JudikaturVwGH

Ra 2025/18/0203 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. Oktober 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Gröger und Dr. in Sabetzer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2025, W124 2205142 5/7E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, hielt sich auf Basis einer vom 1. September 2015 bis zum 31. August 2016 gültigen Aufenthaltsbewilligung als Student in Österreich auf. Sein rechtzeitig gestellter Verlängerungsantrag wurde am 12. Jänner 2018 abgewiesen.

2 Am 16. März 2018 stellte er einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 31. Juli 2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abwies. Es erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, erklärte die Abschiebung nach Bangladesch für zulässig, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab.

5 Am 26. Mai 2021 stellte der Revisionswerber einen (ersten) Folgeantrag auf internationalen Schutz.

6 Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom 23. Mai 2023 wiederum zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und räumte ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise ein.

7 Das BVwG wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 14. Oktober 2024 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

8 Am 22. Jänner 2025 brachte der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen zweiten Folgeantrag auf internationalen Schutz ein.

9 Mit Bescheid vom 9. Mai 2025 wies das BFA den zweiten Folgeantrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

10 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

11 Begründend führte das BVwG soweit hier von Belang aus, der Revisionswerber habe keinen neuen, im Kern glaubhaften Sachverhalt vorgebracht, der zu einer inhaltlich anderslautenden Entscheidung führen könnte. Der Antrag sei daher wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

12 Durch die angeordnete Rückkehrentscheidung liege auch keine Verletzung des Art. 8 EMRK vor, da eine Gesamtschau der individuellen Umstände ergebe, dass die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen würden. Zwar halte sich der Revisionswerber bereits seit dem Jahr 2015 im Bundesgebiet auf, er habe in dieser Zeit jedoch abgesehen von seiner selbständigen Erwerbstätigkeit keine ernstlichen Bemühungen um eine Aufenthaltsverfestigung an den Tag gelegt. Seinen Aufenthalt habe er seit März 2018 lediglich durch die Stellung unbegründeter (Folge )Anträge auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren können. Der aus dem negativen Verfahrensausgang hinsichtlich seiner ersten beiden Anträge auf internationalen Schutz erwachsenen Ausreiseverpflichtungen sei der Revisionswerber nicht nachgekommen, sondern stellte stattdessen den gegenständlichen weiteren (Folge )Antrag auf internationalen Schutz. Es seien auch sonst keine besonderen zu Gunsten des Revisionswerbers sprechenden integrativen Schritte erkennbar, sodass von einer Verfestigung des Revisionswerbers in der österreichischen Gesellschaft nicht auszugehen sei. Die Bindungen zum Heimatstaat des Revisionswerbers seien deutlich stärker ausgeprägt. Eine wechselseitige Abhängigkeit zu seiner in Österreich lebenden Schwester habe sich im Verfahren ebenfalls nicht ergeben.

13 Die Erlassung des Einreiseverbotes erscheine für das BVwG in Abwägung mit den persönlichen Interessen des Revisionswerbers insbesondere in Anbetracht der beharrlichen Missachtung fremdenbehördlicher Anordnungen sowie unter Berücksichtigung der geringen Integration des Revisionswerbers im Bundesgebiet zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung geboten. Unter Betrachtung des Gesamtverhaltens des Revisionswerbers zum Entscheidungszeitpunkt, aus dem sich eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergebe, sei auch die vom BFA festgesetzte Dauer des Einreiseverbotes von zwei Jahren nicht zu beanstanden.

14 Das Absehen von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG erfüllt seien.

15 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit eine Verletzung der Verhandlungspflicht des BVwG im Zusammenhang mit der ergangenen Rückkehrentscheidung und dem Einreiseverbot geltend macht.

16 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

18 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Verhandlungspflicht im Zulassungsverfahren wozu auch Beschwerden gegen eine vor Zulassung des Verfahrens ausgesprochene Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG zählen ausgesprochen, dass die in § 21 Abs. 6a BFA VG enthaltene Wendung „unbeschadet des Abs. 7“ nur so verstanden werden kann, dass damit zum Ausdruck gebracht wird, dass eine Verhandlung jedenfalls immer dann zu unterbleiben hat, wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA VG vorliegen. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob nach § 21 Abs. 6a BFA VG im Rahmen der Ermessensübung von der Durchführung der Verhandlung Abstand genommen werden kann, nicht mehr (vgl. VwGH 19.9.2024, Ra 2024/18/0153, mwN).

20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

21 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie etwa jüngst VwGH 12.8.2025, Ra 2025/18/0218, mwN).

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Nur in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann eine Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.3.2022, Ra 2020/18/0339, mwN; siehe auch VwGH 5.8.2021, Ra 2021/18/0240, mwN).

23 Dass das BVwG von diesen rechtlichen Leitlinien fallbezogen abgewichen wäre, vermag die Revision nicht darzutun. Abgesehen davon, dass das BVwG seinen Feststellungen ohnedies das Vorbringen des Revisionswerbers zu seinem Privat und Familienleben zugrunde gelegt hat, legt die Revision auch nicht konkret dar, welche anderen Feststellungen zu treffen gewesen bzw. welche wesentlichen Änderungen (in den acht Monaten) seit Erlassung der Rückkehrentscheidung mit Erkenntnis des BVwG vom 14. Oktober 2024 eingetreten wären. Ausgehend davon zeigt die Revision nicht auf, dass die mündliche Verhandlung zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis führen hätte können und der Sachverhalt fallbezogen nicht als gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG geklärt angesehen werden durfte.

24 Soweit die Revision den über zehnjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden hat. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden. Die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich nehmen grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Allein aus der Aufenthaltsdauer lässt sich ein Recht auf Verbleib in Österreich aber nicht ableiten. Diese Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist wenn sie unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführt wurde, auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 20.1.2025, Ra 2025/18/0001, mwN).

25 Eine solche Gesamtabwägung unter Einbeziehung der fallbezogen maßgeblichen Aspekte und unter Gewichtung der mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet hat das BVwG vorgenommen. Es bezog in seine Abwägung ein, dass der Revisionswerber seit dem Jahr 2019 selbständig tätig und selbsterhaltungsfähig sei. Dem stellte es die bereits mit den Erkenntnissen des BVwG vom 4. Dezember 2019 und vom 14. Oktober 2024 getroffenen, vom Revisionswerber missachteten Rückkehrentscheidungen bzw. die nicht befolgten Ausreiseverpflichtungen und die weiterhin nicht im hohen Grad ausgeprägte Integration gegenüber. Vor diesem Hintergrund kam es zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib überwiege. Dieser Argumentation setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

26 Was die Erlassung des Einreiseverbotes betrifft, lässt die Revision außer Acht, dass das BVwG dieses entgegen der Revision nicht auf § 53 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), sondern auf § 53 Abs. 2 FPG gestützt hat. Nicht nur geht das diesbezügliche Vorbringen der Revision daher schon deswegen ins Leere, es setzt sich zudem mit den Erwägungen des BVwG, das zur Begründung des Einreiseverbotes im Wesentlichen mit der beharrlichen Missachtung fremdenbehördlicher Anordnungen durch den Revisionswerber argumentiert, gar nicht auseinander.

27 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 8. Oktober 2025

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