JudikaturBFG

RV/7101233/2025 – BFG Entscheidung

Entscheidung
Steuerrecht
01. Juli 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Corinna Engenhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Schabetsberger Steuerberatung GmbH, Fischerstiege 9, 1010 Wien, über die Beschwerde vom 17. Februar 2025 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 28. November 2024 betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Abhaltung einer mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Tanja Zinkl zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 12. April 2022 stattgegeben wird und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide vom 20. Dezember 2021 betreffend die Jahre 2014 bis 2016 bewilligt wird.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schriftsatz vom 12. April 2022 beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Einkommensteuerbescheide vom 20. Dezember 2021 für die Jahre 2014 bis 2016.

Begründend führte der Beschwerdeführer aus, es sei ihm aufgrund einer akuten psychischen Erkrankung nicht möglich gewesen, die ihm mittels FinanzOnline zugestellten Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2014 bis 2016 fristgerecht abzurufen. Sein Lebensgefährte sei im Jahr 2016 ermordet worden. Seitdem leide der Beschwerdeführer unter Depressionen, welche sich durch die pandemiebedingte Isolation verstärkt und im Februar 2022 in einem Selbstmordversuch gegipfelt hätten. Diese Verkettung an Schicksalsschlägen stelle ein unabwendbares Ereignis iSd § 308 Abs. 1 BAO dar. Bezüglich der Rechtzeitigkeit des Antrags legte der Beschwerdeführer einen Patientenbrief betreffend den stationären Aufenthalt in der ***österreichische Klinik*** in Folge des Selbstmordversuches bei. Mit seiner Entlassung am 28. Februar 2022 sei das unabwendbare Ereignis weggefallen. Dem Antrag war weiters ein ***Zeitungsartikel*** betreffend den Auftragsmord am ehemaligen Lebensgefährten des Beschwerdeführers beigelegt.

In fristgerechter Beantwortung eines Mängelbehebungsauftrages vom 8. Mai 2024 ergänzte der Beschwerdeführer seinen Antrag dahingehend, dass es sich bei der versäumten Frist, in die Wiedereinsetzung begehrt werde, um die Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2014 bis 2016 vom 20. Dezember 2021 handle. Es liege hinsichtlich der Fristversäumung kein grobes Verschulden vor, da der Beschwerdeführer die Frist aufgrund einer akuten psychischen Beeinträchtigung, die schließlich zu einem Selbstmordversuch führte, nicht habe wahrnehmen können. Der rechtskraftdurchbrechende Verfahrenstitel, auf den sich der Antrag stütze, sei die der belangten Behörde ebenfalls am 12. April 2022 übermittelte Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2014 bis 2016 vom 20. Dezember 2021. Diese mit 12. April 2022 datierte Beschwerde ist der Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages auch beigefügt.

Mit Ergänzungsersuchen vom 27. August 2024 forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf, Nachweise (Krankmeldungen, Fachärztliche Befunde und Gutachten, Arztschreiben und Medikationspläne) betreffend seine vorgebrachte psychische Erkrankung vorzulegen.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2024 legte der Beschwerdeführer einen Arztbrief ("Resumen Medico") von ***Arzt*** vom 26. September 2024 vor. Dieses war in Spanisch verfasst und trug den Briefkopf des Gesundheitsministeriums von Kuba ("Ministerio de Salud Publica"). Der Beschwerdeführer führte diesbezüglich aus, dass er bis 2020 auf Kuba gelebt habe und sich daher auch sein behandelnder Arzt auf Kuba befunden habe, weshalb das Arztschreiben auf Spanisch verfasst sei. Aus diesem Schreiben gehe hervor, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2016 an Depressionen, die sich schrittweise verstärkt hätten, gelitten habe und er zu Beginn des Jahre 2022 stationär aufgenommen worden sei. Er hätte im Februar 2022 aufgrund seines labilen psychischen Zustandes eigentlich in das Krankenhaus auf Kuba zurückkehren sollen und habe dann einen Selbstmordversuch in Österreich verübt. Dem Schreiben sind weiters eine Übersetzung des Arztbriefes ins Deutsche von ***Ehemann***, dem Ehemann des Beschwerdeführers, sowie der Entlassungsbrief der ***österreichische Klinik*** vom 28. Februar 2022 beigelegt.

Mit Bescheid vom 28. November 2024 wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer trotz seiner psychischen Erkrankung in der Lage gewesen sei, im Dezember 2021 von Österreich nach Kuba zu reisen und ihm auch die anschließende Weiterreise nach Panama sowie die Rückkehr nach Österreich im Februar 2022 offenbar zuzumuten gewesen sei. Da der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum habe reisen können, wäre es ihm zweifellos auch möglich gewesen, innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat die betreffenden Einkommensteuerbescheide in FinanzOnline abzurufen und zumindest einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdefrist einzubringen oder jemanden hierzu zu bevollmächtigen.

Aus einer Erkrankung als solcher könne noch nicht auf die völlige Dispositionsunfähigkeit geschlossen werden (unter Hinweis auf VwGH vom 30. April 2003, 2002/16/0119). Sie zähle nur, wenn sie plötzlich und in einem Maß auftrete, dass die Partei nicht mehr im Stande sei, nach den Umständen des Falles zu handeln. Dies läge vor allem dann nicht vor, wenn die Partei etwa durch einen Telefonanruf das Ereignis abwenden könne (unter Hinweise auf VwGH vom 29. Mai 1985, 84/13/0028). Eine die Dispositionsfähigkeit ausschließende Krankheit bzw. eine Dispositionsunfähigkeit, die so plötzlich und so schwer aufgetreten sei, dass der erkrankte Beschwerdeführer nicht mehr in der Lage gewesen sei, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen, könne im gegenständlichen Fall nicht festgestellt werden. Daher komme dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Vorliegens eines unvorhergesehenen bzw. unabwendbaren Ereignisses keine Berechtigung zu.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer binnen verlängerter Frist am 17. Februar 2025 Beschwerde und beantragte diese ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen. Weiters beantragte der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass aus dem vorgelegten Patientenbrief des behandelnden Arztes das Vorliegen der Dispositionsunfähigkeit klar hervorgehe. Der geschilderte, durch akute körperliche sowie psychische Beschwerden (Durchfall, nicht ansprechbar, Suizidrisiko) geprägte Zustand des Beschwerdeführers lasse eindeutig auf das Nichtvorliegen der Dispositionsfähigkeit schließen. Außerdem liege entgegen der Annahme der belangten Behörde kein Konnex zwischen der Reisebewegung und der Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers vor. Aus dem Arztbrief gehe hervor, dass der Beschwerdeführer nicht allein gereist sei, sondern von seinem Lebensgefährten geleitet worden sei und die Reisebewegung somit nicht eigenständig von ihm bewerkstelligt worden sei. Der Beschwerdeführer habe zudem als ehemaliger Flugbegleiter ein anderes Verhältnis zu Flügen als der durchschnittliche Steuerpflichtige. Aus der Verbringung des Beschwerdeführers durch dessen Lebensgefährten könne daher nicht abgeleitet werden, dass er im Stande gewesen sei, Handlungen zur Wahrung seiner abgabenrechtlichen Interessen zu setzen oder jemand hierzu zu bevollmächtigen. Die belangte Behörde verkenne überdies, dass der bis heute andauernden psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers im Zeitraum vom 31. Dezember 2021 bis zum 28. Februar 2022 eine akute psychische Erkrankung hinzutrat. Die Entlassung des Beschwerdeführers aus der ***österreichische Klinik*** am 28. Februar 2022 stellt den Tag des Wegfalls dieser kurzfristigen und schwerwiegenden Erkrankung dar.

Mit Vorlagebericht vom 21. April 2025 wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht - ohne vorherige Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung - vorgelegt.

Im Rahmen der antragsgemäß am 18. Juni 2025 durchgeführten mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Oktober und November 2021 als Nachlassverwalter seines verstorbenen Lebensgefährten mit der Aufarbeitung und Verwaltung dessen Nachlasses beschäftigt gewesen sei, was mit Reisetätigkeiten nach Afrika verbunden gewesen sei. Im Zuge der Nachlassverwaltertung sei sein Leben mehrfach bedroht worden. Dies habe zu einer Verschlechterung seines psychischen Zustandes geführt. Sein Cousin, ein Psychiater, habe ihn daraufhin "einweisen lassen" wollen. Aus mehreren Gründen (weil der den Beschwerdeführer behandelnde und ihm vertraute Arzt auf Kuba war, dort ein besseres Klima herrschte und dort auch die Hunde des Beschwerdeführers anwesend waren) entschieden der damalige Lebensgefährte ***ehemaliger Lebensgefährte*** (der ausschließlich spanisch sprechen konnte) sowie der damalige Freund (und jetziger Ehegatte) des Beschwerdeführers, ***Ehemann***, dass der Beschwerdeführer auf Kuba behandelt werden solle. Die Reise nach Kuba (über Istanbul) wurde vom ehemaligen Lebensgefährten des Beschwerdeführers für ihn organisiert. Seine psychische Verfassung sei zu diesem Zeitpunkt derart angegriffen gewesen, dass er seine Bauchtasche mit Geld und Flugtickets in Istanbul im Taxi (kurzzeitig) verloren habe. Am 31. Dezember 2021 sei der Beschwerdeführer in Kuba eingetroffen, wo sich ab dem 1. Jänner 2022 sein kubanischer Arzt um ihn gekümmert habe. Er sei tageweise in der dortigen Klinik untergebracht gewesen. Die anderen Tage habe er unter permanenter Beobachtung einer Krankenschwester zu Hause verbracht. Aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit für Ausländer, sich auf Kuba medizinisch versorgen zu lassen, wurde dieses Arrangement gewählt. Der Beschwerdeführer könne sich kaum an diesen Zeitraum (Jänner 2022) erinnern.

Am 15. Februar 2022 habe der Beschwerdeführer seinen damaligen Lebensgefährten ***ehemaliger Lebensgefährte*** nach Panama begleitet, der dort für ihn Medikamente, die in Kuba nicht vorrätig gewesen seien, besorgt habe. Nach einem Streit mit ***ehemaliger Lebensgefährte*** sei der Beschwerdeführer, als dieser kurz nicht anwesend gewesen sei, einem spontanen Impuls folgend mit datumlosen Flugtickets, die ihm sein jetziger Ehemann ***Ehemann*** besorgt habe, nach Europa geflogen.

Der Vertreter der belangten Behörde führte aus, dass die belangte Behörde weiterhin davon ausgehe, dass die Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers gegeben gewesen sei, kein gegenteiliges fachärztliches Gutachten vorliege und auch die Reisetätigkeit gegen eine Dispositionsunfähigkeit spreche.

Der Beschwerdeführer entgegnete, Fliegen sei für ihn eine Routinesache und er wisse auch aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit, dass man eine Begleitperson zu Verfügung gestellt bekomme bzw. generell Hilfestellung erhalte, wenn man nicht ohne Hilfe alleine fliegen könne. Sein steuerlicher Vertreter ergänzte, dass die Dispositionsunfähigkeit jedenfalls am letzten Tag der Beschwerdefrist gegeben gewesen sei. Es lägen zudem ärztliche Gutachten vor (Arztbriefe des kubanischen Arztes sowie der ***österreichische Klinik***). Durch das Vorbringen des Beschwerdeführers und die Einvernahme seines Ehemannes sei die damalige Dispositionsunfähigkeit ebenfalls nachgewiesen worden.

Der Vertreter der belangten Behörde verwies abschließend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach weder bei Depressionen noch bei Bettlägerigkeit und angeordneter Schonung eine Dispositionsunfähigkeit vorliegen würde. Zudem werde im Entlassungsbrief der ***österreichische Klinik*** ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht auffällig sei und auch keine suizidalen Gedanken habe.

Der Beschwerdeführer führt abschließend aus, dass er nicht damit gerechnet habe, einen Bescheid der österreichischen Finanzverwaltung zu erhalten.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2014 bis 2016 vom 20. Dezember 2021 wurden dem Beschwerdeführer am gleichen Tag in seine FinanzOnline-Databox zugestellt. Bis zum Ablauf des 20. Jänners 2022 erhob der Beschwerdeführer keine Beschwerde gegen diese Bescheide und stellte auch keinen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdefrist.

Erst gleichzeitig mit dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag erhob der Beschwerdeführer am 12. April 2022 Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide.

Der Beschwerdeführer litt seit der Ermordung seines ehemaligen Lebensgefährten ***ermordeterLebensgefährte*** im Senegal im Jahr 2016 an Depressionen. Das durch diesen Mord ausgelöste Trauma verursachte ein Burnout-Syndrom (Ermüdungs- und Paranoia-Syndrom), das mit Antidepressiva und Anxiolytika (Medikament zur Linderung von Angstzuständen) behandelt wurde. Die Behandlung erfolgte, da der Beschwerdeführer zu dieser Zeit auf Kuba ansässig war, in einer dortigen Klinik. Zunächst wurde der Beschwerdeführer wöchentlich, danach monatlich behandelt.

Im Jahr 2017 starb der damalige Lebensgefährte des Beschwerdeführers an Krebs (Hodgkin-Lymphom und HIV). Dieser Todesfall verursachte hinsichtlich der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers einen schweren Rückfall. Der Beschwerdeführer wurde wiederum (teilweise stationär) in der Klinik auf Kuba behandelt. Seitdem war der Beschwerdeführer dort in regelmäßiger Behandlung. Nachdem der Beschwerdeführer Kuba im März 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie verließ und zeitweilig nach Österreich zurückkehrte, wurde diese Behandlung telefonisch fortgesetzt.

Im Oktober und November 2022 war der Beschwerdeführer mit der Verwaltung des Nachlasses seines im Jahr 2016 ermordeten Lebensgefährten in Afrika betraut. Dabei wurde das Leben des Beschwerdeführers selbst mehrfach bedroht. Diese Situation war der Auslöser, dass sich der psychische Zustand des Beschwerdeführers stark verschlechterte.

Die Entscheidung, die diesbezügliche Behandlung in der kubanischen Klinik durchzuführen bzw. weiterzuführen, wurde unter anderem deswegen getroffen, weil dort der den Beschwerdeführer bisher behandelnde und ihm vertraute Arzt praktizierte und den Beschwerdeführer dort auch sein damaliger Lebensgefährte, der ausschließlich spanisch sprechen konnte, bei seiner Behandlung unterstützen konnte. Nachdem der Beschwerdeführer mit 31. Dezember 2021 bzw. 1. Jänner 2022 in die kubanische Klinik gebracht worden war, wurde bei ihm ein stark erhöhtes Suizidrisiko festgestellt. Der Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt fast nicht ansprechbar. Er verhielt sich nicht kooperativ, war vollkommen unkonzentriert und befand sich aufgrund von ständigen, heftigen Durchfällen auch körperlich in einem desolaten Zustand. Er war im Zeitraum des Jänners 2022 tageweise stationär in der kubanischen Klinik untergebracht. Die anderen Tage verbrachte er in seinem Wohnsitz auf Kuba, allerdings unter ständiger Beobachtung einer Krankenschwester. Der Beschwerdeführer selbst hat kaum Erinnerungen an diesen Zeitraum.

Am 15. Februar 2022 begleitete der Beschwerdeführer seinen damaligen Lebensgefährten nach Panama, wo dieser in Kuba nicht vorrätige Medikamente für den Beschwerdeführer besorgen wollte. Nach einem Streit reiste der Beschwerdeführer alleine nach Österreich weiter. Am 27. Februar 2022 wurde der Beschwerdeführer nach einem Suizidversuch mit einer Überdosis Schlaftabletten in die ***österreichische Klinik*** stationär aufgenommen. Diagnostiziert wurde eine Benzodiazepin-Intoxikation sowie eine rezidivierende depressive Störung. Am 28. Februar 2022 wurde der Beschwerdeführer entlassen.

Für das Bundesfinanzgericht stellt die akute Verschlechterung der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers, von der er jedenfalls im Jänner des Jahres 2022 betroffen war, ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Das Bundesfinanzgericht geht weiters davon aus, dass die Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers dadurch derart eingeschränkt war, dass er weder selbst in der Lage war, Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2014 bis 2016 zu erheben noch diesbezüglich Dispositionen zu treffen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf den vorgelegten Verwaltungsakt und die Vorbringen der Parteien im Rahmen der vor dem Bundesfinanzgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2025.

Die Krankheitsgeschichte und insbesondere der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers im Jänner des Jahres 2022 ergibt sich aus dem vorgelegten Arztbrief vom 26. September 2024 und dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Tatsache, dass die Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers in diesem Zeitraum stark eingeschränkt war, ergibt sich aus der Schilderung seines Gesundheitszustandes im Arztbrief (kaum ansprechbar, vollkommen unkonzentriert, nicht kooperativ, auch körperlich aufgrund des ständigen Durchfalls in einem desolaten Zustand). Es erscheint dem Bundesfinanzgericht nicht denkbar, dass der Beschwerdeführer in diesem geschilderten Zustand - selbst wenn er Kenntnis von der Zustellung der Einkommensteuerbescheide gehabt hätte - auf diese entsprechend (durch Erhebung einer Beschwerde) hätte reagieren können oder ein solches Handeln hätte veranlassen können. Diese Annahme wird dadurch gestärkt, dass auch der Beschwerdeführer selbst kaum Erinnerungen an diesen Zeitraum hat und sein damaliger Zustand offensichtlich seine ständige Beobachtung (in der Klinik oder durch eine Krankenschwester bei ihm zu Hause) erforderlich machte. Die Schwere dieser akuten Situation kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass nicht nur bereits in der Klinik auf Kuba ein hohes Suizidrisiko beim Beschwerdeführer festgestellt wurde, sondern sich dieses Risiko auch schlussendlich beim Suizidversuch in Österreich am 27. Februar 2022 verwirklichte.

Soweit die belangte Behörde ausführt, die Reisebewegungen des Beschwerdeführers würden gegen das Vorliegen einer Dispositionsunfähigkeit sprechen, ist einerseits darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer als ehemaliger Flugbegleiter einen wesentlich niederschwelligeren Zugang zum Fliegen an sich hat und Flugreisen daher für ihn weitaus mehr der Routine entsprechen als für andere. Zudem hat er diese Reisen nicht alleine angetreten, sondern war in Begleitung bzw. unter der Anleitung seines ehemaligen Lebensgefährten. Hinsichtlich der Reise von Panama nach Europa, die er ohne seinen Lebensgefährten angetreten hat, hat er in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass aufgrund seiner beruflichen Erfahrung gewusst habe, wie er sich diesbezüglich Unterstützung und Hilfe am Flughafen organisieren konnte.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Reisebewegungen (gegen Ende Dezember 2021 und im Februar 2022) eine Dispositionsfähigkeit zu diesen jeweiligen Zeitpunkten voraussetzen würden, kann damit der vom Bundesfinanzgericht für den Zeitraum Jänner 2022 festgestellten weitgehenden Dispositionsunfähigkeit nicht entgegengetreten werden.

Dass im Entlassungsbrief der ***österreichische Klinik*** ausgeführt werde, dass der Patient zum derzeitigen Zeitpunkt (28. Februar 2022) keine Selbstmordgedanken hege und in stabilem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werde, steht dem Umstand, dass davor eine akute psychische Erkrankung (die sich unter anderem durch einen dokumentierten Selbstmordversuch manifestiert hat) bestanden hat und die Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers eingeschränkt hat, nicht entgegen. Im Übrigen wird auch im Antrag auf Wiedereinsetzung selbst ausgeführt, dass das Hindernis im Sinne des § 308 BAO (spätestens) in diesem Zeitpunkt weggefallen ist.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe und Abänderung)

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Gemäß § 308 Abs. 3 BAO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war, eingebracht werden. Der Antragsteller hat spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen.

"Versäumt" ist eine Frist, wenn sie zu laufen begonnen hat und ungenutzt verstrichen ist (vgl. VwGH vom 18.9.2020, Ra 2019/08/0142, zu § 46 VwGG). Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer, dem die Einkommensteuerbescheide betreffend die Jahre 2014 bis 2016 am 20. Dezember 2021 über FinanzOnline zugestellt wurden, die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen diese Bescheide versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erlitten, indem er bis zum Ablauf des 20. Jänner 2022 keine Beschwerde erhoben hat bzw. auch keinen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdefrist gestellt hat.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags entscheidend, dass die Frist, innerhalb der die jeweilige Handlung vorzunehmen gewesen wäre, auch tatsächlich versäumt wurde, weil bei noch offener Frist ohnehin die Möglichkeit besteht bzw bestanden hätte, die Prozesshandlung rechtzeitig vorzunehmen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 98 zu den diesbezüglichen parallelen Bestimmungen der §§ 71 und 72 AVG mwN sowie VwGH vom 21. Mai 1992, 92/09/0009; Stoll, BAO III 2978). Die für die Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrags maßgebliche Frist beginnt daher jedenfalls so lange nicht zu laufen, als die prozessuale Frist im Verfahren, in das die Wiedereinsetzung begehrt wird, noch offen ist (vgl. VwGH vom 21. Mai 1992, 92/09/0009, zu § 71 AVG).

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass die dreimonatige Frist des § 308 Abs. 3 BAO frühestens mit Ablauf des 20. Jänner 2022 zu laufen beginnen konnte und der Antrag auf Wiedereinsetzung am 12. April 2022 - unabhängig davon, zu welchen Zeitpunkt man ein Wegfallen des (allfälligen) Hindernisses annimmt - jedenfalls rechtzeitig erhoben wurde.

Im gegenständlichen Fall ist daher nicht strittig, dass der Beschwerdeführer einerseits durch die Versäumung einer Frist einen Rechtsnachteil erlitten hat und andererseits den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig und unter gleichzeitiger Vornahme der versäumten Handlung (Erhebung der Beschwerde) gestellt hat.

Strittig ist hingegen, ob der Beschwerdeführer durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und ob ihn an diesem Versäumnis ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft.

Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er aufgrund einer akuten psychischen Erkrankung daran gehindert war, durch Einsichtnahme in seinen FinanzOnline-Account von den Einkommensteuerbescheiden betreffend die Jahre 2014 bis 2016 Kenntnis zu erlangen und dagegen fristgerecht Beschwerde zu erheben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfüllt eine krankheitsbedingte Säumnis die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann, wenn die Krankheit zu einer Dispositionsunfähigkeit des Betroffenen geführt oder die Dispositionsfähigkeit so stark beeinträchtigt hat, dass das Unterlassen der fristwahrenden Handlung als auf einem Versehen bloß minderen Grades beruhend zu beurteilen ist (vgl. VwGH vom 18. September 2019, Ra 2019/02/0165, mwN).

Eine die Dispositionsfähigkeit völlig ausschließende Krankheit liegt dann vor, wenn jemand außerstande ist, als notwendig erkannte Handlungen fristgerecht zu setzen (vgl. VwGH vom 16. Februar 1994, 90/13/0004). Wie auch die belangte Behörde ausführt, kann aus einer Erkrankung als solcher noch nicht auf die völlige Dispositionsunfähigkeit geschlossen werden (vgl. VwGH vom 30. April 2003, 2002/16/0119). Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt zudem nur vor, wenn die Partei auch daran gehindert war, der Fristversäumung durch andere geeignete Dispositionen - im Besonderen durch Beauftragung eines Vertreters - entgegenzuwirken (vgl. VwGH vom 29. Jänner 2018, Ra 2017/04/0133, mwN).

Das Ereignis muss vor Ablauf der versäumten Frist eingetreten sein (vgl. VwGH vom 23. Juni 2008, 2008/05/0122). Auch ein erst am letzten Tag der Frist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann das Recht auf Wiedereinsetzung begründen (vgl. VwGH vom 12. September 2002, 2002/20/0434). Die Rechtsmittelfrist steht der Partei uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick zur Verfügung. Sie darf in ihrem Recht, die befristete Handlung erst am letzten Tag der Frist vorzunehmen, nicht verkürzt werden. Es ist ausschließlich in ihrem Belieben gelegen, wann sie innerhalb der ihr gesetzten Frist von einem Rechtsmittel Gebrauch machen will. Hat also eine Partei - aus welchem Grund auch immer - die ihr zustehende Frist bis zum Ende ausnutzen wollen und war sie noch innerhalb dieser Frist durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert, so steht ihr das Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 Rz 36 mwN).

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass aufgrund der psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers jedenfalls am letzten Tag der Beschwerdefrist (somit am 20. Jänner 2022) eine hinreichende Dispositionsunfähigkeit des Beschwerdeführers vorgelegen sein musste, damit seine krankheitsbedingte Säumnis die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt.

Wie in den Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung dargelegt, war der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes im gesamten Jänner 2022 durch seine Erkrankung in seiner Dispositionsfähigkeit derart eingeschränkt, dass er weder durch Einsichtnahme in seinen FinanzOnline-Account von der Zustellung der betreffenden Einkommensteuerbescheide Kenntnis erlangen noch Beschwerde gegen diese erheben (oder eine diesbezügliche Fristverlängerung beantragen) konnte noch bzw. dies veranlassen konnte.

Ein Verschulden hinsichtlich der krankheitsbedingten Säumnis könnte allenfalls darin gesehen werden, dass der Beschwerdeführer, obwohl er seit Jahren an einer psychischen Erkrankung leidet, keine Dispositionen (etwa durch Bestellung eines steuerlichen Vertreters mit Zustellvollmacht) für allfällige plötzliche Verschlechterungen seines Zustandes, die zur Einschränkung seiner Dispositionsfähigkeit führen könnten, getroffen hat. Vor dem Hintergrund, dass die Entwicklung des psychischen Gesundheitszustandes (und die Notwendigkeit einer solchen Disposition) im Vorfeld jedoch schwer absehbar ist und der Beschwerdeführer anderseits - wie er selbst ausführte - nicht damit rechnete, Bescheide der österreichischen Finanzverwaltung zu erhalten, kann dies allenfalls als ein für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unschädlicher minderer Grad des Versehens betrachtet werden.

Da nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO erfüllt waren, war der angefochtene Bescheid - in Stattgabe der Beschwerde - dahingehend abzuändern, dass dem entsprechenden beschwerdegegenständlichen Antrag stattgegeben und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt wird.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die beschwerdegegenständliche Frage, ob die akute psychische Erkrankung, auf die der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Wiedereinsetzung stützt, seine Dispositionsfähigkeit derart einschränkt hat, dass er dadurch verhindert war, fristgerecht Beschwerde zu erheben und somit nach der angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen des § 308 BAO erfüllt sind, war eine im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffende Frage hinsichtlich der Feststellung des Sachverhaltes. Eine solche über den Einzelfall nicht hinausgehende Beurteilung ist nicht revisibel.

Es liegt daher keine Rechtsfrage vor, der eine grundsätzliche Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG zukommt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Wien, am 1. Juli 2025