Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Magistrat der Stadt Wien - Magistratsabteilung 11 - Amt für Jugend und Familie, Gasgasse 8-10, Stiege 1/3.Stock, 1150 Wien, über die Beschwerde vom 29. Juli 2024, eingelangt am 31. Juli 2024, gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 23. Juli 2024 betreffend die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Mai 2023 bis Juli 2024, Sozialversicherungsnummer ***SVNr***, zu Recht:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Mit Bescheid vom 23.07.2024 forderte die belangte Behörde die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für den minderjährigen Beschwerdeführer für den Zeitraum Mai 2023 bis Juli 2024 zurück. Gem § 6 Abs 5 FLAG 1967 bestehe ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe für ein fremduntergebrachtes Kind, sofern ein regelmäßiger Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten eines Kindes vorliege. Da keine regelmäßigen Kostenbeiträge der Eltern geleistet würden, stehe die Familienbeihilfe (Eigenanspruch) nicht zu.
In der rechtzeitig erhobenen Beschwerde vom 29.07.2024, beim Finanzamt eingelangt am 31.07.2024, wurde vorgebracht, dass der Vater zu einem monatlichen Betrag iHv 10 Euro verpflichtet sei und seiner Unterhaltspflicht regelmäßig nachkomme. Er zahle immer einige Monate auf einmal.
Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 09.08.2024 als unbegründet abgewiesen. Da der Kindesvater in unregelmäßigen Abständen die Kostenbeiträge für mehrere Monate gleichzeitig leiste, liege keine Regelmäßigkeit der Zahlungen vor. Der zumindest vorläufigen gänzlichen Kostentragungspflicht der Stadt Wien könne durch die nicht regelmäßig entrichteten Minibeträge nicht entgegnet werden, dass der Unterhalt des Kindes nicht mehr als "zur Gänze" durch die öffentliche Hand getragen anzusehen sein soll.
Mit Schreiben vom 09.09.2024 (eingelangt beim Finanzamt Österreich am 10.09.2024) beantragte die Vertretung des Beschwerdeführers die Entscheidung über die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen. In der zitierten Gesetzesstelle (§ 6 Abs. 5 FLAG) sei eine regelmäßige, oder gar monatliche Zahlung als Anspruchsvoraussetzung nicht angeführt. Im "Erlass" des BKA/AbtVI/1, Stand März 2021, (Anmerkung BFG: gemeint sind offenbar die Ausführungen auf der FLAG-Plattform, die als für die Finanzverwaltung zu beachtende Richtlinien gelten, um eine bundesweit möglichst einheitliche Vollziehung herbeizuführen) werde zudem explizit ausgeführt, dass der Gesetzgeber keine Mindestbeträge im Hinblick auf die Höhe des Beitrages vorgebe. Zudem sollten die Beiträge zwar nicht zwingend monatlich, jedoch in wiederkehrenden Abständen erfolgen. Ein solcher Beitrag zu den Unterhaltskosten liege daher jedenfalls vor und seien daher die Anspruchsvoraussetzungen für den Eigenanspruch gegeben.
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Zahlungen des Kindesvaters (im August 2023 iHv 40 Euro, im Jänner 2024 iHv 20 Euro, im März 2024 iHv 50 Euro, im Juni 2024 iHv 20 Euro sowie im September 2024 iHv 25 Euro) einen (nicht überwiegenden) Beitrag zum Unterhalt des Kindes iSd § 6 Abs 5 FLAG 1967 darstellen und somit die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Eigenanspruch des Beschwerdeführers betreffend Familienbeihilfe für den Zeitraum Mai 2023 bis Juli 2024 erfüllt sind.
Der in Wien wohnhafte minderjährige Beschwerdeführer ist ukrainischer Staatsbürger.
Die Mutter ***KM***, geb. ***1***, und der Vater ***KV***, geb. ***2***, des minderjährigen Beschwerdeführers sind beide in Wien wohnhaft.
Die Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien wurde laut Vereinbarung der vollen Erziehung vom 03.05.2023 zur Gänze mit der Pflege und Erziehung des Beschwerdeführers und dessen drei Geschwister betraut.
Mit Schreiben vom 04.05.2023 wurde der Übergang der Unterhaltsansprüche des minderjährigen Beschwerdeführers auf die Stadt Wien bei der belangten Behörde angezeigt.
Mit Vereinbarung vom 23.05.2023 (beurkundet am 25.05.2023) über den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung gem § 42 Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013 - B-KJHG 2013 verpflichtete sich die unterhaltspflichtige Person ***KV*** (Kindesvater) der Stadt Wien bis auf weiteres, längstens bis zur Beendigung der vollen Erziehung ab 01.05.2023 einen Unterhaltsbetrag von monatlich 10 Euro bei sonstiger Exekution zu zahlen. Die bereits fälligen Unterhaltsbeträge waren binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeträge am Ersten eines jeden Monats im Voraus zu zahlen.
Die Unterbringung des Beschwerdeführers und dessen drei Geschwister verursacht der Stadt Wien Kosten von monatlich 2.400 Euro, somit 600 Euro für den Beschwerdeführer. Der mit dem Vater vereinbarte Unterhaltsbetrag iHv 10 Euro pro Monat beträgt somit 1,67% der tatsächlichen Unterhaltskosten.
Der Vater des Beschwerdeführers leistete seit Verpflichtungsbeginn (01.05.2023) bis Ende September 2024 folgende Unterhaltszahlungen an die Stadt Wien für den Beschwerdeführer:
{
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{
"type": "li",
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"August 2023 - 40 Euro "
]
},
{
"type": "li",
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"Jänner 2024 - 20 Euro "
]
},
{
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"children": [
"März 2024 - 50 Euro "
]
},
{
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"Juni 2024 - 20 Euro "
]
},
{
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"September 2024 - 25 Euro"
]
}
],
"attributes": {
"class": "ListeAufzhlung2",
"style": "list-style-type: disc;"
}
}Von Mai 2023 bis September 2024 leistete der Vater des Beschwerdeführers der Stadt Wien 155 Euro an Unterhaltszahlungen. Dies entspricht bei der vertraglich vereinbarten Summe von 10 Euro monatlich einem Zeitraum von Mai 2023 bis August 2024, wobei der Anteil für August nur teilweise (iHv 5 Euro) geleistet wurde. Seit September 2024 konnte keine Zahlung mehr verbucht werden.
Es steht fest, dass der Vater des Beschwerdeführers jedenfalls teilweise (wenn auch geringfügig) und regelmäßig (jedoch nicht monatlich) zum Unterhalt des Kindes beigetragen hat.
Der Unterhalt des Beschwerdeführers wurde im Zeitraum Mai 2023 bis Juli 2024 somit nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe getragen.
Der Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahrensverlauf zitierten vorgelegten Verwaltungsakten und Eingaben des Beschwerdeführers, insbesondere der Vereinbarung der vollen Erziehung vom 03.05.2023, der Vereinbarung über den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung vom 23.05.2023 sowie den Kontoauszügen der Unterhaltsbeiträge vom 10.05.2024 und der Bestätigung über die im Jahr 2024 geleisteten Zahlungen vom 12.09.2025. Aus letzterer ergibt sich auch die Feststellung, dass nach September 2024 keine Zahlungen seitens des Kindesvaters mehr geleistet wurden.
Strittig in diesem Zusammenhang ist, ob der Vater regelmäßig zum Unterhalt des Kindes beigetragen hat.
Regelmäßig bedeutet in diesem Zusammenhang "zu bestimmten Zeiten" bzw "in bestimmter Weise immer wiederkehrend" (vgl https://www.dwds.de/wb/regelm%C3%A4%C3%9Fig, abgefragt am 12.09.2025). Im juristischen Sinne bedeutet "regelmäßig" eine wiederkehrende Handlung, Vorgehensweise oder einen Zustand, der sich in bestimmten Zeitabständen oder in einer gewissen Häufigkeit wiederholt (https://www.juraforum.de/lexikon/regelmaessig, abgefragt am 12.09.2025).
In Summe entsprechen die Zahlungen des Vaters den mit der Stadt Wien vertraglich in regelmäßigen Raten vereinbarten Unterhaltsbeiträgen iHv 10 Euro pro Monat. Sofern der Vater diese Zahlungen wie vereinbart monatlich zahlen würde, würde daraus zweifelsfrei eine Regelmäßigkeit erkennbar sein.
Auch wenn die Beträge wie im gegenständlichen Sachverhalt nicht monatlich, sondern für Monate zusammengefasst, gezahlt wurden, kann dies nicht zu einem abweichenden Ergebnis für die Beurteilung einer regelmäßigen Beitragsleistung führen, da die Summe der Zahlungen dem vereinbarten Unterhaltsbeitrag von 10 Euro pro Monat entspricht. Es ist jedenfalls eine gewisse Häufigkeit der Zahlungen erkennbar. Insgesamt hat der Vater somit regelmäßig zum Unterhalt seines Kindes beigetragen.
Ein Eigenanspruch betreffend Familienbeihilfe besteht für minderjährige (§ 6 Abs 1) und volljährige (§ 6 Abs 2) Vollwaisen, sowie für (ebenfalls minderjährige oder volljährige) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die aus diesem Grund den Vollwaisen gleichgestellt sind (vgl Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Auf. (2020), § 6, I. Allgemeines Rz 2).
Gem § 6 Abs 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
Nach den Erwägungen zum Initiativantrag (386/A 26. GP) ist der Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben, wenn die Eltern zwar nicht überwiegend, jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen.
Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht hingegen dann, wenn der Unterhalt zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird, ohne dass ein Beitrag zu den Unterhaltskosten geleistet wird, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist.
Der Gesetzgeber stellt in § 6 Abs 5 FLAG darauf ab, dass der Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird. Voraussetzung für den Eigenanspruch nach § 6 Abs 5 FLAG ist, dass Eltern nicht überwiegend den Unterhalt für ihr Kind leisten. Eine gesetzliche Präzisierung, inwieweit ein Beitrag zu den Unterhaltskosten trotzdem einen Anspruch vermitteln kann, auf die im Initiativantrag (386/A 26. GP) hingewiesen wird, erfolgte nicht. Weder ist dem Gesetz eine gewisse Regelmäßigkeit in Form von monatlichen Beiträgen noch ein Mindestbetrag der Unterhaltsleistungen zu entnehmen.
Der Gesetzgeber hat keinen Schwellenwert definiert, unter dem ein Beitrag zum Unterhalt des Kindes nicht mehr gegeben ist. Somit gelten auch Zahlungen wie im vorliegenden Fall iHv 10 Euro monatlich (1,67% der tatsächlichen Unterhaltskosten) als Beitrag zum Unterhalt. Da der Unterhalt des Kindes somit nicht mehr zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird, ist der Eigenanspruch des Beschwerdeführers gegeben.
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit ersichtlich liegt zu den Fragen, ob es sich bei Zahlungen von Kleinbeträgen wie im gegenständlichen Beschwerdeverfahren (iHv 1,67% der tatsächlichen Unterhaltskosten) um nicht überwiegende Unterhaltsleistungen iSd § 6 Abs 5 FLAG handelt, bzw ob Unterhaltsbeiträge regelmäßige monatliche Zahlungen bedingen, keine höchstgerichtliche Judikatur vor.
Da zu diesen Rechtsfragen bislang eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ist die ordentliche Revision zulässig.
Wien, am 18. September 2025
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