Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision 1. des A S, 2. der E S, 3. der mj. M S, 4. des mj. M S, 5. der mj. S S, und 6. des mj. E S, die Minderjährigen vertreten durch ihre Eltern, diese vertreten durch Mag. Hilal Kafkas, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. März 2025, 1. L519 2303202 1/13E, 2. L519 2303205 1/15E, 3. L519 2303207 1/10E, 4. L519 2303209 1/10E, 5. L519 2303211 1/10E und 6. L519 2303204 1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wurde die Anträge der revisionswerbenden Parteien, allesamt Staatsangehörige der Türkei, auf internationalen Schutz vom 3. September 2023 (erst bis fünftrevisionswerbende Partei) und vom 5. April 2024 (sechstrevisionswerbende Partei) im Beschwerdeverfahren und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Gänze abgewiesen; es wurde ihnen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen alle revisionswerbenden Parteien wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und jeweils festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt A.). Die Revision erachtete das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).
2 Das BVwG begründete seine Entscheidungen damit, dass sich das Fluchtvorbringen der revisionswerbenden Parteien, welches sich auf eine Verfolgung der erstrevisionswerbenden Partei durch Private und die mangelnde Schutzwilligkeit des türkischen Staates bezogen habe, aufgrund näher genannter Widersprüche zu unterschiedlichen Aspekten des Vorbringens und der unplausiblen Angaben der erstrevisionswerbenden Partei sowie ihrem Aussageverhalten in der mündlichen Verhandlung als nicht glaubhaft erwiesen habe. Der türkische Staat sei zudem jedenfalls schutzfähig und schutzwillig. Den revisionswerbenden Parteien stehe überdies eine innerstaatliche Fluchtalternative innerhalb der Türkei offen, zumal es Privatpersonen nicht möglich sei, den Aufenthaltsort der revisionswerbenden Parteien ohne Weiteres zu eruieren. Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe sei vor dem Hintergrund der den Entscheidungen zugrunde gelegten Länderberichte nicht erkennbar. Auch drohe den revisionswerbenden Parteien keine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK. Die erst und zweitrevisionswerbenden Parteien seien gesund und erwerbsfähig, hätten Zugang zum türkischen Sozialsystem und verfügten über umfangreiche familiäre Anknüpfungspunkte. In die Interessenabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidungen bezog das BVwG die Aufenthaltsdauer seit September 2023 ebenso mit ein wie die mangelnden weiteren familiären Anknüpfungspunkte der revisionswerbenden Parteien in Österreich, die mangelnden Deutschkenntnisse, das Nichtvorliegen einer Erwerbstätigkeit bei den erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien sowie deren strafrechtliche Unbescholtenheit, das anpassungsfähige Alter der dritt bis sechstrevisionswerbenden Parteien und die Wahrung deren Kindeswohls.
3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision wendet sich zunächst gegen die Beweiswürdigung des BVwG im Hinblick auf das Fluchtvorbringen der erstrevisionswerbenden Partei und bringt dazu vor, dass die Beweiswürdigung des BVwG auf Mutmaßungen beruhe und nicht schlüssig sei, ohne dies näher auszuführen, und dass sich die Begründung des BVwG hinsichtlich der Privatverfolgung darin erschöpfe, dass dieser Umstand nicht gegen den Umzug der revisionswerbenden Parteien in andere Städte spreche.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch festgehalten, dass die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegt und im Allgemeinen nicht revisibel ist (vgl. zB VwGH 7.5.2025, Ra 2025/01/0081, mwN).
9 Das BVwG legte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck insbesondere von der erstrevisionswerbenden Partei verschaffte und diese zu den Fluchtgründen näher befragte, in einer ausführlichen Beweiswürdigung im Einzelnen dar, aus welchen Erwägungen es zum Ergebnis gelangte, dass die erstrevisionswerbende Partei nicht habe glaubhaft machen können, in der Türkei einer Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt gewesen zu sein bzw. im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ausgesetzt zu sein. Zudem stützte es sich darauf, dass sich der türkische Staat jedenfalls schutzfähig und schutzwillig zeige. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG unvertretbar wären, vermögen die revisionswerbenden Parteien mit ihren pauschal gebliebenen Ausführungen nicht darzutun.
10 Soweit die Revision sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf Verfahrensmängel im Hinblick auf das Vorbringen, dass Oppositionelle der Gefahr strafrechtlicher Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe ausgesetzt seien, sowie zur Situation der Kurden in der Türkei stützt, ist ihr Folgendes zu entgegnen:
11 Werden Verfahrensmängel wie hier Begründungs und Ermittlungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 13.5.2024, Ra 2024/14/0221, mwN). Eine solche konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung lässt die Revision mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen vermissen. Zum einen wurde ein Vorbringen, dass eine der revisionswerbenden Parteien oppositionell aktiv gewesen sei oder staatliche Verfolgung zu befürchten habe, im Verfahren zu keinem Zeitpunkt erstattet. Zum anderen verabsäumt sie es, in Auseinandersetzung mit der Begründung des BVwG konkret auszuführen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären und aufgrund welcher Umstände diese in den vorliegenden Fällen zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.
12 Soweit sich die Revision gegen die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK wendet und dazu über weite Strecken allgemeine Länderberichte zur menschenrechtlichen Lage, Rechtsstaatlichkeit sowie Freiheit der Meinungsäußerung in der Türkei ohne jeglichen Fallbezug wiedergibt, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA VG unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie wie in den vorliegenden Fällen auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel ist (vgl. VwGH 16.1.2025, Ra 2024/14/0691, mwN). Das BVwG setzte sich mit den maßgeblichen Aspekten des Privat und Familienlebens der revisionswerbenden Parteien in Österreich und in der Türkei unter Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände der revisionswerbenden Parteien ebendort auseinander und stellte es dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber. Dass die derart vorgenommene Beurteilung des BVwG unvertretbar oder sonst mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehler behaftet wäre, zeigen die revisionswerbenden Parteien mit ihren Verweisen auf näher genannte Länderberichte und die Menschenrechtslage im Herkunftsstaat nicht auf.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 20. August 2025