelegten Daten und Fakten nicht den Tatsachen entsprechen, sind nicht ersichtlich.

Darüber wird darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres vom 28.02.2023 und die Stellungnahme der belangten Behörde vom 18.01.2023 dem Rechtsvertreter des BF bereits im Zuge anderer beim BVwG anhängigen Verfahren bekannt geworden sind (u.a. W138 2264086, W156 2265429), sodass ihm bekannt sein musste, dass die Säumnisbeschwerden im Hinblick auf die oben dargestellte Gesamtsituation nicht erfolgreich sein können.

Auf den Rechnungshofbericht wird verwiesen, in welchem die Aktenverteilung im Falle ungleicher Arbeitsbelastung ausdrücklich als Maßnahme angeführt wird, die von der belangten Behörde gesetzt wurde, um die Einhaltung der Entscheidungsfrist zu gewährleisten (vgl. RH-Bericht S. 6). Säumnisbeschwerden haben wenig Aussagekraft über die tatsächliche Überlastung der Behörde bzw. das Überschreiten der Entscheidungsfrist, nachdem in jedem Fall der verstrichenen Entscheidungsfrist eine Säumnisbeschwerde erhoben wird. Seitens der belangten Behörde wurde bereits im September 2021, nachdem vor allem im zweiten Halbjahr 2021 ein Anstieg der Antragszahlen zu verzeichnen war, reagiert und verstärkt Personal, das zuvor im fremdenrechtlichen Bereich tätig gewesen war, für die Abwicklung von Asylverfahren eingesetzt (vgl. RH-Bericht S. 17). Dass es bei der Besetzung neu geschaffener Planstellen aufgrund der Ausbildungsphase zu zeitlichen Verzögerungen kommt, bis die Mitarbeiter selbständig im Verfahren eingesetzt werden können, wird in der Stellungnahme der belangten Behörde vom 18.01.2013 ausgeführt und ist vor dem Hintergrund der komplexen Materie des Asylrechts auch nachvollziehbar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 73 Abs. 1 1. Satz 1. Fall AVG sind die Behörden verpflichtet, über Anträge von Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen, den Bescheid zu erlassen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist. Da auch in den einschlägigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen – weder das AsylG 2005 noch die belangte Behörde kennen in Bezug auf eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz wie im gegenständlichen Verfahren („Normalverfahren“) Sonderfristen – keine andere hier anzuwendende Entscheidungsfrist vorzufinden ist, ist die belangte Behörde verpflichtet, in einem durch einen Antrag auf internationalen Schutz eingeleiteten Verfahren binnen sechs Monaten nach dessen Einlangen den Bescheid zu erlassen.

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser, entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung – hier der Antrag auf internationalen Schutz – bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Vorliegend war das der 12.04.2022. Diese Frist ist im gegenständlichen Verfahren unstrittig abgelaufen und ist die Säumnisbeschwerde daher zulässig.

Gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG ist die Beschwerde abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Zur Verletzung der Entscheidungspflicht hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in der Vergangenheit wiederholt festgehalten, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG bzw. nach § 8 Abs. 1 VwGVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern „objektiv“ zu verstehen ist, als ein solches „Verschulden“ dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (VwGH 16.03.2016, Ra 2015/10/0063). Mit anderen Worten: Die Unmöglichkeit, über den Antrag spätestens sechs Monate nach dessen Einlangen den Bescheid zu erlassen, ist in allen jenen Fällen ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen, in denen sie weder durch ein Verschulden der Partei noch durch ein unüberwindliches Hindernis daran gehindert war, die Beweise rasch aufzunehmen und der Partei ohne unnötigen Aufschub Gelegenheit zu geben, das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis zu nehmen (VwGH 12.10.1983, 82/09/0151).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin angenommen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087, mwN). Der Umstand allein, dass es sich um eine komplexe Materie handle, reiche nicht aus, um vom Vorliegen eines unüberwindlichen Hindernisses auszugehen (VwGH 18.12.2014, 2012/07/0087). Es sei Aufgabe der Behörde, mit Sachverständigen und anderen in das Verfahren Involvierten sachlich begründete Termine zu vereinbaren, deren Einhaltung zu überwachen und bei Nichteinhaltung entsprechende Schritte zu setzen (VwGH 21.09.2007, 2006/05/0145).

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der allgemeine Hinweis auf die Überlastung der Behörde die Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht vereiteln kann (VwGH 18.04.1979, 2877/78, mwN). Von der generellen Überlastung einer Behörde seien jedoch spezifische Ausnahmesituationen zu unterscheiden, in denen die Behörde mit einem als massenhaft zu bezeichnenden Neuanfall an Anträgen / Verfahren konfrontiert sei. In derartigen Konstellationen müsse die Verpflichtung der Behörde, dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich sei, zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen, sodass sie einen hinreichenden Grund für das Vorliegen unüberwindlicher Hindernisse im Sinne des § 8 VwGVG darstellen könnten (VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001; Hengstschläger/Leeb, AVG § 73 Rz 130 sowie § 8 VwGVG Rz 39).

Die Ausnahmesituation ab dem Jahr 2015 veranlasste den Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 24.05.2016, Ro 2016/01/0001, zur Feststellung, dass die Abarbeitung der aus den hohen Asylantragszahlen im Jahr 2015 resultierenden zahlreichen offenen Verfahren jahrelange Arbeit in Anspruch nehmen werde und dass ein erneuter Zustrom Schutzsuchender den bestehenden Rückstau an Asylverfahren weiter verstärken würde.

Im Jahr 2015 wurden rund 90.000 Anträge auf internationalen Schutz gestellt, womit sich die Asylantragszahl im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht hatte. Insbesondere im zweiten Halbjahr 2015 betrug die Anzahl der Anträge pro Monat oftmals deutlich über 10.000. Unbeschadet einer Personalaufstockung um 206 neue Mitarbeiter hatte sich aufgrund des starken Zustroms Schutzsuchender im Jahr 2015 die Anzahl an offenen Verfahren mehr als verdoppelt (31.000 offene Asylverfahren zu Beginn des Jahres 2015 im Vergleich zu 80.000 offenen Asylverfahren Ende Februar 2016). Die enorm hohe Zahl an offenen Verfahren stellte – so der Verwaltungsgerichtshof – eine extreme Belastungssituation dar, die sich in ihrer Exzeptionalität von herkömmlichen Überlastungszuständen grundlegend unterscheide. In einer derartigen Situation könne sich die Einhaltung von gesetzlichen Entscheidungsfristen als schwierig erweisen, zumal die Behörde im Hinblick auf ihre Verpflichtung, durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung zu gewährleisten, in dieser Ausnahmesituation zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen müsse. Im Ergebnis seien nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes mit dieser außergewöhnlichen Belastungssituation im Rahmen der Verschuldensbeurteilung hinreichende Gründe für das Vorliegen unüberwindlicher Hindernisse dargelegt worden und die Verletzung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist alleine auf diese Belastungssituation zurückzuführen gewesen.

Eine damit vergleichbare, wenn nicht noch gesteigerte Konstellation liegt auch nunmehr vor:

Während nach den stark angestiegenen Asylantragszahlen im Jahr 2015 in den Folgejahren zunächst eine stetige Abnahme beobachtet werden konnte, kam es – den Feststellungen zufolge – spätestens ab dem zweiten Halbjahr 2021 zu einem starken Anstieg der Antragszahlen, welche sich im Jahr 2022 fortsetzte und sogar erhöhte. Zwar hat die belangte Behörde bereits frühzeitig auf den rasanten Anstieg der Asylantragszahlen in Form von Überlegungen zur Arbeitsbewältigung sowie organisatorischen Umstrukturierungen und Personalaufstockungen reagiert, sodass die durchschnittliche Verfahrensdauer für Asylverfahren im vierten Quartal 2021 rund vier Monate betrug und somit unter der sechsmonatigen Entscheidungsfrist lag.

Darüber hinaus wird die aktuelle Lage dadurch verschärft, dass der Krieg in der Ukraine und damit einhergehend das vorübergehende Aufenthaltsrecht für Vertriebene zu einer zusätzlichen erheblichen Mehrbelastung der belangten Behörde geführt hat. So hat sie im Jahr 2022 insgesamt rund 86.700 Ausweise für Vertriebene ausgestellt. Auch die Dublin-Konsultationsverfahren nahmen die Behörde vermehrt in Anspruch.

Im Jahr 2021 wurde ein Anstieg der Asylantragszahlen von rund 170 % verzeichnet und setzte sich dieser Trend im Jahr 2022 fort, wo es neuerlich zu einem Anstieg von rund 170 % kam. Aufgrund der erhöhten Anzahl an Anträgen insbesondere ab dem zweiten Halbjahr 2021 wurde ab September 2021 mit „Change back“ begonnen, es kam auch zu Dienstzuteilungen sowie dem Einsatz von nicht verfahrensführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der belangten Behörde als verfahrensführende Referentinnen und Referenten. Bezüglich der bewilligten zusätzlichen Planstellen konnten im August 2022 die ersten Mitarbeiter beginnen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund der Ausbildungsphase für die belangte Behörde immer einen massiven Zeitaufwand bedeuten und stets erst mit einer zeitlichen Verzögerung selbständig im Verfahren eingesetzt werden können. Die Erteilung einer Approbationsbefugnis ist nicht mit Arbeitsantritt möglich, sondern sind einige Monate an Vorbereitungen und Schulungen notwendig. Dies ist erforderlich, um dafür Sorge zu tragen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrem Ausbildungsstand und Lernfortschritt entsprechend eingesetzt werden und so eine qualitätsvolle Arbeitsleistung gesichert ist. Die Abwesenheiten der zu schulenden Personen sowie der notwendigen Trainerinnen und Trainer vom Arbeitsplatz sind notwendig, führen jedoch gleichzeitig zu zusätzlichen Belastungen im Verfahrensbereich der Behörde. Zwar kann aus derzeitiger Sicht noch nicht beurteilt werden, inwieweit die getroffenen Maßnahmen der belangten Behörde geeignet sind, um das Einhalten der Entscheidungsfrist bei einem nachhaltigen Antragsanstieg zu gewährleisten, allerdings wurden aus Sicht des erkennenden Gerichts umfassende Maßnahmen gesetzt, die in verschiedenen Bereichen ansetzen und durch diese organisatorischen Vorkehrungen grundsätzlich eine rasche Entscheidung möglich ist – dies vor dem Hintergrund der schwer zu prognostizierenden Fluchtbewegungen im gegenständlichen Ausmaß (vgl. dazu RH-Bericht S. 6 und 18). Wenn die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 18.01.2023 selbst ausführt, dass der unerwartete starke Anstieg von Antragstellungen nicht mit einer adäquaten Aufstockung der Zahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einherging, so ist festzuhalten, dass dies aus Sicht des erkennenden Gerichts vor dem Hintergrund der angeführten besonderen Herausforderungen der belangten Behörde und der gestiegenen Antragszahlen gar nicht im erforderlichen Ausmaß möglich gewesen wäre. Wie festgehalten setzte die belangte Behörde aber parallel zur Personalaufnahme weitere Maßnahmen zur Umstrukturierung der Bediensteten, um die organisatorischen Vorkehrungen für rasche Entscheidungen zu treffen. Die Dauer des Prozedere der Genehmigung zusätzlicher Planstellen sowie der Einschulungsphase neu aufgenommener Mitarbeiter kann schließlich auch nicht der belangten Behörde angelastet werden.

Zusammengefasst wird festgehalten, dass trotz der – vor dem Hintergrund der Herausforderungen ab dem Jahr 2015 – getroffenen Vorbereitungen und Maßnahmen die starke Antragsentwicklung sowie deren Auswirkungen auf das gesamte Asylsystem dazu geführt haben, dass die belangte Behörde einer mit dem Jahr 2015 vergleichbaren außergewöhnlichen Belastungssituation im Sinne der Kriterien des VwGH ausgesetzt ist und als Folge dieser Entwicklung die Einhaltung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist unverschuldet nicht in allen Verfahren gewährleisten kann, weswegen es letztlich auch vorliegend zu einer Verzögerung des Verfahrens kam.

Im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des VwGH ist daher davon auszugehen, dass die Verzögerung im vorliegenden Fall auf unbeeinflussbare und unüberwindbare Hindernisse zurückzuführen ist und die belangte Behörde daher kein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung trifft. Die Säumnisbeschwerde war daher abzuweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Ungeachtet eines entsprechenden Antrags kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung auch dann unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC nicht entgegenstehen:

Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Gemäß Art. 47 Abs. 2 GRC hat zwar jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Die in § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgesehene Einschränkung der Verhandlungspflicht iSd Art. 52 Abs. 1 GRC ist nach Ansicht des BVwG jedoch zulässig, weil sie eben - wie in der GRC normiert - gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des in Art. 47 Abs. 2 GRC verbürgten Rechts achtet. Die möglichst rasche Entscheidung über Asylanträge ist ein Ziel der Union, dem ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa Erwägungsgrund 11 der Präambel der RL 2005/85/EG). Das Absehen von einer Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt festgestellt werden kann, ohne dass der Entfall der mündlichen Erörterung zu einer Verminderung der Qualität der zu treffenden Entscheidung führt, trägt zur Erreichung dieses Zieles bei. Damit erfüllt die in § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgesehene Einschränkung auch die im letzten Satz des Art. 52 Abs. 1 GRC normierte Voraussetzung (vgl. dazu auch VfGH 14.3.2012, U 466/11 ua.).

Gemäß der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, dessen Garantien nach Art. 47 Abs. 12 GRC auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten, und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden).

Der Sachverhalt ist aufgrund der Aktenlage geklärt und konnte daher eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die derzeitige Situation ist aufgrund der erhöhten Anzahl an Verfahren in Verbindung mit den äußeren Umständen ohne Zweifel mit jener 2015/16 vergleichbar, in der der Verwaltungsgerichtshof die Abweisung von Säumnisbeschwerden bereits billigte (VwGH 10.11.2016, Ro 2016/20/0004). Ob die Behörde in einem konkreten Fall ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Verfahrenserledigung im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG trifft, betrifft keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 133 Abs. 4 B-VG (VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001). Diese Frage unterliegt somit – als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Abwägung – grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (VwGH 24.02.2022, Ra 2020/06/0069).

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