IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch MMag. Daniel Pinzger, Kapuzinergasse 8/4, 6020 Innsbruck, über die Beschwerden vom 10. Juni 2020 gegen die Bescheide des Zollamtes St. Pölten Krems Wiener Neustadt (nun Zollamt Österreich) vom 14. Mai 2020, Zahlen: ***230000/00000/289/2016*** und ***230000/00000/290/2016***, betreffend Aussetzung der Vollziehung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Schriftführerin DS zu Recht erkannt:
I. Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Das Zollamt hat bei ***Bf*** (nachstehend mit "Bf" bezeichnet) mit Bescheiden vom 18. Dezember 2019, Zahlen: ***230000/00000/273/2016*** und ***230000/00000/274/2016***, eine nachträgliche buchmäßige Erfassung von Eingangsabgaben durchgeführt. Im Zuge der Zollabfertigung von Radarwarngeräten mit Ursprung in den USA im Zeitraum Dezember 2012 bis Dezember 2016 seien einerseits zu niedrige Zollwerte erklärt worden und sei andererseits die Einreihung in den Zolltarif unrichtig beantragt worden, wodurch die Zollschuld zu niedrig festgesetzt worden sei. Der Bf sei als Anmelder Zollschuldner.
Der Bf hat durch seinen damaligen Vertreter mit Schreiben vom 20. Jänner 2020 Beschwerden gegen diese Bescheide erhoben und darin ua jeweils einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß Artikel 45 UZK gestellt.Es würde - wie in den Beschwerden dargestellt - ein begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen vorliegen (das Zollamt gehe zB von nicht bewiesenen Vermutungen und Schlussfolgerungen aus und sei zu Unrecht von einer Verjährungsfrist von zehn Jahren ausgegangen), weshalb ein Rechtsanspruch auf Aussetzung der Vollziehung durch die Zollbehörde bestehe. Von einer Sicherheitsleistung gemäß Artikel 45 Absatz 3 UZK sei abzusehen, da durch die Leistung einer solchen Sicherheit dem Bf ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten entstehen könnten, da sich dieser kurz vor Einleitung eines Konkursverfahrens befinde. Der Bf sei trotz zumutbarer Anstrengungen ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Lage nicht imstande, Sicherheit zu leisten. Diese Schwierigkeiten würden durch die Leistung der Sicherheit verursacht werden, da eine solche Zahlungsverpflichtung zur Eröffnung eines Konkursverfahrens führen würde.
Mit Bescheiden vom 14. Mai 2020, Zahlen: ***230000/00000/289/2016*** und ***230000/00000/290/2016***, hat das Zollamt die Anträge des Bf abgewiesen.Ermittlungen und Analysen hätten für die betreffenden Zollanmeldungen eindeutige Wertangaben hervorgebracht. Der vom Zollamt herangezogene Durchschnittspreis von EUR 407,11 pro Radarwarngerät der Marke "Valentine One - V1" habe durch Gegenüberstellung mit einer gleichen Ware eines Zweitanbieters bestätigt werden können.Unterlagen zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage seien vom Bf trotz Aufforderung nicht vorgelegt worden.Der Bf habe bei den Verzollungen Rechnungen oder Erklärungen mit einem zu niedrigen Wert übermittelt und seien die betreffenden Anmeldungen dadurch mit falschen Bemessungsgrundlagen eingereicht worden. Das Zollamt gehe davon aus, dass die Nachforderung der Abgaben mit Bescheiden an den Bf zu Recht erlassen wurde. Begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidungen würden somit nicht vorliegen.Bei der Beurteilung, ob dem Abgabenschuldner eine Zollschuld nach Ablauf der Frist von drei Jahren noch mitgeteilt werden dürfe, handle es sich um eine Vorfrage im Sinne des § 116 Abs 1 BAO. Die Abgabenbehörde sei dazu berechtigt, diese Vorfrage selbst auf Grundlage der eigenen Anschauung zu beurteilen.Aus dem Wortlaut der Bestimmung des Artikels 45 Absatz 3 UZK ergebe sich eindeutig, dass vom Antragsteller entsprechende Unterlagen vorgelegt werden müssen und diese durch die Abgabenbehörde auch nachweislich zu bewerten sind. Der Zollschuldner habe daher aus eigenem überzeugend darzulegen und glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen vorliegen.
Mit Eingaben vom 10. Juni 2020 hat der Bf Beschwerde gegen die Abweisung seiner Anträge erhoben. So stütze sich das Zollamt bei der Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes auf laufende finanzstrafrechtliche Ermittlungen, für die der Bf zum jetzigen Zeitpunkt nicht schuldig erkannt worden sei.Beantragt wird in den Beschwerden auch die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 15. Juli 2020, Zahlen: ***230000/00000/312/2016*** und ***230000/00000/314/2016***, sind die Beschwerden als unbegründet abgewiesen worden.
Mit Schreiben vom 12. August 2020 hat der Bf beantragt, seine Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Das Ermittlungsverfahren gegen den Bf ist von der Staatsanwaltschaft laut Benachrichtigung vom 10. März 2021 eingestellt worden. Die Ergebnisse des Finanzstrafverfahrens würden hinsichtlich der Vorwürfe der Eingangsabgabenverkürzungen im Zusammenhang mit der Überführung von Radarwarngeräten aus den USA in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr im Zeitraum 28. Dezember 2012 bis 20. Dezember 2016 nicht ausreichen, um mit der für das staatsanwaltliche Verfahren notwendigen Sicherheit die Begehung dieses Finanzvergehens mit einem 50.000 Euro übersteigenden strafbestimmenden Wertbetrag nachzuweisen ( § 53 Abs 2 lit a FinStrG).
Die vom Bf beantragte mündliche Verhandlung ist am 14. August 2025 am Sitz des Bundesfinanzgerichts durchgeführt worden.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Artikel 45 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 (UZK) bestimmt:
"(1) Die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung.
(2) Die Zollbehörden setzen jedoch die Vollziehung der Entscheidung ganz oder teilweise aus, wenn sie begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung haben oder wenn dem Beteiligten ein unersetzbarer Schaden entstehen könnte.
(3) In den in Absatz 2 genannten Fällen, in denen aus der angefochtenen Entscheidung die Pflicht zur Entrichtung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erwächst, wird die Vollziehung der Entscheidung nur gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt, es sei denn, es wird auf der Grundlage einer dokumentierten Bewertung festgestellt, dass durch die Leistung einer solchen Sicherheit dem Schuldner ernste wirtschaftliche oder soziale Schwierigkeiten entstehen könnten"
Im gegenständlichen Fall geht die Abgabenbehörde davon aus, dass sich in allen verfahrensgegenständlichen Sendungen Radarwarngerät der Marke "Valentine One - V1" befunden haben und hat der Berechnung der Abgaben einen Durchschnittspreis von EUR 407,11 pro Gerät zu Grunde gelegt.Laut Aktenlage liegen den Einfuhren keine Kaufgeschäfte zugrunde, weshalb es auch keine Bestellungen oder Rechnungen an den Bf gibt. Zahlungen des Bf auf ein Konto des Versenders konnten den Sendungen nicht zugeordnet werden. Keine der verfahrensgegenständlichen Sendungen ist von den Zollbehörden zur Überprüfung der Richtigkeit der Angaben in den angenommenen Zollanmeldungen geöffnet worden; eine Beschau der Waren hat nicht stattgefunden. Es steht daher nicht mit dem im Abgabenverfahren erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit fest, welche Waren bzw welche Radarwarngeräte tatsächlich Gegenstand der betreffenden Zollanmeldungen gewesen sind. Laut einem Schreiben des Bf vom 27. Dezember 2012 soll es sich um alte Versionen der Geräte (No Euro Mode) gehandelt haben, die als Restposten günstig abverkauft wurden.Wenn unklar ist, ob tatsächlich Radarwarngerät der Marke "Valentine One - V1" eingeführt worden sind bzw um welche Version es sich allenfalls gehandelt hat, bestehen jedoch begründete Zweifel an der Ermittlung des Zollwerts durch das Zollamt und an der Richtigkeit der herangezogenen Bemessungsgrundlagen. Der Umstand, dass andere österreichische Kunden des Versenders aktuelle Versionen der Radarwarngeräte zu einem höheren Preis gekauft haben, lässt nicht auf den Inhalt der verfahrensgegenständlichen Sendungen schließen, da nachweislich auch günstigere Geräte mit nicht mehr aktueller Software angeboten worden sind.Der Bf führt dazu in seinen Beschwerden gegen die nachträgliche buchmäßige Erfassung aus:
"Dies wird unter anderem durch die Tatsache untermauert, dass im gegenständlichen Fall weder eine exakte Zuordnung zu den im Spruch näher bezeichneten Sendungen sowie Zollanmeldungen auf dem im Bescheid angeführten deutschen Konto möglich ist - wie das Zollamt im angefochtenen Bescheid selbst einräumt - noch die gegenständlichen Sendungen durch Organe des Zollamtes jemals geöffnet wurden und sich demnach die getroffenen Feststellungen nur auf haltlose Vermutungen stützen können."
Auf dieses Vorbringen in den Beschwerden ist das Zollamt im Aussetzungsverfahren nicht näher eingegangen. Bei einer überschlägigen Prüfung der angefochtenen Entscheidungen treten neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe zu Tage, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Es sind daher begründete Zweifel anzunehmen und das Beschwerdevorbringen könnte durchaus zum Erfolg der Bescheidbeschwerden führen, zumal - wie oben ausgeführt - für die Rechtswidrigkeit sprechende Gründe vorliegen.
Die Beurteilung der vorliegenden Unterlagen und der zur Verfügung stehenden Beweismittel durch das Bundesfinanzgericht ergibt aus den genannten Gründen begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidungen, ohne die Beschwerdeentscheidungen dadurch vorwegzunehmen (VwGH 25.11.1997, 97/14/0138).Wenn begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidungen bejaht werden, ist auszusetzen (kein Ermessen).
Hinsichtlich der Sicherheitsleistung ist darauf hinzuweisen, dass gegen den Bf laut Abfrage in der Insolvenzdatei am 16. Dezember 2020 ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet wurde (***Aktenzeichen***), das noch andauert (Abschöpfungsverfahren mit Abschöpfungsplan). Bei einem Schuldner, der nicht über ausreichende Mittel für eine Sicherheitsleistung verfügt, kann es zu ernsten Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art führen, wenn die Aussetzung der Vollziehung einer angefochtenen zollrechtlichen Entscheidung von einer solchen Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird (EuGH 17.7.1997, C-130/95). Von der Anforderung einer Sicherheitsleistung wird daher im Hinblick auf das vorgenannte Schuldenregulierungsverfahren gemäß Artikel 45 Absatz 3 UZK abgesehen.
Zur Zulässigkeit der Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der mit dem vorliegenden Erkenntnis zu beantwortenden Rechtsfragen ergibt sich aus dem Wortlaut der anzuwendenden und im Erkennntnis zitierten Bestimmungen sowie der angeführten Rechtsprechung.
Salzburg, am 7. Oktober 2025