JudikaturBVwG

G315 2168462-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
23. März 2022

Spruch

G315 2168462-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017, Zahl: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 06.12.2021, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet) stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten, unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 17.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

2. Am 18.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt. Nach seinen Fluchtgründen befragt, brachte der BF vor, dass er das Land wegen seines Vaters verlassen habe. Sein Vater sei ein Peshmerga (kurdischer Kämpfer) gewesen. Er habe im Kampf gegen die Islamisten eine schwere Verletzung am Bein erlitten, dem Vater sei von der irakischen Regierung nicht geholfen worden. Er wolle in Österreich bleiben und arbeiten, damit sein Vater zur Behandlung hierherkommen könne oder sich im Herkunftsstaat die teuren Operationen leisten könne. Zu seiner Reisebewegung gab er an, dass er die Reisebewegung XXXX aus begonnen habe. Er sei legal mit einem Reisepass ausgereist, den er dann von der Türkei aus in den Irak geschickt habe. Von der Türkei aus sei er mit Hilfe verschiedener Schlepper teilweise zu Fuß und teilweise mit verschiedenen Fahrzeugen über die türkisch-bulgarische Grenze und dann bis nach Sofia, weiter nach Serbien und Ungarn bis nach Österreich gereist.

3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , der nunmehr belangten Behörde (in der Folge kurz als „bB“ bezeichnet) am 03.05.2017 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in kurdischer Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen brachte er vor, dass er sunnitischer Moslem sei und der Volksgruppe der Kurden angehöre. Er habe maturiert und an der technischen Universität zwei Jahre lang in XXXX studiert. Während der Ferien habe er am Bau Hilfstätigkeiten verrichtet. Das Studium habe er wegen einer Bedrohung abgebrochen. Er habe bis zuletzt in XXXX gewohnt. Die Eltern und ein Bruder würden noch in XXXX leben. Die Mutter habe auch vier Brüder in XXXX ; der Vater habe zwei Brüder in XXXX und zwei in Schweden. Der Vater sei Hauptmann bei den Peshmerga und auch sein Bruder sei Peshmerga. Die Eltern würden in einem Haus wohnen und er habe vor seiner Ausreise mit ihnen dort gelebt. Der Vater habe sein Leben und das seines Bruders finanziert; sie beide hätten studiert. Außer im Irak habe er auch noch Verwandte in Schweden. Er habe mit der Familie im Heimatland Kontakt. In Österreich habe er keine Verwandten.

Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte der BF vor, er sei aufgrund von Morddrohungen seitens der Familie seiner ehemaligen Freundin im Irak, mit welcher er vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, geflüchtet.

4. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

5. Mit Verfahrensanordnung vom 02.08.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beigegeben.

6. Mit dem am 14.08.2017 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob der BF durch seine damalige bevollmächtigte Rechtsvertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Bescheid der bB vom 01.08.2017. Es wurde beantragt, dem Antrag des BF auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem BF den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen; in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu die gefällte Rückkehrentscheidung aufzuheben; in eventu die festgestellte Abschiebung aufzuheben; in eventu dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die bB zurückverweisen.

7. Die gegenständliche Beschwerde zum Bescheid vom 01.08.2017 und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 23.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. Sie wurde ursprünglich der Gerichtsabteilung L519 zugewiesen.

8. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 01.09.2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L519 abgenommen und der Gerichtsabteilung L526 neu zugewiesen.

9. Die Vertretungsvollmacht der bisherigen Rechtsvertretung des BF wurde mit Schreiben vom 23.11.2020 ab 31.12.2020 niedergelegt.

10. Seit 01.01.2021 fungiert die BBU GmbH als neue bevollmächtigte Rechtsvertretung des BF.

11. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 14.01.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L526 abgenommen und der Gerichtsabteilung G315 neu zugewiesen.

12. Im Rahmen eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens wurde dem BF mit Schreiben vom 21.04.2021 ein Fragenkatalog mit der Aufforderung zur schriftlichen Beantwortung und Vorlage von Bescheinigungsmitteln binnen einer Frist von zwei Wochen übermittelt.

13. Am 29.04.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht von der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF eine Stellungnahme zum Fragenkatalog und zu seinen Integrationsleistungen ein.

Es wurden Integrationsunterlagen – darunter eine Teilnahmebestätigung für den Deutschkurs „Sprache und Begegnung“ vom Verein „ XXXX “, den der BF vier Mal absolvierte, eine Teilnahmebestätigung vom Integrationsprojekt „ XXXX “ über den Besuch des BF an einem Deutschkurs (Alphabetisierung und Grundkurs) im Zeitraum von 19.01.2017 bis 06.06.2017; eine Teilnahmebestätigung „Treffpunkt Deutsch“ des ÖIF im Zeitraum von 11.12.2017 bis 23.01.2018 und eine Teilnahmebestätigung der „ XXXX “ vom 26.02.2018 über den Besuch des BF an einem Basisbildungskurs – vorgelegt. Weiters wurde eine Bestätigung über den Besuch des BF an einem B1-Kurs von Februar 2018 bis Juni 2018 vom XXXX Hilfswerk ausgestellt, wonach der BF die B1 Prüfung demnächst ablegen werde. Der BF sei auch Fußballspieler beim „FC XXXX “. Die Dokumentenvorlage zeigt den BF auch auf drei Bildern als Spieler bei einem Fußballspiel.

14. Mit Ladung zu einer im Beschwerdeverfahren durchzuführenden mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 13.09.2021 wurden dem BF Länderberichte zur aktuellen Lage im Irak zur schriftlichen Stellungnahme bis spätestens einer Woche vor der mündlichen Verhandlung übermittelt.

15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.12.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der BF, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Kurdisch-Sorani teilnahmen. Das Bundesamt verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 06.12.2021 wurden von der bevollmächtigten Rechtsvertretung folgende Dokumente vorgelegt: ein schriftliches Dokument in arabischer Sprache, eine Kopie des Reisepasses des BF sowie ein Empfehlungsschreiben der XXXX Volkshochschule XXXX , aus dem hervorgeht, dass der BF seit 04.10.2021 einen Lehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses besucht, eine weitere Bestätigung vom 01.12.2021 über die Teilnahme am Lehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses.

Zusätzlich zu den bereits übermittelten länderkundlichen Berichten wurden von der erkennenden Richterin der bevollmächtigten Rechtsvertretung folgende Dokumente zur allfälligen Stellungnahme übergeben:

Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan; Sicherheitslage, Kampfhandlungen, Anschlagskriminalität vom 27.03.2020

IRAK JAHR 2020 und 4. QUARTAL 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location und Event Data Project (ACLED)

Grafik über die Rückkehrer in die Region Kurdistan vom Februar 2021

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

16. Mit E-Mail vom 13.12.2021 übermittelte die bevollmächtigte Rechtsvertretung des BF eine Kopie des Reisepasses des BF sowie die Übernahmebestätigung.

17. Am 17.12.2021 langte schließlich per E-Mail die schriftliche Stellungnahme seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung ein, wonach einerseits zur COVID 19 Pandemie als auch zu den in der Verhandlung vom 06.12.2021 von der erkennenden Richterin ausgehändigten herkunftsstaatsbezogenen Quellen zur Lage im Irak Bezug genommen wurde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass im übermittelten Informationsblatt „Coronavirus: Situation im Irak“ Berichte zu den konkreten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie für Rückkehrer in den Irak fehlen würden. Es sei davon auszugehen, dass die Dunkelziffer im Irak noch weitaus höher sei. Die WHO habe bereits Ende 2020 von einer enormen Gesundheitskrise gewarnt. Dies betreffe auch jegliche medizinische Behandlung, da das irakische Gesundheitssystem derart erodiert sei, dass auch standardmäßige Behandlungen aufgrund der Pandemie nicht möglich sein würden.

Zur Sicherheitslage im Irak wurde vorgebracht, dass die Lage im gesamten Irak sehr prekär sei, insbesondere die Lage in Bagdad, aber auch im Gouvernement Sala al-Din, wo der BF bis zu seiner Ausreise im Juli 2015 in XXXX gelebt habe.

18. Mit Schreiben vom 10.01.2022 wurden dem BF die aktuelle Länderinformation zum Irak zur allfälligen Stellungnahme übermittelt.

19. Die bevollmächtigte Rechtsvertretung des BF verzichtete mit Eingabe vom 14.01.2022 auf eine neuerliche Stellungnahme und verwies auf die bisherigen in das Verfahren eingebrachten Ausführungen zu den Länderinformationen.

20. Die zuvor genannte Stellungnahme stellt die letzte Äußerung des BF in diesem Verfahren dar, weshalb davon auszugehen ist, dass keine Änderung in der dem Gericht bekannt gegebenen Sachlage eingetreten ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Kurdisch-Sorani, er spricht auch persisch. Der Name des BF wurde im Verhandlungsprotokoll korrigiert (vgl. Erstbefragung vom 18.08.2015, AS 1 ff; aktenkundige Kopie des irakischen Reisepasses, Ausstellungsdatum: 27.03.2013, abgelaufen am 25.03.2021, vorgelegt im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 06.12.2021; Niederschrift Bundesamt vom 03.05.2017, AS 49 ff; Verhandlungsprotokoll vom 06.12.2021, S 5 ff).

Es kann nicht festgestellt werden, wo genau der BF aufgewachsen ist und an welchen Orten er im Irak lebte. Zuletzt lebte er jedenfalls in einem Ort südlich von XXXX im Gouvernement XXXX , von wo aus er seine Reisebewegungen begann und wo ihm auch ein Reisepass ausgestellt wurde (vgl. Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Protokoll der Erstbefragung und Protokoll der Einvernahme bei der bB).

Er hat sechs Jahre eine Grundschule, sechs Jahre ein Gymnasium besucht und danach zwei Jahre an der Landwirtschaftsschule am Technischen Institut in XXXX studiert. In den Sommerferien war er als Ferialarbeiter am Bau tätig.

Sein Vater gehört seit 30 Jahren der Peshmerga an und ist bis zur Ausreise des BF auch für dessen Lebensunterhalt aufgekommen. Seine Mutter ist Hausfrau. Sein Bruder lebt mit den Eltern nach wie vor gemeinsam in einem Haus. Ein weiterer Bruder des BF ist 2003 oder 2004 bei einem Autounfall um Leben gekommen. Die Familie des BF lebt im Gouvernement XXXX . Vier Onkel des BF (mütterlicherseits) leben ebenfalls in XXXX . Zwei Geschwister des Vaters des BF leben in XXXX im Governement Salah-ad-Din, zwei in Schweden.

Zu seinen Familienangehörigen im Irak hat der BF regelmäßig per Telefon und über soziale Medien Kontakt (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 03.05.2017, AS 51 ff und Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht S.7).

Es wird festgestellt, dass der BF das Bundesgebiet – entgegen seiner schriftlichen Fragebeantwortung vom 29.04.2021 – seit seiner Asylantragstellung verlassen hat und nach Schweden gereist ist (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 06.12.2021, S15).

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl. Erstbefragung vom 18.08.2015, AS 5; Niederschrift Bundesamt vom 03.05.2017, AS 44; Verhandlungsprotokoll vom 06.12.2021, S 4).

1.2. Der BF verließ den Irak erstmals am 29.07.2015 legal mit dem Bus von XXXX aus und reiste nach Istanbul/Türkei. Der BF reiste in der Folge schlepperunterstützt und illegal mit verschiedenen Fahrzeugen bzw. zu Fuß über die türkisch-bulgarische Grenze bis nach Sofia. Von dort aus reiste er wiederum schlepperunterstützt mit verschiedenen Fahrzeugen und zu Fuß nach Serbien, Ungarn bis nach Österreich, wo er am 17.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl. Erstbefragung vom 18.08.2015, AS 3; Niederschrift Bundesamt vom 03.05.2017, AS 52f).

1.3. Der BF gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an. Er hatte vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen (Verhandlungsprotokoll vom 06.12.2021, S7).

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise Todesdrohungen durch die Familie seiner Freundin ausgesetzt war oder solchen im Falle einer Rückkehr ausgesetzt wäre.

Der BF ist im Fall einer Rückkehr auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam ausgesetzt.

1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Der BF ist ein gesunder, arbeitsfähiger und anpassungsfähiger junger Mensch mit Schulbildung (Absolvierung des Gymnasiums und zwei Jahren an der Universität). Er verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre und verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Ihm ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.5. Der BF legte im Laufe des Rechtsmittelverfahrens seinen Reisepass vor (vgl. aktenkundige Kopie des irakischen Reisepasses).

1.6. Seit seiner Asylantragstellung hält sich der BF nicht ununterbrochen im Bundesgebiet auf weshalb zu seiner Person auch keine durchgehenden Hauptwohnsitzmeldungen vorliegen (vgl. aktenkundiger Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 04.01.2022).

1.7. Hinsichtlich des BF liegen in Österreich nachfolgende Sozialversicherungszeiten vor (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 04.01.2022):

- 18.08.2015 - 27.08.2015 Asylwerber bzw. Flüchtling

- 28.08.2015 - 13.10.2015 Asylwerber bzw. Flüchtling

- 03.05.2016 - laufend Asylwerber bzw. Flüchtling

Der BF ging bis dato keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit nach und lebt nach wie von Leistungen der Grundversorgung (vgl. Sozialversicherungsdaten- und Grundversorgungsdatenauszug).

Der BF ging noch keiner erlaubten Erwerbstätigkeit für Asylwerber in Österreich nach. Seit der Asylantragstellung in Österreich hat noch kein Unternehmen bzw. Dienstgeber für den BF beim AMS eine Beschäftigungsbewilligung beantragt, um den BF als Dienstnehmer zu beschäftigen. Er wohnt seit 2018 in XXXX und hat davor in XXXX gelebt, jedoch keine Bewilligung für Saisonarbeit, etwa im Bereich der Fremdenverkehrswirtschaft, der Gastronomie oder auch der Landwirtschaft erwirkt. Der BF hat in Österreich noch keine Gewerbeberechtigung erlangt, um als Selbständiger arbeiten zu können. Der BF hat in Österreich auch noch keine Hilfsarbeiten, die in Zusammenhang mit seiner Unterbringung stehen, oder gemeinnützige Hilfsarbeiten für Bund, Länder und Gemeinden verrichtet. Der BF war seit der Asylantragstellung auch sonst noch nicht ehrenamtlich tätig (zB für die Rettung, Feuerwehr, sonstige gemeinnützig tätige Organisationen etc.).

Der BF versucht Profifußballer zu werden und sich damit sein Leben in Österreich finanzieren, wenn er einen dauerhaften Aufenthaltstitel erlangen könnte. Er hat aufgrund einer Verletzung seit sechs Monaten nicht mehr Fußball gespielt.

Der BF befindet sich nach wie vor in der Grundversorgung, (vgl. Grundversorgungsdatenauszug vom 23.03.2021).

Der BF ist ledig und kinderlos, er wohnt in einem Flüchtlingsheim. Es leben keine Familienangehörige oder Verwandte in Österreich. Der BF spielt beim „FC XXXX “ Fußball.

Der BF holt derzeit einen dreisemestrigen Pflichtschulabschluss nach, der im Oktober 2021 begonnen hat. Er verfügt über kein ÖSD-Deutschsprachzertifikat und hat zuletzt Kurse für das Sprachniveau B1 besucht. Diesbezüglich konnte jedoch keine erfolgreich abgelegte Sprachprüfung bescheinigt werden, sodass eine Einordnung des konkreten Sprachniveaus des BF in den Europäischen Referenzrahmen nicht möglich ist. Die an den BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Deutsch gerichteten und nicht übersetzten Fragen konnte er nur teilweise verstehen und nicht flüssig auf Deutsch beantworten. Es kann daher nur festgestellt werden, dass der BF über mäßige Deutschkenntnisse verfügt (vgl. Konvolut aktenkundiger Schul- bzw. Kursbesuchsbestätigungen (Verhandlungsprotokoll vom 06.12.2022, S 12 f). Bestätigung „ XXXX Deutschkurs; ÖIF-Bestätigung vom 24.01.2018; Teilnahmebestätigung XXXX vom 28.06.2017, Bestätigung XXXX B1 Kurs vom 08.06.2018; Bestätigung XXXX B1 Kurs vom 03.07.2018; Stellungnahme vom 29.04.2021 samt entsprechenden Beilagen, wie etwa Fotos).

1.8. Der Aufenthalt des BF war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.9. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.10. Zur gegenwärtigen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

1.10.1. Zur Lage in Bezug auf die weltweit herrschende Corona-Pandemie und den Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

Mit Stand 17.03.2022 gab es im Irak 2.31 Mio bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 25116 Todesfälle. Bis 05.03.2022 waren 17,1% vollständig geimpft und 24,8 % erhielten mindestens eine Impfdosis (vgl. z.B. https://covid19.who.int/region/emro/country/iq).

Der Zusammenfassung der WKO lässt sich Folgendes entnehmen (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html):

„Aktuell Wichtig

Alle Passagiere müssen bei AUSREISE aus dem Irak einen negativen PCR-Test vorlegen, um einen irakischen Flughafen betreten zu dürfen.

Erste Dosis des COVID-19-Impfstoffs gilt als Voraussetzung für die Ausnahme der nächtlichen Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen.

Nationales Impfprogramm gegen das Corona-Virus läuft seit 30.3.2021.

Der Irak hat das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder aufgehoben, u.a. Österreich.

Die Region Kurdistan hat das Ein- und Ausreiseverbot für 22 Länder aufgehoben, u.a. Österreich.

Alle Landgrenzen sind bis auf weiteres geschlossen.

Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge offen.

Alle Ministerien arbeiten wieder mit voller Kapazität.

Einreise und Reisebestimmungen

Aufgrund der Verbreitung des Coronavirus kommt es zu Einschränkungen im Flug- und Reiseverkehr:

Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge offen.

Alle Landgrenzen sind bis auf weiteres geschlossen.

Reisen in den Iran sind aus dem Irak und der Region Kurdistan wieder gestattet.

Irak

Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19-Test verfügen. Das Testergebnis muss ausgedruckt in englischer oder arabischer Sprache vorgezeigt werden.

Passagiere, die ein negatives COVID-19-Testergebnis haben, müssen den Test nicht am Flughafen ablegen.

Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten sind vom Passagier zu tragen (USD 50).

Ab 01.11. müssen alle international-Reisenden in irakischen Flughäfen ein internationales Impfzertifikat vorweisen können (Ausnahmen für Genesen und Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können).

Der Irak hat das Einreiseverbot aus folgenden Ländern wieder aufgehoben:

Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Irland, Japan, Luxemburg, der Slowakei, Südafrika, Spanien, Großbritannien, den USA und Sambia.

Flüge zwischen dem Irak und Südafrika sind bis auf weiteres eingestellt worden.

Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen und Experten, die an Serviceprojekten arbeiten, sind vom Einreiseverbot ausgenommen, sofern sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der maximal 72 Stunden vor ihrer Ankunft durchgeführt wurde.

Kurdistan

Alle Reisenden in die Region Kurdistan müssen vor Abreise über einen negativen PCR Test verfügen, welcher nicht älter als 48h ist. Sollte dieser nicht vorliegen, muss bei der Einreise ein PCR-Test auf eigene Kosten gemacht werden.

Im Falle eines positiven Ergebnisses muss eine 14-tägige Quarantäne angetreten werden.

Generell ist weder für geimpfte noch ungeimpfte Personen, die bei Abflug einen negativem PCR Test vorweisen konnten, bei Ankunft in Kurdistan ein weiterer PCR Test notwendig.

Flüge zwischen der Region Kurdistan und Indien sind bis auf weiteres eingestellt worden.

Personen, die von Indien in die Region Kurdistan reisen, müssen sich bei ihrer Ankunft für 14 Tage unter Quarantäne stellen.

Es gilt das Einreiseverbot für Touristen, welche nicht geimpft sind. Es sei denn, sie verfügen über einen negativen PCR-Test, der nicht älter als 48 Stunden alt ist.

Das Einreiseverbot aus folgenden Ländern ist wieder aufgehoben: Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Irland, Japan, Luxemburg, Niederlande, der Slowakei, Spanien, Großbritannien, den USA und Sambia.

Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind vom Einreiseverbot ausgenommen, sofern sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der 72 Stunden vor ihrer Ankunft durchgeführt wurde.

Die Landesgrenze mit der Türkei ist wieder geöffnet.

Bei Auftreten von Symptomen muss das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden.

Hinweis:

Alle Passagiere, die sich in den letzten 30 Tagen im Iran aufgehalten haben, dürfen nicht in Erbil einreisen.

Vom österreichischen Außenministerium ist für den Irak die Sicherheitsstufe 6 (Reisewarnung) ausgegeben. Außerdem warnt das österreichische Außenministerium vor einem hohen Sicherheitsrisiko im Irak in Bezug auf COVID-19 da die registrierten Fälle laut WHO seit neuestem wieder steigen. Es empfiehlt sich, die jeweils aktuellen Reiseinformationen des Außenministeriums und der Botschaft zu konsultieren.

Regelungen für den Güterverkehr

Luftfracht

Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wurden am 23. Juli für kommerzielle Linienflüge wiedereröffnet.

Es ist zu beachten, dass die Zollbehörden nur in einem beschränkten Maß verfügbar sind, die Priorität liegt auf Not- und Hilfsgütern.

Seefracht

Die Häfen von Umm Qassr (UMQ) und Khor Al-Zubair (KAZ) operieren wieder im Normalbetrieb. Regierungsbehörden, wie z.B. das Zollamt arbeiten jedoch nur im beschränktem Maße.

Straßenfracht

Der Irak hat Anfang September seine Landgrenzen wieder geöffnet.

Die örtliche Zollbehörde ist für die Überprüfung der Güter zuständig. Türkischen Fahrern ist es nicht erlaubt in den Irak einzureisen, daher müssen an der Grenze, entweder die Güter umgeladen werden oder es findet ein Tausch der Sattelzugmaschine statt.

Schutzmaßnahmen und Geschäftsleben

Nächtliche Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen von 21:00 – 5:00 Uhr.

Geimpfte Personen (erste Dosis) dürfen sich an Wochenenden während der nächtlichen Ausgangssperre frei bewegen.

Parks, Fitnesscenter, Kinos, Schwimmbäder, Veranstaltungsräume, Einkaufszentren. Restaurants, Cafés und Bars sind unter Auflage des Gesundheitskomitees geöffnet.

Kindergärten, Schulen und Universitäten sind wieder geöffnet.

Versammlungsverbot bleibt aufrecht.

Die irakische Regierung beschränkt das Reisen zwischen Provinzen nicht, aber die Einreise in den Irak zu touristischen und religiösen Zwecken ist verboten.

Ministerien arbeiten wieder mit voller Kapazität.

Ab dem 20.4. wird nur geimpften Personen oder Personen mit einem negativen PCR-Test in Ministerien und Regierungsbehörden der Zutritt erlaubt.

Ab 15.2. sind Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art und Trauerversammlungen bis auf weiteres verboten.

Moscheen sind geöffnet.

Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren.

Kurdistan

Nächtliche Ausgangssperre aufgehoben.

Reisen zwischen der Region Kurdistan und dem Irak sind wieder erlaubt.

Irakische Patienten, die in der Region Kurdistan dringend medizinische Versorgung benötigen, Geschäftsleute und Investoren dürfen mit einem gültigen, negativen PCR-Test einreisen.

Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen sind von dieser Regelung ausgenommen.

Reisen innerhalb der Region Kurdistan ist an Wochenenden wieder erlaubt.

Kindergärten und Schulen sind wieder geöffnet.

Universitäten sind wieder geöffnet.

Öffentliche und private Institute des Bildungsministeriums sind wieder geöffnet.

Ministerien und öffentliche Einrichtungen sind wieder geöffnet, Maskenpflicht für alle.

Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren.

Geschäfte, Restaurants, Einkaufszentren, Cafés, Fitness und Sportzentren sind wieder geöffnet.

Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art, Trauerversammlungen sind weiterhin nicht erlaubt.

In öffentlichen Einrichtungen und auf öffentlichen Plätzen sowie in Einkaufszentren und Märkten gilt die Pflicht zum Tragen einer Maske und zur Einhaltung der Abstandsregeln.

Ebenso Personen, die sich in Fahrzeugen, einschließlich Taxis und Privatwägen befinden, müssen Gesichtsmasken tragen.

Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) widmet USD 22 Mio. des Stabilitätsfonds für Infrastruktur Maßnahmen gegen COVID-19.

Geschäftsmänner aus Najaf spendeten der Regierung IQD 350 Mio. zur Anschaffung von Gütern des medizinischen Bedarfs.

Neues Projekt das Arbeitsstellen und Unterstützung für Unternehmer im Irak generieren soll wurde vom Minister für Migration, Ivan Faeq vorgestellt. 30% des Projektes soll gezielt Frauen unterstützen. Das Projekt wird außerdem von der EU gefördert und unterstützt.

[…]“

1.10.2. Zur sonstigen asyl- und abschiebungsrelevanten allgemeinen Lage im Irak werden auszugsweise nachstehende Feststellungen basierend auf den Länderinformationen der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Irak aus dem COI-CMS, Version 5 (Datum der Veröffentlichung: 02.03.2022) getroffen. Auf die in den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Berichten enthaltenen Grafiken und Quellenangaben wird aus Platzgründen verzichtet. Diesbezüglich wird auf die im Akt erliegende Dokumentation verwiesen:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 23.02.2022

In der vorliegenden Länderinformation wird für die irakischen Gebiete unter der direkten Kontrolle der Zentralregierung in Bagdad, ohne der Kurdischen Region im Irak (KRI) auch der Begriff "föderaler Irak" verwendet, um die Zuordenbarkeit von Informationen, die einerseits den gesamten Irak (inkl. der KRI) und andererseits nur die Gouvernements unter der direkten Kontrolle Bagdads zu verdeutlichen.

In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-Pandemie, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Somit ist, insbesondere was die COVID-19-Maßnahmen anlangt, das Datum der jeweiligen Quelle zu beachten, und nicht nur das Aktualisierungsdatum des Kapitels.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie auf die Bewegungs- und Reisefreiheit der Bürgerinnen und Bürger sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

Nebst dem separaten Kapitel zur COVID-19-Situation, das eine aktuelle Momentaufnahme bzw. einen Überblick bietet, finden sich darüber hinaus spezifische Informationen zur COVID-19-Lage und deren Auswirkungen in eigenen Abschnitten folgender Kapitel bzw. Unter-Kapitel der vorliegenden Länderinformation:

Internet und soziale Medien

Meinungs- und Pressefreiheit in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Protestbewegung

Vereinigungsfreiheit / Opposition in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Haftbedingungen

Kinder/ Bildungszugang

Bewegungsfreiheit

Grundversorgung und Wirtschaft

Grundversorgung und Wirtschaft in Bagdad und im Südirak

Grundversorgung und Wirtschaft im Zentral- und Nordirak

Grundversorgung und Wirtschaft in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Medizinische Versorgung

Rückkehr

Wie in allen Länderinformationen wird bei staatlichen nationalen Institutionen in der Quellenangabe das Land in eckiger Klammer genannt. Aus Gründen der Stringenz geschieht dies auch, wenn aus dem Quellennamen das Land bereits eindeutig hervorgeht.

Im Hinblick auf offizielle Statistiken des Irak wird darauf hingewiesen, dass auch offizielle irakische Stellen bzw. deren zugängliche Veröffentlichungen immer noch veraltetes Zahlenmaterial anführen, da aufgrund der Post-Konflikt-Situation kein neueres empirisches Material generiert wurde. Viele, vor allem wirtschaftliche Zahlen und solche zu humanitären Fragen berufen sich auf Hochrechnungen basierend auf Umfragen sowie empirischen Untersuchungen, deren Ergebnisse je nach angewandter Methodik variieren können.

COVID-19

Letzte Änderung: 24.02.2022

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle im Irak empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/countries/irq/, oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Föderal Irak

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Im März und April 2020 verhängte die Regierung in Bagdad Sperren aufgrund von COVID-19, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der Grenzübergänge führten (FH 3.3.2021). Die im föderalen Irak am 9.6.2021 verhängte Ausgangssperre ist noch aktiv. Ausgangssperren gelten zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr und sind von Freitag bis Sonntag zusätzlich verschärft (IOM 18.6.2021).

Im April und Mai 2020 nutzten die Behörden im Irak die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021). Alle größeren Versammlungen bleiben verboten. Die Behörden halten auch an den vorgeschriebenen sozialen Distanzierungsprotokollen und der Verwendung von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit fest (Garda 4.1.2022).

Nutzer sozialer Medien und Blogger wurden mit Verleumdungsklagen konfrontiert, weil sie die schlechte Reaktion der lokalen Behörden auf die COVID-19-Pandemie kritisierten (FH 3.3.2021).

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Die Hadsch- und Umrah-Behörde registriert keinen Bürger, der die Umrah- und Hadsch-Pilgerreise antreten möchte, wenn dieser keinen Impfnachweis vorweisen kann (GoI 13.4.2021).

Auswirkungen auf die Wirtschaftslage

Die von den irakischen Behörden und der kurdischen Regionalregierung (KRG) verhängten Abriegelungen verschlimmerten die finanziellen Nöte von Niedriglohnarbeitern und Kleinunternehmern (FH 3.3.2021). Die Erwerbsbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten in der Welt. Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich verringert und die Löhne gesenkt. Bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) wurde aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen ab April 2020 ein durchschnittlicher Beschäftigungsrückgang von 40% verzeichnet. Am stärksten betroffen waren KMUs im Baugewerbe und in der verarbeitenden Industrie, mit einem Verlust von 52% der Arbeitsplätze, gefolgt vom Lebensmittel- und Agrarsektor, mit einem Verlust von 45% der Arbeitsplätze (IOM 18.6.2021).

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise haben staatliche Angestellte im gesamten Land keine regelmäßige und volle Gehaltsauszahlung erhalten (GIZ 1.2021b). Die irakische Regierung hat Schwierigkeiten, die Löhne und Gehälter der sechs Millionen im öffentlichen Sektor Angestellten zu zahlen. Millionen Menschen, die im privaten und informellen Sektor gearbeitet haben, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe leben im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 USD pro Tag (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Die COVID-19-Pandemie hat das ohnehin schon marode irakische Gesundheitswesen stark in Mitleidenschaft gezogen, das mit der großen Zahl von Menschen, die sich mit dem Virus infiziert haben, nur schwer zurechtkommt (FH 3.3.2021).

Anfang 2020, zu Beginn der COVID-19-Krise, pausierten die Gesundheitseinrichtungen die meisten Dienstleistungen und konzentrierten sich auf die Erforschung des Virus und seine Auswirkungen. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und seine Dienste wieder auf, mit zusätzlichen Vorschriften wie z. B., dass Krankenhäuser nur nach Terminvereinbarung aufgesucht werden dürfen, strengere Hygienemaßnahmen, und dass medizinisches Personal im Rotationsverfahren eingesetzt wird, was längere Wartezeiten zur Folge hat (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2021 arbeiteten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor fast wieder auf normalem Niveau, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19 auf Anweisung des irakischen Gesundheitsministeriums (MoH) (IOM 18.6.2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

Als Sofortmaßnahme gegen die COVID-19-Pandemie hat das Bundesbildungsministerium Ende Februar 2020 alle Schulen im Irak schließen lassen (UNICEF 20.1.2021). Die Schulen waren von März bis November 2020 geschlossen. Kinder ohne Zugang zu digitalen Lernmöglichkeiten, insbesondere Kinder von Vertriebenen und in Armut lebenden Familien, sind besonders vom Bildungsverlust betroffen. Besonders hart betroffen sind jene Kinder, die bereits vor der Pandemie durch das Leben unter IS-Herrschaft mehrere Jahre an Bildungszugang verloren haben (HRW 13.1.2021). Ende November 2020 wurden die Schulen wieder geöffnet, mit einem Tag Präsenzunterricht pro Woche für jede Klasse (UNICEF 20.2.2021).

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Im April und Mai nutzten die Behörden die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Kurdische Region im Irak (KRI)

Auswirkungen auf die Bewegungs- und die Versammlungsfreiheit

Die in der KRI eingeführten Maßnahmen unterscheiden sich oft von denen im föderalen Irak (IOM 18.6.2021).

Im März und April 2020 verhängte auch die Kurdische Regionalregierung (KRG) aufgrund von COVID-19 Abriegelungen, welche die Bewegungsfreiheit zwischen den Provinzen stark einschränkten und zur Schließung der internationalen Grenzen führten. Die KRG verhängte besonders harte und lange Abriegelungen im Laufe des Jahres 2020: die erste von März bis Mitte Mai, eine weitere Anfang Juni und eine weitere Anfang Juli (FH 3.3.2021).

Alle gesellschaftlichen Versammlungen und Feiern sind seit dem 30.3.2021 bis auf Weiteres verboten (IOM 18.6.2021; vgl. Garde 4.1.2022). Jede Lokalität, die bei einem Verstoß gegen diese Regeln erwischt wird, wird für zehn Tage geschlossen und der Besitzer muss eine Geldstrafe von 1.000.000 IQD [559,59 Euro] zahlen. Restaurants und Cafés sollen ihre Dienstleistungen im Freien anbieten. Falls kein Platz im Freien zur Verfügung steht, muss die Anzahl der Gäste im Inneren begrenzt werden, Fenster und Türen müssen immer offen gehalten werden, und die Tische sollten in einem sozial sicheren Abstand zueinander stehen (nicht weniger als 2 Meter) (IOM 18.6.2021). Alle öffentlichen Räume, wie z. B. Märkte, Restaurants und Geschäfte, dürfen nicht ohne Masken betreten werden (IOM 18.6.2021; vgl. Garde 4.1.2022). Für die Einwohner der KRI gilt Maskenpflicht und eine Abstandsregel von 1,5 Metern. Personen, die in öffentlichen Innenräumen keine Maske tragen, droht eine Geldstrafe von 20.000 IQD (Gov.KRD 30.6.2021).

Im April und Mai nutzten die Behörden die COVID-19-Maßnahmen, um Proteste niederzuschlagen, und die Pressefreiheit, das Versammlungsrecht und die Aktivitäten der Opposition stark einzuschränken (FH 3.3.2021).

Jede Bewegung ist innerhalb der KRI möglich und der Handel zwischen den Provinzen und autonomen Verwaltungen der Region geht weiter (IOM 18.6.2021). Der Verkehr zwischen der KRI und dem föderalen Irak KRI ist möglich, bleibt aber eingeschränkt, gemäß den Anweisungen des Gesundheitsministeriums der KRG (Gov.KRD 2021; vgl. Garda 4.1.2022). Bei der Einreise in die KRI werden an den Grenzübergängen COVID-19-Tests durchgeführt, die einen negativen Befund ergeben müssen. Alle Reisenden, die in die KRI einreisen, müssen entweder einen vollständigen Impfschutz nachweisen oder einen negativen Test vorweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist (Gov.KRD 2021; vgl. Garda 4.1.2022).

Die Flughäfen der KRI sind in Betrieb. Alle abfliegenden und ankommenden Reisenden müssen nachweisen, dass sie längstens 72 Stunden vor Flugantritt negativ auf COVID-19 getestet wurden. Ausreisende Passagiere, die sich dem COVID-19-Test unterziehen wollen, müssen sich mit Reisepass, Gesichtsmaske und mindestens 100.000 IQD bei den von der Regierung bestimmten Kliniken einfinden; die Behörden akzeptieren nur irakische Währung als Zahlungsmittel. Die Testergebnisse liegen innerhalb von 24 bis 48 Stunden vor. Bei Reisenden, die den Test auf dem Flughafen bei der Ausreise machen wollen, kann es zu Verzögerungen kommen. Die Behörden nehmen Beamte, Geschäftsreisende und Touristen mit einem kurzen Aufenthalt aus (Garda 4.1.2022).

Auswirkungen auf die Religionsfreiheit

Moscheen, Kirchen und andere Gebetsstätten sind offen und dürfen unter strengen Richtlinien Pflichtgebete abhalten (Gov.KRD 30.6.2021; vgl. IOM 18.6.2021). Alle Angestellten müssen sich entweder Impfen lassen oder alle 72 Stunden einen COVID-Test durchführen. Einrichtungen, die sich nicht an die Vorgaben halten, werden geschlossen (Gov.KRD 30.6.2021). Das Freitagsgebet darf längstens eine halbe Stunde dauern und Personen dürfen Moscheen nur mit Maske betreten. Die Führer der Religionsgemeinschaften müssen bei der Verbreitung des Gesundheitsbewusstseins und der Leitlinien des Gesundheitsministeriums mitwirken (Gov.KRD 2021).

Begräbnisfeiern mit Gästen sind verboten (Gov.KRD 2021; vgl. Garda 4.1.2022). Verstöße werden mit einer Geldstrafe von 2.000.000 IQD geahndet (Gov.KRD 2021). Das Verbot gilt auch für Hochzeitsfeiern (Garda 4.1.2022).

Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit

Das Verbreiten von Desinformation in den sozialen Medien ist gerichtlich strafbar (Gov.KRD 2021).

Auswirkungen auf die medizinische Versorgung

Einer Studie zufolge hatte die Mehrheit der Binnenvertriebenen (IDPs) und Rückkehrer in der KRI im Berichtszeitraum von Juli bis September 2020 Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung (IOM 18.6.2021). In allen Gouvernements der KRI wurden spezielle Gesundheitszentren eingerichtet, die bei der Erkennung und Behandlung von COVID-19-Infektionen helfen und die notwendige Versorgung gewährleisten sollen (Gov.KRD 2021).

Auswirkungen auf den Bildungszugang

In der KRI wurden die Schulen im März 2020 bis zum Ende des Schuljahres geschlossen (HRW 13.1.2021). Eltern konnten bis zum 31.10.2021 entscheiden, ob ihre Kinder physisch anwesend sein sollten, oder online unterrichtet werden sollten (Gov.KRD 2021).

Es besteht eine Impfpflicht für Lehrkräfte, die in den Ministerien für Bildung, für Höhere Bildung und wissenschaftliche Forschung angestellt sind. Ebenso müssen sich Schüler und Studenten ab dem Alter von 18 Jahren impfen lassen. Die Frist dafür war der 1.12.2021. Bei Nichteinhaltung drohen Disziplinarverfahren nach den allgemeinen Gesundheitsgesetzen (Gov.KRD 2021).

In den Universitäten werden Vorlesungen und Studiengänge unter Einhaltung der Gesundheitsrichtlinien fortgesetzt (Gov.KRD 2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 28.02.2022

Mit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins und der Ba'ath-Partei im März 2003 (DFAT 17.8.2020, S.9) wurde die politische Landschaft des Irak enorm verändert (KAS 2.5.2018, S.2; vgl. Fanack 8.7.2020). 2005 hielt der Irak erstmals demokratische Wahlen ab und führte eine Verfassung ein, die zahlreiche Menschenrechtsbestimmungen enthält. Das Machtvakuum infolge des Regimesturzes und die Misswirtschaft der Besatzungstruppen führten hingegen zu einem langwierigen Aufstand gegen die US-geführten Koalitionstruppen (DFAT 17.8.2020, S.9). Dieses gemischte Bild ist das Ergebnis der intensiven politischen Dynamik, die durch den Aufstieg des Islamischen Staates (IS) auf eine harte Probe gestellt wurde (KAS 2.5.2018, S.2). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2021a).

Gemäß der Verfassung von 2005 ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch republikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine der Hauptquellen der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.8; vgl. Fanack 8.7.2020). Das Land ist in 18 Gouvernements (muhafazāt) unterteilt (Fanack 8.7.2020), jedes mit einem gewählten Rat, der einen Gouverneur ernennt (DFAT 17.8.2020; S.17). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (BS 29.4.2020, S.11; vgl. GIZ 1.2021a, RoI 15.10.2005). An der Spitze der Exekutive steht der Präsident, welcher mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (arab.: majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 8.7.2020). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und repräsentiert die Souveränität und Einheit des Staates (DFAT 17.8.2020, S.17). Das zweite Organ der Exekutive ist der Premierminister, welcher vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt wird (Fanack 8.7.2020; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 8.7.2020; vgl. DFAT 17.8.2020, S.17). Die Legislative wird durch den Repräsentantenrat, d.h. das Parlament, ausgeübt (Fanack 8.7.2020; vgl. KAS 2.5.2018, S.2). Er besteht aus 329 Abgeordneten, die für eine Periode von vier Jahren gewählt werden (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 1.2021a). Neun Sitze sind per Gesetz für ethnische und religiöse Minderheiten reserviert (AA 22.1.2021, S.11; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021) - fünf für Christen und je einer für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Schabak und für Faili-Kurden aus dem Gouvernement Wassit (AA 22.1.2021, S.11; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die Judikative wird vor allem durch den Bundesgerichtshof repräsentiert (KAS 2.5.2018, S.2).

Die Grenzen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind jedoch häufig fließend (FH 3.3.2021). Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a). In Artikel 19 der Verfassung heißt es beispielsweise, dass die Justiz unabhängig ist, und keine Macht über der Justiz steht, außer dem Gesetz selbst. Die Justiz ist jedoch eine der schwächsten Institutionen des Staates, und ihre Unabhängigkeit wird häufig durch die Einmischung politischer Parteien über Patronage-Netzwerke und Klientelismus untergraben (BS 29.4.2020, S.11). [siehe dazu Kapitel "Rechtsschutz / Justizwesen"]

Das politische System des Iraks wird durch das sogenannte Muhasasa-System geprägt. Muhasasa im irakischen Kontext bedeutet die Vergabe von staatlichen Ämtern entlang ethnisch-konfessioneller (Muhasasa Ta’ifiyya) oder parteipolitischer (Muhasasa Hizbiyya) Linien. Der Aufteilung wird ein geschätzter Zensus zu Grunde gelegt, sodass die drei größten Bevölkerungsgruppen (Kurden, Sunniten, Schiiten) ihren Bevölkerungsanteilen gemäß proportional repräsentiert werden. Einige Minderheiten wie Christen und Jesiden sind durch für sie reservierte Sitze repräsentiert. Mit der Vergabe staatlicher Ämter ergibt sich auch ein Zugang zu staatlichen Ressourcen, z.B. durch Zugang zu Budgets von Ministerien oder lokalen Behörden (BAMF 5.2020, S.2f.). Das Muhasasa-System gilt auch für die Staatsführung. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018; vgl. FH 3.3.2021). Das konfessionelle Proporzsystem im Parlament festigt den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindert die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 2.3.2020, S.8). Das seit 2003 etablierte politische Muhasasa-System steht in weiten Teilen der Bevölkerung in der Kritik (BAMF 5.2020, S.30), insbesondere bei säkularen und nationalen Kräften (GIZ 1.2021a). Seit 2015 richten sich die Demonstrationen im Irak zunehmend auch gegen das etablierte Muhasasa-System als solches. Das Muhasasa-System wird für das Scheitern des Staates verantwortlich gemacht (BAMF 5.2020, S.1). Vom Muhasasa-System abgesehen, stehen viele sunnitische Iraker der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber (AA 2.3.2020, S.8).

Für die Durchführung der Wahlen im Irak ist die Unabhängige Hohe Wahlkommission (IHEC) verantwortlich. Sie genießt generell das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und der irakischen Bevölkerung. Der Irak hält regelmäßig, kompetitive Wahlen ab. Die verschiedenen parteipolitischen, ethnischen und konfessionellen Gruppen des Landes sind im Allgemeinen im politischen System vertreten. Allerdings wird die demokratische Regierungsführung in der Praxis durch Korruption und Sicherheitsbedrohungen behindert (FH 3.3.2021).

Seit dem 1.10.2019 anhaltende Massenproteste, die sich gegen Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten von Amerika richteten, führten zum Rücktritt des damaligen Premierministers Adel Abdul Mahdi Ende November 2019 (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020; GIZ 1.2021a). Erst im April 2020 einigten sich die großen Blöcke im Parlament und ihre ausländischen Unterstützer auf einen neuen Kandidaten (FH 3.3.2021). Präsident Salih beauftragte am 9.4.2020 den von den schiitischen Blöcken favorisierten Kandidaten Mustafa al-Kadhimi mit der Regierungsbildung (GIZ 1.2021a).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019; Al Monitor 2.11.2020). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass künftig für Einzelpersonen statt für Parteilisten gestimmt werden soll (NYT 24.12.2019; vgl. FH 3.3.2021, ICG 16.11.2021). Kandidaten können überschüssige Stimmen nicht mehr auf andere Kandidaten ihrer Partei übertragen (ICG 16.11.2021). Die achtzehn irakischen Gouvernements wurden in 83 Wahlbezirke unterteilt, auf die die 329 Parlamentssitze verteilt wurden (ICG 16.11.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die Gouvernements werden hierzu in eine Reihe neuer Wahlbezirke unterteilt, in denen für jeweils etwa 100.000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt wird (FH 3.3.2021). Unklar ist für diese Einteilung jedoch, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (FH 3.3.2021; vgl. NYT 24.12.2019). Die Distrikte haben je nach Größe zwischen drei und sechs Sitze (ICG 16.11.2021). Einige politische Parteien befürchteten Wahlbetrug und lehnten die Einteilung der Wahlbezirke ab. Besonders die traditionellen Parteienblöcke befürchteten einen Verlust an Einfluss durch die Aufteilung ihrer Wählerschaft in die neuen, kleineren Wahlbezirke (Al Monitor 2.11.2020).

Im Juli 2020 hat Premierminister al-Kadhimi ein Versprechen an die Protestbewegung erfüllt und die Vorverlegung der Parlamentswahlen auf den 6.6.2021 beschlossen (Reuters 31.7.2020; vgl. GIZ 1.2021a, Al Monitor 9.12.2020). Auf Vorschlag der IHEC, die um mehr Zeit für die Umsetzung der rechtlichen und logistischen Maßnahmen bat, hat das Kabinett einstimmig entschieden, die Parlamentswahlen auf den 10.10.2021 zu verschieben (Al Jazeera 19.1.2021). Am Vorabend der Parlamentswahlen im Oktober 2021 sahen sich reformorientierte Kandidaten, bei Vorbereitung gegen die etablierten Parteien des Landes anzutreten, zu denen auch bewaffnete Milizen gehören, die das irakische Parlament seit 2018 dominieren, mit beunruhigenden Hindernissen konfrontiert (MEI 22.3.2021).

Am 10.10.2021 fanden Parlamentswahlen statt (HRW 13.1.2022; vgl. KAS 1.2022). Die Wahlbeteiligung war die niedrigste in der Geschichte des Iraks nach 2003 und lag nach der großzügigsten Schätzung bei 43,54 % (KAS 1.2022). Die Bewegung des schiitischen Populistenführers Muqtada as-Sadr, eines Gegners des iranischen und US-amerikanischen Einflusses im Irak, ging als Wahlsieger hervor und erhielt 73 der 329 Parlamentssitze (DW 27.12.2021; vgl. Al Arabiya 27.12.2021, Al Jazeera 27.12.2021, ICG 16.11.2021, Rudaw 30.11.2021, HRW 13.1.2022, KAS 1.2022). Die Fatah- (Eroberungs-) Allianz, der politische Arm der pro-iranischen PMF, ist von vormals 48 Sitzen auf 17 abgestürzt (DW 27.12.2021; vgl. Al Arabiya 27.12.2021, ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die Koalition des ehemaligen Premierministers Nouri al-Maliki zählt ebenso zu den Gewinnern der Wahl. Sie hat 33 Parlamentssitze gewonnen (KAS 1.2022).

Von den sunnitischen Parteien errang die Taqqadum Koalition unter der Führung des scheidenden irakischen Parlamentspräsidenten Mohammed al-Halbousi 37 Sitze (Rudaw 30.11.2021; vgl. ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die ebenfalls sunnitische Partei Azm unter Khamis al-Khanjar erreichte 14 Sitze (ICG 16.11.2021; vgl. KAS 1.2022).

Von den kurdischen Parteien erhielt die KDP 31 Sitze, die PUK 17 und die Bewegung "Neue Generation" neun Sitze (Rudaw 30.11.2021; vgl. ICG 16.11.2021, KAS 1.2022). Die Gorran Bewegung, die bei dieser Wahl auf einer gemeinsamen Liste mit der PUK antrat, hat alle ihre Sitze verloren (ICG 16.11.2021).

Der Anführer der Emtidad-(Fortführungs-) Bewegung, Alaa Al-Rikabi, war einer der wenigen Aktivisten, die aus der Oktoberprotestbewegung als Anführer hervorgingen (KAS 1.2022). Nach dem Endergebnis haben 16 politische Parteien jeweils nur einen Sitz gewonnen (Rudaw 30.11.2021; vgl. KAS 1.2022). 43 Sitze gingen an unabhängige Kandidaten (KAS 1.2022).

Vom Iran unterstützte Gruppierungen, darunter mächtige bewaffnete Gruppen, haben Unregelmäßigkeiten beanstandet (Al Jazeera 27.12.2021). Bei der IHEC gingen mehr als 1.300 Einsprüche ein, die vom "schiitischen Kooperationsrahmen" (CF) eingereicht wurden - einer Gruppierung, die sich hauptsächlich aus schiitischen Gruppen zusammensetzt, die bei den Wahlen schlecht abgeschnitten haben. Die meisten dieser Beschwerden wurden wegen fehlender Beweise abgewiesen (Al-Jazeera 5.11.2021). Am 27.12.2021 hat der oberste Gerichtshof das Wahlergebnis ratifiziert (DW 27.12.2021; vgl. Al Arabiya 27.12.2021). Der CF fordert eine Beteiling in einer Regierung der nationalen Einheit (Al Monitor 1.2.2022).

Bei der Eröffnungssitzung des neugewählten Parlaments am 9.1.2022 hat as-Sadrs ethnokonfessionelle Allianz mit kurdischen und sunnitischen Parteien ihren sunnitischen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten, Mohammed al-Halbusi, mühelos gewählt. Des weiteren konnten die Sadristen 17 weitere Abgeordnete für ihren Block gewinnen und umfassen nun 90 Sitze (Al Monitor 1.2.2022)

Die Wahl des Präsidenten, die für den 7.2.2022 geplant war, kam nicht zustande, da das Parlament nicht beschlussfähig war. Wegen vielfacher Sitzungsboykotte waren nur 58 von 329 Abgeordnete anwesend und damit weniger als die erforderliche Zweidrittelmehrheit, die für die Wahl eines neuen Präsidenten erforderlich ist. Zu dem Boykott kam es, da der Oberste Gerichtshof die Präsidentschaftskandidatur des Wunschkandidaten Hoshyar Zebari von der KDP wegen Bestechungsvorwürfen aus seiner Zeit als Finanzminister im Jahr 2016 ausgesetzt hatte. Es steht im Raum, dass das Parlament erst dann zusammentreten wird, wenn eine Einigung erzielt wurde (Reuters 7.2.2022).

Proteste gegen das Wahlergebnis sind in Bagdad in Gewalt umgeschlagen. Demonstranten, die Betrug anprangerten, stießen außerhalb der "Grünen Zone" in Bagdad mit Sicherheitskräften zusammen (Al-Jazeera 5.11.2021). Dabei wurde am 5.11.2021 während des Protest von Anhängern der Asaib Ahl- al-Haq und Kataib Hezbollah ein Anhänger der Asaib Ahl- al-Haq getötet, mehrere hunderte Sicherheitskräfte wurden verletzt. Der Anführer der Gruppe, Qais al-Khazali, machte Premierminister Kadhimi für den Toten verantwortlich und versprach, ihn vor Gericht zu stellen (ICG 16.11.2021).

Am 31.10.2021 schlugen drei Raketen in der Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes in Bagdad ein, einer Einrichtung, die Kadhimi leitete und immer noch kontrolliert (ICG 16.11.2021). Bei einem Anschlag am 7.11.2021 versuchten ungenannte bewaffnete Akteure mit drei bewaffneten Drohnen, den Premierminister in seiner Residenz zu ermorden, scheiterten jedoch (HRW 12.1.2022; vgl. ICG 16.11.2021). Wegen des Einsatzes von Drohnen wird dieser Anschlag häufig pro-iranischen Gruppen zugeschrieben (ICG 16.11.2021). Am 25.1.2022 wurde auch die Residenz des irakischen Parlamentssprechers Mohammed al-Halbusi mit mindestens drei Raketen beschossen. Der Angriff ereignete sich wenige Stunden, nachdem das Bundesgericht die Wiederwahl Halbusis als Parlamentssprecher bestätigt hatte. Halbusi wurde wiederholt von mit dem Iran verbundenen Gruppierungen und solchen, die ihnen nahe stehen, bedroht (Al Monitor 26.1.2022).

Nach wiederholten Verzögerungen wurden die ursprünglich für 2017 geplanten Wahlen zu den Provinzräten im November 2019 auf unbestimmte Zeit verschoben (FH 3.3.2021). Das irakische Parlament hatte Ende Oktober 2019 beschlossen, die Provinzräte aufzulösen, mit Ausnahme jener in der kurdischen Region im Irak (KRI). Es beschloss jedoch, die Gouverneure im Amt zu belassen, welche die Aufgaben der Räte übernehmen, aber unter der Kontrolle der Zentralregierung stehen. Das irakische Bundesgericht bestätigte Anfang Juni 2021 nach einer vorausgegangenen Klage die Entscheidung des Parlaments von 2019 (Rudaw 2.6.2021).

Kurdische Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 28.02.2022

Die Kurdische Region im Irak (KRI) erhielt bereits 1991 de facto Autonomie (DFAT 17.8.2020, S.18) und ist als territoriale Entität in der irakischen Verfassung anerkannt (DFAT 17.8.2020, S.18; vgl. Rudaw 20.11.2019). Artikel 141 besagt, dass die in der KRI seit 1992 erlassenen Rechtsvorschriften in Kraft bleiben und dass die von der Kurdischen Regionalregierung (KRG) erlassenen Beschlüsse als gültig betrachtet werden, sofern sie nicht im Widerspruch zur irakischen Verfassung stehen (DFAT 17.8.2020, S.18). Die KRI besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah (DFAT 17.8.2020, S.18) sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde (GIZ 1.2021a).

Die KRI wird von einem Präsidenten mit weitreichenden exekutiven Befugnissen geführt. Der Entwurf der kurdischen Verfassung sieht alle vier Jahre Präsidentschaftswahlen vor und begrenzt die Amtszeit auf zwei Perioden. 2013 wurde jedoch die Amtszeit des vormaligen Präsidenten Masoud Barzani von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) nach bereits achtjähriger Amtszeit aufgrund einer politischen Vereinbarung mit der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) verlängert (FH 3.3.2021). Der Präsident der KRI vertritt die KRI auf nationaler und internationaler Ebene und ist für die Beziehungen und die Koordinierung zwischen der Regierung der KRI und der Zentralregierung zuständig. Das kurdische Parlament besteht aus 111 Mitgliedern, die alle vier Jahre gewählt werden. Im aktuellen Parlament, das im November 2018 gewählt wurde, sind sechzehn Parteien und Listen vertreten. Insgesamt sind elf Parlamentssitze für ethnische und konfessionelle Minderheiten reserviert. Je fünf der Sitze sind für Turkmenen und Christen reserviert, einer für Armenier. Laut Gesetz müssen mindestens 30% der Sitze von Frauen gehalten werden (KP 2021; vgl. DFAT 17.8.2020, S.18, FH 3.3.2021). Bei den letzten Wahlen vom September 2018 erzielte die regierende KDP 45 Sitze, die PUK 21, Gorran 12 und mehrere kleinere Parteien und Minderheitenvertreter verteilten sich auf den Rest. Gorran und andere kleinere Parteien lehnten das Wahlergebnis wegen Betrugsvorwürfen und anderer Unregelmäßigkeiten ab (FH 3.3.2021).

Artikel 140 der irakischen Verfassung aus dem Jahr 2005 sieht eine Lösung der Frage um die sogenannten umstrittenen Gebiete, Regionen in den Gouvernements Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din vor (Rudaw 11.11.2020). Artikel 58 beinhaltet Maßnahmen, die darauf abzielen, die unter der Herrschaft von Saddam Hussein durchgeführte Arabisierungspolitik zu korrigieren (Rudaw 30.7.2019; vgl. Rudaw 11.11.2020). Die Frage von Artikel 140 hätte bis spätestens 2007 durch ein Referendum geregelt werden sollen, bei dem die Einwohner des Gebietes entscheiden sollten, ob sie sich der Region Kurdistan anschließen oder an die föderale irakische Regierung gebunden bleiben wollten, wurde jedoch nie umgesetzt (Rudaw 11.11.2020). Im Juli 2019 stellt das Oberste Bundesgericht des Irak fest, dass Artikel 140 und Artikel 58 der Übergangsregierung (2005/2006) nach wie vor umzusetzen sind (Rudaw 30.7.2019). In einer Sitzung des Verfassungsausschusses haben einige schiitische Mitglieder die Meinung geäußert, dass Artikel 140 aus der Verfassung gestrichen werden sollte (Rudaw 11.11.2020).

Im Jahr 2017 hat die KRG zu einem Referendum über die Unabhängigkeit Kurdistans aufgerufen, welches vom irakischen Höchstgericht für verfassungswidrig erklärt wurde (GIZ 1.2021a; vgl. FAZ 18.9.2017). Dieses Unabhängigkeitsreferendum, bei dem sich rund 93% der Wähler für die Unabhängigkeit aussprachen, war angeblich durch Einschüchterung und Betrug beeinträchtigt (FH 3.3.2021; vgl. SDZ 27.9.2017). Im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum hat die irakische Armee die umstrittenen Gebiete, welche nach dem Zurückdrängen des Islamischen Staates (IS) unter kurdischer Kontrolle standen, im Herbst 2017 größtenteils wieder unter ihre Kontrolle gebracht (AA 25.10.2021, S.17-18). Dabei kam es im Oktober 2017 zu teils auch schweren bewaffneten Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 2.3.2020). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 1.2021a). Das Präsidentenamt blieb daraufhin bis Mai 2019 vakant (FH 3.3.2021). Seither ist die Lage in den umstrittenen Gebieten generell angespannt. Es gibt Meldungen von Landbesetzungen und Vertreibung kurdischer Bevölkerungsteile durch Araber einerseits und großen Vorbehalten der dort lebenden Kurden und religiösen Minderheiten gegen die schiitischen PMF-Milizen andererseits (AA 25.10.2021, S.18).

Die Beziehungen zwischen dem Zentralirak und der KRI haben sich während der Amtszeit von Premierministers Kadhimi zwar verbessert, bleiben jedoch angespannt. Grund hierfür sind unter anderem die ausbleibenden, ungeklärten Transferleistungen aus dem Zentralirak, welche die finanzielle Lage der Bevölkerung in der KRI verschlechtern (AA 25.10.2021, S.6). Insbesondere die Verabschiedung eines Gesetzes, das die Festschreibung des KRI-Anteils am irakischen Gesamthaushalt an die die Überweisung von Öl- und Zolleinnahmen der KRI an den Zentralirak bindet, bleiben ein Streitpunkt (AA 25.10.2021, S.6). Am 12.11.2020 verabschiedete das irakische Parlament zudem ein Budget-Defizitgesetz in Abwesenheit der Vertreter der KRI, welche die Sitzung boykottierten. Die KRI wird darin aufgefordert ihre gesamten Einnahmen, insbesondere auch jene aus dem Ölsektor, an die Zentralregierung abzugeben, um vom Staatshaushalt zu profitieren (Kurdistan24 12.11.2020). Dagegen verbesserte sich die Sicherheitskooperation im Kampf gegen den IS leicht (AA 25.10.2021, S.6). Zudem unterzeichneten Bagdad und Erbil im Oktober 2020 eine Übereinkunft zu Sinjar [Shengal], die sich eine rasche Verbesserung der Sicherheitslage und Klärung der Verwaltungsverantwortlichkeiten zum Ziel setzt (AA 22.1.2021, S.6). In Abstimmung mit der UN-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) hat das Abkommen die föderale Regierung gestärkt und den Weg für den Wiederaufbau im Sinjar-Distrikt geebnet. Allerdings nehmen die Jesiden-Vertreter eine ablehnende Haltung ein, da sie in die Verhandlungen nicht einbezogen wurden. Das Abkommen sieht die Beseitigung der bewaffneten Gruppen in der Region vor, einschließlich der PKK und der PMF-Kräfte (Al Monitor 13.10.2020).

Nachdem die KRI 1991 ihre de-facto-Autonomie vom Irak Saddam Husseins erlangt hatte, hat sie sich zu einem politischen Duopol zurückentwickelt, das insbesondere von den beiden familienzentrierten Parteien, der KDP und der PUK, beherrscht wird (MEI 24.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, France24 22.2.2020). In der Region Kurdistan fehlt den demokratischen Institutionen die Kraft, den Einfluss der langjährigen Machthaber einzudämmen (FH 3.3.2021). Diese beiden Parteien kontrollieren die staatlichen Institutionen auf allen Ebenen, dazu das Militär und die inneren Sicherheitskräfte (MEI 24.2.2021). Beide verfügen auch über bewaffnete Einheiten (Peshmergas), die eigentlich unter dem gemeinsamen Kommando des Peshmerga-Ministeriums der KRG stehen sollten (BS 29.4.2020, 7f.; vgl. AA 25.10.2021, S.9). Die KDP und die PUK haben die demokratischen Grundsätze der Regierungsbildung häufig untergraben (BS 29.4.2020, S.14), und versuchen, einen echten demokratischen Diskurs zu verhindern, indem sie den freien Zugang zu staatlichen Informationen einschränken, kritische Journalisten und politische Aktivisten verhaften und ihnen nahestehende Medienunternehmen finanzieren. Darüber hinaus beaufsichtigen sie ein weitverbreitetes Klientelsystem, das durch die Ölindustrie der Region und Budgettransfers der irakischen Regierung angeheizt wird, und das Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor an diejenigen vergibt, die als politisch loyal gelten, und Aufträge an parteinahe Unternehmen vergibt (MEI 24.2.2021). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). In der KRI ist im Raum Erbil und Dohuk eine Oppositionsbewegung zur KDP kaum existent. In der Region um Sulaymaniyah und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren auch Gruppen von der PUK abgewandt, allerdings ohne großen politischen Einfluss gewinnen zu können (AA 25.10.2021, S.10). Trotz Wählerverlustes konnte sich die PUK einflussreiche Ressorts sowohl in der KRG als auch in Bagdad sichern (BS 29.4.2020, S.14). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2021a; vgl. ICG 27.3.2019). Nebst den beiden dominanten Parteien, KDP und PUK, sind insbesondere Gorran (Wandel), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018, S.21; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien präsent (KAS 2.5.2018).

Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani-Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind gleichgeblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Während der Massenproteste in Bagdad und dem Südirak im Herbst 2019 blieb es in der Kurden-Region ruhig. 2017 und 2018 waren zuvor Proteste in der KRI niedergeschlagen worden (BAMF 5.2020, S.10), wobei es sogar, etwa 2017 in Sulaymaniyah, Todesopfer zu beklagen gab (France24, 22.2.2020). Wegen der verschlechterten Wirtschaftslage, hoher Arbeitslosigkeit und des Mangels an Strom- und Wasserversorgung kommt es auch in der KRI zu lokal begrenzten Protesten und Demonstrationen (AA 25.10.2021, S.5). Von Mai bis Oktober 2020 hatten etwa Aktivisten und Lehrer in der Region Dohuk Proteste organisiert, um die von den Behörden verzögerte Auszahlung der Gehälter zu fordern. Es kam auch zu Festnahmen. Infolge verurteilte ein Gericht in der KRI am 16.2.2021 in einem als äußerst fehlerhaft kritisierten Verfahren drei Journalisten und zwei Aktivisten zu sechs Jahren Gefängnis (HRW 22.4.2021). Und im Dezember 2020 wurden bei gewaltsamen Protesten acht Menschen getötet und hunderte verletzt. Anlass waren die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und (wiederum) die Nichtauszahlung von Gehältern im öffentlichen Dienst. In Ortschaften jenseits der größeren Städte und in Sulaymaniyah wurden die Büros diverser Parteien in Brand gesteckt. Die Regierung nahm Organisatoren der Proteste fest und schloss einen Fernsehsender, der über die Demonstrationen berichtete (MEI 24.2.2021; vgl. Al Jazeera 8.12.2020).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.02.2022

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den Zentralirak außerhalb der Hauptstadt (AA 25.10.2021, S.9). Der IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen (Volksmobilisierungskräfte, PMF), aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig (AA 25.10.2021, S.9). Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 25.10.2021, S.15). Die PMF haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 25.10.2021, S.15). [Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi]

Die Überreste des IS zählen zu den primären terroristischen Bedrohungen im Irak. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Terrorgruppe mit Sitz in den Bergen des Nordiraks, verübte ebenfalls mehrere Anschläge in der Kurdischen Region im Irak (KRI), bei denen auch mehrere Angehörige der kurdischen Sicherheitskräfte getötet wurden. Auch gewisse mit dem Iran verbündete Milizen stellen eine terroristische Bedrohung dar (USDOS 16.12.2021).

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den IS (UNSC 30.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter PMF sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 25.10.2021, S.16).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut der Türkei gegen die PKK gerichtet sind, und die Türkei unterhält temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vgl. Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). - Jene Sicherheitslücken werden vom IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 28.02.2022

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS 23.6.2021; vgl. MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021, USDOS 16.12.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Der IS versucht jedoch vor allem in jenen Gebieten Fuß zu fassen, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der föderalen Regierung umstritten ist (USDOS 16.12.2021). Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021). Auch die Vereinten Nationen schätzen die Stärke des IS im Irak und in Syrien auf etwa 10.000 Kämpfer, wobei es sich dabei um eine Schätzung handelt und die Zahl tatsächlich geringer ausfällt (Wilson Center 10.12.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der Kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE 4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran, Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021).

Der verstärkte Einsatz von mobilen IS-Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat (Anm.: Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain. Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der PMF, Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Der IS begeht zumeist Angriffe mit Kleinwaffen, Hinterhalte und Bombenanschläge am Straßenrand (IEDs) (Wilson Center 10.12.2021; vgl. USDOS 16.12.2021). Er greift jedoch auch auf Selbstmordattentate, Attentate, Entführungen und Sabotageakte zurück. Dabei sind Angriffe im kleinen Ausmaß heute am weitesten verbreitet. Die Ziele sind je nach Gebiet unterschiedlich, aber im Allgemeinen handelt es sich um die Sicherheitskräfte der verschiedenen Gebiete, ihre vermeintlichen Unterstützer/Kollaborateure und die breitere Bevölkerung schiitischer und anderer nicht-sunnitischer Muslime, die alle als Ungläubige und Abtrünnige gelten (Wilson Center 10.12.2021).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht, Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des "Kalifen" Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa'id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal'afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vgl. CISAC 2021). Am 4.2.2022 kam al-Qurashi bei einer Militäroperation der USA in Nordsyrien ums Leben (Al Jazeera 4.2.2022; vgl. Reuters 9.2.2022). Die Frage der Nachfolge ist noch offen und wird vermutlich erst in einigen Wochen geklärt werden, nach einer mutmaßlichen Sicherheitsüberprüfung des IS, um mögliche undichte Stellen zu finden, die zum Tod von Quraishi geführt haben (Reuters 9.2.2022).

Dem "Kalifen" sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des Letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020).

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 28.02.2022

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Im Januar 2022 wurden im Irak insgesamt 84 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet. Dies ist ein Anstieg gegenüber 78 im Dezember 2021 und 67 im November 2021. Dieser Anstieg ist auf Aktivitäten von mit dem Iran verbundenen Volksmobilisierungskräfte (PMF) zurückzuführen. So gab es im Jänner 2022 31 erfolgreiche Angriffe pro-iranischer Gruppen und neun weitere Vorfälle. Dies ist ein Anstieg gegenüber 21 im Dezember 2021 und die höchste PMF zugeschriebene Vorfallszahl seit Beginn ihrer jüngsten Operationen. Wie üblich konzentrieren sie sich auf IED-Angriffe gegen Versorgungskonvois, die für die USA tätig sind (Wing 7.2.2022).

Es kam auch zu politischer Gewalt durch diese Gruppierungen, um Moqtada as-Sadr und dessen Verbündete unter Druck zu setzen, damit diese den sog. "Koordinationsrahmen" - ein Bündnis aller wichtigen pro-iranischen schiitischen Parteien - in die neue Regierung aufnehmen. Es kam z.B. auch zu Bombenanschlägen auf die Büros der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad und auf das Büro des stellvertretenden Sprechers in Kirkuk, zu Raketenangriffen auf das Haus des Sprechers Mohammed Halbusi in Anbar, zu einem Anschlag mit einem Molotow-Cocktail, der auf ein Sadr-Gebäude in Bagdad geworfen wurde, zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär in der Hauptstadt sowie zu Granaten-Anschlägen auf Gebäude der sunnitischen Bündnisse Taqadum und Azm in Bagdad. Auch zwei kurdische Banken in Bagdad wurden bombardiert (Wing 7.2.2022).

Die Zahl der vom IS verübten Anschläge ist in den letzten fünf Monaten zurückgegangen. Im Januar 2022 waren es 46 gegenüber je 55 im Dezember und November 2021, 65 im Oktober 2021 und 70 im September 2021. Es war die niedrigste Zahl von Anschlägen im Irak seit 2003 (Wing 7.2.2022).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Jänner 2022 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2022).

Auch laut den vom IS in seinem wöchentlichen Newsletter al Naba veröffentlichten Zahlen ist die Zahl der Anschläge im Irak gesunken. Im Jahr 2020 beanspruchte der IS im Irak durchschnittlich 110 Anschläge und 207 Tote pro Monat. Im Jahr 2021 waren es (Mit Stand Dezember 2021) durchschnittlich 87 Anschläge und 149 Tote pro Monat (Wilson Center 10.12.2021).

Sicherheitslage Bagdad

Letzte Änderung: 28.02.2022

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, das seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Gebiete (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmiya, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten "Bagdader Gürtel" (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 Kilometern um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Ba'qubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Im Ort Tarmiya im nördlichen Teil des Gouvernement Bagdad, hat der Islamische Staat (IS) eine Zelle reaktiviert (Wing 2.8.2021). Im August 2021 haben Sicherheitskräfte eine Operation gegen diese IS-Zelle gestartet, nachdem der IS seine Angriffe in den vorangegangenen Monaten verstärkt hatte (Anadolu 23.8.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Mitte August 2021 wurde beispielsweise bei Tarmiya ein Strommast gesprengt, der die dortige Pumpstation mit Strom versorgt. Deren Stillstand hatte den Ausfall der Wasserversorgung für mehrere Millionen Menschen im Westen Bagdads zur Folge. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kata'ib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021).

Pro-iranische schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Unter anderem werden auch aus dem Gouvernement Bagdad Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Pro-iranische Milizen werden auch für Raketen- und Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad und auf die sogenannte Grüne Zone (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandsvertretungen beherbergt) verantwortlich gemacht. Siehe dazu die folgende Auflistungen der monatlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle:

Im Jänner 2021 wurden im Gouvernement Bagdad zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 111 Verletzten verzeichnet. 32 der Toten und 110 der Verletzten waren Zivilisten. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 4.2.2021). Der IS hat im Jänner 2021 einen doppelten Selbstmordanschlag auf einem Markt am Tayaran-Platz im Zentrum Bagdads ausgeführt, bei dem 32 Menschen getötet und 110 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vgl. BBC 21.1.2021, Wing 4.2.2021). Pro-iranische Milizen zeichneten sich verantwortlich für drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und für den Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad (Wing 4.2.2021).

Im Februar 2021 wurden zehn Vorfälle mit vier Toten und drei Verletzten verzeichnet. Je fünf Vorfälle werden dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Bei den IS-Vorfällen handelte es sich, bis auf ein Feuergefecht in Tarmiya im Norden Bagdads, um Angriffe von geringem Ausmaß. Bei vier der pro-iranischen Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, beim fünften um einen Raketenbeschuss der Grünen Zone in Bagdad (Wing 8.3.2021).

Im März 2021 gab es zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und sieben Verletzten, davon waren zwei der getöteten und sechs der verwundeten Personen Zivilisten. Acht dieser Vorfälle werden dem IS, zwei weitere pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die IS-Angriffe umfassten unter anderem ein Feuergefecht, den Einsatz einer Motorradbombe und den Angriff auf das Haus eines Sheikhs mit einem Sprengsatz. Tarmiya, von dem aus eine IS-Zelle operiert, war hauptsächlich von den IS-Übergriffen betroffen. Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 5.4.2021).

Im April 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Vier dieser Vorfälle werden dem IS, drei pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Bei einem der IS-Angriffe handelte es sich um einen Anschlag unter Verwendung einer Autobombe auf einem Markt in Sadr City, bei dem vier Menschen getötet und 20 verwundet wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vgl. Garda 15.4.2021, Wing 3.5.2021). Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich wiederum um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie um Raketenbeschuss einer Militärbasis (Wing 3.5.2021).

Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten verzeichnet, von denen zwei Zivilisten waren. Sieben Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, wobei sich sechs im nördlichen Tarmiya Distrikt ereigneten. Zwei Vorfälle, ein Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad und ein vereitelter Angriff, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021).

Im Juni 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 39 Verletzten verzeichnet. Sieben der Toten und 36 der Verletzten waren zivile Opfer. Zehn der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Sechs der sicherheitsrelevanten Vorfälle, unter anderem ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Weitere Angriffe konnten verhindert werden (Wing 6.7.2021).

Im Juli 2021 wurden 18 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten, davon 38 Zivilisten, und 59 zivile Verletzte verzeichnet. 14 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Am 19.7.2021 führte der IS ein Selbstmordattentat in einem Markt in Sadr City aus, bei dem 35 Menschen getötet und 59 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vgl. Wing 2.8.2021). Vier Vorfälle, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, zwei Raketenbeschüsse der Grünen Zone sowie die Entschärfung einer Rakete, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (WIng 2.8.2021).

Im August 2021 wurden zehn Vorfälle, mit acht Toten und elf Verwundeten verzeichnet, wobei zwei der Verwundeten Zivilisten waren. Sechs Angriffe werden dem IS zugeordnet, vier pro-iranischen Milizen. Der IS war im Gouvernement Bagdad neuerlich in Tarmiya am aktivsten, wo unter anderem ein Brigade-Hauptquartier der Volksmobilisierungskräfte (PMF) angegriffen wurde. Bei den vier Vorfällen unter Beteiligung pro-iranischen Milizen handelt es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der US-Streitkräfte (Wing 6.9.2021).

Im September 2021 wurde lediglich ein IED-Angriff von PMF auf einen Versorgungskonvoi der US-Streitkräfte verzeichnet (Wing 4.10.2021).

Im Oktober 2021 wurden neun Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet, wobei alle Opfer Zivilisten waren. Sieben Angriffe werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen. Bei einem dieser Angriffe handelte es sich wiederum um einen IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA (Wing 4.11.2021). Am 31.10.2021 schlugen drei Raketen in der Nähe des Hauptquartiers des Geheimdienstes im Distrikt Mansour ein (ICG 16.11.2021; vgl. Wing 4.11.2021). Des weiteren wurden im Oktober 2021 15 Proteste verzeichnet, von denen zwölf friedlich verliefen und drei als gewalttätige Demonstrationen deklariert wurden, ohne jedoch Opfer zu fordern (ACLED 2022)

Im November 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Verletzten verzeichnet. Ein Vorfall wird mit dem IS in Verbindung gebracht, während der zweite pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird (Wing 6.12.2021).Am 7.11.2021 wurde die Residenz von Premierminister Kadhimi in Bagdad mit drei bewaffneten Drohnen angriffen, wobei der Premierminister und fünf seiner Leibwachen verletzt wurden (ICG 16.11.2021; vgl. HRW 13.1.2022, Wing 6.12.2021). Dies geschah, nachdem unter anderem ein Kommandeur der Asa'ib Ahl Al-Haqq-Brigade am 5.11.2021 als Teil eines Mobs getötet wurde, der versuchte, die Grüne Zone zu stürmen (Wing 6.12.2021; vgl. Garda World 5.11.2021). Mindestens drei Demonstranten wurden getötet und Dutzende weitere verletzt (Garda World 5.11.2021; vgl. ACLED 2022). Weitere zehn Proteste, die im November in Bagdad stattfanden, verliefen friedlich (ACLED 2022).

Im Dezember 2021 wurden drei Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Bei zweien handelte es sich um IED-Angriffe auf US-Versorgungskonvois, bei einem um Raketenbeschuss auf die Grüne Zone (Wing 4.1.2022). Im Dezember wurden acht Proteste verzeichnet, von denen sechs friedlich blieben, während zwei gewalttätig verliefen, ohne jedoch Opfer zu fordern (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden 22 sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Sechs dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben. Es kam zu Zwischenfällen in Tarmiya und Taji, sowie zu einem Bombenanschlag im südlichen Madain. Für 16 Vorfälle werden pro-iranische Milizen verantwortlich gemacht. Dazu zählten sechs IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, eine weitere IED konnte entschärft werden (Wing 7.2.2022). Mehrere Raketen und Drohnenangriffe im Lauf des Monats werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben: Am 3.1.2022 wurden bewaffnete Drohnen nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad abgeschossen (AAA 3.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022). Am 5.1.2022 wurde die US-Basis Camp Victory nahe dem Internationalen Flughafen Bagdad von Raketen getroffen (AAA 5.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022). Am 28.1.2022 schlugen Raketen am Internationalen Flughafen Bagdad ein (Al Monitor 28.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022). Des Weiteren wurden bei Raketenbeschuss der Green Zone, neben dem Gelände der US-Botschaft auch eine Schule getroffen, wobei eine Frau und zwei Kinder verletzt wurden (AN 15.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022).

Es kam auch zu mehreren Vorfällen politischer Gewalt durch pro-iranische Gruppen. Es wird angenommen, dass diese Druck auf Muqtada as-Sadr und seine Verbündeten ausüben, damit der sogenannte Koordinationsrahmen (CF), dem alle wichtigen [pro-iranischen] schiitischen Parteien außer der as-Sadrs angehören, in die neue Regierung aufgenommen werden (Wing 7.2.2022). Es kam zu einem Bombenanschlag auf das Büro der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad (Bas News 13.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022), zu einem Angriff mit einem Molotow-Cocktail auf ein Gebäude von as-Sadrs Partei (Wing 7.2.2022), zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär (Bas News 14.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022), sowie zu Granatenangriffen auf Gebäude der sunnitischen Parteien Taqqadum und Azm in Bagdad (AN 15.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022). Schließlich wurden auch zwei kurdische Banken in der Hauptstadt bombardiert (Wing 7.2.2022). Proteste, von denen im Jänner 2021 in Bagdad sieben verzeichnet wurden, blieben friedlich (ACLED 2022).

[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel Protestbewegung entnommen werden.]

Sicherheitslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 28.02.2022

Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) ist in den Qandil Bergen (Erbil) präsent (WKI 11.5.2021). 2007 haben die Türkei und die Zentralregierung in Bagdad eine Vereinbarung getroffen, dass die Türkei Kämpfer der verbotenen PKK über die gebirgige Grenze in den Nordirak verfolgen darf, ohne zuvor die Erlaubnis der irakischen Regierung in Bagdad einholen zu müssen (Reuters 28.9.2007). Die Türkei führt im Nordirak zum Teil massive militärische Operationen gegen die PKK durch (GIZ 1.2021a). Im Jahr 2020 führten die türkischen Streitkräfte die "Operation Kralle" in der Kurdischen Region im Irak (KRI) aus (FH 3.3.2021) und errichtete mehrere temporäre Militärstützpunkte, vorgeblich, um die eigene Grenzsicherheit zu erhöhen (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 1.2021a). Die Türkei hat eine etwa 25 km tiefe Sicherheitszone errichtet und verfügt über mindestens 41 Militärstützpunkte in der KRI (WKI 11.5.2021). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020). Im April 2021 hat die Türkei eine neuerliche Militäroperation gegen die PKK in den Gebieten von Metina, Avasin und Basyan, im Gouvernement Dohuk eingeleitet (Al Jazeera 16.8.2021; vgl. FAZ 24.4.2021, Rudaw 24.4.2021). Ein Ziel der Operation ist es, eine Militärbasis zu errichten, um die Bewegungen der PKK zwischen der KRI, der Türkei und Syrien zu unterbinden (Rudaw 5.5.2021). Das Gebiet von Metina, wo eine neue türkische Basis entstehen soll, steht im Mittelpunkt der Operation "Krallenblitz", während die "Operation Krallendonnerkeil" auf die Gebiete Avashin und Basyan weiter östlich zielt (IKHRW o.D.).

Der IS greift in der KRI gelegentlich an und sucht nach günstigen Gelegenheiten für Angriffe (Wing 3.5.2021). Der IS hat die Taktik geändert, von groß angelegten zu kleineren und gezielten Angriffen. Dabei hat der IS seine Angriffe auch auf kurdische Sicherheitskräfte verstärkt (VOA 11.5.2021). Der IS teste auch im November und Dezember 2021 die Sicherheit in der KRI mit Angriffen in Sulaymaniyah und Erbil (Wing 4.1.2022).

Gouvernement Erbil

Im Februar 2021 wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall (Raketenbeschuss des Flughafen Erbil, der pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird) mit zwei Toten und acht Verletzten verzeichnet (Wing 8.3.2021).

Im April 2021 wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall (Drohnenangriff auf den Flughafen Erbil, der ebenfalls pro-iranischen Milizen zugeschrieben wird) ohne Opfer verzeichnet (Wing 3.5.2021).

Im Mai 2021 wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit je einem Toten und Verletzten verzeichnet, der dem IS zugeordnet wird. Beide Opfer waren Peshmerga (Wing 7.6.2021).

Im Juni 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Je ein Vorfall wird pro-iranischen Milizen und dem IS zugeschrieben (Wing 6.7.2021).

Im Juli 2021 waren es vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Todesfall. Je zwei Vorfälle werden pro-iranischen Milizen und dem IS zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Am 6.7.2021 wurde der Luftwaffenstützpunkt am Flughafen in Erbil mit Raketen beschossen (Al Monitor 7.7.2021). Am 24.7.2021 traf ein Drohnenangriff die Al-Harir Militärbasis (Wing 2.8.2021).

Im August wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle (Schießereien, Entführungen, und Angriffen auf Kontrollpunkte und auf Dörfer, die dem IS zugeschrieben werden) mit einem Toten und fünf Verletzten im südlich gelegenen Distrikt Makhmour, welcher zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" zählt, verzeichnet (Wing 6.9.2021).

Im September 2021 wurden sieben Vorfälle mit je neun Toten und Verletzten verzeichnet. Ein Vorfall, eine Drohnenattacke auf den Flughafen in Erbil wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben, bei den übrigen sechs Vorfällen war der IS involviert (Wing 4.10.2021).

Im Dezember 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Für alle Angriffe wurde der IS verantwortlich gemacht. Bei den Schießereien, zwei davon waren Angriffe auf Dörfer, wurden zwei Zivilisten getötet und fünf verletzt. Die übrigen Opfer waren Angehörige der Peshmerga und ein Angehöriger der Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) (Wing 4.1.2022).

Zwischen dem 1.10.2021 und dem 31.1.2022 wurden in Erbil 26 Demonstrationen verzeichnet, von denen 23 friedlich verliefen. Bei zwei Studentenprotesten kam es zu Interventionen von Polizei bzw. Asayish. Eine Demonstration wird als gewalttätig kategorisiert. Am 27.10.2021 löste örtliche Polizei einen Studentenprotest in der Stadt Soran auf und beschlagnahmte auch die Ausrüstung von Journalisten. Am 24.11.2021 verriegelten Asayish während einer Studentendemonstration die Tore der medizinischen Fakultät, um die darin befindlichen Studenten daran zu hindern, das Gebäude zu verlassen und sich der laufenden Demonstration anzuschließen. Am 11.1.2022 blockierten Randalierer die Straße von Erbil nach Makhmur mit brennenden Reifen. Der Grund für diese Unruhen ist unbekannt (ACLED 2022).

Gouvernement Dohuk

Für April 2021 hat der Irakexperte Joel Wing einen sicherheitsrelevanten Vorfall mit einem toten türkischen Soldaten und einem verwundeten Zivilisten verzeichnet (Wing 3.5.2021). Ein hochrangiger Sicherheitsbeamter aus Dohuk berichtet, dass im Zuge einer türkischen Militäroperation der Ort Zinare Kesta und nahe gelegene Dörfer in der Region Metina bombardiert wurden (Rudaw 24.4.2021). Das Dorf Zinare Kesta wurde im Mai 2021 aufgrund der schweren türkischen Bombardements vollständig evakuiert (Rudaw 5.5.2021).

Zwischen dem 1.10.2021 und dem 31.1.2022 wurden in Dohuk sieben friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022).

Gouvernement Sulaymaniyah

Im Jänner 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Beide Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.2.2021).

Im April 2021 wurden neuerlich zwei sicherheitsrelevante Vorfälle, diesmal ohne Opfer, verzeichnet. Je ein Vorfall wird pro-iranischen Milizen und dem IS zugeschrieben (Wing 3.5.2021).

Im September 2021 wurde ein Vorfall unter Beteiligung des IS verzeichnet, bei dem zwei Zivilisten starben und vier weitere verletzt wurden (Wing 4.10.2021).

Im November 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und sieben Verletzten verzeichnet, die dem IS zugeschrieben werden. Alle Opfer waren Angehörige der Peshmerga (Wing 6.12.2021).

Zwischen dem 1.10.2021 und dem 31.1.2022 wurden in Sulaymaniyah 85 Demonstrationen verzeichnet, von denen 77 verliefen friedlich, während es bei vieren zu Interventionen der Sicherheitskräfte kam, wobei zweimal auch Tränengas eingesetzt wurde, um die Demonstranten zu zerstreuen. Vier weitere Demonstrationen werden als gewalttätig kategorisiert. Am 23.11.2021 kam es bei einer Studentendemonstration zu einem Zusammenstoß mit der Polizei, die scharfe Munition einsetzte. Die Studenten setzten die Zentralen der Partei der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) sowie das Gebäude von Rudaw TV in Brand. Am Tag darauf, den 24.11.2021 wurden zwei gewalttätige Proteste in Saidsadiq verzeichnet, wobei brennende Straßensperren errichtet und auch das Hauptquartier der Gorran Bewegung in Brand gesetzt wurde. Auch bei einer weiteren Demonstration in Ziriyan in Halabja wurden brennende Straßenspreen errichtet. Es wurden bei den Protesten jedoch keine Todesopfer verzeichnet (ACLED 2022).

Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

Letzte Änderung: 28.02.2022

Die Aktivitäten des Islamischen Staates (IS) nehmen in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad-Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zu, vor allem in abgelegenen Gegenden der zwischen der kurdischen Regionalregierung (KRG) und der irakischen Bundesregierung "umstrittenen Gebiete". IS-Kämpfer wenden "Hit-and-Run"-Taktiken an und verüben Entführungen und Erschießungen in diesen Gebieten (K24 3.7.2021). Der IS infiltriert bereits seit Jahren die Sicherheitslücken, die sich zwischen den irakischen und kurdischen Sicherheitskräften in den umstrittenen Gebieten gebildet haben (JP 1.5.2021).

Die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din sind, ebenso wie viele südirakische Gouvernements von Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs) durch schiitische Milizen (PMF) betroffen, die gegen militärische Versorgungskonvois der USA gerichtet sind. Die Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021).

In den umstrittenen Gebieten gibt es große Sicherheitslücken zwischen den Sicherheitskräften Bagdads und Erbils, die in den nördlichen Gebieten bis zu 60 km und in Diyala um die 40 km breit sind. Diese territorialen Sicherheitslücken haben sich zu sicheren Zufluchtsorten für den IS entwickelt, von wo aus die Kämpfer Anschläge gegen irakische Streitkräfte und kurdische Peshmerga in den Gebieten von Ninewa, Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk verüben (EPC 13.7.2021).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil umstrittenen Gebieten handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel, der zwischen dem arabischen und kurdischen Teil des Irak liegt, und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (ICG 14.12.2018). Die umstrittenen Gebiete umfassen Territorien in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal'afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya und Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der umstrittenen Gebiete ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Shabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die umstrittenen Gebiete umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (ICG 14.12.2018).

In dem Bemühen, die zunehmenden Aktivitäten des IS in den Sicherheitslücken einzudämmen, richten die KRG und die irakische Bundesregierung gemeinsame Koordinationszentren ein (Al Monitor 26.5.2021). Ein Abkommen zwischen Bagdad und Erbil soll die Wiederherstellung der gemeinsamen militärischen Verwaltung dieser Gebiete und die Rückkehr der kurdischen Peschmerga in diese Gebiete, insbesondere in Kirkuk und einigen Teilen von Diyala, mit sich bringen (EPC 13.7.2021).

Gouvernement Anbar

Das Gouvernement Anbar wird vom IS hauptsächlich als Drehscheibe benutzt, was üblicherweise eine geringe Zahl an Angriffen vor Ort zur Folge hat (Wing 5.4.2021).

Im Jänner 2021 wurden in Anbar zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Je ein Toter und ein Verletzter waren Zivilisten. Alle Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 14 Verletzten verzeichnet, jedoch ohne zivile Opfer. Alle Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden fünf Vorfälle mit fünf Verletzten verzeichnet. Bei einem der Opfer handelt es sich um einen Zivilisten. Drei der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, zwei pro-iranischen Milizen, darunter ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, und ein Raketenbeschuss der 'Ain Al-Assad Militärbasis (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden elf Vorfälle mit vier Toten und einem Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Toten handelt es sich um Zivilisten. Vier der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, während sieben der Vorfälle - fünf IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, ein Raketenbeschuss der 'Ain Al-Assad Militärbasis sowie ein Schusswechsel an einem Kontrollpunkt an der saudiarabischen Grenze - pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 13 sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und 15 Verletzten verzeichnet. Sechs der Vorfälle werden dem IS und sieben - drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie zwei Raketen und ein Drohnenangriff auf 'Ain Al-Assad Militärbasis - pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden fünf Vorfälle ohne Opfer verzeichnet. Zwei der Vorfälle werden dem IS und drei - ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie Raketenbeschüsse der 'Ain Al-Assad Militärbasis an unterschiedlichen Tagen - pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 14 Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Bei neun der Toten und acht der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Zwölf der Vorfälle werden dem IS und vier - zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie Raketenbeschüsse der 'Ain Al-Assad Militärbasis an unterschiedlichen Tagen - werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden in Anbar sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und drei Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und zwei Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Fünf Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.9.2021). Der schwerwiegendste Vorfall im August ereignete sich am Grenzübergang Akashat. Ein Grenzpolizist wurde getötet, ein weiterer verletzt und ein dritter entführt und später vom IS enthauptet. Es wird vermutet, dass dies als Einschüchterung gesehen wird, Schmuggelaktionen des IS zu ermöglichen (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden vier Vorfälle mit einem Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Beim Toten handelte es sich um einen Angehörigen der ISF, einer Grenzwache, die entführt und enthauptet wurde, während die Verletzten Angehörige einer PMF-Einheit waren (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden lediglich zwei sicherheitsrelevante Vorfälle ohne Opfer verzeichnet (Wing 4.11.2021). Am 14.10.2021 setzten Randalierer das Parteibüro der Fortschrittspartei im Distrikt Ar Rutba in Brand. Acht Randalierer wurden festgenommen, es gab keine Verletzten (ACLED 2022). Im November 2021 wurden drei Vorfälle mit vier verletzten ISF verzeichnet (Wing 6.12.2021). Im Dezember 2021 wurden drei Vorfälle ohne Opfer verzeichnet, die pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden. Es handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 4.1.2022).

Im Jänner 2022 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Drei der verletzten Opfer waren Zivilisten. Drei Vorfälle werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die 'Ain Al-Assad Militärbasis wurde neuerlich mit Raketen beschossen, während ein Drohnenangrifff vereitelt werden konnte (Wing 7.2.2022). Des weiteren wurde am 25.1.2022 das Haus des Parlamentssprechers Mohammed Halbusi mit einem Molotow-Cocktail angegriffen (Al Monitor 26.1.2022; vgl. Wing 7.2.2022).

Gouvernement Diyala

Das Gouvernement Diyala gilt als ein Zentrum des IS im Irak. Hier hat er im zentralen Distrikt Muqdadiya und im nordöstlich gelegenen Khanaqin de facto die Kontrolle über weite ländliche Gebiete und konzentriert sich darauf, Einheimische und Sicherheitskräfte von diesen Gebieten fernzuhalten (Wing 6.7.2021; vgl. Wing 2.8.2021). Üblicherweise kommt es in den Distrikten Muqdadiya und Khanaqin zu den meisten Zwischenfällen Diyala (Wing 6.7.2021; vgl. Wing 2.8.2021). Mit dem Ende des Sommervorstoßes 2021 wurde Diyala wieder zum Hauptschwerpunkt des IS. Im September 2021 begann der IS, den Nordwesten entlang der Grenze zu Salah ad-Din anzugreifen, über die der IS häufig Männer und Material bewegt. Es wird angenommen, dass der IS versucht die de facto Kontrolle über das Grenzgebiet zu erlangen (Wing 4.10.2021).

Im Februar 2021 wurden in Diyala 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und neun Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 30 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und 49 Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und zehn der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 31 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 18 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und sechs der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten und 15 Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Toten und sieben der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Ein Vorfall wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 13 Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Bei zwölf der Toten und sechs der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden 17 sicherheitsrelevante Vorfälle mit je neun Toten und Verletzten verzeichnet. Bei sechs der Toten und acht der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden 30 Vorfälle, mit 24 Toten und 37 Verletzten verzeichnet, die alle dem IS zugeschrieben werden. Bei 15 der Toten und 13 der Verletzten handelte es sich um Zivilisten, während die übrigen Opfer Angehöriger der ISF und PMF waren (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden 23 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 45 Verletzten verzeichnet. Alle, bis auf einen Vorfall, werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.11.2021). Am 26.10.2021 erfolgte ein IS-Angriff auf das schiitische Dorf Al Rashad im Distrikt al-Miqdadiya, bei dem 17 Personen getötet und 26 weitere verletzt wurden. Die meisten Opfer, darunter auch Frauen und Kinder, waren Zivilisten (NRT 26.10.2021; vgl. Wing 4.11.2021, The National 27.10.2021). Stammesangehörige führten daraufhin einen Vergeltungsschlag gegen das benachbarte Dorf Nahr al-Imam durch. Sie töteten sieben Menschen, setzten 57 Häuser in Brand und zerstörten Anbauflächen. 350 Familien flohen vor der Gewalt (Wing 4.11.2021; vgl. Al Mada Paper 2.11.2021). Im Oktober 2021 wurden drei Demonstrationen verzeichnet. Zwei verliefen friedlich, eine dritte, die von Anhängern der Fatah-Allianz, die gegen den Ausgang der Parlamentswahlen gerichtet war, wurde durch den Einsatz von Spezialeinheiten aufgelöst (ACLED 2022). Im November 2021 wurden 18 Vorfälle mit acht Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Zwei der Toten und fünf der Verletzten waren Zivilisten, die übrigen Opfer gehören den ISF und PMF an. Die Angriffe konzentrierten sich wieder auf die Distrikte Muqdadiya und Khanaqin (Wing 6.12.2021). Im Dezember 2021 wurden 27 Vorfälle mit 20 Toten und 31 Verletzten verzeichnet. 14 in den Distrikten Muqdadiya und Khanaqin und sieben an der Grenze zu Salah ad-Din (Wing 4.1.2022). Sowohl im November, als auch im Dezember 2021 wurden je zwei weitere friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022)

Im Jänner 2022 wurden in Diyala 14 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, mit 16 Toten und 22 Verletzten. Vier der getöteten Personen waren Zivilisten, ebenso wie eine der verletzten (Wing 7.2.2022). Bei einem der Angriffe handelte es sich um einen der größten IS-Angriffe seit einiger Zeit. Am 21.1.2022, bei einem Angriff auf eine Regimentskommandozentrale im Distrikt al-Khalis im Norden von Diyala wurden elf Soldaten getötet und zehn weitere verwundet (Wing 7.2.2022; vgl. NRT 21.1.2022).

Gouvernement Kirkuk

Das Gouvernement Kirkuk zählt auch zu den Schwerpunkten des IS (Wing 2.8.2021). Der IS reorganisiert sich in den umstrittenen Gebieten des Gouvernements Kirkuk. Kleine Gruppen von IS-Kämpfern attackieren Kontrollpunkte von Militär und Polizei, ermorden lokale Anführer und greifen das Elektrizitätsnetz und die Erdöl-Anlagen an. Die hügeligen und gebirgigen Gebiete in Kirkuk bieten dabei einen perfekten Rückzugsort (K24 12.7.2021). Da der Süden Kirkuks nie vollständig von IS-Kämpfern befreit wurde, finden hier auch üblicherweise die meisten Gewalttaten des IS statt (Joel Wing 3.5.2021).

Im Februar 2021 wurden in Kirkuk acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 20 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten handelt es sich um einen Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 21 sicherheitsrelevante Vorfälle mit fünf Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Es befanden sich keine Zivilisten unter den Opfern (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 24 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten handelt es sich um einen Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden 20 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 19 Toten und 34 Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle und ein Verletzter waren Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und 13 Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle waren Zivilisten (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden im Gouvernement Kirkuk 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und zwölf Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und vier der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden im 20 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und neun der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden sieben Vorfälle mit zehn Toten und 19 Verletzten verzeichnet. Acht verletzte waren Zivilisten, während die übrigen Opfer Mitglieder der ISF waren (Wing 4.10.2021). Bei einem der Angriffe, einem Überfall auf ein Dorf im Distrikt Serklan, am 2.9.2021, wurde ein Soldat getötet, sieben weitere wurden verletzt und der Sohn des Dorfvorstehers wurde entführt (NINA 2.9.2021). Im Oktober verzeichnete Kirkuk 13 Vorfälle mit neun Toten und acht Verletzten. Fünf der Toten waren Zivilisten, während die übrigen Opfer den Peshmerga, den ISF und den PMF angehörten (Wing 4.11.2021). Im Oktober 2021 wurden fünf Demonstrationen verzeichnet, von denen drei friedlich verliefen. Am 12.10.2021 kam es jedoch zu Zusammenstößen zwischen ISF und Anhängern der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) im Viertel Shorja in Kirkuk Stadt, wobei 29 Randalierer festgenommen wurden. Bei einem weitern Vorfall am selben Tag, im Viertel Rahimawa, rissen kurdische Randalierer eine irakische Flagge von einem der Polizeifahrzeuge und schossen in die Luft. Bei keinem der Vorfälle gab es Verletzte (ACLED 2022). Im November 2021 wurden acht Vorfälle mit drei Toten und neun Verletzten verzeichnet (Wing 6.12.2021). Zwei Demonstrationen verliefen friedlich (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden neun Vorfälle mit jeweils zehn Toten und Verletzten verzeichnet. Zwei der Todesfälle und vier der Verletzten waren Zivilisten (Wing 4.1.2022). Des Weiteren gab es eine friedliche Demonstration (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden in Kirkuk zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet, mit sechs Toten und zwölf Verletzten. Bei zwei der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten (Wing 7.2.2022). Der Angriff auf das Büro des zweiten stellvertretenden Sprechers des irakischen Parlaments in Kirkuk wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022; vgl. Al Sumaria 19.1.2022). Im Jänner 2021 ist die Polizei gegen protestierende Journalisten vorgegangen, die der Polizei vorwarfen das Telefon eines NRT-Reporters am Vortag zerstört zu haben (ACLED 2022).

Gouvernement Ninewa

Ninewa ist eine der Regionen, die dem IS als logistische Drehscheibe dienen (Wing 6.7.2021). Sie wird genutzt, um Personal und Material zwischen Syrien und dem Irak zu bewegen (Wing 7.6.2021). Die Region ist daher üblicherweise relativ ruhig. Die Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen im August 2021 wird als Zeichen einer Kampagne des IS gesehen. Die Mehrheit der Vorfälle betraf Sabotage an Strommasten und den Einsatz von Sprengsätzen (IEDs) (Wing 6.9.2021).

Im Februar 2021 wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten verzeichnet. Es handelt sich bei den drei Toten um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und bei den vier Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und 18 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und 13 der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und neun Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Verletzten verzeichnet. Vier davon waren Zivilisten (Wing 6.7.2021). Unter anderem wurden zwei Strommasten im Südosten Mossuls gesprengt (Wing 6.7.2021; vgl. NINA 13.6.2021). Im Juli 2021 wurden 13 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei zivilen Toten und 18 Verletzten, davon drei ISF- und acht PMF-Angehörige, verzeichnet (Wing 2.8.2021). Außerdem wurden im Süden Mossuls Strommasten gesprengt (Wing 2.8.2021; vgl. NINA 1.7.2021). Im August 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und sieben Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und sieben der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet mit vier Toten und acht Verletzten. Ein Drohnenangriff auf eine türkische Basis wird PMF zugeschrieben und als Warnung an die türkische Präsenz im Nordirak gesehen (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden zehn Vorfälle mit acht Toten und neun Verletzten verzeichnet, von denen sechs, bzw. fünf Zivilisten waren (Wing 4.11.2021). Fünf Demonstrationen, die im Oktober verzeichnet wurden, verliefen friedlich (ACLED 2022). Im November 2021 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Alle Opfer waren Zivilisten. Drei der Vorfälle werden pro-iranischen Milizen zugeordnet. Dabei handelt es sich um einen vereitelten IED-Angriff und Raketenbeschüsse von zwei türkischen Militärbasen (Wing 6.12.2021). Es wurde ein friedlicher Protest verzeichnet (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Alle Opfer waren Zivilisten. Einer der Angriffe, ein neuerlicher Raketenbeschuss einer türkischen Basis, wird PMF zugeschrieben (Wing 4.1.2022). Im Dezember 2021 wurden drei Proteste verzeichnet, von denen zwei friedlich verliefen, einer jedoch gewaltätig wurde. Am 12.12.2021 protestierten Demonstranten im Distrikt Sinuni gegen türkische Luftangriffe im Irak. Während der Demonstration eröffneten die Demonstranten das Feuer auf irakische Soldaten und setzten mit Molotow-Cocktails ein Militärfahrzeug in Brand. Die Sicherheitskräfte lösten daraufhin die Demonstration auf. Ein Soldat wurde verletzt (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden in Ninewa sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Todesopfer verzeichnet. Drei der Vorfälle, Raketenbeschüsse von türkischen Basen, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022). Im Jänner 2022 wurde lediglich eine friedliche Demonstration verzeichnet (ACLED 2022).

Gouvernement Salah ad-Din

Salah ad-Din zählt ebenfalls zu den Schwerpunkten des IS (Wing 2.8.2021). Der IS hat durch Sprengungen von Strommasten zunehmend Angriffe auf das irakische Stromnetz ausgeführt (Wing 6.9.2021).

Im Februar 2021 wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und sieben Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten und sechs Verletzten verzeichnet. Bei acht der Toten und einem der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, zwei davon IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und Raketenbeschüsse der Balad Luftwaffenbasis, werden pro-iransichen Milizen zugeschrieben (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zehn Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Bei vier der Toten und sieben der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Raketenbeschüsse der Luftwaffenbasis, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurde 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 22 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und zwei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden zwölf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Bei den Toten handelt es sich um Zivilisten. Drei der Vorfälle, zwei davon IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 wurden 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 24 Toten und 41 Verletzten verzeichnet. Bei 13 der Toten und 29 der Verwundeten handelte es sich um Zivilisten. Einer der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden 32 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 17 Toten und 31 Verletzten verzeichnet. Bei zwei der Toten und drei der Verletzten handelt es sich um Zivilisten. Ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden acht Vorfälle mit zwei Toten und vier verletzten verzeichnet, die dem IS zugeschrieben werden. Alle Opfer waren Zivilisten (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden elf Vorfälle mit acht Toten und 20 Verletzten erfasst. Fünf der verstorbenen und 15 der verwundeten Personen waren Zivilisten (Wing 4.11.2021). Des weiteren wurden vier friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022). Im November 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und neun Verletzten verzeichnet. Vier, bzw. sieben der Opfer waren Zivilisten. Bei einem größeren Feuergefecht zwischen IS und der 52. PMF-Brigade im Distrikt Amerli wurde auch die irakische Luftwaffe eingesetzt, die das Gebiet bombardierte (Wing 6.12.2021). Im November wurden zwei friedliche Proteste verzeichnet (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden sieben Vorfälle mit elf Toten und 14 Verletzten verzeichnet. Zwei der Getöteten und vier der Verletzten waren Zivilisten. Einer der Vorfälle, ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA, wird pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 4.1.2022).

Im Jänner 2022 wurden in Salah ad-Din sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit je Todesopfern und Verletzten verzeichnet. Dabei handelte es ich bei allen vier Toten und einem der Verwundeten um Zivilisten. Zwei Vorfälle, darunter ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA und ein vereitelter Drohnenangriff auf den Luftwaffenstützpunkt Balad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022).

Rechtsschutz / Justizwesen

Rechtsschutz / Justizwesen im Föderal Irak

Letzte Änderung: 28.02.2022

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 8.7.2020). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 25.10.2021, S.8). Das Rechtssystem basiert auf einer Mischung aus zivilem und islamischem Recht (Fanack 8.7.2020).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 25.10.2021, S.8, USDOS 30.3.2021, GIZ 1.2021a), jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 30.3.2021). Die Justiz ist von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang zu diesen wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 3.3.2021).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 30.3.2021) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 13.1.2022). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 30.3.2021).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 30.3.2021).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt. Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern (AA 25.10.2021, S.12). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 3.3.2021). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt (AA 25.10.2021, S.22). Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen erheblich ausgedehnt (AA 25.10.2021, S.22; vgl. HRW 13.1.2022). Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden (AA 25.10.2021, S.22). Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 25.10.2021, S.12). Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 25.10.2021, S.22).

Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden, dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anzugehören (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2022). Menschenrechtsgruppen kritisierten, insbesondere in Terrorismusverfahren, die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (HRW 13.1.2021; vgl. CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 30.3.2021). 2018 dauerten einige Prozesse, die ein Todesurteil zur Folge hatten, nur etwa 20 Minuten und Hunderte von Familienangehörigen mutmaßlicher IS-Kämpfer wurden willkürlich inhaftiert (FH 3.3.2021). Anwälte, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, berichten bedroht zu werden (USDOS 30.3.2021).

In den von Bagdad kontrollierten Gebieten können Kinder ab dem Alter von neun Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt (HRW 13.1.2022). Ein Komitee in Mossul verbesserte den Umgang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Kindern, die verdächtigt werden, dem IS anzugehören (HRW 13.1.2021).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen haben demnach gegen Strafgesetze verstoßen. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht. Eine Beurteilung ist kaum möglich, aufgrund mangelnder Transparenz seitens der Regierung, Korruption während der Verfahren und wegen des eingeschränkten Zugangs zu Gefangenen, insbesondere solchen, die in Einrichtungen der Terrorismusbekämpfung, der Geheimdienste und des Militärs inhaftiert sind (USDOS 30.3.2021).

Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018; vgl. UK Home Office 2.2020). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).

In Ermangelung von Recht und Ordnung - oder zumindest des Vertrauens in das Rechtssystem - greifen immer mehr Iraker auf die Stammesjustiz zurück (AW 29.6.2019; vgl. FH 3.3.2021, UK Home Office 3.2021). Stammesgerichte beschäftigen sich mit kommerziellen und kriminellen Angelegenheiten, Diebstahl, bewaffneten Konflikten, Körperverletzung und Mord sowie deren Beilegung durch Entschädigungszahlungen (Blutgeld oder diya), den Austausch von Frauen und Mädchen, Heirat und Vergeltung (UK Home Office 3.2021).

Im südirakischen Basra berichten Einwohner über sogenannte "degga ashairiya" (Stammeswarnungen). Bei diesem alten Brauch zur Beilegung von Streitigkeiten versammeln sich bewaffnete Angehörige eines Stammes vor dem Haus eines Angehörigen eines gegnerischen Stammes und beschießen dieses, bis sich dieser bereit erklärt, herauszukommen und einen Streit durch Verhandlungen beizulegen. Wenn er sich weigert zu verhandeln oder keine Einigung erzielt wird, kann dies zu mehr Gewalt und manchmal auch zu Todesopfern führen (AW 29.6.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 01.03.2022

Auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI) gibt es Defizite der rechtsstaatlichen Praxis, wenngleich das Justizsystem grundsätzlich funktional ist (AA 25.10.2021, S.12). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der Kurdischen Regionalregierung (KRG), die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Ebenso nehmen die regional stärksten Parteien Einfluss auf Ernennungen von Richtern und auf Urteile (USDOS 30.3.2021).

Beamte der KRI berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen, und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden. COVID-19-Präventivmaßnahmen und Schließungen stellten im Jahr 2020 zusätzliche Hindernisse für die Abwicklung von Gerichtsverfahren dar. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRI (IHRCKR) bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnung ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der KRI (USDOS 30.3.2021).

Es gibt Berichte darüber, dass Männern und Buben, insbesondere solchen, denen vorgeworfen wurde mit dem Islamischen Staat (IS) in Verbindung zu stehen, ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung verweigert wurde. Personen, die des Kurdischen nicht mächtig sind, wurde kein Dolmetscherdienst zur Verfügung gestellt, bereitgestellte Anwälte sprachen erst am Tag der Verhandlung mit ihren Mandanten, und Gerichtsverhandlungen wurden in Schnellverfahren geführt, wobei keine Untersuchungen über Behauptungen von Folter und anderen Misshandlungen eingeleitet wurden (AI 11.2020).

In der KRI können Kinder ab dem Alter von elf Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt (HRW 13.1.2022).

Sicherheitskräfte und Milizen

Letzte Änderung: 01.03.2022

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Statt des Bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS).

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land, oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle, insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 30.3.2021).

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Letzte Änderung: 01.03.2022

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 30.3.2021).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000 bis 185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitreichend (AA 25.10.2021, S.9).

Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 30.3.2021). Den Sicherheitskräften werden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt: Im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints, wurden nach 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer gefangen genommen (AA 25.10.2021, S.9).

Nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 klagten mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt auch durch Sicherheitskräfte der Regierung (DFAT 17.8.2020, S.20).

Die irakischen Sicherheitskräfte, Armee, Bundes- und lokale Polizei werden bei ihrer Professionalisierung durch internationale Militär-und Polizeiausbildung unterstützt (AA 25.10.2021, S.9).

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Letzte Änderung: 01.03.2022

Der Name "Volksmobilisierungskräfte" (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 30.3.2021; vgl. FPRI 19.8.2019, Clingendael 6.2018, S.1f, Wilson Center 27.4.2018), die, je nach Quelle, zwischen 45.000 und 142.000 Kämpfer umfassen (ICG 30.7.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgutachtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf gegen den vorrückenden, Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016; S.2-4; vgl. TCF 5.3.20218, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volksmobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016; S.4).

Die PMF sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwerken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (CH 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.3f). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3).

Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Milizen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu Letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen "Sinjar Widerstandseinheiten". Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3f). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 30.3.2021).

Die PMF wurden im Dezember 2016 (erstmals) formell in die irakischen Streitkräfte integriert (AA 22.1.2021, S.16; vgl. FPRI 19.8.2019). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als "unabhängig" definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 25.10.2021, S.15; vgl. FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1000 IT 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppierungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF-Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (WI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 25.10.2021, S.16).

Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen haben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (CH 2.2021, S.2).

Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (Süß 21.8.2017). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6).

Insbesondere mit dem Iran verbündete Einheiten operieren im ganzen Land oft außerhalb der Kontrolle der Regierung oder gar in Opposition zur Regierungspolitik. Selbiges gilt auch für die (offizielle) PMF-Kommission (USDOS 30.3.2021), welche wiederum tendenziell pro-iranische Gruppen bevorzugt hat (ICG 30.7.2018). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 30.3.2021). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hezbollah und Harakat Hezbollah an-Nujaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (USDOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata'ib Hezbollah und der Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlaufe des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021).

Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (CH 2.2021, S. 18f).

Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ihrem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch den Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitäten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ bescheiden (Clingendael 6.2018, S.7f). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (CH 2.2021, S.19). - Darüberhinaus aquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus halb-legalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Abgaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (CH 2.2021, S.29-31). Außer durch die Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mithilfe der Organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der Organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat (Posch 8.2017).

Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Polarisierungen. Es wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte von Anwohnern, Menschenrechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). So klagten nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt durch PMF-Gruppen (DFAT 17.8.2020, S.20). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 30.3.2021). Die Medien meldeten zahlreiche Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk eindrangen, sie plünderten und niederbrannten (DFAT 17.8.2020, S.20, 26, 32). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit dem Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl. Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF-Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus konfessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehörigen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 30.3.2021). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, angeblich aus Rache für Verbrechen seitens des IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 12.5.2021).

Einige PMF-Einheiten in den südlichen Gouvernements Najaf und al-Qadisiya sollen Kinder rekrutiert und militärische Ausbildungslager für Schüler unter 18 Jahren gesponsert haben. Einige mit dem Iran verbündete PMF-Gruppen, insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und Harakat Hizbollah an-Nujaba (HHN), rekrutierten weiterhin Burschen unter 18 Jahren für den Kampf in Syrien und im Jemen (DFAT 17.8.2020, S.47).

Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwortlich waren (EASO 10.2020, S.31; vgl. WI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischen Saraya Talia al-Khorasani, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, Asa'ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf Demonstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (WI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriyah und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres wurden 56 Aktivisten gewaltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktion gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (Al Monitor 8.1.2021).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Anlässlich der sozialen Proteste zeigten die PMF ihre Fähigkeit, Kritiker zu verfolgen. Beispielsweise können kritische Kommentare in sozialen Medien zur Verfolgung seitens Asa‘ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hezbollah oder der Saraya as-Salam führen, welche im Stande sind, die Personen ausfindig zu machen und sie anschließend zu bedrohen und zu attackieren. Namentlich Kata’ib Hizbollah kann jeden ins Visier nehmen und kennt etwa die Namen aller, die über den internationalen Flughafen einreisen (AQ1 27.5.2021).

Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (CH 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Abu Mahdi Al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata'ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels innerhalb der Hashd ash-Sha'bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten "Muhandis-Kern" zugeordnet werden (Warsaw Institute 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 21.2.2020).

Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entscheidung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einheiten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verantwortlich sind (Warsaw Institute 9.7.2020; vgl. AAA 23.4.2020, Al Monitor 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreis der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (Al Monitor 4.12.2020; vgl. Diyaruna 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (Diyaruna 22.2.2021).

Diese fortschreitende Zersplitterung der PMU lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Einer der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (AIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak Al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata'ib Hizbollah, die ihn als den unrechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, vom Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervortun (AIIA 12.1.2021).

Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji'iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji'i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini "Schrein"-Milizen bzw. Saraya al-'Atabat (kurz: Atabat) (WI 5.2.2021; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala'i bezeichnet werden - wala' ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.3f).

Pro-iranische Milizen: al-Hashd al-Wala'i / al-Muqawama al-Islamiyya

Das Lager, welches u.a. als al-Hashd al-Wala'i bezeichnet wird, umfasst jene PMF-Formationen, die entweder mit dem Iran verbündet sind oder mit ihm zusammenarbeiten, und die innerhalb der PMF sowohl quantitativ als auch qualitativ die Oberhand haben (EUI 6.2020, S.3). Die vom Iran unterstützten irakischen Milizen bezeichnen sich selbst auch als al-Muqawama al-Islamiyya - der islamische Widerstand - Widerstand vor allem gegen die US-geführten Koalitionstruppen, meist in Form von Raketen- und Sprengstoffangriffen (JS 12.4.2021). Jene PMF (bzw. deren Vertreter), welche im Februar 2020 das Wahlkomitee zur Bestimmung eines neuen stellvertretenden Vorsitzenden nach dem Tode Muhandis bildeten, gelten als die wichtigsten Iran-affinen Milizen. Diese sind: Kata'ib Hizbollah, die Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und Kata'ib Jund al-Imam (WI 23.3.2020, S.23; vgl. ICG). Hinzu kommen noch Harakat Hizbollah an-Nujaba (Bewegung der Partei Gottes der Noblen) (ICG 30.7.2018, S.3), mit mindestens 1.500 Kämpfern, auch in Syrien aktiv (WI 23.3.2020, S.110, 204) und eine der kampferfahrensten Milizen und stark seitens des Iran gefördert (ITIC 8.1.2020), sowie die Kata’ib Imam Ali (Bataillone des Imam Ali), deren Anführer, Shibl al Zaydi, 2018 von den USA wegen seiner Verbindungen zu den Iranischen Revolutionsgarden als Terrorist eingestuft wurde (LWJ 15.12.2020). Zudem war Kata’ib Imam Ali auch 2021 in Syrien präsent (AAA 22.3.2021). Dazu gesellen sich noch die Saraya Talia al-Khorasani, die auch in Syrien aktiv waren (WI 23.3.2020, S.110, 205; vgl. ICG 30.7.2018, S.27). Einige der pro-iranischen PMF sicherten sich bei den letzten Wahlen auch ihren Einfluss im Parlament. Innerhalb der 2018 gewonnenen Parlamentssitze des Wahlbündnisses "Fatah" sind 22 Abgeordnete der Badr-Organisation zugehörig und 15 dem politischen Flügel der Asai‘b Ahl al-Haqq, Sadiqoun (CH 2.2021, S.21f; vgl. EPIC 5.2020).

Die Badr-Organisation, die mächtigste schiitische Miliz, gilt als Irans ältester Stellvertreter im Irak. Sie wurde 1982 im Iran gegründet, um Saddam Hussein zu bekämpfen, und wurde zunächst vom Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und geführt (Soufan 20.3.2020; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Nach der US-Invasion im Jahr 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die neue irakische Regierung integriert. Ihre Kräfte wurden zur größten Fraktion innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere der Polizei (Wilson Center 27.4.2018), die wiederum zu einem Instrument der Badr-Organisation erwuchs (SWP 2.7.2021, S.26). Sie nahm an Wahlen teil; ihre Führer wurden in die neue Regierung in Kabinettspositionen aufgenommen. Sie behielt jedoch ihre Miliz bei (Wilson Center 27.4.2018). Sie umfasst rund 20.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2020) und unterhält mindestens zehn Brigaden der staatlich finanzierten PMF, möglicherweise sogar 17 (WI 2.9.2021). Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt. Viele Badr-Mitglieder waren oder sind Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). So haben einige Mitglieder der PMF auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi, beispielsweise, führte die 5. PMF-Brigade, eine Badr-Brigade, und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (CH 2.2021, S.18f). Oder das Badr-Führungsmitglied Qassim al-Araji war Innenminister (2017-2018) und ist nun der nationale Sicherheitsberater. Die Badr ist eine große und komplexe Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen politischen Flügel und viele Unterfraktionen hat. Im Großen und Ganzen hat sich Badr durch seine Wahlerfolge, seine paramilitärische Macht und seine Patronagenetzwerke tief in den irakischen Staat eingebettet. Badr war die Quelle für viele jüngere und radikalere Gruppen, einschließlich Kata'ib Hisbollah. Zwar setzt sich die Badr-Organisation für den Abzug der US-Kampftruppen aus der Region ein, doch hat sie sich im Gegensatz zu den anderen pro-iranischen PMF von Angriffen auf die USA und deren Verbündete öffentlich distanziert. Innerhalb der Muqawama nimmt die Badr-Organisation weiterhin eine wichtige Rolle ein und bleibt gleichzeitig ihren Wurzeln als iranischer Stellvertreter treu, mit weiterhin engen institutionellen und personellen Beziehungen zum IRGC (WI 2.9.2021).

Die Kata’ib Hizbollah (Brigaden der Partei Gottes) umfassen etwa 3.000 bis 7.000 Kämpfer (Al Arabiya 31.5.2020), anderen Schätzungen zufolge sogar 20.000 (Soufan 20.3.2020). Die Kata'ib Hisbollah haben enge konfessionelle, ideologische und finanzielle Bindungen zum Iran (Al Arabiya 31.5.2020). Keine andere Miliz steht den IRGC näher (Soufan 20.3.2020). Sie sind für zahlreiche Angriffe auf die von den USA geführte Militärallianz verantwortlich und riefen u.a. auch zu Terrorattacken gegen Saudi-Arabien auf. Menschenrechtsorganisationen werfen der Miliz schwere Menschenrechtsverletzungen vor, insbesondere gegen Sunniten (Al Arabiya 31.5.2020). Sie arbeiten intensiv mit der Badr-Organisation und der libanesischen Hizbollah zusammen. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffen) verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018; vgl. EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in iranischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson Center 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (ITIC 8.1.2020). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson Center 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khazali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den für die USA als einer der Verantwortlichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz'ali als "Specially Designated Global Terrorist" ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).

Die seit 2020 vermehrt in Erscheinung tretenden pro-iranischen Splittergruppen haben ein zweifelhaftes Maß an Autonomie. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen um unabhängige Gruppen handelt, die von den größeren "Mutter"-Milizen unterstützt werden, oder ob sie lediglich eine Fassade für diese größeren Milizen bilden, um sich den US-Sanktionen durch die Einstufung als terroristische Organisation zu entziehen (AIIA 12.1.2021; vgl. JS 10.3.2021). Sie werden diesbezüglich insbesondere Kata'ib Hizbollah, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und der Harakat Hizbollah an-Nujaba zugeordnet (JS 10.3.2021). Ihre Anzahl ist vage und wird auf 10 bis 20 Gruppen geschätzt (Al Arabiya 18.11.2020). Die neuen Splittergruppen treten durch primär zwei unterschiedliche Handlungsweisen in Erscheinung: Zum einen bewaffnete Milizen, die in der Lage sind, Anschläge auf US-Einrichtungen im Irak zu verüben, und zum anderen Straßenbanden, die eine Art sozialen Krieg auf den Straßen Bagdads führen. Zu den Ersteren gehören Usbat al-Tha'ireen (Liga der Revolutionäre) und Ashab al-Kahf (die Gefährten der Höhle), die sich regelmäßig zu Raketen- oder IED-Angriffen auf US-Ziele bekennen (AIIA 12.1.2021). Usbat al-Tha'ireen übernahm beispielsweise die Verantwortung für den Angriff auf Camp Taji im März 2020, bei dem zwei amerikanische Soldaten und ein britischer Soldat getötet wurden (WI 10.4.2020; vgl. Al Arabiya 18.11.2020), während Ashab al-Kahf zahlreiche Angriffe auf Konvois sowie einen Raketenangriff auf die US-Botschaft im November 2020 für sich reklamierte (JS 10.3.2021). Zur zweiten Gruppe gehören Raba Allah/Rab'Allah (das Volk Gottes), Jund Soleimani (die Soldaten Soleimanis) und Jabhat Abu Jadahah (eng. People of the Lighter's Front), die, getragen von stark religiösen Anwandlungen, als Sittenpolizei agieren und das liberalere Leben Bagdads unterdrücken, indem sie beispielsweise Massagesalons angriffen oder Bombenanschläge auf Geschäfte verübten, die Alkohol verkauften (AIIA 12.1.2021; vgl. WI 9.4.2021). Rab'Allah gilt als wichtigste Gruppe. Im Oktober 2020 verübte sie Brandanschläge auf Büros von Fernsehsendern sowie der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP). Weiters führte sie Hetzkampagnen gegen Personen aus Politik und Medien durch und drohte ihnen mit Gewalt. Zudem organisierte sie Proteste vor ausländischen Vertretungen (WI 9.4.2021).

Iran-kritische Milizen: Atabat / Schrein-Milizen / Hashd al-Marji‘i

Bei den "Schrein"- oder Atabat-Milizen (andere Bezeichnungen: Hashd al-Atabat/ Saraya al-Atabat/ al-Atabat al-Muqadasa) oder auch Hashd al-Marji‘i handelt es sich um paramilitärische Gruppen, die mit den schiitischen Heiligtümern in Najaf und Kerbala verbunden sind, deshalb auch die Bezeichnung "Schrein-Milizen" (ICSR 1.11.2018, S.24; vgl. WI 28.5.2020, Diyaruna 1.3.2021). Liwa Ansar al-Marjaiya, Liwa Ali al-Akbar, Firqat al-Abbas al-Qitaliyah, letztere bekannter unter der Bezeichnung Abbas Kampfdivision (Abbas Combat Division) und Firqat al-Imam Ali al-Qitaliyah haben keine Verbindungen zum Korps der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) des Iran, sondern zu Ayatollah Ali as-Sistani, dem irakischen schiitischen Kleriker, den sie als ihr Vorbild betrachten. Insgesamt verfügen die Atabat über rund 18.000 aktive Soldaten und Zehntausende von Reservisten. Die Abbas Kampfdivision (Firqat al-Abbas) ist die militärisch fähigste der vier Gruppen, gestärkt durch die logistische Ausbildung und die Zusammenarbeit mit dem irakischen Verteidigungsministerium. Mehrere Merkmale unterscheiden die Atabat von den pro-iranischen Einheiten der PMF: Erstens arbeiten sie nur mit nationalen irakischen Institutionen zusammen und dürfen nicht mit IRGC-Kommandeuren oder anderen ausländischen Militärs in Verbindung treten. Zweitens halten sie sich aus der Politik heraus, während die iran-freundlichen Gruppen sogar ihre eigenen politischen Parteien gegründet haben. Drittens betrachten die Atabat-Einheiten die Vereinigten Staaten nicht als Feind, trotz anlassbezogener Verurteilungen von US-Aktionen. Viertens wurden die Atabat nicht der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt. Tatsächlich haben sie kein Interesse daran, in den sunnitisch-arabischen Gebieten präsent zu sein, in denen viele solcher Verstöße begangen wurden. Ihr Hauptinteresse gilt den schiitischen heiligen Städten Karbala und Najaf und dem Wüstengebiet, die diese Städte mit Anbar verbindet. Die Atabat wurden auch nicht der Erpressung beschuldigt, im Gegensatz zu den vielen PMF-Gruppen, die solche Taktiken anwenden, um sich selbst zu erhalten, und damit den Unmut der sunnitischen Bevölkerung verschärfen (WI 28.5.2020). Die Schrein-Milizen spielten eine wichtige Rolle bei der Verteilung von Hilfsgütern im Rahmen einer Kampagne von Großayatollah as-Sistani mit dem Namen Maraji'yat al-Takaful (Solidarität der Marji'i) zur wirtschaftlichen Unterstützung der Menschen, die unter der von der Regierung verhängten Ausgangssperre während der COVID-Krise litten (EUI 6.2020, S.3).

Saraya as-Salam / Friedenskompanien

Die Saraya as-Salam mobilisierten sich 2014 aus den Rängen der vormaligen Mahdi-Armee, die dem irakischen Kleriker Muqtada as-Sadr untersteht. Sie verfolgen eine nationalistische Ideologie und eigene politische Ziele (Clingendael 6.2018, S.3). Sadr und seine Anhänger lehnen die pro-Khamenei paramilitärischen Führer und Gruppen entschieden ab. Dennoch bleiben sie Teil der Gesamtstruktur der PMF. Sie sind hinsichtlich einer Integration in die Sicherheitskräfte aufgeschlossen (ICG 30.7.2018, S.3f; vgl. FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert (Süß 21.8.2017). Hinsichtlich der im Herbst 2019 aufflammenden Proteste vollzog Muqtada as-Sadr eine zwiespältige Politik. - Schon in der Anfangsphase der Oktober-Demonstrationen 2019 waren Sadristen aktiv an den Demonstrationen beteiligt, und deren Paramilitärs verteidigten andere Demonstranten vor der Gewalt staatlicher und mit dem Iran verbündeter bewaffneter Kräfte. Im Frühjahr 2020 allerdings, nachdem Sadr die Demonstranten wegen ihres Auftretens gegenüber den religiösen Autoritäten tadelte, ihre "Abweichung" vom "richtigen Weg" kritisierte und parallel die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Saraya as-Salam und der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq eingestellt wurden, gingen die Sadr-Miliz bzw. seine Anhänger in Bagdad und weiteren Städten im Südirak gewaltsam gegen Demonstranten vor und besetzten Protestlager (FPRI, 3.2020, S.2, 17; vgl. BAMF 5.2020, S.9f, 22).

Kurdische Sicherheitskräfte (Peshmerga) und Nachrichtendienste

Letzte Änderung: 01.03.2022

Die Kurdischen Sicherheitskräfte sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert (AA 25.10.2021, S.9). Nach der irakischen Verfassung hat die Kurdische Regionalregierung (KRG) das Recht, ihre eigenen Sicherheitskräfte (Polizei und die militärischen Peshmega) sowie jene des Inlandsgeheimdienstes (Asayish) zu unterhalten (USDOS 30.3.2021). Die beiden wichtigsten kurdischen politischen Parteien, die Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotischen Union Kurdistans (PUK), unterhalten jeweils einen unabhängigen Sicherheitsapparat (AA 25.10.2021 S.9; vgl. USDOS 30.3.2021). Zusätzlich kontrollieren sie auch getrennt voneinander militärische Einheiten der Peshmerga und der Asayish. Nominell unterstehen sie dem Innenministerium der KRG (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 22.1.2021).

Die beiden Einheiten, die den Großteil der Peshmerga-Kräfte ausmachen und über 100.000 Mann stark sind, werden von der KDP und PUK kontrolliert. Die Kräfte der Einheit Nr.70 gehören zur PUK und die Kräfte der Einheit Nr.80 werden von der KDP kontrolliert. Seit der territorialen Niederlage des Islamischen Staates (IS) Ende 2017 haben die internationalen Koalitionspartner im Rahmen eines 2018 begonnenen Reformprogramms auf die Zusammenlegung der kurdischen Kräfte unter dem Peshmerga-Ministerium gedrängt. US-amerikanische, deutsche und britische Militärberater helfen bei der Umstrukturierung. Am 17.6.2021 kündigte der Peshmerga-Minister die Vereinigung der Truppen an (Rudaw 21.6.2021).

Im April 2021 wurde die Einrichtung gemeinsamer Koordinationszentren zum Austausch von Informationen zur Bekämpfung des IS zwischen den Irakischen Sicherheistkräften (ISF) und den Peshmerga-Kräften beschlossen. Diese sollen dazu dienen, die Sicherheitslücken, zwischen deren Einsatzgebieten zu schließen, die vom IS ausgenutzt werden. Die Koordinationszentren befinden sich in Diyala, Kirkuk, Makhmour und Ninewa (Rudaw 23.5.2021).

Im Kampf gegen den IS hatten die Peshmerga über die ursprünglichen Grenzen von 2003 der KRI hinaus Gebiete befreit. Aus diesen zwischen Bagdad und Erbil seit jeher umstrittenen Gebieten hat die irakische Armee die Peshmerga nach Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 größtenteils zurückgedrängt. In weiten Teilen haben die Peshmerga sich kampflos zurückgezogen, es gab jedoch auch teils schwere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten (AA 14.10.2020).

Die Sicherheitsdienste der KRI halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige fest. Die schlecht definierten administrativen Grenzen zwischen den kurdischen Gouvernements sowie dem (nicht-kurdischen) Rest des Landes führen zu anhaltender Verwirrung über die Zuständigkeit der Sicherheitskräfte und der Gerichte. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass Angehörige der Peshmerga und der Asayish häufig widerrechtlich handeln (USDOS 30.3.2021).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 01.03.2022

Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten (AA 25.10.2021, S.21; vgl. USDOS 30.3.2021). Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte (AA 25.10.2021, S.21), oder auch um Geständnisse zu erzwingen (HRW 13.2.2022; vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Gerichte akzeptieren solche Geständnisse als Beweismittel (USDOS 30.3.2021) auch für die Vollstreckung von Todesurteilen. Laut Informationen der Vereinten Nationen (UNAMI) sollen u.a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören (AA 25.10.2021, S.21). Häftlinge berichten auch über Todesfälle aufgrund von Folter während Verhören (HRW 13.1.2021).

Weiterhin misshandeln und foltern Angehörige der Sicherheitskräfte, darunter Polizeibeamte, Angehörige des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS), der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und der kurdischen Asayish, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während Verhaftung, Untersuchungshaft und nach einer Verurteilung. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 30.3.2021).

Seit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 werden irakische Sicherheitsbehörden und Milizen beschuldigt an Entführungen und Folter gegen die Demonstranten involviert zu sein (GIZ 1.2021a; vgl. UNAMI 23.5.2020). In Basra gingen die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vor, wobei auch einige Kinder bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen wurden. Andere Demonstranten waren Misshandlungen ausgesetzt, die Folter gleichkommen könnten (AI 7.4.2021).

Folter und unmenschliche Behandlung in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 01.03.2022

Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der Kurdischen Region im Irak (KRI), der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Parastin der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Zanyari der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) stattfinden (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der kurdischen Geheimpolizei (Asayish) in der KRI zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 25.10.2021, S.21).

Es gibt Berichte, dass Sicherheitskräfte der KRI verschiedene Formen der Misshandlung, einschließlich Schläge, anwenden. Auch gegen Jugendliche und Frauen mit vermeintlichen IS-Verbindungen (USDOS 11.3.2020).

Korruption

Letzte Änderung: 01.03.2022

Korruption ist nach wie vor ein großes Problem im Irak (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Staatsdiener vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht immer wirksam um (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Weniger als 5% der Korruptionsfälle werden angezeigt (GIZ 1.2021b).

Beamte sind häufig ungestraft in korrupte Praktiken verstrickt. Die Untersuchung von Korruption ist nicht frei von politischer Einflussnahme. Die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung wurden durch Mangel an Einigkeit bezüglich der institutionellen Rollen, an politischem Willen und politischem Einfluss, mangelnder Transparenz und durch unklare Rechtsvorschriften und Regulierungsverfahren behindert. Im August 2020 hat Premierminister al-Kadhimi per Verordnung einen ständigen Sonderausschuss zur Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung größerer Korruptionsfälle eingesetzt. Im September 2020 wurden aufgrund der Arbeit des Antikorruptionsausschusses 19 hochrangige Personen verhaftet. Im Oktober 2020 wurden rund 1.000 Beamte entlassen, nachdem sie wegen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, darunter Verschwendung öffentlicher Gelder, Bestechung und Veruntreuung, verurteilt worden waren (USDOS 30.3.2021).

Antikorruptions-, Strafverfolgungs- und Justizbeamte sowie Mitglieder der Zivilgesellschaft und der Medien werden wegen ihrer Bemühungen zur Bekämpfung korrupter Praktiken bedroht und eingeschüchtert (USDOS 30.3.2021). Korruption war einer der Auslöser für die Massenproteste am 1.10.2019 im Süd- und Zentralirak, inklusive Bagdad (FH 3.3.2021).

Die Kurdische Region im Irak (KRI) leidet unter ähnlichen Korruptionsproblemen (FH 3.3.2021).

Auf dem Corruption Perceptions Index 2021 von Transparency International wird der Irak mit 23 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) und nimmt Rang 157 von 180 Staaten ein (TI 25.1.2022).

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Menschenrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 01.03.2022

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) müssen sich registrieren (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Mit Stand September 2020 waren laut der irakischen Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 4.600 NGOs registriert, darunter 168 Niederlassungen ausländischer Organisationen (USDOS 30.3.2021).

Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen für die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 9.4.2021). In Bagdad registrierte NGOs können in der KRI tätig werden, aber NGOs, die nur in der KRI registriert sind, können nicht im Rest des Landes tätig werden (USDOS 30.3.2021).

Im Irak sind über 440 NGOs registriert, die sich im Berich der Menschenrechte engagieren. NGOs, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und bürokratische Hürden erschweren jedoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden Visitationen durch Ministeriumsvertreter (AA 25.10.2021, S.8).

Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme. Es gibt jedoch zahlreiche Berichte darüber, dass Mitarbeiter von Hilfsorganisationen schikaniert, bedroht, verhaftet und in einigen Fällen wegen Terrorismusvorwürfen beschuldigt worden sind. Die Internationale Organisation für die Sicherheit von NGOs verzeichnete im Jahre 2020 20 derartige Vorfälle. Rund 700 NGOs wurden wegen diverser Verstöße sanktioniert, etwa weil sie als Deckmantel für politische Parteien dienten oder wegen verdächtiger Vorgänge wider das NGO-Gesetz (USDOS 30.3.2021). Im Zuge der im Oktober 2019 begonnen Proteste wurde im Jahr 2020 eine Reihe von regierungskritischen Aktivisten entführt. Im August 2020 wurden beispielsweise zwei prominente Aktivisten getötet, die Ermordung eines dritten schlug fehl (FH 3.3.2021). Im Dezember 2020 stürmten Kämpfer der Asaib Ahl al-Haq ein Gemeindezentrum des Internationalen Rettungskomitees in Mossul und bedrohten die dort beschäftigten Helfer, woraufhin das Zentrum geschlossen wurde (USDOS 30.3.2021).

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Menschenrechtsaktivisten in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 01.03.2022

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) müssen sich Nichtregierungsorganisationen (NGOs) registrieren. Diese Registrierungen sind jährlich zu erneuern (FH 3.3.2021).

Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 26.6.2019). In Bagdad registrierte NGOs können in der KRI tätig werden, aber NGOs, die nur in der KRI registriert sind, können nicht im Rest des Landes tätig werden (USDOS 30.3.2021).

Die KRI verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 30.3.2021).

Im Oktober und Dezember 2020 wurden in der KRI Aktivisten verhaftet, weil sie zu Protesten gegen die Regierungsparteien aufgerufen und sich an ihnen beteiligt hatten (FH 3.3.2021).

Wehrdienst, Rekrutierungen und Wehrdienstverweigerung

Letzte Änderung: 01.03.2022

Im Irak besteht keine Wehrpflicht (AA 25.10.2021, S.12). Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (CIA 18.1.2021). Seit 2003 wurden keine Personen mit Verbindungen zum alten Regime bei den neuen Sicherheitskräften aufgenommen (AA 22.1.2021). Am 31.8.2021 hat die irakische Regierung die Annahme eines Gesetzesentwurfs zur Wiedereinführung der Wehrpflicht beschlossen. Sollte dieses Gesetz auch vom Parlament angenommen werden, könnte der Irak wieder Wehrpflichtige einziehen (AA 25.10.2021, S.12).

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Angehörige des irakischen Militärs, die 2014 desertiert sind, können auf der Grundlage eines Beschlusses des Ministerrates vom Juni 2019 wieder der irakischen Armee beitreten und so einer Strafverfolgung auf der Grundlage des Militärstrafgesetzes entgehen. Regierungsangaben zufolge betrifft dies über 52.000 Soldaten und 2.000 Angehörige von Spezialeinheiten (AA 25.10.2021, S.12).

Die Rekrutierung in die Volksmobilisierungskräfte (PMF) erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis. Viele schließen sich den PMF aus wirtschaftlichen Gründen an. Desertion von Kämpfern niederer Ränge hätte wahrscheinlich keine Konsequenzen oder Vergeltungsmaßnahmen zur Folge (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. UK Home Office 1.2021).

Auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI) herrscht keine Wehrpflicht (DIS 12.4.2016; vgl. EASO 1.2021). Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016). Rekruten für die Peshmerga unterzeichnen einen Vertrag für eine bestimmte Dienstzeit, nach dessen Ablauf die Person freiwillig gehen kann (EASO 1.2021 ).

Mehrere Quellen haben festgestellt, dass es für hochrangige Peshmerga schwieriger sein kann, die Armee zu verlassen und dass dies Konsequenzen haben kann. Nicht aber für Peshmerga niederen Ranges (EASO 1.2021). Die Strafe für Desertion von den Peshmerga kann, je nach den Umständen, von der Auflösung des Vertrages bis zur Verurteilung zum Tode reichen (DIS 12.4.2016; vgl. EASO 1.2021). Es wurden jedoch weder vor 2015 noch in neueren Berichten derartige Fälle bekannt (EASO 1.2021).

Es gibt keine Berichte darüber, dass das Verteidigungsministerium der Zentralregierung Kinder für den Dienst in den Sicherheitsdiensten einberufen oder rekrutiert hat. Die Regierung und die religiösen schiitischen Führer haben Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich verboten, im Kampf zu dienen. Es gab 2020 keine neuen Berichten über die Rekrutierung Minderjähriger durch die PMF (USDOS 30.3.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 01.03.2022

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit (AA 25.10.2021, S.20; vgl. GIZ 1.2021a), Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung (AA 25.10.2021, S.21). Die Verfassungswirklichkeit weicht jedoch vielfach von diesen Prinzipien ab. Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a).

Der Irak hat auch wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte (AA 25.10.2021, S.20). Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft, und das Mandat für die unabhängige Menschenrechtskommission ist am 4.8.2021 ausgelaufen, wobei unklar ist, ob es erneuert wird (AA 25.10.2021, S.21). Im Zuge der Proteste seit Oktober 2019 versucht die Kommission sich unabhängig ein Bild von der Lage zu machen und die Zahlen von Toten und Verletzten zu sammeln, zu verifizieren und zu veröffentlichen, da sich die Regierung einer Veröffentlichung verweigert (AA 22.1.2021).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit, Gewalt gegen Journalisten, weit verbreitete Korruption, gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen (IDPs), Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 30.3.2021). Auch Menschenhandel ist ein Problem. IDPs sind davon besonders gefährdet. Die Bemühungen der Regierung, die Gesetze gegen den Menschenhandel durchzusetzen, sind unzureichend (FH 3.3.2021). Es fehlt an Rechenschaftspflicht für Gewalt gegen Frauen und Gewaltverbrechen, die sich gegen Angehörige ethnischer Minderheiten richten (USDOS 30.3.2021). Im Irak kam es 2020 zu einer Reihe von Morden an zivilgesellschaftlichen, politischen und Menschenrechtsaktivisten sowie zu vermehrten Drohungen gegen Journalisten (FCO 8.7.2021).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021). Tausende IDPs, die aus Gebieten geflohen sind, die unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) standen, wurden von Irakischen Sicherheitskräften (ISF) und Volksmobilisierungskräften (PMF) willkürlich verhaftet und sind nach wie vor verschwunden (AI 7.4.2021).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt, ohne Kompensationen für die Besitzer (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, die durch die Irakischen Sicherheitskräfte ISF) begangen wurden, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten (USDOS 30.3.2021).

Der IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 30.3.2021).

Allgemeine Menschenrechtslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 01.03.2022

Es gibt eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, die sich aber auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen beschränkt. Sie kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung von Menschenrechtsverletzungen gewährleisten (AA 25.10.2021, S.21).

Sicherheitskräfte der Kurdischen Regionalregierung (KRG) wie Peshmerga und Asayish verstoßen bisweilen gegen die Gesetze (USDOS 30.3.2021).

Kurdischen Sicherheitskräften werden Gewalt, Drohungen und willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Medienvertretern vorgeworfen (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Es gibt auch Vorwürfe von willkürlichen Verhaftungen, sowie von Missbrauch und Folter von Gefangenen und Häftlingen (USDOS 30.3.2021). Es liegen keine zuverlässigen Statistiken über die Anzahl solcher Vorfälle vor. Peshmerga und Asayish wird vorgeworfen, Vorschriften selektiv umzusetzen, auch aus ethno-konfessionellen Gründen. Die Vorwürfe umfassen auch Erpressung und die Verweigerung einer Rückkehr von Zivilisten in ihre Heimat, insbesondere sunnitischer Araber sowie Angehöriger ethno-konfessioneller Minderheiten (USDOS 30.3.2021).

Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich bestimmter Einheiten der kurdischen Sicherheitsdienste, wie der Asayish (USDOS 30.3.2021).

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 01.03.2022

Die Verfassung garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit, solange diese nicht die öffentliche Ordnung und Moral verletzen (AA 25.10.2021, S.10; vgl. FH 3.3.2021, GIZ 1.2021a, USDOS 30.3.2021). Unterstützung für die verbotene Ba‘ath-Partei sowie das Befürworten einer gewaltsamen Änderung der Grenzen des Landes sind jedoch verboten. Einzelpersonen und Medien betreiben Selbstzensur aufgrund der begründeten Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionelle Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden. Kontrolle und Zensur der Zentralregierung und der Kurdischen Regionalregierung (KRG) behindern manchmal den Medienbetrieb, was mitunter die Schließung von Medien, Einschränkungen der Berichterstattung und Behinderung von Internetdiensten zur Folge hat. Einzelpersonen können die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, jedoch nicht ohne Angst vor Vergeltung. Sicherheitskräfte haben Demonstranten und Aktivisten, die der Zentralregierung kritisch gegenüberstanden, verhaftet bzw. festgenommen (USDOS 30.3.2021).

Im Irak existiert eine lebendige, aber wenig professionelle, zumeist die ethnisch-religiösen Lagerbildungen nachzeichnende Medienlandschaft, die sich zudem weitgehend in ökonomischer Abhängigkeit von Personen oder Parteien befindet, die regelmäßig direkten Einfluss auf die Berichterstattung nehmen (AA 25.10.2021, S.10; vgl. FH 3.3.2021). Die meisten der mehreren hundert Printmedien, die im Irak täglich oder wöchentlich erscheinen, sowie dutzende Radio- und Fernsehsender, werden von politischen Parteien stark beeinflusst oder vollständig kontrolliert (USDOS 30.3.2021). Es gibt nur wenige politisch unabhängige Nachrichtenquellen. Journalisten, die sich nicht selbst zensurieren, können mit rechtlichen Konsequenzen oder gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen rechnen (FH 3.3.2021).

Medienorganisationen sehen sich als Reaktion auf ihre Berichterstattung Einschränkungen und Behinderungen ausgesetzt (FH 3.3.2021). Einige Medienorganisationen berichteten über Verhaftungen von und Schikanen gegenüber Journalisten sowie darüber, dass die Regierung sie davon abhielt, politisch heikle Themen zu behandeln, darunter Sicherheitsfragen, Korruption und das Unvermögen der Regierung öffentliche Dienstleistungen sicherzustellen (USDOS 30.3.2021). Das "Gesetz zum Schutz von Journalisten" von 2011 hält unter anderem mehrere Kategorien des Straftatbestands der Verleumdung aufrecht, die in ihrem Strafmaß zum Teil unverhältnismäßig hoch sind. Klagen gegen das Gesetz sind anhängig (AA 25.10.2021, S.10).

Irakische Journalisten riskieren ihr Leben, wenn sie über Proteste berichten oder über Korruption recherchieren. Seit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 hat sich die Lage verschlechtert. Journalisten müssen damit rechnen, von nicht identifizierten Milizen schikaniert, entführt, körperlich angegriffen oder sogar getötet zu werden (RSF 2021). Vom Iran unterstützte Milizen haben vermeintliche Kritiker bedroht, entführt, gefoltert und ermordet, darunter den bekannten irakischen Analysten Hisham al-Hashimi, der im Juli 2020 erschossen wurde. Mehr als 30 Privatpersonen, die an den Protesten 2019 und 2020 beteiligt waren, darunter mindestens ein Minderjähriger, wurden in den Jahren 2019 und 2020 entführt; ihr Verbleib war zu Jahresende 2020 unbekannt (FH 3.3.2021).

Im Lauf des Jahres 2020 wurden mehrere Journalisten wegen ihrer Tätigkeit verhaftet, entführt oder getötet (FH 3.3.2021; vgl USDOS 30.3.2021). Berichten zufolge von Milizen oder Sicherheitskräften (USDOS 30.3.2021). Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden im Jahr 2020 vier Journalisten und ein Medienmanager getötet (FH 3.3.2021).

Das Land nimmt im Straflosigkeitsindex (Zeitraum 2011-2021) des "Committee to Protect Journalists" zudem den weltweit dritten Platz in Bezug auf nicht aufgeklärte Journalistenmorde ein (CPJ 28.10.2021).

Auch Lehrer sind im Irak seit Langem mit der Gefahr von Gewalt oder anderen Auswirkungen konfrontiert, wenn sie Themen unterrichten oder besprechen, die mächtige staatliche oder nicht-staatliche Akteure für verwerflich halten. Politischer Aktivismus von Universitätsstudenten kann zu Schikane oder Einschüchterung führen (FH 3.3.2021). Sozialer, religiöser und politischer Druck schränken die Entscheidungsfreiheit in akademischen und kulturellen Angelegenheiten ein. In allen Regionen des Landes versuchen verschiedene Gruppen die Ausübung der formalen Bildung und die Vergabe von akademischen Positionen zu kontrollieren (USDOS 30.3.2021).

Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen ist der Irak für Journalisten eines der gefährlichsten Länder der Welt (AA 25.10.2021, S.10). Auf ihrem Index für Pressefreiheit kommt der Irak im Jahr 2021 auf Platz 161 von 180, eine Verschlechterung um einen Platz im Vergleich zum Vorjahr (RSF 2021).

Hinsichtlich des Internetzugangs gibt es offene staatliche Einschränkungen und Berichte (jedoch kein offizielles Eingeständnis), dass die Regierung E-Mail- und Internetkommunikation ohne entsprechende rechtliche Befugnisse überwacht (USDOS 30.3.2021).

Es gibt Fälle von Vergeltungsmaßnahmen aufgrund von Aussagen bzw. Beiträgen in sozialen Medien. Bestimmte Themen, darunter Korruption, und, in etwas geringerem Maße, Kritik am Iran, werden als Tabu angesehen und führten zuweilen zu Verhaftungen, Gehaltskürzungen, Folter oder Strafverfolgung. Nutzer sozialer Medien sowie Blogger wurden wegen Kritik an Behörden wegen deren "schlechter" Reaktion auf die COVID-19-Pandemie mit Verleumdungsklagen konfrontiert (FH 3.3.2021).

Vom Iran unterstützte Milizen haben viele vermeintliche Kritiker bedroht, entführt, gefoltert und ermordet, darunter den bekannten irakischen Analysten Hisham al-Hashimi, der im Juli 2020 erschossen wurde. Mehr als 30 Privatpersonen, die an den Protesten 2019 und 2020 beteiligt waren, darunter mindestens ein Minderjähriger, wurden in den Jahren 2019 und 2020 entführt; ihr Verbleib war zum Jahresende (2020) unbekannt. Viele lautstarke Aktivisten haben das Land verlassen oder sind in die Region Kurdistan umgezogen, da sie um ihr Leben fürchten (FH 3.3.2021).

Trotz Einschränkungen nutzen politische Persönlichkeiten und Aktivisten das Internet, um korrupte und ineffektive Politiker zu kritisieren, Demonstranten zu mobilisieren und sich über soziale Medien für Kandidaten zu engagieren bzw. Wahlkampf zu betreiben (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung räumt ein, in manchen Gebieten den Internetzugang beschränkt zu haben, angeblich aufgrund von Sicherheitsfragen, wie der Nutzung von Social Media-Plattformen durch den IS (USDOS 30.3.2021). Auch zu Beginn der Demonstrationen im Oktober 2019 wurde der Internetzugang tagelang blockiert. Soziale Medien blieben für mehrere Wochen, bis in den November hinein, gesperrt, bzw. eingeschränkt nutzbar (AA 2.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021).

Meinungs und Pressefreiheit in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 01.03.2022

Eine systematische Einschränkung der freien Meinungsäußerung oder Zensur in digitalen Medien ist in der Kurdischen Region im Irak (KRI) nicht bekannt. Die meisten Fernsehsender und Radiostationen in der KRI sind parteipolitisch beeinflusst. Gelegentlich werden oppositionelle Medien in ihrer Tätigkeit beeinträchtigt und vereinzelt kommt es auch zu Verhaftungen von kritischen Journalisten (AA 25.10.2021, S.11).

Politische Meinungsäußerung kann in der KRI auch willkürliche Verhaftung oder andere Repressalien von staatlicher Seite oder durch Partei-Kräfte auslösen (FH 3.3.2021).

Im Jahr 2020 kam es zu einer Verschärfung des Vorgehens der Behörden der Kurdischen Regionalregierung (KRG) gegen Medien und Journalisten, insbesondere gegen solche, die über Proteste gegen die KRG im Zusammenhang mit wirtschaftlicher Not und Korruption berichteten (FH 3.3.2021). Die Vorwürfe umfassen Schikanen, Schläge, Verhaftungen und Todesdrohungen (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). So wurden Journalisten, die über die regierungsfeindlichen Proteste in der Region Kurdistan berichteten, von den Behörden behindert, bedroht und gefährdet. Auch Demonstranten und Organisatoren von Protesten, sowie Blogger, die COVID-19-Maßnahmen, Korruption und die Nichtauszahlung von Staatsgehältern kritisiert haben, wurden verhaftet (FH 3.3.2021). In einigen Fällen trugen die Angreifer Militär- oder Polizeiuniformen der KRG (USDOS 30.3.2021).

Im Jahr 2020 wurden mehrere Büros des Medienunternehmens Nalia Radio und Fernsehen (NRT) geschlossen und durchsucht (FH 3.3.2021). Im Dezember 2020 wurde die Sendelizenz des Senders ausgesetzt (FH 3.3.2021; vgl. AA 22.1.2021). NRT hat zuvor über Gewalt während regierungsfeindlicher Proteste berichtet (FH 3.3.2021). Im Jahr 2021 hat ein Gericht in Erbil drei Journalisten und zwei Aktivisten zu sechs Jahren Haft verurteilt. Vier weitere Aktivisten und Journalisten, die 2020 verhaftet wurden, warteten im Oktober 2021 noch auf ihre Anklagen (HRW 13.1.2022).

Einige KRG-Gerichte wendeten bei Prozessen gegen Journalisten das strengere irakische Strafgesetzbuch anstelle des Pressegesetzes der KRI an. Letzteres schützt das Recht auf freie Meinungsäußerung stärker und untersagt die Inhaftierung von Journalisten aufgrund ihrer Arbeit. KRG-Behörden wenden z.B. das Gesetz über den Missbrauch elektronischer Geräte anstelle des Pressegesetzes der KRI gegen Journalisten an (USDOS 30.3.2021).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Versammlungsfreiheit

Letzte Änderung: 01.03.2022

Die Verfassung sieht das Recht auf Versammlung und friedliche Demonstration nach den Regeln des Gesetzes vor (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021), allerdings nur unter der Vorgabe, dass nicht gegen die öffentliche Ordnung und Moral verstoßen wird (AA 25.10.2021, S.10; vgl. GIZ 1.2021a). Ein Gesetzesentwurf von 2014 für eine nähere Ausgestaltung der Regelung wurde bislang nicht verabschiedet (AA 25.10.2021, S.10).

Die gesetzlichen Regelungen schreiben vor, dass die Veranstalter sieben Tage vor einer Demonstration um Genehmigung ansuchen und detaillierte Informationen über Veranstalter, Grund des Protests und Teilnehmer einreichen müssen. Die Vorschriften verbieten jegliche Slogans, Schilder, Druckschriften oder Zeichnungen, die Konfessionalismus, Rassismus oder die Segregation der Bürger zum Inhalt haben. Die Vorschriften verbieten auch alles, was gegen die Verfassung oder gegen das Gesetz verstößt; alles, was zu Gewalt, Hass oder Mord ermutigt; und alles, was eine Beleidigung des Islam, der Ehre, der Moral, der Religion, heiliger Gruppen oder irakischer Einrichtungen im Allgemeinen darstellt. Die Behörden erteilen Genehmigungen in der Regel in Übereinstimmung mit diesen Vorschriften (USDOS 30.3.2021).

Demonstranten sind häufig der Gefahr von Gewalt oder Verhaftung ausgesetzt (FH 3.3.2021). Als die Demonstrationen ab Oktober 2019 eskalierten, versäumten es die Behörden, die Demonstranten vor Gewalt zu schützen (USDOS 30.3.2021). Sicherheitskräfte gingen teils mit großer Härte gegen Demonstranten vor. Es gibt Berichte über Entführung, Folter und Tötung von Demonstranten, Aktivisten und Journalisten, von denen angenommen wird, dass diese der Einschüchterung der Demonstranten und der Beendigung der Proteste dienen sollten. UNAMI zufolge soll es im Zeitraum 1.10.2019 bis 15.5.2021 zu 81 Tötungsversuchen gegen Protestierende und Aktivisten gekommen sein, davon 32 tatsächliche Tötungen. Seit dem erneuten Ausbruch von Demonstrationen im Sommer 2020 soll es über 150 Fälle von Entführungen und Ermordungen gegeben haben (AA 25.10.2021, S.10).

Im Zuge der Protestbewegung wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 2021a) und Sicherheitskräfte setzten Tränengas und scharfe Munition gegen Demonstranten ein. Bis Mitte Dezember 2020 wurden bei den Protesten etwa 25.000 Menschen verletzt, mindestens 700 wurden getötet. Irakische Sicherheitskräfte und pro-iranische Milizen schossen routinemäßig mit scharfer Munition auf Demonstranten. Irakische Beamte und Journalisten berichteten auch, dass Scharfschützen unter dem Kommando von iranisch unterstützten Milizeinheiten mit scharfer Munition von Dächern aus auf Demonstranten schossen und eine Welle von Entführungen von Protestorganisatoren und Aktivisten durchführten. Iranische und irakische Medien, die mit den vom Iran unterstützten Milizen in Verbindung stehen, verbreiteten falsche Berichte über Aktivisten, um diese Angriffe zu rechtfertigen (FH 3.3.2021).

Im Jänner 2021 griff in Nasiriya, der Hauptstadt des Gouvernements Dhi-Qar, eine Armee-Einheit ein, um Demonstranten vor der Polizei zu schützen. Dabei kam es zu Schusswechseln zwischen den Sicherheitskräften, bei denen ein Polizist getötet wurde (Wing 11.1.2021).

Protestbewegung

Letzte Änderung: 02.03.2022

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung und Korruption sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021a; vgl. DFAT 17.8.2020, ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des Muhasasa-Systems, d. h. der ethnisch-konfessionellen Postenbesetzung in der Regierung und Verwaltung (ICG 26.7.2021). Sie waren außerdem gegen die Einmischung ausländischer Mächte, insbesondere des Iran gerichtet. Bereits von Juli bis September 2018 kam es im Südirak zu Protesten (DFAT 17.8.2020).

Im Oktober 2019 begannen landesweite Massenproteste (ICG 26.7.021; vgl. AI 7.4.2021). Diese betrafen vor allem die schiitischen Gebiete des Südirak und Bagdad (DFAT 17.8.2020; vgl. ICG 26.7.2021, AI 7.4.2021). Diese Proteste wurden auch in den ersten Monaten des Jahres 2020 fortgesetzt, bis sie durch den Ausbruch von COVID-19 vorübergehend unterbrochen wurden. Seit Mai 2020 kommt es wieder zu kleineren Demonstrationen, vor allem in den Städten Bagdad, Basra und Nasriyah (AI 7.4.2021).

Es wurden Ausgangssperren und Versammlungsverbote verhängt (GIZ 1.2021a). Fernsehsender, die über die Proteste berichteten, wurden von bewaffneten Männern überfallen (ICG 27.7.2021). Staatliche Sicherheitskräfte (ISF) und mit dem Iran verbündete Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) waren an gewaltsamer Unterdrückung der Proteste beteiligt (DFAT 17.8.2020; vgl. ICG 26.7.2021). Im Zuge der Proteste kam es seit Ende 2019 bis ins Jahr 2020 hinein zu willkürlichen Verhaftungen, gewaltsamem Verschwindenlassen und außergerichtlichen Tötungen von Demonstranten durch ISF und PMF (HRW 13.1.2021). Dutzende Aktivisten wurden im Zuge der Protestbewegung Ziel von Entführungen, Mordversuchen und Morden (MEE 25.7.2021). Mindestens 560 Demonstranten wurden während der Proteste getötet (HRW 13.1.2022). Andere Quellen sprechen von etwa 600 getöteten Demonstranten und über 20.000 Verletzten in den ersten sechs Monaten der Proteste (ICG 26.7.2021). Diese Vorfälle führten zum Rücktritt der Regierung unter Premierminister Adil Abdul al-Mahdi und zur Ernennung eines neuen Premierministers, Mustafa al-Kadhimi, im Mai 2020 (HRW 13.1.2021; vgl. ICG 26.7.2021).

Die Demonstranten fordern, dass die Sicherheitskräfte für ihre Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden, einschließlich der Tötung und des gewaltsamen Verschwindenlassens von Demonstranten (AI 7.4.2021). Trotz der anfänglichen, scheinbaren Bereitschaft, einige der gravierendsten Menschenrechtsprobleme des Irak anzugehen, gelang es der Regierung al-Kadhimi nicht, die Übergriffe auf Demonstranten zu beenden (HRW 13.1.2021).

Im Oktober 2019 wurden mehrere hochrangige Militärkommandanten wegen des gewaltsamen Vorgehens gegen Demonstranten von ihren Posten entfernt (FH 3.3.2021). Es wurden jedoch bislang keine hochrangigen Kommandanten strafrechtlich verfolgt. Nach einer Reihe von Tötungen und versuchten Tötungen von Demonstranten in Basra wurden im August 2020 der Polizeichef von Basra und der Direktor für nationale Sicherheit des Gouvernements entlassen. Es wurde jedoch keine Strafverfolgung eingeleitet (HRW 13.1.2021).

Diese Maßnahmen wurden von vielen Irakern als unzureichend abgelehnt und hatten wenig abschreckende Wirkung auf Mitglieder der Sicherheitskräfte, die im Laufe des Jahres zahlreiche Demonstranten tödlich verletzten. Trotz eines öffentlichen Versprechens von Premierminister al-Kadhimi im August 2020, die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen und die Ermordungen zu untersuchen und zu bestrafen, befinden sich die Täter weiterhin auf freiem Fuß (FH 3.3.2021). Auch Verhaftungen von Mitgliedern einer "Todesschwadron" im Februar 2021 und von Sicherheitsbeamten im Juli 2021 sind bis Ende 2021 nicht über die Ermittlungsphase hinausgegangen. Keine der Verhaftungen hat zu einer Anklageerhebung geführt (HRW 13.1.2022).

Ein im Mai 2020 eingerichteter Ausschuss zur Untersuchung der Tötung von Demonstranten hat bis Ende 2021 noch keine Ergebnisse öffentlich bekannt gegeben. Im Juli 2020 kündigte die Regierung al-Kadhimi an, die Familien der bei den Protesten Getöteten zu entschädigen. Bis September 2021 hatten die sechs Familien von getöteten Aktivisten, die von HRW kontaktiert wurden, noch keine Entschädigung erhalten (HRW 13.1.2022).

Versammlungsfreiheit in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die im Oktober 2019 begonnenen Demonstrationen gegen die zentralirakische Regierung haben in der KRI keinen Widerhall in der Bevölkerung gefunden. Solidaritätskundgebungen für Kurden in Nord-Ost-Syrien sowie kleine Demonstrationen mit spezifischen Anliegen, wie beispielsweise von Studenten gegen die zentrale Vergabe von Studienplätzen, verliefen friedlich (AA 25.10.2021, S.10).

Im Mai 2020 gingen Sicherheitskräfte gegen Demonstranten in Dohuk vor, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen, ein Ende der Korruption und die Auszahlung nicht gezahlter Staatsgehälter forderten. Sicherheitskräfte sind gewaltsam gegen Demonstranten vorgegangen und haben einige willkürlich verhaftet (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Die Behörden in der KRI nutzten COVID-19-Maßnahmen aus, um Proteste zu verbieten und die Möglichkeiten von Einzelpersonen die Schauplätze von Protesten zu erreichen, einzuschränken (FH 3.3.2021). Unter dem Vorwand, die nationale Sicherheit zu schützen, kam es zu Verhaftungen von Demonstranten und Aktivisten, sowie von Journalisten, die über die Proteste berichteten (AI 15.6.2021).

Die Zahl der Proteste, die teilweise auch gewalttätig waren, haben in Sulaymaniyah, Halabja, aber auch vereinzelt in Dohuk, zugenommen (AA 25.10.2021, S.10). Im Mai 2020 eröffneten Sicherheitskräfte der KRG in Dohuk das Feuer auf Demonstanten und nahmen Demonstranten fest (FH 3.3.2021). Zwischen März 2020 und April 2021 wurden Berichten zufolge allein im Gouvernement Dohuk, insbesondere in der Region Badinan, über 100 Personen festgenommen. Bis auf 30 Personen wurden die meisten kurz darauf wieder freigelassen. Asayish und Parastin wird im Zusammenhang mit den Verhaftungen das Verschwindenlassen von sechs Personen zur Last gelegt (AI 15.6.2021).

Vereinigungsfreiheit / Opposition

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Verfassung garantiert, mit einigen Ausnahmen, das Recht auf Gründung von und Mitgliedschaft in Vereinen und politischen Parteien. Die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen. Ausnahmen betreffen das gesetzliche Verbot von Gruppen, die Unterstützung für die Ba‘ath-Partei oder für zionistische Prinzipien bekunden (USDOS 30.3.2021). Iraker können generell ohne staatliche Einmischung Parteien gründen oder ihnen beitreten (FH 3.3.2021). Bei den jüngsten Parlamentswahlen vom 10.10.2021 hatten sich 267 Parteien, von denen 126 bei den Wahlen antraten, und 21 Wahlbündnisse registriert (AA 25.10.2021).

Es liegen keine Erkenntnisse über die gezielte Unterdrückung der außerparlamentarischen politischen Opposition durch staatliche Organe vor. Politische Aktivisten berichten jedoch von Einschüchterungen und Gewalt durch staatliche, nicht-staatliche oder paramilitärische Akteure, die abschrecken sollen, neue politische Bewegungen zu etablieren, und die freie Meinungsäußerung teils massiv einschränken (AA 25.10.2021, S. 9f.). Irakische Politiker, die gegen iranische Interessen agieren, werden bedroht (FH 3.3.2021).

Die Arbeitsgesetze garantieren Arbeitnehmern das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften, von Kollektivverhandlungen und auf das Abhalten von Streiks, schützen sie aber nicht vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung bis hin zu Entlassungen (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Es ist verboten Gewerkschaften unabhängig vom staatlichen kontrollierten Generalverband der irakischen Arbeiter zu gründen (USDOS 30.3.2021). Angestellten des öffentlichen Sektors ist es nicht gestattet, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Einige Staatsbeamte und private Arbeitgeber entmutigen Gewerkschaftsaktivitäten mit Drohungen, Degradierungen und anderen Abschreckungsmaßnahmen (FH 3.3.2021).

Vereinigungsfreiheit / Opposition in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Opposition in der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist im Raum Erbil und Dohuk kaum existent. Die Kurdische Demokratische Partei (KDP) gilt in weiten Teilen als alternativlos. In der Region um Sulaymaniyah und Halabja haben sich in den vergangenen Jahren zwar Gruppen von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) abgewandt, ohne jedoch politischen Einfluss erlangen zu können (AA 25.10.2021, S. 10).

In den Jahren 2019 und 2020 gingen die Behörden der Kurdischen Regionalregierung (KRG) gegen die Oppositionspartei "Neue Generation" unter Shaswar Abdul Wahid und das ihr angeschlossene Medienunternehmen Nalia Radio und Fernsehen (NRT) vor. 2019 wurden 80 Parteimitglieder wegen des Vorwurfs der Verleumdung und Beleidigung eines Staatsangestellten festgenommen. 2020 wurden zwei NRT-Büros geschlossen und durchsucht. Im Dezember folgten Untersuchungen zweier weiterer Büros des Senders und es wurde die Sendelizenz ausgesetzt. NRT hatte das ganze Jahr über über Gewalt während regierungsfeindlicher Proteste berichtet (FH 3.3.2021).

Haftbedingungen

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem internationalen Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 25.10.2021, S. 22). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten sind die Bedingungen aufgrund von Überbelegung oft hart (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Misshandlung und unzureichender Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung lassen die Bedingungen auch lebensbedrohlich werden. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der festgenommenen mutmaßlichen IS-Mitglieder noch verschärft wird. Einen weiteren lebensbedrohlichen Faktor stellt die COVID-19 Pandemie dar. Im April 2020 gab das Justizministerium bekannt, dass 950 erwachsene Häftlinge und 57 Jugendliche begnadigt wurden, um die Ausbreitung von COVID-19 in den Gefängnissen einzudämmen (USDOS 30.3.2021). Anderen Quellen zufolge wurde die Freilassung von 20.000 Häftlingen verkündet (MEMO 24.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Mitte 2020 haben das Justizministerium und das Irakische Hochkommissariat für Menschenrechte (IHCHR) vor einer COVID-19 bedingten Gesundheitskrise wegen der Überbelegung in den Haftanstalten gewarnt. Um dieser Überbelegung weiter entgegenzuwirken, wurde im August 2020 die Eröffnung eines neuen Gefängnisses in Bagdad angekündigt (USDOS 30.3.2021). Berichten von Inhaftierten zufolge wurden innerhalb der Haftanstalten keine oder kaum ausreichende Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 ergriffen. Die Hürden für Haftbesuche wurden jedoch deutlich erhöht (AA 25.10.2021, S.23).

Es mangelt an Jugendstrafanstalten. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zufolge werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA 25.10.2021, S.13).

Bürokratische Hürden erschweren das Mandat der UN-Mission für den Irak (UNAMI) zum Besuch irakischer Haftanstalten. Das IKRK hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 25.10.2021, S.23).

Der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, hat im Juli 2018 erstmals eingestanden Personen über einen längeren Zeitraum festzuhalten, beispielsweise in ash-Shurta, im Osten Mossuls. Dies geschieht laut NSS mit der Zustimmung des Hohen Justizrates in Ninewa (HRW 22.7.2018; vgl. DFAT 17.8.2020). Berichten zufolge betreibt auch die 30. Brigade der Volksmobilisierungskräfte (PMF) mehrere geheime Gefängnisse in Ninewa. Rund 1.000 Personen sollen unter falschen Tatsachen und aus ethno-konfessionellen Gründen verhaftet worden sein. Familien solcher Gefangener müssen hohe Lösegeldsummen für die Freilassung ihrer Angehörigen zahlen (USDOS 30.3.2021). Es gibt Berichte über gewaltsames Verschwindenlassen von Häftlingen, besonders von mutmaßlichen IS-Kämpfern (FH 3.3.2021).

Auch in Frauengefängnissen gibt es Überbelegung, und es fehlen oft ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen für die Kinder der Gefangenen, die nach dem Gesetz bis zum Alter von vier Jahren bei ihren Müttern bleiben dürfen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt keine psychosoziale Unterstützung für Gefangene mit geistigen Behinderungen (USDOS 30.3.2021).

Haftbedingungen in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Haftbedingungen in Gefängnissen der kurdischen Geheimpolizei (Asayish) sind insgesamt sehr schlecht (AA 25.10.2021, S. 21), vor allem in vielen kleineren Haftanstalten des Innenministeriums der Kurdischen Region im Irak (KRI) (USDOS 30.3.2021). Es herrschen aber etwas bessere Haftbedingungen als in den Haftanstalten unter der Zentralregierung, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 25.10.2021, S.23). Die neueren Gefängnisse in den größeren Städten werden gut gewartet (USDOS 30.3.2021).

In einigen Haftanstalten der kurdischen Geheimpolizei Asayish und der Polizei halten KRI-Behörden gelegentlich Jugendliche in denselben Zellen wie Erwachsene fest. Einem Bericht der Unabhängigen Menschenrechtskommission der Kurdischen Region (IHRCKR) zufolge waren im September 2020 über 50 Minderjährige gemeinsam mit ihren verurteilten Müttern in der Erziehungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil untergebracht. UNICEF hat einen separaten Anbau an das Gefängnis für diese Minderjährigen finanziert. Diese haben jedoch weiterhin keinen Zugang zu Bildung (USDOS 30.3.2021).

In Gefängnissen der Asayish werden Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige angewendet. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat Zugang zu den Gefängnissen in der KRI (AA 25.10.2021, S.21).

Todesstrafe

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Todesstrafe ist in Artikel 15 der Verfassung auf Grundlage einer von einer zuständigen Justizbehörde erlassenen Entscheidung erlaubt (DFAT 17.8.2020). Sie ist auch im irakischen Strafrecht vorgesehen, wird verhängt und vollstreckt (AA 25.10.2021, S.22). Der Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe kann bei 48 verschiedenen Delikten, darunter Mord, terroristische und staatsfeindliche Aktivitäten, Hochverrat, Einsatz von chemischen Waffen und Vergewaltigung verhängt werden (AA 25.10.2021, S.22).

Nach dem Antiterrorismusgesetz (2005) kann die Todesstrafe gegen jeden verhängt werden, der terroristische Handlungen begeht, dazu anstiftet, sie plant, finanziert oder unterstützt (DFAT 17.8.2020). Der Großteil der Hinrichtungen erfolgt wegen Terrorismusvorwürfen (AA 25.10.2021, S. 22; vgl. DFAT 17.8.2020). Viele Personen werden im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung wegen ihrer IS-Angehörigkeit verurteilt (HRW 13.1.2021). Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 22.1.2021).

Aktuelle Zahlen zu den vollstreckten Hinrichtungen liegen nicht vor (HRW 13.1.2021; vgl. AA 25.10.2021, S.22). Die Behörden berichten diese nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen und machen auch auf Nachfrage keine verlässlichen Angaben (AA 25.10.2021, S. 22). Amnesty International zufolge wurden 2020 mindestens 27 Todesurteile ausgesprochen (AI 4.2021). Mindestens 50 Hinrichtungen wurden vollzogen (AI 7.4.2021). 21 dieser Hinrichtungen fanden während einer Massenexekution am 17.11.2020 statt (AI 4.2021; vgl. DW 16.11.2020, HRW 13.1.2021). Unter den Verurteilen waren elf Franzosen und ein Belgier. Bis dahin wurde im Irak noch nie ein ausländisches IS-Mitglied hingerichtet (DW 16.11.2020). Im Jahr 2021 wurden bis September 2021 mindestens 19 Hinrichtungen ausgeführt (HRW 13.1.2022).

Bisherige Berichte gingen davon aus, dass Ende 2020/Anfang 2021 um die 8.000 Personen zum Tode verurteilt waren und auf ihre Hinrichtungen warteten (AI 4.2021; vgl. AA 25.10.2021, S. 22). Vor allem gegen mutmaßliche IS-Kämpfer werden in fragwürdigen Prozessen zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (AA 25.10.2021, S. 22). Laut einer Erklärung des Justizministeriums vom September 2021 halten die Behörden fast 50.000 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrorismus fest, von denen über die Hälfte zum Tode verurteilt wurde (HRW 13.1.2022; vgl. BasNews 6.9.2021).

Das irakische Strafgesetzbuch verbietet das Verhängen der Todesstrafe gegen jugendliche Straftäter, d.h. Minderjährige und Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren zum Zeitpunkt der Begehung der mutmaßlichen Straftat sowie gegen schwangere Frauen und Frauen bis zu vier Monaten nach einer Geburt. In diesem Fall wird die Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt (HRC 5.6.2018).

Todesstrafe in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) wurde die Todesstrafe im Jahr 2008 in einem De-facto-Moratorium ausgesetzt, außer für wesentliche Fälle, wie zur Bekämpfung des Terrorismus (HRW 13.1.2022; vgl. AA 25.10.2021, S. 22). In den Jahren 2015 und 2016 wurde dieses Moratorium zweimal gebrochen, wobei vier Hinrichtungen vorgenommen wurden. Im Jahr 2020 saßen fast 400 zum Tode verurteilte Personen in kurdischen Gefängnissen (AA 25.10.2021, S. 22).

Berichten zufolge hat die Kurdische Regionalregierung (KRG) damit begonnen, Morde an Frauen, einschließlich Ehrenmorde, als Tötungsdelikte zu verfolgen, was bedeutet, dass die Schuldigen mit Strafen bis hin zur Todesstrafe belegt werden können (DFAT 17.8.2020).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 02.03.2022

Anmerkung: Aufgrund der komplexen Verflechtung religiöser und ethnischer Identitäten ist eine strikte Unterscheidung zwischen rein religiösen Minderheiten und rein ethnischen Minderheiten im Irak oft nur schwer möglich. Um eine willkürliche Trennung zu vermeiden, werden alle Minderheiten, einschließlich derer, bei denen das religiöse Element überwiegt, im Abschnitt "Minderheiten" behandelt.

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 25.10.2021, S.11; vgl. FH 3.3.2021). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 25.10.2021, S.11; vgl. GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 12.5.2021 ). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 25.10.2021, S.11). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 12.5.2021 ).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 25.10.2021, S.11; vgl. ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 25.10.2021, S.11; vgl. ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 3.3.2021).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 12.5.2021).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 12.5.2021; vgl. USCIRF 4.2021).

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 25.10.2021, S.11; vgl. USDOS 12.5.2021). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 25.10.2021, S.11). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Mandäer-Sabäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 12.5.2021).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer-Sabäer, Shabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).

Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), die Freizügigkeit innerhalb des Landes aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch PMF (USDOS 30.3.2021).

Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wieviele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 30.3.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden. Sie berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 12.5.2021).

In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Mandäer-Sabäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 12.5.2021). Es gibt keine Gesetze, die eine Heirat zwischen Schiiten und Sunniten verbieten (DFAT 17.8.2020).

[Anm.: Weiterführende Informationen zur Situation einzelner religiöser Minderheiten können dem Kapitel Minderheiten entnommen werden.]

Ethnische und religiöse Minderheiten

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80% Araber, 15-20% Kurden und etwa 5%, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 25.10.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten können im Alltag jedoch gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt. Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten im Zentralirak faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat, unter der Verwaltung von Bagdad, kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 25.10.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 3.3.2021). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch Volksmobilisierungskräfte (PMF), in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 30.3.2021).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Shabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit unterschiedlicher Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 25.10.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 25.10.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 12.5.2021). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte, der Peschmerga und vor allem der schiitischen Milizen und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (AA 25.10.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 25.10.2021).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können Hunderttausende Iraker, die vom IS vertrieben wurden, nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 3.3.2021). Angehörige der PMF verlangen an Kontrollpunkten von IDPs, insbesondere von Angehörigen von religiösen Minderheiten überhöhte Geldbeträge für die Überquerung der Grenze. Alternativ riskieren die Betroffenen in die Lager zurückgeschickt zu werden (USCIRF 4.2021).

Sunnitische Araber

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 25.10.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 25.10.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 30.3.2021). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 12.5.2021). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 30.3.2021). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 12.5.2021).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 25.10.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 30.3.2021).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemalige Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe PMF sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben und versuchen würden, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seinem Gouvernement gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Letzte Änderung: 02.03.2022

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 3.3.2021). Personen, die als nicht konform mit den lokalen sozialen und kulturellen Normen angesehen werden, weil sie ein "westliches" Verhalten an den Tag legen, sind Drohungen und Angriffen von Einzelpersonen aus der Gesellschaft sowie von Milizen ausgesetzt. Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben es auf Personen abgesehen, die Anzeichen für eine Abweichung von ihrer Auslegung der schiitischen Normen zeigen, manchmal mit Unterstützung der schiitischen Gemeinschaft (EASO 1.2021). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 25.10.2021). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 12.5.2021; vgl. DFAT 17.8.2020). Nicht-schiitische Muslime und nicht-muslimische Frauen berichten, dass sie sich gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen, bspw. während des heiligen Monats Muharram, insbesondere während Ashura, den Hijab und schwarze Kleidung zu tragen, um Belästigungen zu vermeiden (DFAT 17.8.2020). Im Jahr 2018 gab es einige Morde an Frauen aus der Schönheits- und Modebranche, die in der Öffentlichkeit standen. Die Angreifer blieben unbekannt, aber die Regierung machte extremistische Gruppen für die Morde verantwortlich (FH 3.3.2021).

Für Frauen außerhalb des Hauses zu arbeiten, wird in weiten Teilen der Gesellschaft als inakzeptabel angesehen. Berufe, wie die Arbeit in Geschäften, Restaurants oder in den Medien, wurden als etwas Schändliches angesehen. Gleiches gilt für die Teilnahme an lokaler und nationaler Politik (IWPR 8.3.2021). So wurden weibliche Aktivisten, die an den Protesten teilnahmen, in politischen Kampagnen als promiskuitiv verunglimpft (ICG 26.7.2021). Entsprechend sprach sich as-Sadr im Februar 2020 für eine Geschlechtertrennung auf den öffentlichen Plätzen aus (ICG 26.7.2021; vgl. AIIA 1.4.2020). Im Zuge des darauffolgenden Frauenmarsches am 13.2.2020 wurden weibliche Demonstranten mit Tränengas angegriffen, bedroht, attackiert, entführt und in einigen Fällen getötet (AIIA 1.4.2020). Im August 2020 verübten Unbekannte eine Reihe von Attentaten auf regierungskritische Demonstranten. Die gewalttätigsten Angriffe ereigneten sich im Gouvernement Basra und führten zur Tötung von drei Aktivisten und zwei Zivilisten (MEMO 17.9.2020). (Mutmaßliche) IS-Mitglieder, IS-Sympatisanten und "IS-Familien" (Dawa‘esh)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Personen können aufgrund ihres Familiennamens (HRW 13.1.2022), ihrer Stammeszugehörigkeit oder ihres Herkunftsgebiets als dem Islamischen Staat (IS) nahestehend pauschal verurteilt werden (HRW 13.1.2021). Der Vorwurf einer IS-Nähe wird von den Behörden und Gemeinschaften oft ohne Beweise erhoben. Der Verdacht, dass sich ein Verwandter dem IS angeschlossen oder mit der Gruppe sympathisiert hat, ist dafür ausreichend. Es gibt keine Möglichkeit dagegen Einspruch zu erheben (HRW 3.6.2021). Generell: Frauen und Kinder von Angehörigen des sog. IS sind wegen ihrer Verbindung zu diesem stigmatisiert (USDOS 30.3.2021). Das Fehlen von Ausweispapieren wirkt sich für vermeintliche ehemalige IS-Angehörige bzw. deren Familien negativ auf die Bewegungsfreiheit, das Recht auf Arbeit und Sozialleistungen aus (HRW 13.1.2021).

Irakische Sicherheitskräfte halten mutmaßliche IS-Angehörige willkürlich fest, viele davon monatelang, einige sogar jahrelang. Verdächtige werden regelmäßig ohne Gerichtsbeschluss oder Haftbefehl und ohne Nennung eines Grundes festgenommen. Dabei wird über die weit verbreitete Anwendung von Folter durch Sicherheitskräfte zur Gewinnung von Geständnissen berichtet (HRW 13.1.2021). Regierungstruppen der Zentralregierung und der Kurdischen Region im Irak (KRI) werden für das Verschwindenlassen Tausender mutmaßlicher IS-Mitglieder und Personen, die ihnen nahe stehen, verantwortlich gemacht (USDOS 11.3.2020). Ebenso gibt es Berichte über willkürliche rechtswidrige Tötungen von mutmaßlichen IS-Mitgliedern durch Sicherheitskräfte und Volksmobilisierungskräfte (PMF). Regierungskräfte und PMF haben in einigen Gouvernements mutmaßliche IS-Sympathisanten und Familienangehörige mutmaßlicher IS-Mitglieder aus deren Häusern vertrieben und diese beschlagnahmt (USDOS 30.3.2021). Derartige Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 25.10.2021). Obwohl derartige Beschlagnahmen von Häusern und Grundstücken im Laufe des Jahres 2020 zurückgegangen sind, bleiben viele Häuser und Grundstücke nach wie vor in Fremdbesitz (USDOS 30.3.2021).

Dokumente: Der IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen seine eigenen Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden. Außerdem haben viele Familien ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren, oder als sie in den Lagern für IDPs ankamen (CCiC 1.4.2021; vgl. NRC 4.2019). Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021). Wenn aufgrund des Familiennamens, der Stammeszugehörigkeit oder des Herkunftsgebietes von Familien eine IS-Angehörigkeit vermutet wird (HRW 13.1.2021), kommt es zur Weigerung, eine Sicherheitsfreigabe zu erteilen, was wiederum die Beschaffung von Dokumenten verunmöglicht (HRW 13.1.2021; vgl. CCiC 1.4.2021). Einige Familien wurden genötigt, zur Erlangung der Sicherheitsfreigabe Verwandte, die verdächtigt werden, sich dem IS angeschlossen zu haben, anzuzeigen (HRW 13.1.2021).

Frauen: Vielen Frauen, die mit IS-Kämpfern verheiratet waren und verwitwet sind, fehlen Heiratsurkunden und ihren Kindern die entsprechenden Geburtsurkunden, die für die Ausstellung rechtlicher Dokumente für diese Kinder erforderlich sind (USDOS 30.3.2021). Einige Dokumente sind auf den Namen des männlichen Haushaltsvorstands ausgestellt. Um diese Dokumente auf ihren Namen neu ausstellen lassen zu können, müssen diese Frauen ihre Ehe auflösen, indem sie einen Antrag vor Gericht stellen und die Sterbeurkunde des Ehemanns vorlegen. Viele Frauen haben jedoch keine Sterbeurkunde für ihren Ehemann. Ohne diese Sterbeurkunde können diese Frauen auch keine Klagen, ihren Besitz betreffend einreichen, da dieser auf den Namen des Ehemannes eingeschrieben ist. Außerdem können gemeinsame Kinder nicht das Eigentum ihres Vaters erben (CCiC 1.4.2021). Auch werden Heiratsurkunden, die in den vormals vom IS kontrollierten Gebieten ausgestellt wurden, von der irakischen Regierung nicht anerkannt (CCiC 1.4.2021; vgl. NRC 4.2019). Ohne vorliegender Sterbeurkunde des Ehemanns ist den betroffenen Frauen auch eine neuerliche Heirat nicht möglich (AA 25.10.2021). Diese Frauen sind einem erhöhten Risiko von Selbstmord, Vergeltung und sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Auch Ehrenmorde bleiben ein Risiko. Manche Gemeinschaften haben Edikte erlassen und Maßnahmen ergriffen, um die betroffenen Frauen von jeder Schuld freizusprechen, die mit ihrer sexuellen Ausbeutung durch IS-Kämpfer verbunden ist. Die Gemeinschaften akzeptieren jedoch im Allgemeinen keine Kinder von IS-Kämpfern, weswegen diese häufig ausgesetzt oder in Waisenhäuser gebracht werden (USDOS 30.3.2021).

Kinder: Vom IS ausgestellte Geburtsurkunden für Kinder, die im IS-Territorium geboren wurden, werden von Regierungsbehörden nicht anerkannt und die Ausstellung von neuen Geburtsurkunden wird oft verweigert. Ohne Geburtsurkunden können diese Kinder nicht eingeschult werden (AA 25.10.2021). Jahrelang haben die Behörden Tausende von Kindern ohne zivile Papiere daran gehindert, sich in staatlichen Schulen einzuschreiben, einschließlich staatlicher Schulen in Lagern für Vertriebene (HRW 13.1.2021).

Bewegungsfreiheit: Die Bewegungsfreiheit von Personen mit angenommenen IS-Verbindungen wird eingeschränkt. Zudem sind Familienmitglieder von IS-Angehörigen oft nicht bereit oder in der Lage an ihre Herkunftsorte zurückzukehren (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021), weil ihre ursprünglichen Gemeinschaften ihre Rückkehr ablehnen oder die irakischen Behörden sie verbieten (FH 3.3.2021). Auch das Fehlen von Dokumenten hindert Menschen an der Rückkehr in ihre Heimatregionen (HRW 13.1.2021; vgl. NRC 4.2019). Überhaupt wirkt sich das Fehlen von Ausweispapieren negativ auf die Bewegungsfreiheit aus (HRW 13.1.2021; vgl. AA 25.10.2021). Personen ohne Papiere sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, willkürlich verhaftet oder an Kontrollpunkten festgehalten zu werden (HRW 13.1.2021; vgl. NRC 4.2019). Sie können bei Polizeikontrollen festgenommen und verhört werden (AA 25.10.2021).

Unterstützung: Personen mit angenommenen IS-Verbindungen erhalten aufgrund fehlender Dokumente keinen Zugang zu Dienstleistungen (HRW 13.1.2021; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Insbesondere Frauen, deren Ehemänner vermisst oder verstorben sind, und die nicht über eine entsprechende Sterbeurkunde verfügen, um sich selbst als Haushaltsvorstand einschrieben zu lassen, stehen damit vor einem Hindernis, um humanitäre und staatliche Hilfe zu erhalten (CCiC 1.4.2021). Das Gesetz Nr. 20 von 2009 zur Entschädigung der Opfer von Militäroperationen, militärischen Fehlern und terroristischen Handlungen, egal durch welche Konfliktpartei, wird von lokalen Behörden in diskriminierender Weise angewendet, indem Familien mit vermeintlichen IS-Verbindungen davon ausgeschlossen werden. Vielen fehlen dadurch die Mittel zum Wiederaufbau ihrer Häuser (HRW 3.6.2021). Die Entschädigungskommission von Mossul hat erklärt, dass Familien von IS-Mitgliedern eine Entschädigung erhalten können, wenn sie vom irakischen Geheimdienst NSS eine Sicherheitsfreigabe für ihre Heimkehr erhalten. Es wird aber berichtet, dass allen Familien von mutmaßlichen IS-Mitgliedern diese Genehmigung verweigert wird (USDOS 30.3.2021). Das Fehlen von Dokumenten schränkt mitunter den Zugang zu grundlegenden Diensten zusätzlich ein (NRC 4.2019; vgl. HRW 13.1.2021).

Amnestie: Ein im August 2016 verabschiedetes allgemeines Amnestiegesetz (Nr. 27/2016) gewährt allen Personen, die zwischen 2003 und 2016 verurteilt wurden, die Möglichkeit einen Antrag auf Amnestie zu stellen (Al-Monitor 30.8.2016; vgl. HRW 6.3.2019, WCAC 3.2021). Ausgenommen sind Personen, die wegen 13 Arten von Verbrechen verurteilt wurden, darunter Terrorakte, die Todesfälle oder dauerhafte Invalidität zur Folge hatten, Menschenhandel, Vergewaltigung, Geldwäsche und Veruntreuung sowie Diebstahl staatlicher Gelder (Al-Monitor 30.8.2016; vgl. WCAC 3.2021). Dieses Gesetz sieht theoretisch auch eine Amnestie für jede Person vor, die sich gegen ihren Willen dem IS oder einer anderen extremistischen Gruppe angeschlossen und keine schwere Straftat begangen hat (HRW 6.3.2019; vgl. Al-Monitor 30.8.2016). Richter, die mit Fällen der Terrorismusbekämpfung befasst sind, weigern sich jedoch häufig, das Gesetz anzuwenden (HRW 6.3.2019; vgl. WCAC 3.2021). NGOs und Politiker kritisieren die selektive Umsetzung des Gesetzes, die nicht dem beabsichtigten Ziel der Gesetzgebung entspricht, das darin besteht, Erleichterung für diejenigen zu schaffen, die unter falschen Anschuldigungen oder aus konfessionellen Gründen inhaftiert wurden (USDOS 13.3.2021).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 30.3.2021).

In vielen Teilen des Landes, die von der Kontrolle durch den Islamischen Staat (IS) befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 30.3.2021). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vgl. K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdischen Region im Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert, noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 3.3.2021).

Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen nationalen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).

Der Irak hat fünf internationale Flughäfen: Bagdad, Najaf, Basra, Erbil und Sulaymaniyah (Anadolu 23.7.2020). Der internationale Flughafen von Mossul ist seit 2014 geschlossen, nachdem der IS die Stadt im Juni 2014 eingenommen hatte. Der Flughafen ist beschädigt und muss noch renoviert werden (Kirkuk Now 4.2.2020).

Der Irak verfügt über ein Straßennetz von etwa 45.000 km Länge. Etwa 80% der Straßen sind asphaltiert. Allerdings ist es schwierig, den Zustand der Straßen zu ermitteln. Explosionen und der Verkehr großer Mengen gepanzerter Fahrzeuge kann diese in Mitleidenschaft gezogen haben (Driver Abroad o.D.).

Die wichtigste Straße im Irak ist die Autobahn (Freeway) 1, die von Basra über Nasiriyah, Al Diwaniyah, Al Hillah, Bagdad, Fallujah, Habbaniyah, Ramadi nach Ar Rutba in Anbar und weiter nach Syrien und Jordanien führt. Andere wichtige Straßen sind: Fernstraße 1: von Bagdad über Taji, Samarra, Tikrit und Mossul nach Syrien Fernstraße 2: von Bagdad über Baqubah, Al Khalis, Kirkuk, Erbil, Mossul, Dohuk und Zakhu in die Türkei Fernstraße 3: von Bagdad über Baqubah und Erbil in den Iran Fernstraße 4: von Kirkuk über Sulaymaniyah, Darbinadikhan und Jalaulah nach As Sa'Diyah Fernstraße 5: von Baqubah über Muqdadiyah, As Sa'Diyah und Khanaqin in den Iran Fernstraße 6: von Bagdad über Al Kut und Al Amarah nach Basra Fernstraße 7: von Al Kut über Ash Shatrah nach Nasiriyah. Fernstraße 8: von Bagdad über Al Hillah, Al-Qadisiyyah, As Samawah, Nasiriyah und Basra nach Kuwait. Fernstraße 9: von Karbala über Al-Najaf nach Al-Qadisiyyah. Fernstraße 10: von Ar Rutbah nach Jordanien. Fernstraße 11: von Bagdad über Al Fallujah, Al Ramadi und Ar Rutbah nach Syrien. Fernstraße 12: von Al Ramadi über Hit, Haditha und Al-Karābilah nach Syrien (Driver Abroad o.D.) Die Sicherheitslage auf allen Strecken ist unvorhersehbar und kann sich schnell ändern. In den von den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten gibt es zahlreiche Kontrollpunkte. Die Fahrt auf vielen Straßen zwischen den Städten erfordert eine strenge Sicherheitsüberprüfung. In den umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge aus dem jeweiligen Gouvernorat die Straßen befahren. Autos mit Nummernschildern aus einem anderen Gouvernement benötigen eine Sicherheitsgenehmigung (Driver Abroad o.D.).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist die Situation im Allgemeinen besser als im Rest des Landes. Im Norden der KRI gab es jedoch auch terroristische Zwischenfälle und Luftangriffe (Driver Abroad o.D.). Die meisten Straßen in der KRI wurden nicht nach modernen Betriebs- und Sicherheitsstandards gebaut und befinden sich aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen häufig in einem schlechten Zustand. Seit Anfang 2014 hat sich die Wirtschaftskrise in der Region auch negativ auf die Straßen ausgewirkt. Die kurdische Regionalregierung (KRG) stoppte fast alle Straßenbau- und Instandhaltungsprojekte. Infolgedessen ist die Zahl der Unfälle gestiegen (Mohammed, Jaff, Schrock 9.2019).

Einreise und Einwanderung in den föderalen Irak

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Regierung in Bagdad verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die (zeitlich befristete) Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Missan, Muthanna, Najaf, Qadisiyah und Wassit. Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Missan und Muthanna wurden 2020 aufgehoben (UNHCR 11.1.2021). Lokale PMF-Gruppen verhinderten in gewissen Gebieten die Rückkehr von Binnenvertriebenen, beispielsweise nach Salah ad-Din oder von Christen in mehrere Städte in der Ninewa-Ebene, darunter Bartalla und Qaraqosh (USDOS 30.3.2021).

Für die dauerhafte Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Missan, Muthanna, Najaf, Qadisiyah und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Ausnahmen stellen der nördliche Bezirks Muqdadiyah, der Unterbezirk Saadiyah im Bezirk Khanaqin, sowie der Norden des Unterbezriks Al-Udhim im Bezirk Khalis dar, in denen Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS) und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.1.2021).

Einreise und Einwanderung in die Kurdische Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die Kurdischen Region im Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten für Nicht-Einheimische ein (USDOS 30.3.2021). Es wird für die Einreise in die Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah, zwecks Aufenthalt von bis zu 30 Tagen, kein Bürge benötigt (UNHCR 11.1.2021). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehören - auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 30.3.2021).

Inner-irakische Migration aus dem föderalen Irak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug (Niederlassung) jedoch kontrolliert (AA 25.10.2021). Wer sich dauerhaft niederlassen möchte, muss sich bei der kurdischen Geheimpolizei (Asayish-Behörde) des jeweiligen Distrikts anmelden (AA 25.10.2021; vgl. UNHRC 11.1.2021). Eine Sicherheitsfreigabe durch die Asayish ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig. Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen. Nur in Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig werden, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Für eine Niederlassung in Erbil oder Sulaymaniyah wird keine Bürgschaft verlangt (UNHCR 11.1.2021). Die Aufenthaltsgenehmigung ist, in der Regel, einjährig erneuerbar, abgesehen von Dohuk, wo die Aufenthaltsgenehmigung nur bis zu sechs Monate gültig ist (UNHCR 11.1.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung. Auch alleinstehende arabische und turkmenische Männer erhalten generell nur eine monatlich erneuerbare Aufenthaltsgenehmigung. Unter Vorlage des Nachweises einer regulären Beschäftigung und eines Unterstützungsschreibens ihres Arbeitgebers können sie auch eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung beantragen (UNHCR 11.1.2021). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 25.10.2021).

Die kurdischen Behörden wenden Beschränkungen regional unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt (USDOS 30.3.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 02.03.2022

Mit Dezember 2020 waren etwa 4,7 Millionen Iraker, die durch den Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) ab 2014 vertrieben wurden, in ihre Heimatregionen zurückgekehrt (FH 3.3.2021). Rund 1,2 Millionen Menschen waren Anfang 2021 weiterhin intern vertrieben (FH 3.3.2021; vgl. IDMC 5.2021). Mit Stand Dezember 2021 waren noch rund 1,19 Millionen Personen IDPs, während 4,95 Millionen Personen Rückkehrer waren (IOM 12.2021). Etwa 700.000 IDPs halten sich in der Kurdischen Region im Irak (KRI) auf (USDOS 12.5.2021).

Etwa 40% der IDPs im ganzen Land sind sunnitische Araber, 30% Jesiden, 13% Kurden (verschiedener Religionszugehörigkeiten) und 7% Christen. Andere religiöse Minderheiten machen die restlichen 10% aus (USDOS 12.5.2021). Die KRI beherbergt einen großen Anteil von Christen, Jesiden, Shabak, Kaka'i und andere ethno-konfessionelle Gruppen aus der Ninewa Ebene. Trotz der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage und der Sicherheitsprobleme in der Region berichteten Beamte der Kurdischen Regionalregierung (KRG), dass sie die Wahrung der Rechte dieser Minderheiten als oberste Priorität ansehen (USDOS 30.3.2021).

Die meisten IDPs befinden sich in Ninewa, Dohuk und Erbil (IOM 12.2021; vgl. USDOS 30.3.2021). 57% der IDPs stammen aus Ninewa (664.929), insbesondere aus den Distrikten Mossul (246.361), Sinjar (193.688) und Al-Ba'aj (93.046). Die nächstgrößeren IDP-Kontingente kommen aus Salah ad-Din (138.134) und aus Anbar (134.255) (IOM 12.2021). Hunderttausende Iraker, die vom IS vertrieben wurden, können nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 3.3.2021). Etwa 76% der IDPs leben in privaten Unterkünften (902.448), 15% in Lagern (179.120) und 9% (104.226) in Notunterkünften (IOM 12.2021), darunter unsichere und verlassene Gebäude, religiöse Gebäude und Schulen (USDOS 30.3.2021).

Die erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen an Orte, an denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind, sowie Androhung von Gewalt gegen Binnenvertriebene und Rückkehrer, von denen angenommen wurde, dass sie mit dem IS in Verbindung stehen, zählen zu wichtigen Menschenrechtsproblemen im Irak (USDOS 30.3.2021). Sowohl erzwungene Rückkehr als auch das Verhindern einer Rückkehr dauerten im Jahr 2020 an (GIZ 1.2021c; vgl. Rudaw 11.9.2020). Personen aus vormals vom IS kontrollierten oder vom Konflikt betroffenen Gebieten werden in vielen Gebieten wegen mutmaßlicher Nähe zum IS und aus ethno-konfessionellen Gründen von lokalen Behörden oder anderen Akteuren, wie den Volksmobilisierungskräften (PMF), unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatregionen zurückzukehren (UNHCR 11.1.2021). Andererseits erkennen lokale Behörden Sicherheitsgenehmigungen von Rückkehrern nicht immer an oder halten sich nicht an die Anweisungen der Zentralregierung, die Rückkehr zu erleichtern (USDOS 30.3.2021).

Im März 2021 verabschiedete die irakische Regierung einen Nationalen Plan zur Bekämpfung der Vertreibung im Irak, der von den Ministerien für Planung und für Migration und Vertreibung ausgearbeitet wurde. Trotz des erklärten Ziels der Regierung, IDPs in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, verhindern administrative Hürden, dass Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit Dokumente erhalten, darunter Personalausweise, Geburtsurkunden und Lebensmittelkarten. Dies blockiert sowohl ihre sichere Rückkehr als auch den Zugang zu Sozialleistungen und staatlichen Dienstleistungen (HRW 3.6.2021). Insgesamt 58.000 Personen waren bereits mindestens einmal zuvor durch bewaffnete Konflikte und Gewalt vertrieben worden (IDMC 5.2021).

Berichten zufolge ermutigten kurdische Behörden lokale Kräfte dazu, tausende arabische Familien, die durch den Konflikt mit dem IS vertrieben wurden, daran zu hindern, in ihre Dörfer nahe der syrisch-irakischen Grenze und in den sogenannten umstrittenen Gebieten, die de facto unter der Kontrolle der KRG stehen, zurückzukehren, in einem Versuch, die Demografie der Region zu verändern (FH 3.3.2021).

Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, gewähren IDPs Schutz und andere Hilfe. Humanitäre Akteure unterstützen IDP-Lager und gewähren auch IDPs außerhalb der Lager Dienstleistungen, um die Belastung der Ressourcen der Gastgebergemeinden zu begrenzen. Vertriebene Familien, insbesondere solche mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, sind oft nicht in der Lage, wichtige Personenstandsdokumente zu erhalten oder zu ersetzen, ohne die sie nicht arbeiten, zur Schule gehen oder sich frei bewegen können (USDOS 30.3.2021). Die Vereinten Nationen und andere humanitäre Organisationen unterstützen IDPs bei der Beschaffung von Dokumenten und der Registrierung bei den Behörden, um den Zugang zu Dienstleistungen und Bezugsrechten zu verbessern (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung stellt vielen - aber nicht allen - IDPs, auch in der KRI, Nahrungsmittel, Wasser und finanzielle Hilfe zur Verfügung. Viele IDPs leben in informellen Siedlungen, wo sie keine ausreichende Versorgung mit Wasser, sanitären Einrichtungen oder anderen wichtigen Dienstleistungen erhalten. Alle Bürger sind berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des Public Distribution System (PDS) zu erhalten. Die Behörden verteilen aber nicht jeden Monat alle Waren. Nicht alle IDPs können in jedem Gouvernement auf Lebensmittel aus dem PDS zugreifen, insbesondere nicht in den vom IS befreiten Gebieten. Die Bürger können die PDS-Rationen nur an ihrem Wohnort und in ihrem eingetragenen Gouvernement einlösen, was zu einem Verlust des Zugangs und der Ansprüche aufgrund von Vertreibungen führt (USDOS 30.3.2021).

Familien, die an ihren Herkunftsort zurückkehren, sehen sich mit einem Mangel an Unterkünften sowie an Dienstleistungen und Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts konfrontiert (USDOS 30.3.2021). Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 3.3.2021). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 30.3.2021).

Vertriebene Familien mit vermeintlichen Verbindungen zum IS, die sich weiterhin in und außerhalb von Lagern aufhalten, sind besonders anfällig für Übergriffe und sexuellen Missbrauch. Viele können nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil ihre ursprünglichen Gemeinschaften ihre Rückkehr ablehnen oder die irakischen Behörden sie verbieten (FH 3.3.2021). Haushalte mit vermeintlichen Verbindungen zum IS sind stigmatisiert und werden mit einem erhöhten Risiko ihrer Grundrechte beraubt. Probleme bei der Beschaffung der notwendigen Zivildokumente und die häufig vorenthaltenen Sicherheitsfreigaben schränken ihre Bewegungsfreiheit ein, einschließlich ihrer Möglichkeiten zur Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, wegen der Gefahr von Verhaftungen und eines Verbots ins Lager zurückzukehren (USDOS 30.3.2021).

Behörden der Zentralregierung und der Gouvernements unternahmen manchmal Maßnahmen zur Schließung oder Konsolidierung von Flüchtlingslagern, um IDPs zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete zu zwingen (USDOS 11.3.2020). Im Oktober 2020 kündigte der Minister für Vertreibung und Migration einen Drei-Phasen-Plan zur Schließung aller Binnenvertriebenenlager des Landes an und begann sofort mit einer Reihe von plötzlichen Lagerschließungen in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kerbala, Kirkuk und Ninewa (USDOS 30.3.2021). In den von Bagdad kontrollierten Gebieten sind nur noch drei Lager geöffnet, zwei in Ninive und eines in Anbar (HRW 13.1.2022).

Die Schließungen waren nicht mit den zuständigen lokalen Behörden oder humanitären Akteuren koordiniert und nicht alle betroffenen IDPs waren in der Lage oder bereit, an ihren Herkunftsort zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Diese Schließungen zwangen viele IDPs zur Rückkehr in zerstörte Häuser und Dörfer ohne Grundversorgung (UNHCR 27.5.2021). Während einige IDPs nach den Lagerschließungen in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten, war eine beträchtliche Anzahl von ihnen nicht dazu in der Lage, sondern war mit neuerlicher Vertreibung konfrontiert (UNHCR 11.1.2021). Etwa die Hälfte der betroffenen Personen ist in Gefahr, in eine sekundäre Vertreibung zu geraten (USDOS 30.3.2021). Im Zusammenhang mit den Lagerschließungen Ende 2020 gewährten die Behörden vielen der betroffenen Personen eine Sicherheitsfreigabe und stellten ihnen neue zivile Dokumente aus. Da sie die Familien jedoch in einigen Fällen nur 24 Stunden vorher darüber informierten, dass sie die Lager, in denen sie jahrelang gelebt hatten, verlassen mussten, wurden einige von ihnen faktisch ihres Zugangs zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung beraubt und obdachlos gemacht (HRW 13.1.2021). Von lokalen Gemeinschaften wurde insbesondere die Rückkehr von Familien mutmaßlicher IS-Mitglieder an einer Rückkehr abgelehnt, was diese zu einer Rückkehr in ihre bisherigen Lager oder andernorts zwang (USDOS 30.3.2021). Eine erzwungene Rückkehr resultiert häufig in neuerlicher Vertreibung (USDOS 11.3.2020).

Mindestens 34.801 Vertriebenen war es nicht möglich, sicher nach Hause zurückkehren. Sie erhielten keine andere sichere Unterkunft und hatten keinen Zugang zu erschwinglichen Dienstleistungen. Bei vielen handelte es sich um von Frauen geführte Haushalte, die durch die Kämpfe zwischen dem IS und den irakischen Sicherheitskräften zwischen 2014 und 2017 vertrieben wurden. Viele dieser Familien werden als IS-nahe eingestuft (HRW 13.1.2022).

Ausländische Flüchtlinge

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 30.3.2021). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 243.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten, sowie knapp 50.000 Staatenlose. Ihren Status regelt das Gesetz über politische Flüchtlinge, Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 25.10.2021). Die Regierung arbeitet im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 30.3.2021).

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 02.03.2022

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 25.10.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70% der Iraker in Städten. Die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 25.10.2021).

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).

Wirtschaftslage

Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanak 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet rund 90% der Staatseinnahmen (AA 25.10.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 25.10.2021).

Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Seit Februar 2021 liegt der Ölpreis wieder über 60 US-Dollar/Barrel (Wing 2.6.2021). Es wird daher erwartet, dass sich die irakische Wirtschaft allmählich erholen wird (WB 5.4.2021).

Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).

Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76% im Jahr 2019 auf 13,74% im Jahr 2020 (TE 2021). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11%, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8%. Unter den IDPs sind fast 24% arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18% im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8% und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29% der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22% und 18% bei Rückkehrern (OCHA 2.2021).

Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vgl. ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32%. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12% (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20% geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7% (DFAT 17.8.2020).

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge sind etwa 34% der Stadtbewohner ständig erwerbstätig, 38% nur gelegentlich und 25% sind arbeitslos. 12% der Männer und 40% der Frauen geben an, arbeitslos zu sein. Die Arbeitslosigkeit betrifft vor allem die 16- bis 18-Jährigen (48%). 27% der Einwohner im Alter von 19 bis 25 Jahren und 17% im Alter von 26 bis 35 Jahren haben keine Arbeit. Während 30% der Araber arbeitslos sind, sind es nur 10% der Kurden. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so sind 19% der Christen, 25% der schiitischen und 30% der sunnitischen Muslime arbeitslos. Während 75% der kontinuierlich Beschäftigten mehr als 700.000 IQD verdienen, verdienen 62% der Befragten, die nur gelegentlich arbeiten, weniger als 700.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).

26% der Befragten arbeiten Vollzeit, 30% Teilzeit, 10% haben mehrere Teilzeitstellen, 15% sind Tagelöhner und 12% Saisonarbeiter. Interessanterweise ist das Geschlechtergefälle bei der Vollzeitbeschäftigung (24% der Frauen und 28% der Männer) viel geringer als bei der Teilzeitbeschäftigung (35% der Männer und 23% der Frauen). Von den Kurden geben 29% an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, 43% gehen einer Saison- oder Tagelohnarbeit nach. 22% der Araber haben eine Vollzeitstelle und 45% eine oder mehrere Teilzeitstellen. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 20% der sunnitischen Muslime eine Vollzeitstelle, während 50% eine oder mehrere Teilzeitstellen haben. Von den schiitischen Muslimen geben 29% an, eine Vollzeitbeschäftigung zu haben, und 20% sind als Tagelöhner tätig. 33% der Christen haben eine Vollzeitbeschäftigung, aber auch 20% gehen einer Tagelöhnertätigkeit nach. 51% derjenigen, die eine Teilzeitbeschäftigung oder Tagelohnarbeit ausüben, verdienen weniger als 700.000 IQD, während 57% derjenigen, die Vollzeit arbeiten, mehr als 700.000 IQD verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD) (BFA, IRFAD 2021).

Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30% angestiegen (AA 25.10.2021; vgl. ILO 2021), Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5% (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14% erwartet (WB 5.4.2021).

Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021). Dem oben zitierten Befragung zufolge verdienen 56% der Befragten weniger als 600.000 IQD (360 EUR) und nur 5% zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD (600 bis 1800 EUR). In der Einkommensgruppe unter IQD 600.000 sind 58% Frauen und 55% Männer, in der Gruppe mit einem Einkommen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD sind 7% Männer und nur 2% Frauen. Die regionalen Daten zeigen, dass in Bagdad 54% weniger als 600.000 IQD verdienen und nur 1,5% zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Basra haben 61% ein Einkommen unter 600.000 IQD und 9% verdienen zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. In Mossul verdienen 56% weniger als 600.000 IQD, während 10% zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD liegen. 55% der arabischen Befragten verdienen weniger als 600.000 IQD, während 5% zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD verdienen. Von den kurdischen Befragten verdienen 54% unter 600.000 IQD und 3% zwischen 1.000.000 und 3.000.000 IQD. Nach Religionszugehörigkeit verdienen 61% der Christen, 50% der schiitischen Muslime und 59% der sunnitischen Muslime weniger als 600.000 IQD (BFA, IRFAD 2021).

Nahrungsmittelversorgung

Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50% des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).

Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 25.10.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).

Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8% gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).

Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 30.3.2021).

62% der Befragten einer Umfrage von 2021 sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich und ihre Familie ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. 34% schaffen dies kaum oder gar nicht. 55% der Frauen geben an, dass sie in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich mit Lebensmitteln zu versorgen, im Gegensatz zu 70% der Männer. Die regionalen Antwortmuster zeigen, dass in Bagdad 59% in der Lage oder gerade noch in der Lage sind, für Nahrungsmittel zu sorgen, ebenso wie 63% in Basra und 69% in Mossul. Insbesondere die 16- bis 18-Jährigen (56%) geben an, nicht oder kaum in der Lage zu sein, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Die ethnische Zugehörigkeit zeigt, dass 62% der Araber und 58% der Kurden nicht oder kaum in der Lage sind, sich selbst oder ihre Familien zu versorgen. Die Religionszugehörigkeit zeigt, dass 63% der Christen, 62% der schiitischen Muslime und 66% der sunnitischen Muslime in der Lage, oder gerade noch in der Lage sind, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Sogar 73% derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind in der Lage, sich selbst zu versorgen, oder schaffen es gerade noch (BFA, IRFAD 2021).

54% der Befragten sind in der Lage oder schaffen es gerade noch, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, während 42% dies nicht tun. Während 61% der Männer angeben, dass sie in der Lage sind, sich und ihre Familie zu versorgen, gelingt dies 49% der Frauen kaum oder gar nicht. Regional ergibt sich ein unterschiedliches Bild: In Bagdad sind 53% in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, ebenso wie 60% in Mossul, während 49% in Basra kaum oder gar nicht dazu in der Lage sind (in Basra schaffen es 32% überhaupt nicht). Vor allem Jugendliche (71%) im Alter von 16 bis 18 Jahren geben an, dass sie nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, während die 19- bis 25-Jährigen (56%) und die Gruppe der 26- bis 35-Jährigen (63%) es schaffen bzw. gerade noch dazu in der Lage sind. 51% der Araber geben an, dass sie in der Lage sind, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, oder es gerade so schaffen, ebenso wie 53% der Kurden. Was die religiösen Gruppen betrifft, so geben 58% der Christen, 53% der schiitischen Muslime und 57% der sunnitischen Muslime an, dass sie in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, oder es gerade noch schaffen. Von denjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, sind 57% in der Lage, sich mit grundlegenden Konsumgütern zu versorgen, bzw. gerade noch (BFA, IRFAD 2021).

Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98% des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80% reduziert (GRI 24.11.2019; vgl. AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi-Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29% bzw. 73% (UNICEF 29.8.2021).

Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021). Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 25.10.2021).

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge geben insgesamt 60% der Befragten an, immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, 27% manchmal, 12% selten oder nie. Frauen scheinen weniger Zugang zu haben als Männer: 16% haben selten oder nie Zugang, im Gegensatz zu 9% der Männer. Regional gesehen ist der Zugang am niedrigsten in Mossul, wo 23% selten oder nie Zugang haben, während 12% in Basra und 7% in Bagdad Zugang haben. 70% der Kurden geben an, manchmal oder immer Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben, ebenso wie 57% der Araber. Was die Religionsgemeinschaften betrifft, so haben 54% der Christen, 65% der schiitischen Muslime und 62% der sunnitischen Muslime immer Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch bei den Einkommensverhältnissen gibt es Unterschiede: 91% derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu sauberem Trinkwasser, aber nur 59% derjenigen, die weniger verdienen (BFA, IRFAD 2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 25.10.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 25.10.2021).

Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50%. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem IS vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vgl. Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vgl. BBC 2.7.2021). Nur die KRI war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021)

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge haben 30% der Befragten immer Strom zur Verfügung, 31% manchmal, 34% meistens und 5% nie. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 63% immer Strom zur Verfügung, während dies nur für 22% der Wenigerverdienergilt (BFA, IRFAD 2021).

Unterkunft

Einer Umfrage von 2021 in Bagdad, Basra und Mossul zufolge leben 52% aller Befragten bei ihren Eltern oder Schwiegereltern, während 43% in einer eigenen Wohnung leben. In Bagdad leben 51% in einer eigenen Wohnung, während in Basra 55% und in Mosul 64% bei ihren Eltern oder Schwiegereltern wohnen. Von den Kurden leben 50% in einer eigenen Wohnung, während 53% der Araber bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. 58% der Christen leben in einer eigenen Wohnung, während 55% der schiitischen Muslime und 53% der sunnitischen Muslime bei ihren Eltern oder Schwiegereltern leben. Interessanterweise hat das Einkommensniveau keinen Einfluss auf die Wohnsituation: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 52% in einer eigenen Wohnung, von denen, die weniger verdienen, 51% (BFA, IRFAD 2021).

Von den Befragten leben 66% in einem Haus und 29% in einer Wohnung. In Bagdad leben 67% in einem Haus, in Basra 61% und in Mosul 68%. 65% der Araber und 60% der Kurden geben an, in einem Haus zu leben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so leben 63% der Christen, 67% der schiitischen Muslime und 71% der sunnitischen Muslime in einem Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, leben 77% in einem Haus, während 59% derjenigen, die weniger verdienen, in einem Haus leben (BFA, IRFAD 2021).

Von allen Befragten haben über 70% ein Dach, Fenster, Türen und einen Fernseher in ihrer Wohnung; über 60% geben an, fließendes Wasser, eine Toilette mit Wasserspülung und ein Bad/eine Dusche zu haben, und über 50% verfügen über einen Herd und einen Internetanschluss. Nur 46% haben einen Kühlschrank und 28% eine Heizung. Das Einkommen (derjenigen, die mehr als und weniger als 700.000 IQD verdienen) ist ausschlaggebend für den Besitz eines Fernsehers (89% vs. 71%), eines Bades/einer Dusche (71% vs. 61%), eines Internetanschlusses (79% vs. 47%) und einer Heizung (43% vs. 27%). 52% der Befragten gaben an, dass ihre Wohnung/ihr Haus ihnen gehört, während 38% angaben, dass sie gemietet sind. Der Anteil der Hausbesitzer ist in Mosul mit 67% am höchsten, gefolgt von 59% in Basra und 42% in Bagdad. 53% der Kurden geben an, eine Wohnung oder ein Haus zu besitzen, ebenso wie 45% der Araber. Was die Religionszugehörigkeit angeht, so besitzen 60% der Christen, 54% der schiitischen Muslime und 48% der sunnitischen Muslime eine Wohnung oder ein Haus. Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, besitzen 75% eine Wohnung, während es bei denjenigen, die weniger verdienen, nur 43% sind. Von allen Befragten zahlen 24% weniger als 250.000 IQD pro Monat für ihre Wohnung, 25% zwischen 250.001 und 500.000 IQD, 3% zwischen 500.001 und 999.999 IQD und 1% mehr als 1.000.000 IQD. 48% der Befragten haben auf diese Frage nicht geantwortet. 50% der Befragten leben in einer Wohnung mit mehr als 100 m², 43% haben 60-100 m² zur Verfügung und 7% 20-60 m². In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD leben 66% in einer Wohnung, die größer als 100 m² ist, während 47% der Befragten, die weniger als diesen Betrag verdienen, in einer Wohnung leben. 56% teilen ihre Wohnung mit 4-5 Mitbewohnern, während 16% mit 1-3 Personen und 28% mit 6-8 Personen zusammenleben (BFA, IRFAD 2021)..

Grundversorgung und Wirtschaft im Zentral- und Nordirak

Letzte Änderung: 02.03.2022

Anbar

Anbar gehört zu den Gouvernements, in denen die kritische Infrastruktur infolge des Konflikts mit dem Islamischen Staat (IS) stark beeinträchtigt wurde. Dies gilt insbesondere für Schäden an Wohnhäusern, in der Landwirtschaft, an wichtigen kommunalen Dienstleistungen sowie in Industrie und Handel. Wiederaufbau und Sanierungsmaßnahmen wurden in den Jahren 2019 und 2020 fortgesetzt (EASO 1.2021).

Laut einer Befragung im Distrikt Al-Qa'im vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 162 USD (~236.750 IQD) und reichen von unter 100 bis 345 USD (~146.141 bis 504.190 IQD). Nur wenige Arbeitgeber gaben an, auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 106 USD (~154.910 IQD) erhielten (IOM 9.2021h). Im Distrikt Fallujah ist das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte wegen der COVID-19-Pandemie von 347 USD (~507.110 IQD) auf 220 USD (~321.510 IQD) gesunken, für ungelernte Arbeitskräfte von 290 USD (~423.810 IQD) auf 207 USD (~302.510 IQD) (IOM 9.2021i).

Im Jahr 2018 waren etwa 1,31% der Bevölkerung des Gouvernements Anbar von akuter Armut betroffen und 4,65% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Anbar als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 18,45% der Bevölkerung Anbars (rund 330.900 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 34,33% (rund 615.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Anbar im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Die Bevölkerung Anbars ist in erster Linie auf den Euphrat als Wasserquelle für häusliche, industrielle und landwirtschaftliche Verwendung angewiesen (NAS 16.2.2021). Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung bei 80% (CSO 2018k). Die Dürreperiode bedroht den Wasserzugang. Einige Familien, die keinen Zugang zu Flusswasser haben, geben bis zu 80 USD (~116.860 IQD) pro Monat für Wasser aus (NRC 23.8.2021).

Die Stromversorgung ist in einigen Städten auf weniger als zwei Stunden pro Tag gesunken. Die Einwohner sind fast ausschließlich auf Besitzer privater Generatoren angewiesen. Einwohner zahlen ein Viertel, bis zu einem Drittel ihres Monatsgehaltes, um generatorenerzeugten Strom zu kaufen (Shafaq 4.6.2021). UNDP hat den Bau eines Umspannwerks in al-Qa'im finanziert, das 2021 fertiggestellt wurde (UNIraq 15.9.2021).

Diyala

Diyala hat durch den Konflikt mit dem sog. IS erhebliche Schäden an seiner Infrastruktur erlitten. Der Agrarsektor, Schulen, der Energiesektor, die Wasserressourcen sowie der Hygiene- und Gesundheitssektor sind betroffen. Es wird über Wiederaufbau und die Instandsetzungsmaßnahmen berichtet (EASO 1.2021).

Einer Umfrage zufolge gingen 29% der befragten Personen in Diyala einer formellen Beschäftigung nach, 28% einer informellen und 42% gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22%) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Einer Umfrage im Distrikt Al-Khalis vom Februar 2021 zufolge haben die meisten Arbeitgeber Gehälter wegen COVID-19 gekürzt. Einige zahlten monatelang keine Gehälter, und manche reduzierten die Anzahl ihrer Beschäftigten. Die Durchschnittsgehälter für Fachkräfte liegen bei 170 USD (~248.440 IQD) und reichen von unter 100 bis 350 USD (~146.140 bis 511.490 IQD). Vor der Pandemie war der Durchschnittslohn mit 224 USD (~327.360 IQD) höher. Nur wenige Arbeitgeber gaben an ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021j). Auch im Distrikt Al-Muqdadiya haben Arbeitgeber Löhne gekürzt, und es kam auch zu Entlassungen. Im Privatsektor beschäftigte Frauen waren Berichten zufolge stärker betroffen als Bedienstete im öffentlichen Sektor. Die Durchschnittsgehälter für Fachkräfte liegen zwischen 322 USD und 433 USD (~470.580 bis 632.790 IQD) (IOM 9.2021k). Im Distrikt Khanaqin haben Arbeitgeber etwa 70% ihrer Angestellten gehalten. Einige Angestellte haben gekündigt, entweder weil ihre Gehälter nicht gezahlt, oder weil sie gekürzt wurden. Die Durchschnittsgehälter von Fachkräften liegen bei USD 228 (~333.200 IQD), zwischen 200 und 300 USD (~292.280 bis 438.420 IQD). Vor der COVID-19-Pandemie lag das Durchschnittsgehalt bei 292 USD (~426.730 IQD). Nur wenige Arbeitgeber gaben an ungelernte Arbeitskräfte mit einem Durchschnittsgehalt von 178 USD (~260.130 IQD) zu beschäftigen, etwas niedriger als vor COVID-19 (IOM 9.2021l).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,21% der Bevölkerung des Gouvernements Diyala von akuter Armut betroffen und 3,64% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Etwa 14,46% der Bevölkerung Diyalas (rund 207.600 Personen) leidet unter unzureichender Nahrungsmittelaufnahme. Für rund 10,84% (rund 155.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Diyala im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Diyala bei 89,3% (CSO 2018l).

Wegen des niedrigen Wasserpegels des Khurasan-Flusses, der Hauptwasserquelle im Distrikt Ba'qubah, mussten Ende Mai 2021 vier Wasseraufbereitungsanlagen in Ba'qubah, Buhriz, al-Abbara und al-Tahrir abgeschaltet werden. Durch die Abschaltungen waren fast 400.000 Bewohner von der Wasserversorgung abgeschnitten (Shafaq 25.5.2021).

Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Diyala vorgeworfen (New Arab 6.7.2021). Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalem Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021). Mitte 2021 haben wütende Iraker aufgrund von häufigen Stromausfällen unter anderem ein Kraftwerk in Diyala gestürmt (DW 8.7.2021).

Kirkuk

Einer Umfrage im Distrikt Hawija vom Februar 2021 zufolge ist das Durchschnittsgehalt im Vergleich zum Niveau vor der COVID-19-Pandemie gesunken. Für Fachkräfte ist der Durchschnittslohn von 282 USD (~412.120 IQD) auf unter 200 USD (~292.280 IQD) gefallen, für ungelernte Arbeitskräfte von 165 USD (~241.130 IQD) auf 105 USD (~153.450 IQD). Arbeitgeber haben durchschnittlich nur etwa 44% ihrer Angestellten gehalten (IOM 9.2021m).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,44% der Bevölkerung des Gouvernements Kirkuk von akuter Armut betroffen und 1,9% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Etwa 9,8% der Bevölkerung Kirkuks (rund 152.200 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 3,92% (rund 60.900 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren liegt Kirkuk hinter allen anderen irakischen Gouvernements. Außer Kirkuk haben alle Gouvernements bei der Frage von Verfügbarkeit von Waren zehn von zehn möglichen Punkten erhalten, Kirkuk nur 8,3 Punkte (ACCORD 28.9.2021; vgl. WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Kirkuk bei 89,7% (CSO 2018m). Über 2.000 Familien im kurdischen Viertel der Stadt Kirkuk waren im Mai 2021 von Auswirkungen einer Wasserknappheit betroffen. Berichte zufolge erfolgte die Versorgung mit Wasser, welches unsauber war, nur alle zwei bis sieben Tage. Einwohner mussten Wasser kaufen, das jedoch zu salzhaltig zum trinken gewesen sei (Rudaw 29.5.2021). Das Gouvernement Kirkuk ist für seinen Wasserbedarf für Bewässerung, als Trinkwasser und für industriellen Gebrauch hauptsächlich auf Grundwasser angewiesen. Eine Untersuchung der Wasserqualität von 60 Brunnen im Gouvernement hat bei 30 der getesteten Brunnen eine Kontaminierung des Wassers ergeben. Die Untersuchung der entnommenen Proben hat außerdem ergeben, dass die meisten Parameter für eine Verwendung als Trinkwasser nicht erreicht wurden. Die Qualität hat sich im Untersuchungszeitraum von 2017 bis 2019 verschlechtert (Tameemi 2020).

Die Stromversorgung der Stadt Kirkuk durch das nationale Energienetz ist laut dem Pressesprecher der Direktion für Elektrizität in Kirkuk abwechselnd für drei Stunden aktiv und für drei Stunden inaktiv. In manchen Stadtvierteln Kirkuks, wie Qadisiyah, Nasir und Askari, stehen den Einwohnern weniger als zehn Stunden Strom am Tag zur Verfügung (Kirkuk Now 7.8.2021). Im Mai 2021 hat mangelhafte Stromversorgung die Versorgung mit Wasser in der Stadt Kirkuk beeinträchtigt (Rudaw 29.5.2021). Mangelnde Stromversorgung durch das nationale Stromnetz und durch den Ausfall von Generatoren beeinträchtigt auch die Erbringung gewisser medizinischer Dienste, die beständige Stromzufuhr erfordern, z.B. im Rahimawa-Gesundheitszentrum, einem der größten staatlichen Krankenhäuser der Stadt Kirkuk (Kirkuk Now 20.4.2021). Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Kirkuk vorgeworfen (New Arab 6.7.2021). Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalen Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021).

Ninewa

Im Jahr 2018 waren etwa 1,54% der Bevölkerung des Gouvernements Ninewa von akuter Armut betroffen und 3,01% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). In drei Distrikten des Gouvernements - in Hamdaniya, Tal'afar und Sinjar ist die hohe Arbeitslosigkeit sehr problematisch. Viele sind der Ansicht, dass sich die Einwohner ihrer Gemeinden aus wirtschaftlicher Not den diversen Sicherheitsakteuren anschließen würden (USIP 22.6.2021). Einer Umfrage von 2021 zufolge gehen 29% der Befragten in Mossul einer Vollzeitbeschäftigung nach, während 28% arbeitslos sind (BFA, IRFAD 2021).

Einer Umfrage im Distrikt Al-Bakir vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte zwischen 34 und 612 USD (~49.690 bis 894.390 IQD), das für ungelernte Arbeiter zwischen 82 und 408 USD (~119.840 bis 596.260 IQD). Der Umfrage zufolge ist etwa die Hälfte der Familien sehr bedürftig, und mehr als 80% der jungen Menschen sind arbeitslos (IOM 9.2021n). Im Distrikt Al-Shikhan liegt das Durchschnittsgehalt bei 275 USD (~401.890 IQD), zwischen 100 und 690 USD (~146140 bis 1.008.380 IQD). Etwa die Hälfte der Arbeitgeber gibt an, ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 200 USD (~292.280 IQD) erhalten, wobei die Löhne von unter 100 bis zu 480 USD (~146.140 bis 701.480 IQD) reichten. (IOM 9.2021o). Im Distrikt Ba'aj Markaz liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 168 USD (~245.520 IQD), und reicht von etwa 100 bis zu 310 USD (~146.140 bis 453.0450 IQD). Allerdings gab nur ein Drittel der befragten Arbeitgeber an Fachkräfte zu beschäftigen. Nur ein Unternehmen gab an ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021p). In Tal Azer im Distrikt Ba'aj verdient eine Fachkraft durchschnittlich 185 USD (270.360 IQD), wobei die Spanne zwischen unter 100 bis 345 USD (~146.140 bis 504.190 IQD) reicht. Es gaben jedoch nur 71% der befragten Arbeitgeber an, qualifizierte Arbeitskräfte zu beschäftigen, und einige wenige haben ungelernte Arbeitskräfte. Manche beschäftigen auch Verwandte, die nicht bezahlt werden (IOM 9.2021q). In Bab Lakash, in Mossul erhalten Fachkräfte im Durchschnitt 188 USD (~274750 IQD), ungelernte Arbeitnehmer 122 USD (~178.290 IQD). Mehr als die Hälfte der Familien in der Gemeinde wird als vulnerable eingestuft. Etwa 75% der Jugendlichen sind arbeitslos (IOM 9.2021r). In Qayrawan im Distrikt Sinjar liegen die Durchschnittslöhne für qualifizierte Arbeitskräfte zwischen 61 und 102 USD (~89.150 bis 149.060), mit einem Durchschnitt von 85 USD (~124.220 IQD). Nur ein Drittel der Unternehmen gibt an Fachkräfte zu beschäftigen. Ungelernte Arbeitskräfte werden der Umfrage zufolge von keinem Unternehmen angestellt. Frauen verdienen nach Schätzungen im Durchschnitt 42 USD (~61.380 IQD) (IOM 9.2021s). In den Ortschaften Tal Banat und Tal Qassab in Sinjar reicht die Gehaltsspanne für Fachkräfte von 100 und 600 USD (~146.140 bis 876.850 IQD), wobei das Durchschnittsgehalt bei 234 USD (~341.970 IQD) liegt. Nur 67% der Arbeitgeber geben jedoch an Fachkräfte zu beschäftigen. Wenige haben ungelernte Arbeitskräfte angestellt (IOM 9.2021t). Im Distrikt Tal'afar liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 233 USD (~340.510 IQD), reicht von 100 bis 544 USD (~146.140 bis 795.010 IQD). Etwa die Hälfte der Arbeitgeber gibt an auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, deren Durchschnittsgehalt bei 162 USD (~236.750 IQD) liegt. Die Spanne reicht von unter 85 USD bis zu 340 USD (~124.220 bis 496.880 IQD). Der Umfrage zufolge leben etwa 30% bis 40% der Familien in Tal'afar unterhalb der Armutsgrenze. Etwa 60% der Jugendlichen sind arbeitslos. Arbeitslosigkeit ist besonders unter Frauen und Menschen mit Behinderungen besonders hoch (IOM 9.2021u).

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Ninewa als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 10,28% der Bevölkerung (rund 375.500 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 11,7% (rund 427.300 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Ninewa im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Sommer 2021 kam es in Ninewa zu dürrebedingten Ernteausfällen. Das Landwirtschaftsministerium (MOA) schränkte daher den Handel von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes ein, mit Ausnahme des Transfers in Lagerhäuser des MOA, um spekulative Händler und Schmuggler davon abzuhalten, von den höheren Inlandspreisen zu profitieren (FAO 11.6.2021).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Ninewa bei 87,1% (CSO 2018n). Fehlender Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasser- und Stromversorgung, bleibt eine Herausforderung für ländliche Gebiete der Ninewa Ebene und den Distrikt Sinjar (EASO 1.2021).

Dem IS werden Sabotageakte auf Strommasten, unter anderem auch im Gouvernement Ninewa, vorgeworfen (New Arab 6.7.2021).

Einer Umfrage von 2021 zufolge gaben 49% der Befragten Personen in Mossul an, immer Strom zur Verfügung zu haben, 16% manchmal, 24% meistens und 11% nie (BFA, IRFAD 2021).

Salah ad-Din

Salah ad-Din ist eines der Gouvernements, in denen infolge des Konflikts mit dem sog. IS besonders hohe Schäden an der Infrastruktur entstanden sind, darunter in der Landwirtschaft, in der Wasserversorgung, sowie im Sanitär- und Hygienesektor. Der Wiederaufbau ging im Jahr 2019 nur langsam voran (EASO 1.2021).

Die Erwerbsquote in Salah ad-Din ist von 10,8% im Jahr 2016 auf 9,5% im Jahr 2017 gefallen. Auch die Arbeitslosenrate ist gefallen, von 40,8% im Jahr 2016 auf 38,2% im Jahr 2017 (CSO 2018c; vgl. ACCORD 10.9.2021). Einer Umfrage zufolge gingen 21% der befragten Personen in Salah ad-Din einer formellen Beschäftigung nach, 36% einer informellen und 49% gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22%) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Einer Umfrage im Distrikt Baiji vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittseinkommen für Fachkräfte bei 189 USD und reicht von 68 bis 282 USD (~99.380 bis 412.120 IQD). Für ungelernte Arbeiter liegt das Durchschnittsgehalt bei 115 USD (~168.060 IQD) (IOM 9.2021v).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,27% der Bevölkerung des Gouvernements von akuter Armut betroffen und 2,58% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) nennt Salah ad-Din als eines von fünf irakischen Gouvernements mit hoher Ernährungsunsicherheit (WFP 1.2021). Etwa 1,85% der Bevölkerung Salah ad-Dins (rund 26.200 Personen) sind unzureichende ernährt. Für rund 6,17% (rund 87.100 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Salah ad-Din im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Salah ad-Din bei 63,2% (CSO 2018o).

Anfang August 2021 kam es in einigen Gebieten des Gouvernements zu einem totalen Stromausfall, verursacht durch die häufigen Sabotageakte des IS gegen Strommasten (Kirkuk Now 7.8.2021).

Grundversorgung und Wirtschaft in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Wirtschaftslage

Wie im gesamten Land ist auch in der Kurdischen Region im Irak (KRI) das Erdöl die Haupteinnahmequelle und trägt fast 80% zum BIP der Region bei. Die Landwirtschaft macht etwa 10% des BIP aus, der Tourismus 4% und Dienstleistungen und sonstige Industrie 6%. Öl macht auch bis zu 90% der Exporte aus der Region aus (IRIS 5.2021). Die Kurdische Regionalregierung (KRG) kann für ihren aufgeblähten öffentlichen Sektor und die Ölindustrie nicht zahlen. Die KRG hat Gehaltszahlungen mehrfach verzögert und im Mai 2021 eine Gehaltskürzung von 21% angekündigt. Darüber hinaus hat sie mehrfach die Zahlungen verpasst. Eine Studie der Vereinten Nationen hat ergeben, dass diese Probleme zu einem Rückgang des monatlichen Familieneinkommens in Kurdistan von 31% führten, höher als im Rest des Landes (Wing 9.6.2021).

Die Arbeitslosenrate in der KRI wird für das Jahr 2018 auf 9% geschätzt. Dabei lag im Jahr 2017 die Arbeitslosigkeit bei Männern bei 8,1% im Vergleich zu 20,1% bei Frauen (KRSO 2021). Die Arbeitsmarktbeteiligung wird in der KRI auf etwa 40% geschätzt (ILO 2021).

Nahrungsmittelversorgung

Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar. Das Lebensmittelrationierungsprogramm (PDS) des irakischen Handelsministeriums ist noch nicht abgeschlossen (IOM 18.6.2021). Ungünstige Niederschlagsmengen haben 2021 die Getreideproduktion im Nordirak und auch in der KRI beeinträchtigt. Die Ernte soll rund 50% unter jener im Jahr 2020 liegen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

In der KRI herrscht wegen einer Dürre, im Zusammenspiel mit Staudämmen im Iran, Wasserknappheit. Die KRG hat deswegen zusätzliche 1,7 Millionen Dollar (2,5 Mrd IQD) für Trinkwasser bereitgestellt (Rudaw 5.8.2021; vgl. Rudaw 4.7.2021). Grundsätzlich ist Trinkwasser in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung erfolgt durch Betrieb eigener Kraftwerke (AA 14.10.2020). Der Großteil des Stroms wird durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt. Etwa 9% des Stroms werden aus Wasserkraft gewonnen (Rudaw 18.9.2021).

Die Stromversorgung unterliegt erheblichen Schwankungen (AA 14.10.2020). Sie ist nur für bis zu 20 Stunden pro Tag gegeben (AA 14.10.2020; vgl. K24 15.5.2021). Im Sommer 2021 konnten die drei kurdischen Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah nur etwa zwölf Stunden lang Strom am Tag liefern. Darüber hinaus werden Generatoren verwendet, die jedoch nicht den gesamten Bedarf abdecken können (Anadolu 8.7.2021). Insbesondere im Sommer und im Winter ist der Strombedarf wegen Klimatisierung bzw. Heizung höher (AA 14.10.2020). Nach Angaben des KRG-Ministeriums für Elektrizität beträgt der Strombedarf im Sommer mindestens 4.500 MW (Rudaw 3.7.2021). Es werden jedoch nur bis zu 3.500 MW Strom produziert (K24 15.5.2021). Die Kraftwerke laufen jedoch vor allem wegen Brennstoffmangel nicht mit voller Kapazität (Rudaw 3.7.2021). Die KRG plant die Steigerung der Stromversorgung durch die Implementierung mehrerer Energieprojekte (K24 15.5.2021).

Erbil

Einer Umfrage zufolge gehen 29% der befragten Personen in Erbil einer formellen Beschäftigung nach, 28% einer informellen und 42% gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22%) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Die Arbeitslosenrate wird für das Jahr 2017 auf 9,2% geschätzt (KRSO 2021). Die Arbeitsmarktbeteiligung lag 2018 bei 65,9% bei den Männern und 14,8% bei den Frauen (IOM 7.2018; vgl. EASO 9.2020). Laut einer Umfrage von Februar 2021 im Distrikt Khabat liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 244 USD (~356.590 IQD). Der Lohn für ungelernte Arbeiter reicht von 34 bis 500 USD (~49.690 bis 730.710 IQD), wobei der Durchschnitt bei 168 USD liegt (~245.520 IQD). Etwa 10% der Frauen sind berufstätig (IOM 9.2021w). Im Distrikt Makhmur mussten viele Arbeitgeber aufgrund der COVID-19-Pandemie vorübergehend schließen. Nach der Wiedereröffnung fiel die Nachfrage geringer aus und Arbeitgeber haben etwa 73% der Beschäftigten gehalten. Das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte ist im Vergleich zu vor COVID-19 um etwa 20 USD gesunken von 335 USD (~489.570 IQD) auf 315 (~460.350 IQD). Bei ungelernten Arbeitskräften ist der Durchschnittslohn jedoch gestiegen, von 159 USD (~232.360 IQD) auf 171 USD (~249.900 IQD) (IOM 9.2021x).

Im Jahr 2018 waren etwa 5,32% der Bevölkerung des Gouvernements Erbil armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 6,7% (KRSO 2021). Etwa 2,63% der Bevölkerung Erbils (rund 128.700 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 3,3% (rund 77.200 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Erbil im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Das Gouvernement Erbil und insbesondere die Stadt Erbil sind wegen der Dürre des Sommers 2021 besonders hart von Wasserknappheit betroffen (Rudaw 4.7.2021). Der Zab-Fluss und das Brunnenwasser der Stadt Erbil sind durch die Dürre beeinträchtigt, weswegen Trinkwasser seit Juli 2021 knapp ist. Die Bewohner sind gezwungen, abgefülltes Wasser zu kaufen. Eine Tankfüllung kostet über 50 Dollar (~72.970 IQD) und reicht für höchstens eine Woche. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Haushalts in der KRI liegt nach Angaben von NRT bei weniger als 250 Dollar (~364.870 IQD) pro Monat (Al Monitor 12.8.2021). Wasserknappheit tritt jedes Jahr erneut auf (Al Monitor 29.7.2021).

In Erbil herrscht Stromknappheit (Rudaw 4.7.2021). Stromausfälle beeinträchtigen auch die Wasserversorgung in Erbil (Al-Monitor 29.7.2021).

Dohuk

Die Arbeitslosenrate in Dohuk wird für das Jahr 2017 auf 13,8% geschätzt (KRSO 2021). Einer Umfrage vom Februar 2021 im Distrikt Zakho zufolge ist die Beschäftigungsquote aufgrund der COVID-19-Pandemie zurückgegangen, welche auch Auswirkungen auf das Durchschnittsgehalt hat. So ist das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte von 418 USD (~610.870 IQD) auf 356 USD (~520.260 IQD) gefallen. Ungelernte Arbeitnehmer verdienten hingegen unverändert durchschnittlich 254 USD (~371.200 IQD).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,98% der Bevölkerung des Gouvernements Dohuk von akuter Armut betroffen und 2,95% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 8,6% (KRSO 2021). Etwa 5,49% der Bevölkerung Dohuks (rund 330.900 Personen) hat unzureichende Nahrungsaufnahme. Für rund 34,33% (rund 615.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Dohuk im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Die Wasserversorgung im Gouvernement Dohuk ist stabilisiert und Flüchtlinge, Binnenvertriebene und die Bevölkerung in den Aufnahmegemeinden haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (GIZ 2021)

Aufgrund von Stromversorgungsproblemen hat die Regierung des Gouvernements eine Vereinbarung mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) unterzeichnet, um einen Solarenergiepark zu errichten (Al Monitor 20.2.2020). Bewohner des Deralok Sub-Distrikt berichten, dass sie nur etwa zehn bis zwölf Stunden Energie aus dem nationalen Stromnetz erhalten (Rudaw 3.7.2021)..

Sulaymaniyah

Schlechte Infrastruktur und Korruption behindern die wirtschaftliche Entwicklung des Gouvernements Sulaymaniyah (IOM 9.2021). Die Arbeitslosenrate in Sulaymaniyah wird für das Jahr 2017 auf 9,4% geschätzt (KRSO 2021). Im Jahr 2018 waren etwa 0,28% der Bevölkerung von akuter Armut betroffen und 2,69% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 4,46% (KRSO 2021).

Einer Umfrage vom Februar 2021 im Distrikt Halabja zufolge liegen die Durchschnittsgehälter für Facharbeiter bei 273 USD (~398.440 IQD) und reichen von 82 USD bis über 600 USD (~119.680 bis 875.690 IQD). Die Durchschnittslöhne für ungelernte Arbeitskräfte waren vor COVID-19 mit 290 USD (~423.250 IQD) höher und liegen nach den letzten Schätzungen der Arbeitgeber derzeit bei etwa 221 USD (~322.550 IQD). Allerdings gab nur die Hälfte der Arbeitgeber an, ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021). Im Distrikt Kalar verdienen Fachkräfte durchschnittlich 396 USD (~539.260 IQD) und reichen von etwa 100 USD bis 1000 USD (~146.140 bis 1.461.410 IQD). Mehr als zwei Drittel der Arbeitgeber gaben an, auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 241 USD (~352.200 IQD) erhielten, wobei die Löhne zwischen 100 und 600 USD (~146.140 bis 876.850 IQD) lagen (IOM 9.2021A).

Für je etwa 15,2% der Bevölkerung (rund 30.000 Personen) ist die Nahrungsaufnahme unzureichend, bzw. ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Sulaymaniyah im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Der Fluss Chami Rokhana im Süden der Sulaymaniyahs ist aufgrund der Dürre und wegen iranischer Dammbauten ausgedrocknet (Rudaw 5.8.2021). Vertreter der Gesundheitsbehörden warnen davor, dass durch die Wasserknappheit Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser verursacht werden, zunehmen könnten (K24 10.6.2021).

Im Jahr 2020 wurde laut der Generaldirektion für Elektrizitätsversorgung in Sulaymaniyah täglich Strom für 20 Stunden geliefert. Auch für 2021 wurde diese Menge anvisiert, jedoch sorgte rückgängiger Wasserstand dafür, dass die Kraftwerke am Dukan-Damm und in Darbandikhan nicht wie bisher Energie produzieren konnten (Shafaq 20.5.2021).

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 02.03.2022

Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden (GIZ 1.2021b).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor (IOM 1.4.2019). Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Vor allem in größeren Städten und für spezialisierte Behandlungen kann es zu langen Wartezeiten kommen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hängt stark davon ab, ob die Gesundheitsinfrastruktur seit dem jüngsten bewaffneten Konflikt wiederhergestellt wurde, und ob Ärzte und Krankenschwestern zurückgekehrt sind (IOM 18.6.2021).

Eine Umfrage deutet darauf hin, dass im Jahr 2020, infolge der COVID-Krise, die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, stark auf 38% gestiegen ist (gegenüber 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).

Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 1.2021d). Medizinische Kosten und Gesundheitsleistungen werden im Irak nicht von einer Krankenversicherung übernommen (IOM 18.6.2021).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 25.10.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 25.10.2021). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Es gibt im Irak 1.146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1.185, die von Ärzten geleitet werden. Des Weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.). Im Zuge der COVID-19 Krise hat die Regierung einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst. Daten über konkrete Initiativen und die Wirksamkeit der Maßnahmen sind jedoch nicht verfügbar (IOM 18.6.2021).

In einer Umfrage im Jahr 2021, in den Städten Bagdad, Basra und Mossul, geben 33% der Befragten an, immer Zugang zu einem Arzt (Allgemeinmediziner) zu haben, während 58% einen begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang haben. 53% der Befragten in Mossul haben nur eingeschränkten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Allgemeinmediziner, ebenso wie 60% in Basra und 59% in Bagdad. 50% der Kurden gegenüber 30% der Araber geben an, immer Zugang zu einem Arzt zu haben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so haben 46% der schiitischen Muslime immer Zugang zu einem Arzt, während dies nur 28% der sunnitischen Muslime und 25% der Christen tun. Bei den Einkommensverhältnissen ist ein erheblicher Unterschied festzustellen: 91% derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Allgemeinmediziner, während nur 20% derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, Zugang haben (BFA, IRFAD 2021).

Von allen Befragten haben 32% immer Zugang zu einem Zahnarzt, 52% haben begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang und 14% keinen Zugang. Auf regionaler Ebene haben 55% in Mossul, 63% in Basra und 43% in Bagdad begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Zahnarzt; 21% in Bagdad haben keinen Zugang. 45% der Kurden gegenüber 28% der Araber geben an, immer Zugang zu einem Zahnarzt zu haben (25% der Kurden haben keinen Zugang). 39% der schiitischen Muslime, 27% der sunnitischen Muslime und 39% der Christen haben immer Zugang zu einem Zahnarzt (keinen Zugang haben 12% der schiitischen Muslime, 15% der sunnitischen Muslime und 19% der Christen). Auch bei den Einkommensverhältnissen ist der Zugang unterschiedlich: 77% derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Zahnarzt, während nur 22% derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, dies tun (BFA, IRFAD 2021).

Insgesamt haben 29% immer und 57% eingeschränkt oder stark eingeschränkt Zugang zu einem Facharzt (z.B. Gynäkologe, Kinderarzt usw.), wenn dieser benötigt wird. 59% der Frauen und 57% der Männer haben einen begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu einem Facharzt. In Mossul geben 40% an, immer Zugang zu einem Facharzt zu haben, während dies nur 20% in Basra und 28% in Bagdad tun. Von den Kurden haben 43% immer Zugang zu einem Facharzt, gegenüber 26% der Araber. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so geben 38% der schiitischen Muslime an, immer Zugang zu einem Facharzt zu haben, während dies 27% der sunnitischen Muslime und 25% der Christen tun. 70% derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben immer Zugang zu einem Facharzt. Bei Wenigerverdiener sind es nur 20% (BFA, IRFAD 2021).

In allen untersuchten Städten haben 30% der Befragten immer Zugang zu Krankenhäusern, um sich bei Bedarf behandeln oder operieren zu lassen, 54% haben einen eingeschränkten oder stark eingeschränkten Zugang und 13% keinen Zugang. Von den männlichen Befragten haben 32% immer Zugang, während 17% überhaupt keinen Zugang haben; von den weiblichen Befragten haben 27% immer Zugang, während 10% überhaupt keinen Zugang haben. 53% der Einwohner von Mossul, 63% von Basra und 49% von Bagdad haben nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu Krankenhäusern. 45% der Kurden haben immer Zugang zu Krankenhäusern, während 20% überhaupt keinen Zugang haben. Von den Arabern haben 26% immer Zugang, während 14% keinen Zugang haben. Von den sunnitischen Muslimen geben 30% an, immer Zugang zu Krankenhäusern zu haben (16% haben keinen Zugang), ebenso wie 38% der schiitischen Muslime (13% haben keinen Zugang) und 21% der Christen (16% haben keinen Zugang). In der Einkommensgruppe über 700.000 IQD haben 68% immer Zugang zu Krankenhäusern, während von denjenigen, die weniger verdienen, nur 20% Zugang haben (und 16% haben keinen Zugang) (BFA, IRFAD 2021).

36% aller Befragten haben alle, 36% kaum die notwendigen Hygieneartikel, während 28% kaum oder gar nicht über diese Artikel verfügen. Vor allem Frauen mangelt es an den notwendigen Hygieneartikeln, 34% haben sie kaum oder gar nicht, gegenüber 23% der Männer. Die Verfügbarkeit scheint in Bagdad am höchsten zu sein, wo 80% angeben, kaum oder alle notwendigen Hygieneartikel zu besitzen, ebenso wie 67% in Mossul und 60% in Basra. 75% der 26- bis 36-Jährigen geben an, kaum oder alle notwendigen Hygieneartikel zu besitzen, während 73% der 19- bis 25-Jährigen und 58% der 16- bis 18-Jährigen dies tun. 31% der Araber, aber nur 15% der Kurden geben an, dass sie kaum oder gar nicht über die notwendigen Hygieneartikel verfügen. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so verfügen 30% der Christen, 31% der schiitischen Muslime und 27% der sunnitischen Muslime kaum oder gar nicht über die erforderlichen Hygieneartikel. 66% derjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben alle notwendigen Hygieneartikel, während 32% derjenigen, die weniger als 700.000 IQD verdienen, diese besitzen (BFA, IRFAD 2021).

44% der Befragten geben an, dass sie immer Zugang zu Impfungen haben, während 51% nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang zu Impfungen im Allgemeinen haben. Zu den COVID-19-Impfungen haben 55% der Befragten immer Zugang, während 40% nur begrenzten oder stark eingeschränkten Zugang haben. Auf regionaler Ebene haben 35% der Befragten in Bagdad, 55% in Basra und 52% in Mossul immer Zugang zu Impfungen, während 59% in Mossul, 61% in Basra und 51% in Bagdad angeben, vollen Zugang zu COVID-19-Impfungen zu haben. 50% der Kurden und 43% der Araber haben immer Zugang zu Impfungen, während 80% der Kurden und 51% der Araber immer Zugang zu COVID-19-Impfungen haben. Was die Religionszugehörigkeit betrifft, so haben 55% der schiitischen Muslime, 37% der sunnitischen Muslime und 39% der Christen uneingeschränkten Zugang zu Impfungen; uneingeschränkter Zugang zu COVID-19-Impfungen wird von 70% der schiitischen Muslime, 46% der sunnitischen Muslime und 55% der Christen angegeben. Das Einkommensniveau ist ausschlaggebend für den kontinuierlichen Zugang zu Impfungen: Von denjenigen, die mehr als 700.000 IQD verdienen, haben 86% immer Zugang zu Impfungen und 91% zu COVID-19-Impfungen, während von denjenigen, die weniger verdienen, nur 34% immer Zugang zu Impfungen und 52% zu COVID-19-Impfungen haben (BFA, IRFAD 2021).

Anfang des Jahres 2020, mit Beginn der COVID-19-Pandemie stellten die medizinischen Fakultäten und Gesundheitseinrichtungen die meisten ihrer zur Verfügung gestellten Dienste ein und verlagerten sich auf die Untersuchung des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und Dienstleistungen wieder auf, mit neuen Regelungen, wie dem Zugang zu Krankenhäusern nur nach Terminvereinbarung, Rotationsschichten des medizinischen Personals, längeren erforderlichen Wartezeiten und strengeren Hygienemaßnahmen. Im Jahr 2021 bieten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor ihre Arbeit beinahe wieder normal an, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wie vom irakischen Gesundheitsministerium (MoH) angewiesen (IOM 18.6.2021).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck. Familien haben nicht im gleichen Maße wie 2019 Zugang zu grundlegenden Diensten, einschließlich Impfungen und Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind. Schätzungsweise 300.000 Kinder laufen Gefahr, nicht geimpft zu werden, was zu Masernausbrüchen oder der Rückkehr von Polio führen könnte (UN OCHA 2021).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich (AA 25.10.2021).

Medizinische Versorgung in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Letzte Änderung: 02.03.2022

Das öffentliche Gesundheitssystem in der Kurdischen Region im Irak (KRI) wird durch das Gesundheitsministerium (MoH) in Erbil verwaltet. Es gibt fünf Gesundheitsdirektionen (DoH) des MoH, eine in Dohuk, eine in Erbil und drei in Sulaymaniyah: das Slemani DoH, das Germian DoH und das Rania DoH. Unter jeder der Direktionen gibt es Gesundheitssektoren auf Distriktebene. Finanziert wird das öffentliche Gesundheitssystem durch eine Haushaltszuweisung der Kurdischen Regionalregierung (KRG), aus der die Gehälter der im öffentlichen Sektor tätigen medizinischen Fachkräfte, sowie Medikamente, Verbrauchsmaterialien und Investitionen in die Infrastruktur des Gesundheitswesens, wie Gebäude und Geräte bezahlt werden. Dabei ist die KRG von Zahlungen der irakischen Zentralregierung in Bagdad abhängig, die 17% ihres Budgets ausmachten (MedCOI 8.2020).

Gesundheitsdienste werden hauptsächlich durch den öffentlichen Sektor angeboten, wobei auch der private Sektor und Nichtregierungsorganisationen nach und nach ihre Gesundheitseinrichtungen aufbauen (MedCOI 8.2020).

Die Gesundheitsversorgung in der KRI ist dreigeteilt. Primäre Gesundheitsversorgung wird durch Hauptzentren der primären Gesundheitsversorgung (PHC) sowie PHC-Unterzentren bereitgestellt. Im Jahr 2017 gab es in der KRI 548 PHCs. Diese sind mit mindestens einem Allgemeinmediziner besetzt und bieten eine medizinische Grundversorgung. Die meisten der PHCs versorgen mehr als 10.000 Personen. PHC-Unterzentren verfügen hingegen nicht über einen Arzt und ihre Leistungen sind in der Regel eingeschränkter. Sie stellen grundlegende Medikamente zur Verfügung und versorgen in der Regel etwa 2.000 Personen. Krankenhäuser bieten sekundäre und tertiäre Versorgung. Im Jahr 2017 gab es in der KRI 19 öffentliche und sieben private Krankenhäuser im Gouvernement Dohuk, 24 öffentliche und 19 private Krankenhäuser im Gouvernement Erbil sowie 33 öffentliche und 16 private Krankenhäuser im Gouvernement Sulaymaniyah (MedCOI 8.2020).

Die meisten Menschen leben in einem Umkreis von 30 Minuten um ein Zentrum der PHC, und die Gesamtzahl und Art der Gesundheitseinrichtungen (d.h. Krankenhäuser und PHCs) sind im weltweiten Vergleich ausreichend, jedoch ist die geografische Verteilung der angebotenen Leistungen, des Personals und der Ausstattung ungleichmäßig. In mehreren PHCs waren Labor- oder andere Geräte zwar vorhanden, aber nicht funktionsfähig, oder das PHC hatte keinen geschulten Nutzer für diese. Die KRG ist dabei Gesundheitsinformationssysteme (HIS) und Evidenz für die Entscheidungsfindung zu verbessern, um damit auch die Behandlung zu verbessern und den Fortschritt hin zu einer universellen Gesundheitsversorgung zu beschleunigen (MedCOI 8.2020).

Die staatliche medizinische Versorgung in der KRI ist kostenlos bzw. sehr kostengünstig, allerdings qualitativ schlecht und mit langen Wartezeiten verbunden (AA 25.10.2021; vgl. IOM 18.6.2021). Private Krankenhäuser, auch auf hohem medizinischem Niveau, sind kostspielig und sind nur für die obere Mittelschicht leistbar (AA 25.10.2021). Es gibt keine privaten Krankenversicherungen, sodass Zahlungen in privaten Einrichtungen aus eigener Tasche bezahlt werden müssen (MedCOI 8.2020).

Rückkehr

Letzte Änderung: 02.03.2022

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 25.10.2021).

Einer Studie von 2021 zufolge sind soziale Netzwerke wichtige Erleichterer oder Hemmer einer Wiedereingliederung. Die meisten Studienteilnehmer waren sich darin einig, dass ein starkes soziales Netz ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist und berichteten von einem positiven Einfluss der Netzwerke nach ihrer Rückkehr, es gab jedoch auch Berichte von eher negativen Empfängen (FIS, ERRIN 2021).

Rückkehrer berichten über psychosoziale Bedürfnisse vor, während und nach einer Rückkehr. Dabei stehen psychosoziale Dienste weitgehend nicht oder kaum zur Verfügung. Ein Faktor ist Angst vor einer Stigmatisierung durch die Familie, nicht jedoch die Stigmatisierung selbst. 90% der Studienteilnehmer berichteten, dass sie von ihrer Familie und ihren Freunden freudig empfangen wurden (FIS, ERRIN 2021).

Während die Forschungsteilnehmer nur wenige Probleme beim formalen Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge meldeten, beeinträchtigen Anpassungsschwierigkeiten und Qualitätsbarrieren ihre Fähigkeit, diese Dienste in Anspruch zu nehmen (FIS, ERRIN 2021).

Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnisch-konfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).

Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38% gestiegen ist (im Vergleich zu 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021). Einer Studie von 2021 zufolge, sehen sich Rückkehrer nach ihrer Rückkehr mit Barrieren für den Lebensunterhalt konfrontiert, die zwar nicht unbedingt ein Hindernis für die Wiedereingliederung darstellen, aber eine Ursache für eine erneute Abwanderung sind (FIS, ERRIN 2021).

Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12% der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71% der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56%. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56% seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2020 hatten 59% der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~267,90 EUR) (im Vergleich zu 55% im Jahr 2019 und 71% im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79%. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenen- und Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92% und 93% der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).

Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).

Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).

In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 25.10.2021).

Staatsbürgerschaft und Dokumente

Letzte Änderung: 02.03.2022

Artikel 18 der irakischen Verfassung besagt, dass jede Person, die zumindest über einen irakischen Elternteil verfügt, die Staatsbürgerschaft erhält und somit Anspruch auf Ausweispapiere hat (Irakische Nationalversammlung 15.10.2005; vgl. USDOS 30.3.2021). Dies wird in Artikel 3 des irakischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 2006 bestätigt, jedoch wird in Artikel 4 darauf hingewiesen, dass Personen, die außerhalb des Iraks von einer irakischen Mutter geboren werden und deren Vater entweder unbekannt oder staatenlos ist, vom Minister für die irakischen Staatsbürgerschaft in Betracht gezogen werden können. Dies geschieht, wenn sich die besagte Person innerhalb eines Jahres nach ihrer Vollmündigkeit für die irakische Staatsbürgerschaft entscheidet. Wenn dies aus schwierigen Gründen unmöglich ist, kann die Person trotzdem noch um die irakische Staatsbürgerschaft ansuchen. In jedem Fall muss der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Bewerbung aber im Irak ansässig sein (Irakische Nationalversammlung 7.3.2006). Eine Doppelstaatsbürgerschaft ist gemäß Artikel 10 des Staatsbürgerschaftsgesetzes No.26/2006, möglich (RoI MoFA 2021b).

Für die Ausstellung einer Geburtsurkunde für ein im Ausland geborenes Kind ist eine Registrierung bei der Konsularabteilung einer irakischen Botschaft notwendig. Der Vater der Kindes muss in der Konsularabteilung der Botschaft anwesend sein. Im Fall seines Ablebens ist der Ehevertrag ein erforderliches Dokument, um die Vaterschaft des Kindes zu belegen. Innerhalb von zwei Monaten nach dem Geburtstermin muss eine beglaubigte Geburtsbestätigung von der zuständigen Behörde des Landes, in dem die Geburt erfolgte, vorgelegt werden. Bei Verspätung ist eine Gebühr für die verzögerte Registrierung in Höhe von 10.000 irakischen Dinar (IQD) [Anm.: 5,69 € (Stand April.2021)] zu bezahlen (RoI MoFA 2021a).

Laut dem irakischen Passgesetz kann jede Person über 18 Jahren, unabhängig von ihrem Geschlecht und ohne Erlaubnis des Vormunds einen Pass erhalten (Irakisches Innenministerium 2017). Ein Personalausweis wird etwa für den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt (USDOS 30.3.2021; vgl. FIS 17.6.2019). Er wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente, wie den Reisepass, benötigt (FIS 17.6.2019). Im Oktober 2015 ist ein neues nationales Ausweisgesetz in Kraft getreten. Laut diesem soll ein neuer biometrischer Personalausweis vier Karten ersetzen: den alten Personalausweis, den Staatsangehörigkeitsnachweis, den Aufenthaltsnachweis und den Lebensmittelausweis. Seit der Jahreswende 2015/2016 werden die neuen Ausweise sukzessive ausgestellt, bisher mehr als zehn Millionen (FIS 17.6.2019). In den seit 2016 ausgestellten Personalausweisen ist die Religionszugehörigkeit des Inhabers nicht mehr vermerkt, obwohl bei der Online-Beantragung immer noch nach dieser Information gefragt wird, und ein Datenchip auf dem Ausweis weiterhin Angaben zur Religion enthält (USDOS 12.5.2021). Viele Iraker besitzen nach wie vor ihren alten Personalausweis und den erforderlichen Staatsbürgerschaftsnachweis. Zwar haben die alten Ausweise kein Ablaufdatum, doch werden sie laut irakischen Behörden im Jahr 2024 ihre Gültigkeit verlieren. Die alten Ausweise werden dabei nach wie vor an Orten ausgegeben, an denen die notwendigen Gegebenheiten für die Ausstellung der neuen Dokumente nicht vorhanden sind. Da Ausweise in der Regel nur an den Orten der Aufenthaltsmeldung ausgestellt werden, benötigen IDPs häufig die Hilfe anderer, um zumindest an einen alten Ausweis zu kommen (FIS 17.6.2019).

Jedoch können Frauen ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters weder einen Reisepass beantragen (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021) noch einen Personalausweis bekommen (USDOS 30.3.2021).

Auch Personen, denen ein Naheverhältnis zum Islamischen Staat (IS) vorgeworfen wird, in der Regel aufgrund ihres Familiennamens, ihrer Stammeszugehörigkeit oder ihres Herkunftsgebiets, sind von Auswirkungen der Verweigerung eines Passes betroffen (HRW 13.1.2021). Der IS konfiszierte und zerstörte routinemäßig zivile und andere staatlich ausgestellte Dokumente und stellte stattdessen eigene Dokumente aus, die vom irakischen Staat nicht anerkannt werden, z.B. Heiratsurkunden (CCiC 1.4.2021; vgl. NRC 4.2019). Viele Familien haben ihre Dokumente während der Kämpfe verloren oder sie wurden von Sicherheitskräften konfisziert - entweder nachdem sie aus den vom IS kontrollierten Gebieten geflohen waren oder als sie in den Lagern für Binnenvertriebene (IDPs) ankamen. Fehlende Sicherheitsfreigaben hindern Familien daran, zivile Dokumente zu erhalten oder zu erneuern. Bis heute fehlen schätzungsweise 37.980 Irakern, die in Binnenvertriebenenlagern leben, diverse zivile Dokumente (CCiC 1.4.2021).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind in Umlauf. Zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 25.10.2021).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakten unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF und der im Gefolge seiner Einvernahme in Vorlage gebrachten Unterlagen sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde, ferner durch Vernehmung des BF als Partei in der vor dem erkennenden Gericht am 06.12.2021 durchgeführten mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, die dem BF zur Kenntnis gebracht und mit ihm erörtert wurden. Dabei handelt es sich um folgende Anfragebeantwortungen, Berichte und Artikel, die dem BF samt der Adresse zum elektronischen Abruf mittels einer zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten Liste genannt bzw. in mündlichen Verhandlung ausgehändigt wurden:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wie veröffentlicht auf der Seite des European Country of Origin Information Network

EASO COI Reports

Kurzübersicht über sicherheitsrelevante Vorfälle im Irak, zusammengestellt von ACLED betreffend das Jahr 2019 und das erste Quartal 2020

Themendossier zu schiitischen Milizen

Country Policy and Information Note Iraq: Medical and healthcare provision, des UK Homeoffice

Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan; Sicherheitslage, Kampfhandlungen, Anschlagskriminalität vom 27.03.2020

IRAK JAHR 2020 und 4. QUARTAL 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location und Event Data Project (ACLED)

Grafik über die Rückkehrer in die Region Kurdistan vom Februar 2021

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verfahrensakte der belangten Behörde, die ein mangelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

Die Angaben zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus den Angaben des BF in den Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem erkennenden Gericht. Der BF brachte im Rechtsmittelverfahren einen irakischen Reisepass im Original in Vorlage, sodass seine Angaben zur Identität anhand dieser Urkunde nachvollzogen werden können. Die Schreibweise seines Namens wurde aufgrund der vorgelegten Urkunde korrigiert.

Die Feststellungen zu seinem Lebenslauf ergeben sich – bis auf die Feststellungen zu seinem Wohnort – aus seinen Aussagen im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Rechtsmittelverfahren.

Dass nicht festgestellt werden konnte, wo der BF genau aufgewachsen und an welchen Orten er im Irak gelebt hat, liegt an den divergierenden Angaben des BF: Hatte er anlässlich der Erstbefragung noch angegeben, dass er in XXXX im Gouvernement XXXX („ XXXX “) gewohnt habe und von diesem Gouvernement aus auch seine Reisebewegungen begonnen habe (AS 5), so gab er vor der Behörde plötzlich an, er sei in XXXX geboren und habe dort im Bezirk XXXX bis zu seiner Ausreise aus dem Irak gelebt (AS 49 und 50; die Schreibweise des Ortes wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dann dahingehend korrigiert, dass diese „ XXXX “ lauten müsse und es sich dabei um einen Ort im Gouvernement Salah-ad-Din handle). Ferner gab er vor der Behörde an, er habe in XXXX studiert, wo er in den Ferien auch gearbeitet habe. Seien Eltern und sein Bruder würden noch in XXXX wohnen (AS 49 und 50). In einer schriftlichen Stellungnahme vom 29.04.2021 wurde vorgebracht, der BF habe in XXXX und „ XXXX “ gelebt. In der mündlichen Verhandlung konnte der BF diese Abweichungen in seinem Vorbringen nicht nachvollziehbar erklären, in dem er zunächst ausweichend auf den Vorhalt der Richterin antwortete und vermeinte, er sei noch ganz jung gewesen (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 8) und dann auf seinen Onkel verwies, der ihm gesagt habe, er solle im Asylverfahren nicht die Wahrheit sagen (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 8.), was seiner Glaubwürdigkeit zusätzlich schadete. Insgesamt hat der BF mit seinem Vorbringen doch den Eindruck erweckt, dass er abweichend zu seinen Angaben bei der Erstbefragung aus verfahrenstaktischen Gründen einen Wohnort außerhalb des Kurdengebietes nannte, um seine Chancen im Verfahren damit zu erhöhen.

Dass der BF jedenfalls zuletzt tatsächlich im Gouvernement XXXX im Kurdengebiet lebte, lässt sich schon daraus schließen, dass sein Pass dort ausgestellt wurde (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 16, Behördenakt S. 5). Dass er sich als Bewohner außerhalb der autonomen Region Kurdistans dort einen Pass ausstellen ließ, weil die Verwandten seiner Mutter dort gewesen seien und das für ihn leichter gewesen sei (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 17), ist zum einen schon aufgrund der Berichtslage über den Zugang zur Kurdenregion für Außenstehende nicht glaubhaft und zum anderen widerspricht dies auch der Darstellung vor der Behörde, wo der BF noch angegeben hatte, dass seine Eltern und der Bruder in diesem Gouvernement leben, mit welchen er vor seiner Ausreise zusammengelebt habe (Behördenakt S. 50 und 51). Auch die Sprachkenntnisse des BF – er gab im gesamten Verfahre an, kurdisch zu sprechen – weisen darauf hin, dass der BF aus dem Kurdengebiet stammt. Aus den zuvor genannten Gründen war davon auszugehen, dass der BF zuletzt im Gouvernement XXXX zusammen mit seiner Familie lebte, bevor er den Irak verließ.

Dass der BF noch in Kontakt mit seiner Familie steht, ergibt sich aus seiner Aussage vor dem Bundesverwaltungsgericht (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 7).

Die Feststellungen zu den Reisebewegungen wurden aufgrund der gleichlautenden Angaben des BF im Verfahren getroffen.

Die Feststellungen in Bezug auf die Situation in Österreich ergeben sich aus den Aussagen des BF und den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auskünften:

Das Bundesverwaltungsgericht nahm zur Person des BF Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister sowie die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten und holte die aktenkundigen Auszüge ein.

Dass der BF das Bundesgebiet – entgegen seiner schriftlichen Fragebeantwortung vom 29.04.2021 – seit seiner Asylantragstellung verlassen hat und nach Schweden gereist ist, ergibt sich aus den im Akt einliegenden Dokumenten, die über den Aufenthalt in Schweden Auskunft geben (Laissez-Passer aus dem Jahr 2016) und der Aussage des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 15).

Die Feststellungen zur Integration wurden aufgrund der schriftlichen und mündlichen Angaben des BF im Rechtsmittelverfahren getroffen.

Dass er seit Oktober 2021 einen drei semestrigen Lehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses absolviert, ergibt sich aus einer Bestätigung einer Volkshochschule.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen des BF wurden auf Basis seiner eigenen Angaben und der vorgelegten Bestätigungen, insbesondere jedoch des persönlichen Eindrucks des erkennenden Gerichtes im Rahmen der mündlichen Verhandlung getroffen. Daher war festzustellen, dass der BF zwar Deutschkurse und einen Lehrgang besuchte bzw. besucht, jedoch lediglich über mäßige Deutschkenntnisse verfügt. Dass der BF trotz des Umstandes, dass der Unterricht im Rahmen des zuvor genannten Lehrganges durchgängig auf Deutsch gehalten wird (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S. 12) noch nicht besser Deutsch spricht, ist wohl durch die erst kurze Dauer des Lehrganges erklärbar. Ferner wird auch in einem Empfehlungsschreiben der Volkshochschule angemerkt, dass der BF noch zusätzlich einen Sprachkurs besucht, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern, woraus ebenfalls erschließbar ist, dass die Deutschkenntnisse des BF noch nicht jenes Niveau erreicht haben, die eine Kommunikation mit ihm leicht möglich macht.

Die Feststellungen zu den nicht vorhandenen Bemühungen um eine Einstellung im Falle einer Arbeitserlaubnis und gemeinnützige Tätigkeiten ergeben sich aus den Angaben des BF in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29.04.2021 und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S. 13ff).

Dass der BF gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S. 4).

Im Zuge des gegenständlichen Verfahrens sowie insbesondere in der Beschwerdeverhandlung und der nachfolgenden Stellungnahme wurde auch keinerlei Vorbringen dahingehend erstattet, dass der BF hinsichtlich einer potenziellen Infektion mit dem Corona-Virus einer Risikogruppe angehören würde oder warum sonst davon auszugehen wäre, dass konkret der BF im Falle einer Rückkehr mit einer Gesundheitsgefährdung zu rechnen hätte, zumal er selbst keinerlei, hinsichtlich einer COVID-19-Erkrankung relevante, Erkrankungen vorgebracht hat. Es konnte daher auch nicht erkannt werden, dass der BF durch eine Rückkehr in den Irak einem höheren Risiko ausgesetzt wäre, an COVID-19 zu erkranken, als in Österreich.

2.3. Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, insbesondere zur Sicherheitslage und den schiitischen Milizen im Irak, ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, wie unter 2.1. aufgelistet, welche dem BF übermittelt und in der mündlichen Verhandlung auch erörtert wurden. Die Feststellungen und Schlussfolgerungen zur sozioökonomischen Lage in der Herkunftsregion und die Situation des BF im Rückkehrfall wurden ebenfalls aufgrund der unter 2.1. genannten Dokumente getätigt.

Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen sowie aktuelle Medienberichte berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der BF ist den vom Bundesverwaltungsgericht vor der mündlichen Verhandlung bzw. in dieser Verhandlung übergebenen Berichten nicht substantiiert entgegengetreten.

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der BF jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hat, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der Behörden des Herkunftsstaates nicht geboten.

2.4. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

2.5. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem BF nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubwürdig und in sich schlüssig darzulegen; im Einzelnen:

2.5.1. Der BF brachte zwei gänzlich voneinander abweichende Fluchtvorbringen vor (Erstbefragung vom 18.08.2015; AS 9; Verwaltungsakt Befragung des BF vor der bB vom 03.05.2017, AS 52ff.)

So gab der BF in der Erstbefragung am 18.08.2015 an, er habe aus wirtschaftlichen Gründen um Asyl in Österreich angesucht, um seinen Vater finanziell zu unterstützen; es gäbe im Irak keine Perspektive für den BF (vgl. Punkt 11. der Erstbefragung, AS 9 Verwaltungsakt). Eine persönliche Bedrohung erwähnte er anlässlich der Erstbefragung nicht.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der bB am 03.05.2017 gab er hingegen an, er habe aufgrund von Morddrohungen durch die Familie seiner Freundin im Irak, mit welcher er vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt habe, flüchten müssen. Er habe das Mädchen zwei Jahre vor ihrer Ausreise im Jahr 2013 kennengelernt. Sie hätten meistens telefoniert oder sich bei ihr zu Hause getroffen, wenn keiner zu Hause gewesen wäre. Sie hätten auch Geschlechtsverkehr gehabt. Einmal hätte ihre Familie bemerkt, dass er bei ihr gewesen wäre und seine Daten ausfindig gemacht. Er sei dann direkt nach XXXX gefahren.

Die Familie sei bei ihnen zu Hause gewesen und habe mitgeteilt, dass sie ihn umbringen werden; nicht die Familie sei bedroht worden, sondern er persönlich. Er habe sich bei seiner Tante 15 oder 20 Tage lang versteckt. Danach habe er Kontakt mit dem Onkel in Schweden aufgenommen und dieser habe vorgeschlagen, dass er nach Schweden komme. Der Vater habe eine Bestätigung bei der Polizei geholt, damit dies als Beweismittel für ihn diene. Er legte der Behörde ein Schreiben in arabischer Sprache vor. Die Behörde nahm eine durch den dort beigezogenen Dolmetscher bei der Einvernahme angefertigte Übersetzung zu Protokoll. Auf Nachfrage gab der BF dazu an, dass sein Vater etwa sechs Monate nach dem Vorfall bei der Polizei gewesen sei und dort geschildert habe, was passiert sei. Unter weiteren Angaben zu den jeweils beteiligten Familien gab der BF schließlich an, seine Familie habe Versöhnungsversuche vorgeschlagen, aber diese seien nicht akzeptiert worden, weil er und seine Freundin Sex gehabt hätten.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Erstbefragung § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zufolge nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat und gegen eine unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen Bedenken bestehen (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 mwN). Dennoch fällt im gegenständlichen Fall ins Gewicht, dass der BF bei der Erstbefragung ein gänzlich anderes Vorbringen, nicht nur in Detailaspekten, sondern den fluchtauslösenden Grund selbst betreffend, erstattete.

Selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst, wäre dennoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls zu erwarten gewesen, dass von den Asylwerbern – schon in der Erstbefragung – zuerst die unmittelbar erlebten Vorfälle dargelegt werden, anstatt sich auf die allgemein schlechte Lage und – wie im Fall des BF – die Probleme des Vaters zu beziehen und erst später ein anderes Vorbringen erstatten. Im gegenständlichen Fall ist auch zu beachten, dass es sich bei dem später erstatteten Vorbringen nicht um eine bloße Modifizierung oder ein detaillierteres Vorbringen handelt, sondern um eine gänzlich andere Geschichte.

Der im gegenständlichen Fall nicht erfolgten Darlegung der nunmehr behaupteten ausreisekausalen Erlebnisse bei der Erstbefragung in Gestalt einer Drohung mit dem Tod durch die Familie der Freundin des BF aufgrund deren vorehelicher, sexueller Beziehung kommt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ein nicht unmaßgeblicher Beweiswert insofern zu, als dem Fehlen jedweden Hinweises in der Erstbefragung auf diese Umstände zumindest Indizcharakter dahingehend zuzumessen ist, als dies schon begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Antragstellers dahingehend zulässt (zur Zulässigkeit derartiger Erwägungen bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verschaffung eines persönlichen Eindruckes vom Beschwerdeführer VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0143; zur Maßgeblichkeit solcher Erwägungen auch ohne mündliche Verhandlung siehe jüngst VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168).

Der BF vermochte die erstmals vor der Behörde dargelegte und vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholte Geschichte auch nicht glaubwürdig darzustellen und mangelt es dieser auch an Plausibilität.

So gab der BF – erst auf Nachfrage der erkennenden Richterin – an, dass er vor der bB zu seinen persönlichen Lebensumständen im Irak gelogen habe, da sein Onkel in Schweden ihm dies geraten hätte. Eine Person, die aus ihrem Heimatland wegen erhaltener Morddrohungen flüchten muss, würde aber wohl die erste sich bietende Situation ergreifen, um Schutz zu erlangen, anstatt eine sich bietende Chance durch Falschaussagen zu vereiteln. Dass der BF in Österreich keinen Asylantrag stellen wollte, weil dadurch eine Asylantragstellung in Schweden nicht mehr möglich gewesen wäre, wie dies in der Erklärung des BF anklingt, ist durchaus glaubhaft. Dies verstärkt aber auch den Eindruck, dass der BF sein Land gar nicht aus Furcht vor Verfolgung verließ. Dass er falsche Angaben vor den österreichischen Sicherheitsbehörden machte, schadet seiner Glaubwürdigkeit jedenfalls massiv. Selbst wenn es zutrifft, dass der Onkel ihn dazu angestiftet hat, so kann dies dem BF nicht nachgesehen werden oder als mildernd gewertet werden, zumal der BF bei seiner Asylantragstellung volljährig war und er nach der Falschaussage auch keinen Versuch unternahm, von sich aus seine Angaben zu berichtigen. Auch ist seinen Aussagen nicht zu entnehmen, dass er sich durch eine besondere Notlage zu der Falschaussage hinreißen ließ; dass er aus persönlichen Gründen lieber in Schweden leben wollte, ist nicht als Notlage zu werten.

Auch der Fluchtgeschichte des BF mangelt es an Glaubwürdigkeit. Dies schon deshalb, da er angab, er habe seine Freundin bereits im Jahr 2013 kennengelernt, aber keine plausible Erklärung beigebrachte, der zu entnehmen ist, weshalb die Beziehung erst im Jahr 2015 entdeckt worden sein sollte.

Nicht nachvollziehbar ist auch die Darstellung des BF, dass seine Familie seit seiner Ausreise regelmäßig bedrängt würde. Zum einen ist schon die Angabe, mehrfach versuchte Wiedergutmachungen durch seine Familie seien gescheitert, weil das Mädchen zugegeben habe, sie hätten mehrmals miteinander geschlafen, nicht glaubwürdig, zumal die daraus entstandene Ehrverletzung wohl eher durch eine nachträgliche Verehelichung getilgt worden wäre – der BF hätte sich eine Verehelichung auch vorstellen können und sei auch mit seiner Familie darüber verhandelt worden, wie er bei der Behörde angab – als den potentiellen Ehemann für die entehrte Tochter zu vertreiben. Zum anderen gab der BF zu seinem Vater durchgehend gleichlautend im Verfahren an, dieser sei Offizier bei den Peshmerga und ist insoferne nicht ersichtlich, weshalb dieser den Sohn vor den Bedrohungen der Familie des Mädchens nicht schützen oder sich gegen die wiederkehrenden Belästigungen dieser Familie zur Wehr setzen könnte oder sollte, zumal er ja auch die Polizei kontaktiert und eine Bestätigung über den fluchtauslösenden Vorfall seines Sohnes erwirkt habe (zum Beweiswert dieses Bestätigungsschreibens siehe gleich unten).

Ferner ist, wie bereits die Behörde anmerkte, auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Vater des BF erst zwei Jahre nach der Ausreise des BF im Jahr 2015, nämlich im Jahr 2017, eine Anzeige bei der Polizei wegen der angeblichen Bedrohung gegen den BF gemacht hätte. Hätten die Morddrohungen der Familie der Freundin des BF tatsächlich stattgefunden, so wäre doch zu erwarten gewesen, dass der BF oder sein Vater spätestens nach Scheitern der behaupteten Versöhnungsversuche mit der besagten Familie Anzeige bei der Polizei erstattet hätte und nicht erst im Jahr 2017.

Der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorgelegte Anzeige aus dem Jahr 2017 ist auch aus folgenden Gründen keine Beweiskraft beizumessen:

Das vom BF im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegte und vom Dolmetscher der Behörde übersetzten Dokument beinhaltet eine „Anzeige“ bei der Polizei, die zu Beginn mit 07.03.2017 und am Ende des Schreibens mit 17.03.2017 datiert ist. Dem Inhalt der Anzeige zufolge habe der BF wegen einer Liebesbeziehung mit einem Mädchen am 10.02.2017 aus dem Irak flüchten müssen. Für das Bundesverwaltungsgericht stellt sich diese Anzeige vor allem deshalb als in Widerspruch zum Vorbringen des BF dar, weil nicht nachvollzogen werden kann, wie der BF im Februar 2017 aus dem Irak hätte flüchten können, zumal er bereits im August 2015 einen Asylantrag in Österreich gestellt hat. Diesen Umstand konnte der BF auch in der mündlichen Verhandlung nicht erklären; er verwies lediglich auf eine mögliche falsche Übersetzung, was sich nach Befragung der durch das Bundesverwaltungsgericht beigezogenen Dolmetscherin als unzutreffend erwies (Niederschrift der mündlichen Verhandlung S. 9 ff). Die Anzeige steht auch in krassem Widerspruch zu den Angaben des BF bei der Behörde, wonach der Vater etwa sechs Monate nach dem Vorfall bei der Polizei gewesen sei (AS 55).

Dass die Polizei unmittelbar nach dem Vorfall eingeschaltet worden ist, wurde nicht vorgebracht. Vielmehr brachte der BF auf Nachfrage des einvernehmenden Organes bei der Behörde vor, es habe Verhandlungen mit der Familie gegeben, die aber gescheitert seien. Weshalb die Polizei dann über den Vorfall – entweder sechs Monate danach oder aber im Jahr 2017 – eine Bestätigung ausstellen sollte, erhellt aus dem Vorbringen nicht.

Wenn in der Anzeige steht, dass der BF nach Österreich flüchten musste, so ist dazu auch zu bemerken, dass der BF durchgängig im Verfahren angegeben hat, dass Schweden sein Zielland nach der Ausreise aus dem Irak gewesen sei und ist insoferne auch nicht ersichtlich, weshalb die irakischen Behörden davon ausgingen, dass der BF das Dokument zur Vorlage in Österreich benötigen würde.

Dass der BF vor seiner Ausreise nicht in XXXX oder XXXX lebte, wie in der Anzeige festgehalten, wurde bereits erörtert. In diesem Zusammenhang stellte sich aber die Frage, weshalb die Anzeige gegen den BF in arabischer Sprache verfasst worden ist, da sich der Vorfall ja offenbar im Kurdengebiet zugetragen haben soll – der Aussage bei der Behörde lebte sowohl die Familie des BF im Gouvernement XXXX und hielt er sich dort, nachdem er von der Familie seiner Freundin entdeckt worden ist, auch weiter auf (AS 55).

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Steigerungen, Widersprüche und Unplausibilitäten im Vorbringen des BF erwies sich sein Fluchtvorbingen für das Bundesverwaltungsgericht daher als unglaubwürdig.

2.5.2. Das Bundesverwaltungsgericht kann in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen daher nicht feststellen, dass der BF vor der Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der BF einer individuellen Bedrohung unterliegt.

2.6. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es nun für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274; 26.06.2018, Ra 2018/20/0307 mwN). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung (Vorverfolgung) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn eine Person im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 25.9.2018, Ra 2017/01/0203 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat daher auch zu prüfen, ob den Beschwerdeführern zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten haben.

2.6.1. Das Bundesverwaltungsgericht kann keine Rückkehrgefährdung erkennen, da der BF kein besonders exponiertes persönliches Profil aufweist, welches auf eine gegenüber der Durchschnittsbevölkerung höheres Risiko eines Konfliktes hindeutet.

In Bezug auf die Sicherheitslage ist festzuhalten, dass der BF den Irak zu einer Zeit verließ, als die Sicherheitslage infolge der gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Zustände im Irak als instabil bezeichnet werden kann. Dass er als Sohn eines Peshmerga-Kämpfers dieser Situation in besonderer Intensität ausgesetzt gewesen sei, hat er aber nicht vorgebracht und ist dies aus seinem Vorbringen auch nicht erschließbar.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes begründet eine Bürgerkriegssituation in der Heimat eines Beschwerdeführers auch noch keine Verfolgungsgefahr im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention, schließt eine aus asylrechtlichen relevanten Gründen drohende Verfolgung jedoch auch nicht generell aus. Der Asylwerber muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu werten sind und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 19.01.2000, Zl. 99/01/0384 mwN).

Derartiges ist dem BF, wie bereits eingehend thematisiert, nicht gelungen.

In diesem Zusammenhang ist ferner festzuhalten, dass der BF auch keiner bestimmten sozialen Gruppe – etwa Angehöriger oder Unterstützer der Sicherheitskräfte – angehört. Dass der BF als Sohn eines Peshmergakämpfers einer sozialen Gruppe angehört, ist deshalb nicht anzunehmen, da der Vater mit der Ehefrau und einem weiteren Sohn noch in der Herkunftsregion lebt und der BF angab, dass es ihnen grundsätzlich gut gehe; von Übergriffen wegen des Berufes seines Vaters hat er jedenfalls nichts berichtet.

Maßgeblich ist ferner, dass in Anbetracht der getroffenen Feststellungen zu den militärischen Bemühungen der Niederschlagung des Islamischen Staates im Irak unter den zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Vorzeichen nicht von der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates im Gouvernement XXXX ausgegangen werden kann. Dieses Gouvernement steht vielmehr unter der stabilen Kontrolle der kurdischen Sicherheitskräfte. XXXX ist nicht vom Islamischen Staat angegriffen worden als diese Miliz große Teile des Nordwestens des Irak im Jahr 2014 überrannte.

In den Berichten wird mitunter von kurdischen Mitgliedern des Islamischen Staates berichtet, wobei die meisten, die sich der Miliz angeschlossen und gegen die Peshmerga gekämpft hätten, getötet worden seien.

Aufgrund der herangezogenen Länderdokumentationsunterlagen ist davon auszugehen, dass die Terrormiliz Islamischer Staat auch in den Kurdengebieten über Terrorzellen und Rückzugsgebiete verfügte und ist auch nicht auszuschließen, dass verdeckt operierende Anhänger oder Schläfer noch in der Heimatprovinz des BF verblieben sind.

„Der IS greift in der KRI gelegentlich an und sucht nach günstigen Gelegenheiten für Angriffe (Wing 3.5.2021). Der IS hat die Taktik geändert, von groß angelegten zu kleineren und gezielten Angriffen. Dabei hat der IS seine Angriffe auch auf kurdische Sicherheitskräfte verstärkt (VOA 11.5.2021). Der IS teste auch im November und Dezember 2021 die Sicherheit in der KRI mit Angriffen in Sulaymaniyah und Erbil (Wing 4.1.2022).“

Der Islamische Staat kontrolliert im Gouvernement XXXX aber kein Territorium und vermag dort auch nicht offen zu operieren, sodass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes dort lediglich mit Untergrundaktivitäten seiner Anhänger und damit einhergehender Anschlagskriminalität zu rechnen ist.

Die die Gewährung von internationalem Schutz voraussetzende Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). In Anbetracht der seit der Ausreise des BF eingetretene Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Irak, die eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates als eher ausgeschlossen erscheinen lässt, hat der BF im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates in seiner Heimatregion zu rechnen.

Bei den nach wie vor im Irak vereinzelt stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates und den irakischen Sicherheitskräften handelt es sich aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes im Übrigen um einen asymmetrischen Konflikt und ist davon auszugehen, dass sich Angriffe von Anhängern oder sogenannten Schläfern des Islamischen Staates entweder gegen militärisch relevante Ziele richten oder mittels terroristischer Anschläge mit möglichst intensiver Verbreitung in den Medien eine Verunsicherung in der Bevölkerung erzielt und der politischen Rückhalt der irakischen Regierung und der Sicherheitskräfte erschüttert werden soll. Dokumentiert sind außerdem kriminelle Handlungen zur Beschaffung von Geld, etwa in Gestalt falscher Checkpoints, mit denen Reisende ausgeraubt werden. Ferner steht außer Zweifel, dass auch weiterhin vom Islamischen Staat und anderen Gruppierungen ausgehende terroristische Aktivitäten im Irak zu erwarten sind. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen durch Schläfer des Islamischen Staates oder sonstige dort verbliebene Anhänger ist dennoch angesichts der Sicherheitslage im Gouvernement XXXX wenig wahrscheinlich und hat der BF im Verfahren auch gar nicht vorgebracht, dass sich allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates gerade für ihn im Fall einer Rückkehr in seine Heimatprovinz interessieren sollten und eine gezielte Verfolgung gerade seiner Person attraktiver sein sollte, als terroristische Aktivitäten mit großer Breitenwirkung oder Anschläge auf aktive Sicherheitskräfte zu begehen. Vielmehr hat der BF von keinerlei persönlichen Kontakten mit Kämpfern oder Anhängern des Islamischen Staates vor der Ausreise berichtet. Der BF gehört auch keiner Risikogruppe an, für die sich radikale Elemente besonders interessieren würden.

In diesem Zusammenhang sei auch noch auf die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten statistischen Darstellungen hingewiesen:

Den eingesehenen und erörterten ACLED-Berichten (vgl. die unter 2.1. erfolgte Auflistung der herangezogenen Beweismittel) zufolge gab im 4. Quartal 2020 in As-Sulaymaniyah 57 sicherheitsrelevante Vorfälle, 13 Vorfälle mit Todesopern und 16 Todesfälle, wobei sich die Statistik nach dem Jahr 2020 auch entscheidend verbessert hat, wie sich den dem BF genannten Berichte und den Länderfeststellungen entnehmen lässt:

„Im Jänner 2021 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Beide Vorfälle werden dem IS zugeschrieben (Wing 4.2.2021). Im April 2021 wurden neuerlich zwei sicherheitsrelevante Vorfälle, diesmal ohne Opfer, verzeichnet. Je ein Vorfall wird pro-iranischen Milizen und dem IS zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Im September 2021 wurde ein Vorfall unter Beteiligung des IS verzeichnet, bei dem zwei Zivilisten starben und vier weitere verletzt wurden (Wing 4.10.2021). Im November 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und sieben Verletzten verzeichnet, die dem IS zugeschrieben werden. Alle Opfer waren Angehörige der Peshmerga (Wing 6.12.2021).

Zwischen dem 1.10.2021 und dem 31.1.2022 wurden in Sulaymaniyah 85 Demonstrationen verzeichnet, von denen 77 verliefen friedlich, während es bei vieren zu Interventionen der Sicherheitskräfte kam, wobei zweimal auch Tränengas eingesetzt wurde, um die Demonstranten zu zerstreuen. Vier weitere Demonstrationen werden als gewalttätig kategorisiert. Am 23.11.2021 kam es bei einer Studentendemonstration zu einem Zusammenstoß mit der Polizei, die scharfe Munition einsetzte. Die Studenten setzten die Zentralen der Partei der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) sowie das Gebäude von Rudaw TV in Brand. Am Tag darauf, den 24.11.2021 wurden zwei gewalttätige Proteste in Saidsadiq verzeichnet, wobei brennende Straßensperren errichtet und auch das Hauptquartier der Gorran Bewegung in Brand gesetzt wurde. Auch bei einer weiteren Demonstration in Ziriyan in Halabja wurden brennende Straßenspreen errichtet. Es wurden bei den Protesten jedoch keine Todesopfer verzeichnet (ACLED 2022).“

In den Berichten wird auch von zunehmenden Spannungen zwischen den USA und dem Iran berichtet, die in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad am 3.1.2020 gipfelten. Diese Spannungen haben den Berichten zufolge einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak und sind Anlass für Drohungen von Seiten schiitischer Milizenführer, die sich gegen die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak richten.

Im Nordirak führt die Türkei zudem zum Teil massive militärische Interventionen durch, die nach Angaben der Türkei gegen die PKK gerichtet sind, wie den Berichten zu entnehmen ist.

Wiewohl es sich in Bezug auf die verzeichneten Angriffe in Einzelfällen auch um Zivilisten handelt, so ist aufgrund der Berichtslage – so bedauerlich das selbstverständlich ist – davon auszugehen, dass sich die Kampfhandlungen der unterschiedlichen Akteure vorwiegend auf militärisch wichtige Ziele beschränken.

Dass die in der Heimatprovinz des BF verzeichneten Vorfälle die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs beeinträchtigen würden, kann der Berichtslage nicht entnommen werden. Der BF hätte im Falle einer Rückkehr die Möglichkeit, auf einem der Flughäfen im Kurdengebiet, etwa in Suleymaniya, Erbil oder Kirkuk zu landen und von dort auf sicherem Wege in seine Heimatstadt weiterzureisen.

In Bezug auf risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers sind folgende Erwägungen maßgeblich:

Nach der Rechtsprechung des VwGH (vgl. etwa Ra 2017/19/0425 oder Ra 2017/19/0095) ist es bei Vorliegen einer realen Gefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht ausreichend, die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in den Blick zu nehmen, vielmehr bedürfe es auch einer Auseinandersetzung damit, ob sich aufgrund der vorgebrachten (früheren) Tätigkeit eines Beschwerdeführers besondere in seiner persönlichen Situation begründete Gefährdungsmomente ergeben.

Wenn man die persönliche Situation des BF bzw. dessen Profil in Bezug zu den Berichten über die Sicherheitslage in seinem Gouvernement setzt, so ist hervorzuheben, dass der BF keiner Risikogruppe angehört. Wie bereits angeführt, ist er nicht Mitglied der Sicherheitskräfte oder einer sonstigen Personengruppe, die vor dem Hintergrund der eingesehenen Berichte als besonders gefährdet anzusehen ist. Dass er an Demonstrationen teilnehmen würde, brachte er ebenfalls nicht hervor.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der BF ausweislich seines Vorbringens weder im Abwehrkampf gegen die Milizen des Islamischen Staates tätig war noch regierungskritische Äußerungen getätigt oder an Demonstrationen teilgenommen hat.

Dass der BF im Falle einer Rückkehr als kurdische Zivilperson Opfer von gravierenden Übergriffen, wie einer Festnahme und Ermordung, durch die irakische Polizei oder anderer Sicherheitskräfte aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit würde, hat der BF nicht ebenfalls nicht vorgebracht und ist eine derartige Gefahr auch nicht aus den eingesehenen Länderberichten ableitbar.

Der Vollständigkeit halber bleibt festzuhalten, dass das Gouvnernement XXXX auch nicht von den politischen Spannungen zwischen der irakischen Regierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung betreffend die sogenannten umstrittenen Gebiete betroffen war. Zwar kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung im Jahr 2017 zur Vertreibung von zehntausenden Menschen – vorwiegend Kurden – aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten" und fanden Plünderungen, Brandstiftungen, Hauszerstörungen und willkürliche Angriffe insbesondere von Seiten der Volksmobilmachungskräfte statt, jedoch stammt der BF nicht aus einem der umstrittenen Gebiet und ist gegenwärtig auch nicht erkennbar, dass sich derartige Übergriffe auf kurdische Zivilpersonen immer noch ereignen würden. Eine tatsächliche Gefährdung des BF durch die irakische Polizei oder andere Sicherheitskräfte aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit ist demnach nicht erkennbar. Der BF gehört auch nicht den Peshmerga an. Racheaktionen der irakischen Streitkräfte an Familienmitgliedern von kurdischen Sicherheitskräften sind ebenfalls nicht dokumentiert.

Eine individuelle Gefährdung des BF durch verbliebene Anhänger des Islamischen Staates, die irakischen Streitkräfte oder Angriffe von Seiten iranischer oder türkischer Agenten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Fall einer Rückkehr in das Gouvernement XXXX kann daher zusammenfassend nicht erkannt werden.

2.6.2. Gegen eine Gefährdung aus konfessionellen Gründen spricht, dass die Bevölkerung im Gouvernement XXXX und überhaupt im Nordirak ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak überwiegend sunnitisch ist. Im Fall einer Rückkehr in seine Heimatprovinz würde der BF demnach der dort überwiegend vertretenen Richtung des Islam zugehören. Der BF brachte dahingehend auch keine Rückkehrbefürchtungen substantiiert vor.

Dass die sunnitische Bevölkerung im Gouvernement XXXX systematisch von schiitischen Milizen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt würde, kann den Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden. Insbesondere bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die zahlreich nach XXXX zurückkehrenden (sunnitischen) Binnenvertriebenen einer gezielten und systematischen Verfolgung durch staatliche Organe und Angehörige des schiitischen Glaubens unterliegen würden.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die irakische Gesellschaft bereits seit dem Sturz des (sunnitisch geprägten) Regimes von Saddam Hussein in zunehmendem Maße religiös gespalten ist und sich etwa in den Jahren 2006 bis 2008 massive konfessionelle Konflikte ereigneten. Seit dem Vorrücken der (ebenfalls sunnitischen) Milizen des Islamischen Staates wird die sunnitische Minderheit im Irak darüber hinaus oftmals einerseits für das Erstarken des Islamischen Staates und die damit verbundenen zahlreichen vornehmlich schiitischen Opfer unter den Sicherheitskräften (wie etwa beim Massaker von Tikrit) und Zivilisten verantwortlich gemacht und andererseits selbst fallweise mit einer unterstellten Sympathie gegenüber dem Islamischen Staat konfrontiert. Dabei kommt es – wie in den Feststellungen zur Lage im Irak ersichtlich – zu Vergeltungsmaßnahmen, Misshandlungen, willkürlichen Inhaftierungen, Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. So ist in diesem Zusammenhang auch festzuhalten, dass ausweislich der getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak Übergriffe von schiitischen Milizen und auch anderen Angehörigen der Sicherheitskräfte auf sunnitische Männer in jenen Gebieten dokumentiert sind, die vom Islamischen Staat zurückerlangt wurden. Auch im Zuge der Mosul-Offensive sind willkürliche Festnahmen und Racheakte schiitischer Milizen dokumentiert. Den getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage zufolge werden Angehörigen der irakischen Streitkräfte und verbündeten Gruppen Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern vorgeworfen.

Auch wenn derartige Vorfälle wiederkehrend stattfinden, kann in Anbetracht der Anzahl der dokumentierten Vorfälle noch nicht auf eine derartige Intensität solcher Übergriffe geschlossen werden, dass von einer systematischsten und zielgerichteten asylrelevanten Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung im Irak – immerhin mehrere Millionen Menschen – gesprochen werden kann. Dass andere Personen als Binnenvertriebene und diejenigen sunnitischen Männer, die in den vom Islamischen Staat zurückeroberten Gebieten vorgefunden werden (und sohin dort während der Machtausübung durch den Islamischen Staat gelebt haben), von schiitischen Milizen oder Sicherheitskräften systematisch bedrängt würden, kann den länderkundlichen Informationen nicht entnommen werden.

Der BF wird sich im Falle einer Rückkehr nicht in der Situation vorfinden, in einem soeben von den Milizen des Islamischen Staates zurückerlangten Gebiet den irakischen Streitkräften oder schiitischen Milizen gegenüberzustehen und als Sympathisant des Islamischen Staates verdächtig zu sein, welchem vorgeworfen wird, dass er die letzten Jahre unter der Herrschaft des Islamischen Staates zubrachte, ohne von diesem behelligt worden zu sein. Einerseits stammt der BF aus einem Gebiet, welches nie unter Kontrolle des Islamischen Staates gebracht wurde und begab sich der BF auch schon im Verlauf des Jahres 2015 in das Ausland.

2.6.3. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte insgesamt nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des BF im Gouvernement XXXX davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen oder sonstigen gewaltsamen Anschlages werden würde.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen auch eine zur Gewährung von internationalem Schutz führende Rückkehrgefährdung nicht erkennbar und ergibt sich eine solche auch nicht aus der allgemeinen Lage im Irak zum Entscheidungszeitpunkt. Es konnte deshalb nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

2.7. Die Feststellungen betreffend die nicht vorhandene politische Betätigung des BF sowie die nicht vorhandenen Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatstaates beruhen auf den diesbezüglichen Angaben des BF vor der belangten Behörde und den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung. Eine gegen den BF nach seiner Ausreise aus dem Irak hervorgetretene Verfolgungshandlung konnte nicht glaubhaft gemacht werden und ist auch nicht glaubhaft, dass ihm von staatlicher Seite Verfolgung droht.

Darüber hinaus konnte der BF auch keine mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise glaubhaft machen, bzw. wurden solche auch nicht vorgebracht.

2.8. Da der BF keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens glaubhaft vorgebracht hat, war dem folgend zur Feststellung zu gelangen, dass er im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würde. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.

2.9. In Ansehung des BF sind folgende Erwägungen zu der im Rückkehrfall zu erwartenden sozioökonomischen Lage maßgeblich:

Die Feststellungen zum Lebenslauf beruhen, abgesehen von den Angaben zu seinem Wohnort vor der Ausreise, auf den Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, in der Einvernahme vor der Landespolizeidirektion und der belangten Behörde. In Bezug auf die im Vergleich zu den Angaben bei der Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht abweichenden Feststellungen zu seinem letzten Wohnort wird auf die diesbezüglichen beweiswürdigenden Ausführungen verwiesen.

Demnach wohnte der BF vor seiner Ausreise zusammen mit seinem Bruder und seinen Eltern in deren Haus im Gouvenement XXXX . Er steht den eigenen Angaben zufolge, die zuletzt vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederholt wurden, auch mit seiner Familie in Kontakt. Dem BF steht die Rückkehr in sein Elternhaus offen; Gegenteiliges hat er jedenfalls nicht behauptet.

Er hat zumindest 12 Jahre lang die Schule besucht, danach hat er zwei Jahre an einer Universität studiert. Er ist im Alter von 22 Jahren erstmals aus dem Irak ausgereist und hat dort lediglich Ferialarbeiten durchgeführt, da er vom Einkommen seines Vaters lebte. Der BF ist ledig und kinderlos. Er ist mit der Sprache sowie den Gebräuchen in seinem Herkunftsstaat vertraut.

Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der BF, ein junger Mann ohne gesundheitliche Einschränkungen, im Irak keine berufliche Tätigkeit ausüben sollte oder könnte. Auch die Aufnahme von Hilfstätigkeiten oder Gelegenheitsarbeiten ist ihm zumutbar.

Für das Gouvernement XXXX wird berichtet, dass für je etwa 15,2% der Bevölkerung (rund 30.000 Personen) die Nahrungsaufnahme unzureichend bzw. die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch sei, wobei bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren XXXX im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten habe (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Zudem ist den Feststellungen zu entnehmen, dass Infrastruktur und Korruption die wirtschaftliche Entwicklung des Gouvernements behindern. Die Arbeitslosenrate wird für das Jahr 2017 auf 9,4% geschätzt (KRSO 2021). Im Jahr 2018 waren etwa 0,28% der Bevölkerung von akuter Armut betroffen und 2,69% waren armutsgefährdet. Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 4,46%.

Ob der Berichtslage kann die wirtschaftliche Situation im Land für die Bevölkerung als durchaus als angespannt bezeichnet werden und wird die Wirtschaftsentwicklung sicherlich durch die Corona-Pandemie – wie in anderen Gebieten der Erde auch – weiter gedämpft. Dass es Menschen in der Heimatprovinz des BF grundsätzlich nicht möglich wäre, einer Arbeit nachzugehen oder dort massenhaftes Elend und Hunger herrschen würden, lässt sich der Quellenlage und der aktuellen Medienberichterstattung jedoch nicht entnehmen.

In Bezug auf den BF ist auch hervorzuheben, dass dieser bis zur Ausreise aus dem im Juli 2015 von seinem Vater, welcher General bei den Peshmerga ist, finanziell unterstützt wurde und im Haus der Eltern wohnte. Auch weitere Verwandte wohnen noch in der Heimatprovinz des BF.

Dass die Familie nunmehr von Armut, Nahrungs- und Trinkwassermangel bedroht sei, hat der BF nicht vorgebracht. Zur Situation seiner Familie befragt, gab er an, es gehe ihnen gut, sie seien aber wegen seiner Flucht psychisch etwas durcheinander (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S. 7).

Dass die Lage von Rückkehrern angesichts der aus den verwendeten Berichten herauszulesenden sozioökonomischen Indikatoren aussichtslos wäre, wurde weder in der Beschwerde, den nachfolgenden schriftlichen Stellungnahmen noch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (substantiiert) vorgebracht. Es ist zudem auch anzunehmen, dass der BF im Irak auch über einen gewissen Bekanntenkreis verfügt.

Der BF wird angesichts seiner familiären und sonstigen Bindungen wieder sozialen Anschluss im Irak und dort in seiner Heimatregion finden und kann daher auch davon ausgegangen werden, dass dem BF – zumindest für die Phase einer ersten Orientierung am Arbeitsmarkt – Unterstützung durch die Familie oder der Verwandtschaft zuteilwerden wird. Es ist ferner davon auszugehen, dass das verwandtschaftliche und familiäre Netzwerk den BF auch Unterstützung in Form der Zurverfügungstellung von Wohnraum zukommen lassen wird, zumal er ja auch vor seiner Ausreise bei den Eltern lebte.

Dessen ungeachtet vertritt das Bundesverwaltungsgericht auch ob des vom BF in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks die Auffassung, dass dieser anpassungsfähig und arbeitsfähig ist. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF zumindest teilweise selbst in der Lage sein wird, für sein Auskommen im Fall der Rückkehr in das Gouvernement XXXX zu sorgen.

Seitens des BF wurde letztlich auch nicht vorgebracht, im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten oder in seinen Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage im Irak als erwiesen anzusehen ist.

Dem BF steht es auch frei, am ERIN-Programm teilzunehmen. ERIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERIN ist eine Spezifische Maßnahme (Specific Action) im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU, wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service (R DS) – Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet und zu 90% aus Europäischen Mitteln finanziert.

Im Rahmen des ERIN Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei. Von Juni 2016 bis Jänner 2018 erhielten 843 Personen im Rahmen ihrer Rückkehr von Österreich in ihr Heimatland Reintegrationsunterstützung über das ERIN-Programm. Unter Berücksichtigung von Familienangehörigen kehrten im selben Zeitraum sogar 1.254 Personen freiwillig in ihr Heimatland zurück. Aktuell wird ERIN-Reintegrationsunterstützung im Zentralirak und in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung gestellt (http://www.bmi.gv.at/107/EU_Foerderungen/Finanzrahmen_2014_2020/AMIF/ERIN.aspx). Die Teilnahme an diesem Programm vermittelt etwa hinreichende Starthilfe für eine selbständige Tätigkeit und den neuerlichen Aufbau eines eigenen Geschäftes.

Der BF ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt. Auch wenn das Programm von schlechter Organisation gekennzeichnet ist und Verzögerungen bei der Ausgabe der Rationen dokumentiert sind, ist zumindest von einer grundlegenden Absicherung im Hinblick auf den existenziellen Bedarf an Grundnahrungsmitteln auszugehen.

Schließlich gehört der BF keiner ethnischen oder religiösen Minderheit im Fall einer Rückkehr in seine Heimatregion an, sodass auch diesbezüglich keine Vulnerabilität in Ansehung des BF im Fall einer Rückkehr erkannt werden kann.

Aufgrund der oben dargelegten Erwägungen zur sozioökonomischen Lage kann schließlich nicht die reale Gefahr erkannt werden, dass der BF im Rückkehrfall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, von Unterernährung, Obdachlosigkeit oder sozialer Isolation betroffen wäre.

2.10. Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland generell besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak nicht entnommen werden. Der BF brachte auch nicht vor, dass er wegen eines westlichen Lebensstils oder Gewohnheiten, die er während seines Aufenthaltes in Österreich angenommen hat, Probleme im Fall seiner Rückkehr zu gewärtigen haben wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung):

3.2.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:

„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) […]

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

[...]“

Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen war.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zuletzt etwa VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0228; 30.8.2017, Ra 2017/18/0119; 28.11.2019, Ra 2018/19/0203) kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).

Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen des BF zu den – völlig voneinander abweichenden – Ausreisegründen, die er anlässlich der Erstbefragung einerseits und anlässlich der Befragung vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgerichtsbarkeit andererseits vorbrachte, die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb das Vorliegen bzw. die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Wie beweiswürdigend dargelegt, hat der BF im Verfahrensverlauf, vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen, keinerlei Anhaltspunkte auf das Vorliegen eines Sachverhaltes im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung vorgebracht. Seine Angaben hinsichtlich einer Verfolgung durch Privatpersonen infolge vorehelichen Geschlechtsverkehrs sind nicht glaubhaft, sodass diese nicht als maßgeblicher Sachverhalt festgestellt werden konnten.

Das erkennende Gericht erachtet in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben des BF als einerseits nicht asylrelevant bzw. als völlig unwahr, sodass die vom BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Im gegenständlichen Fall gelangt das Bundesverwaltungsgericht aus oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich erörterten Gründen insgesamt zum Ergebnis, dass der BF keiner individuellen Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt war oder im Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre, sodass internationaler Schutz nicht zu gewähren ist. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Ferner liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem BF eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht.

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Grund ergaben, scheidet die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten somit aus.

Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Eine Verfolgung des BF im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z 2 GFK liegt somit nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden.

Spruchpunkt I. des erstangefochtenen Bescheides ist demgemäß nicht zu beanstanden und kommt der Beschwerde insoweit keine Berechtigung zu.

3.2.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten:

„§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. […]

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 … zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

[…]“

Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle ihrer Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Schweden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06).

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl. für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gemäß der Judikatur des EGMR muss ein BF die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in ständiger Rechtsprechung aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt - so weit als möglich - Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z.B. EGMR Said gg. die Niederlande, 05.07.2005).

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl. VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl. auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Im Hinblick auf die zur Zeit vorherrschende Pandemie wegen des Corona-Virus und der daraus resultierenden Krankheit COVID-19 hat der VwGH in seiner Entscheidung etwa vom 20.11.2020, Ra 2020/20/0241, zusammengefasst festgehalten, dass hinsichtlich der COVID-19 Pandemie ins Treffen geführte Ermittlungs- und Feststellungsmängel einer konkreten Darlegung der Relevanz für das Verfahren erfordern. Sofern in der Zulässigkeitsbegründung zur Revision auf einen beeinträchtigten Gesundheitszustand des Revisionswerbers verwiesen und dessen Zugehörigkeit zu einer „Risikogruppe“ behauptet, im Übrigen aber lediglich pauschal auf näher genannte, allgemeine Berichte zur Situation in dessen Herkunftsstaat verwiesen werde, werde damit nicht nachvollziehbar aufgezeigt, dass infolge der COVID-19 Pandemie bezogen auf die konkrete Situation des Revisionswerbers im Fall der Rückführung in sein Heimatland die Verletzung einer nach Art. 2 und Art. 3 EMRK geschützten Rechte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen wäre (dazu wurde zudem zur nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK vorzunehmenden Einzelfallprüfung sowie zur Frage, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr [„real risk“] einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht, konkret hinsichtlich der COVID-19 Pandemie etwa auf VwGH vom 03.07.2020, Ra 2020/14/0255; vom 07.10.2020, Ra 2020/20/0337; vom 05.10.2020, Ra 2020/19/0330, und vom 07.09.2020, Ra 2020/18/0273, verwiesen).

In Bezug auf die Situation im Irak kann aufgrund des typischen Verlaufes der oben genannten Krankheit und der persönlichen Situation der BF (aus den Altersangaben und den Angaben des BF zu seinem Gesundheitszustand kann nicht geschlossen werden, dass der BF zur Gruppe der von COVID-19 besonders Gefährdeten gehört) und des Umstandes, dass der irakische Staat, wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, auf die Situation bisher angemessen reagierte, nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wäre und wurde dies zu keiner Zeit substantiiert, entsprechend der dargelegten Rechtsprechung des VwGH behauptet. Ebenfalls kann dies nicht aus der Verpflichtung, sich anlässlich der Einreise einer Untersuchung zu unterziehen, bzw. sich in Quarantäne zu begeben, abgeleitet werden.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts des Herkunftsstaates des BF (die Todesstrafe wurde zwar nicht abgeschafft, es gibt aber keinerlei Hinweise, dass der BF eine mit dieser Strafe bedrohte Handlung begangen hätte) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat des BF nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt im Hinblick auf die Sicherheitslage im Gouvernement XXXX nicht, dass es dort sicherheitsrelevante Vorfälle gibt. Der aktuellen Berichterstattung folgend richten sich diese im Wesentlichen aber nicht gegen die Zivilbevölkerung, wiewohl zivile Opfer nicht ausgeschlossen werden können. Offene Kampfhandlungen finden im Gouvernement nicht statt und kann bei Betrachtung der Statistiken von einer grundsätzlich stabilen Sicherheitslage ausgegangen werden.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird im Detail auf die in der Beweiswürdigung unter 2.6.1. getätigten Ausführungen zur Sicherheitslage im Gourvernement XXXX verwiesen.

Außerdem hat der BF selbst kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, dass er alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit in seinem Wohnort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt sein wird.

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat des BF in einigen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der BF selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Zur individuellen Versorgungssituation des BF wurde beweiswürdigend ausführlich dargelegt, dass dieser im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Beim BF handelt es sich um einen mobilen, gesunden und arbeitsfähigen Menschen. Der BF verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte. Er ist keinem Personenkreis zuzurechnen, von welchem grundsätzlich anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage schutzbedürftiger darstellt, als die übrige Durchschnittsbevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen muss. Im konkreten Einzelfall des BF ergibt sich, dass er grundsätzlich in der Lage sein wird, sich mit eigener Erwerbstätigkeit zumindest ein teilweise ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Darüber hinaus steht ihm die Unterstützung seiner Familie – wie bis zu seiner Ausreise – und auch seiner Verwandten zur Verfügung. Dem BF war es auch vor dem Verlassen des Herkunftsstaates möglich, dort das Leben zu meistern.

Darüber hinaus ist es dem BF unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Ferner hat der BF als Staatsbürger des Irak Anspruch auf Leistungen des Lebensmittelverteilungssystem PDS, welches den Feststellungen zufolge zwar inneffizient geführt wird und mit teilweisen Ausfällen zu kämpfen hat, jedoch dennoch für eine gewisse Absicherung mit Grundnahrungsmittel sorgt.

Im Detail wird auf die beweiswürdigenden Ausführungen unter 2.9. verwiesen.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt demnach nicht vor.

Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht über eine allfällige Anfangsschwierigkeiten überschreitende, dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen nicht vor. Dass die Versorgungssituation in der Herkunftsregion an sich unzureichend sei, wurde auch gar nicht vorgebracht. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird in diesem Zusammenhang auch auf die beweiswürdigenden Überlegungen unter 2.8. zur sozioökonomischen Lage in Bagdad verwiesen.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch kam im Verfahren hervor, dass der BF Gefahr liefe, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des erstangefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

3.2.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

§ 10 Abs. 1 AsylG 2005 sieht vor, dass eine Entscheidung nach dem Asylgesetz dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, wenn – wie im Gegenstand – der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird (Z. 3 leg. cit.) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

Die Einreise des BF in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich ist nicht rechtmäßig erfolgt. Bisher stützte sich der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet alleine auf die Bestimmungen des AsylG. Ein sonstiger Aufenthaltstitel ist nicht ersichtlich und wurde auch kein auf andere Bundesgesetze gestütztes Aufenthaltsrecht behauptet. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt des BF im Bundesgebiet mehr vor und unterliegt dieser damit nicht dem Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG betreffend Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung.

Gemäß § 10 Absatz 1 Z 3 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung nach dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (VfSlg. 16928/2003).

Der Begriff des Familienlebens ist nicht nur auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein. Maßgebend sind etwa das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR U 13.06.1979, Marckx gegen Belgien, Nr. 6833/74; GK 22.04.1997, X, Y u. Z gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21830/93).

Der BF brachte nicht vor, dass in Österreich Angehörige oder Verwandte leben, welche vom Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK erfasst wären. Angesichts dessen war im gegenständlichen Fall eine mögliche Verletzung des Rechts des BF auf ein Familienleben in Österreich mangels familiärer Bindungen zu verneinen. Sohin ist zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung einen unzulässigen Eingriff in das Recht des BF auf ein Privatleben in Österreich darstellt.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtigung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind (EGMR U 18.02.1991, Moustaquim gegen Belgien, Nr. 12313/86).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Die Konventionsstaaten sind nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt, Einreise, Ausweisung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (EGRM U 30.10.1991, Vilvarajah u.a. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 13163/87).

Hinsichtlich der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen eines Berufungswerbers ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass Asylwerber und sonstige Fremde nicht schlechthin gleichzusetzen sind. Asylwerber hätten regelmäßig ohne Geltendmachung von Asylgründen keine rechtliche Möglichkeit, legal nach Österreich einzureisen. Soweit die Einreise nicht ohnehin unter Umgehung der Grenzkontrolle oder mit einem Touristenvisum stattgefunden hat, ist Asylwerbern der Aufenthalt bloß erlaubt, weil sie einen Asylantrag gestellt und Asylgründe geltend gemacht haben. Sie dürfen zwar bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung weder zurückgewiesen, zurückgeschoben noch abgeschoben werden, ein über diesen faktischen Abschiebeschutz hinausgehendes Aufenthaltsrecht erlangen Asylwerber jedoch lediglich bei Zulassung ihres Asylverfahrens sowie bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur Einstellung des Verfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund dieser Besonderheit Asylwerber und andere Fremde unterschiedlich behandelt (VfSlg. 17.516/2005).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien vgl. VfSlg. 18.223/2007).

Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben knüpft (EGMR U 31.1.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99; U 16.9.2004, M. C. G. gegen Deutschland, Nr. 11.103/03), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR GK 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81, 9474/81; U 20.6.2002, Al-Nashif gegen Bulgarien, Nr. 50.963/99) und dessen Intensität (EGMR U 02.08.2001, Boultif gegen Schweiz, Nr. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR U 04.10.2001, Adam gegen Deutschland, Nr. 43.359/98; GK 09.10.2003, Slivenko gegen Lettland, Nr. 48321/99; vgl. VwGH 5.7.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR U 11.04.2006, Useinov gegen Niederlande Nr. 61292/00) für maßgeblich erachtet.

Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren – was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann – ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).

Bereits vor Inkrafttreten des nunmehrigen § 9 Abs. 2 BFA-VG entwickelten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in den Erkenntnissen VfSlg. 18.224/2007 und VwGH 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216 unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR nachstehende Leitlinien, welche im Rahmen der Interessensabwägung gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen sind. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 13.06.2016, Ra 2015/01/0255). Ferner sind nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dies Verfassungsgerichtshofs die strafgerichtliche Unbescholtenheit aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht sowie Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und schließlich die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 19.203/2010 eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen davon ausgegangen werden kann, dass das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren. Der Verfassungsgerichtshof stellt dazu fest, dass das Gewicht der Integration nicht allein deshalb als gemindert erachtet werden darf, weil ein stets unsicherer Aufenthalt des Betroffenen zugrunde liege, so dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Ausweisung ausgeschlossen sei. Vielmehr müsse die handelnde Behörde sich dessen bewusst sein, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren effizient führen zu können und damit einhergehend prüfen, ob keine schuldhafte Verzögerungen eingetreten sind, die in der Sphäre des Betroffenen liegen (vgl. auch VfSlg. 19.357/2011).

Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreichabzuleitenden Integration ist weiter dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten wie insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes, relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich (VwGH 2.10.1996, Zl. 95/21/0169; 28.06.2007, Zl. 2006/21/0114; VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem BF bei der asylrechtlichen Ausweisung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn sie sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätten und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.

Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung nach Art 8 Abs. 2 EMRK daher ein hoher Stellenwert zu (VfSlg. 18.223/2007; VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251).

Die öffentliche Ordnung, hier im Besonderen das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird etwa beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, Zl. 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen. (VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007). Der VwGH hat weiters festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den sensiblen Arbeitsmarkt als auch für das Sozialsystem gravierende Auswirkung hat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde, welche daher auch über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf den inoffiziellen Arbeitsmarkt drängen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat.

In Abwägung der gemäß Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände in Ansehung des BF ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:

Der BF reiste spätestens am 17.08.2015 rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Das Gewicht des etwa sechseinhalbjährigen faktischen Aufenthalts des BF in Österreich ist jedoch dadurch abgeschwächt, dass er den Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte, er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht in begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen.

Der BF belegt derzeit einen Lehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses. Er besuchte Deutschkurse und besucht auch gegenwärtig einen Kurs., legte jedoch bislang noch keine Sprachprüfung ab. Er verfügt, wie sich in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsprotokoll vom 06.12.2021, S. 12f) von der erkennenden Richterin abgefragt, auch nicht über maßgebliche Deutschkenntnisse (Verhandlungsprotokoll S. 13) – trotz seines etwa sechseinhalbjährigen Aufenthaltes in Österreich und obwohl er angab, dass der Unterricht im Rahmen des oben genannten Lehrganges durchgängig in Deutsch gehalten wird.

Der BF lebt noch aus Mitteln der Grundversorgung.

Der BF ist keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet nachgegangen. Er hat nicht beim AMS vorgesprochen und hat auch sonst nicht glaubhaft machen können, dass er sich um eine Arbeitsstelle oder auch nur um eine Einstellungszusage bemüht hat, zumal er auf die Frage, was konkret er seit seiner Einreise unternommen hat, um seine Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen, zunächst ausweichende und nicht nachvollziehbare Antworten erteilte (bei den Aufenthaltsorten des BF – XXXX und XXXX – handelt es sich keineswegs um abgelegene Gebiete, von welchen aus ein Arbeitsstelle nur unter erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand erreicht werden könnte) und später die Frage, warum er in der Fremdenverkehrsregion, in der er lebt bzw. lebte, nicht etwa versucht habe, eine Einstellung in einem Gastgewerbebetrieb zu erwirken, dahingehend beantwortete, dass er dies 2016/2017 schon gemacht habe, er aber die Namen der Betriebe, bei denen er angefragt habe, nicht mehr nennen könne. Der BF konnte auch keine Belege vorbringen, aus denen erschließbar ist, dass er geeignete Schritte unternahm, um sich nach einer möglichen für Asylwerber zugänglichen Arbeitsstelle zu erkundigen (Verhandlungsprotokoll S. 13 und 14).

Vom BF wurden auch keine konkreten Pläne für die Aufnahme einer Berufstätigkeit dargelegt.

Die angestrebte Karriere als Fußballspieler ist schon mangels einer Zusage über eine Verpflichtung durch einen Verein nicht als realistisch einzuschätzen und räumte der BF diesbezüglich auch ein, dass er nicht mehr das geeignete Alter dafür habe. Auch das Vorhaben, dass er einer Arbeit bei einem Zustelldienst nachgehen möchte, gestaltete sich äußerst vage, zumal er auch dafür noch keine konkreten Gespräche geführt bzw. eine Zusage erwirkt hat, wiewohl er in Österreich einen Führerschein gemacht und in Erfahrung gebracht habe, dass es „schon etwas geben“ würde, wie Private ihm gesagt hätten (Verhandlungsprotokoll S. 14). Auch gab er selbst an, dass er trotz seines Lehrgangs tagsüber einer Arbeit nachgehen könne, zumal er erst am Abend in die Schule gehe. Weshalb es der BF trotz der auch von ihm erkannten Möglichkeiten bislang unterließ, einer Arbeit oder zumindest einer intensiveren Suche danach nachzugehen, konnte er insgesamt nicht plausibel erklären.

Abgesehen von seiner Mitgliedschaft zu einem privaten Fußballklub war ein weiteres vereinsmäßiges Engagement nicht feststellbar. Aufgrund einer Verletzung hat der BF seit sechs Monaten auch nicht mehr Fußball gespielt.

Zu beachten ist, dass der BF eine Ausbildung macht; er besucht einen Lehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses. Jedoch besucht er diesen Lehrgang erst seit Oktober 2021 und ist auch nicht ersichtlich, dass er sich dadurch Kenntnisse aneignen wird, die ihm besondere Chancen am Arbeitsmarkt eröffnen werden. Ferner hat der BF trotz der Teilnahme an dem besagten Lehrgang auch noch keine Deutschkenntnisse erworben, die ihm den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern würden. Dass der BF trotz des Umstandes, dass der Unterricht im Rahmen des zuvor genannten Lehrganges durchgängig auf Deutsch gehalten wird (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S. 12) noch nicht besser Deutsch spricht, ist wohl durch die erst kurze Dauer des Lehrganges erklärbar. Ferner wird auch in einem Empfehlungsschreiben der Volkshochschule angemerkt, dass der BF noch zusätzlich einen Sprachkurs besucht, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern, woraus ebenfalls erschließbar ist, dass die Deutschkenntnisse des BF noch nicht jenes Niveau erreicht haben, die eine Kommunikation mit ihm leicht möglich macht.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die – hier nicht vorhandenen – Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

Insgesamt kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass der BF im Fall des Erhaltes eines Aufenthaltstitels mehr Engagement bei der Suche nach einer Arbeit oder dem Erwerb von Deutschkenntnissen, die ihm den Zugang zu einer Arbeitsstelle erleichtern würden, zeigen wird. Die vagen Vorstellungen von einer Arbeit bei einem Zustelldienst sind jedenfalls zu wenig als dass damit glaubhaft gemacht werden kann, der BF würde sich nachhaltig beruflich integrieren und so ein Einkommen erwirtschaften, mit dem er sich künftig selbst erhalten kann.

Der Umstand, dass der BF während seines Asylverfahrens in Österreich nach Schweden reiste, das seinen Angaben im Verfahren zufolge das eigentliche Ziel seiner Reise gewesen sei, verstärkt nur den Eindruck, dass der BF an einem Aufenthalt in Österreich bzw. einem Beitrag zum Gemeinwohl dieses Landes gar nicht interessiert ist. Vielmehr wecken die mangelnden Integrationsbemühungen doch den Verdacht, dass der BF einen Aufenthaltstitel aus Österreich vorwiegend für Reisebewegungen innerhalb des Schengenraumes nutzen würde.

Der BF legte ein Empfehlungsschreiben einer Frau XXXX vor, die für die XXXX Volkshochschule zeichnete und ausführte, dass die TrainerInnen den BF als bemüht wahrnehmen. Aufgrund der Angaben des BF ist auch davon auszugehen, dass er sich einen Freundeskreis aufgebaut hat und im Inland über normale soziale Kontakte verfügt. Er ist jedoch für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig und hat hier keine weiteren Verwandten. Dass zu seinen Verwandten in Schweden ein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis bestünde, ließ sich aus den Angaben des BF nicht ableiten.

Der BF verbrachte den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat, wurde dort sozialisiert und spricht die Amtssprache seiner Herkunftsregion, Kurdisch-Sorani, auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso war festzustellen, dass er dort über Bezugspersonen in Form von Familie und Angehörigen verfügt. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es dem BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Aufgrund der Präsenz von nahen Angehörigen im Herkunftsstaat ist, wie beweiswürdigend dargelegt, auch gegenwärtig von starken Bindungen zu diesen auszugehen, wobei eine Existenzgrundlage des BF bereits vorstehend bejaht wurde (siehe dazu die Ausführungen unter Punkt 2.8, vgl. VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296, zur Maßgeblichkeit der Bindungen zum Herkunftsstaat vgl. auch VwGH 22.02.2011, Zl. 2010/18/0323).

Soweit der BF über private Bindungen in Österreich verfügt, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der BF hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.

Es ist im Rahmen einer Gesamtschau zwar festzuhalten, dass eine raschere Erledigung des Asylverfahrens bei Vorhandensein entsprechender Ressourcen denkbar ist, dennoch ist im gegenständlichen Fall aufgrund des Vorbringens des BF, sowie ihrem Verhalten im Verfahren davon auszugehen, dass kein Sachverhalt vorliegt, welcher die zeitliche Komponente im Lichte der Erkenntnisse des VfGH B 950-954/10-08 bzw. B1565/10, in den Vordergrund treten ließe, dass aufgrund der Verfahrensdauer im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK von einem Überwiegen der privaten Interessen des BF auszugehen wäre (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. auch bei Vorliegen weitaus engeren Bindungen im Sinne des Art. 8 EMRK und einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

In diesem Zusammenhang ist noch einmal hervorzuheben, dass die langjährige Dauer des Aufenthaltes kaum genutzt wurde, um geeignete Integrationsschritte zu setzen und keine plausible Erklärung für das mangelnde Engagement bei Spracherwerb und der Suche nach einer Arbeitsstelle, zumindest dem Erwirken einer Zusage für den Fall des Erhaltes einer Aufenthaltsbewilligung, beigebracht wurde. Hervorgehoben sei auch noch, dass der BF in dieser Zeit auch keinerlei gemeinnützige Arbeiten verrichtete oder sonst zum Gemeinwohl dieser Gesellschaft beitrug.

Dem BF ist zugute zu halten, dass er in Österreich strafrechtlich unbescholten geblieben ist.

Der Rechtsposition des BF im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes, aber auch der öffentlichen Sicherheit gegenüber.

Auch wenn der BF über soziale Kontakte und mäßige Deutschkenntnisse verfügt, er seit Oktober 2021 einen Lehrgang zur Nachholung des Pflichtschulabschlusses besucht und er Fußball in einem Verein spielte, stehen dem die unberechtigte Asylantragstellung, die unrechtmäßige Einreise, der Umstand, dass dem BF jedenfalls nach Erhalt des angefochtenen Bescheides die Ungewissheit seines weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst sein musste, sowie die Vertretbarkeit des Eingriffes in die im Bundesgebiet vorhandenen Bindungen gegenüber. Besonders ins Gewicht fällt, dass der BF während seines sechseinhalbjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet, wie bereits angemerkt, kaum Schritte setzte, um seine Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen oder sich hinreichende Deutschkenntnisse anzueignen, die seinen Chancen am Arbeitsmarkt verbessern würden und er auch keinerlei gemeinnützige Arbeit verrichtete oder sonst zum Gemeinwohl beitrug.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes würde es ferner einen Wertungswiderspruch und eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Fremden, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, darstellen, zumal diese letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde). Dem Beschwerdeführer steht es ferner – wie bereits angesprochen – frei, sich um einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu bemühen und die dafür gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltstitel zu beantragen.

Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten anhand des Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie nach Maßgabe der im Sinne des § 9 BFA-VG angeführten Kriterien gelangt das Bundesverwaltungsgericht – wie bereits das belangte Bundesamt – zum Ergebnis, dass die individuellen Interessen des BF im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt sind, dass sie das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.

Der VwGH hat im Erkenntnis vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0149, in Bezug auf eine andere Konstellation, in welcher weitaus mehr Integrationsbemühungen des Revisionswerbers vorhanden gewesen sind, bereits klargestellt, es möge rechtspolitisch als Manko empfunden werden, dass der Gesetzgeber für derartige Fälle kein humanitäres Aufenthaltsrecht vorgesehen habe. Das könne aber nicht dazu führen, dass die – im Vergleich zum „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ nach § 56 AsylG – strengeren Voraussetzungen für die nach § 9 Abs. 3 BFA-VG vorzunehmende Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterlaufen werden (vgl. dazu, dass von § 56 AsylG 2005 jene Konstellationen erfasst sein sollen, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß § 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird, VwGH vom 26.06.2019, Ra 2019/21/0032, 0033 mwN).

3.2.4. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005:

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ist gemäß § 58 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. § 10 Abs. 1 AsylG 2005 sieht ferner vor, dass eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, wenn etwa – wie hier – der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird (Z. 3 leg. cit.) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Die Rückkehrentscheidung setzt daher eine vorangehende Klärung der Frage voraus, ob ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.

Im Ermittlungsverfahren sind keine Umstände zu Tage getreten, welche auf eine Verwirklichung der in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 alternativ genannten Tatbestände hindeuten würden, insbesondere wurde vom BF selbst nichts dahingehend dargetan. Dem BF ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

3.2.5. Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung:

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.

Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung im Übrigen richtig erkannt, dass eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu unterbleiben hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen.

3.2.6. Abschiebung:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat die bB mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs. 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs. 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs. 3).

Im gegenständlichen sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in gegenständlichen Beschwerden nicht schlüssig dargelegt und wurden bzw. werden hierzu bereits an entsprechend passenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses Ausführungen getätigt, welche die in § 50 Abs. 1 und 2 FPG erforderlichen Subsumtionen bereits vorwegnehmen.

Es kamen keine Umstände hervor, die im Abschiebungsfall zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden und wird auf die Ausführungen im Rahmen des subsidiären Schutzes verwiesen. Es kamen auch keine Umstände hervor, welche insbesondere beim Ausspruch betreffend die Abschiebung zu berücksichtigen gewesen wären.

3.2.7. Frist zur freiwilligen Ausreise:

Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen des BF und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerdeschrift getroffen.

Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

Der angefochtene Bescheid erweist sich ob der vorstehenden Ausführungen als rechtsrichtig, sodass die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, zum Refoulementschutz und zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des erstangefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.

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