JudikaturVwGH

Ra 2025/04/0118 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision 1. des J W, 2. der J J, 3. des M J, 4. der C J, 5. der P W, 6. des R S, 7. der S S, 8. des G W, 9. der F W, 10. des H G und 11. der C G, alle in L, alle vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Christian Klotz, MMag. Mathias Demetz, Dr. Simon Gleirscher und MMag. Markus Sandtner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Erlerstraße 4/3. OG, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 25. Februar 2025, Zl. LVwG 2024/15/2881 8, betreffend eine Angelegenheit nach der Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kufstein; mitbeteiligte Partei: M K in L), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 1. Mit schriftlicher Eingabe vom 22. Mai 2024 suchte der Mitbeteiligte bei der belangten Behörde um die Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung für das Projekt „Zwischenlager für natürliche und rezyklierte Gesteinskörnungen sowie Humus/Aushubmaterial mit einem Jahresumschlag von 1200 m³“ auf bestimmt bezeichneten Grundstücken unter Einreichung von Projektunterlagen an.

2 Die Revisionswerber sind jeweils Nachbarn im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994.

3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Oktober 2024 wurde dem Mitbeteiligten die gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigung gemäß §§ 74 und 77 GewO 1994 für das bezeichnete Zwischenlager erteilt.

4 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachten die Revisionswerber neben Verfahrensmängeln insbesondere vor, dass die Voraussetzung für ein vereinfachtes Verfahren gemäß § 359b GewO 1994 nicht vorliege. Weder seien gegenständlich Maschinen, Geräte und Ausstattungen der Anlage involviert, die in Verordnungen gemäß § 76 Abs. 1 GewO 1994 oder Bescheiden gemäß § 76 Abs. 2 GewO 1994 angeführt oder die nach ihrer Beschaffenheit und Wirkungsweise vornehmlich oder auch dazu bestimmt seien, in Privathaushalten verwendet zu werden (§ 359b Abs. 1 Z 1 GewO 1994). Darüber hinaus betrage das Ausmaß der Betriebsanlage jedenfalls mehr als 800 m² (§ 359b Abs. 1 Z 2 GewO 1994), da sich bei richtiger Beurteilung die gegenständliche gewerbliche Betriebsanlage nicht nur auf die eigentliche Lagerfläche im Ausmaß von ca. 570 m² beschränke, sondern vielmehr zwingend der gesamte Zu- und Abfahrtsbereich zur Betriebsanlage als Teil der Betriebsanlage einzuberechnen sei.

5 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerden als unbegründet ab und sprach ferner aus, dass der Spruch des bekämpften Bescheides zu lauten habe wie folgt:

„Es wird festgestellt, dass die Betriebsanlage ‚Zwischenlager für natürliche und rezyklierte Gesteinskörnungen sowie Humus/Aushubmaterial auf Gp. [...], KG L[...] mit einem Jahresumschlag von 1200 m³‘, zur Zwischenlagerung von Bodenaushubmaterial der Schlüssel Nr.: 31411 sowie den Schlüssel Nr. Spezifizierungen: 29 32 und 45, gemäß der in Geltung stehenden Abfallverzeichnisverordnung, BGBl. II Nr. 409/2020, entsprechend der signierten Projektunterlagen des I[...] vom 14.05.2024 (eingereicht am 22.05.2024) in der Fassung der signierten Projektergänzungen bzw. Projektkonkretisierungen vom 13.12.2024 (Plan vom 12.12.2024), welche einen integralen Bestandteil der Erledigung bilden, die Voraussetzungen gemäß § 359b Abs 1 Z 2 GewO 1994, nämlich ein Ausmaß der der Betriebsanlage zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten und sonstigen Betriebsflächen von nicht mehr als 800 m² und die elektrische Anschlussleistung der zur Verwendung gelangenden Maschinen und Geräte von weniger als 300 kW, erfüllt.“

6 Ferner sprach das Verwaltungsgericht aus, es würden die Nebenbestimmungen des behördlichen Bescheides als Aufträge gemäß § 359b Abs. 3 GewO 1994 erteilt. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

7 Das Verwaltungsgericht traf unter anderem die Feststellungen, im verfahrensgegenständlichen Zwischenlager sollten bis zu 300 m³ Schüttmaterial zwischengelagert werden, dies bei einem Jahresumschlag von 1200 m³. Nach den eingereichten Planunterlagen in der Fassung der Konkretisierungen vom 12. Dezember 2024 verfüge das Zwischenlager über eine Fläche von 570 m², wobei die Lagerflächen (Lagerboxen) 180 m² und der Wende- und Manipulationsbereich 390 m² ausmachten. Die Zufahrtsflächen betrügen 223 m². Die Betriebsanlage habe damit ein Gesamtflächenausmaß von 793 m². Die verkehrsmäßige Erschließung des Zwischenlagers erfolge über die bestehende Hofzufahrt, ausgehend von der L...straße. Zur Beförderung des Materials werde ein Radlader der Marke L eingesetzt. Weitere Maschinen oder Geräte kämen nicht zum Einsatz.

8 Zusammengefasst führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, das ergänzend durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Voraussetzungen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gemäß § 359b Abs. 1 Z 2 GewO 1994 für das gegenständliche Projekt vorlägen, da das Gesamtausmaß der Betriebsanlage 800 m² unterschreite und die elektrische Anschlussleistung der in der Betriebsanlage eingesetzten Maschinen und Geräte 300 kW nicht übersteige. Wenn die Revisionswerber einwendeten, dass die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren gemäß § 359b GewO 1994 im gegenständlichen Fall nicht gegeben seien, da das Gesamtausmaß der Betriebsanlage 800 m² überschreite, weil die vom Mitbeteiligten neu ausgewiesenen (Gesamt )Flächenmaße einschließlich der miteinzubeziehenden Wende- und Manipulationsbereiche sowie der Zufahrtsflächen unplausibel seien, da sie sich von den ursprünglichen Planungsdaten unterschieden, zumal auch im ursprünglichen Plan aufgrund der eingezeichneten Schüttkegel in der Zwischenlagerfläche von 570 m² kein Platz für Wende- und Manipulationsflächen gewesen sei, die Pläne sich nicht mit dem „status quo“ der Betriebsanlage deckten und diese lediglich derart angepasst worden seien, dass die gesetzliche Grenze von 800 m² gerade noch eingehalten werde, sei dem nicht zu folgen: Ein Betriebsanlagengenehmigungsverfahren sei ein Projektverfahren, in dem der Beurteilung die im § 353 GewO 1994 genannten Einreichunterlagen zu Grunde zu legen seien. Ob die mitbeteiligte Partei die Betriebsanlage auf Grundlage dieser Projektunterlagen, auf denen die gegenständliche Bewilligung beruhe, künftig auch tatsächlich betreibe, oder die verzeichneten Flächenausmaße für den von der mitbeteiligten Partei (gewünschten) Geschäftsbetrieb in der Praxis zu gering bemessen seien, sei an dieser Stelle nicht zu prüfen. Die beantragte Begehung vor Ort oder die Befassung eines Sachverständigen für Vermessungstechnik sei aufgrund der technischen Befähigung des Planungserstellers nicht erforderlich. Auf das weitere Vorbringen der Beschwerdeführer sei inhaltlich nicht weiter einzugehen, weil das Mitspracherecht der Nachbarn im vereinfachten Betriebsanlagengenehmigungsverfahren darauf beschränkt sei einzuwenden, dass die Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten Verfahrens gemäß § 359b GewO 1994 nicht vorlägen.

9 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung. Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 4.1. Die Revisionswerber bringen in der Zulässigkeitsbegründung unter anderem vor, das Verwaltungsgericht weiche durch das Absehen von der (ausdrücklich beantragten) mündlichen Verhandlung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach welcher dann, wenn eine Tatsachenfrage aufgeworfen werde, die Parteien das Recht hätten, dass ihre Angelegenheit in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert werde.

Die Revision ist bereits aus diesem Grund zulässig und berechtigt.

11 4.2. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es zum Entfall der Verhandlungspflicht, wenn Verfahrensgegenstand nur die Lösung einer Rechtsfrage ist (vgl. zu alldem VwGH 29.6.2017, Ra 2017/04/0036, Rn. 19 ff, mwN, insbes. mit Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des EGMR in den Urteilen vom 18. Juli 2013, Nr. 56422/09, Schädler Eberle gegen Liechtenstein , und vom 8. November 2016, Nr. 64160/11, Pönkä ).

Entscheidend ist, dass die mündliche Verhandlung Teil des Ermittlungsverfahrens (vgl. § 39 Abs. 2 AVG) ist, dessen Zweck es ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache (Rechtssache) maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben (vgl. wiederum VwGH Ra 2017/04/0036).

Vor dem Hintergrund des die Voraussetzungen für die Beurteilung der Anwendbarkeit des vereinfachten Genehmigungsverfahrens betreffenden Tatsachenvorbringens (insbesondere in Hinblick auf die Flächenausmaße des Vorhabens) durch die Revisionswerber durfte das Verwaltungsgericht fallbezogen nicht von einer mündlichen Verhandlung absehen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 erster Satz VwGG, iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Juni 2025

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