JudikaturVwGH

Ra 2025/08/0009 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
13. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofräte Mag. Stickler und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision 1. der S. GmbH und 2. des S V, beide in T und vertreten durch Mag. Doris Riedler, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 13. November 2024, LVwG 303657/3/KÜ/MG 303658/2, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wels Land), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Straferkenntnis vom 9. Oktober 2023 sprach die Bezirkshauptmannschaft Wels Land aus, der Zweitrevisionswerber habe es zu verantworten, dass die erstrevisionswerbende Partei als Dienstgeberin den in der Krankenversicherung pflichtversicherten D S am 17. Februar 2022 um 14:25 Uhr auf einer näher bezeichneten Baustelle im Zuge von Estricharbeiten beschäftigt habe, ohne ihn vor Arbeitsantritt bei der zuständigen Krankenkasse zur Sozialversicherung angemeldet zu haben. Wegen dieser Verwaltungsübertretung nach § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 Abs. 1 ASVG wurde über den Zweitrevisionswerber eine Geldstrafe von € 2.180,00 (Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen) verhängt. Außerdem wurde der Zweitrevisionswerber zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von € 218,00 verpflichtet. Schließlich wurde ausgesprochen, dass die erstrevisionswerbende Partei für die verhängte Geldstrafe und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte.

2 In der gegen dieses Straferkenntnis gerichteten Beschwerde machten die revisionswerbenden Parteien unter anderem geltend, entgegen den Annahmen der Bezirkshauptmannschaft Wels Land habe der Zweitrevisionswerber als Geschäftsführer der erstrevisionswerbenden Partei ein näher dargestelltes wirksames Kontrollsystem hinsichtlich der ordnungsgemäßen Anmeldung von Arbeitskräften zur Sozialversicherung eingerichtet, weshalb keine schuldhafte Pflichtverletzung gegeben sei. Sollte doch von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgegangen werden, lägen aufgrund näher ausgeführter Umstände jedenfalls die Voraussetzungen für eine bloße Ermahnung iSd § 45 Abs. 1 Z 4 VStG vor bzw. sei die verhängte Geldstrafe „überhöht“. Die revisionswerbenden Parteien beantragten gemäß § 44 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

3 Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gab der Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Folge und bestätigte das Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass die Ersatzfreiheitsstrafe auf 146 Stunden herabgesetzt werde. Außerdem sprach das Landesverwaltungsgericht aus, dass der Zweitrevisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe. Die Revision erklärte das Landesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

4 In der Begründung führte das Landesverwaltungsgericht insbesondere aus, auch mit dem näher dargestellten Vorbringen in der Beschwerde habe der Zweitrevisionswerber „eine von ihm vorgenommene wirksame begleitende Kontrolle der An- und Abmeldungen bzw. des Arbeitseinsatzes von Arbeitnehmern nicht belegen“ können.

5 Eine öffentliche mündliche Verhandlung habe gemäß § 44 Abs. 3 VwGVG entfallen können, da in der Beschwerde der Sachverhalt nicht bestritten, sondern nur die rechtliche Beurteilung „beeinsprucht“ worden sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land erwogen hat:

7 Zur Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung macht die Revision insbesondere geltend, dass das Landesverwaltungsgericht entgegen der klaren Rechtslage nach § 44 VwGVG von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Das Landesverwaltungsgericht hat das Absehen von der Verhandlung auf § 44 Abs. 3 VwGVG gestützt und damit begründet, dass in der Beschwerde der Sachverhalt nicht bestritten, sondern nur die rechtliche Beurteilung „beeinsprucht“ worden sei.

10 Nach § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG kann das Verwaltungsgericht von einer Verhandlung absehen, wenn in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat, wobei die normierten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen (vgl. VwGH 18.6.2021, Ra 2021/02/0057, mwN).

11 Ungeachtet des Umstandes, dass sich die Beschwerde nicht nur gegen die rechtliche Beurteilung wandte, sondern auch Vorbringen zum Sachverhalt enthielt, durfte das Landesverwaltungsgericht schon deshalb nicht gemäß § 44 Abs. 3 VwGVG von der Verhandlung absehen, weil in der Beschwerde ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung gestellt wurde.

12 Das Absehen von einer beantragten Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen setzt im Übrigen wenn nicht ein Fall des § 44 Abs. 2 VwGVG oder ein Verzicht im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG vorliegt gemäß § 44 Abs. 4 VwGVG jedenfalls voraus, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat (vgl. VwGH 23.3.2015, Ra 2014/08/0066). Im vorliegenden Fall hatte das Landesverwaltungsgericht aber mit Erkenntnis zu entscheiden, sodass es insgesamt nicht von der Verhandlung absehen durfte.

13 Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/08/0126, mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. März 2025

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