Spruch
W287 2236082-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Julia KUSZNIER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4/Stiege 2 in 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.08.2022 zu Recht:
A)
I. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.
III. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 02.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 03.01.2020 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Am 28.07.2020 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren bezeichnet als Bundesamt bzw. belangte Behörde) statt.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.09.2020 wies die belangte Behörde sowohl den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) (Spruchpunkt I.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
4. Mit Schreiben vom 14.10.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht vollumfänglich Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid vom 21.09.2020.
5. Am 09.08.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.
6. Mit Schreiben vom 23.08.2022 (OZ 13) und mit Schreiben vom 07.09.2022 (OZ 17) erstattete der Beschwerdeführer jeweils eine Stellungnahme, insbesondere zu den aktuellsten Länderberichten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
1.1.1. Der volljährige Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführten Personalien. Er ist irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Arabisch. Seine Eltern und Geschwister leben - bis auf den ältesten Bruder, der in der Türkei lebt - weiterhin im Irak in der Provinz Diyala. Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Kinder, besuchte im Irak neun Jahre die Schule und arbeitete zudem gelegentlich im Geschäft seines Vaters. Der BF verfügt über einen am 15.09.2018 ausgestellten irakischen Reisepass mit Gültigkeit bis zum XXXX 2026.
1.1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Dorf Al-Islah, nahe der Stadt Jalawla, im Distrikt Khanaqin, im Gouvernement Diyala geboren und wuchs dort gemeinsam mit seiner Familie auf. Im Jahr 2008 zog der Beschwerdeführer mit seiner Familie in den Distrikt Ba‘quba, ebenfalls im Gouvernement Diyala, und im Jahr 2010 wieder zurück nach Jalawla. Mit dem Einmarsch des IS im Jahr 2014 in Jalawla zog der Beschwerdeführer mit seiner Familie für ein paar Monate, bis zur Befreiung Jalawlas, wieder nach Ba‘quba. Im Jahr 2016 kehrte er nach Jalawla zurück und hielt sich vor seiner Ausreise im Jahr 2018 zuletzt in Jalawla auf.
1.1.3. Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2018 im Alter von etwa 18 Jahren über den Luftweg legal in die Türkei aus und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt über mehrere Länder nach Österreich.
1.1.4. Der Beschwerdeführer ist nach den irakischen Gepflogenheiten und der irakischen Kultur sozialisiert und mit den irakischen Gepflogenheiten vertraut.
1.1.5. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsort nicht wegen der behaupteten Teilnahme an Demonstrationen von Milizen bedroht, noch hat er aufgrund dessen eine Verfolgung oder Bedrohung durch Milizen zu befürchten. Der Beschwerdeführer ist auch nicht aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung durch schiitische Milizen bedroht.
Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsland Irak keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren seine körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat den Irak weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.
1.2.2. Bei einer Rückkehr in den Irak drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität wegen der behaupteten Teilnahme an Demonstrationen durch Milizen bzw. staatliche Behörden oder durch andere Personen.
1.2.3. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr In den Irak wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.
1.2.4. Dem Beschwerdeführer droht keine Verfolgung aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung.
1.3. Zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
1.3.1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit dem 31.12.2019 (AS 25) durchgehend in Österreich auf. Er hält sich nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 02.01.2020 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig auf (AS 19).
1.3.2. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren (VP S 12), er hat eine Sprachprüfung auf dem Niveau A1 abgelegt (Beilage zum Verhandlungsprotokoll). Er hat ferner an Integrationskursen teilgenommen (AS 189, Beilagen zum Verhandlungsprotokoll). Am 19.08.2022 hat der Beschwerdeführer an der Integrationsprüfung A2 teilgenommen, diese jedoch nicht bestanden (OZ 17).
1.3.3. In Innsbruck lebt ein Onkel des Vaters des Beschwerdeführers, zu diesem besteht jedoch kein enger Kontakt (VP S 13).
1.3.4. Der Beschwerdeführer verbringt seine Freizeit mit Arbeitskollegen und seinen Kollegen aus dem Sprachkurs. Am Wochenende trifft er sich mit alten Freunden, die er aus dem Irak kennt (VP S 13).
1.3.5. Der Beschwerdeführer übte in der Gemeinde XXXX gemeinnützige Tätigkeiten aus (AS 191) und hilft ehrenamtlich in einer Schule aus (VP S 13).
1.3.6. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung(VP S 12).
1.3.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat
1.4.1. Dem Beschwerdeführer wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsstadt Jalawla im Distrikt Khanaqin, Gouvernement Diyala, ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
1.4.2. Dem Beschwerdeführer ist eine dauerhafte Niederlassung in einem anderen Gebiet im Irak nicht möglich.
1.5. Zur relevanten Situation im Irak
Zur Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Irak vom 22.08.2022, Version 6, die UNHCR Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019), die EUAA Country Guidance Iraq (Juni 2022) und der EUAA-Report Iraq Security Situation (Januar 2022) als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.
Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation Irak, aus dem COI-CMS vom 22.08.2022, Version 6:
COVID-19
Letzte Änderung: 24.02.2022
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle im Irak empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/countries/irq/, oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Föderal Irak
Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit
Im März und April 2020 verhängte die Regierung in Bagdad Sperren aufgrund von COVID-19, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der Grenzübergänge führten (FH 3.3.2021). Die im föderalen Irak am 9.6.2021 verhängte Ausgangssperre ist noch aktiv. Ausgangssperren gelten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr und sind von Freitag bis Sonntag zusätzlich verschärft (IOM 18.6.2021).
Im April und Mai 2020 nutzten die Behörden im Irak die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021). Alle größeren Versammlungen bleiben verboten. Die Behörden halten auch an den vorgeschriebenen sozialen Distanzierungsprotokollen und der Verwendung von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit fest (Garda 4.1.2022).
Nutzer sozialer Medien und Blogger wurden mit Verleumdungsklagen konfrontiert, weil sie die schlechte Reaktion der lokalen Behörden auf die COVID-19-Pandemie kritisierten (FH 3.3.2021).
Auswirkungen auf die Wirtschaftslage
Die von den irakischen Behörden und der kurdischen Regionalregierung (KRG) verhängten Abriegelungen verschlimmerten die finanziellen Nöte von Niedriglohnarbeitern und Kleinunternehmern (FH 3.3.2021). Die Erwerbsbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten in der Welt. Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich verringert und die Löhne gesenkt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) wurde aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen ab April 2020 ein durchschnittlicher Beschäftigungsrückgang von 40% verzeichnet. Am stärksten betroffen waren KMUs im Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie, mit einem Verlust von 52% der Arbeitsplätze, gefolgt vom Lebensmittel- und Agrarsektor, mit einem Verlust von 45% der Arbeitsplätze (IOM 18.6.2021).
Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben staatliche Angestellte im gesamten Land keine regelmäßige und volle Gehaltsauszahlung erhalten (GIZ 1.2021b). Die irakische Regierung hat Schwierigkeiten, die Löhne und Gehälter der sechs Millionen im öffentlichen Sektor Angestellten zu zahlen. Millionen Menschen, die im privaten und informellen Sektor gearbeitet haben, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe leben im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 USD pro Tag (IOM 18.6.2021).
Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit
Im April und Mai nutzten die Behörden die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).
[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 22.08.2022
Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den Zentralirak außerhalb der Hauptstadt (AA 25.10.2021, S.9). Der IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen (Volksmobilisierungskräfte, PMF), aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig (AA 25.10.2021, S.9). Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 25.10.2021, S.15). Die PMF haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 25.10.2021, S.15).
Die Überreste des IS zählen zu den primären terroristischen Bedrohungen im Irak. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Terrorgruppe mit Sitz in den Bergen des Nordiraks, verübte ebenfalls mehrere Anschläge in der Kurdistan Region Irak (KRI), bei denen auch mehrere Angehörige der kurdischen Sicherheitskräfte getötet wurden. Auch gewisse mit dem Iran verbündete Milizen stellen eine terroristische Bedrohung dar (USDOS 16.12.2021).
Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den IS (UNSC 30.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter PMF sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 25.10.2021, S.16).
Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut Ankara gegen die PKK gerichtet sind. Außerdem unterhält die Türkei dort temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a), über 40 davon in der KRI sowie eine Militärbabsis in Bashiqa bei Mossul (BS 23.2.2022). Die Errichtung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020). Die Türkei hat im Rahmen ihrer gemeinsamen Operationen Claw-Eagle und Claw-Tiger gegen die PKK im Qandil-Gebirge, in Sinjar und Makhmur (beide in Ninewa) irakischen Boden bombardiert. Auch der Iran hat das Qandil-Gebirge bombardiert, ein Angriff, der vermutlich mit der Türkei koordiniert wurde (BS 23.2.2022).
Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vgl. Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). Jene Sicherheitslücken werden vom IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).
ISLAMISCHER STAAT (IS)
Letzte Änderung: 22.08.2022
Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vgl. MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021, USDOS 16.12.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Der IS versucht jedoch vor allem in jenen Gebieten Fuß zu fassen, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der föderalen Regierung umstritten ist (USDOS 16.12.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).
Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021). Auch die Vereinten Nationen schätzen die Stärke des IS im Irak und in Syrien auf etwa 10.000 Kämpfer, wobei es sich dabei um eine Schätzung handelt und die Zahl tatsächlich geringer ausfällt (Wilson Center 10.12.2021).
Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der Kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021). Im Jänner 2022 erklärte der Leiter der irakischen Sicherheitsmedienzelle, Generalmajor Sa'ad Ma'an, dass der IS weiterhin in den Qarachokh-Bergen, in der Gegend südlich von Makhmur und in Teilen der Gouvernements Kirkuk, Diyala und Salah ad-Din präsent sei (NRT 4.2.2022).
Der verstärkte Einsatz von mobilen IS-Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat (Anm.: Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).
Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).
Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der PMF, Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).
Der IS begeht zumeist Angriffe mit Kleinwaffen, Hinterhalte und Bombenanschläge am Straßenrand (IEDs) (Wilson Center 10.12.2021; vgl. USDOS 16.12.2021). Er greift jedoch auch auf Selbstmordattentate, Attentate, Entführungen und Sabotageakte zurück. Dabei sind Angriffe im kleinen Ausmaß heute am weitesten verbreitet. Die Ziele sind je nach Gebiet unterschiedlich, aber im Allgemeinen handelt es sich um die Sicherheitskräfte der verschiedenen Gebiete, ihre vermeintlichen Unterstützer/Kollaborateure und die breitere Bevölkerung schiitischer und anderer nicht-sunnitischer Muslime, die alle als Ungläubige und Abtrünnige gelten (Wilson Center 10.12.2021).
Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht, Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).
Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal'afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vgl. CISAC 2021). Am 4.2.2022 kam al-Qurashi bei einer Militäroperation der USA in Nordsyrien ums Leben (Al Jazeera 4.2.2022; vgl. Reuters 9.2.2022, GS 11.3.2022). Im März 2022 wurde verkündet, dass Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi die Nachfolge angetreten hat. Hinter diesem nom de guerre verbirgt sich laut irakischen und westlichen Geheimdienstquellen Juma Awad al-Badri, ein Bruder des ersten "Kalifen" (GS 11.3.2022).
Dem "Kalifen" sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des Letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020).
SICHERHEITSRELEVANTE VORFÄLLE, OPFERZAHLEN
Letzte Änderung: 22.08.2022
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).
Im Januar 2022 wurden im Irak insgesamt 84 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet. Dies ist ein Anstieg gegenüber 78 im Dezember 2021 und 67 im November 2021. Dieser Anstieg ist auf Aktivitäten von mit dem Iran verbundenen Volksmobilisierungskräfte (PMF) zurückzuführen. So gab es im Jänner 2022 31 erfolgreiche Angriffe pro-iranischer Gruppen und neun weitere Vorfälle. Dies ist ein Anstieg gegenüber 21 im Dezember 2021 und die höchste PMF zugeschriebene Vorfallszahl seit Beginn ihrer jüngsten Operationen. Wie üblich konzentrieren sie sich auf IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois, die für die USA tätig sind (Wing 7.2.2022).
Es kam auch zu politischer Gewalt durch diese Gruppierungen, um Moqtada as-Sadr und dessen Verbündete unter Druck zu setzen, damit diese den sog. "Koordinationsrahmen" - ein Bündnis aller wichtigen pro-iranischen schiitischen Parteien - in die neue Regierung aufnehmen. Es kam z.B. auch zu Bombenanschlägen auf die Büros der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad und auf das Büro des stellvertretenden Sprechers in Kirkuk, zu Raketenangriffen auf das Haus des Sprechers Mohammed al-Halbousi in Anbar, zu einem Anschlag mit einem Molotow-Cocktail, der auf ein Sadr-Gebäude in Bagdad geworfen wurde, zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär in der Hauptstadt sowie zu Granaten-Anschlägen auf Gebäude der sunnitischen Bündnisse Taqadum und Azm in Bagdad. Auch zwei kurdische Banken in Bagdad wurden bombardiert (Wing 7.2.2022).
Die Zahl der vom IS verübten Anschläge ist in den letzten fünf Monaten zurückgegangen. Im Januar 2022 waren es 46 gegenüber je 55 im Dezember und November 2021, 65 im Oktober 2021 und 70 im September 2021. Es war die niedrigste Zahl von Anschlägen im Irak seit 2003 (Wing 7.2.2022).
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2022 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2022).

IBC 8.2022
Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2021 669 zivile Todesopfer. Im Jahr 2022 wurden bis Juli bisher 371 zivile Todesopfer verzeichnet (IBC 8.2022).

IBC 8.2022
Auch laut den vom IS in seinem wöchentlichen Newsletter al Naba veröffentlichten Zahlen ist die Zahl der Anschläge im Irak gesunken. Im Jahr 2020 beanspruchte der IS im Irak durchschnittlich 110 Anschläge und 207 Tote pro Monat. Im Jahr 2021 waren es (Mit Stand Dezember 2021) durchschnittlich 87 Anschläge und 149 Tote pro Monat (Wilson Center 10.12.2021).
Laut ACLED wurden im Jahr 2021 im gesamten Irak 1.187 Vorfälle mit mindestens einem Opfer (tot oder verletzt) verzeichnet. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 712 derartige Vorfälle (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Opfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt. Des weiteren weist ACLED auch einige Unschärfen auf, da auch Morde ohne terroristischen Hintergrund inkludiert sind) (ACLED 2022).
Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
Letzte Änderung: 22.08.2022
Die Aktivitäten des Islamischen Staates (IS) nehmen in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad-Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zu, vor allem in abgelegenen Gegenden der zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Bundesregierung "umstrittenen Gebiete". IS-Kämpfer wenden "Hit-and-Run"-Taktiken an und verüben Entführungen und Erschießungen in diesen Gebieten (K24 3.7.2021). Der IS infiltriert bereits seit Jahren die Sicherheitslücken, die sich zwischen den irakischen und kurdischen Sicherheitskräften in den umstrittenen Gebieten gebildet haben (JP 1.5.2021). Bei vielen IS-Vorfällen handelt es sich zumeist um Verteidigungsoperationen, um die Bevölkerung und die Regierung aus gewissen Gebieten fernzuhalten, z.B. von den Schmuggelrouten in West-Anbar, den Distrikten al-Muqdadiyah und Khanaqin in Zentral- und Nordost-Diyala, dem Hamrin-Gebirge an der Grenze zwischen Diyala und Salah ad-Din und dem Süden von Kirkuk (Wing 11.5.2022).
Die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din sind, ebenso wie viele südirakische Gouvernements von Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs) durch schiitische Milizen (PMF) betroffen, die gegen militärische Versorgungskonvois der USA gerichtet sind. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).
In den umstrittenen Gebieten gibt es große Sicherheitslücken zwischen den Sicherheitskräften Bagdads und Erbils, die in den nördlichen Gebieten bis zu 60 km und in Diyala um die 40 km breit sind. Diese territorialen Sicherheitslücken haben sich zu sicheren Zufluchtsorten für den IS entwickelt, von wo aus die Kämpfer Anschläge gegen irakische Streitkräfte und kurdische Peshmerga in den Gebieten von Ninewa, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk verüben (EPC 13.7.2021).
Bei den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel, der zwischen dem arabischen und kurdischen Teil des Irak liegt, und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (ICG 14.12.2018). Die umstrittenen Gebiete umfassen Territorien in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal'afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya und Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Shabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die umstrittenen Gebiete umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (ICG 14.12.2018).
In dem Bemühen, die zunehmenden Aktivitäten des IS in den Sicherheitslücken einzudämmen, richten die KRG und die irakische Bundesregierung gemeinsame Koordinationszentren ein (Al Monitor 26.5.2021). Ein Abkommen zwischen Bagdad und Erbil soll die Wiederherstellung der gemeinsamen militärischen Verwaltung dieser Gebiete und die Rückkehr der kurdischen Peschmerga in diese Gebiete, insbesondere in Kirkuk und einigen Teilen von Diyala, mit sich bringen (EPC 13.7.2021).
[…]
Gouvernement Diyala
Das Gouvernement Diyala gilt als ein Zentrum des IS im Irak. Hier hat er im zentralen Distrikt al-Muqdadiyah und im nordöstlich gelegenen Khanaqin de facto die Kontrolle über weite ländliche Gebiete und konzentriert sich darauf, Einheimische und Sicherheitskräfte von diesen Gebieten fernzuhalten (Wing 6.7.2021; vgl. Wing 2.8.2021). Üblicherweise kommt es in den Distrikten al-Muqdadiyah und Khanaqin zu den meisten Zwischenfällen Diyala (Wing 6.7.2021; vgl. Wing 2.8.2021). Mit dem Ende des Sommervorstoßes 2021 wurde Diyala wieder zum Hauptschwerpunkt des IS. Im September 2021 begann der IS, den Nordwesten entlang der Grenze zu Salah ad-Din anzugreifen, über die der IS häufig Männer und Material bewegt. Es wird angenommen, dass der IS versucht die de facto Kontrolle über das Grenzgebiet zu erlangen (Wing 4.10.2021).
Im Februar 2021 wurden in Diyala 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und neun Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 30 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 49 Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und zehn der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 31 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und sechs der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten und 15 Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Toten und sieben der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Ein Vorfall wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Bei zwölf der Toten und sechs der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit je neun Toten und Verletzten verzeichnet. Bei sechs der Toten und acht der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden 30 Vorfälle, mit 24 Toten und 37 Verletzten verzeichnet, die alle dem IS zugeschrieben werden. Bei 15 der Toten und 13 der Verletzten handelte es sich um Zivilisten, während die übrigen Opfer Angehöriger der ISF und PMF waren (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden 23 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 45 Verletzten verzeichnet. Alle, bis auf einen Vorfall, werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.11.2021). Am 26.10.2021 erfolgte ein IS-Angriff auf das schiitische Dorf Al Rashad im Distrikt al-Miqdadiyah, bei dem 17 Personen getötet und 26 weitere verletzt wurden. Die meisten Opfer, darunter auch Frauen und Kinder, waren Zivilisten (NRT 26.10.2021; vgl. Wing 4.11.2021, The National 27.10.2021). Stammesangehörige führten daraufhin einen Vergeltungsschlag gegen das benachbarte Dorf Nahr al-Imam durch. Sie töteten sieben Menschen, setzten 57 Häuser in Brand und zerstörten Anbauflächen. 350 Familien flohen vor der Gewalt (Wing 4.11.2021; vgl. Al Mada Paper 2.11.2021). Im Oktober 2021 wurden drei Demonstrationen verzeichnet. Zwei verliefen friedlich, eine dritte, die von Anhängern der Fatah-Allianz, die gegen den Ausgang der Parlamentswahlen gerichtet war, wurde durch den Einsatz von Spezialeinheiten aufgelöst (ACLED 2022). Im November 2021 wurden 18 Vorfälle mit acht Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Zwei der Toten und fünf der Verletzten waren Zivilisten, die übrigen Opfer gehören den ISF und PMF an. Die Angriffe konzentrierten sich wieder auf die Distrikte al-Muqdadiyah und Khanaqin (Wing 6.12.2021). Im Dezember 2021 wurden 27 Vorfälle mit 20 Toten und 31 Verletzten verzeichnet. 14 in den Distrikten al-Muqdadiyah und Khanaqin und sieben an der Grenze zu Salah ad-Din (Wing 4.1.2022). Sowohl im November, als auch im Dezember 2021 wurden je zwei weitere friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022).
Im Jänner 2022 wurden in Diyala 14 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, mit 16 Toten und 22 Verletzten. Vier der getöteten Personen waren Zivilisten, ebenso wie eine der verletzten (Wing 7.2.2022). Bei einem der Angriffe handelte es sich um einen der größten IS-Angriffe seit einiger Zeit. Am 21.1.2022, bei einem Angriff auf eine Regimentskommandozentrale im Distrikt al-Khalis im Norden von Diyala wurden elf Soldaten getötet und zehn weitere verwundet (Wing 7.2.2022; vgl. NRT 21.1.2022).
Im Februar 2022 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und zwölf Verletzten verzeichnet, die alle dem IS zugeschrieben werden (Wing 3.3.2022). Darunter war auch ein Bombenschlag auf ein Jugendcafé in der Nähe des az-Zahraa-Krankenhauses im Distrikt al-Muqdadiyah (Shafaq News 14.2.2022). Im März 2022 wurden zehn Vorfälle mit drei Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Die meisten der Vorfälle fanden wieder in den Distrikten Muqdadiyah und Khanaqin statt (Wing 6.4.2022). Im April waren es 23 Vorfälle mit zehn Toten und 32 Verletzten. Bei zwei der Toten und zwölf der Verletzten handelte es sich um Zivilisten, während die übrigen Opfer Angehöriger der ISF und PMF waren (Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden 24 Vorfälle mit 24 Toten und 30 Verletzten verzeichnet. Davon waren 16 der getöteten und 17 der verletzten Personen Zivilisten (Wing 6.6.2022). Im Juni 2022 wurden zwölf Vorfälle verzeichnet mit fünf Toten und zwölf Verletzten. Wiederum gab es darunter zivile Opfer, nämlich vier Tote und fünf Verletzte (Wing 6.7.2022).
Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Diyala im Jahr 2021 565 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 178.
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Im Distrikt Ba'quba wurden im Jahr 2021 131 Vorfälle verzeichnet, darunter zwölf friedliche Demonstrationen. In 36 Fällen waren Zivilisten Ziele von Angriffen oder anderweitig betroffen, darunter drei Entführungen. Des Weiteren wurden 34 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF und PMF) und dem IS registriert, sowie sechs Luft-/Drohnenangriffe, 25 IED-Angriffe und elf Vorfälle von Artillerie- und Raketenbeschuss. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 48 Vorfälle verzeichnet, darunter vier friedliche Demonstrationen und eine gewalttätige. Zivilisten waren in sieben Fällen von Gewalt betroffen. Darüber hinaus wurden unter anderem 19 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem IS und vier IED-Angriffe verzeichnet (ACLED 2022).
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Im Distrikt Khanaqin (umstritten) wurden im Jahr 2021 55 Vorfälle verzeichnet, darunter sieben friedliche Demonstrationen. in 23 Fällen waren Zivilisten Ziele von Angriffen oder anderweitig betroffen, darunter vier Entführungen. Des Weiteren wurden 61 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften (ISF, PMF und Peshmerga) und dem IS registriert, sowie zwölf Luft-/Drohnenangriffe, 16 IED-Angriffe und 18 Vorfälle von Artillerie- und Raketenbeschuss. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 35 Vorfälle verzeichnet. Bei acht dieser Vorfälle waren Zivilisten betroffen. Es wurden zehn bewaffnete Auseinandersetzungen, acht IED-Angriffe, vier Vorfälle von Artillerie- oder Raketenbeschuss, sowie zwei Luft-/Drohnenangriffe verzeichnet (ACLED 2022).
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ACLED 2022
Im Gouvernement Diyala, unterteilt in die Distrikte Baladruz, Ba'quba, al-Khalis, Khanaqin, Kifri und al-Muqdadiyah wurden 2021 71 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 23 Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).
Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):
ACLED 2022
Sicherheitskräfte und Milizen
Letzte Änderung: 11.08.2022
Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Statt des Bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).
Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS).
Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).
Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land. Obwohl sie Teil der irakischen Sicherheitskräfte sind und Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der Regierung erhalten, operieren sie oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022).
Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 12.4.2022; vgl. BS 23.2.2022), insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 12.4.2022). Außerdem wird die staatliche Kontrolle über das gesamte irakische Territorium durch die Dominanz der PMF, durch verbliebene IS-Kämpfer, durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Reihe von Stämmen, Clans und andere Milizen und schließlich durch die militärischen Interventionen regionaler Mächte, insbesondere des Iran, Israels und der Türkei, beeinträchtigt (BS 23.2.2022).
Ethnische und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung: 12.08.2022
Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80 % Araber, 15-20 % Kurden und etwa 5 %, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).
Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65 % der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20 %) (AA 25.10.2021).
Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten können im Alltag jedoch gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI), oft benachteiligt. Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten im Zentralirak faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat, unter der Verwaltung von Bagdad, kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 25.10.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 28.2.2022). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch Volksmobilisierungskräfte (PMF), in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 12.4.2022).
Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Shabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit unterschiedlicher Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 25.10.2021).
In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 25.10.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 2.6.2022). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte, der Peschmerga und vor allem der schiitischen Milizen und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (AA 25.10.2021).
Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 25.10.2021).
[Grafiken entfernt]
Anmerkung zu beiden Karten:
Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).
Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können rund eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Angehörige der PMF verlangen an Kontrollpunkten von IDPs, insbesondere von Angehörigen von religiösen Minderheiten überhöhte Geldbeträge für die Überquerung der Grenze. Alternativ riskieren die Betroffenen in die Lager zurückgeschickt zu werden (USCIRF 4.2021).
Sunnitische Araber
Letzte Änderung: 12.08.2022
Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 25.10.2021).
Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 25.10.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 12.4.2022). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 2.6.2022). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 12.4.2022). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 2.6.2022).
Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 25.10.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 12.4.2022).
Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).
Die PMF setzen ihre Unterdrückungspraktiken in sunnitischen Gebieten fort (BS 23.2.2022). Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemaliger Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe PMF sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben und versuchen würden, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seinem Gouvernement gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021). Auch 2021 gab es Warnungen über demografische Veränderungen durch die Vertreibung von Sunniten und Christen durch PMF-Kräfte aus den Gouvernements Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (USDOS 2.6.2022). In Mossul, Ninewa werden sunnitische Zivilisten von Milizionären der "PMF Babylon" und "Shabak Hashd" wahllos schikaniert, eingeschüchtert und verhaftet. Einige PMF-Fraktionen werden auch für die Massaker von Farhatiyah und Khailaniyah im Jahr 2020 in Salah al-Din bzw. Diyala verantwortlich gemacht (BS 23.2.2022).
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 12.4.2022).
In vielen Teilen des Landes, die von der Kontrolle durch den Islamischen Staat (IS) befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 12.4.2022). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vgl. K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdistan Region Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).
Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 12.4.2022).
Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert, noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 28.2.2022).
Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).
Die Regierung verlangt von Bürgern unter 18 Jahren, die das Land verlassen wollen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen nationalen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).
Der Irak hat fünf internationale Flughäfen: Bagdad, Najaf, Basra, Erbil und Sulaymaniyah (Anadolu 23.7.2020). Der internationale Flughafen von Mossul ist seit 2014 geschlossen, nachdem der IS die Stadt im Juni 2014 eingenommen hatte. Der Flughafen ist beschädigt und muss noch renoviert werden (Kirkuk Now 4.2.2020).
Der Irak verfügt über ein Straßennetz von etwa 45.000 km Länge. Etwa 80 % der Straßen sind asphaltiert. Allerdings ist es schwierig, den Zustand der Straßen zu ermitteln. Explosionen und der Verkehr großer Mengen gepanzerter Fahrzeuge kann diese in Mitleidenschaft gezogen haben (Driver Abroad o.D.).
Die wichtigste Straße im Irak ist die Autobahn (Freeway) 1, die von Basra über Nasiriyah, Al Diwaniyah, Al Hillah, Bagdad, Fallujah, Habbaniyah, Ramadi nach Ar Rutba in Anbar und weiter nach Syrien und Jordanien führt. Andere wichtige Straßen sind:
Fernstraße 1: von Bagdad über Taji, Samarra, Tikrit und Mossul nach Syrien
Fernstraße 2: von Bagdad über Baqubah, Al Khalis, Kirkuk, Erbil, Mossul, Dohuk und Zakhu in die Türkei
Fernstraße 3: von Bagdad über Baqubah und Erbil in den Iran
Fernstraße 4: von Kirkuk über Sulaymaniyah, Darbinadikhan und Jalaulah nach As Sa'Diyah
Fernstraße 5: von Baqubah über Muqdadiyah, As Sa'Diyah und Khanaqin in den Iran
Fernstraße 6: von Bagdad über Al Kut und Al Amarah nach Basra
Fernstraße 7: von Al Kut über Ash Shatrah nach Nasiriyah.
Fernstraße 8: von Bagdad über Al Hillah, Al-Qadisiyyah, As Samawah, Nasiriyah und Basra nach Kuwait.
Fernstraße 9: von Karbala über Al-Najaf nach Al-Qadisiyyah.
Fernstraße 10: von Ar Rutbah nach Jordanien.
Fernstraße 11: von Bagdad über Al Fallujah, Al Ramadi und Ar Rutbah nach Syrien.
Fernstraße 12: von Al Ramadi über Hit, Haditha und Al-Karābilah nach Syrien (Driver Abroad o.D.).
Die Sicherheitslage auf allen Strecken ist unvorhersehbar und kann sich schnell ändern. In den von den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten gibt es zahlreiche Kontrollpunkte. Die Fahrt auf vielen Straßen zwischen den Städten erfordert eine strenge Sicherheitsüberprüfung. In den umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge aus dem jeweiligen Gouvernorat die Straßen befahren. Autos mit Nummernschildern aus einem anderen Gouvernement benötigen eine Sicherheitsgenehmigung (Driver Abroad o.D.).
In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist die Situation im Allgemeinen besser als im Rest des Landes. Im Norden der KRI gab es jedoch auch terroristische Zwischenfälle und Luftangriffe (Driver Abroad o.D.). Die meisten Straßen in der KRI wurden nicht nach modernen Betriebs- und Sicherheitsstandards gebaut und befinden sich aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen häufig in einem schlechten Zustand. Seit Anfang 2014 hat sich die Wirtschaftskrise in der Region auch negativ auf die Straßen ausgewirkt. Die kurdische Regionalregierung (KRG) stoppte fast alle Straßenbau- und Instandhaltungsprojekte. Infolgedessen ist die Zahl der Unfälle gestiegen (Mohammed, Jaff, Schrock 9.2019).
EINREISE UND EINWANDERUNG IN DEN FÖDERALEN IRAK
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die Regierung in Bagdad verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 12.4.2022). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).
Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die (zeitlich befristete) Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Missan, Muthanna, Najaf, Qadisiyah und Wassit. Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Missan und Muthanna wurden 2020 aufgehoben (UNHCR 11.1.2021). Lokale PMF-Gruppen verhinderten in gewissen Gebieten die Rückkehr von Binnenvertriebenen, beispielsweise nach Salah ad-Din oder von Christen in mehrere Städte in der Ninewa-Ebene, darunter Bartalla und Qaraqosh (USDOS 12.4.2022).
Für die dauerhafte Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Missan, Muthanna, Najaf, Qadisiyah und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Ausnahmen stellen der nördliche Bezirks Muqdadiyah, der Unterbezirk Saadiyah im Bezirk Khanaqin, sowie der Norden des Unterbezriks Al-Udhim im Bezirk Khalis dar, in denen Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS) und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.1.2021).
Einreise und Einwanderung in die Kurdistan Region Irak (KRI)
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die Kurdistan Region Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten für Nicht-Einheimische ein (USDOS 12.4.2022). Es wird für die Einreise in die Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah, zwecks Aufenthalt von bis zu 30 Tagen, kein Bürge benötigt (UNHCR 11.1.2021). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehören - auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen (USDOS 12.4.2022). Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 30.3.2021).
Inner-irakische Migration aus dem föderalen Irak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug (Niederlassung) jedoch kontrolliert (AA 25.10.2021). Wer sich dauerhaft niederlassen möchte, muss sich bei der kurdischen Geheimpolizei (Asayish-Behörde) des jeweiligen Distrikts anmelden (AA 25.10.2021; vgl. UNHRC 11.1.2021). Eine Sicherheitsfreigabe durch die Asayish ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig. Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen. Nur in Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Für eine Niederlassung in Erbil oder Sulaymaniyah wird keine Bürgschaft verlangt (UNHCR 11.1.2021). Die Aufenthaltsgenehmigung ist, in der Regel, einjährig erneuerbar, abgesehen von Dohuk, wo die Aufenthaltsgenehmigung nur bis zu sechs Monate gültig ist (UNHCR 11.1.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung. Auch alleinstehende arabische und turkmenische Männer erhalten generell nur eine monatlich erneuerbare Aufenthaltsgenehmigung. Unter Vorlage des Nachweises einer regulären Beschäftigung und eines Unterstützungsschreibens ihres Arbeitgebers können sie auch eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung beantragen (UNHCR 11.1.2021). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 25.10.2021).
Die kurdischen Behörden wenden Beschränkungen regional unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt (USDOS 30.3.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2022).
IDPs und Flüchtlinge
Letzte Änderung: 16.08.2022
Mit Dezember 2020 waren etwa 4,7 Millionen Iraker, die durch den Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) ab 2014 vertrieben wurden, in ihre Heimatregionen zurückgekehrt (FH 3.3.2021). Rund 1,2 Millionen Menschen waren Anfang 2021 weiterhin intern vertrieben (FH 3.3.2021; vgl. IDMC 5.2021). Mit Stand Dezember 2021 waren noch rund 1,19 Millionen Personen IDPs, während 4,95 Millionen Personen Rückkehrer waren (IOM 12.2021). Nach Angaben des Gemeinsamen Krisenkoordinationszentrums (Joint Crisis Coordination Center, JCC) der Kurdistan Regionalregierung (KRG) hielten sich mit Stand Dezember 2021 664.909 Binnenvertriebene in der Kurdistan Region Irak (KRI) auf, im Vergleich zu 700.000 im Jahr 2020 (USDOS 2.6.2022).
Etwa 40 % der IDPs in der KRI sind sunnitische Araber, 30 % Jesiden, 13 % Kurden (verschiedener Religionszugehörigkeiten) und 7 % Christen. Andere religiöse Minderheiten machen die restlichen 10 % aus (USDOS 2.6.2022). Die KRI beherbergt einen großen Anteil von Christen, Jesiden, Shabak, Kaka'i und andere ethno-konfessionelle Gruppen aus der Ninewa Ebene (USDOS 30.3.2021). Trotz der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage und der Sicherheitsprobleme in der Region berichteten Beamte der Kurdischen Regionalregierung (KRG), dass sie die Wahrung der Rechte dieser Minderheiten als oberste Priorität ansehen (USDOS 12.4.2022).
Die meisten IDPs befinden sich in Ninewa, Dohuk und Erbil (IOM 12.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). 57 % der IDPs stammen aus Ninewa (664.929), insbesondere aus den Distrikten Mossul (246.361), Sinjar (193.688) und Al-Ba'aj (93.046). Die nächstgrößeren IDP-Kontingente kommen aus Salah ad-Din (138.134) und aus Anbar (134.255) (IOM 12.2021). Mehr als eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, können nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Etwa 76 % der IDPs leben in privaten Unterkünften (902.448), 15 % in Lagern (179.120) und 9 % (104.226) in Notunterkünften (IOM 12.2021), darunter unsichere und verlassene Gebäude, religiöse Gebäude und Schulen (USDOS 30.3.2021).
Die erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen an Orte, an denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind, sowie Androhung von Gewalt gegen Binnenvertriebene und Rückkehrer, von denen angenommen wurde, dass sie mit dem IS in Verbindung stehen, zählen zu wichtigen Menschenrechtsproblemen im Irak (USDOS 30.3.2021). Sowohl erzwungene Rückkehr als auch das Verhindern einer Rückkehr dauerten im Jahr 2020 an (GIZ 1.2021c; vgl. Rudaw 11.9.2020). Personen aus vormals vom IS kontrollierten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten werden in vielen Gebieten wegen mutmaßlicher Nähe zum IS und aus ethno-konfessionellen Gründen von lokalen Behörden oder anderen Akteuren, wie den Volksmobilisierungskräften (PMF), unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatregionen zurückzukehren (UNHCR 11.1.2021). Andererseits erkennen lokale Behörden Sicherheitsgenehmigungen von Rückkehrern nicht immer an oder halten sich nicht an die Anweisungen der Zentralregierung, die Rückkehr zu erleichtern (USDOS 30.3.2021).
Zwar gehen die irakische Verfassung und die nationale Richtlinie über Vertriebene auf die Rechte von IDPs ein, aber nur wenige Gesetze enthalten entsprechende Bestimmungen. Die Regierung und internationale Organisationen, darunter UN-Organisationen sowie lokale und internationale NGOs, bieten den Binnenvertriebenen Schutz und andere Hilfe an. Die humanitären Akteure unterstützen weiterhin die offiziellen IDP-Lager und richten gemeindebasierte Dienste für IDPs, die außerhalb der Lager leben, ein, um die Belastung der Ressourcen der Aufnahmegemeinden zu begrenzen (USDOS 12.4.2022).
Im März 2021 verabschiedete die irakische Regierung einen Nationalen Plan zur Bekämpfung der Vertreibung im Irak, der von den Ministerien für Planung und für Migration und Vertreibung ausgearbeitet wurde. Trotz des erklärten Ziels der Regierung, IDPs in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, verhindern administrative Hürden, dass Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit Dokumente erhalten, darunter Personalausweise, Geburtsurkunden und Lebensmittelkarten. Dies blockiert sowohl ihre sichere Rückkehr als auch den Zugang zu Sozialleistungen und staatlichen Dienstleistungen (HRW 3.6.2021). Insgesamt 58.000 Personen waren bereits mindestens einmal zuvor durch bewaffnete Konflikte und Gewalt vertrieben worden (IDMC 5.2021).
Berichten zufolge ermutigten kurdische Behörden lokale Kräfte dazu, tausende arabische Familien, die durch den Konflikt mit dem IS vertrieben wurden, daran zu hindern, in ihre Dörfer nahe der syrisch-irakischen Grenze und in den sogenannten umstrittenen Gebieten, die de facto unter der Kontrolle der KRG stehen, zurückzukehren, in einem Versuch, die Demografie der Region zu verändern (FH 3.3.2021).
Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, gewähren IDPs Schutz und andere Hilfe. Humanitäre Akteure unterstützen IDP-Lager und gewähren auch IDPs außerhalb der Lager Dienstleistungen, um die Belastung der Ressourcen der Gastgebergemeinden zu begrenzen. Vertriebene Familien, insbesondere solche mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, sind oft nicht in der Lage, wichtige Personenstandsdokumente zu erhalten oder zu ersetzen, ohne die sie nicht arbeiten, zur Schule gehen oder sich frei bewegen können (USDOS 30.3.2021). Die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen unterstützen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei den Behörden, um den Zugang zu Dienstleistungen und Bezugsrechten zu verbessern (USDOS 11.3.2020).
Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der KRI, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten (USDOS 30.3.2021). Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren. Nicht alle IDPs können in jedem Gouvernement auf Lebensmittel aus dem PDS zugreifen, insbesondere nicht in den vom IS befreiten Gebieten. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrem eingetragenen Gouvernement einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 12.4.2022).
Familien, die an ihren Herkunftsort zurückkehren, können mit der Zerstörung ihrer Häuser sowie fehlendem Zugang zu Dienstleistungen und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts konfrontiert werden (USDOS 12.4.2022). Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 28.2.2022). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 12.4.2022).
Vertriebene Familien mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, die sich weiterhin in und außerhalb von Lagern aufhalten, sind besonders anfällig für Übergriffe und sexuellen Missbrauch. Viele können nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil ihre ursprünglichen Gemeinschaften ihre Rückkehr ablehnen oder die irakischen Behörden sie verbieten (FH 3.3.2021). IDPs, insbesondere solche mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, sind Anfeindungen seitens lokaler Regierungsbeamter und der Bevölkerung, sowie Ausweisungen ausgesetzt, wenn sie versuchen in ihre Herkunftsgebiete zurückzukehren (USDOS 12.4.2022). Haushalte mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind stigmatisiert und werden mit einem erhöhten Risiko ihrer Grundrechte beraubt. Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Zivildokumente und die häufig vorenthaltenen Sicherheitsfreigaben schränken ihre Bewegungsfreiheit ein, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, wegen der Gefahr von Verhaftungen und eines Verbots ins Lager zurückzukehren (USDOS 30.3.2021).
Behörden der Zentralregierung und der Gouvernements unternahmen manchmal Maßnahmen zur Schließung oder Konsolidierung von Flüchtlingslagern, um IDPs zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete zu zwingen (USDOS 11.3.2020). Im Oktober 2020 kündigte der Minister für Vertreibung und Migration einen Drei-Phasen-Plan zur Schließung aller Binnenvertriebenenlager des Landes an und begann sofort mit einer Reihe von plötzlichen Lagerschließungen in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kerbala, Kirkuk und Ninewa (USDOS 30.3.2021). Nach der Schließung von 16 Vertriebenenlagern in Gebieten außerhalb der KRI durch die Regierung Ende 2020 konnten nach Berichten internationaler NGOs nur etwa 41 % derjenigen, die die Lager verließen, an ihren vorherigen Wohnsitz zurückkehren. Tausende sind von Sekundärvertreibung betroffen (USDOS 12.4.2022).
Die Schließungen waren nicht mit den zuständigen lokalen Behörden oder humanitären Akteuren koordiniert und nicht alle betroffenen IDPs waren in der Lage oder bereit, an ihren Herkunftsort zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Diese Schließungen zwangen viele IDPs zur Rückkehr in zerstörte Häuser und Dörfer ohne Grundversorgung (UNHCR 27.5.2021). Während einige IDPs nach den Lagerschließungen in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten, war eine beträchtliche Anzahl von ihnen nicht dazu in der Lage, sondern war mit neuerlicher Vertreibung konfrontiert (UNHCR 11.1.2021). Etwa die Hälfte der betroffenen Personen ist in Gefahr, in eine sekundäre Vertreibung zu geraten (USDOS 30.3.2021). Im Zusammenhang mit den Lagerschließungen Ende 2020 gewährten die Behörden vielen der betroffenen Personen eine Sicherheitsfreigabe und stellten ihnen neue zivile Dokumente aus. Da sie die Familien jedoch in einigen Fällen nur 24 Stunden vorher darüber informierten, dass sie die Lager, in denen sie jahrelang gelebt hatten, verlassen mussten, wurden einige von ihnen faktisch ihres Zugangs zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung beraubt und obdachlos gemacht (HRW 13.1.2021). Von lokalen Gemeinschaften wurde insbesondere die Rückkehr von Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder an einer Rückkehr abgelehnt, was diese zu einer Rückkehr in ihre bisherigen Lager oder andernorts zwang (USDOS 30.3.2021). Eine erzwungene Rückkehr resultiert häufig in neuerlicher Vertreibung (USDOS 11.3.2020).
Die KRG beherbergt 25 der 27 verbliebenen IDP-Lager im Land und hat sich verpflichtet, diese nicht zu schließen, bevor die Vertriebenen nicht freiwillig in ihr Herkunftsgebiet zurückgekehrt sind. Im November stufte die Zentralregierung eines der beiden verbliebenen IDP-Lager in von der Zentralregierung kontrollierten Gebieten als informelle Siedlung ein. Das Lager in Anbar beherbergte 466 Haushalte (2.155 Personen). Die Hälfte der Lagerbevölkerung besteht aus weiblich geführten Haushalten, von denen viele vermeintlich dem IS angehören. Ein weiteres IDP-Lager in Ninewa beherbergt etwa 1.020 Haushalte (5.279 Personen). Die Regierung stimmte einem koordinierten Rückkehrplan für beide Lager zu. Dabei arbeitet sie mit sunnitischen Stiftungen zusammen, um eine Million Dinar für Familien bereitzustellen, die sich entscheiden die Lager zu verlassen. Die Regierung genehmigte einen nationalen Plan zur Bewältigung der Vertreibung im Irak, der von den Ministerien für Planung und für Migration und Vertreibung ausgearbeitet wurde (USDOS 12.4.2022).
Mindestens 34.801 Vertriebenen war es nicht möglich, sicher nach Hause zurückkehren. Sie erhielten keine andere sichere Unterkunft und hatten keinen Zugang zu erschwinglichen Dienstleistungen. Bei vielen handelte es sich um von Frauen geführte Haushalte, die durch die Kämpfe zwischen dem IS und den irakischen Sicherheitskräften zwischen 2014 und 2017 vertrieben wurden. Viele dieser Familien werden als IS-nahe eingestuft (HRW 13.1.2022).
Die KRG hindert arabische Familien weiterhin daran, in Dörfer an der Grenze zu Syrien zurückzukehren, aus denen sie während der Kämpfe zwischen den Peshmerga und dem IS im Jahr 2014 geflohen waren (FH 28.2.2022).
[…]
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 22.08.2022
Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 25.10.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).
Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70 % der Iraker in Städten. Die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 25.10.2021).
Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).
Wirtschaftslage
Der Irak ist eines der am stärksten vom Öl abhängigen Länder der Welt. In den letzten zehn Jahren machten die Öleinnahmen mehr als 99 % der Ausfuhren, 85 % des Staatshaushalts und 42 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Diese übermäßige Abhängigkeit vom Öl setzt das Land makroökonomischer Volatilität aus (WB 1.6.2022). Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanack 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet rund 90 % der Staatseinnahmen (AA 25.10.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 25.10.2021).
Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Die Wirtschaft erholt sich allmählich von den Öl- und COVID-19-Schocks im Jahr 2020. Das reale BIP dürfte 2021 um 1,3 % gestiegen sein, nachdem es 2020 um 11,3 % geschrumpft war. Die Trendwende auf den Ölmärkten hat die mittelfristigen Wirtschaftsaussichten des Irak deutlich verbessert. Für das Jahr 2022 wird nun ein Gesamtwachstum von 8,9 % prognostiziert. Die jüngsten geopolitischen Spannungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine machen die Risiken für die irakische Wirtschaft deutlich. Während weitere Ölpreissteigerungen die Haushaltsbilanz des Irak verbessern würden, werden steigende Lebensmittelpreise und Störungen bei den Agrarimporten die bereits bestehenden Armutstrends verschärfen und die Risiken für die Ernährungssicherheit erhöhen. Der Konflikt birgt auch Risiken für die irakische Rohölproduktion, wenn die Tätigkeit russischer Ölgesellschaften im Irak durch die internationalen Sanktionen gegen Russland beeinträchtigt wird (WB 1.6.2022).
Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).
Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76 % im Jahr 2019 auf 13,74 % im Jahr 2020 (TE 2021). Im Januar 2021 lag die Arbeitslosenquote im Irak um mehr als 10 % über dem Niveau von 12,7 % vor der COVID-19-Pandemie (WB 1.6.2022). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11 %, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8 %. Unter den IDPs sind fast 24 % arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18 % im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8 % und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29 % der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22 % und 18 % bei Rückkehrern (OCHA 2.2021). Die Arbeitslosigkeit unter Vertriebenen, Rückkehrern, arbeitssuchenden Frauen, Selbstständigen aus der Zeit vor der Pandemie und informell Beschäftigten ist weiterhin hoch (WB 1.6.2022).
Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7 % im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vgl. ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32 %. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12 % (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20 % geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7 % (DFAT 17.8.2020).
Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge sind etwa 34 % der Stadtbewohner ständig erwerbstätig, 38 % nur gelegentlich und 25 % sind arbeitslos. 12 % der Männer und 40 % der Frauen geben an, arbeitslos zu sein. Die Arbeitslosigkeit betrifft vor allem die 16- bis 18-Jährigen (48 %). 27 % der Einwohner im Alter von 19 bis 25 Jahren und 17 % im Alter von 26 bis 35 Jahren haben keine Arbeit. Während 30 % der Araber arbeitslos sind, sind es nur 10 % der Kurden. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so sind 19 % der Christen, 25 % der schiitischen und 30 % der sunnitischen Muslime arbeitslos. Während 75 % der kontinuierlich Beschäftigten mehr als 700.000 IQD verdienen, verdienen 62 % der Befragten, die nur gelegentlich arbeiten, weniger als 700.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).
26 % der Befragten arbeiten Vollzeit, 30 % Teilzeit, 10 % haben mehrere Teilzeitstellen, 15 % sind Tagelöhner und 12 % Saisonarbeiter. Interessanterweise ist das Geschlechtergefälle bei der Vollzeitbeschäftigung (24 % der Frauen und 28 % der Männer) viel geringer als bei der Teilzeitbeschäftigung (35 % der Männer und 23 % der Frauen). Von den Kurden geben 29 % an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, 43 % gehen einer Saison- oder Tagelohnarbeit nach. 22 % der Araber haben eine Vollzeitstelle und 45 % eine oder mehrere Teilzeitstellen. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 20 % der sunnitischen Muslime eine Vollzeitstelle, während 50 % eine oder mehrere Teilzeitstellen haben. Von den schiitischen Muslimen geben 29 % an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, und 20 % sind als Tagelöhner tätig. 33 % der Christen haben eine Vollzeitbeschäftigung, aber auch 20 % gehen einer Tagelöhnertätigkeit nach. 51 % derjenigen, die eine Teilzeitbeschäftigung oder Tagelohnarbeit ausüben, verdienen weniger als 700.000 IQD, während 57 % derjenigen, die Vollzeit arbeiten, mehr als 700.000 IQD verdienen (BFA, IRFAD 2021).
Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD) (BFA, IRFAD 2021).
Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30 % angestiegen (AA 25.10.2021; vgl. ILO 2021). Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5 % (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14 % erwartet (WB 5.4.2021).
Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021). Der oben zitierten Befragung zufolge verdienen 56 % der Befragten weniger als 600.000 IQD (360 EUR) und nur 5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD (600 bis 1800 EUR). In der Einkommensgruppe unter IQD 600.000 sind 58 % Frauen und 55 % Männer, in der Gruppe mit einem Einkommen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD sind 7 % Männer und nur 2 % Frauen. Die regionalen Daten zeigen, dass in Bagdad 54 % weniger als 600.000 IQD verdienen und nur 1,5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Basra haben 61 % ein Einkommen unter 600.000 IQD und 9 % verdienen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Mossul verdienen 56 % weniger als 600.000 IQD, während 10 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD liegen. 55 % der arabischen Befragten verdienen weniger als 600.000 IQD, während 5 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD verdienen. Von den kurdischen Befragten verdienen 54 % unter 600.000 IQD und 3 % zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. Nach Religionszugehörigkeit verdienen 61 % der Christen, 50 % der schiitischen Muslime und 59 % der sunnitischen Muslime weniger als 600.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).
Nahrungsmittelversorgung
Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50 % des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).
Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).
Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 25.10.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).
Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). In den vorangegangenen zwei Jahren hat die Regierung nur Mehl verteilt, aber keine anderen Waren wie Speiseöl oder Zucker. Ein Vorschlag der Regierung, die PDS-Nahrungsmittelverteilung durch Bargeldzahlungen (IQD 17.000, ca. 12 $ pro Person) zu ersetzen, wurde angesichts der anhaltenden Sicherheits- und wirtschaftlichen Instabilitäten noch nicht umgesetzt (BS 23.2.2022, S.26). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8 % gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).
Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 12.4.2022).
62 % der Befragten einer Umfrage von 2021 sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich und ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. 34 % schaffen dies kaum oder gar nicht. 55 % der Frauen geben an, dass sie in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, im Gegensatz zu 70 % der Männer. Die regionalen Antwortmuster zeigen, dass in Bagdad 59 % in der Lage oder gerade noch in der Lage sind, für Nahrungsmittel zu sorgen, ebenso wie 63 % in Basra und 69 % in Mossul. Insbesondere die 16- bis 18-Jährigen (56 %) geben an, nicht oder kaum in der Lage zu sein, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Die ethnische Zugehörigkeit zeigt, dass 62 % der Araber und 58 % der Kurden nicht oder kaum in der Lage sind, sich selbst oder ihre Familien zu versorgen. Die Religionszugehörigkeit zeigt, dass 63 % der Christen, 62 % der schiitischen Muslime und 66 % der sunnitischen Muslime in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Sogar 73 % derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind in der Lage, sich selbst zu versorgen, oder schaffen es gerade noch (BFA, IRFAD 2021).
54 % der Befragten sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, während 42 % dies nicht tun. Während 61 % der Männer angeben, dass sie in der Lage sind, sich und ihre Familie zu versorgen, gelingt dies 49 % der Frauen kaum oder gar nicht. Regional ergibt sich ein unterschiedliches Bild: In Bagdad sind 53 % in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ebenso wie 60 % in Mossul, während 49 % in Basra kaum oder gar nicht dazu in der Lage sind (in Basra schaffen es 32 % überhaupt nicht). Vor allem Jugendliche (71 %) im Alter von 16 bis 18 Jahren geben an, dass sie nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, während die 19- bis 25-Jährigen (56 %) und die Gruppe der 26- bis 35-Jährigen (63 %) es schaffen bzw. gerade noch dazu in der Lage sind. 51 % der Araber geben an, dass sie in der Lage sind, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, oder es gerade so schaffen, ebenso wie 53 % der Kurden. Was die religiösen Gruppen betrifft, so geben 58 % der Christen, 53 % der schiitischen Muslime und 57 % der sunnitischen Muslime an, dass sie in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, oder es gerade noch schaffen. Von denjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind 57 % in der Lage, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, bzw. gerade noch (BFA, IRFAD 2021).
Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).
Wasserversorgung
Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98 % des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70 % des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80 % reduziert (GRI 24.11.2019; vgl. AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi-Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29 % bzw. 73 % (UNICEF 29.8.2021).
Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021). Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 25.10.2021).
Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge geben insgesamt 60 % der Befragten an, immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, 27 % manchmal, 12 % selten oder nie. Frauen scheinen weniger Zugang zu haben als Männer: 16 % haben selten oder nie Zugang, im Gegensatz zu 9 % der Männer. Regional gesehen ist der Zugang am niedrigsten in Mossul, wo 23 % selten oder nie Zugang haben, während 12 % in Basra und 7 % in Bagdad Zugang haben. 70 % der Kurden geben an, manchmal oder immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, ebenso wie 57 % der Araber. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 54 % der Christen, 65 % der schiitischen Muslime und 62 % der sunnitischen Muslime immer Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch bei den Einkommensverhältnissen gibt es Unterschiede: 91 % derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu sauberem Trinkwasser, aber nur 59 % derjenigen, die weniger verdienen (BFA, IRFAD 2021).
Stromversorgung
Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 25.10.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60 % der Nachfrage ab, wobei etwa 20 % der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 25.10.2021).
Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50 %. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem IS vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vgl. Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vgl. BBC 2.7.2021). Nur die KRI war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021)
Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge haben 30 % der Befragten immer Strom zur Verfügung, 31 % manchmal, 34 % meistens und 5 % nie. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 63 % immer Strom zur Verfügung, während dies nur für 22 % der Wenigerverdienergilt (BFA, IRFAD 2021).
Unterkunft
Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge leben 52 % aller Befragten bei ihren Eltern oder Schwiegereltern, während 43 % in einer eigenen Wohnung leben. In Bagdad leben 51 % in einer eigenen Wohnung, während in Basra 55 % und in Mosul 64 % bei ihren Eltern oder Schwiegereltern wohnen. Von den Kurden leben 50 % in einer eigenen Wohnung, während 53 % der Araber bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. 58 % der Christen leben in einer eigenen Wohnung, während 55 % der schiitischen Muslime und 53 % der sunnitischen Muslime bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. Interessanterweise hat das Einkommensniveau keinen Einfluss auf die Wohnsituation: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 52 % in einer eigenen Wohnung, von denen, die weniger verdienen, 51 % (BFA, IRFAD 2021).
Von den Befragten leben 66 % in einem Haus und 29 % in einer Wohnung. In Bagdad leben 67 % in einem Haus, in Basra 61 % und in Mosul 68 %. 65 % der Araber und 60 % der Kurden geben an, in einem Haus zu leben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so leben 63 % der Christen, 67 % der schiitischen Muslime und 71 % der sunnitischen Muslime in einem Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 77 % in einem Haus, während 59 % derjenigen, die weniger verdienen, in einem Haus leben (BFA, IRFAD 2021).
Von allen Befragten haben über 70 % ein Dach, Fenster, Türen und einen Fernseher in ihrer Wohnung; über 60 % geben an, fließendes Wasser, eine Toilette mit Wasserspülung und ein Bad/eine Dusche zu haben, und über 50 % verfügen über einen Herd und einen Internetanschluss. Nur 46 % haben einen Kühlschrank und 28 % eine Heizung. Das Einkommen (derjenigen, die mehr als und weniger als 700.000 IQD verdienen) ist ausschlaggebend für den Besitz eines Fernsehers (89 % vs. 71 %), eines Bades/einer Dusche (71 % vs. 61 %), eines Internetanschlusses (79 % vs. 47 %) und einer Heizung (43 % vs. 27 %). 52 % der Befragten gaben an, dass ihre Wohnung/ihr Haus ihnen gehört, während 38 % angaben, dass sie gemietet sind. Der Anteil der Hausbesitzer ist in Mosul mit 67 % am höchsten, gefolgt von 59 % in Basra und 42 % in Bagdad. 53 % der Kurden geben an, eine Wohnung oder ein Haus zu besitzen, ebenso wie 45 % der Araber. Was die Religionszugehörigkeit angeht, so besitzen 60 % der Christen, 54 % der schiitischen Muslime und 48 % der sunnitischen Muslime eine Wohnung oder ein Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, besitzen 75 % eine Wohnung, während es bei denjenigen, die weniger verdienen, nur 43 % sind. Von allen Befragten zahlen 24 % weniger als 250.000 IQD pro Monat für ihre Wohnung, 25 % zwischen 250.001 und 500.000 IQD, 3 % zwischen 500.001 und 999.999 IQD und 1 % mehr als 1.000.000 IQD. 48 % der Befragten haben auf diese Frage nicht geantwortet. 50 % der Befragten leben in einer Wohnung mit mehr als 100 m², 43 % haben 60-100 m² zur Verfügung und 7 % 20-60 m². In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD leben 66 % in einer Wohnung, die größer als 100 m² ist, während 47 % der Befragten, die weniger als diesen Betrag verdienen, in einer Wohnung leben. 56 % teilen ihre Wohnung mit 4-5 Mitbewohnern, während 16 % mit 1-3 Personen und 28 % mit 6-8 Personen zusammenleben (BFA, IRFAD 2021).
GRUNDVERSORGUNG UND WIRTSCHAFT IN ZENTRAL- UND NORDIRAK
Letzte Änderung: 22.08.2022
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Diyala
Diyala hat durch den Konflikt mit dem sog. IS erhebliche Schäden an seiner Infrastruktur erlitten. Der Agrarsektor, Schulen, der Energiesektor, die Wasserressourcen sowie der Hygiene- und Gesundheitssektor sind betroffen. Es wird über Wiederaufbau und die Instandsetzungsmaßnahmen berichtet (EASO 1.2021).
Einer Umfrage zufolge gingen 29 % der befragten Personen in Diyala einer formellen Beschäftigung nach, 28 % einer informellen und 42 % gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22 %) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Einer Umfrage im Distrikt Al-Khalis vom Februar 2021 zufolge haben die meisten Arbeitgeber Gehälter wegen COVID-19 gekürzt. Einige zahlten monatelang keine Gehälter, und manche reduzierten die Anzahl ihrer Beschäftigten. Die Durchschnittsgehälter für Fachkräfte liegen bei 170 USD (~248.440 IQD) und reichen von unter 100 bis 350 USD (~146.140 bis 511.490 IQD). Vor der Pandemie war der Durchschnittslohn mit 224 USD (~327.360 IQD) höher. Nur wenige Arbeitgeber gaben an ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021j). Auch im Distrikt Al-Muqdadiya haben Arbeitgeber Löhne gekürzt, und es kam auch zu Entlassungen. Im Privatsektor beschäftigte Frauen waren Berichten zufolge stärker betroffen als Bedienstete im öffentlichen Sektor. Die Durchschnittsgehälter für Fachkräfte liegen zwischen 322 USD und 433 USD (~470.580 bis 632.790 IQD) (IOM 9.2021k). Im Distrikt Khanaqin haben Arbeitgeber etwa 70 % ihrer Angestellten gehalten. Einige Angestellte haben gekündigt, entweder, weil ihre Gehälter nicht gezahlt, oder weil sie gekürzt wurden. Die Durchschnittsgehälter von Fachkräften liegen bei USD 228 (~333.200 IQD), zwischen 200 und 300 USD (~292.280 bis 438.420 IQD). Vor der COVID-19-Pandemie lag das Durchschnittsgehalt bei 292 USD (~426.730 IQD). Nur wenige Arbeitgeber gaben an ungelernte Arbeitskräfte mit einem Durchschnittsgehalt von 178 USD (~260.130 IQD) zu beschäftigen, etwas niedriger als vor COVID-19 (IOM 9.2021l).
Im Jahr 2018 waren etwa 0,21 % der Bevölkerung des Gouvernements Diyala von akuter Armut betroffen und 3,64 % waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Etwa 14,46 % der Bevölkerung Diyalas (rund 207.600 Personen) leidet unter unzureichender Nahrungsmittelaufnahme. Für rund 10,84 % (rund 155.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Diyala im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).
Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Diyala bei 89,3 % (CSO 2018l).
Wegen des niedrigen Wasserpegels des Khurasan-Flusses, der Hauptwasserquelle im Distrikt Ba'qubah, mussten Ende Mai 2021 vier Wasseraufbereitungsanlagen in Ba'qubah, Buhriz, al-Abbara und al-Tahrir abgeschaltet werden. Durch die Abschaltungen waren fast 400.000 Bewohner von der Wasserversorgung abgeschnitten (Shafaq 25.5.2021).
Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Diyala vorgeworfen (New Arab 6.7.2021). Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalen Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021). Mitte 2021 haben wütende Iraker aufgrund von häufigen Stromausfällen unter anderem ein Kraftwerk in Diyala gestürmt (DW 8.7.2021).
Rückkehr
Letzte Änderung: 16.08.2022
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 25.10.2021).
Einer Studie von 2021 zufolge sind soziale Netzwerke wichtige Erleichterer oder Hemmer einer Wiedereingliederung. Die meisten Studienteilnehmer waren sich darin einig, dass ein starkes soziales Netz ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist und berichteten von einem positiven Einfluss der Netzwerke nach ihrer Rückkehr, es gab jedoch auch Berichte von eher negativen Empfängen (FIS, ERRIN 2021).
Rückkehrer berichten über psychosoziale Bedürfnisse vor, während und nach einer Rückkehr. Dabei stehen psychosoziale Dienste weitgehend nicht oder kaum zur Verfügung. Ein Faktor ist Angst vor einer Stigmatisierung durch die Familie, nicht jedoch die Stigmatisierung selbst. 90 % der Studienteilnehmer berichteten, dass sie von ihrer Familie und ihren Freunden freudig empfangen wurden (FIS, ERRIN 2021).
Während die Forschungsteilnehmer nur wenige Probleme beim formalen Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge meldeten, beeinträchtigen Anpassungsschwierigkeiten und Qualitätsbarrieren ihre Fähigkeit, diese Dienste in Anspruch zu nehmen (FIS, ERRIN 2021).
Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnisch-konfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).
Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20 % ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38 % gestiegen ist (im Vergleich zu 7 % im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021). Einer Studie von 2021 zufolge, sehen sich Rückkehrer nach ihrer Rückkehr mit Barrieren für den Lebensunterhalt konfrontiert, die zwar nicht unbedingt ein Hindernis für die Wiedereingliederung darstellen, aber eine Ursache für eine erneute Abwanderung sind (FIS, ERRIN 2021).
Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12 % der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdistan Region Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71 % der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56 %. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56 % seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).
Im Jahr 2020 hatten 59 % der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~267,90 EUR) (im Vergleich zu 55 % im Jahr 2019 und 71 % im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79 %. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenen- und Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92 % und 93 % der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).
Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Wohn- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).
Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).
In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 25.10.2021).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 09.08.2022.
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus den vom Beschwerdeführer in Kopie vorgelegten Dokumenten (AS 17, AS 134 f, VP S 6).
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen, seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung gründen auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln (AS 17 ff, AS 134 ff, VP S 6 ff).
Aufgrund folgender Erwägungen geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass sich die Familienangehörigen des Beschwerdeführers weiterhin in Diyala im Irak aufhalten: Zum Aufenthalt seiner Familie gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 02.01.2020 an, sie halte sich im Irak auf (AS 21), in der Einvernahme hingegen, dass er im Irak niemanden mehr habe (AS 134). Auf diesen Widerspruch angesprochen, gab der Beschwerdeführer an, er glaube, dass sich seine Familie im Irak befinde und dass seine Familie beim letzten Telefonat ihren Aufenthaltsort nicht bekannt gegeben habe (AS 135). Aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokument (AS 161) ergibt sich, dass die Familie am 28.01.2020 mit sieben Familienmitgliedern wieder in Diyala registriert wurde, etwa sechs Monate vor der Einvernahme (28.07.2020) des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (VP S 8). Da der Beschwerdeführer nicht schlüssig darlegen konnte, weshalb seine Familie sich nun nicht mehr in Diyala aufhalten würde und – anders als bei den Wohnortwechseln zuvor – keine Unterlagen dazu vorlegen konnte, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es sich bei den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, er verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte im Irak mehr, um eine Schutzbehauptung handelt, um seine Aussichten im Asylverfahren zu verbessern.
Die Feststellung zum Personenstand des Beschwerdeführers und dass er keine Kinder hat, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, die über das gesamte Verfahren hinweg gleich geblieben sind (AS 17, VP S 6).
Dass der Beschwerdeführer über einen am XXXX 2018 in Diyala ausgestellten Reisepass mit Gültigkeitsdatum bis zum XXXX 2026 verfügt, ergibt sich aus der im Akt einliegenden Kopie einer Seite seines Reisepasses und aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers (AS 25, AS 63, AS 138, AS 149 ff).
Die Feststellung zu den Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers im Irak und zu seinem letzten Aufenthaltsort im Irak ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der der Einvernahme und in der Beschwerdeverhandlung sowie den vorgelegten Unterlagen (AS 136 f, VP S 8, AS 132 und AS 175). Wenn in der Stellungnahme vom 23.09.2022 (OZ 13) nunmehr neu vorgebracht wurde, der Beschwerdeführer habe zuletzt in Ba‘quba gelebt, erscheint dies auf Basis der im Wesentlichen während des gesamten Verfahrens gleichgebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft.
Die Feststellungen zur Ausreise und Weiterreise des Beschwerdeführers nach Österreich ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers sowie dem vorgelegten Reisepass (AS 23 ff, AS 138 ff).
Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den irakischen Gepflogenheiten ergibt sich daraus, dass er im Irak mit seiner irakischen Familie aufgewachsen ist, er dort zur Schule gegangen ist und im Geschäft seines Vaters arbeitete (AS 17 ff, AS 134 ff, VP S 6 ff).
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung (AS 23, AS 132, VP S 4 und 13) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich ebenfalls aus seinen eigenen Angaben (AS 137, VP 7).
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
2.2.1. Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren im Kern vor, dass die Milizen der Grund für seine Ausreise aus dem Irak gewesen seien und er sich bei einer etwaigen Rückkehr vor den Parteien bzw. Milizen im Irak fürchte.
Die belangte Behörde argumentierte im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen, dass die Gründe für die Asylantragstellung des Beschwerdeführers im Gesamten nicht glaubhaft seien. Der Beschwerdeführer habe eine konkrete und plausible gegen ihn persönlich gerichtete asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsland mit seinen knappen und unkonkreten Angaben nicht glaubhaft darstellen können. Seine völlig vagen und unsubstantiierten Angaben würden den Schluss nahelegen, dass diese Angaben nicht den Tatsachen entsprechen, zumal es nach seinen eigenen Angaben nie irgendwelche Verfolgungshandlungen gegen ihn persönlich gegeben habe oder sonst irgendwelche Sanktionen gegen ihn gesetzt worden seien.
2.2.2. Das erkennende Gericht teilt die Einschätzung der belangten Behörde aus folgenden Erwägungen:
2.2.2.1. Dass der Beschwerdeführer von einer oder mehreren Miliz(en) bedroht worden sei, ist schon allein deshalb nicht glaubhaft, weil die Aussagen des Beschwerdeführers über das Verfahren hinweg widersprüchlich und vage blieben: So gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, er sei vor dem IS geflohen (AS 27). In der Einvernahme schilderte er zunächst hingegen, die Milizen hätten ihn töten wollen (AS 140), gab aber gleichzeitig an, dass es auf ihn keine Übergriffe gegeben habe und keiner an ihn persönlich herangetreten sei (AS 141). In der Einvernahme konnte er weder detaillierte Angaben zu konkreten Milizen machen (AS 140: F: Wen meinen Sie mit Miliz? A: Die Parteien. F: Welche Parteien? A: Alle.), noch Beweise dafür vorlegen (AS 142). Auch konnte der Beschwerdeführer nicht beantworten, von welcher Miliz sein Bruder angeblich getötet worden sei (AS 142). In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer unsubstantiiert vor, dass er und seine Familie im Irak von den Milizen verfolgt und mit dem Tode bedroht worden seien (AS 409). In der Beschwerdeverhandlung gab der Beschwerdeführer sodann wiederum an, er sei konkret bedroht worden, die Milizen hätten sie zu Hause aufgesucht und hätten sie und seinen Vater festnehmen oder töten wollen, weil sie an den Demonstrationen teilgenommen hätten (VP S 15).
Er konnte in diesem Zusammenhang nicht angeben, von welcher Miliz er konkret bedroht worden sei. Erstmals in der mündlichen Verhandlung gab er an, es seien vier Milizen in ihre Region gekommen, die Asaib Al al-Haqq, die Saraya al Salam, die Hisbollah und die Saraya Al Khurasana und alle hätten gemeinsam angegriffen (VP 16), ohne konkret anzugeben, inwiefern seine Person davon betroffen war, von wem er konkret bedroht worden sei und wann sich die Vorfälle ereignet haben. Auch in seiner Stellungnahme vom 07.09.2022 (OZ 13) machte der Beschwerdeführer lediglich allgemeine Ausführungen zu den Milizen Saraya as-Salam sowie der Asa´ib Ahl al-Haqq.
Der Beschwerdeführer präsentierte insbesondere vor Gericht eine bloße Rahmengeschichte, die selbst auf Nachfrage der Richterin völlig vage und detaillos blieb. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die Ereignisse in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Die erzählte Geschichte erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden dient und sich nicht – abgesehen von einem (hier nicht vorliegenden) Folgeantrag – auf die näheren Fluchtgründe bezieht, jedoch ist es dem Bundesverwaltungsgericht nicht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen (VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0120).
2.2.2.2. Bezeichnend ist ferner, dass der Beschwerdeführer sich im September 2018 ohne weitere Probleme einen irakischen Reisepass ausstellen lassen konnte, mit dem er sodann legal ohne Probleme ausreisen konnte. Er gab selbst in diesem Zusammenhang auch an, in seiner Heimat mit den Behörden keine Probleme gehabt zu haben, „denn sonst hätte er den Irak nicht legal vom Flughafen in Bagdad (AS 138) aus verlassen können“ (AS 141), und dass er „vor den örtlichen Behörden nichts zu befürchten hätte“ (AS 29). Dies wiederum steht in krassem Widerspruch zur Behauptung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, dass die Milizen Flughäfen kontrollieren würden und er Gefahr laufe, von den Milizen im Falle einer Rückkehr am Flughafen festgenommen zu werden (VP S 16).
2.2.2.3. Auch die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Teilnahme an Demonstrationen blieben völlig vage und ohne zeitliche oder sonstige lebensnahe Details (VP 15). Abgesehen von einer bloßen Teilnahme an diesen Demonstrationen, an denen neben dem Beschwerdeführer tausende Menschen teilgenommen haben sollen (VP S 15), konnte der Beschwerdeführer keine weiteren Angaben dazu machen, warum ausgerechnet er infolge seiner Teilnahme bedroht wurde bzw einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Eine exponierte Stellung des Beschwerdeführers im Rahmen dieser Demonstrationen ist im Verfahren nicht hervorgekommen.
2.2.2.4. Insgesamt ist es daher für das erkennende Gericht nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer unter anderem aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen von Milizen verfolgt wurde.
2.2.3. Der Beschwerdeführer machte in seiner Stellungnahme vom 23.08.2022 (OZ 13) darüber hinaus zum ersten Mal geltend, dass er als sunnitischer Araber aus der Provinz Diyala zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt sei. Dabei bezog sich der Beschwerdeführer auf die Lage der sunnitischen Araber in Bagdad und brachte darüber hinaus vor, dass nach UNHCR Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich aber nicht ausschließlich Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, Berichten zufolge kollektiv verdächtigt werden, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019, S 69 ff). Da der Beschwerdeführer aus Diyala, einem vom IS vormals besetzten Gebiet stamme, könne ihm bei einer Straßenkontrolle sein Geburtsort zum Verhängnis werden und daher erfülle der Beschwerdeführer eines der von UNHCR angegebenen Risikoprofile.
Eine Bedrohung des Beschwerdeführers als sunnitischer Araber ist jedoch aus den folgenden Erwägungen nicht wahrscheinlich:
Nach der Einschätzung des EUAA führt die bloße Tatsache, dass eine Person ein sunnitischer Araber ist, grundsätzlich nicht zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung. Die Beurteilung, ob eine Verfolgung wahrscheinlich ist, hat individuell zu erfolgen und dabei sind risikobehaftete Umstände wie Herkunftsgebiet, Stamm, Alter, Geschlecht usw. zu berücksichtigen (EUAA, Juni 2022, S 91).
Der Beschwerdeführer verließ Jalawla rasch nach Einmarsch des IS und konnte seinen eigenen Angaben zufolge nach der Vertreibung des IS wieder in seine Heimatstadt Jalawla zurückkehren, wo er mit seiner Familie in einem gemieteten Haus wohnte, zur Schule ging und im Geschäft seines Vaters arbeitete (AS 136). Ihm wurde auch eine Meldebestätigung für die Stadt Jalawla, in der Provinz Diyala, am XXXX .2016 (AS 132) ausgestellt. Darüber hinaus wurde ihm am XXXX 2018 in Diyala ein Reisepass ausgestellt (AS 63, AS 134). Risikoerhöhende Faktoren wie zB eine Nahebeziehung zum IS innerhalb der Familie (VP S 10) oder ein typisch sunnitisch konnotierter Vorname (VP S 11) sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer legte zudem eine Kopie einer vom irakischen Ministerium für Migration und Vertreibung ausgestellten Karte vor, wonach seine Familie mit sieben Familienmitgliedern am 28.01.2020 wieder in Diyala registriert wurde (AS 161, VP S 8).
Für sunnitische Araber im Irak besteht nach den Länderberichten zwar generell ein erhöhtes Risiko, dass sie feindlichem Verhalten der schiitischen Milizen ausgesetzt sein können. Eine den Beschwerdeführer konkret und persönlich treffende Gefährdung oder Bedrohung konnte im Verfahren jedoch nicht glaubhaft vorgebracht werden. Vielmehr brachte er keine konkrete Bedrohung als Sunnit oder stattgefundene persönliche Bedrohung aufgrund dessen vor. Die behaupteten Probleme als Sunnit blieben auf einem allgemeinen Niveau, ohne dass eine konkrete Bedrohung aufgrund gefahrenerhöhende Umstände dargelegt wurde. Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung kann angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden, was sich auch daraus ergibt, dass (arabische) Sunniten 17-22 % der Bevölkerung ausmachen und auch in der Regierung vertreten sind.
2.2.4. Auch sonst ergeben sich keine Anhaltspunkte dahingehend, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak konkrete, ihn persönlich treffende Bedrohungen oder Verfolgungen drohen würden.
2.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, zum Zeitpunkt seiner Antragstellung, seinen Deutschkenntnissen, seinen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin in der Beschwerdeverhandlung (VP S 12), den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (VP S 9) und den vorgelegten Dokumenten (AS 189, OZ 17, Beilagen zum Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen zum Verwandten des Beschwerdeführers in Innsbruck (VP S 13) und zu seinen sozialen Kontakten (VP S 13) ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung.
Die Feststellung zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, aus dem vorgelegten Schreiben der XXXX Sozialen Dienste vom 27.07.2020 und den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Integrationsunterlagen (AS 191, Beilagen zum Verhandlungsprotokoll).
Die Feststellungen zum Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung sowie zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergeben sich aus den eingeholten Auszügen (OZ 11).
2.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat
2Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsstadt Jalawla, im Distrikt Khanaqin, in der Provinz Diyala, ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in Kurdistan, Bagdad oder Ba‘quba, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EUAA aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für den Irak - aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers.
2.5. Zur maßgeblichen Situation im Irak
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die Länderinformationen der Staatendokumentation Irak aus dem COI-CMS vom 22. August 2022 (Version 6), die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen vom Mai 2019, die EUAA-Country Guidance: Iraq, common analysis and guidance note vom Juni 2022 und den EUAA-Report Iraq Security Situation (Januar 2022).
Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme des Beschwerdeführers sind Länderberichte enthalten, die den Feststellungen des erkennenden Gerichtes zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers entgegenstünden oder eine andere Beurteilung erfordern würden. Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführten Länderberichte blieben auch unbestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die vorliegende Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig. Sie wendet sich gegen alle Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides.
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten):
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
3.1.2. Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd Zivilprozessordnung (ZPO) zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 19.03.1997, 95/01/0466).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mit Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU -Statusrichtlinie).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, liegt in diesem Umstand für sich allein noch keine Verfolgungsgefahr iSd GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgehen (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:
Der Beschwerdeführer konnte aufgrund der zahlreichen Widersprüche in seinen Angaben und vagen Behauptungen nicht glaubhaft machen, dass ihm aufgrund seiner behaupteten Teilnahme an Demonstrationen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Bedrohung bzw. Verfolgung durch Milizen droht.
Ferner konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu den sunnitischen Arabern droht. Die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.
3.1.4. Das erkennende Gericht gelangt demnach zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Irak keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.
3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):
3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2.2. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus (VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich scheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation eines Asylwerbers begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH vom 25.04.2017 Ra 2017/01/0016).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).
3.2.3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:
Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Jalawla im Distrikt Khanaqin in der Provinz Diyala.
Nach EUAA ereignen sich die meisten Sicherheitsvorfälle im Distrikt Khanaqin, und Diyala ist die Provinz bzw. Gouvernement mit der höchsten Anzahl von Sicherheitsvorfällen. Während des gesamten Berichtszeitraumes meldete ACLED insgesamt 497 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 7,6 Sicherheitsvorfälle pro Woche) (EUAA, S 194). Nach den Länderinformationen der Staatendokumentation kommt es unter anderem im Distrikt Khanaqin zu den meisten Zwischenfällen, und mit Ende des Sommervorstoßes 2021 wurde Diyala wieder zum Hauptschwerpunkt des IS. Diyala hat durch den Konflikt mit dem IS ferner erheblichen Schaden an seiner Infrastruktur erlitten. Der Agrarsektor, der Energiesektor, die Wasserressourcen sowie der Hygiene- und Gesundheitssektor sind betroffen. Ferner hat der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden.
Nach der Einschätzung des EUAA (Juni 2022, S 195) erreicht das die willkürliche Gewalt in Diyala ein hohes Ausmaß, sodass ein geringeres Maß an individuellen Elementen auf Seiten des Beschwerdeführers erforderlich ist. Es ist zwar nicht davon auszugehen, dass die bloße Anwesenheit in der Provinz Diyala bereits ausreicht, um einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Es ist allerdings zu beachten, dass gerade jener Distrikt (Khanaqin), in den der Beschwerdeführer zurückkehren würde, einer der zwei am stärksten von Sicherheitsvorfällen betroffenen Distrikte in Diyala ist, sodass nach Ansicht des erkennenden Gerichts hier eine besonders niedrige Schwelle betreffend die individuellen Umstände auf Seiten des Beschwerdeführers anzusetzen ist.
Was die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers betrifft, ist einerseits festzuhalten, dass dieser zwar jung, gesund und auch arbeitsfähig ist, einen Großteil seines Lebens im Irak verbracht hat, über familiäre Anknüpfungspunkte in der Provinz Diyala verfügt und eine der Landessprachen auf Muttersprachenniveau beherrscht, auf der anderen Seite aber keine spezifische Berufsausbildung im Irak vorzuweisen hat und den Irak bereits als 18jähriger unmittelbar nach Abschluss seiner Schulausbildung verlassen hat. Angesichts der in Diyala gegebenen prekären Sicherheits- und Versorgungslage in Zusammenhang mit den individuellen Umständen des Beschwerdeführers und seiner Zugehörigkeit zu den sunnitischen Arabern ist derzeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatort Gefahr liefe, in eine existenzbedrohende Lage zu geraten bzw. einen ernsthaften körperlichen Schaden zu erleiden.
Insbesondere kann im gegenständlichen Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Herkunftsort des Beschwerdeführers auch sicher erreichbar ist. Die Provinz Diyala verfügt über keinen eigenen Flughafen, so dass der Beschwerdeführer beispielsweise vom internationalen Flughafen Bagdad ausgehend über den Landweg reisen muss, um in seine Herkunftsregion zu gelangen.
Relevant ist, dass sunnitischen Arabern, die aus ehemals vom IS besetzten Gebieten des IS stammen und kollektiv verdächtigt würden, mit dem IS verbunden zu sein oder diesen zu unterstützen, beim Passieren von Checkpoints bzw. Kontrollpunkten auf den Straßen von Bagdad nach Jalawla eine Gefährdung drohen könnte.
Nach den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) sowie der EUAA Country Guidance Irak Juni 2022 (S 85 ff), kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer als männlicher Zivilist mit sunnitisch-arabischer Herkunft, der aus einem vom IS ehemals besetzten Gebiet stammt, verdächtigt wird, mit dem IS verbunden zu sein oder diesen zu unterstützen. UNHCR stellte fest, dass sunnitische Araber aus ehemaligen Gebieten des IS besonders gefährdet sind, beim Passieren von Straßencheckpoints diskriminiert zu werden. Beim Beschwerdeführer liegen stichhaltige Gründe vor, dass bei Straßenkontrollen das reale Risiko einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hat. Demnach ist nicht gewährleistet, dass der Beschwerdeführer, der aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet stammt, seinen Heimatort Jalawla im Distrikt Khanaqin sicher erreicht.
Daher ist dem Beschwerdeführer eine Rückkehr an seinen Herkunftsort Jalawla im Distrikt Khanaqin in der Provinz Diyala nicht möglich.
3.2.4. Dem Beschwerdeführer steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (vgl. VwGH 22.02.2021, Ra 2020/18/0516):
Eine innerstaatliche Fluchtalternative in den kurdischen Gebieten im Irak ist nach den UNHCR-Erwägungen angesichts der anhaltend hohen Zahl vertriebener Bevölkerungsgruppen in der Region und der sich verschlechternden sozio-ökonomischen Bedingungen nicht zumutbar.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Bagdad ist ebenso auszuschließen. UNHCR vertritt die Ansicht, dass bei arabisch-sunnitischen alleinstehenden, körperlich leistungsfähigen Männern im arbeitsfähigen Alter in der Stadt Bagdad eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht und sie auch in der Lage sind, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie bzw. Stamm zu bestehen. Allerdings werden für eine Ansiedlung in Bagdad unter anderem zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar. Dass der Beschwerdeführer diese Anforderungen erfüllen kann, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Dem Beschwerdeführer ist daher auch eine Niederlassung in Bagdad nicht zumutbar.
UNHCR vertritt ferner die Ansicht, dass in ehemals vom IS kontrollierten und anderen durch den Konflikt betroffenen Gegenden angesichts der fortdauernden Menschenrechtsverletzungen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure sowie angesichts der fortdauernden IS-Präsenz und anhaltender Militäreinsätze gegen IS in diesen Gebieten keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht. UNHCR vertritt außerdem die Ansicht, dass in den umkämpften Gebieten wegen der dortigen heiklen sicherheitsbezogenen, politischen und demographischen Dynamiken sowie wegen der Gefahr einer weiteren Destabilisierung der Situation durch Bevölkerungsbewegungen keine IFA bereitsteht (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Asylsuchenden im Irak, vom Mai 2019, S 9 und S 135). Ferner ist auch in Hinblick auf eine Ansiedlung in Ba’quba nicht gewährleistet, dass der Beschwerdeführer, der aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet stammt, diesen Ort sicher erreicht.
Dem Beschwerdeführer ist daher auch eine Niederlassung in Ba’quba, wo er zuvor bereits vorübergehend gelebt hat, nicht zumutbar.
3.2.5. Hinweise auf einen Aberkennungsgrund nach § 9 Abs. 2 AsylG sind nicht hervorgekommen (§ 8 Abs. 3a AsylG).
3.2.6. Dem Beschwerdeführer ist daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuzuerkennen.
3.3. Zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Im gegenständlichen Fall ist dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr zu erteilen
3.4. Zur Behebung der Spruchpunkte III.-VI.
Aus der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung an den Beschwerdeführ resultiert auch die ersatzlose Aufhebung der Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides.
B)
Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.