Spruch
W128 2252063-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN über die Beschwerde von, XXXX , Erziehungsberechtigte der mj., XXXX , vertreten durch FORSTHUBER PARTNER Rechtsanwälte, 2500 Baden, Wiener Straße 80, gegen Spruchpunkt III des Bescheides der Bildungsdirektion für Wien vom 19.01.2022, Zl. 9131.103/0098-Präs3a1/2021, zu Recht:
A)
In Stattgebung der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wird Spruchpunkt III des bekämpften Bescheides gemäß § 13 Abs. 4 iVm § 22 Abs. 3 VwGVG ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 29.06.2021 zeigte die Erziehungsberechtigte die Teilnahme von XXXX (in der Folge als Kind bezeichnet) am häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2021/2022 an.
2. Mit dem gegenständlichen, nicht rechtskräftigen Bescheid wurde unter Spruchpunkt I die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht untersagt und mit Spruchpunkt II die Erziehungsberechtigte verpflichtet im Schuljahr 2021/22 für die Erfüllung der Schulpflicht des Kindes an einer Schule iSd § 5 SchPflG Sorge zu tragen. Mit Spruchpunkt III des bekämpften Bescheides wurde die aufschiebende Wirkung einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde ausgeschlossen. Begründend wird ausgeführt, dass der Anzeige keine Unterlagen beigefügt waren, und auch auf Aufforderung und einer Ladung keine vorgelegt worden seien, die geeignet gewesen wären, die ausreichende Sprachkompetenz des Kindes nachzuweisen. Die belangte Behörde habe daher davon ausgehen müssen, dass das Kind nur über ungenügende bzw. mangelhafte Kenntnisse der deutschen Unterrichtssprache iSd § 4 Abs. 2 lit. a SchUG verfüge und daher gemäß § 11 Abs. 2a SchPflG die Erfüllung der Schulpflicht durch häuslichen Unterricht nicht in Frage komme.
Zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung führte die belangte Behörde aus, dass ein großes öffentliches Interesse an der ausreichenden Beschulung entsprechend dem österreichischen Schulpflichtgesetz von Kindern mit dauerndem Aufenthalt in Österreich bestehe.
3. Mit Schriftsatz vom 25.01.2022 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre rechtsfreundliche Vertretung die verfahrensgegenständliche Beschwerde. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde aufgrund unzureichender oder verfehlter Ermittlungen davon ausgegangen sei, dass das Kind nur über ungenügende bzw. mangelhafte Kenntnisse der deutschen Unterrichtssprache verfüge. Vielmehr sei das Kind im vorgelegten Jahresabschlusszeugnis über die 2. Schulstufe der mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Rudolf-Steiner-Schule Wien in seiner Muttersprache Deutsch mit „Sehr gut“ beurteilt worden.
Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung würde für das Kind einen unverhältnismäßigen und nicht wiedergutzumachenden Nachteil darstellen, dem keine zwingenden öffentlichen Interessen gegenüberstünden.
4. Die gegenständliche Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wurde samt maßgeblichem Verwaltungsakt von der belangten Behörde am 24.02.2022 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Mit Beschwerdevorlage teilte die belangte Behörde mit, dass sie beabsichtige, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Am 29.06.2021 zeigte die Erziehungsberechtigte die Teilnahme des schulpflichtigen Kindes XXXX (in der Folge als Kind bezeichnet) am häuslichen Unterricht der Schulart Volksschule auf der 3. Schulstufe für das Schuljahr 2021/2022 an.
Am 02.07.2021 wiederholte die Beschwerdeführerin ihre Anzeige und reichte zu den bisherigen Unterlagen ein Jahresabschlusszeugnis des Schuljahres 2020/2021 des Kindes über die 2. Schulstufe der mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Rudolf-Steiner-Schule Wien nach, welches in sämtlichen Gegenständen die Beurteilung „Sehr gut“ enthält.
Der angezeigte häusliche Unterricht soll durch die erziehungsberechtigte Kindesmutter erfolgen. Diese ist Ziviltechnikerin der Architektur und hat ein Diplomstudium an der TU Wien abgeschlossen. Darüber hinaus ist sie geprüfte Tanzlehrerin.
Der geplante Unterricht soll in einer dem Kind entgegenkommenden Atmosphäre stattfinden und sich nach dem geltenden Lehrplan und der vorgesehenen Wochenstundenanzahl richten. Eine Abstimmung mit der bisherigen (Privat-)Schule sei vereinbart worden. Das soziale Lernen außerhalb des Familienverbandes soll mit Freunden und anderen Schulkindern bestehen bleiben und besonders gefördert werden.
2. Beweiswürdigung:
Die oben getroffenen Feststellungen resultieren aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Zu Spruchteil A):
3.2.1. § 13 VwGVG lautet:
„Aufschiebende Wirkung
§ 13. (1) Eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat aufschiebende Wirkung.
(2) Die Behörde kann die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen.
(3) Die Behörde kann Bescheide gemäß Abs. 2 von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt so geändert hat, dass seine neuerliche Beurteilung einen im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid zur Folge hätte.
(4) Die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 hat keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.
Gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 und Beschlüsse gemäß Abs. 1 und 2 auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.
3.2.2. Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich die Frage, ob die Bildungsdirektion für Wien zu Recht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ausgeschlossen hat.
Voraussetzung für den Ausschluss der einer Beschwerde grundsätzlich zukommenden aufschiebenden Wirkung ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine nachvollziehbare Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen der Verfahrensparteien, aus der sich ebenso nachvollziehbar ergibt, dass für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen wird, gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden bzw. gravierende Nachteile für eine Partei, die jene Nachteile deutlich überwiegen, die bei nicht verfügtem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde anderen Verfahrensparteien entstehen würden; das Bestehen öffentlicher Interessen am Vollzug der Maßnahme berechtigt hingegen nicht schon ohne Weiteres zur Annahme, dass eben diese Interessen auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen dringend gebieten (siehe VwGH vom 16.12.2020, Ra 2020/11/0207).
§ 13 Abs. 4 VwGVG 2014 steht auch der Berücksichtigung jener für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung maßgeblichen Umstände nicht entgegen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde gegeben waren, die aber nicht Eingang in die Begründung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheids gefunden hatten. Dem Verwaltungsgericht ist es daher bei der nach § 13 Abs. 4 letzter Satz VwGVG 2014 unverzüglich zu treffenden Entscheidung nicht verwehrt, seine Feststellungen und die vorzunehmende Abwägung auf den gesamten Inhalt des Verfahrensaktes und das Beschwerdevorbringen zu stützen. Selbst im Fall einer gegebenenfalls mangelhaften Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung hat sich das Verwaltungsgericht nicht etwa darauf zu beschränken, diese Entscheidung ersatzlos zu beheben, vielmehr hat es das Vorliegen der Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 13 Abs. 4 bzw. § 22 VwGVG 2014 eigenständig zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen. Bei der von ihm vorzunehmenden Entscheidung über die Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, die auf dem Boden der im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sach- und Rechtslage zu treffen ist, darf das Verwaltungsgericht regelmäßig von den nicht von vornherein als unzutreffend erkennbaren Annahmen der belangten Behörde ausgehen (siehe ebenso VwGH vom 16.12.2020, Ra 2020/11/0207).
Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde davon aus, dass ein großes öffentliches Interesse an der ausreichenden Beschulung entsprechend dem österreichischen Schulpflichtgesetz von Kindern mit dauerndem Aufenthalt in Österreich besteht (siehe VwGH 04.05.2020, Ra 2020/10/0047, mit Hinweis auf 04.09.2012, AW 2012/10/0046 und den dortigen Nachweisen).
3.2.3. Im gegenständlichen Fall begründete die belangte Behörde den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung damit, dass ein großes öffentliches Interesse an der ausreichenden Beschulung entsprechend dem österreichischen Schulpflichtgesetz von Kindern mit dauerndem Aufenthalt in Österreich bestehe.
Unter einer ausreichenden Beschulung ist eine der Aufgabe der österreichischen Schule gemäß § 2 Abs. 1 SchOG entsprechende zu verstehen. An der Erreichung der Aufgaben iSd § 2 SchOG gegenüber Schulpflichtigen besteht ein zwingendes öffentliches Interesse (siehe VwGH vom 27.09.1982, 82/10/0127).
Ein Übertritt in eine öffentliche Schule während des laufenden Schuljahres, der mit erheblichem psychischen Stress und einer großen psychologischen Belastung verbunden wäre, stellt nach der bisherigen Rechtsprechung des VwGH dann keinen unverhältnismäßigen Nachteil dar, wenn eine ausreichende Beschulung nicht sichergestellt ist (vgl. VwGH vom 09.08.2010, AW 2010/10/0025).
Dies ist gegenständlich nicht der Fall.
Das Bundesverwaltungsgericht sieht es demzufolge als unverhältnismäßig an, wenn im Ergebnis das öffentliche Interesse an der ausreichenden Beschulung des Kindes an einer öffentlichen Schule stärker gewichtet wird, als das Interesse des Kindes, das durch seine Mutter in einer seiner Persönlichkeitsstruktur entgegenkommender Atmosphäre nach den Vorgaben des entsprechenden Lehrplanes unterrichtet wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der häusliche Unterricht bereits am 29.06.2021 von der Beschwerdeführerin angezeigt wurde und von der belangten Behörde erst am 19.01.2022 (somit 2 ½ Wochen vor dem Ende des ersten Semesters) untersagt wurde.
Die Beschwerde betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erweist sich daher als begründet.
3.2.4. Mit der gegenständlichen Entscheidung über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde wird die Entscheidung über die Teilnahme an häuslichem Unterricht gemäß § 11 SchPflG nicht vorweggenommen. Auf die Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Hauptsache kommt es im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dem Wortlaut zufolge nicht an (vgl. VwGH vom 11.04.2011, AW 2011/17/0005). Eine Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde wird unter Berücksichtigung des diesbezüglichen Beschwerdevorbringens und allenfalls vorzunehmender ergänzender Ermittlungen zu erlassen sein. Insbesondere ist dabei auf § 13 Abs. 1 und § 14 Abs. 2 Privatschulgesetz, BGBl. Nr. 244/1962, idgF hinzuweisen.
3.2.5. Eine mündliche Verhandlung konnte entfallen, da das Bundesverwaltungsgericht nach der Regelung des § 13 Abs. 4 VwGVG verpflichtet ist, über die Beschwerde „ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden“, was impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049). Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (vgl. VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils m.w.N.).
3.3. Zu Spruchpunkt B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen – unter Punkt 3.2. dargestellten – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Schließlich liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.