JudikaturBVwG

W251 2245308-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2022

Spruch

W251 2245308-1/11E

W251 2245310-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 30.03.2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , beide StA. Afghanistan und vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.06.2021, Zl. 1271437604-210594355 und Zl. 1271438503-210594342, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin. Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin, beide Staatsangehörige Afghanistans, reisten mittels eines Visums legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 05.05.2021 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Die Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin fand am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Sie gab an, dass sie in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stelle, da ihr Ehemann in Österreich den Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten innehabe und sie für sich und ihre Tochter denselben Schutz wie den ihres Mannes beantrage.

3. Am 09.06.2021 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Sie gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie im Iran keine Personaldokumente erhalten habe. In Österreich wolle sie die Schule besuchen und studieren. Auch ihre Tochter sei im Iran geboren worden, habe jedoch ebenfalls keine Dokumente erhalten. Sie habe im Iran nicht in die Schule gehen dürfen.

4. Das Bundesamt wies die Anträge der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Ihnen wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass sich die Gründe der Asylantragstellung der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin ausschließlich auf ihren Ehemann bzw. Vater als Bezugsperson bezogen haben. Aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin lasse sich keine asylrelevante Verfolgung ableiten. Auch eine konkrete Verfolgungsgefahr sei dem Vorbringen nicht zu entnehmen gewesen. Da ein Familienverfahren vorliege, sei der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Ableitung vom Ehemann bzw. Vater zuzuerkennen.

5. Die Beschwerdeführerinnen erhoben gegen Spruchpunkt I. der oben genannten Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass die Erstbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan die Verfolgung durch ihren Onkel mütterlicherseits befürchte, da dieser gegen die Ehe ihrer Eltern gewesen sei. Zudem bestehe die Gefahr einer Verfolgung aufgrund ihrer westlichen Orientierung. Auch die Lage der Kinder in Afghanistan sei äußerst volatil, Bildung sei oft nicht gewährleistet.

6. Die Beschwerdeführerinnen brachten in Vorbereitung der Beschwerdeverhandlung mit Schreiben vom 29.03.2022 eine Stellungnahme vor, dass sie in Österreich eine selbstbestimmte Lebensweise führen und ihnen daher der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen sei.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.03.2022 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Die Beschwerden der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin wurden mit mündlich verkündetem Erkenntnis abgewiesen.

8. Mit Schreiben vom 31.03.2022 beantragten die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin die schriftliche Ausfertigung des am 30.03.2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerinnen:

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX , sie ist die leibliche Mutter der Zweitbeschwerdeführerin, die den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit XXXX verheiratet, der auch der leibliche Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist. Die Beschwerdeführerinnen sind afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Die Beschwerdeführerinnen sprechen Farsi als Muttersprache (Verwaltungsakt der BF1 = BF1, AS 1 ff, 43, 76 ff; Verhandlungsprotokoll vom 30.03.2022 = OZ 7, S. 7).

Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wurden nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, sie sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Stadt XXXX im Iran geboren und ist dort sowie in der Stadt XXXX in einem Haus aufgewachsen. Sie hat einen Alphabetisierungskurs im Iran besucht und als Reinigungskraft und Haushälterin gearbeitet um ihren Lebensunterhalt im Iran zu sichern (BF1 AS 76 f; OZ 7, S. 7 f).

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde im Iran geboren und ist dort aufgewachsen (OZ 7, S. 8).

1.1.3. Die Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder der Erstbeschwerdeführerin leben im Iran in den Städten XXXX und XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin hat Kontakt zu ihren Geschwistern. Als die Eltern der Erstbeschwerdeführerin Afghanistan verlassen haben, lebten damals noch die Geschwister der Mutter Erstbeschwerdeführerin und ihre Großeltern in Afghanistan. Die Erstbeschwerdeführerin hat keinen Kontakt zu Verwandten in Afghanistan (BF1 AS 77; OZ 7, S. 8). Es kann nicht festgestellt werden, dass diese Verwandten überhaupt noch am Lebens sind oder, dass diese überhaupt noch in Afghanistan leben.

1.1.4. Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind legal mittels Visum nach Österreich eingereist. Sie stellten am 05.05.2021 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Ihnen wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 18.06.2021 der Status der subsidiär Schutzberechtigen im Familienverfahren in Ableitung vom Ehemann bzw. Vater zuerkannt (BF 1 AS 109 ff; Beilage ./I.).

1.1.5. Die Beschwerdeführerinnen leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten (BF1, AS 79; OZ 7, S. 5).

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerinnen:

1.2.1. Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin hatten in Afghanistan keine Probleme aufgrund einer Mischehe. Es wurde diesen nicht gedroht und diese wurden nicht verfolgt.

1.2.2. Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.

1.2.3. Die Erstbeschwerdeführerin führt in Österreich keine selbstbestimmte („westliche“) Lebensweise, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, sie hat eine solche auch nicht verinnerlicht.

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten und selbstbestimmten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht nicht Deutsch und ist daher bereits in einfachen Alltagssituationen auf die Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen. Sie nimmt nur einen sehr kleinen Bewegungsradius und nur das Minimum an Integrationsmaßnahmen wahr, die ihr von ihrem Ehemann vorgegeben werden. Dies steht der Ausübung und der Verinnerlichung einer selbständigen und selbstbestimmten Lebensweise entgegen. Die Erstbeschwerdeführerin hat sich – trotz ihres fast 1-jährigen Aufenthaltes – nicht eingehend mit Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten in Österreich auseinandergesetzt. Sie ist nur an der Kindererziehung, ihrem Ehemann und der Haushaltführung orientiert und strebt in Österreich keine Ausbildung und auch keine Berufsausübung an.

1.2.4. Der Zweitbeschwerdeführerin ist es möglich, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren. Ihr droht aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch ist sie deswegen einer Verfolgung oder Lebensgefahr ausgesetzt.

Der Zweitbeschwerdeführerin droht in Afghanistan weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat oder sexuelle Ausbeutung oder Misshandlungen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan werden ihre Eltern ihr einen Schulbesuch ermöglichen. Mädchen in Afghanistan können die Grundschule besuchen. Da die Zweitbeschwerdeführerin 8 Jahre alt ist, würde diese bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch die Grundschule weiterhin besuchen können.

1.2.5. Die Beschwerdeführerinnen hatten in Afghanistan keine konkret und individuell gegen sie gerichteten Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Hazara.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin keine Eingriffe in ihre Integrität aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 28.01.2022 (LIB)

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017

- Analyse der Staatendokumentation, Gesellschaftliche Einstellung zu Frauen in Afghanistan vom 25.06.2020

- Dossier Staatendokumentation – Stammes- und Clanstruktur aus Juli 2016

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Mischehe zwischen Sunniten und Schiiten vom 11.11.2014

1.3.1. Politische Lage (LIB 28.01.2022)

Im April 2021 kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen - etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO-Truppen - bis zum 11.9.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan. Nachdem der vormalige Präsident Ashraf Ghani am 15.8.2021 aus Afghanistan geflohen war, nahmen die Taliban die Hauptstadt Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein. Als letzte Provinz steht seit dem 5.9.2021 auch die Provinz Panjshir und damit, trotz vereinzelten bewaffneten Widerstands, ganz Afghanistan weitgehend unter der Kontrolle der Taliban.

Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab. Ende Oktober 2021, nach drei Ernennungsrunden auf höchster Ebene - am 7. September, 21. September und 4. Oktober - scheinen die meisten Schlüsselpositionen besetzt worden zu sein, zumindest in Kabul. Das Kabinett selbst umfasst über 30 Ministerien, ein Erbe der Vorgängerregierung. Entgegen früheren Erklärungen handelt es sich nicht um eine "inklusive" Regierung mit Beteiligung verschiedener Akteure, sondern um eine reine Taliban-Regierung. Ihr gehören Mitglieder der alten Taliban-Elite an, die bereits in den 1990er Jahren zentrale Rollen innehatten, ergänzt durch Taliban-Führer, die zu jung waren, um im ersten Emirat zu regieren. Die große Mehrheit sind Paschtunen.

Die höchste Instanz der Taliban in religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten, der "Amir al Muminin" oder "Emir der Gläubigen" Mullah Haibatullah Akhundzada, wird sich als "Oberster Führer" Afghanistans auf religiöse Angelegenheiten und die Regierungsführung im Rahmen des Islam konzentrieren. Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden.

Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten. Die Übernahme der faktischen Regierungsverantwortung inklusive der Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung stellt die Taliban vor Herausforderungen, auf die sie kaum vorbereitet sind. Leere öffentliche Kassen und die Sperrung des afghanischen Staatsguthabens im Ausland, sowie internationale und US-Sanktionen gegen Mitglieder der Übergangsregierung, haben zu Schwierigkeiten bei der Geldversorgung, steigenden Preisen und Verknappung essenzieller Güter geführt.

Bis zum Sturz der alten Regierung wurden ca. 75% bis 80% des afghanischen Staatsbudgets von Hilfsorganisationen bereitgestellt, Finanzierungsquellen, die zumindest für einen längeren Zeitraum ausgesetzt sein werden, während die Geber die Entwicklung beobachten. So haben die EU und mehrere ihrer Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit mit der Einstellung von Hilfszahlungen gedroht, falls die Taliban die Macht übernehmen und ein islamisches Emirat ausrufen sollten, oder Menschen- und Frauenrechte verletzen sollten. Die USA haben rund 9,5 Milliarden US-Dollar an Reserven der afghanischen Zentralbank sofort [nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul] eingefroren, Zahlungen des IWF und der EU wurden ausgesetzt.

1.3.2. Sicherheitslage (LIB 28.01.2022)

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu, aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil. Die Sicherheitslage veränderte sich seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021. Innerhalb von zehn Tagen eroberten die Taliban 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte. Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte. Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein. Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif.

Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück. Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird, auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt.

Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt, formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security, sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten. Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen. Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein.

Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen.

Nachdem sich die Nachricht verbreitete, dass Präsident Ashraf Ghani das Land verlassen hatte, machten sich viele Menschen auf den Weg zum Flughafen, um aus dem Land zu fliehen. Im Zuge der Evakuierungsmissionen von Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan kam es in der Menschenmenge zu Todesopfern, nachdem tausende Menschen aus Angst vor den Taliban zum Flughafen gekommen waren. Unter anderem fand auch eine Schießerei mit einem Todesopfer statt. Trotz des allgemeinen Rückgangs der Zahl der gewalttätigen Angriffe und sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Übernahme durch die Taliban hat die Zahl der Anschläge des ISKP Berichten zufolge zugenommen, insbesondere in den östlichen Provinzen Nangharhar und Kunar sowie in Kabul. Anschläge des ISKP richten sich immer wieder gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere gegen Afghaninnen und Afghanen schiitischer Glaubensrichtung. Am 26.8.2021 wurden durch einen Anschlag des ISKP am Flughafen Kabul 170 Personen getötet und zahlreiche weitere verletzt.

Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten. Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten sind auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird.

Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist. Die Taliban haben in den Tagen nach ihrer Machtübernahme systematisch in den von ihnen neu eroberten Gebieten Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen.

1.3.3. Frauen (LIB 28.01.2022)

Der Umgang der Taliban mit Frauen und Mädchen ist bislang noch überwiegend uneinheitlich und von lokalen und individuellen Umständen abhängig, es zeichnen sich aber deutliche Beschränkungen bisher zumindest gesetzlich verankerter Freiheiten ab. Berichte über unterschiedlich ausgeprägte Repressionen und Einschränkungen für Frauen betreffen Kleidungsvorschriften, die Pflicht zu männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit, Einschränkung von Schulbesuch und Berufsausübung bis hin zur Zwangsverheiratung mit Talibankämpfern.

Im vergangenen Jahr bekannten sich die Taliban dazu, Frauen Arbeit und Bildung im Einklang mit der Scharia bzw. des islamischen Systems der Taliban zu gewähren. Doch auch wenn die Taliban-Führer eine sanftere Rhetorik in Bezug auf die Rechte der Frauen an den Tag legen, gibt es oft eine Diskrepanz zwischen den offiziellen Aussagen und der Realität vor Ort, wo Befehlshaber der Taliban oft harte Regeln durchsetzen, die im Widerspruch zu den Beteuerungen ihrer Führer stehen.

Einige Taliban haben Frauen aufgefordert, nicht an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Einige Frauen konnten ihre Arbeit fortsetzen, andere wurden von Taliban-Kämpfern am Betreten ihres Arbeitsplatzes physisch gehindert; viele andere sind vorsichtshalber zu Hause geblieben. Frauen, die vor der Machtübernahme durch die Taliban in der Regierung waren, sind größtenteils aus dem Land geflohen.

An Universitäten in den größten Städten Afghanistans - Kabul, Kandahar und Herat – werden Studentinnen im Unterricht getrennt, separat unterrichtet oder auf bestimmte Bereiche des Campus beschränkt. In einigen Fällen wurden Schülerinnen durch Vorhänge oder Bretter in der Mitte des Klassenzimmers von ihren männlichen Kollegen getrennt. Am 5.9.2021 erließ das nun von den Taliban kontrollierte Bildungsministerium einen Erlass, dass alle Studentinnen, Lehrerinnen und Mitarbeiterinnen an Hochschulen und Universitäten ein islamisches schwarzes Abaya und Niqab tragen müssen, die das Haar, den Körper und den größten Teil des Gesichts bedecken, sowie Handschuhe. Die Taliban stellen strengere Tugendregeln auf, als zunächst öffentlich angekündigt. In vielen Provinzen gelten per Gesetz die Regeln eines „Tugendhandbuches", welches Z.B. vorgibt, welche Frauen als Anstandsdamen für andere Frauen gelten dürfen und Parties mit Musik sowie Ehebruch und gleichgeschlechtliche Beziehungen verbietet. Im November wiesen die Taliban Fernsehsender in Afghanistan an, keine Seifenopern oder anderen Unterhaltungsprogramm auszustrahlen, in denen Frauen auftreten. Des Weiteren wurde erklärt, dass Journalistinnen einen Hijab tragen müssen.

Anfang Dezember verkündeten die Taliban ein Verbot der Zwangsverheiratung von Frauen in Afghanistan. In dem Erlass wurde kein Mindestalter für die Eheschließung genannt, das bisher auf 16 Jahre festgelegt war. Die Taliban-Führung hat nach eigenen Angaben afghanische Gerichte angewiesen, Frauen gerecht zu behandeln, insbesondere Witwen, die als nächste Angehörige ein Erbe antreten wollen. Die Gruppe sagt auch, sie habe die Minister der Regierung aufgefordert, die Bevölkerung über die Rechte der Frauen aufzuklären. Währenddessen sind weiterhin Tausende Mädchen vom Besuch der siebenten bis zwölften Schulstufe ausgeschlossen und der Großteil der Frauen ist seit der Machtübernahme der Taliban nicht an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt.

1.3.4. Kinder (LIB 28.01.2022)

Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt – mit rund 47% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und davon 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren. Das Durchschnittsalter in Afghanistan liegt bei 18,4 Jahren.

Anfang Dezember verkündeten die Taliban ein Verbot der Zwangsverheiratung von Frauen in Afghanistan. In dem Erlass wurde kein Mindestalter für die Eheschließung genannt, das bisher auf 16 Jahre festgelegt war. Zwangsverheiratungen sind eine sozial akzeptierte Bewältigungsstrategie in wirtschaftlichen Notlagen und finden in Folge der desaströsen Wirtschaftslage weiter Verbreitung, wobei Mädchen in die Zwangsheirat verkauft werden, um das wirtschaftliche Überleben der Familie zu sichern.

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Heim und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen.

Kinder litten bis zur Machtübernahme der Taliban besonders unter dem bewaffneten Konflikt. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 machten Kinder 32 % aller zivilen Opfer aus. Weiterhin fortbestehende Probleme sind sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen und Kinderarbeit. Kinder leiden besonders unter den wirtschaftlichen Folgen in Afghanistan und vielen droht Unterernährung.

Eine Prognose der IPC vom Oktober 2021 ging davon aus, dass bis Ende des Jahres 2021 bis zu 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden würden. Auch das WFP (World Food Programm) und die FAO (Food and Agriculture Organization) warnten, dass eine Million Kinder an schwerer akuter Unterernährung zu sterben drohten, wenn sie nicht umgehend lebensrettende Maßnahmen erhielten.

Am 18.9.2021 hat auf Weisung der Regierung der Schulunterricht für Jungen ab der siebten Klasse wieder begonnen. Zur Wiederaufnahme des Unterrichts für Mädchen äußerten sich die Taliban bisher gar nicht bis zurückhaltend - hierfür müssten erst die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. In einigen Provinzen sind Mädchenschulen dennoch weiterhin oder wieder geöffnet. Der Zuspruch ist aufgrund von Sicherheitsbedenken oftmals niedrig. Zuvor hatten die Taliban zugesichert, dass auch Mädchen und Frauen unter Einhaltung strikter Geschlechtertrennung Bildungsmöglichkeiten erhalten würden. Faktisch findet - aus einer Reihe von Gründen (ausbleibende Lohnzahlungen, Unsicherheit und Flucht der Lehrer etc.) auch der Schulunterricht für Jungen häufig nicht statt. Die schwierige wirtschaftliche Lage hat viele Familien dazu gezwungen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen und sie zur Arbeit zu schicken. Millionen von Afghanen wurden während und nach der Übernahme des Landes durch die Taliban vertrieben, und viele vertriebene Kinder gehen nicht zur Schule.

Aktuell (Stand November 2021) ist es Mädchen nur in einigen Provinzen wie Herat, Balkh (Mazar-e Sharif), Kunduz, Ghazni und Sar-e-Pul möglich die Sekundarstufe oder die Oberstufe zu besuchen. In den anderen Provinzen können Mädchen in der Primarstufe zur Schule gehen. Alle Mädchen, die eine Schule besuchen, müssen in von den Jungen getrennten Klassen, von weiblichen Lehrern unterrichtet werden und den Hijab tragen.

Der Unterricht an den privaten Universitäten ist derzeit sowohl für Männer als auch für Frauen geöffnet, an den öffentlichen Universitäten jedoch noch nicht. Daher können vorerst nur Frauen, die an privaten Universitäten eingeschrieben sind, an deren Unterricht teilnehmen. Die Bedingungen für die Teilnahme der Mädchen am Unterricht sind das Tragen des Hijab und der Unterricht muss durch weibliche oder ältere männliche Lehrkräfte in von Männern getrennten Klassen oder, wenn dies nicht möglich ist, in denselben Klassen mit einer Trennung zwischen weiblichen und männlichen Studenten stattfinden.

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage (LIB 28.01.2022)

Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021. Die Gruppe soll Tür-zu-Tür-Durchsuchungen durchführen, und auch an einigen Kontrollpunkten der Taliban wurden gewalttätige Szenen gemeldet. Die Europäische Union hat erklärt, dass die von ihr zugesagte Entwicklungshilfe in Höhe von mehreren Milliarden Dollar von Bedingungen wie der Achtung der Menschenrechte durch die Taliban abhängt.

1.3.6. Bewegungsfreiheit (LIB 28.01.2022)

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten. Nach der Machtübernahme der Taliban gab es Berichte über härtere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Frauen.

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischsten ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln.

Seit der Machtübernahme der Taliban gibt es Berichte, wonach die afghanische Bevölkerung daran gehindert wurde, ins Ausland zu fliehen und dort Asyl zu suchen, weil die Taliban den Zugang zum Flughafen von Kabul verhinderten oder die Landgrenzen geschlossen wurden. Einige Männer und Frauen wurden Berichten zufolge gefoltert oder misshandelt, als sie versuchten, das Land zu verlassen.

1.3.7. IDPs und Flüchtlinge (LIB 28.01.2022)

Im Jahr 2020 gab es 332.902 Menschen als neue Binnenvertriebene aufgrund des Konflikts und Naturkatastrophen und bis 22.8.2021 wurden 558.123 neue Binnenvertriebene im laufenden Jahr 2021 verifiziert. Die genaue Zahl der Binnenvertriebenen lässt sich jedoch nicht bestimmen.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt.

IDPs waren in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kam es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand hatten oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Das Einkommen von Binnenvertriebenen und Rückkehrern war gering, da die Mehrheit der Menschen innerhalb dieser Gemeinschaften von Tagelöhnern und/oder Überweisungen von Verwandten im Ausland abhängig war, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Die vier Millionen Binnenvertriebenen in Afghanistan leben unter Bedingungen, die sich perfekt für die schnelle Übertragung eines Virus wie COVID-19 eignen. Die Lager sind beengt, unhygienisch und es fehlt selbst an den grundlegendsten medizinischen Einrichtungen. Sie leben in Hütten aus Lehm, Pfählen und Plastikplanen, in denen bis zu zehn Personen in nur einem oder zwei Räumen untergebracht sind, und sind nicht in der Lage, soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung war für Binnenvertriebene und Rückkehrer bereits vor der COVID-19-Pandemie eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie hat sich der Zugang weiter verschlechtert, da einige medizinische Zentren in COVID-19-Behandlungszentren umgewandelt wurden und die Finanzierung der humanitären Hilfe zurückging.

1.3.8. Grundversorgung und Wirtschaft (LIB 28.01.2022)

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden. Die afghanische Wirtschaft war bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban schwach, wenig diversifiziert und in hohem Maße von ausländischen Einkünften abhängig. Diese umfasste zivile Hilfe, finanzielle Unterstützung für die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Geld, das von ausländischen Armeen im Land ausgegeben wurde.

Nach der Machtübernahme der Taliban bleiben die Banken geschlossen, so haben die Vereinigten Staaten der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ (7,66 Mrd. €) verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt. Im November 2021 sagte der Präsident der Weltbank, dass es unwahrscheinlich sei, dass sie die direkte Hilfe für Afghanistan wieder aufnehmen werde, da das Zahlungssystem des Landes Probleme aufweise.

Die Regierung der Taliban hat einige kleine Schritte zur Bewältigung der Krise unternommen und teilweise die Arbeit mit NRG und UN-Organisationen aufgenommen. Anfang Dezember wurde berichtet, dass die Taliban begonnen haben, landesweit eine Ushr einzutreiben.

Starke Regenfälle haben im Mai 2021 mehrere Provinzen Afghanistans, insbesondere Herat, heimgesucht und Sturzfluten und Überschwemmungen verursacht, die zu Todesopfern und Schäden führten. m Jahr 2021 kam es zur zweiten schweren Dürre innerhalb von drei Jahren, welche zu Missernten, einem drastischen Verfall der Viehpreise und zu Trinkwasserknappheit geführt hat. Besonders schlimm sind die Bedingungen im Süden, Westen und Nordwesten des Landes. Für den Winter droht angesichts der anhaltenden Dürre und des Hungers eine weitverbreitete Hungersnot.

1.3.9. Rückkehrer (LIB 28.01.2022)

IOM (Internationale Organisation für Migration) verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migranten. Von den mehr als 865.700 Afghanen, die im Jahr 2020 nach Afghanistan zurückkehrten, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan.

Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich, da es ohne familiäre Netzwerke sehr schwer sein kann, sich selbst zu erhalten. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk. Einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder in den Iran, nach Pakistan oder weiter nach Europa migrierten. Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen.

Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw.

Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren.

„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa, was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird. Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen.

IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. Zu Tätigkeiten vor Ort im Rahmen anderer Projekte (RADA, etc.) kann derzeit noch keine Rückmeldung gegeben werden.

Die Taliban haben in öffentlichen Verlautbarungen im Ausland lebende Afghanen aufgefordert, nach Afghanistan zurückzukehren. Zum Umgang der Taliban mit Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor.

1.3.10. Religionsfreiheit (LIB 28.01.2022)

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus. Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten.

Direkte Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten waren vor der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan selten. Nach der Machtübernahme der Taliban ging der ISKP gezielt gegen Schiiten vor mit Angriffen in Kabul, Jalalabad, Herat, Kandarhar und Kunduz.

Im Oktober kam es zu Anschlägen auf schiitische Moscheen in Kandarhar und Kunduz bei denen viele Menschen getötet wurden. Nach diesen Angriffen versprachen die Taliban die Sicherheitsmaßnahmen vor schiitischen Moscheen zu erhöhen.

1.3.11. Ethnische Minderheiten (LIB 28.01.2022)

Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42%), Tadschiken (ca. 27%), Hazara (ca. 9-20%) und Usbeken (ca. 9%), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2%). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen.

Die am 7.9.2021 gebildete Übergangsregierung der Taliban umfasste nur drei Vertreter der usbekischen bzw. der tadschikischen Minderheiten, durch weitere Ernennungen kamen mittlerweile wenige weitere, darunter ein Vertreter der Hazara, hinzu. Darüber hinaus unterliegen - soweit bislang erkennbar - ethnische Minderheiten, aber keiner grundsätzlichen Verfolgung durch die Taliban, solange sie deren Machtanspruch akzeptieren.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht.

Im Zuge der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 haben diese erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Sie haben insbesondere den überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen Hazara, die während des ersten Talibanregimes benachteiligt und teilweise verfolgt wurden, Zusicherungen gemacht. Zum Nachweis haben die Taliban mit ihren Kämpfern die Ashura-Feierlichkeiten [Anm.: Gedenken des Martyriums von Imam Hussein, einem Enkel des Propheten Mohammed] am 19.8.2021 abgesichert und sich medienwirksam mit Hazara-Führern getroffen. Nach Angaben des in London lebenden Journalisten und eines afghanischen Rechtsprofessors werden die Hazara in Afghanistan von vielen Taliban-Mitgliedern weiterhin als minderwertig angesehen, da sie schiitische Muslime sind. Die dänische Einwanderungsbehörde verweist in einem Bericht auf zwei Quellen, denen zufolge Hazara seit der Machtübernahme durch die Taliban beim Zugang zum Rechtssystem und zu Ressourcen diskriminiert werden.

Außerdem wurde die Hazara-Gemeinschaft weitgehend von der Übergangsregierung und anderen hochrangigen Positionen auf nationaler und provinzieller Ebene ausgeschlossen. Die Hazara sind weiterhin besonders gefährdet, Opfer von Anschlägen des ISKP zu werden. Diese Anschläge waren bereits in der Vergangenheit häufig gegen überwiegend von Hazara genutzte Einrichtungen oder Wohnviertel gerichtet.

1.3.12. Mischehen zwischen Sunniten und Schiiten (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11.11.2014)

Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Mischehen zwischen den ethnischen Gruppierungen. Diese Mischehen sorgen dafür, dass die Grenzen der Loyalität zwischen verschiedenen ethnischen Gruppierungen unklarer werden. Faktoren wie Migration haben die hohe Anzahl von inter-ethnischen Ehen verursacht.

Das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Islam bleibt etwas angespannt. Historisch sind schiitische Minderheiten von der sunnitischen Bevölkerung diskriminiert worden. Die Diskriminierung von Hazara und deren Behandlung variiert je nach Region. Schiiten können sich am öffentlichen Leben beteiligen. In den urbanen Zentren von Afghanistan gibt es Mischehen zwischen Sunniten und Schiiten. Es gibt Berichte aus 2008, wonach in ländlichen Gebieten gemischte Ehepaare und deren Kinder von ihren Familien und Verwandten diskriminiert wurden. Zu Zeiten des Bürgerkrieges wurden in manchen Regionen Personen mit Mischehen verfolgt. Es gibt derzeit keine gesetzlichen Hindernisse für Ehen zwischen Sunniten und Schiiten. Heute gibt es mehr Ehen zwischen Sunniten und Schiiten.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, durch Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerinnen:

2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

2.1.2. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerinnen ergeben sich aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie den im Akt einliegenden Kopien ihrer afghanischen Reisepässe.

2.1.3. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerinnen, zu den familiären Verhältnissen zueinander, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, der Muttersprache der Beschwerdeführerinnen, ihrem jeweiligen Lebenslauf (ihr Aufwachsen und ihre familiäre Situation im Iran) sowie der Schulausbildung und Berufserfahrung der Erstbeschwerdeführerin gründen sich auf den diesbezüglich schlüssigen Aussagen der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.

2.1.4. Dass die Erstbeschwerdeführerin mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut ist, ergibt sich daraus, dass sie in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen ist. Da die Zweitbeschwerdeführerin im Familienverband aufwachsen und von der Erstbeschwerdeführerin und deren afghanischem Ehemann erzogen wird, steht fest, dass diese mit den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert wird. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sind afghanische Staatsangehörige und schiitische Muslime, die selbst in einer afghanischen Familie aufgewachsen und daher mit der afghanischen Kultur groß geworden sind. Da sie die afghanischen Gepflogenheiten vermittelt bekommen haben, ist davon auszugehen, dass diese der Zweitbeschwerdeführerin die afghanische Landessprache und die afghanische Kultur vermitteln und im Familienverband nach den afghanischen Gepflogenheiten leben.

2.1.5. Die Feststellungen zur Einreise sowie die Daten der Antragstellungen und der Zuerkennungen ergaben sich aus den Akteninhalten.

2.1.6. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen stützen sich auf die Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung sowie den Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerinnen:

2.2.1. Die Erstbeschwerdeführerin brachte vor, dass ihre Mutter Sunnitin sei und einen Schiiten geheiratet habe, weshalb es Probleme mit der Familie ihrer Mutter gegeben habe. Ihr Vater sei vor seiner Schwiegerfamilie geflüchtet, da ihn diese töten habe wollen. Aus diesem Grund seien sie in den Iran geflüchtet. Bei einer Rückkehr bestehe die Gefahr, dass die Familie ihrer Mutter sie und ihre Tochter töte.

Das Gericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund des persönlichen Eindrucks über die Erstbeschwerdeführerin davon aus, dass ihr hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Sie wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen detailliert, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen ist die Erstbeschwerdeführerin jedoch nicht gerecht geworden, zumal das Vorbringen äußerst vage und detaillos war. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können sowie, dass die Erstbeschwerdeführerin dies nur aus Erzählungen ihrer Eltern gehört haben kann. Dass die Erstbeschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würden, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten diese sich tatsächlich zugetragen.

Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu den Vorfällen der Eltern waren vage und ausweichend und daher nicht glaubhaft. Ihre Angaben zu diesem Vorbringen erschöpften sich in folgenden Aussagen:

„F: Wissen Sie warum Ihre Eltern damals Afghanistan verlassen haben?

A: Damals war Krieg. Mein Vater hatte als Shiit ein Problem, weil er mit einer sunnitischen Frau verheiratet war. Mein Onkel mütterlicherseits wollte meinen Vater umbringen, darum mussten sie flüchten.

Nachgefragt: Ich weiß nicht genau wann meine Eltern Afghanistan verlassen haben. Auch meine älteren Geschwister sind im Iran geboren. Ich vermute, dass das ca. vor 35–40 Jahren war, als sie ausreisten.

F: Wurden Ihre Familienangehörigen in Afghanistan je persönlich verfolgt, oder bedroht?

A: Wie schon gesagt hatte mein Vater damals ein Problem in Afghanistan, deshalb sind meine Eltern vor ca. 35–40 Jahren ausgereist. Ich hätte dann auch mit meinem Onkel ein Problem, wenn er mich erwischen würde. Nachgefragt: Ich weiß nicht wo mein Onkel in Afghanistan lebt, wir haben keinen Kontakt (BF1 AS 77 ff).

„BF1: Dadurch das meine Mutter Sunnitin ist und sie einen Schiiten geheiratet hat, gab es Probleme mit der Familie meiner Mutter. Mein Vater ist vor seiner Schwiegerfamilie geflüchtet. Aus diesem Grund hat meine Mutter keinen Kontakt mit der Familie in Afghanistan. […]

BF1: Mein Vater ist Schiite und meine Mutter Sunnitin. Damals so wie heute sollten Schiiten und Sunniten untereinander nicht heiraten. Als mein Vater meine Mutter geheiratet hat, wollte die Familie meiner Mutter meinen Vater töten. Er ist daraufhin gemeinsam mit meiner Mutter in den Iran geflüchtet. Meine Tochter und ich dürfen und wollen nicht nach Afghanistan zurück. Es besteht die Möglichkeit, dass die Familie meiner Mutter meine Tochter und mich tötet“ (OZ 7, S. 9, 20).

Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin waren äußerst vage und unkonkret. Dazu kommt, dass die Erstbeschwerdeführerin selbst angab, nicht zu wissen, wo ihr Onkel wohne und keinen Kontakt zu diesem zu haben. Es ist daher nicht glaubhaft, dass dieser nach 40 Jahren immer noch auf der Suche nach der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin wäre und diese im Falle einer Rückkehr töten würde. Zudem steht nicht fest, dass dieser überhaupt noch am Lebens ist bzw., dass sich dieser überhaupt in Afghanistan aufhält, sodass die Angaben der Erstbeschwerdeführerin sehr spekulativ sind.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Erstbeschwerdeführerin damals selbst noch ein Kind war, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie mehr über den Grund berichten hätte können, warum sie und ihre ganze Familie in den Iran geflohen sind, würde es sich um tatsächlich Erlebtes handeln.

Dazu kommt, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin nach deren Fluchtgründen befragt angab:

„Z: Meine Frau hat mir die Fluchtgründe ihrer Eltern aus Afghanistan erzählt. Mein Schwiegervater ist Schiite und er stammt aus Bamiyan. Meine Schwiegermutter ist Sunnitin und sie stammt aus Maidan-Wardak. Damals haben sie sich verliebt und einander geheiratet. Da früher Ehen zwischen Sunniten und Schiiten nicht üblich waren, wurde ihr Vater von seiner Schwiegerfamilie verfolgt. Der Schwiegervater ihres Vaters sagte ihr, dass er den Vater meiner Frau und die gesamte Familie töten wird, deshalb sind die Eltern meiner Frau seit ihrer Flucht nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt“ (OZ 7, S. 25).

Auffällig ist, dass die Erstbeschwerdeführerin stets angab, im Fall einer Rückkehr von ihrem Onkel (sohin dem Bruder der Mutter) verfolgt zu werden, während der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung erklärte, dass der Schwiegervater ihres Vaters (sohin der Vater der Mutter) sie verfolgen würde. Diese Angaben sind widersprüchlich, nicht in Einklang zu bringen und unterstreichen die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens.

Insgesamt waren die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu einer Mischehe ihrer Eltern in Afghanistan und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr daher nicht glaubhaft.

Zudem ergibt sich aus den Länderberichten, dass es mittlerweile öfter Ehen zwischen Sunniten und Schiiten gibt, dies führt in urbanen Zentren zu keinen Problemen und in manchen ländlichen Bereichen zur Diskriminierungen durch die eigenen Familien. Dass es jedoch zu Tötungen oder massiven Eingriffen in die Integrität komme, ist den Länderberichten nicht zu entnehmen. Auch dies steht einer möglichen Verfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls entgegen.

Den Beschwerdeführerinnen droht daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan aus diesem Grund keine Verfolgung.

2.2.2. Die Beschwerdeführerinnen gaben weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung an, dass sie in Afghanistan konkrete Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit haben würden.

Aus den lediglich allgemein gehaltenen Angaben kann das Gericht, insbesondere auch in Zusammenschau mit den Länderberichten zum Fehlen entsprechend massiver religiöser und volksgruppenbezogener Diskriminierung, den Schluss ziehen, dass die Beschwerdeführerinnen keiner individuell konkret gegen sie gerichteten Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan ausgesetzt wären.

2.2.3. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Den aktuellen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass kulturelle Verbote für die freie Fortbewegung und das Verlassen des Hauses ohne Begleitperson viele Frauen im ländlichen Bereich daran hindern, außerhalb ihres Hauses zu arbeiten, und ihren Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge, Polizeischutz und andere soziale Leistungen begrenzen. Öffentliche Schande haftet Frauen an, die ihr Haus ohne männliche Begleitperson verlassen. Frauen sind im ländlichen Bereich besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.

Im gegenständlichen Fall führte das Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass die Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise in Österreich keine "westliche Lebensweise" angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde.

Die Feststellung zur Erstbeschwerdeführerin als eine nicht am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, ergibt sich aus ihren Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie aus dem persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin über die Erstbeschwerdeführerin, der in der Verhandlung gewonnen werden konnte.

Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen ließen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat die in der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gestellten, besonders einfachen Fragen nicht verstanden und auch nicht beantworten können:

„R: Wie alt sind Sie?

BF1 (auf Deutsch): Ich habe eine wie, tschuldige, wie heißen sie? Ich habe 27 Jahre alt.

R: Stellen Sie sich bitte vor?

BF1 (auf Deutsch): Nein.

R wiederholt die Frage.

BF1 (auf Deutsch): Stelle? Stelle.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF1 (auf Deutsch): Ich habe....?

R wiederholt die Frage.

BF1 (auf Deutsch): Ich habe ich Österreich?

R: Wie sieht Ihr Tagesablauf in Österreich aus?

BF1 (auf Deutsch): Wien? Grabengasse.41. Top S. Hause“ (OZ 7, S. 9 f).

Die Erstbeschwerdeführerin hat einen Alphabetisierungskurs besucht, sie spricht jedoch kein Deutsch. Die nicht vorhandenen Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin stehen der Glaubhaftmachung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen, als daraus ersichtlich wird, dass sie bereits in einfachen Alltagssituationen auf die Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen ist. Dies steht der Ausübung und der Verinnerlichung einer selbständigen und selbstbestimmten Lebensweise entgegen. Dies wird auch durch ihre Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu den Lebensmitteleinkäufen noch einmal verdeutlicht:

„R: Wer kümmert sich in Österreich um die Einkäufe?

BF1: Manchmal mache ich die Einkäufe, manchmal mein Mann.

R: Woher wissen Sie, was Sie einkaufen müssen?

BF1: Ich bin zuhause und sehe, was wir dort benötigen. Dann gehe ich einkaufen.

R: Wie erkennen Sie im Supermarkt, welche die richtigen Lebensmittel sind?

BF1: Als ich nach Österreich gekommen bin, ist am Anfang mein Mann mit mir einkaufen gegangen. Er hat mir gezeigt, was was ist und wie viel das kostet. Ich habe mir das mit der Zeit gemerkt und nun kann ich alleine einkaufen.

R: Das heißt. Sie kaufen das, was Ihnen damals Ihr Mann gezeigt hat?

BF1: Ja“ (OZ 7, S. 17).

Aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich, dass sie alleine nur das einkaufen kann, was ihr Mann ihr vorab gezeigt und erklärt hat, da sie ansonsten nicht weiß, was was ist. Es entspricht keinesfalls einer selbstbestimmten Lebensweise, wenn es ihr nicht einmal möglich ist, grundlegende Lebensmittel im Supermarkt ohne die Hilfe ihres Mannes kaufen zu können. Dies steht der Ausübung und der Verinnerlichung einer selbständigen und selbstbestimmten Lebensweise entgegen.

Die Erstbeschwerdeführerin bewegt sich zudem lediglich in einem sehr kleinen Bewegungsradius. Sie beschäftigt sich überwiegend mit dem Haushalt. Befragt, was sie in ihrer Freizeit mache, gab sie an, dass sie jeden Tag bis 11 Uhr einen Deutschkurs gehabt habe. Danach habe sie sich um den Haushalt gekümmert und habe Einkäufe erledigt. Gelegentlich habe sie Freunde getroffen oder sei spazieren gegangen (OZ 7, S. 11). Gelegentliche Spaziergänge oder Treffen mit afghanischen bzw. arabischen Freunden stellen nach Auffassung des Gerichts für sich genommen eben noch kein ausreichend tragfähiges Substrat für die Annahme eines selbstbestimmten Lebens dar.

Auch die Angaben des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin über ihren Tagesablauf zeigen, dass diese keine selbstbestimmte Lebensweise ausübt und eine solche auch nicht Bestandteil ihrer Persönlichkeit geworden ist. So gab er an:

„R: Wie ist der Tagesablauf der BF1, was macht die BF1 den ganzen Tag?

Z: In der Früh stehen wir alle zusammen auf und frühstücken gemeinsam. Um ca. 7:20 Verlassen wir alle die Wohnung. Meine Tochter geht selbstständig in die Schule. Meine Frau und ich fahren dann zum Deutschkurs. Ich besuche einen A2 Kurs und sie hat einen Alphabetisierungskurs besucht und diesen mittlerweile beendet. Der Unterricht hat bis 11 Uhr gedauert, danach sind ich und meine Frau gemeinsam nachhause gekommen und haben zu Mittag gegessen. Danach hat sie entweder Einkäufe erledigt oder ich bin einkaufen gegangen und sie hat die Hausarbeiten gemacht, danach haben wir beide unsere Hausaufgaben für den Deutschkurs erledigt. Meine Tochter ist immer bis 16 Uhr in der Schule. Meine Frau oder ich holen sie dann von der Schule ab. Sie isst zuhause. Meine Frau geht dann manchmal am Nachmittag spazieren oder Rad fahren. Sie kocht das Abendessen. Meine Tochter macht die Schulaufgaben und wir lernen Deutsch. Meine Frau ist auf der Suche nach Kontakten zu Österreichern damit sie Deutsch sprechen üben kann. Sie trifft sich mit ihren arabischen Freundinnen. Sie möchten alle gemeinsam ein Cafe, in dem man auch Österreicher treffen kann, finden. Ich habe den genauen Begriff für so ein Cafe vergessen“ (OZ 7, S. 21).

Aus den Angaben ergibt sich, dass die Erstbeschwerdeführerin überwiegend an ihrem Mann sowie an der Haushaltsführung orientiert ist.

Hinsichtlich des Sprachcafés, in das die Erstbeschwerdeführerin angeblich gehen wolle, ist auszuführen, dass auch dieses ihr Ehemann für sie herausgesucht, telefonisch angefragt hat, ob es einen Platz für die Erstbeschwerdeführerin gebe (OZ 7, S. 25) und tatsächlich durch den Ehemann vorgegeben ist, dass die Erstbeschwerdeführerin ein solches besuchen sollte. Die Erstbeschwerdeführerin ist erheblich von ihrem Ehemann und dessen Fähigkeiten abhängig und führt keine selbstbestimmte Lebensweise. Es liegt bei ihr keine Eigeninitiative und kein Wunsch nach Selbstbestimmtheit vor. Sie nimmt nur die minimalsten Integrationsangebote wahr und diese auch nur, weil dies von ihrem Ehemann so vorgegeben wird.

Bezüglich der von der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachten sozialen Kontakte ist anzumerken, dass sie zunächst angab, afghanische, arabische und österreichische Freunde aus dem Deutschkurs zu haben (OZ 7, S. 12). Erst auf Nachfrage der erkennenden Richterin bezüglich der „österreichischen Freundin“ erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie diese „vermeintlichen Freundinnen“ nur ein paar Mal bei gemeinsamen Treffen mit Freunden gesehen habe (OZ 7, S. 13). Es ist außerdem anzumerken, dass die Erstbeschwerdeführerin auf die Unterstützung und die besseren Deutschkenntnisse ihrer afghanischen Freundinnen angewiesen war, um sich auch mit den anderen Teilnehmerinnen des Deutschkurses zu treffen oder zu unterhalten:

„R: Wo haben Sie XXXX und XXXX kennengelernt?

BF1: XXXX war mit mir in der gleichen Klasse beim Deutschkurs. XXXX war in einer nebenklasse. XXXX und XXXX waren in XXXX Klasse. Wir haben uns in den Pausen getroffen und haben uns unterhalten und uns angefreundet. Wenn wir uns treffen wollen, machen wir uns einen Treffpunkt aus, alle kommen dort hin und wir gehen dann in ein Restaurant oder wir kaufen uns etwas zu trinken.

R: Wie sprechen Sie mit XXXX und XXXX ?

BF1: XXXX und XXXX sprechen arabisch und deutsch. Ich kann kein arabisch. Ich versuche mich mit ihnen auf Deutsch zu unterhalten. Meine afghanischen Freundinnen können besser Deutsch.

R: Woher kennen Sie XXXX ?

BF1: XXXX ist eigentlich die Freundin von XXXX und sie ist zu einigen Treffen gekommen und ich habe sie dann auch kennengelernt.

R: Wo wohnt XXXX ?

BF1: Ich kenne ihre Adresse nicht. Ich habe sie nur ein paar Mal bei gemeinsamen Treffen mit meinen Freunden gesehen“ (OZ 7, S. 12 f).

Aus diesen Angaben ergibt sich, dass die Erstbeschwerdeführerin nur über den Deutschkurs sehr losen Kontakte zu anderen Frauen hat. Sie versuchte zwar dies als regelmäßige soziale Kontakte und Freundschaften dazustellen. Durch konkrete Nachfragen ergab sich jedoch, dass diese Kontakte überwiegend auf den Deutschkurs beschränkt sind, da sich die Beschwerdeführerin z.B. mit XXXX und XXXX gar nicht unterhalten kann und sie die „Freundin“ XXXX tatsächlich nur ein paar Mal überhaupt gesehen hat. Den meisten Kontakt hat die Erstbeschwerdeführerin jedoch mit ihrem Mann und ihrer Tochter, an denen sie orientiert ist (OZ 7, S. 12).

Sie machte bei Gericht zudem den Eindruck, dass sie sich noch so gut wie gar nicht mit Berufsmöglichkeiten und Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich beschäftigt hat. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab sie dazu an:

„R: Wovon wollen Sie in Zukunft in Österreich leben?

BF1: Mein Wunsch ist es, eines Tages als Krankenschwester zu arbeiten. Ich bin derzeit damit beschäftigt Deutsch zu lernen. Danach möchte ich gerne eine Lehre oder eine Ausbildung machen und als Krankenschwester arbeiten. Ich möchte für mich selbst sorgen.

R: Welche Lehre bzw. welche Ausbildung würden Sie gerne machen?

BF1: Krankenschwester oder Krankenpflegerin.

R: Wissen Sie was der Unterschied ist?

BF1: Ja, Krankenschwestern arbeiten im Krankenhaus. Sie können Medikamente verabreichen, sich um die Menschen dort kümmern. Ich möchte gerne in einem Krankenhaus arbeiten.

R: Haben Sie sich in Österreich schon über Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten informiert?

BF1: Ich habe im Internet etwas recherchiert. Soweit ich das verstanden habe, muss ich eine 3-jährige Ausbildung machen und diverse Praktika absolvieren um als Krankenschwester arbeiten zu können.

R: Wie genau sieht die Ausbildung zur Krankenschwester aus?

BF1: Ich muss zuerst einen theoretischen Teil absolvieren, dann muss ich im Krankenhaus einen Ausbildungsplatz finden und dort den praktischen Teil dieser Ausbildung lernen.

R: Können Sie sonst noch etwas zur Ausbildung zur Krankenschwester sagen?

BF1: Nein“ (OZ 7, S. 10 f).

Diese überaus oberflächlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin verdeutlichen, dass sich diese – trotz des nunmehr einjährigen Aufenthaltes – noch nicht intensiv und nachhaltig mit Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten auseinandergesetzt hat. Dies steht einer Glaubhaftmachung des Wunsches nach Ausübung einer Arbeit und Selbständigkeit jedenfalls entgegen. Das Gericht geht davon aus, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich keiner Berufstätigkeit nachgehen möchte.

Dazu kommt, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung angab, dass er für die Erstbeschwerdeführerin im Internet recherchiert und herausgefunden habe, dass die Ausbildung aus einem theoretischen und einem praktischen Teil bestehe. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin konnte in der Beschwerdeverhandlung mehr Angaben zu der gewünschten Ausbildung der Erstbeschwerdeführerin machen als diese selbst:

„R: Hat sich Ihre Frau über die Ausbildung zur Krankenschwester informiert?

Z: Ich habe im Internet recherchiert und herausgefunden, dass man für diese Ausbildung einen theoretischen und einen praktischen Teil absolvieren muss. Es gibt 6 verschiedene Bereiche für die Ausbildung als Krankenschwester, das sind Z.B. Stationsschwester, OP-Schwestern und Schwestern die Gelenke einrenken und für Gipsverbände zuständig sind. Die praktische Ausbildung erfolgt im KH, soweit ich das verstanden habe muss man das Deutschniveau B2 haben.

R: Haben Sie dann diese Informationen an Ihre Frau weitergegeben?

Z: Ja“ (OZ 7, S. 22).

Die Angaben des Zeugen zeigen abermals, dass die Erstbeschwerdeführerin auf ihren Ehemann angewiesen ist und sie nur die Integrationsangebote wahrnimmt bzw. nur über die Informationen verfügt, die von ihrem Mann vorgegeben werden. Die Erstbeschwerdeführerin selber ist nicht an einer selbständigen Lebensweise, einer Ausbildung oder einer Berufsausübung in Österreich interessiert.

Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die Erstbeschwerdeführerin im Iran eine Arbeit ausgeübt hat, dies war jedoch zwingend erforderlich um ihren Lebensunterhalt zu sichern, während ihr Mann bereits in Österreich gelebt hat. Da sie nun wieder bei ihrem Mann lebt, entspricht es dem von ihr in Österreich gezeigten Verhalten, dass sie nun selber keiner Arbeit mehr nachgehen möchte, sondern ihr Mann die Versorgung der Familie sicherstellen soll. Es wäre der Erstbeschwerdeführerin aufgrund ihres subsidiären Schutzstatus auch in Österreich möglich gewesen, bisher einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie hat in Österreich bisher jedoch keine Beschäftigung ausgeübt, sie erklärte nach ihrem Lebensunterhalt befragt vielmehr, dass ihr Mann berufstätig gewesen sei und für sie gesorgt habe. Nunmehr besuche er einen Sprachkurs und beziehe Sozialgeld, wovon sie leben würden (OZ 7, S. 10).

Auch bezüglich der Ausbildung und der Schule der Zweitbeschwerdeführerin ist die Erstbeschwerdeführerin nicht informiert. Ihr ist nicht bekannt, in welche Klasse ihre Tochter geht, sie kennt weder alle Namen der Lehrer noch die Unterrichtsgegenstände.

Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin konnte die Namen der Lehrer sowie der Nachmittagsbetreuer angeben, erklären, wofür diese zuständig sind und nur er hat auch die Schule der Zweitbeschwerdeführerin ausgesucht, deren Adresse er problemlos wiedergeben konnte. Er war persönlich beim Direktor der Schule, um nach einem Schulplatz für seine Tochter zu suchen. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin besucht auch die Elternsprechtage (OZ 7, S. 24 f). Die Erstbeschwerdeführerin überlässt die wichtigen Entscheidungen im Hinblick auf die Ausbildung der Zweitbeschwerdeführerin ganz offensichtlich ihrem Ehemann. Die wesentlichen Entscheidungen des Alltags, der Finanzen und betreffend die Tochter werden vom Ehemann vorgegeben.

Die Erstbeschwerdeführerin erklärte, dass ihre Tochter die zweite Klasse „1A“ (richtig wäre: 2B) besuche, den Namen der Schule kenne sie nicht (OZ 7, S. 13). Sie konnte zwar ein paar Namen der Lehrer nennen, erklärte jedoch deren Funktion und Unterrichtsgegenstände teilweise falsch (OZ 7, S. 13). Es ist anzumerken, dass Teil einer selbstbestimmten Lebensweise wäre, wichtige Entscheidungen bezüglich ihrer eigenen Tochter zu treffen und diese nicht ausschließlich ihrem Ehemann zu überlassen. Würde die Erstbeschwerdeführerin tatsächlich eine selbstbestimmte Lebensweise anstreben, wäre davon auszugehen, dass diese zumindest über die schulischen Aktivitäten der Tochter und Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten in Österreich umfassend informiert wäre.

Das Gericht verkennt nicht, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin angab, dass alle Entscheidungen gemeinsam getroffen werden würden und er und die Erstbeschwerdeführerin Entscheidungen vorher besprechen würden. Aufgrund der angeführten Umstände geht das erkennende Gericht jedoch davon aus, dass tatsächlich der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin besser informiert und er grundsätzlicher der Entscheidungsträger ist sowie, dass die Erstbeschwerdeführerin nur die Integrationsangebote und Entscheidungen wahrnimmt, die vom Ehemann vorgegeben werden.

Die Erstbeschwerdeführerin hat auch keinen Überblick über die Finanzen der Familie, auch diesen Aspekt des Lebens regelt ausschließlich der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin. Für diese Aspekte des Lebens zeigt die Erstbeschwerdeführerin auch kein Interesse.

Dazu befragt gab sie an:

„R: Wie viel verdient Ihr Mann?

BF1: Er wird derzeit vom Staat unterstützt und bekommt ungefähr 950 €.

R: Wie viel zahlen Sie für die Miete?

BF1: Ich denke ca. 700-800 €.

R: Wie viel geben Sie pro Monat für Lebensmittel aus?

BF1: Ungefähr 100 €. Wenn wir Gäste haben, haben wir mehr Ausgaben.

R: Haben Sie sonst noch monatliche Fixkosten, die Sie zahlen müssen?

BF1: Wir haben Fernsehen- und Internetkosten. Für Strom und Gas zahlen wir jährlich einen Beitrag.

R: Wie viel zahlen Sie?

BF1: Für heuer haben wir noch keine Rechnung bekommen. Wir sind noch nicht ein Jahr in der Wohnung, ich weiß nicht wie hoch die Kosten sind.

R: Wer ist Ihre Energie-Anbieter?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Haben Sie für Fernsehen- und Internet denselben Anbieter?

BF1: Das Internet ist von A1 und ich glaube, dass wir den Fernseher von Samsung genommen haben.

[…]

R: Wie viel Geld hat Ihr Ehemann am Konto?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Hat Ihr Ehemann Ersparnisse?

BF1: Nein.

R: Das heißt. Ihr Ehemann besitzt gar keine finanziellen Reserven?

BF1: Nein.

R: Was glauben Sie, wie viel Geld Ihr Ehemann am Konto haben könnte?

BF1: Vielleicht hat er 50-100 € am Konto (OZ 7, S. 14 ff).

Den Angaben des Ehemannes zufolge beträgt die Miete 580 € (nicht 700 – 800 €), für Strom und Gas bezahle er quartalsweise 405 € (nicht jahresweise), ihr Energie-Anbieter sei Wien Energie, sie hätten ein Kombinationsangebot für Internet und Fernsehen von A1. Für Lebensmittel gebe die Familie dem Ehemann zufolge rund 300 € (nicht 100 €) aus.

Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zeigen abermals, dass der Ehemann sämtliche organisatorische Angelegenheiten in Bezug auf die Wohnung oder die gemeinsame Tochter übernimmt. Die wesentlichen Entscheidungen trifft der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin alleine. Diese führt eine sehr unselbständige Lebensweise und ist von ihrem Mann bereits in alltäglichen Situationen abhängig.

Der Ehemann gab auch an, dass er der Erstbeschwerdeführerin bereits viel über die Energiekosten erklärt habe (OZ 7, S. 24). Dennoch konnte die Erstbeschwerdeführerin derartige Informationen in der Verhandlung nicht wiedergeben. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin weder an einer Berufsausübung, den Finanzen der Familie noch an einer selbständigen Lebensführung in Österreich Interesse hat.

Das Leben, das die Erstbeschwerdeführerin in Österreich führt, führt zu keinem deutlichen oder nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan. Die Erstbeschwerdeführerin ist am Ehemann, der Kindererziehung und an der Haushaltsführung orientiert. Die strebt keine selbstbestimmte Lebensweise und auch keine Berufsausübung in Österreich an.

2.2.4. Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um eine mündige Minderjährige im Alter von acht Jahren. Es haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es der Zweitbeschwerdeführerin unmöglich wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren, zumal sie sich zweifelsfrei in einem anpassungsfähigen Alter befindet (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.). Das Bundesverwaltungsgericht geht nicht davon aus, dass unmündigen Minderjährigen dieses Alters eine eigene politische Gesinnung im Zusammenhang mit einer "westlichen und selbstbestimmte Lebensweise" zugesonnen werden kann. Unmündige Minderjährige sind noch sehr von den Entscheidungen ihrer Obsorgeberechtigten abhängig und auf deren Unterstützung und Versorgung angewiesen. Dies steht der Verinnerlichung einer selbstbestimmten Lebensweise entgegen. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach bei der Zweitbeschwerdeführerin bereits eine Verinnerlichung einer selbstbestimmten Lebensweise gegeben sei. Diese übt altersgerechte Aktivitäten aus.

Eine persönliche Bedrohung, die sich gezielt gegen die Zweitbeschwerdeführerin gerichtet hätte, hat die Erstbeschwerdeführerin weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht.

Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin gab vielmehr an, dass er seine Tochter nicht unter Zwang verheiraten und ihr einen Schulbesuch ermöglichen werde.

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass Kinder - auch Mädchen - die Grundschule besuchen können. In einigen Provinzen ist auch der Besuch einer weiterführenden Schule für Mädchen möglich. Frauen können – nach den zum Zeitpunkt der Verkündung heranzuziehenden Länderinformationen – in Afghanistan auch ein Studium absolvieren.

Derzeit stehen wirtschaftliche Gründe, fehlende Lehrkräfte oder die Sicherheitslage in manchen Provinzen einem Schulbesuch entgegen. Da der Vater der Zweitbeschwerdeführerin jedoch angegeben hat, dass er dieser jedenfalls einen Schulbesuch ermöglichen würde, die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund des Alters (acht Jahre) eine Grundschule besuchen würde und solche auch für Mädchen offen stehen, steht ihr die Möglichkeit des Besuchs einer Grundschule in Afghanistan derzeit jedenfalls offen.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide - Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.3. Die von der Erstbeschwerdeführerin geschilderten Vorfällen zu den Problemen ihrer Eltern aufgrund ihrer Mischehe haben nicht stattgefunden.

Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin drohen bei einer Ansiedlung in Afghanistan keine Verfolgung durch Verwandte.

3.1.4. Es konnte auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit der Beschwerdeführerinnen zu den schiitischen Hazara festgestellt werden.

In Ermangelung von den Beschwerdeführerinnen individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob sie im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur Religionsgruppe der Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von schiitischen Hazara in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Angehörigen der Schiiten bzw. der Hazara gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Religions- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen)- Verfolgung ausgesetzt zu sein.

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:

Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.

Es ist daher eine Gruppenverfolgung - sowohl im Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben.

3.1.5. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet, wenn diese in einem wesentlichen Bruch zu den in Afghanistan gelebten Werten führt und daher Sanktionen nach sich ziehen würde; es ist daher zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015).

Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 - 0306, mwN). Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen mit westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (VwGH vom 13.11.2019, Ra 2019/18/0303).

Die Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Sie hat keine "westliche" Lebensführung angenommen, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und mit der sie mit den sozialen Gepflogenheiten Afghanistans brechen würde.

Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte bei der Erstbeschwerdeführerin nicht festgestellt werden. Sie ist an ihrem Ehemann, der Kindererziehung und der Haushaltsführung orientiert. Sie nimmt nur die geringen Integrationsangebote wahr, die ihr in Österreich von ihrem Ehemann vorgegeben werden. Sie ist in Österreich weder an einer Ausbildung noch an einer Berufsausübung interessiert.

Die Erstbeschwerdeführerin verletzt mit ihrer aktuellen Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

3.1.7. Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Kindern in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Kinder gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Alterszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe ausgesetzt zu sein.

Für eine asylrelevante Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer spezifischen Situation als Kind gab es auch keine Anhaltspunkte im Verfahren. Auch unter Berücksichtigung der strengen Anforderungen an die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen (VfGH 11.10.2017, E 1803/2017 ua., mwN) ist somit aufgrund des Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin keine individuelle Bedrohung oder Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren hervorgekommen.

Da die Mutter der Erstbeschwerdeführerin niemals in Afghanistan von der Familie bedroht wurde, ist auch hier keine Verfolgungsgefahr für die Zweitbeschwerdeführerin zu erkennen.

Die Zweitbeschwerdeführerin würde auch nicht unter Zwang verheiratet werden, da dies von ihrem Vater strikt abgelehnt wird.

Nach der Rechtsprechung des VfGH kann eine asylrelevante Verfolgung bei afghanischen Mädchen dann vorliegen, wenn diese die Schule besuchen wollen und sich aus den Länderberichten betreffend Afghanistan ergibt, dass in der Herkunftsregion „wiederholt Gasangriffe auf Mädchenschulen“, „gezielte Angriffe“ durch die Taliban auf Mädchenschulen bzw. den Schulweg der Mädchen durchgeführt werden, um den Mädchen jegliche Schulbildung zu verwehren (VfGH vom 11.06.2015, E602/2015 ua).

Nach den derzeitigen Länderberichten bekannten sich die Taliban dazu, Frauen Arbeit und Bildung im Einklang mit der Scharia bzw. des islamischen Systems der Taliban zu gewähren. Der Umgang der Taliban mit Frauen und Mädchen ist bislang noch überwiegend uneinheitlich und von lokalen und individuellen Umständen abhängig. Die Taliban haben zugesichert, dass auch Mädchen und Frauen unter Einhaltung strikter Geschlechtertrennung Bildungsmöglichkeiten erhalten würden. Faktisch findet - aus einer Reihe von Gründen (ausbleibende Lohnzahlungen, Unsicherheit und Flucht der Lehrer etc.) auch der Schulunterricht für Jungen teilweise nicht statt. Die schwierige wirtschaftliche Lage hat viele Familien dazu gezwungen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen und sie zur Arbeit zu schicken. Millionen von Afghanen wurden während und nach der Übernahme des Landes durch die Taliban vertrieben, und viele vertriebene Kinder gehen nicht zur Schule. Es ist Mädchen nur in einigen Provinzen wie Herat, Balkh (Mazar-e Sharif), Kunduz, Ghazni und Sar-e-Pul möglich die Sekundarstufe oder die Oberstufe zu besuchen. In den anderen Provinzen können Mädchen in die Primarstufe zur Schule gehen. Alle Mädchen, die eine Schule besuchen, müssen in von den Jungen getrennten Klassen, von weiblichen Lehrern unterrichtet werden und den Hijab tragen. An Universitäten in den größten Städten Afghanistans - Kabul, Kandahar und Herat – werden Studentinnen im Unterricht getrennt, separat unterrichtet oder auf bestimmte Bereiche des Campus beschränkt. Der Unterricht an den privaten Universitäten ist derzeit sowohl für Männer als auch für Frauen geöffnet.

Die derzeitige Lage für Mädchen in Afghanistan ist daher nicht mit jener vor einigen Jahren herrschenden Sicherheitslage aus einigen Distrikten vor der Machtübernahme durch die Taliban vergleichbar, in der es in diesen Distrikten gezielte Angriffe auf Mädchenschulen und Mädchen am Schulweg gegeben hat, die durch die Ausübung von Gewalt und gezielten Angriffen generell vom Schulbesuch abgehalten wurden.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist acht Jahre alt. Sie besucht in Österreich eine Volksschule. Bei einer hypothetischen Ansiedlung in Afghanistan würde diese aufgrund des Alters ebenfalls eine Grundschule besuchen. Mädchen in Afghanistan können eine Grundschule besuchen. Diese werden nach den zugrunde liegenden Länderberichten weder von den Taliban noch von der Gesellschaft mit Gewalt vom Besuch einer Grundschule abgehalten.

Das Gericht verkennt nicht, dass in manchen Provinzen der Besuch einer Oberstufe für Mädchen derzeit nicht möglich ist, gleichwohl der Besuch von Universitäten für Mädchen und Frauen in Afghanistan derzeit möglich ist. Die Zweitbeschwerdeführerin ist derzeit jedoch erst 8 Jahre alt, sodass der Besuch einer Oberstufe für diese aus Gründen des Alters für mehrere Jahre nicht im Raum steht. Es kann jedoch nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Zweitbeschwerdeführerin ist zum Zeitpunkt der Entscheidung erst acht Jahre alt. Sie besucht in Österreich eine Volksschule und sie könnte in Afghanistan derzeit eine Grundschule besuchen, da Mädchen in Afghanistan der Besuch einer Grundschule offen steht. Ein Besuch einer weiterführenden Schule oder einer Oberstufe kommt jedoch zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund des Alters der Zweitbeschwerdeführerin für mehrere Jahre nicht in Betracht. Ein erst in einigen Jahren möglicher bzw. verunmöglichter Schulbesuch wäre daher allenfalls spekulativ und steht der Annahme einer derzeitigen und aktuellen Verfolgung entgegen.

Der Zweitbeschwerdeführerin droht daher auch betreffend die Wahrnehmung von Bildungsmöglichkeiten in Afghanistan derzeit (bei Berücksichtigung der Länderinformationen zum Zeitpunkt der Entscheidung und des derzeitigen Alters der Zweitbeschwerdeführerin) keine asylrelevante Verfolgung.

3.1.8. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt werden konnten, liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG nicht vor.

Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide sind daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Rückverweise