JudikaturVwGH

Ra 2025/07/0262 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
30. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Mag. Haunold als Richter sowie die Hofrätin Dr. Holzinger als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revisionen 1. der Landeshauptfrau von Salzburg und 2. der K GmbH, vertreten durch die Saxinger Rechtsanwalts GmbH in Linz, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 24. Juli 2025, Zl. 405 1/1306/1/17 2025, betreffend Aussetzung eines Beschwerdeverfahrens in einer Angelegenheit des AWG 2002, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Zweitrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.446,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg (nunmehr: Landeshauptfrau von Salzburg [Erstrevisionswerberin]) vom 4. März 2025 wurde der Zweitrevisionswerberin die abfallwirtschaftsrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Bodenaushubdeponie („B in S“) mit einer Gesamtkubatur von 185.000 m 3 auf näher genannten Grundstücken der KG A. erteilt. Die Genehmigung umfasst auch die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb der Bodenaushubdeponie sowie die wasserrechtliche Bewilligung zur Versickerung der durch die Bodenaushubdeponie anfallenden Oberflächenwässer nach Vorreinigung und die Errichtung der dazu notwendigen Anlagen.

2 Dagegen erhoben mehrere Anrainer und die Standortgemeinde Beschwerden, in denen insbesondere befürchtete Beeinträchtigungen für die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf der öffentlichen Gemeindestraße entlang eines Wohngebietes infolge des Zu und Abfahrtverkehrs der Lkw zu der geplanten Deponie geltend gemacht wurden.

3 Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Landesverwaltungsgericht Salzburg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) gemäß § 38 AVG das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Amtsrevision des Landeshauptmannes von Salzburg gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 28. Mai 2024 (betreffend die „Deponie E“) aus und es erklärte eine ordentliche Revision als nicht zulässig.

4 Dazu hielt das Verwaltungsgericht fest, in der Entscheidung über die erwähnte, beim Verwaltungsgerichtshof bereits anhängige Amtsrevision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts, mit dem in Stattgabe einer Beschwerde einer Standortgemeinde und durch Abänderung des behördlichen Bescheides ein Antrag auf abfallwirtschaftsrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Bodenaushubdeponie mit einer Kubatur von 250.000 m 3 abgewiesen worden sei, sei hinsichtlich der Frage einer wesentlichen Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf einer öffentlichen Gemeindestraße durch den Zu und Abfahrtsverkehr einer geplanten Deponie zum vorliegenden Beschwerdeverfahren im Kern eine Vorfrage im Sinn des § 38 Satz 2 AVG zu erkennen.

Folglich sei das weitere Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Frage, inwiefern die Zu und Abfahrten der Lkw zur und von der Deponie auf der öffentlichen Straße durch ein Wohngebiet im unmittelbaren Nahbereich der Betriebsanlage dem Betriebsgeschehen zuzurechnen seien und ob die Genehmigung nach § 37 Abs. 1 iVm § 38 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 iVm § 74 Gewerbeordnung 1994 zu versagen sei, wenn dieses Fahren zur betrieblichen Beschickung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf der öffentlichen Straße führe, bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die eingebrachte Revision auszusetzen gewesen.

5 Gegen diesen Beschluss richten sich die Amtsrevision der Erstrevisionswerberin wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die außerordentliche Revision der Zweitrevisionswerberin, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der beiden Revisionen zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 In den Zulässigkeitsbegründungen der vorliegenden Revisionen wird übereinstimmend vorgebracht, der angefochtene Beschluss weiche von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens nach § 38 AVG (iVm § 17 VwGVG) ab.

7 Die Revisionen sind zulässig und berechtigt.

8 Gemäß § 38 AVG ist die Behörde (und gegebenenfalls iVm § 17 VwGVG das Verwaltungsgericht), sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

9 Dass eine gleichartige, ähnliche Rechtsfrage in einem anderen Verfahren zu klären ist, bedeutet noch nicht, dass eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vorliegt. Vielmehr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden, von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt. Dass es sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln muss, über die von der anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, dass der besondere prozessökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet, wobei eine solche Bindungswirkung jedoch immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage entfaltet (vgl. VwGH 30.9.2021, Ra 2021/09/0174; 1.4.2025, Ra 2024/08/0136, jeweils mwN).

10 Ferner stellt die Frage der Auslegung oder der Rechtmäßigkeit einer anzuwendenden generellen Norm keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG dar. Eine anhängige Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof bzw. eine anhängige Revision vor dem Verwaltungsgerichthof begründet derart für Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte prinzipiell keine Vorfragenproblematik (VwGH 11.7.2019, Ra 2019/03/0029, mwN).

11 Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage stellt die im angefochtenen Beschluss erwähnte Frage („inwiefern die Zu und Abfahrten der LKW zur und von der Deponie auf der öffentlichen Straße durch ein Wohngebiet im unmittelbaren Nahbereich der Betriebsanlage dem Betriebsgeschehen zuzurechnen sind und ob die Genehmigung nach § 37 Abs. 1 iVm § 38 AWG iVm § 74 GewO zu versagen ist, wenn dieses Fahren zur betrieblichen Beschickung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs auf der öffentlichen Straße führt“), die nach Ansicht des Verwaltungsgerichts in einem (Anmerkung: beim Verwaltungsgerichtshof zu Ro 2024/07/0008 bis 0009) anhängigen Revisionsverfahren zu beantworten sei, keine Vorfrage dar, die im hier gegenständlichen Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht im Sinne des § 38 AVG iVm § 17 VwGVG zur Aussetzung des Verfahrens ermächtigte.

12 Die allfällige Klärungsbedürftigkeit einer gleichartigen, ähnlichen Rechtsfrage in einem anderen Verfahren bzw. in einem vor dem Verwaltungsgerichtshof bereits anhängigen Revisionsverfahren bedeutet nach dem Gesagten nämlich noch nicht, dass eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG vorliegt.

13 Das zu Ro 2024/07/0008 bis 0009 anhängige Revisionsverfahren betrifft die Genehmigung einer vom vorliegenden Verfahrensgegenstand verschiedenen Deponie; es besteht im Übrigen abgesehen von der belangten Behörde bzw. der Amtsrevisionswerberin auch keine Parteienidentität. Die Entscheidung im genannten Revisionsverfahren ist für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell und entfaltet im prozessualen Sinn für das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren keine Bindungswirkung im Sinne des § 38 AVG.

14 Da sich somit schon aus dem angefochtenen Beschluss ergibt, dass eine in den Revisionen behauptete Rechtsverletzung (bzw. Rechtswidrigkeit) vorliegt, war dieser Beschluss gemäß § 35 Abs. 2 VwGG ohne weiteres Verfahren wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15 Dem Verfahren waren keine Mitbeteiligten im Sinn des § 35 Abs. 2 Z 1 VwGG beizuziehen, weil nach ständiger hg. Rechtsprechung § 38 AVG einer Partei keinen Anspruch auf Aussetzung eines Verfahrens einräumt. Einer Partei erwächst selbst aus einem rechtskräftigen Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG kein subjektives Recht auf Nichtbeendigung des ausgesetzten Verfahrens, sie kann ferner durch die Fortsetzung eines ausgesetzten Verfahrens vor Beendigung des die Vorfrage betreffenden Verfahrens nicht in ihren Rechten verletzt sein (vgl. etwa VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0609 bis 0611; 12.9.2023, Ro 2023/20/0001, jeweils mwN).

16 Im Hinblick auf die vorliegende dieselben Intentionen wie die Revision der Zweitrevisionswerberin verfolgende Amtsrevision der Erstrevisionswerberin konnte überdies eine hg. Verfügung, mit der gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 VwGG der belangten Behörde die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Vorliegen der (hier: von der Zweitrevisionswerberin behaupteten) Rechtsverletzung einzuräumen wäre, unterbleiben.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. September 2025

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