Vorwort
Artikel 1
Art. 1
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieses Vertrages bezeichnet der Ausdruck
a) „überstellender Staat“ die Vertragspartei, aus der die verurteilte Person überstellt werden kann oder überstellt worden ist
b) „übernehmender Staat“ die Vertragspartei, in den die verurteilte Person zum Vollzug der über sie verhängten Sanktion überstellt werden kann oder überstellt worden ist;
c) „verurteilte Person“ eine Person, die auf Grund einer von einem Gericht in Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit gefällten Entscheidung im überstellenden Staat in einer Strafvollzugsanstalt, einem Krankenhaus oder irgendeiner anderen Anstalt anzuhalten ist;
d) „Sanktion“ jede freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht in Ausübung seiner Strafgerichtsbarkeit für eine bestimmte Zeit oder auf unbestimmte Zeit verhängt worden ist.
Artikel 2
Art. 2
Allgemeine Grundsätze
Eine im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei verurteilte Person kann nach diesem Vertrag zum Vollzug der über sie verhängten Sanktion in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei überstellt werden.
Artikel 3
Art. 3
Anwendungsbereich
Die Anwendung dieses Vertrages unterliegt folgenden Voraussetzungen:
a) daß die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach dem Recht des übernehmenden Staates eine strafbare Handlung darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären, darstellen würden;
b) daß die verurteilte Person Staatsangehöriger des übernehmenden Staates ist;
c) daß die verurteilte Person nicht verurteilt wurde wegen einer strafbaren Handlung gegen
(i) die innere oder äußere Sicherheit des Staates;
(ii) das Staatsoberhaupt oder ein Mitglied seiner Familie;
(iii) die Gesetzgebung zum Schutze der nationalen Kunstschätze;
d) daß es sich bei der über die verurteilte Person verhängten Sanktion um eine Freiheitsstrafe, Anhaltung oder irgendeine andere Form von Freiheitsentzug in irgendeiner Anstalt handelt:
(i) auf lebenslange Zeit;
(ii) auf unbestimmte Zeit, oder
(iii) auf bestimmte Zeit, wobei zum Zeitpunkt des Ersuchens um Überstellung zumindest noch ein Jahr zu verbüßen sein muß;
e) daß die verurteilte Person nicht überstellt wird, bevor sie im überstellenden Staat eine durch das Recht dieses Staates allenfalls festgelegte Mindestdauer der Freiheitsstrafe, Anhaltung oder des sonstigen Freiheitsentzuges verbüßt hat;
f) daß die Entscheidung rechtskräftig und kein weiteres oder anderes Verfahren betreffend die strafbare Handlung oder eine andere strafbare Handlung im überstellenden Staat anhängig ist, und
g) daß der überstellende und der übernehmende Staat sowie die verurteilte Person der Überstellung zustimmen; dabei kann, falls eine der beiden Vertragsparteien dies in Anbetracht ihres Alters oder ihres körperlichen oder geistigen Zustands für erforderlich erachten, die Zustimmung der verurteilten Person von einer zu ihrer Vertretung berechtigten Person erteilt werden.
Artikel 4
Art. 4
Überstellungsverfahren
(1) Beide Vertragsparteien werden bemüht sein, jene Personen, auf die dieser Vertrag Anwendung findet, vom wesentlichen Inhalt des Vertrages zu unterrichten.
(2) Jede Überstellung nach diesem Vertrag wird auf diplomatischem Weg durch einen schriftlichen Antrag des übernehmenden Staates an den überstellenden Staat eingeleitet. Zu diesem Zweck kann die verurteilte Person an den übernehmenden Staat ein Ersuchen um Überstellung richten. Wenn der überstellende Staat dem Antrag zustimmt, setzt er hievon den übernehmenden Staat auf diplomatischem Weg in Kenntnis und leitet das Verfahren zur Durchführung der Überstellung ein.
(3) Der überstellende Staat stellt dem übernehmenden Staat folgende Information zur Verfügung:
a) eine Darstellung des Sachverhalts, welcher der Sanktion zugrunde liegt; insbesondere Name, Geburtsdatum und Geburtsort der verurteilten Person;
b) den Zeitpunkt der Beendigung des Vollzuges, die Dauer der von der verurteilten Person bereits verbüßten Sanktion und alle Anrechnungszeiten, auf welche sie auf Grund geleisteter Arbeit, guter Führung, Vorhaft oder aus anderen Gründen Anspruch hat;
c) eine beglaubigte Kopie aller Urteile und Sanktionen betreffend die verurteilte Person seit dem Zeitpunkt ihrer Festnahme im überstellenden Staat sowie der zugrundeliegenden Gesetzesbestimmungen;
d) jede zusätzliche Information, um die der übernehmende Staat ersucht.
(4) Jede Vertragspartei stellt soweit wie möglich der anderen Vertragspartei auf deren Ersuchen alle zweckdienlichen Informationen, Unterlagen oder Darstellungen zur Verfügung, bevor sie einen Antrag auf Überstellung stellt oder darüber entscheidet, ob sie der Überstellung zustimmt oder nicht.
(5) Der überstellende Staat gibt dem übernehmenden Staat auf dessen Wunsch Gelegenheit, sich durch einen von diesem bestimmten Beamten vor der Überstellung zu vergewissern, daß die Zustimmung der verurteilten Person zur Überstellung gemäß Artikel 3 (g) dieses Vertrages freiwillig und in voller Kenntnis der Konsequenzen gegeben worden ist.
(6) Die Überstellung der verurteilten Person durch die Behörden des überstellenden Staates an jene des übernehmenden Staates erfolgt zu einem Zeitpunkt und an einem Ort im überstellenden Staat, welche die beiden Vertragsparteien vereinbaren.
Artikel 5
Art. 5
Beibehaltung der Gerichtsbarkeit
Hinsichtlich der nach diesem Vertrag zu vollziehenden Sanktionen behält der überstellende Staat die ausschließliche Gerichtsbarkeit betreffend die Urteile seiner Gerichte, die von diesen verhängten Sanktionen und alle Verfahren zur Wiederaufnahme, Abänderung oder Aufhebung solcher Urteile und Sanktionen.
Artikel 6
Art. 6
Verfahren zur Vollziehung der Sanktion
(1) Der fortgesetzte Vollzug der Sanktion nach der Überstellung richtet sich nach den Gesetzen und Verfahrensvorschriften des übernehmenden Staates, einschließlich jener, welche die Bedingungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe, Anhaltung oder des sonstigen Freiheitsentzuges regeln, und jener über die Verringerung der Freiheitsstrafe, Anhaltung oder des sonstigen Freiheitsentzuges durch Strafnachlaß, bedingte Entlassung oder auf andere Weise.
(2) Unbeschadet Absatz 3 dieses Artikels ist der übernehmende Staat an die Rechtsnatur und Dauer der Sanktion gebunden, wie sie vom überstellenden Staat festgelegt wurden.
(3) Keine freiheitsentziehende Sanktion wird vom übernehmenden Staat in einer Weise vollzogen, daß sie über die im Urteil des Gerichts des überstellen den Staates bestimmte Dauer hinausgeht. Die Vollziehung entspricht so weit wie möglich der im überstellenden Staat verhängten Sanktion.
(4) Wenn der überstellende Staat das Urteil oder die Sanktion gemäß Artikel 5 dieses Vertrages zum Gegenstand einer Wiederaufnahme macht, abändert oder aufhebt oder die Sanktion auf andere Weise verringert, umwandelt oder beendet, so führt der übernehmende Staat, sobald er von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wird, diese gemäß diesem Artikel durch.
(5) Der übernehmende Staat kann verurteilte Personen, die nach seinem Recht Jugendliche sind, nach seinem für Jugendliche geltenden Recht behandeln, unabhängig davon, welchen Status die verurteilte Person nach dem Recht des überstellenden Staates hat.
(6) Der übernehmende Staat unterrichtet den überstellenden Staat über den Vollzug der Sanktion,
a) wenn die verurteilte Person bedingt oder nach Vollzug der Sanktion entlassen wird;
b) wenn die verurteilte Person vor Abschluß des Vollzugs der Sanktion aus der Haft flieht; oder
c) wenn der überstellende Staat um einen Bericht ersucht.
Artikel 7
Art. 7
Durchbeförderung verurteilter Personen
Wenn eine Vertragspartei eine verurteilte Person aus einem dritten Staat überstellt, arbeitet die andere Vertragspartei mit ihr zur Erleichterung der Durchbeförderung der verurteilten Person durch ihr Hoheitsgebiet zusammen. Die Vertragspartei, die eine solche Durchbeförderung vorzunehmen beabsichtigt, bringt diese der anderen Vertragspartei im voraus zur Kenntnis.
Artikel 8
Art. 8
Kosten
Kosten, die bei der Anwendung dieses Vertrages entstehen, werden vom übernehmenden Staat getragen, ausgenommen die Kosten, die ausschließlich im Hoheitsgebiet des überstellenden Staates entstehen.
Artikel 9
Art. 9
Zeitlicher Geltungsbereich
Dieser Vertrag gilt für den Vollzug von Sanktionen, die vor oder nach seinem Inkrafttreten verhängt worden sind.
Artikel 10
Art. 10
Schlußbestimmungen
(1) Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation. Er tritt am ersten Tag des dritten Monats in Kraft, der auf den Monat folgt, in dem die Ratifikationsurkunden ausgetauscht wurden. Die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich in Bangkok ausgetauscht.
(2) Dieser Vertrag kann durch jede Vertragspartei durch Notifikation an die andere Vertragspartei auf diplomatischem Weg gekündigt werden. Die Kündigung wird sechs Monate nach dem Tag ihres Einlangens wirksam.
ZU URKUND DESSEN haben die hiezu gehörig Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet.
GESCHEHEN zu Wien, am 8. September 1992 (2535 nach Buddha), in zweifacher Ausfertigung in englischer Sprache.