Vorwort
Artikel 1
Art. 1
(1) Dieses Übereinkommen findet auf die folgenden Personen Anwendung:
a) alle Personen, die als Partei oder als Vertreter oder Berater einer Partei an einem Verfahren vor dem Gerichtshof teilnehmen;
b) Zeugen und Sachverständige, die auf Vorladung des Gerichtshofes am Verfahren teilnehmen, und andere Personen, denen der Präsident des Gerichtshofes Gelegenheit gibt, am Verfahren teilzunehmen.
(2) Für die Anwendung dieses Übereinkommens bezeichnet der Begriff „Gerichtshof“ Ausschüsse, Kammern, einen Ausschuss der Großen Kammer, die Große Kammer und die Richter. Der Begriff „am Verfahren teilnehmen“ umfasst auch die Abgabe von Mitteilungen mit dem Ziel der Einreichung einer Beschwerde gegen einen Vertragsstaat der Konvention.
(3) Fordert das Ministerkomitee bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe nach Art. 46 Abs. 2 der Konvention eine in Absatz 1 dieses Artikels genannte Person auf, vor dem Ministerkomitee zu erscheinen oder ihm schriftliche Äußerungen zu übermitteln, so findet dieses Übereinkommen auf diese Person Anwendung.
Artikel 2
Art. 2
(1) Die in Art. 1 Abs. 1 genannten Personen genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit in Bezug auf ihre mündlichen oder schriftlichen Äußerungen gegenüber dem Gerichtshof sowie in Bezug auf Urkunden oder andere Beweismittel, die sie dem Gerichtshof vorlegen.
(2) Diese Immunität besteht nicht, wenn sie von Äußerungen gegenüber dem Gerichtshof oder von Urkunden oder Beweismitteln, die ihm vorgelegt worden sind, außerhalb des Gerichtshofes Kenntnis geben.
Artikel 3
Art. 3
(1) Die Vertragsparteien erkennen das Recht der in Art. 1 Abs. 1 genannten Personen auf ungehinderten schriftlichen Verkehr mit dem Gerichtshof an.
(2) Für Personen, denen die Freiheit entzogen ist, gehört zur Ausübung dieses Rechtes insbesondere, dass
a) ihre Korrespondenz ohne ungebührliche Verzögerung und ohne Änderung abzusenden und ihnen auszuhändigen ist;
b) wegen einer auf ordnungsgemäßen Weg übersandten Mitteilung an den Gerichtshof gegen sie keinerlei disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden dürfen;
c) sie berechtigt sind, in Bezug auf eine Beschwerde an den Gerichtshof oder ein daraus entstandenes Verfahren mit einem Anwalt, der vor den Gerichten des Staates auftreten kann, in dem ihnen die Freiheit entzogen ist, schriftlich zu verkehren, und sich mit ihm zu beraten, ohne dass eine andere Person mithört.
(3) Bei der Anwendung der Absätze 1 und 2 ist ein Eingriff einer Behörde nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, zur Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten oder zum Schutz der Gesundheit notwendig ist.
Artikel 4
Art. 4
(1) a) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die in Art. 1 Abs. 1 genannten Personen nicht zu hindern, sich frei zu bewegen und zu reisen, um an Verfahren vor dem Gerichtshof teilzunehmen und danach wieder zurückzukehren.
b) Die Ausübung dieser Bewegungs- und Reisefreiheit darf keinen anderen Beschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Sittlichkeit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.
(2) a) Diese Personen dürfen in Durchgangsstaaten oder in dem Staat, in dem das Verfahren stattfindet, wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Beginn ihrer Reise weder verfolgt noch in Haft genommen noch einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden.
b) Jede Vertragspartei kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, dass dieser Absatz auf ihre eigenen Staatsangehörigen keine Anwendung findet. Eine solche Erklärung kann jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Notifikation zurückgenommen werden.
(3) Die Vertragsparteien verpflichten sich, jeder Person, welche die Reise in ihrem Hochheitsgebiet angetreten hat, die Rückkehr in dieses Gebiet zu gestatten.
(4) Die Absätze 1 und 2 werden nicht mehr angewendet, wenn die Person, nachdem ihre Anwesenheit vom Gerichtshof nicht mehr für notwendig gehalten wurde, fünfzehn aufeinander folgende Tage lang die Möglichkeit hatte, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihre Reise begonnen hatte.
(5) Bei einer Kollision zwischen Verpflichtungen einer Vertragspartei nach Absatz 2 und Verpflichtungen, die sich für sie aus einem Übereinkommen des Europarates oder aus einem Auslieferungs- oder sonstigen Rechtshilfevertrag in Strafsachen mit anderen Vertragsparteien ergeben, geht Absatz 2 vor.
Artikel 5
Art. 5
(1) Immunitäten und Erleichterungen werden den in Art. 1 Abs. 1 genannten Personen nur gewährt, um ihnen die Redefreiheit und die Unabhängigkeit zu sichern, die für die Wahrnehmung ihrer Funktionen, Aufgaben und Pflichten oder für die Ausübung ihrer Rechte gegenüber dem Gerichtshof erforderlich sind.
(2) a) Nur der Gerichtshof ist zuständig, die in Art. 2 Abs. 1 vorgesehene Immunität ganz oder teilweise aufzuheben; er hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Immunität in allen Fällen aufzuheben, in denen sie nach seiner Auffassung verhindern würde, dass der Gerechtigkeit genüge geschieht, und in denen die vollständige oder teilweise Aufhebung den in Abs. 1 dieses Artikels bezeichneten Zweck nicht beeinträchtigen würde.
b) Der Gerichtshof kann die Immunität von Amts wegen oder auf Antrag einer Vertragspartei oder einer betroffenen Person aufheben.
c) Entscheidungen, welche die Immunität aufheben oder die Aufhebung ablehnen, sind zu begründen.
(3) Bescheinigt eine Vertragspartei, dass die Aufhebung der in Art. 2 Abs. 1 vorgesehenen Immunität für ein Verfahren wegen eines Angriffs auf die nationale Sicherheit erforderlich ist, so hebt der Gerichtshof die Immunität in dem in der Bescheinigung angegebenen Umfang auf.
(4) Wird eine Tatsache bekannt, die geeignet gewesen wäre, einen maßgeblichen Einfluss zu haben, und die dem Antragsteller zu der Zeit unbekannt war, als die Entscheidung über die Ablehnung der Aufhebung der Immunität erging, so kann er beim Gerichtshof einen neuen Antrag stellen.
Artikel 6
Art. 6
Keine Bestimmung dieses Übereinkommens darf als Beschränkung oder als Aufhebung von Verpflichtungen, welche die Vertragspartei auf Grund der Konvention oder der Protokolle dazu übernommen haben, ausgelegt werden.
Artikel 7
Art. 7
(1) Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarates zur Unterzeichnung auf; sie können ihre Zustimmung, gebunden zu sein, ausdrücken,
a) indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen oder
b) indem sie es vorbehaltlich der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen und später ratifizieren, annehmen oder genehmigen.
(2) Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarates hinterlegt.
Artikel 8
Art. 8
(1) Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach dem Tag folgt, an dem zehn Mitgliedstaaten des Europarates nach Artikel 7 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein bzw. an dem Tag, an dem das Protokoll Nr. 11 zur Konvention in Kraft tritt, je nachdem, welcher Zeitpunkt der spätere ist.
(2) Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch dieses Übereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach der Unterzeichnung oder der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde folgt.
Artikel 9
Art. 9
(1) Jeder Vertragsstaat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung dieses Übereinkommen auf einzelne oder mehrere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiete erstrecken, für deren internationale Beziehungen er verantwortlich ist oder für die er Vereinbarungen treffen kann.
(2) Für das oder die in einer Erklärung nach Abs. 1 bezeichneten Hoheitsgebiete tritt dieses Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von einem Monat nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.
(3) Jede nach Abs. 1 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin genannte Hoheitsgebiet nach Maßgabe des in Art. 10 für die Kündigungen vorgesehenen Verfahrens zurückgenommen werden.
Artikel 10
Art. 10
(1) Dieses Übereinkommen bleibt auf unbegrenzte Zeit in Kraft.
(2) Jede Vertragspartei kann dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär an den Europarat gerichtete Notifikation für sich kündigen.
(3) Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär wirksam. Sie bewirkt nicht die Entlassung der betreffenden Vertragspartei aus etwaigen Verpflichtungen, die aus diesem Übereinkommen gegenüber einer in Art. 1 Abs. 1 genannten Person erwachsen sind.
Artikel 11
Art. 11
Der Generalsekretär des Europarates notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates
a) jede Unterzeichnung;
b) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde;
c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens nach seinen Artikeln 8 und 9;
d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen.
Zu Urkund dessen haben die hiezu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben.
Geschehen zu Straßburg am 5. März 1996 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen authentisch ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarates übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarates beglaubigte Abschriften.