Vorwort
1. Abschnitt Allgemeine Bestimmungen
§ 1 § 1 Anwendungsbereich
(1) Entwürfe von technischen Vorschriften oder von wesentlichen Änderungen solcher Vorschriften aus dem Bereich der Landesvollziehung, für die nach dem Recht der Europäischen Union eine Notifikationspflicht besteht, sind einem Informationsverfahren nach diesem Gesetz zu unterziehen.
(2) Die Landesregierung kann mit Verordnung den Anwendungsbereich dieses Gesetzes oder einzelner Bestimmungen dieses Gesetzes erweitern, soweit dies zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen notwendig ist.
§ 2 § 2*) Begriffsbestimmungen
(1) Erzeugnisse sind alle gewerblich hergestellten und alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte.
(2) Ein Dienst ist eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, das heißt jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf des Empfängers erbrachte Dienstleistung.
(3) Eine technische Spezifikation ist eine Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren. Unter diesen Begriff fallen ferner die Herstellungsmethoden und -verfahren für landwirtschaftliche Erzeugnisse gemäß Art. 38 Abs. 1 Unterabsatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), für Erzeugnisse, die zur menschlichen und tierischen Ernährung bestimmt sind, und für Arzneimittel gemäß Art. 1 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sowie die Herstellungsmethoden und - verfahren für die anderen Erzeugnisse, sofern diese die Merkmale dieser Erzeugnisse beeinflussen.
(4) Eine sonstige Vorschrift betreffend Erzeugnisse ist eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist, insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und seinen Lebenszyklus nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses bzw. seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können.
(5) Eine Vorschrift betreffend Dienste ist eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den in Abs. 2 genannten Diensten und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, nicht jedoch Vorschriften, die nicht speziell auf diese Dienste abzielen. Im Sinne dieser Definition gilt eine Vorschrift als speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielend, wenn sie nach ihrer Begründung und ihrem Wortlaut insgesamt oder in Form einzelner Bestimmungen ausdrücklich und gezielt auf die Regelung dieser Dienste abstellt. Eine Vorschrift ist nicht als speziell auf Dienste der Informationsgesellschaft abzielend zu betrachten, wenn sie sich lediglich indirekt oder im Sinne eines Nebeneffektes auf diese Dienste auswirkt.
(6) Technische Vorschriften sind technische Spezifikationen, sonstige Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung im Landesgebiet verbindlich ist, sowie der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten wird.
(7) Technische De-facto-Vorschriften sind insbesondere:
a) die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, in denen entweder auf technische Spezifikationen, sonstige Vorschriften oder betreffend Erzeugnisse, Vorschriften betreffend Dienste Berufskodizes bzw. Verhaltenskodizes, die ihrerseits einen Verweis auf technische Spezifikationen, sonstige Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder Vorschriften betreffend Dienste enthalten, verwiesen wird und deren Einhaltung eine Konformität mit den durch die genannten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen vermuten lässt;
b) freiwillige Vereinbarungen, bei denen das Land Vorarlberg Vertragspartei ist und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen, sonstigen Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder von Vorschriften betreffend Dienste mit Ausnahme der Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen bezwecken;
c) die technischen Spezifikationen, sonstigen Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme des Dienstes Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen, sonstigen Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder Vorschriften betreffend Dienste fördern; dies gilt nicht für technische Spezifikationen, sonstige Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder Vorschriften betreffend Dienste, die die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit betreffen.
(8) Der Entwurf einer technischen Vorschrift ist der Text einer technischen Spezifikation, einer sonstigen Vorschrift betreffend Erzeugnisse oder einer Vorschrift betreffend Dienste einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.
(9) Wesentliche Änderungen sind Änderungen, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.
*) Fassung LGBl.Nr. 25/2017
2. Abschnitt Informationsverfahren
§ 3 § 3*) Mitteilung (Notifikation)
(1) Die Landesregierung hat jeden Entwurf einer technischen Vorschrift dem Bund zwecks Mitteilung an die Europäische Kommission zu übermitteln. Sofern eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm erfolgen soll, reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Die Landesregierung kann durch Verordnung weitere Mitteilungspflichten anordnen, soweit dies zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen notwendig ist.
(2) Mit dem Entwurf der technischen Vorschrift sind gleichzeitig die Gründe mitzuteilen, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor. Sofern dies nicht schon bei einer früheren Mitteilung geschehen ist, sind gleichzeitig die hauptsächlich und unmittelbar betroffenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuschließen, wenn diese für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfes einer technischen Vorschrift notwendig sind.
(3) Zielt der Entwurf einer technischen Vorschrift insbesondere darauf ab, das Inverkehrbringen oder die Verwendung eines Stoffes, einer Zubereitung oder eines chemischen Erzeugnisses aus Gründen des Gesundheits-, Verbraucher- oder Umweltschutzes einzuschränken, so sind eine Zusammenfassung aller zweckdienlichen Angaben über die betroffenen Stoffe, Zubereitungen oder Erzeugnisse sowie über bekannte und erhältliche Substitutionsprodukte und, sofern verfügbar, die Fundstellen dieser Angaben sowie Angaben über die zu erwartenden Auswirkungen dieser Maßnahmen auf Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, sofern zweckmäßig mit einer Risikoanalyse, zu übermitteln.
(4) Sofern dies als erforderlich erachtet wird, kann in der Mitteilung nach Abs. 1 beantragt werden, dass die gemeldete Information vertraulich zu behandeln ist. Ein solcher Antrag ist zu begründen.
(5) Mitteilungen gemäß Abs. 1 sind nicht erforderlich für Entwürfe technischer Vorschriften, sofern diese
a) verbindliche Unionsrechtsakte, mit denen technische Spezifikationen oder Vorschriften betreffend Dienste in Kraft gesetzt werden, umsetzen;
b) Verpflichtungen aus einem internationalen Übereinkommen erfüllen, wodurch gemeinsame technische Spezifikationen in der Europäischen Union in Kraft gesetzt werden;
c) Schutzklauseln in Anspruch nehmen, die in verbindlichen Unionsrechtsakten enthalten sind;
d) in Anwendung von Art. 26 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2023/988 über die allgemeine Produktsicherheit ergehen;
e) lediglich einem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union nachkommen;
f) lediglich eine technische Vorschrift zum Zweck der Beseitigung eines Handelshemmnisses entsprechend einem Antrag der Europäischen Kommission ändern;
g) Maßnahmen betreffen, die im Rahmen des AEUV zum Schutz von Personen, insbesondere von Arbeitnehmern, bei der Verwendung von Erzeugnissen für erforderlich gehalten werden, sofern diese Maßnahmen keine Auswirkungen auf die Erzeugnisse haben.
(6) Die Abs. 1 bis 5 gelten sinngemäß für wesentliche Änderungen der Entwürfe technischer Vorschriften.
*) Fassung LGBl.Nr. 25/2017, 10/2025
§ 4 § 4*) Stillhaltefristen
(1) Die zuständigen Landesbehörden dürfen technische Vorschriften nicht vor Ablauf einer dreimonatigen Frist nach Eingang der Mitteilung bei der Europäischen Kommission erlassen. Die Landesregierung darf Gesetzesvorschläge, die technische Vorschriften zum Gegenstand haben, schon vor Ablauf dieser Frist beschließen und dem Landtag vorlegen. Die Landesregierung hat den Landtag in diesen Fällen auf die Stillhaltefrist hinzuweisen und ihm vom Ergebnis des Informationsverfahrens zu berichten.
(2) Die Frist nach Abs. 1 verlängert sich auf
a) vier Monate im Fall einer beabsichtigten Vorschrift betreffend Dienste, sofern die Europäische Kommission oder ein Mitgliedstaat innerhalb der Dreimonatsfrist eine ausführliche Stellungnahme abgibt, der zufolge die geplante Maßnahme Elemente enthält, die den freien Verkehr von Dienstleistungen oder die Niederlassungsfreiheit der Betreiber im Rahmen des Binnenmarktes beeinträchtigen könnten;
b) vier Monate im Fall einer beabsichtigten freiwilligen Vereinbarung (§ 2 Abs. 7 lit. b), sofern die Europäische Kommission oder ein Mitgliedstaat innerhalb der Dreimonatsfrist eine ausführliche Stellungnahme abgibt, der zufolge die geplante Maßnahme Elemente enthält, die den freien Warenverkehr im Rahmen des Binnenmarktes beeinträchtigen könnten;
c) sechs Monate, wenn die Europäische Kommission oder ein Mitgliedstaat innerhalb der Dreimonatsfrist eine ausführliche Stellungnahme abgibt, der zufolge die geplante Maßnahme Elemente enthält, die den freien Warenverkehr im Rahmen des Binnenmarktes beeinträchtigen könnten;
d) zwölf Monate im Fall einer beabsichtigten technischen Vorschrift mit Ausnahme der Vorschriften betreffend Dienste, wenn die Europäische Kommission innerhalb der Dreimonatsfrist ihre Absicht bekannt gibt, für den gleichen Gegenstand eine Richtlinie, eine Verordnung oder eine Entscheidung im Sinne des Art. 288 AEUV vorzuschlagen oder zu erlassen;
e) zwölf Monate, wenn die Europäische Kommission innerhalb der Dreimonatsfrist bekannt gibt, dass der Entwurf einer technischen Vorschrift einen Gegenstand betrifft, für welchen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union ein Vorschlag über eine Richtlinie, eine Verordnung oder eine Entscheidung im Sinne des Art. 288 AEUV vorgelegt worden ist;
f) 18 Monate, wenn der Rat der Europäischen Union innerhalb der Stillhaltefrist gemäß lit. d oder e einen gemeinsamen Standpunkt festlegt.
(3) Die Fristen gemäß Abs. 2 lit. d, e und f enden vorzeitig,
a) wenn die Europäische Kommission mitteilt, dass sie auf ihre Absicht verzichtet, einen verbindlichen Unionsrechtsaktvorzuschlagen oder zu erlassen,
b) wenn die Europäische Kommission die Rücknahme ihres Entwurfes oder Vorschlags mitteilt, oder
c) sobald ein verbindlicher Unionsrechtsakt vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union oder von der Europäischen Kommission erlassen worden ist.
(4) Die Stillhaltefristen gemäß Abs. 1 und 2 gelten nicht
a) wenn es notwendig ist, eine technische Vorschrift aus dringenden Gründen, die durch eine ernste und unvorhersehbare Situation entstanden sind und sich auf den Gesundheitsschutz von Mensch und Tier, auf den Erhalt von Pflanzen oder auf die Sicherheit und im Fall von Vorschriften betreffend Dienste auch auf die öffentliche Ordnung, insbesondere auf den Jugendschutz, beziehen, ohne die Möglichkeit einer vorherigen Konsultation in kürzester Frist auszuarbeiten, um sie unverzüglich zu erlassen und in Kraft zu setzen. Die Dringlichkeit dieser Maßnahme ist in der Mitteilung gemäß § 3 Abs. 1 zu begründen;
b) für technische Vorschriften, die ein Herstellungsverbot enthalten, sofern diese Bestimmungen den freien Warenverkehr nicht behindern;
c) für technische Spezifikationen, sonstige Vorschriften betreffend Erzeugnisse oder Vorschriften betreffend Dienste im Sinne des § 2 Abs. 7 lit. c.
(5) Die Stillhaltefristen nach Abs. 2 lit. d, e und f und Abs. 3 gelten nicht für technische Vorschriften im Sinne des § 2 Abs. 7 lit. b.
(6) Während der Stillhaltefristen eingelangte Bemerkungen und Stellungnahmen der Europäischen Kommission oder eines Mitgliedstaates sind bei der weiteren Ausarbeitung der technischen Vorschrift soweit wie möglich zu berücksichtigen. Wird eine ausführliche Stellungnahme erstattet, so sind Maßnahmen, welche aufgrund dieser ausführlichen Stellungnahme beabsichtigt werden, der Europäischen Kommission mitzuteilen; im Falle von beabsichtigten Vorschriften betreffend Dienste sind gegebenenfalls jene Gründe zu nennen, aus denen die ausführliche Stellungnahme nicht berücksichtigt werden kann.
(7) Der endgültige Wortlaut der technischen Vorschrift ist der Europäischen Kommission unverzüglich mitzuteilen.
(8) Die Abs. 1 bis 7 gelten sinngemäß für wesentliche Änderungen der Entwürfe technischer Vorschriften.
*) Fassung LGBl.Nr. 25/2017
§ 5 § 5 Mitteilungsstelle
(1) Sofern nicht die Landesregierung selbst zur Erlassung technischer Vorschriften zuständig ist, sind die Entwürfe von technischen Vorschriften oder von wesentlichen Änderungen solcher Entwürfe von den zur Erlassung solcher technischer Vorschriften zuständigen Landesbehörden der Landesregierung zur Durchführung des Informationsverfahrens zu übermitteln.
(2) Die Landesregierung hat den zuständigen Landesbehörden das vom Bund bestätigte Datum des Eingangs der Mitteilung bei der Europäischen Kommission sowie Bemerkungen und Stellungnahmen der Europäischen Kommission oder eines Mitgliedstaates unverzüglich mitzuteilen.
§ 6 § 6*) Kundmachung
In der Kundmachung von technischen Vorschriften, die einem Informationsverfahren nach der Richtlinie (EU) 2015/1535 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft unterzogen worden sind, ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften dieser Richtlinie bei der Ausarbeitung der technischen Vorschriften eingehalten wurden.
*) Fassung LGBl.Nr. 25/2017