Rückverweise
I415 2165504-3/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde gegen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), vertreten durch den Verein LegalFocus, Lazarettgasse 28/3, 1090 Wien, betreffend den am 09.07.2021 eingelangten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2022, zu Recht:
A)
I. Der Antrag auf Mängelheilung wird gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 Abs. 1 AsylG-DV abgewiesen.
II. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK wird gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AslyG zurückgewiesen.
III. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen.
IV. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) zulässig ist.
V. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wird dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Vorangegangene Verfahren
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) und reiste im Jahr 2015 legal mit einem von 27.05.2015 bis 26.08.2015 gültigen Visum C in das österreichische Bundesgebiet ein. Er überschritt die Aufenthaltsdauer und stellte am 29.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher am 20.12.2017 in 2. Instanz rechtskräftig abgewiesen wurde und eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen wurde.
1.2. Am 19.03.2018 stellte der BF einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF über keinen Reisepass mehr verfüge und ihm die Erlangung eines neuen Reisedokuments nicht möglich sei, sodass ihm eine Rückkehr in die Côte d’Ivoire weder freiwillig, noch erzwungen möglich sei.
1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 22.07.2019, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 1 und 3 FPG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der BF bisher keinerlei Schritte unternommen habe, um ein Identitätsdokument zu erlangen. Die Voraussetzungen der Duldung gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 und Z 3 FPG lägen daher nicht vor.
1.4. Dagegen erhob der BF durch seine Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
1.5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.05.2020, Zl. XXXX , wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen.
1.6. Gegen dieses Erkenntnis erhob der BF mit Schriftsatz vom 30.07.2020 außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
1.7. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 17.05.2021, Zl. XXXX , wurde das Erkenntnis vom 14.05.2020 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
1.8. Mit neuerlichem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.09.2022, Zl. XXXX , wurde der Beschwerde stattgegeben und der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet für die Dauer eines Jahres für geduldet erklärt.
2. Gegenständliches Verfahren
2.1. Mit Schriftsatz vom 06.07.2021 (eingelangt am 09.07.2021) stellte der BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK sowie einen Zusatzantrag auf Heilung des Mangels vom Erfordernis eines Reisepasses. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF nun schon sehr lange in Österreich sei und sich seit seinem abgeschlossenen Asylverfahren stets tadellos verhalten habe. Der BF habe sich bereits gut integriert. Da der BF keinen Reisepass und keine Geburtsurkunde besitze und auch die Behörde für den BF kein (Ersatz-)Reisedokument erlangen konnte, wurde beantragt, den Aufenthaltstitel ohne das Erfordernis eines Reisepasses oder Geburtsurkunde zu erteilen.
2.2. Am 20.07.2021 erging ein Verbesserungsauftrag an den BF. Darin wurde der BF aufgefordert, binnen 4 Wochen die folgenden Urkunden und Nachweise in Original und Kopie vorzulegen:
- den Antrag in deutscher Sprache ausführlich schriftlich zu begründen
- gültiges Reisedokument (Original und Kopie und Übersetzung)
- Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument (Original und Kopie und Übersetzung)
- Deutschzertifikat (Original)
Im Falle der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise könne ein begründeter Antrag auf Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV eingebracht werden.
2.3. Mit Schreiben des BF vom 19.08.2021 wurde auf den Verbesserungsauftrag Bezug genommen und inhaltlich auf den Schriftsatz vom 06.07.2021 verwiesen. Die Ausführung sowie der Zusatzantrag auf Heilung des Mangels blieben weiterhin aufrecht.
2.4. Mit E-Mail vom 04.02.2022 erkundigte sich der BF nach dem Stand des Verfahrens. Eine Antwort darauf blieb aus.
2.5. Am 13.02.2022 erhob der BF Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte er aus, dass überhaupt keine Bearbeitungsschritte der belangten Behörde ersichtlich wären und die sechsmonatige Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG überschritten worden sei. Die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG lägen vor.
2.6. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 18.05.2022 (beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 23.05.2022) vorgelegt.
2.7. Am 12.08.2022 fand in Anwesenheit des BF, dessen Rechtsvertretung sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Französisch eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, statt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Verfahrensgang:
Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang wird – soweit entscheidungserheblich – als Sachverhalt festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt.
1.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger der Republik Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) und ledig. Er gehört der Volksgruppe der Baoulé an und ist christlichen Glaubens. Er spricht neben seiner Muttersprache Baoulé auch Französisch und etwas Deutsch. Seine Identität steht fest.
Der BF ist Vater eines Kindes. Zu seinem minderjährigen Sohn, welcher nach wie vor in der Heimat des BF lebt, hat der BF jedoch keinen Kontakt. Ansonsten leben in seiner Heimat sein Vater, drei Schwestern und zwei Brüder des BF. Zu diesen pflegt der BF ebenso keinen Kontakt. Seine Mutter ist bereits verstorben.
In Österreich hat der BF keine Verwandten, keine Kinder und keine Beziehung.
Der BF stammt aus Toumodi in der Region Bélier, Republik Côte d’Ivoire. Dort lebte er bis zu seinem 20. Lebensjahr. Dann zog er nach Yopougon, einen Stadtteil von Abidjan, und lebte dort bis zu seiner Ausreise 2015. In seiner Heimat besuchte der BF sechs Jahre lang die Grundschule in Toumodi und sieben Jahre lang eine höher führende Schule. Danach studierte er fünf Jahre in Abidjan an der Technischen Hochschule Transport und Logistik und schloss mit einem positiven Bescheid ab. Der BF arbeitete sodann in der Werbung und montierte Telefonzellen. Nebenbei arbeitete er auch als Frisör.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keiner lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensteht. Der BF fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.
Der BF befindet sich seit Juni 2015 in Österreich und ist seit 08.03.2016 auch durchgehend melderechtlich erfasst.
Mit Bescheid des BFA vom 27.06.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß abgewiesen und der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Ihm wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Elfenbeinküste zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs.1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.) und die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid aberkannt (Spruchpunkt V.).
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.12.2017, Zl. XXXX , als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt II.). Beschwerde an den Verfassungsgerichthof oder Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde nicht erhoben.
Der Aufenthalt des BF war während des Asylverfahrens im Zeitraum von 08.07.2015 bis 28.12.2017 ein rechtmäßiger. Mit der negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.12.2017, Zl. XXXX , wurde sein Aufenthalt ein unrechtmäßiger.
Der BF erhielt seit seiner Asylantragstellung bis zum 30.07.2019 Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Aktuell finanziert es sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs, insbesondere Putz- und andere Hilfstätigkeiten. In der Sozialversicherung scheint der BF in Österreich nicht auf.
Der BF hat den Deutschkurs auf Niveau A2 in Österreich positiv abgeschlossen. Für den B1-Kurs hat er sich auf die Warteliste setzen lassen.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist weder in einem Verein tätig noch betätigte er sich während seines Aufenthalts in Österreich ehrenamtlich. Er ist jedoch bei der Assistenz24 gemeinnützige GmbH als freier Dienstnehmer in der Betreuung von mehrfach behinderten Personen ab Pflegestufe 3 beschäftigt. Dabei unterstützt der BF die zu Betreuenden vor allem bei der Körperpflege, Nahrungsaufnahme und Medikamenteneinnahme. Zudem absolvierte er im Zeitraum Mai 2018 bis April 2020 bei der Nut und Feder GmbH ein Ausbildungstraining im Bereich Holzbearbeitung. Von dieser Firma sowie von einer weiteren Firma hat der BF bereits eine Einstellungszusage erhalten.
Eine umfassende Integration des BF in sprachlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Hinsicht liegt nicht vor.
1.3. Zur Säumnisbeschwerde:
Am 06.07.2021 (eingelangt am 09.07.2021) stellte der BF den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. Art 8 EMRK.
Am 20.07.2021 erging ein Verbesserungsauftrag. Mit Schreiben vom 19.08.2021 reagierte der BF auf den Verbesserungsauftrag.
Am 04.02.2022 ersuchte die Rechtsvertretung des BF um Auskunft über den Stand dieses Verfahrens. Eine Antwort ist nicht aktenkundig.
Das BFA führte hinsichtlich des Antrages vom 06.07.2021 keine (weiteren) Verfahrensschritte durch.
Mit Schriftsatz vom 13.02.2022 erhob der BF Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an das Bundesverwaltungsgericht. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 18.05.2022 den Antrag des BF vom 06.07.2021, die Säumnisbeschwerde vom 13.02.2022 sowie den Verfahrensakt zur Entscheidung vor.
1.4. Zur Lage in der Republik Côte d’Ivoire:
Zur aktuellen Lage in der Republik Côte d’Ivoire werden schließlich folgende (allgemeinen) Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem BF offengelegten Quellen getroffen:
Die folgenden Feststellungen wurden dem aktuellen Länderinformationsblatt (Stand: 28.01.2022) der Staatendokumentation zur Republik Côte d’Ivoire entnommen.
COVID-19
Mit Einschränkungen im Flug- und Reiseverkehr und weitgehenden Einschränkungen im öffentlichen Leben ist zu rechnen (BMEIA 26.1.2022; vgl. AA 26.1.2022, EDA 26.1.2022). Berichten zufolge sind auch die Seegrenzen für den regulären kommerziellen Personenverkehr geschlossen, der Fracht- und Güterverkehr ist weiterhin möglich (Crisis24 14.1.2022). Bei der Ein- und Ausreise muss ein ausgedruckter negativer PCR-Test vorgelegt werden, welcher nicht älter als 72 Stunden sein darf (BMEIA 26.1.2022; vgl. AA 26.1.2022) bzw. nicht länger als 48 Stunden vor der Abreise durchgeführt wurde (Crisis24 14.1.2022). Zudem muss vor Reiseantritt (Ein- und Ausreise) eine Online-Registrierung - Déclaration de Déplacement par Voie Aérienne (DDVA) - vorgenommen und hierfür eine Gebühr von 2.000 Franc CFA (ca. 3,05 €) bezahlt werden (BMEIA 26.1.2022; vgl. AA 26.1.2022, Crisis24 14.1.2022). Am Flughafen werden Temperaturkontrollen durchgeführt. Bei erhöhter Temperatur werden Reisende auf Covid-19 getestet. Bis das Resultat vorliegt, verbleiben Reisende in einer staatlichen Quarantäneeinrichtung. Die Kosten für Test und Unterbringung müssen von den Reisenden selbst getragen werden. Fällt der Test negativ aus, wird eine 14-tägige Heimquarantäne angeordnet. Fällt der Test positiv aus, erfolgt die Überstellung an den „Service des Maladies Infectieuses et Tropicales du Centre Hospitalier et Universitaire (CHU) de Treichville“ in Abidjan (BMEIA 26.1.2022; vgl. AA 26.1.2022).
Der Ausnahmezustand ist weiterhin aufrecht und es gilt eine allgemeine Schutzmaskenpflicht in der Öffentlichkeit (BMEIA 26.1.2022). Die Behörden setzen Hygiene- und soziale Abstandsbestimmungen (social distancing) durch, einschließlich der Vorschrift, an öffentlichen Orten und in öffentlichen Verkehrsmitteln einen Mundschutz zu tragen. Die meisten Geschäfte, darunter Hotels, Bars und andere Unterhaltungseinrichtungen, sind geöffnet. Große Versammlungen wurden mit Genehmigung der örtlichen Behörden wieder aufgenommen. Ungeimpfte Personen und Personen ohne Nachweis eines negativen Tests dürfen je nach Infektionslage/epidemiologischer Lage bestimmte öffentliche und private Einrichtungen nicht betreten; ob die Behörden diese Maßnahme durchsetzen, ist unklar (Crisis24 14.1.2022).
Allerdings können sich die aktuellen Regelungen jederzeit ändern; Je nach Krankheitsaktivität in den kommenden Wochen können die Behörden die Beschränkungen kurzfristig wieder einführen, verlängern, weiter lockern oder anderweitig ändern (AA 26.1.2022; vgl. Crisis24 14.1.2022).
Im Laufe des Jahres 2020 erkrankten in der Elfenbeinküste rund 22.000 Menschen an Covid-19 und 130 Menschen verstarben (FH 3.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.1.2022): Côte d'Ivoire: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/cotedivoiresicherheit/209460, Zugriff 26.1.2022
BMEIA - Bundesministerium für europäische und international Angelegenheiten [Österreich] (26.1.2022): Côte d'Ivoire, Reise und Aufenthalt, Gesundheit und Impfungen, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/cote-divoire/, Zugriff 26.1.2022
Crisis24 (14.1.2022): Cote d'Ivoire maintains COVID-19-related domestic measures and international travel restrictions as of Jan. 14., https://crisis24.garda.com/alerts/2022/01/cote-divoire-authorities-maintain-covid-19-restrictions-unchanged-as-of-jan-14-update-32. Zugriff 28.1.2022
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (26.1.2022): Côte d’Ivoire, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/cote-d-ivoire/reisehinweise-fuercotedivoire.html#par_textimage_5, Zugriff 26.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
Politische Lage
Die Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) ist eine Präsidialdemokratie, in der dem Staatspräsidenten große exekutive Machtkompetenzen zufallen. Der Staatsaufbau richtet sich nach dem französischen Muster (AA 23.11.2020). Der Präsident wird direkt für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt und unterliegt nach der Wahl 2020 einer Begrenzung auf zwei Amtszeiten. Der Premierminister ist Regierungschef, wird vom Präsidenten ernannt und ist für die Ernennung des Kabinetts verantwortlich, das vom Präsidenten bestätigt wird (FH 3.3.2021).
Das Zweikammerparlament besteht aus einem 255 Sitze umfassenden Unterhaus, der Nationalversammlung, und einem 99 Sitze umfassenden Senat, der in der Verfassung von 2016 vorgesehen ist und im März 2018 eingesetzt wurde. Die Mitglieder der Nationalversammlung werden direkt für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Von den 99 Sitzen des Senats werden 66 indirekt von der Nationalversammlung und den Mitgliedern verschiedener lokaler Räte gewählt, und 33 Mitglieder werden vom Präsidenten ernannt; alle Mitglieder haben eine fünfjährige Amtszeit (FH 3.3.2021).
Der ehemalige Premierminister und Präsidentschaftskandidat der Rassemblement des Houphouétistes pour la Démocratie et la Paix (RHDP), Amadou Gon Coulibaly, starb im Juli 2020 unerwartet. Präsident Alassane Ouattara, der zwei fünfjährige Amtszeiten hinter sich hatte, machte seine frühere Entscheidung, nicht zu kandidieren, rückgängig und wurde im August von der RHDP nominiert. Die Partei erklärte, dass Ouattara für zwei weitere Amtszeiten in Frage käme, da die in der Verfassung von 2016 vorgesehene Begrenzung auf zwei Amtszeiten erst nach Ouattaras zweiter Wahl verabschiedet worden war. Einige Kritiker warfen Ouattara vor, die neue Verfassung vorangebracht zu haben, um seine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Seine Nominierung stieß auf große Proteste der Oppositionsparteien (FH 3.3.2021).
Die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2020 waren weder frei noch fair. Die Opposition boykottierte die Wahlen im Oktober 2020 gänzlich, und viele potenzielle Wähler wurden aufgrund von Sicherheitsbedenken an der Stimmabgabe gehindert. Nach Angaben der Regierung, die die Wahlbeteiligung auf 54 Prozent bezifferte, gewann Ouattara die Wahl mit 94 Prozent der Stimmen. Diese Zahlen wurden von unabhängigen Beobachtern des Electoral Institute for Sustainable Democracy in Africa (EISA) angefochten. Das Institut berichtete, dass nur 54 Prozent der Wahllokale geöffnet waren und nur 41 Prozent der Wählerkarten vor der Abstimmung verteilt wurden. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass das Wählerverzeichnis Probleme hinsichtlich Vollständigkeit aufwies und eine große Zahl verstorbener Personen enthielt, und dass es der Wahlkommission an Transparenz mangelte und sie die Regierungspartei bei der Durchführung der Wahl stark begünstigte (FH 3.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.11.2020): Côte d'Ivoire: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/cotedivoire-node/politisches-portraet/209484, Zugriff 27.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
Sicherheitslage
Die Kriminalität ist vor allem in den nordwestlichen und westlichen Landesteilen (Grenzgebiete zu Liberia, Guinea und Mali) hoch (BMEIA 26.1.2022; vgl. EDA 26.1.2022). Zudem genießen nichtstaatliche bewaffnete Akteure und ehemalige Rebellen vor allem im Norden und Westen des Landes erheblichen Einfluss (FH 3.3.2021).
Die Hauptbedrohung für die Sicherheit ist nicht mehr die politische Instabilität, sondern die Anschläge in den nördlichen Grenzregionen durch militante Islamisten, die hauptsächlich in Mali und Burkina Faso stationiert sind (GW 5.1.2022). Für das gesamte Grenzgebiet zu Burkina Faso und Mali, und insbesondere die Grenzregion im Nordosten des Landes, besteht ein hohes Entführungsrisiko. Angesichts der Entwicklungen im Sahel und insbesondere der Sicherheitslage in Burkina Faso und in Mali besteht auch in der Elfenbeinküste ein latentes Risiko terroristischer Anschläge (AA 26.1.2022). Zum Beispiel wurden im Juni 2021 bei der Explosion eines Sprengsatzes bei Tehini im Grenzgebiet zu Burkina Faso mehrere Sicherheitskräfte getötet oder verletzt. Im März und April 2021 kam es zu Terrorangriffen mit islamistischem Hintergrund auf Sicherheitsposten der in Kafolo an der Grenze zu Burkina Faso. Mehrere Soldaten kamen dabei ums Leben (EDA 26.1.2022; vgl. BMEIA 26.1.2022, AA 26.1.2022). Zudem kam es im April 2021 in der Nähe von Kafolo zu einem Anschlag mit einem improvisierten Sprengsatz auf ein ziviles Kraftfahrzeug. Trotz verstärkter Sicherheitsmaßnahmen durch die Behörden besteht die latente terroristische Bedrohung fort (AA 26.1.2022).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.1.2022): Côte d'Ivoire: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/cotedivoiresicherheit/209460, Zugriff 26.1.2022
BMEIA - Bundesministerium für europäische und international Angelegenheiten [Österreich] (26.1.2022): Côte d'Ivoire, Reise und Aufenthalt, Gesundheit und Impfungen, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/cote-divoire/, Zugriff 26.1.2022
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (26.1.2022): Côte d’Ivoire, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/cote-d-ivoire/reisehinweise-fuercotedivoire.html#par_textimage_5, Zugriff 26.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
GW - Garda World (5.1.2022): Côte d'Ivoire - Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/cote-divoire, Zugriff 28.1.2022
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung und das Gesetz sehen eine unabhängige Justiz vor, und obwohl die Justiz in gewöhnlichen Strafsachen im Allgemeinen unabhängig ist, respektiert die Regierung die Unabhängigkeit der Justiz häufig nicht (USDOS 30.3.2021). Nach anderen Angaben ist die Justiz nicht unabhängig. Richter sind anfällig für externe Einflussnahme, Korruption und Bestechung sind innerhalb der Justiz nach wie vor endemisch (FH 3.3.2021). Im Jänner 2020 beklagten verschiedene Berufsverbände und Organisationen der Zivilgesellschaft die fortwährende Beeinträchtigung des Justizwesens durch die Exekutive und die Weigerung der Regierung, mehrere Gerichtsentscheidungen umzusetzen. Menschenrechtsorganisationen und politische Parteien behaupteten, die Regierung nutze das Justizsystem, um unterschiedliche Oppositionelle zu marginalisieren (USDOS 30.3.2021). Die Justiz wurde vollständig mobilisiert, um die dritte Amtszeit von Präsident Ouattara zu unterstützen (FH 3.3.2021).
In der Vergangenheit traten die Schwurgerichte (Sondergerichte, die bei Bedarf zur Verhandlung von Strafsachen mit Verbrechen einberufen werden) nur selten zusammen. Im Laufe des Jahres 2020 nahmen die ständigen Strafgerichte, die als Ersatz für die Schwurgerichte eingerichtet worden waren, um den Rückstau an Fällen zu beseitigen, ihre Arbeit auf (USDOS 30.3.2021). Im März 2020 billigte das Parlament Verfassungsänderungen, durch die der Oberste Gerichtshof abgeschafft und drei bestehende Gerichte als letzte Instanz eingesetzt wurden: der Kassationshof (Berufungsgericht), der Staatsrat (Conseil d'Etat) und der Rechnungshof (Cour des Comptes). Diese Gerichte sind für verschiedene Arten von Rechtsangelegenheiten zuständig. Der Cour de Cassation ist das höchste Berufungsgericht für Straf- und Zivilsachen. Der Conseil d'Etat ist das höchste Berufungsgericht für Verwaltungsstreitigkeiten. Der Cour des Comptes ist das oberste Rechnungsprüfungsorgan, das für die Überwachung der öffentlichen Finanzen und Konten zuständig ist. Zusätzlich zu diesen drei Gerichten entscheidet der Conseil Constitutionnel (Verfassungsrat) über die Wählbarkeit von Parlaments- und Präsidentschaftskandidaten, entscheidet über Streitigkeiten bei Wahlen, bestätigt Wahlergebnisse und urteilt über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verträgen (USDOS 30.3.2021).
Berichten zufolge gewähren die Militärgerichte den Angeklagten nicht die gleichen Rechte wie zivile Strafgerichte. Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass es zu keinen Prozessen gegen Zivilisten vor Militärgerichten gekommen ist (USDOS 30.3.2021).
Die Verfassung und das Gesetz sehen das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Justiz setzte dieses Recht manchmal nicht durch. Obwohl das Gesetz die Unschuldsvermutung und das Recht auf unverzügliche und ausführliche Unterrichtung über die Anklagepunkte vorsieht, wurde dies nicht immer eingehalten. Verurteilte haben Zugang zu Berufungsgerichten, aber höhere Gerichte hoben die Urteile nur selten auf (USDOS 30.3.2021).
Der relative Mangel an ausgebildeten Richtern und Anwälten führte zu einem eingeschränkten Zugang zu wirksamen Gerichtsverfahren, insbesondere außerhalb der Großstädte. Die Regierung nennt eine Zahl von 450 Richtern für eine Bevölkerung von schätzungsweise 27,5 Millionen (USDOS 30.3.2021).
In ländlichen Gebieten wird die Justiz häufig von traditionellen Institutionen auf Dorfebene ausgeübt, die häusliche Streitigkeiten und kleinere Landfragen nach dem Gewohnheitsrecht regeln. Die Streitbeilegung erfolgt durch ausführliche Debatten. Es wurden keine Fälle von körperlicher Bestrafung nach solchen, nach traditionellem Recht geführten Verfahren gemeldet. Das Gesetz sieht ausdrücklich einen sogenannten „großen Vermittler“ vor, der vom Präsidenten ernannt wird und eine Brücke zwischen traditionellen und modernen Methoden der Streitbeilegung schlagen soll (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Sicherheitsbehörden
Die Nationale Polizei, die dem Ministerium für Inneres und Sicherheit untersteht, und die Nationale Gendarmerie, die dem Verteidigungsministerium untersteht, sind für die Strafverfolgung im Inland zuständig. Das Koordinationszentrum für operative Entscheidungen, eine gemischte Einheit aus Polizei, Gendarmerie und Armee, unterstützt die Polizei bei der Gewährleistung der Sicherheit in einigen Großstädten. Die Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstellt sind, sind für die Landesverteidigung zuständig (USDOS 30.3.2021). Die Streitkräfte der Elfenbeinküste (Forces Armées de Côte d'Ivoire, FACI; auch bekannt als Republikanische Streitkräfte / Forces républicaines de Côte d'Ivoire, FRCI), bestehen aus dem Heer Armee (Armée de Terre), der Marine (Marine Nationale), der Luftwaffe (Force Aérienne Côte), und den Spezialkräften (Forces Spéciale) (2021) (CIA 18.1.2022). Die dem Ministerium für Sicherheit und Katastrophenschutz unterstellte Direktion für territoriale Überwachung (DTS) ist für die Abwehr interner Bedrohungen zuständig (USDOS 30.3.2021). Nichtstaatliche bewaffnete Akteure und ehemalige Rebellen verfügen über erheblichen Einfluss, insbesondere im Norden und Westen (FH 3.3.2021).
Den zivilen Behörden gelang es zeitweise nicht, die Sicherheitskräfte wirksam zu kontrollieren (USDOS 30.3.2021). Obwohl die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte nominell unter ziviler Kontrolle stehen, gibt es nach wie vor erhebliche Probleme mit parallelen Kommando- und Kontrollsystemen innerhalb der FRCI (FH 3.3.2021).
Angehörige der Sicherheitskräfte begingen einige Übergriffe (USDOS 30.3.2021).
Die Militärpolizei und das Militärgericht sind für die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung mutmaßlicher Übergriffe durch Angehörige der Sicherheitsdienste zuständig. Die Regierung berichtet über gesetzte Schritte, mit denen u.a. Sicherheitsbeamte, die des Missbrauchs beschuldigt werden, strafrechtlich verfolgt werden können. Opfer gemeldeter Übergriffe berichten allerdings, dass Täter nicht bestraft wurden (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (18.1.2022): The World Factbook, Côte d'Ivoire, Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/cote-divoire/#military-and-security, Zugriff 27.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Folter und unmenschliche Behandlung (USDOS 30.3.2021) und die Regierung verabschiedete Gesetze, die Folter als eigenständiges Verbrechen definierten (HRW 14.1.2020).
Es liegen keine Erkenntnisse vor, wonach Folter durch staatliche Stellen praktiziert wird. Eine widerstreitende Meinung vertritt die NGO Fédération internationale de l’Action des Chrétiens (FIACAT), welche in den Zuständen der Gefängnisse sowie in der teilweise langwierigen Verfahrensdauer eine Form der Misshandlung der Häftlinge und damit der Folter sieht (AA 9.10.2020). Menschenrechtsorganisationen berichten über Misshandlungen von Häftlingen zwischen Festnahme und Einlieferung in das Gefängnis, und dass Gefangene mitunter Gewalt und Missbrauch, einschließlich Schlägen und Erpressung, durch Gefängnisbeamte ausgesetzt sind. Auch die Strafvollzugsbehörden räumen ein, dass es zu Misshandlungen kommen kann, die nicht gemeldet werden, da die Gefangenen Repressalien fürchten (USDOS 30.3.2021).
Straflosigkeit war bei den Sicherheitskräften kein nennenswertes Problem, obwohl Berichten zufolge Angehörige der Sicherheitskräfte vereinzelte Übergriffe begangen haben, ohne bestraft zu werden. Die Regierung setzte die Militärpolizei und das Militärtribunal ein, um Übergriffe zu untersuchen (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022702.html, Zugriff 27.1.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung setzt dieses Gesetz nicht wirksam um. Es wird berichtet, dass Beamte sich häufig ungestraft an korrupten Praktiken beteiligen (USDOS 30.3.2021). Korruption und Bestechung sind nach wie vor weit verbreitet und betreffen vor allem die Justiz, die Polizei (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021) und das öffentliche Auftragswesen. Geringfügige Bestechung behindert auch den Zugang der Bürger zu öffentlichen Dienstleistungen, von der Erlangung einer Geburtsurkunde bis hin zur Zollabfertigung (FH 3.3.2021).
Eine öffentliche Antikorruptionsbehörde, die High Authority for Good Governance (HABG), wurde 2013 eingerichtet, gilt aber als ineffektiv. Das HABG verpflichtet Beamte zur Abgabe von Vermögenserklärungen, doch wird dies nicht ausreichend durchgesetzt. Täter auf allen Ebenen werden nur selten strafrechtlich verfolgt (FH 3.3.2021). Die HABG kann Empfehlungen aussprechen, aber die Staatsanwaltschaft muss entscheiden, ob sie einen Fall aufgreift. Zivilgesellschaftliche Gruppen und Regierungsbeamte berichten, dass die HABG nicht befugt ist, unabhängig zu handeln oder entscheidende Maßnahmen zu ergreifen. Der verfassungsmäßig vorgesehene Oberste Gerichtshof, der Regierungsmitglieder – einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten – wegen Straftaten in Ausübung ihres Amtes verurteilen kann, ist noch nicht eingerichtet worden (USDOS 30.3.2021).
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2020 von Transparency International belegte die Elfenbeinküste Rang 104 von 180 untersuchten Ländern (TI 1.2021).
Quellen:
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
TI - Transparency International (1.2021): Corruption Perceptions Index 2020, Côte d'Ivoire, https://images.transparencycdn.org/images/2020_Report_CPI_EN.pdf, Zugriff 12.1.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Eine Reihe lokaler und internationaler NGOs können im Allgemeinen frei arbeiten (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021) und untersuchen und veröffentlichen ihre Erkenntnisse über Menschenrechtsfälle (USDOS 30.3.2021). Die schlechten Sicherheitsbedingungen - vor allem im Norden und Westen des Landes - stellen jedoch für einige Organisationen eine Einschränkung dar (FH 3.3.2021).
Regierungsvertreter treffen sich mit einigen dieser Gruppen. Während die Regierung je nach Thema oder Fall einigermaßen kooperativ ist und auf Ansichten von NGOs eingeht, ist sie bei heikleren Themen defensiv (USDOS 30.3.2021).
Im Jahr 2020 wurden zahlreiche Aktivisten verhaftetet, darunter mehrere bekannte Anführer der Alternative Citoyenne Ivoirienne (ACI). Als Grund dafür wurden mehrere unrechtmäßige Anschuldigungen genannt, von „Untergrabung der öffentlichen Ordnung“ bis hin zur „Untergrabung der nationalen Verteidigung“. Die Verhafteten hatten sich kritisch zur Präsidentschaftskandidatur Ouattaras geäußert (FH 3.3.2021; vgl. AI 7.4.2021).
Quellen:
AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Côte d'Ivoire 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048661.html, Zugriff 13.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Wehrdienst und Rekrutierungen
Auf dem Papier existiert zwar eine Wehrpflicht, diese wird jedoch seit 1995 nicht mehr umgesetzt (AA 9.10.2020; vgl. CIA 18.1.2022). Der Eintritt in den Militärdienst erfolgt freiwillig (AA 9.10.2020). Das Alter für den obligatorischen und freiwilligen Militärdienst beträgt für Männer und Frauen 18-25 Jahre. Eine freiwillige Rekrutierung ehemaliger Rebellen ist auf das Alter von 22-29 Jahren beschränkt (CIA 18.1.2022). Die Heranziehung zum Militärdienst ist heute nicht mehr an Merkmale wie Rasse, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung gebunden (AA 9.10.2020).
Für unterschiedliche Gruppen von Deserteuren gibt es unterschiedlich harte Strafen, welche im militärischen Strafgesetzbuch geregelt sind. Hier wird einerseits eine Unterscheidung zwischen Desertion in Friedens- bzw. Kriegszeiten getroffen sowie zwischen Desertion im Inland oder ins Ausland, bewaffneter Fahnenflucht oder Fahnenflucht und Übertritt zum Feind. Je nach Straftatbestand beläuft sich das Strafmaß auf ein Jahr bis hin zu zwanzig Jahren Haft. Die Entlassung aus dem Militär kann ebenfalls erfolgen (AA 9.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (18.1.2022): The World Factbook, Côte d‘Ivoire, Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/cote-divoire/#military-and-security, Zugriff 27.1.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Es gibt keine Berichte darüber, dass die Regierung willkürliche oder ungesetzliche Tötungen begangen hat (USDOS 30.3.2021).
Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören vorübergehendes Verschwindenlassen durch die Regierung; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen oder Inhaftierungen durch die Streitkräfte; politisch motivierte Repressalien gegen Personen, die sich außerhalb des Landes aufhalten; politische Gefangene oder Inhaftierte; mangelnde Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit; Behinderungen des Rechts auf friedliche Versammlung und Vereinigung; Gewaltverbrechen gegen Frauen und Mädchen, welche die Regierung kaum strafrechtlich verfolgt; Gewaltverbrechen gegen Angehörige sexueller Minderheiten. Die Regierung hat über Schritte berichtet, um Beamte der Sicherheits- und anderer Behörden, die des Missbrauchs beschuldigt wurden, strafrechtlich zu verfolgen. Opfer gemeldeter Übergriffe erklären hingegen, dass Täter nicht verfolgt wurden (USDOS 30.3.2021).
Das Ministerium für Justiz und Menschenrechte ist für die Umsetzung der Menschenrechtspolitik der Regierung zuständig. Im Jänner 2019 wurde die Nationale Menschenrechtskommission in den Nationalen Rat für Menschenrechte umbenannt. Die Änderung sollte dem Rat eigentlich mehr finanzielle und operative Autonomie verschaffen. Die Organisation blieb jedoch weiterhin vollständig von der Finanzierung durch die Regierung und Geber abhängig. Dementsprechend stellen Menschenrechtsorganisationen ihre Unabhängigkeit und Wirksamkeit weiterhin in Frage. Die zivil kontrollierte Sonderermittlungszelle des Ministeriums für Justiz und Menschenrechte ermittelt gegen Personen, die für Menschenrechtsverletzungen während der Krise nach den Wahlen von 2010/11 verantwortlich waren (USDOS 30.3.2021).
Eine Reihe von Gesetzesreformen führte zu Verbesserungen beim Schutz der Menschenrechte. Die Regierung verabschiedete Gesetze, die Folter als eigenständiges Verbrechen definieren. Zudem wurden Maßnahmen gesetzt, um den Rückgriff auf die Untersuchungshaft zu verringern. Einige Bestimmungen der neuen Gesetze können jedoch zur Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit genutzt werden (HRW 14.1.2020).
Und die Behörden schränkten das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung auch schon ein (AI 7.4.2021). Obwohl sich die Bevölkerung im Allgemeinen frei an politischen Diskussionen und Debatten beteiligen kann, wurden Politik und Regierungsparteien im Umfeld der Wahlen 2020 zu gefährlichen Themen. Einzelpersonen waren Einschüchterungen, Drohungen und physischer Gewalt ausgesetzt. Während und nach den Wahlen griffen Milizen und unbekannte Akteure Anhänger der Opposition an, die sich während des Wahlboykotts versammelt und demonstriert hatten. In Abidjan und mindestens acht weiteren Städten gingen Oppositions- und Regierungsanhänger mit Macheten, Knüppeln und Jagdgewehren auf die Straße. Mehr als 50 Menschen wurden von Mitgliedern der Milizen getötet (FH 3.3.2021). Nach offiziellen Angaben lautete die Bilanz zwischen 10. und 14.8.2020: Fünf Tote, 104 Verletzte und 68 Festnahmen von Personen, die der "Störung der öffentlichen Ordnung, der Anstiftung zum Aufruhr, der Gewalt gegen Beamte und der Zerstörung von Eigentum" beschuldigt wurden (AI 7.4.2021)
Auch Sicherheitskräfte gingen ungestraft mit exzessiver Gewalt gegen friedliche Demonstranten vor (AI 7.4.2021). Zudem haben sie bei Gewalt gegen Oppositionsanhänger nicht eingegriffen. Dies hat Menschen davon abgehalten, ihre politischen Ansichten offen zu äußern (FH 3.3.2021).
Quellen:
AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Côte d'Ivoire 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048661.html, Zugriff 13.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022702.html, Zugriff 27.1.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Meinungs- und Pressefreiheit
Sowohl die Verfassung als auch internationale und regionale Menschenrechtsinstrumente, die von der Elfenbeinküste ratifiziert wurden, stützen das Recht auf Meinungsfreiheit. Meinungs- und Pressefreiheit sind – bis auf einige Einschränkungen – meist gewährleistet (AA 9.10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Das Gesetz verbietet Anstiftung zu Gewalt, ethnischem Hass und Rebellion, sowie die Beleidigung des Staatschefs oder anderer hochrangiger Mitglieder der Regierung. Manchmal unternimmt die Regierung Schritte, um solche Inhalte aus den sozialen Medien zu entfernen – so z.B. im Jänner 2020, als ein anonymer Facebook-Nutzer zu tödlicher Gewalt gegen römisch-katholische Christen aufgerufen hatte. In anderen Fällen warf die praktische Anwendung dieses Gesetzes Fragen der politischen Einflussnahme auf (USDOS 30.3.2021).
Andererseits bleiben die öffentlichen Medien fest unter der Kontrolle der Regierung. Zusätzlich gibt es aber eine Fülle von privaten Medien, welche die Regierung offen kritisieren. Der Nationale Kommunikationsrat setzt sich stärker für oppositionelle Zeitungen ein als für regierungsnahe (BTI 2020). Unabhängige Medien sind aktiv und bringen ein breites Spektrum an Meinungen zum Ausdruck. Es gibt zahlreiche unabhängige Radiosender (USDOS 30.3.2021). Die meisten nationalen Medien – v.a. Zeitungen – sind in ihrer Berichterstattung allerdings parteiisch und bevorzugen entweder die Regierung oder die Opposition (FH 3.3.2021). Daneben gibt es Printerzeugnisse verschiedener Positionen. Eine parteineutrale Berichterstattung gibt es allerdings selten. Der Einfluss von oppositionellen Printmedien im Gegensatz zu den staatlichen TV-Sendern ist durch die niedrige Alphabetisierungsrate und der geringen Auflage eingeschränkt. NGOs werfen dem unabhängigen Nationalen Presserat (CNP) vor, Suspendierungen und Sanktionen unverhältnismäßig häufig gegen Oppositionsmedien zu verwenden (AA 9.10.2020).
Trotzdem veröffentlichen Zeitungen, die politisch der Opposition nahestehen, häufig Leitartikel, in denen die Regierung verurteilt wird oder aber sie fabrizierten Geschichten, um politische Gegner zu diffamieren. Die journalistischen Standards werden sowohl von regierungs- als auch von oppositionsnahen Medien missachtet. Dies führt mitunter zu Verleumdungsvorwürfen und in der Folge zu Klagen, wonach oppositionelle Medien eher wegen dieses Delikts angeklagt werden würden (USDOS 30.3.2021). Nach anderen Angaben sind oppositionelle Medien weiterhin Drohungen und Druck seitens der Regierung ausgesetzt – insbesondere während des Wahlkampfs. Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur freien Meinungsäußerung werden somit in der Praxis nur teilweise eingehalten (BTI 2020).
Die Situation der Presse hat sich seit dem Ende des Konflikts in den Jahren 2010/11 verbessert, und es kommt nur noch selten zu schweren Gewalttaten gegen Journalisten. Allerdings sind Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit Einschüchterungen und gelegentlicher Gewalt durch Sicherheitskräfte ausgesetzt (FH 3.3.2021). Sowohl unabhängige Journalisten als auch solche, die den staatlichen Medien angehören, geben an, dass sie regelmäßig Selbstzensur ausüben, um Sanktionen oder Repressalien zu vermeiden. Die CNP suspendiert oder verwarnt kurzzeitig Zeitungen und Journalisten wegen Äußerungen, die ihrer Meinung nach falsch oder verleumderisch sind oder zu Fremdenfeindlichkeit und Hass aufstacheln. Dabei werden Verleumdungen, die das nationale Interesse bedrohen, mit sechs Monaten bis fünf Jahren Gefängnis und hohen Geldstrafen bedroht (USDOS 30.3.2021). Politische Aktivisten, Journalisten und andere Personen, die sich abweichend äußerten, wurden schikaniert und willkürlich verhaftet (AI 7.4.2021).
Das Gesetz verbietet „die Inhaftierung von Journalisten in Polizeigewahrsam, die Präventivhaft und die Inhaftierung von Journalisten wegen Straftaten, die durch die Presse oder durch andere Publikationsmittel begangen wurden“. Das Gesetz sieht jedoch hohe Geldstrafen für alle vor, die sich der Begehung von Straftaten durch die Presse oder andere Publikationsmittel schuldig gemacht haben. Zudem werden Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung manchmal von den Behörden mit Gewalt, Schikanen oder Einschüchterungen konfrontiert (USDOS 30.3.2021). Journalisten bleiben prinzipiell anfällig für Missbrauch durch die Polizei (BTI 2020). Einige wurden von der Polizei festgenommen, inhaftiert und geschlagen, als sie über Proteste und Gewalt während und nach den Wahlen 2020 berichteten (FH 3.3.2021). In der Rangliste der Pressefreiheit 2021 von Reporter ohne Grenzen befindet sich die Elfenbeinküste auf Platz 66 von 180 gelisteten Ländern (RSF 2021).
Das Gesetz verbietet Radiosendern die Ausstrahlung politischer Kommentare durch kommunale Radiosender, aber die Regulierungsbehörde erlaubt kommunalen Radiosendern die Ausstrahlung politischer Programme, wenn sie professionelle Journalisten beschäftigen. Die Eigentümer berichten jedoch, dass sie sich häufig selbst zensieren und die Ausstrahlung politischer Inhalte vermeiden, weil sie Sanktionen oder eine Abschaltung durch die Kommunikationsbehörde befürchten. Insgesamt nimmt die Regierung sowohl auf die Berichterstattung und die Programminhalte der Fernsehsender als auch auf jene öffentlicher und privater Radiosender Einfluss. Die Kontrolle der Regierung über die wichtigsten staatlichen Fernsehsender wird von der Opposition und der Zivilgesellschaft stark kritisiert (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Côte d'Ivoire 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048661.html, Zugriff 13.1.2022
BTI - Bertelsmann Transformation Index (ohne Datum): BTI 2020 Côte d'Ivoire, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_CIV.pdf, Zugriff 20.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
RSF - Reporters Sans Frontières (2021): Rangliste der Pressefreiheit 2020, Côte d’Ivoire, https://rsf.org/en/ranking/2021#, Zugriff 12.1.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Das Gesetz sieht Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit vor, aber die Regierung respektiert dieses Recht nicht immer. Das Gesetz schreibt vor, dass Gruppen, die Demonstrationen oder Kundgebungen in Stadien oder anderen geschlossenen Räumen abhalten wollen, mindestens drei Tage vor der geplanten Veranstaltung eine schriftliche Anmeldung bei der Regierung einreichen müssen. Die Organisatoren müssen die Genehmigung der Regierung einholen, um die Veranstaltung durchführen zu können (USDOS 30.3.2021). Die Versammlungsfreiheit wurde bereits mit der Revision des Strafgesetzbuches vom Juni 2019 eingeschränkt. Im Falle von nicht angemeldeten oder verbotenen Versammlungen kann es zur Verhängung von ein- bis dreijährigen Haftstrafen kommen (FH 3.3.2021).
Im August 2020 wurden politische Aktivisten, Vertreter der Zivilgesellschaft und andere, die zu Demonstrationen aufgerufen oder an friedlichen Protesten gegen die Kandidatur des Präsidenten teilgenommen hatten, willkürlich verhaftet (AI 7.4.2021). Damals wurden mehrere von der Opposition organisierte Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. Zwischen 10. und 14.8.2020 gab es dabei laut offiziellen Angaben fünf Todesopfer, 104 Verletzte und 68 Festnahmen von Personen, die der „Störung der öffentlichen Ordnung, der Anstiftung zum Aufruhr, der Gewalt gegen Ordnungskräfte und der Zerstörung von Eigentum“ beschuldigt wurden. Am 19.8.2020 wurden vom Ministerrat alle öffentlichen Proteste verboten. Dieses Verbot wurde bis Dezember 2020 mehrmals verlängert. Wahlkampfveranstaltungen waren erlaubt (AI 7.4.2021). Präsident Ouattara verbot demnach während der gesamten Wahlperiode 2020 öffentliche Demonstrationen und Proteste. Die Polizei löste Proteste und andere Akte des zivilen Ungehorsams, die auf den Wahlboykott der Opposition zurückzuführen waren, gewaltsam auf. Bewaffnete Milizen griffen unbewaffnete Demonstranten während des gesamten Wahlzeitraums ungestraft brutal an. Häufig kam es zu Zusammenstößen zwischen regierungsnahen Gruppen und Anhängern der Opposition. Insgesamt wurden über 50 Menschen bei Demonstrationen getötet (FH 3.3.2021).
Quellen:
AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Côte d'Ivoire 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048661.html, Zugriff 13.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Opposition
Das Gesetz verbietet die Bildung politischer Parteien entlang ethnischer oder religiöser Linien. In der Vergangenheit gab es derartige Verbindungen zwischen ethnischen Gruppen und bestimmten politischen Parteien (USDOS 30.3.2021).
Oppositionelle politische Gruppen berichten immer wieder über die Ablehnung ihrer Anträge auf Abhaltung politischer Versammlungen und über angeblich uneinheitliche Standards bei der Erteilung von Genehmigungen für öffentliche Versammlungen (BTI 2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Nach der Regierungsverordnung vom August 2020, mit welcher Demonstrationen auf öffentlichen Straßen verboten wurden, und den anschließenden Verhaftungen von Oppositionsanhängern, die an nicht genehmigten Demonstrationen teilnahmen, berichteten die Medien über Bilder von Anhängern der Regierungskoalition, die auf dem Weg zur offiziellen Nominierung von Präsident Ouattara als Präsidentschaftskandidat ungehindert durch die Straßen marschierten (USDOS 30.3.2021).
Im August 2020 riefen mehrere Oppositionsparteien und Einzelpersonen, sowie auch eine zivilgesellschaftliche Organisation, über soziale Medien zu Demonstrationen gegen die Absicht von Präsident Ouattara auf, eine dritte Amtszeit anzustreben. Im ganzen Land fanden mehrere Demonstrationen statt, von denen einige in Ausschreitungen ausarteten. Es kam zu Verhaftungen und zu Anklagen wegen Anstiftung zu Unruhen, Störung der öffentlichen Ordnung, Aufruf zum Aufruhr, Gewalt und Körperverletzung sowie Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum (USDOS 30.3.2021). Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 kam es zu Einschüchterungen, Drohungen und körperlicher Gewalt. Die Oppositionsparteien boykottierten die Wahlen und veranstalteten im Vorfeld des Wahltages im Oktober zahlreiche Protestmärsche, Sitzstreiks und Demonstrationen, obwohl die Regierung von August bis Oktober alle Proteste verboten hatte. Anhänger der Opposition sahen sich Drohungen von Polizei und Militär ausgesetzt, die es zudem versäumten, die Sicherheit der Bürger während und nach dem Wahltag zu gewährleisten. Die Sicherheitskräfte gingen mit Gewalt gegen die Demonstranten vor und töteten mehrere Demonstranten während des Wahlkampfes. Auch bewaffnete Milizen griffen unbewaffnete Demonstranten während der gesamten Wahlperiode brutal und ungestraft an. Mehr als 50 Menschen wurden von Milizionären getötet, Täter blieben ungestraft. Oppositions- und Regierungsanhänger gingen in Abidjan und in mindestens acht weiteren Städten mit Macheten, Knüppeln und Jagdgewehren auf die Straße. Die Sicherheitskräfte sahen über die Gewalt gegen Oppositionsanhänger weitgehend hinweg (FH 3.3.2021), und es kam zu einer Reihe von willkürlichen Verhaftungen von politischen Aktivisten, Vertretern der Zivilgesellschaft und weiteren Personen, die zu Demonstrationen aufgerufen bzw. an friedlichen Protesten gegen die Präsidentschaftskandidatur teilgenommen hatten. Mehrere Oppositionelle wurden im November 2020 de facto unter Hausarrest gestellt, nachdem sie den Nationalen Übergangsrat gegründet hatten (AI 7.4.2021).
Menschenrechtsorganisationen und politische Parteien behaupten, dass die Regierung die Justiz dazu nutze, Oppositionelle zu marginalisieren. Die Regierung leugnet, dass es politische Gefangene gibt, doch wurden Ende 2019 und im Laufe des Jahres mehrere Mitglieder von Oppositionsparteien aufgrund verschiedener strafrechtlicher Anschuldigungen verhaftet (USDOS 30.3.2021). Bei mehreren Gelegenheiten haben Polizei oder Gendarmerie Oppositionspolitiker und Aktivisten der Zivilgesellschaft, die regierungsfeindliche Demonstrationen organisiert haben, festgenommen und kurzzeitig inhaftiert (HRW 14.1.2020). Berichten zufolge gewähren Beamte inhaftierten Mitgliedern von Oppositionsparteien den gleichen Schutz wie anderen Gefangenen (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Côte d'Ivoire 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048661.html, Zugriff 13.1.2022
BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Côte d’Ivoire, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_CIV.pdf, Zugriff 20.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Haftbedingungen
Die Haftbedingungen sind aufgrund unzureichender Verpflegung und sanitärer Bedingungen, grober Überbelegung, und fehlender medizinischer Versorgung hart und ungesund (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 14.1.2020). Die Überbelegung der Gefängnisse stellt weiterhin ein Problem dar. Die Haftanstalten sind für maximal 8.000 Gefangene ausgelegt, die Anzahl an Häftlingen betrug aber Ende August 2020 insgesamt 21.430. In mindestens einem Gefängnis schliefen die Häftlinge Berichten zufolge dicht gedrängt auf dem Boden (USDOS 30.3.2021). Am 8.4.2021 ließen die Behörden mehr als 2.000 Gefangene frei, um die Überlastung der Gefängnisse zu verringern und damit die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen (AI 7.4.2021).
Eine lange Untersuchungshaft ist sowohl für Erwachsene als auch für Minderjährige ein ernstes Problem, wobei einige Häftlinge jahrelang ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis sitzen. Ende 2018 verabschiedete das Unterhaus eine neue Strafprozessordnung, die Änderungen bei den Strafgerichten vorsieht, um den Rückstau zu beseitigen (FH 3.3.2021).
In einigen Gefängnissen sind Jugendliche zusammen mit Erwachsenen untergebracht (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). In den meisten Gefängnissen sind Männer und Frauen in getrennten Gefängnisbereichen untergebracht. Untersuchungshäftlinge werden häufig zusammen mit verurteilten Gefangenen untergebracht. Die Kinder weiblicher Insassen leben häufig bei ihren Müttern im Gefängnis (USDOS 30.3.2021).
Korruption unter den Gefängniswärtern sorgt für eine bessere Behandlung derer, die es sich leisten können, während diejenigen Gefangenen mit wenig oder gar keinen finanziellen Mitteln in sehr beengten, schmutzigen Zellen einsitzen. Auch das Besuchsrecht von Familienmitgliedern hängt häufig von Bezahlung ab (AA 9.10.2020). Menschenrechtsorganisationen berichten, dass auch prominente oder politisch aktive Gefangene manchmal etwas bessere Lebensbedingungen haben als andere Gefangene, während ärmere Gefangene nur unregelmäßig ausreichend Nahrung erhalten. Familien ergänzen routinemäßig die Rationen von Verwandten im Gefängnis, wenn sie die Mittel dazu haben. Nach Beschwerden verbesserten einige Gefängnisse Hygiene und Ernährung (USDOS 30.3.2021).
Unter bestimmten Umständen gestattete die Regierung NGOs, Gefangene mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern zu versorgen, darunter auch mit Gegenständen zur Verhinderung der Ausbreitung von Covid-19 – wie Masken, Isolierzelten und Hygienekits (USDOS 30.3.2021).
Gewalt unter den Insassen wird mit Gewalt durch Gefängniswärter beantwortet (AA 9.10.2020). Die Gefängnisbehörden räumen ein, dass es zu Misshandlungen kommen kann, und dass Häftlinge derartige Vorfälle aus Angst vor Repressalien nicht melden. Theoretisch können sich Insassen bei der Gefängnisleitung über Misshandlungen beschweren; der Regierung waren jedoch für das gesamte Jahr 2020 keine derartigen Fälle bekannt (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung gewährt den Vereinten Nationen sowie lokalen und internationalen NGOs im Allgemeinen angemessenen Zugang zu den Gefängnissen, nicht aber zu den von der DST (Direction de la surveillance du territoire) betriebenen Haftanstalten. Dort mangelt es Gefangenen Berichten zufolge am Zugang zu Anwälten und Familien (USDOS 30.3.2021).
Berichten zufolge gewähren die Behörden den politischen Gefangenen den gleichen Schutz wie anderen Gefangenen, einschließlich des Zugangs durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Côte d'Ivoire 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048661.html, Zugriff 13.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022702.html, Zugriff 27.1.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Todesstrafe
Seit der Unabhängigkeit der Elfenbeinküste 1960 wurde die Todesstrafe nicht vollstreckt. Das ivorische Parlament hat 2015 das in Art. 2 Abs. 2 der Verfassung aus dem Jahre 2000 geregelte Verbot von Strafen, die den Entzug des Lebens nach sich ziehen, durch Änderung des materiellen Strafrechts umgesetzt. Durch ein Änderungsgesetz vom 2.3.2015 zum Strafgesetzbuch wurde die Strafandrohung der Todesstrafe für Mord aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die Verfassung von 2016 erhebt in Art. 3 Abs. 3 die Abschaffung der Todesstrafe nun auch explizit auf Verfassungsrang (AA 9.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 29.1.2021
Religionsfreiheit
Laut der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2014 sind 42,9 Prozent der Bevölkerung Muslime, 33,9 Prozent Christen (17,2 Prozent Katholiken, 11,8 Prozent Evangelikale, 1,7 Prozent Methodisten, 3,2 Prozent andere) und 3,6 Prozent Anhänger indigener Religionen (USDOS 12.5.2021; vgl. CIA 18.1.2022). Viele Menschen, die sich als Christen oder Muslime bezeichnen, praktizieren auch einige Aspekte indigener religiöser Überzeugungen. Im Norden des Landes sind die Muslime in der Mehrheit, im Süden sind die Christen in der Mehrheit. Angehörige beider Gruppen sowie anderer religiöser Gruppen sind im ganzen Land ansässig (USDOS 12.5.2021).
Die Verfassung schreibt einen säkularen Staat vor, der alle Glaubensrichtungen respektiert und alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt, unabhängig von ihrer Religion (USDOS 12.5.2021), und diese gesetzlichen Garantien werden auch in der Regel eingehalten und jede Person kann ihren Glauben in der Öffentlichkeit und im Privatleben frei ausüben (FH 3.3.2021). Die Verfassung verbietet ausdrücklich religiöse Diskriminierung in der Arbeitswelt und sieht die Gewissens-, Glaubens- und Kultusfreiheit im Einklang mit dem Gesetz, den Rechten anderer, der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung vor. "Propaganda", die zu religiösem Hass aufruft ist verboten (USDOS 12.5.2021).
Die muslimisch-christliche Nord-Süd-Spaltung ist seit Jahrzehnten ein hervorstechendes Merkmal des Lebens und wurde durch die Krise von 2002 bis 2011 noch verschärft, aber die Spannungen haben sich weitgehend abgebaut. Seitdem hat sich die Spaltung verringert, und die derzeitige Regierungskoalition umfasst Muslime und Christen (FH 3.3.2021).
Quellen:
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (18.1.2022): The World Factbook, Côte d'Ivoire, Religions, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/cote-divoire/#military-and-security, Zugriff 27.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051537.html, Zugriff 18.1.2022
Minderheiten
In dem Land gibt es mehr als 60 ethnische Gruppen (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021), darunter Akan (28,9 Prozent), Volta/Gur (16,1 Prozent), Nord-Mande (14,5 Prozent), Kru (8,5 Prozent) und Süd-Mande (6,9 Prozent) (CIA 18.1.2022). Die Behörden betrachten etwa 25 Prozent der Bevölkerung als Ausländer, obwohl viele in dieser Kategorie in der zweiten oder dritten Generation ansässig sind (USDOS 30.3.2021; vgl. CIA 18.1.2022).
Die politischen Parteien sind ethnisch nicht homogen obwohl jede von ihnen tendenziell von bestimmten ethnischen Gruppen dominiert wird (FH 3.3.2021). Das Gesetz verbietet Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Stammesdenken und macht diese Formen der Intoleranz mit fünf bis zehn Jahren Haft strafbar. Allerdings berichten Menschenrechtsorganisationen, dass ethnische Diskriminierung ein Problem darstellt. Die Gesetze zum Landbesitz sind nach wie vor unklar und werden nicht angewendet, was zu Konflikten zwischen der einheimischen Bevölkerung und anderen Gruppen führt (USDOS 30.3.2021).
Im Umfeld der Präsidentschaftswahlen kam es zu zahlreichen inter-ethnischen Zusammenstößen. Bei einem besonders gewalttätigen Zusammenstoß in Dabou zwischen den Malinke und den Adjoukrou gab es 16 Todesopfer und 67 Verletzte. Regierungsbeamte stellten fest, dass die Gewalt von unbekannten externen Akteuren angezettelt wurde, die den Konflikt möglicherweise zu politischen Zwecken anheizen wollten. Die Sicherheitskräfte blieben mehrere Tage lang vor Ort (USDOS 30.3.2021).
Im November 2020 brachen in den ländlichen Städten im Landesinneren, in Daoukro, zwischen Baoule und Malinke, und in M'Batto, zwischen Agni und Malinke, brutale Konflikte zwischen den Gemeinden aus. Die Regierung meldete sechs Tote in Daoukro und drei Tote in M'Batto, darunter zwei Verbrennungen und eine Enthauptung. Eine Oppositionspartei behauptete, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer viel höher liegt (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (18.1.2022): The World Factbook, Côte d'Ivoire, Religions, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/cote-divoire/#military-and-security, Zugriff 27.1.2022
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Bewegungsfreiheit
Die Verfassung und das Gesetz sehen nicht ausdrücklich das Recht auf Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Auswanderung oder Rückkehr vor. Trotzdem respektiert die Regierung diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021).
Die Möglichkeiten zur Bewegungsfreiheit haben sich seit 2011 verbessert. Allerdings gibt es in einigen Gebieten weiterhin irreguläre Kontrollpunkte und Erpressungen, insbesondere im Westen und Norden sowie in der Nähe von Gold- und Diamanten-Fördergebieten. Frauen wird im Allgemeinen gleiche Bewegungsfreiheit gewährt. Allerdings wird diese durch Sicherheitsrisiken und das Risiko sexueller Gewalt in der Praxis behindert (FH 3.3.2021).
Quellen:
FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Côte d'Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046505.html, Zugriff 29.12.2021
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
IDPs und Flüchtlinge
Es gibt keine nationale, systematische Erhebung von Daten über Binnenvertriebene / IDPs (IDMC 12.2021). Laut Schätzungen internationaler Organisationen und der Regierung gab es Mitte Dezember 2020 aufgrund der befürchteten oder erlebten Gewalt im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen (31.10.2020) etwa 3.000 oder auch bis zu 5.530 IDPs. Ende November und Anfang Dezember 2020 kehrten diese Menschen freiwillig nach Hause zurück. Die Regierung koordinierte aktiv mit internationalen Organisationen die Registrierung und Erbringung von Dienstleistungen für IDPs (USDOS 30.3.2021; vgl. IDMC 12.2021).
Die Regierung arbeitete mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylwerbern, Staatenlosen und anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu gewähren. Die Verfassung und das Gesetz sehen die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet. Flüchtlingsdokumente erlauben es Flüchtlingen, sich frei im Land zu bewegen. Flüchtlinge haben auch Zugang zur Einbürgerung. Die Regierung gewährt auch jenen Personen vorübergehenden Schutz, die nach den einschlägigen UN-Konventionen nicht mehr als Flüchtlinge gelten (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (formerly Global IDP Project) (12.2021): 2021 Internal Displacement Index report, https://www.internal-displacement.org/sites/default/files/publications/documents/IDMC_Internal_Displacement_Index_Report_2021.pdf, Zugriff 4.12.2022
USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Côte d’Ivoire, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048151.html, Zugriff 30.12.2021
Grundversorgung und Wirtschaft
Eine staatliche Gewährleistung der Grundversorgung der Bevölkerung gibt es nicht. Zwar gewährleistet die tropische Landwirtschaft in manchen Gebieten eine ausreichende Versorgung der Menschen auf Subsistenzbasis, aber vor allem in den ländlichen Regionen im Norden und Westen des Landes besteht eine große Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung. Betroffen sind insbesondere von Frauen geführte Haushalte (AA 9.10.2020).
Es existiert kein Sozialversicherungssystem, keine Sozialhilfe und staatliche Hilfen sind praktisch nicht vorhanden. Staatliche Aufnahmeeinrichtungen oder andere Hilfen, die über das hinausgehen, was der restlichen Bevölkerung zur Verfügung steht, gibt es nicht. Bedürftige sind ausschließlich auf die Unterstützung von Familienangehörigen, NGOs, Kirchen oder Privatpersonen angewiesen. Die meisten dieser Anlauflaufstellen sind jedoch nicht in der Lage, regelmäßige Unterstützung zu leisten. Es werden häufig nur einmalige Verteilaktionen in verschiedenen Regionen des Landes organisiert. Auch internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm WFP bieten Hilfeleistungen an. WFP setzt hier den Schwerpunkt auf die Versorgung von Kindern und Frauen durch Lebensmittel und Geldleistungen (AA 9.10.2020).
Die Arbeitslosenquote wird mit 3,5 Prozent, die Inflationsrate mit 2,43 Prozent angegeben (laenderdaten.info o.D.). Im Human Development Index (HDI) der Vereinigten Nationen für 2020 belegt das Land Rang 162 von 189 gelisteten Staaten (HDI o.D.). Dabei erfreut sich die Elfenbeinküste seit 2012 eines dynamischen, robusten und stabilen Wirtschaftswachstums, das sich jedoch 2020 aufgrund der Covid-19-Krise verlangsamt hat. Dennoch hat sich der Wert auf dem Humankapitalindex der Weltbank im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 leicht verbessert. Die Armut ist von 46,3 Prozent im Jahr 2015 auf 39,4 Prozent im Jahr 2020 stark zurückgegangen, aber dieser Rückgang beschränkte sich auf die städtischen Gebiete, da die Armut auf dem Land im gleichen Zeitraum um 2,4 Prozent zunahm (WB 3.5.2021).
Vor der durch die Pandemie ausgelösten globalen Krise, verfügte die Elfenbeinküste über eine der robustesten Volkswirtschaften Afrikas und der Welt und wuchs seit 2012 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 8 Prozent. Die globale Gesundheitssituation wirkte sich jedoch negativ auf Haushalte und Unternehmen aus und verlangsamte die Wachstumsrate auf 1,8 Prozent im Jahr 2020. Es wird erwartet, dass die robuste Inlandsnachfrage und stabile Exporte die wirtschaftliche Erholung des Landes im Jahr 2021 vorantreiben werden (WB 3.5.2021). Eine andere Quelle geht davon aus, dass sich die Elfenbeinküste bereits von der durch die Covid-19-Pandemie verursachten Rezession und den damit verbundenen, spürbar negativen Auswirkungen auf das robuste Wirtschaftswachstum erholen konnte. Diese Erholung beruht wiederum auf einer günstigen Produktion und den relativ hohen Preisen für das wichtigste Exportprodukt Kakao (GW 5.1.2022). Die Elfenbeinküste bleibt das wirtschaftliche Zentrum des frankophonen Westafrikas und übt erheblichen Einfluss in der Region aus (WB 3.5.2021).
Während 2019 der Bausektor und die öffentlichen Investitionen die wichtigsten Wachstumsmotoren waren, dürften 2021 das verarbeitende Gewerbe, der Dienstleistungssektor und die Exporte den wirtschaftlichen Umschwung unterstützen. Die größte Herausforderung bleibt die Umsetzung einer Reformagenda, die eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung und ein inklusiveres Wachstum durch die Förderung des Privatsektors fördert (WB 3.5.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
GW - Garda World (5.1.2022): Côte d'Ivoire - Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/cote-divoire, Zugriff 28.1.2022
laenderdaten.info (ohne Datum): Elfenbeinküste, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Elfenbeinkueste/index.php, Zugriff 28.1.2022
WB - Worldbank (3.5.2021): The World Bank in Côte d’Ivoire, https://www.worldbank.org/en/country/cotedivoire/overview#1, Zugriff 26.1.2022
Medizinische Versorgung
Es gibt eine medizinische Infrastruktur, darunter zahlreiche private Kliniken sowie einige größere staatliche Krankenhäuser, welche sich jedoch zum größten Teil in Abidjan befinden. In ländlicheren Regionen gibt es kleinere Kliniken und Praxen, die aber für Behandlungen komplizierterer Erkrankungen nicht ausgestattet sind (AA 9.10.2020). Es gibt einige gute Privatkliniken mit einem großen Spektrum an Fachärzten. Dort können auch Notfalloperationen durchgeführt werden (AA 29.1.2022). Die öffentlichen Krankenhäuser entsprechen nicht dem europäischen Standard. Es herrschen schlechte hygienische Verhältnisse, ein Mangel an Fachpersonal und – v.a. im Landesinneren – eine unzureichende Versorgung mit Medikamenten (BMEIA 26.1.2022).
Außerhalb von Abidjan ist die medizinische Grundversorgung nur teilweise gewährleistet. Krankenhäuser verlangen eine Vorschusszahlung (Bargeld) bevor sie Patienten behandeln (EDA 26.1.2022; vgl. AA 29.1.2022). Grundsätzlich hängen Qualität und Möglichkeiten der Behandlung in erheblichem Maße von den verfügbaren finanziellen Mitteln des Patienten ab. Häufig stellt bereits der Transport eines Patienten in das nächstgelegene Krankenhaus eine finanzielle Hürde dar. Die Behandlung selbst ist in staatlichen Krankenhäusern kostenlos, jedoch müssen erforderliche Medikamente und Behandlungsmaterialien wie Handschuhe, Verbände etc. vorab selbst gekauft werden. Es gibt in manchen Krankenhäusern eine Art Sozialdienst, der im Notfall einspringen kann. Wartezeiten und Ausstattung öffentlicher Krankenhäuser sind wesentlich schlechter als bei Privatkliniken. Die stationäre Aufnahme im Krankenhaus erfolgt nur gegen vorherige Zahlung eines geringen Tagesgeldsatzes. Es werden immer wieder Fälle bekannt, in denen auch in Notfällen die medizinische Grundversorgung nicht (oder nur nach Zahlung eines Bestechungsgelds) gewährt wird (AA 9.10.2020).
Chronische, verbreitete Erkrankungen wie HIV/AIDS können im Rahmen einer retroviralen Therapie behandelt werden. Die Medikamente hierfür werden kostenfrei ausgegeben. Fachwissen für Diagnostik und Behandlung anderer Krankheiten ist überwiegend im privaten Gesundheitssektor vorhanden, jedoch mit entsprechend hohen Kosten verbunden (AA 9.10.2020).
Die Dichte an Apotheken ist in den größeren Städten hoch. Sie sind gut ausgestattet und verkaufen gängige Medikamente aller Art – meist sogar rezeptfrei. Viele Medikamente werden zudem staatlich subventioniert, sodass diese auch für finanziell schlechter gestellte Patienten zugänglich sind. Insbesondere in den ländlichen Teilen der Elfenbeinküste können sich viele Patienten allerdings dennoch notwendige Medikamente nicht leisten (AA 9.10.2020).
Die Regierung treibt seit 2016 den Aufbau eines universellen Krankenversicherungssystems voran. Die Couverture Maladie Universelle kostet 1.000 Franc CFA (ca. 1,50€) im Monat. Bisher steht die Krankenversicherung nur einem kleinen Teil der im formellen Sektor Beschäftigten zur Verfügung. Die Prozedur der Registrierung aller Berechtigten ist noch nicht abgeschlossen (AA 9.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.1.2022): Côte d'Ivoire: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/cotedivoiresicherheit/209460, Zugriff 26.1.2022
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
BMEIA - Bundesministerium für europäische und international Angelegenheiten (26.1.2022): Côte d'Ivoire, Reise und Aufenthalt, Gesundheit und Impfungen, https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/cote-divoire/, Zugriff 26.1.2022
Rückkehr
Das Hauptproblem von rückgeführten Staatsangehörigen ist der Gesichtsverlust, der mit einem gescheiterten Auswanderungsversuch einhergeht. Häufig hat die gesamte Familie für die Ausreise zusammengelegt, weshalb die Scham bei den Betroffenen groß ist, wenn sie es nicht schaffen, im Zielland ihrer Ausreise Fuß zu fassen. Rückgeführte fürchten daher oft die Begegnung mit ihrer Familie. Bei freiwilligen Rückkehrern sieht die Situation oftmals anders aus und eine Reintegration verläuft meist problemlos. Politische oder staatliche Repression bzw. strafrechtliche Verfolgung haben Rückkehrer nicht zu fürchten. Ein soziales Auffangnetz für Rückkehrer gibt es nicht. Unbegleitete Minderjährige, die rückgeführt werden und keine Familie haben, die sie aufnimmt, können bis zu einem Alter von ca. 12 Jahren möglicherweise in einem Heim oder einem SOS-Kinderdorf untergebracht werden. Ein verlässliches System für die Betreuung dieser Personengruppe gibt es aber nicht (AA 9.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
Dokumente
Die Elfenbeinküste verfügt über kein zuverlässiges Urkundenwesen. Die Beschaffung von echten Dokumenten unwahren Inhaltes oder aber von Fälschungen ist problemlos möglich, wobei insbesondere erstere häufig verwendet werden. Auch der Diebstahl von Identitäten, z. B. von verstorbenen Personen, ist an der Tagesordnung. Insbesondere Geburtsurkunden enthalten oft falsche Angaben zu Geburtsdatum oder Abstammung. Ein Geburtenregistereintrag nebst zugehöriger Geburtsurkunde beliebigen Inhaltes kann durch ein Nachbeurkundungsurteil, welches man durch Vorsprache beim Gericht erwirken kann, ganz legal und ordentlich nachbeurkundet werden. Generell gestaltet sich der Zugang zu Fälschungen oder aber zu echten Urkunden unwahren Inhalts recht einfach. In einem Verwaltungsapparat, in welchem Korruption weitverbreitet ist, kann bereits durch die Zahlung geringer Beträge eine Vielfalt an Urkunden erworben werden. Insbesondere im Bereich der Schengenvisaanträge werden oft Fälschungen vorgelegt, die sich ohne Zutun von Behörden erlangen lassen. Gefälscht werden meistens Einladungsschreiben oder Kontoauszüge. Im Bereich der nationalen Visa sind Personenstandsurkunden häufig gefälscht (AA 9.10.2020).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.10.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2040690/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_C%C3%B4te_d_Ivoire_%28Stand_Juni_2020%29%2C_09.10.2020.pdf, Zugriff 20.1.2022
1.5. Zum Antrag auf Mängelheilung:
Der BF hat im gesamten Verfahren nie aus eigenem Antrieb versucht ein ivorisches Reisedokument zu erlangen. Versuche, eine Geburtsurkunde durch seine Heimatbehörden zu erhalten, unternahm der BF ebenfalls keine.
Dem BF war die Beschaffung der erforderlichen Urkunden und Nachweise möglich und zumutbar.
Der BF verletzte dadurch seine Mitwirkungspflichten gemäß § 58 Abs. 11 AsylG.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den Beschwerdeschriftsatz, in die Verfahrensakten des Bundesverwaltungsgerichts zu GZ XXXX und XXXX sowie in die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, am 12.08.2022. Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), der Grundversorgung (GVS) sowie dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger (AJ-WEB) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens weiters Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zur Republik Côte d‘Ivoire.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zum negativ abgeschlossenen Asylverfahren des BF und zu seinem illegalen Verbleib im Bundesgebiet ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.
Bereits im rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2017, Zl. XXXX , wurde festgestellt, dass die Identität des BF feststeht, obwohl dieser offensichtlich nicht Willens war, dem BFA oder dem Bundesverwaltungsgericht identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen. Einer im Akt enthaltenen Auskunft der Österreichischen Botschaft Dakar (AS 92) und einer Visadatenauskunft des BMI (AS 90 bis 91) samt vorliegender Reisepasskopie (AS 93) ist zu entnehmen, dass der BF in Besitz eines am 27.05.2015, bis 26.05.2020 auf seinen Namen ausgestellten ivorischen Reisepasses war, wodurch seine Identität zweifelsfrei feststeht.
Dass der BF ein wenig Deutsch spricht, konnte aufgrund des vorgelegten ÖSD-Zertifikates Deutsch Niveau A2 (AS 23) festgestellt werden. Dass er sich für den B1-Kurs auf die Warteliste setzen hat lassen, bestätigt ein Schreiben eines Bildungszentrums vom 01.08.2022 (Anlage A, S 1).
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seiner Volljährigkeit, seinem Bildungs- und Berufswerdegang und seiner Arbeitserfahrung in der Republik Côte d‘Ivoire sowie zu seinen Familienverhältnissen in seiner Heimat gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren sowie auch im Asylverfahren zu GZ XXXX .
Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab der BF zu Protokoll, an keinen Erkrankungen zu leiden und körperlich und geistig in der Lage zu sein, der Verhandlung zu folgen (Verhandlungsprotokoll vom 12.08.2022, S 4). Es war daher die Feststellung zu treffen, dass der BF gesund ist. Zumal sich auch aus dem Akteninhalt keine gegenteiligen Hinweise ergeben haben, konnte vom Gesundheitszustand des BF und aufgrund seines erwerbsfähigen Alters auch auf die Arbeitsfähigkeit des BF geschlossen werden. Damit ergeben sich auch keinerlei Hinweise auf medizinische Indikationen für die Zuordnung des BF zur COVID-19-Risikogruppe entsprechend der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/202. Aufgrund dessen konnte die Feststellung getroffen werden, dass der BF nicht unter die COVID-19-Risikogruppe fällt.
Der BF gab zwar in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, mit A., einer Staatsangehörigen des Benin, in einer Lebensgemeinschaft zu sein, bot diese aber für die Beschwerdeverhandlung am 12.08.2022 nicht als Zeugin an und konnte auch ihr Geburtsjahr auf Nachfrage nicht angeben. Der Zeuge R. H., ein Freund des BF und studierter Theologe, kannte keine A. und konnte nicht sagen, ob der BF eine Freundin hat (Verhandlungsprotokoll vom 12.08.2022, S 15). Auch dem gesamten Akteninhalt lässt sich nichts entnehmen, was auf eine Beziehung des BF deuten würde. Es wurde daher die Feststellung getroffen, dass der BF ledig und in Österreich in keiner aufrechten Beziehung ist. Auf Nachfrage des Richters welcher Tätigkeit der als Zeuge beantragte R. H. nachgehe, führte der BF aus, dass er glaube, dass er Archäologe sei. Tatsächlich handelt es sich bei R. H. allerdings um einen bei der Erzdiözese angestellten Theologen.
Dass sich der BF seit Juni 2015 in Österreich aufhält und seit 08.03.2016 durchgehend melderechtlich erfasst ist, konnte aufgrund seiner Angaben sowie einer Abfrage des Zentralen Melderegisters vom 05.8.2022 und des behördlichen Systems IFA festgestellt werden.
Zu seiner Integration legte der BF folgende Unterlagen vor: Konvolut an Empfehlungsschreiben (Anlage A), Bestätigung seitens der Assistenz24 gemeinnütze GmbH vom 19.11.2021 (Anlage B), Schreiben von Frau I. T. betreffend obige Assistenz (Anlage C), E-Mail-Verkehr Bewerbung für Pflegekurs (Anlage D), Information des Samariterbundes (Anlage E), Konvolut an persönlich gehaltenen Empfehlungsschreiben (Anlage F) sowie ein ÖSD-Zertifikat Deutsch A2 vom 16.03.2017 (AS 23).
Aus diesen Unterlagen sowie den Angaben des BF und des Zeugen R. H. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte in einer Gesamtschau letztlich keine umfassende Integration des BF festgestellt werden (siehe dazu weiter unter Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).
Dass der BF unbescholten ist, lässt sich einer aktuellen Strafregisterauskunft des BF entnehmen.
Die Feststellung, dass der BF seit seiner Asylantragstellung und bis zum 30.07.2019 Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezog und sich nun aber seinen Lebensunterhalten mit Gelegenheitsarbeiten finanziert, ergibt sich aus einem aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem und seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung. Dass er bisher in Österreich keiner bei einem Sozialversicherungsträger angemeldeten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, ist der aktuellen Auskunft der österreichischen Sozialversicherungsträger zu entnehmen.
2.3. Zur Säumnisbeschwerde:
Die Säumnis der belangten Behörde ergibt sich aus dem Beschwerdeschriftsatz und aus den vorgelegten Akten, in denen – abgesehen vom Verbesserungsauftrag vom 20.07.2021 – keinerlei Aktivitäten hinsichtlich des am 09.07.2021 eingebrachten Antrages noch hinsichtlich der Nachfrage über den Verfahrensstand zu entnehmen ist. Die belangte Behörde ist dem Vorwurf der Säumnis auch nicht entgegengetreten.
2.4. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des BF wurden dem „Länderinformationsblatt“ zur Republik Côte d’Ivoire entnommen.
Es handelt sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.5. Zum Antrag auf Mängelheilung:
Die Feststellung, dass sich der BF nicht aus eigenem Antrieb um die Erlangung eines Reisedokuments bzw. Ausstellung einer Geburtsurkunde bemüht hat und dadurch seine Mitwirkungspflichten im Verfahren verletzt hat, beruht auf folgenden Überlegungen:
Im Verfahren über den vom BF gestellten Duldungsantrag vom 19.03.2018 wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.09.2022, Zl. XXXX , festgestellt, dass die Versuche des BFA, einen Interviewtermin für den BF bei einer Delegation der ivorischen Vertretungsbehörde zu erlangen, ohne Verschulden des BF ergebnislos blieben.
Ebenso unterblieben jedoch eigene Bemühungen des BF zur Erlangung eines Identitätsdokuments oder Heimreisezertifikates. So räumte er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 12.08.2022 ein, selbstständig keinen Kontakt mit seiner Botschaft aufgenommen zu haben. Insbesondere wurde dazu protokolliert (Verhandlungsprotokoll vom 12.08.2022, S 5 f):
„Rl: Haben Sie jemals aus eigenem Antrieb versucht ein ivorisches Reisedokument zu erlangen?
BF: Nachdem ich vom BFA keine Duldung bekommen habe, wurde mir gesagt, dass ich einen Antrag bei meiner Botschaft stellen soll. Dort war ich dann auch. Ich habe aber nichts bekommen und man sagte mir, dass man keine Beweise für meine Aussagen haben würde.
Rl: Wann haben Sie das versucht?
BF: Das war im selben Zeitraum wie die Beantragung der Duldung. Das BFA hatte der Botschaft geschrieben, diese hat sich jedoch geweigert.
Rl: Sie hatten aber doch eine Passkopie, sogar eine gültige. Warum weigert sich dann die Botschaft?
BF: Es war so, dass die Botschaft erklärte, dass während der Krise in der Elfenbeinküste Menschen sowohl mit echten, als auch mit falschen Dokumenten ausgereist sind. Jeder hatte sich irgendetwas beschafft, um das Land zu verlassen. Man wollte Nachforschungen anstellen, ob es sich bei meinem Dokument um ein Original oder eine Fälschung handelte. In Afrika ist ja alles möglich.
Rl: War Ihres ein Original oder haben Sie es fälschen lassen?
BF: Mein Dokument war echt.
Rl: Umso leichter sollte es der Botschaft fallen, ein Dokument auszustellen. Was sagen Sie dazu?
BF: Ja, aber in Afrika gibt es verschiedenste Strategien, um an Dokumente zu kommen. Das läuft anders, als hier in Europa.
RI: Ich gehe allerdings schon davon aus, dass die Botschaft auf Rückfrage im Herkunftsstaat sehr wohl aufgrund Ihrer Aussagen einen weiteren Reisepass ausstellen könnte.
BF: Ja, aber das liegt ja nicht in meinem Einflussbereich. Ich kann lediglich ein Dokument beantragen, die Arbeiten bzw. nötigen Verfahren übernehmen ja dann die Behörden.
Rl: Können Sie mir beweisen, dass Sie einen solchen Antrag auf der Botschaft gestellt haben?
BF: Wenn man in einem Asylverfahren ist, hat man keinen Zugang zur Botschaft. Bei mir war es so, dass das BFA direkt in Kontakt mit meiner Botschaft getreten ist und das alles in meinem Namen gemacht hat.
Rl: Haben Sie jemals aus eigenem Antrieb, das heißt, ohne, dass Sie vom BFA oder der Polizei irgendwohin gebracht wurden, versucht ein ivorisches Reisedokument zu erlangen?
BF: Wie bereits gesagt, kann man als Asylwerber nicht zur Botschaft gehen. Man hat ja schließlich einen Antrag gestellt und Aussagen über die Heimat getätigt, mit denen die Botschaft nicht einverstanden ist.“
Ebenso gab der BF an, keinen Versuch unternommen zu haben, sich seine Geburtsurkunde zukommen zu lassen (Verhandlungsprotokoll vom 12.08.2022, S 6 f):
„Rl: Wo befindet sich Ihre Geburtsurkunde?
BF: In der Heimat.
Rl: Hätten Sie nicht die Möglichkeit, sich diese Urkunde nach Österreich schicken zu lassen?
BF: Das ist nicht einfach.
Rl: Aber durchaus möglich?
BF: Die Geburtsdaten, die ich angegeben habe, stimmen. Zwecks Ausstellung einer Geburtsurkunde müsste ich vor Ort in meiner Heimat sein und das mit Zeugen bewerkstelligen bzw. prüfen, dass auch alles stimmt.
Rl: Sie sagten aber soeben, dass Sie über eine Geburtsurkunde verfügen und sich diese in Ihrem Herkunftsstaat befindet, dann müssen Sie sich ja keine mehr ausstellen lassen?
BF: Physisch gibt es die Urkunde noch gar nicht. Ich spreche hier von einem Auszug aus dem Geburtenregister (Extreitt).
Rl: Haben Sie in Ihrer Heimat keine Geburtsurkunde zur Ausstellung Ihres Reisepasses benötigt?
BF: Bei uns ist es so, dass man zum Magistrat seines Wohnortes bzw. zum Gericht gehen kann und ein Dokument beantragen. Sie verlangen dann Geld von dir. Bei uns läuft das so.“
Aus den Aussagen des BF ergibt sich, dass er sich im gesamten Verfahren nicht ernsthaft um die Erlangung der Dokumente bemüht hat. Es konnte deshalb die Feststellung getroffen werden, dass der BF seine Mitwirkungspflichten gemäß § 58 Abs. 11 AsylG verletzt hat.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
3.1. Zur (funktionellen) Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes:
Die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) dient – neben dem in § 73 Abs. 2 AVG in jenen Fällen, in denen auch nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Rechtsstufe (noch ausnahmsweise) Berufung erhoben werden kann, vorgesehenen Devolutionsantrag – dem Rechtsschutz wegen Säumnis der Behörden. Zweck dieses Rechtsbehelfes ist es, demjenigen, der durch die Untätigkeit einer Behörde beschwert ist, ein rechtliches Instrument zur Verfügung zu stellen, um eine Entscheidung in seiner Sache zu erlangen. Anders als in § 73 Abs. 2 AVG hat der Gesetzgeber, um diesen Zweck zu erreichen, im VwGVG nicht festgelegt, dass schon mit der Antragstellung die Zuständigkeit, die fragliche Sache zu erledigen, auf das angerufene Verwaltungsgericht übergeht. Vielmehr räumt § 16 Abs. 1 VwGVG der Verwaltungsbehörde von Gesetzes wegen die Möglichkeit ein, innerhalb einer Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen, ohne dass es erforderlich wäre, dass ihr dafür vom Verwaltungsgericht eine Frist eingeräumt werden müsste. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen (§ 16 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG). Nach ungenütztem Ablauf dieser Dreimonatsfrist geht die Zuständigkeit jedoch auf das Verwaltungsgericht über. Nach Vorlage der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob die Behörde tatsächlich säumig ist. Ist die Behörde zwar objektiv gesehen säumig, ist dies aber nicht auf ihr überwiegendes Verschulden zurückzuführen, hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde abzuweisen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 2015, Ra 2015/08/0102).
Nach der Aktenlage ist aufgrund der überlangen Verfahrensdauer von einem überwiegenden Verschulden der belangten Behörde auszugehen, sodass es zu einem Zuständigkeitsübergang auf das Bundesverwaltungsgericht gekommen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit über den gegenständlichen Antrag vom 06.07.2021, eingelangt am 09.07.2021, zu entscheiden.
3.2. Zur Abweisung des Antrages auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV und Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG:
3.2.1. Rechtslage
§ 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 (Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005) normiert auszugsweise: „Folgende Urkunden und Nachweise sind (…) dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen: 1. Gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG); 2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument; (…)“.
Gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005 (AsylG-DV, l. II Nr. 448/2005 idgF) kann die Behörde auf begründeten Antrag die Heilung eines Mangels nach § 8 AsylG-DV und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, „wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war“, zulassen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs fällt die in § 8 AsylG-DV 2005 angeordnete Vorlage von Identitätsdokumenten wie etwa eines Reisepasses unter die in § 58 Abs. 11 AsylG 2005 angeordneten allgemeinen Mitwirkungspflichten. Wird dieser Mitwirkungspflicht nicht entsprochen, ist im Antragsverfahren nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 mit Antragszurückweisung vorzugehen (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187). Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.
Die Mitwirkungspflicht umfasst alle Tat- und Rechtshandlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapieres erforderlich sind und nur persönlich vorgenommen werden können. Dazu gehört auch die Vorsprache bei diplomatischen oder konsularischen Vertretungen des Heimatstaates in Österreich. Die Mitwirkungspflicht endet nach allgemeiner Auffassung auch nicht mit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens, liegt es doch im Interesse der Beschwerdeführer, dass über ihren Antrag positiv entschieden wird. (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer Asyl- und Fremdenrecht, E12. zu § 58 AsylG 2005)
§ 55 AsylG lautet: „(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
Art. 8 EMRK lautet: „(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
§ 9 Abs. 2 BFA-VG lautet:“ (2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Der BF stellte unter Einem mit dem eingebrachten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG einen „Zusatzantrag auf Heilung des Mangels vom Erfordernis eines Reisepasses“ ohne auf eine Gesetzesbestimmung explizit Bezug zu nehmen. Aufgrund der Ausführungen handelt es sich aber offenkundig um einen Antrag auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV.
Mit Verbesserungsauftrag vom 20.07.2021 wurde der BF auf die Notwendigkeit der Vorlage eines Reisedokuments sowie einer Geburtsurkunde hingewiesen. Gleichzeitig wurde der bereits damals rechtsfreundlich vertretene BF über einen Heilungsantrag gemäß § 4 AsylG-DV belehrt wie auch über die Folgen mangelnder Mitwirkung im Verfahren.
Dass der BF seinen Mitwirkungspflichten gemäß § 58 Abs. 11 AsylG nicht nachkam, wurde festgestellt. Aus dem Akt geht nicht hervor, dass der BF jemals einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses oder eines sonstigen Identitätsdokumentes gestellt hätte und wurde dies von ihm auch nicht behauptet.
Insgesamt hat der BF im gegenständlichen Verfahren nicht im Sinne des § 58 Abs. 11 AsylG erkennbar und ausreichend mitgewirkt (vgl dazu auch die hg Erkenntnisse vom 24.02.2016, L506 1258497-2, vom 04.09.2015, W103 1319161-2, vom 11.02.2016, I408 1415147-2 und vom 08.09.2015, I408 1241945-2).
Kommt der Beschwerdeführer seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG-DV kommt, eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG gestützte Zurückweisung rechtfertigt (vgl. u.a. VwGH 04.03.2020, Ra 2019/21/0214). Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, stellte die Nichtvorlage der gesetzlich geforderten Dokumente eine Verletzung der allgemeinen Mitwirkungspflicht des BF dar.
Der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels war daher gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zurückzuweisen.
Hervorzuheben ist, dass es dem BF unbenommen bleibt, bei Vorlage der entsprechenden Dokumente einen neuerlichen Antrag gemäß § 55 AsylG beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu stellen.
3.3. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit der Abschiebung:
3.3.1. Rechtslage
§ 10 Abs. 3 AsylG lautet: „Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.“
§ 50 FPG lautet: „(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.“
§ 52 Abs. 3 FPG lautet: „Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
§ 52 Abs. 9 FPG lautet: „Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des VfGH und VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).
3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Da der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG zurückzuweisen war, ist gemäß § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.
Der BF ist nicht verheiratet und hat keine Kinder in Österreich. Die von ihm behauptete Beziehung zu einer Staatsangehörigen aus dem Benin konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden und würde selbst bei deren Bestehen nicht zwingend ein hinreichend intensives Familienleben im Sinne der EMRK vorliegen. Von einem Familienleben des BF in Österreich kann daher gegenständlich nicht ausgegangen werden.
Zu prüfen ist ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des BF. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554).
Dabei spielt zunächst die Dauer des Inlandsaufenthaltes eine zentrale Rolle, wobei keine exakten Jahresgrenzen festgelegt sind, sondern eine Interessenabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).
Der BF kam feststellungsgemäß im Juni 2015 mit einem Visum der Kategorie C nach Österreich und hält sich seitdem durchgehend, somit seit über sieben Jahren, im Bundesgebiet auf.
Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist. Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 mit Verweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; weiters VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542 und VwGH 09.01.2020, Ra 2019/18/0523).
Der BF überschreitet die vom VwGH festgelegte „Fünfjahresgrenze“ um etwa zwei Jahre. Die lange Aufenthaltsdauer wird jedoch dadurch gemindert, dass gegen den BF seit dem 20.12.2017 eine rechtskräftige Ausreiseverpflichtung besteht, er jedoch unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieb.
Wie oben festgestellt, hat der BF Integrationsbemühungen insoweit gesetzt, als festgestellt werden konnte, dass er Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 aufweist, ein Ausbildungstraining im Bereich Holzbearbeitung absolviert hat, Gelegenheitsjobs ausgeübt hat und als freier Dienstnehmer in der Betreuung von mehrfach behinderten Personen tätig ist. Die Aussagen des BF und des Zeugen R. H. im Rahmen der mündlichen Verhandlung sowie die zahlreichen vorgelegten Empfehlungsschreiben erwecken den Eindruck, dass der BF in Österreich durchaus einige Bekanntschaften geschlossen hat.
All diese Umstände lassen in einer Gesamtschau jedoch nicht auf eine umfassende und intensive sprachliche, soziale und berufliche Integration des BF in Österreich schließen. Obwohl er durch Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte und seit August 2019 keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung bezieht, handelt es sich dabei um keine legalen Erwerbstätigkeiten und kann von einer tiefgreifenden Integration am österreichischen Arbeitsmarkt in Bezug auf den BF nicht gesprochen werden. Das ÖSD-Zertifikat A2 stammt aus dem Jahr 2017 und gelang es dem BF in den folgenden fünf Jahren nicht, ein Deutsch-Zertifikat auf höherem Niveau zu erlangen. Seine Angabe, dass der B1-Kurs „während Covid“ ausgesetzt worden war (Verhandlungsprotokoll vom 12.08.2022, S 9) entschuldigt dies nur zum Teil, da sich die COVID-19-Pandemie erst im März 2020 auf das gesellschaftliche Leben auswirkte. Und obwohl vom Bundesverwaltungsgericht nicht verkannt wird, dass der BF in seiner Zeit in Österreich einige Bekanntschaften und Freundschaften geschlossen hat, entsprechen diese, selbst wenn sie für den BF von Bedeutung sind, nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Sinne der EMRK, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität.
Der BF hat zwar gezeigt, dass er in den letzten Jahren um eine Integration in Österreich bemüht war bzw. bemüht ist. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinne des Art 8 EMRK sind allerdings die Leitlinien und Grundsätze der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten (vgl. VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003). Demnach ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Alle festgestellten Integrationsschritte des BF und somit das Gewicht seiner privaten Interessen relativieren sich somit dadurch, dass der BF diese in einem Zeitpunkt gesetzt hat, als er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war bzw. als er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt (rechtskräftige Rückkehrentscheidung seit 20.12.2017).
Zu den privaten Interessen des BF ist auszuführen, dass diese nicht derart ausgeprägt sind, dass von "außergewöhnlichen Umständen" im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des VwGH ausgegangen werden könnte. So führt er in Österreich keine Lebensgemeinschaft und besteht - wie bereits festgestellt - kein Familienleben des BF in Österreich. Zwar besteht ein soziales Leben, wie aufgrund von Unterstützungserklärungen und den Angaben des BF und des Zeugen R. H. festgestellt werden konnte, doch erreichen diese Gesichtspunkte – auch in Anbetracht der vom BF inzwischen im Bundesgebiet verbrachten Dauer von sieben Jahren – kein überdurchschnittliches Maß.
Somit kann gegenständlich noch nicht von einer solchen Verdichtung der persönlichen Interessen des BF ausgegangen werden, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" im Sinne der Rechtsprechung des VwGH gesprochen werden könnte und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK ein dauernder Aufenthalt in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl. dazu etwa VwGH vom 10.04.2019, Ra 2019/18/0049).
Dem allenfalls bestehenden Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich.
Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen, wobei im Rahmen der Gesamtabwägung einem solchen Vorbringen nicht in jeder Konstellation Relevanz zukomme (vgl. dazu VwGH, 30.06.2016, Zl Ra 2016/21/0076-10 und VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Vulnerabilität liegt gegenständlich aber nicht vor.
Gleichzeitig hat der BF in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte, auch wenn er zu seinem Vater und Geschwistern seit Jahren keinen Kontakt pflegt.
Ebenso wenig vermag die strafgerichtliche Unbescholtenheit seine persönlichen Interessen entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der BF erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.")
Vor diesem Hintergrund überwiegen die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet, sodass der damit verbundene Eingriff in sein Privatleben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes als verhältnismäßig qualifiziert werden kann. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass eine Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt.
Es war somit die Rückkehrentscheidung spruchgemäß zu erlassen.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist gleichzeitig mit der Rückkehrentscheidung festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.
Zur getroffenen Feststellung, dass eine Abschiebung in die Republik Côte d’Ivoire gemäß § 46 FPG zulässig ist (§ 52 Abs. 9 FPG), ist hervorzuheben, dass es für das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt für die Annahme gibt, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der BF arbeitsfähig und gesund ist, eine gute Ausbildung erhalten hat, in seiner Heimat u.a. bereits als Friseur und Monteur gearbeitet hat und auch in Österreich Erfahrungen, wie z. B. das Ausbildungstraining im Bereich Holzbearbeitung, gesammelt hat, die er auch in Zukunft gut einsetzen können wird. Es ist davon auszugehen, dass der BF deshalb bei seiner Rückkehr in die Republik Côte d’Ivoire jedenfalls einen zumindest bescheidenen Lebensunterhalt verdienen wird. Auch hat der BF keine exzeptionellen Umstände vorgebracht, die darauf schließen ließen, dass er im Falle einer Rückkehr in die Republik Côte d’Ivoire einer Art. 3 EMRK widersprechenden Situation ausgesetzt werden könnte, weil Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der BF in Österreich allenfalls wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in der Republik Côte d’Ivoire bessergestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in der Republik Côte d’Ivoire keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.
Außerdem besteht ganz allgemein in in der Republik Côte d’Ivoire derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den BF ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.
Es ist daher die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Republik Côte d‘Ivoire für zulässig zu erklären.
3.4. Zur 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise:
Gem. § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Derartige "besondere Umstände" wurden von dem BF nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.
Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.
B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.