Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und den Hofrat Dr. Faber als Richter sowie die Hofrätin Dr. in Sabetzer als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Melk gegen das am 16. Jänner 2025 mündlich verkündete und mit 24. Jänner 2025 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich, Zl. LVwG AV 1028/001 2024, betreffend Waffenverbot (mitbeteiligte Partei: H H, vertreten durch die Gloß Pucher Leitner Gloß Enzenhofer Rechtsanwälte in St. Pölten), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Mit Mandatsbescheid der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde und nunmehrigen Revisionswerberin vom 10. November 2023 wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 12 Abs. 1 und 3 Waffengesetz 1996WaffG der Besitz von Waffen und Munition verboten. Begründend stützte sich die belangte Behörde darauf, dass gegen den Mitbeteiligten am 31. Oktober 2023 zwei Betretungs- und Annäherungsverbote gemäß § 38a SicherheitspolizeigesetzSPG ausgesprochen worden seien. Der Mitbeteiligte habe an diesem Tag in alkoholisiertem Zustand seinem Sohn ins Gesicht geschlagen. Er habe sich in den vergangenen Jahren gegenüber seinen Familienangehörigen bereits mehrfach durch körperliche Übergriffe aggressiv verhalten, insbesondere bei exzessivem Alkoholgenuss.
2 Auf Grund einer dagegen erhobenen Vorstellung bestätigte die belangte Behörde mit Bescheid vom 27. Juni 2024 den Mandatsbescheid.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge und änderte den Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend ab, dass der Vorstellung Folge gegeben, der Mandatsbescheid vom 10. November 2023 aufgehoben und das Verfahren betreffend das Verbot von Waffen und Munition eingestellt werde. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Das Verwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, in der sich die als Zeugen geladene Ehegattin und die beiden Kinder des Mitbeteiligten ihrer Aussage entschlugen.
5Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte sei als Sicherheitsfachkraft tätig, straf- und verwaltungsrechtlich unbescholten sowie noch nie im Besitz einer Waffe gewesen. Er befinde sich mit seiner Ehefrau aktuell in einem Scheidungsverfahren. Familiäre Auseinandersetzungen habe es insbesondere aufgrund von unterschiedlichen Meinungen zur Erziehung des gemeinsamen Sohnes gegeben; dabei habe es „auch fallweise geringfügige körperliche Auseinandersetzungen wie gegenseitiges Schubsen“ gegeben. Vom Mitbeteiligten eingestanden seien ein Schlag mit der Hand gegen das Gesäß des Sohnes vor längerer Zeit und eine Ohrfeige am 31. Oktober 2023. Abgesehen davon könne nicht festgestellt werden, dass der Mitbeteiligte seiner Familie gegenüber gewalttätig gewesen wäre oder dass er übermäßig Alkohol konsumiert hätte und dabei noch häufiger gewalttätig gewesen wäre. Die gegen den Mitbeteiligten auf Grund der Vorfälle vom 31. Oktober 2023 wegen fortgesetzter Gewaltausübung gemäß § 107b Abs. 1 und § 107b Abs. 3a Z 1 StGB eingeleiteten Strafverfahren seien von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
6Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht auf die Aussagen des Mitbeteiligten und die Dokumentation einer näher genannten Polizeiinspektion gemäß § 38a SPG nach Anordnung der Betretungs- und Annäherungsverbote gegen den Mitbeteiligten sowie auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts über die Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten gegen diese Verbote. Die Aussagen der Ehegattin und der Kinder des Mitbeteiligten „im verwaltungsbehördlichen Verfahren und vor der Polizei“ seien von der Beweiswürdigung ausgenommen bzw. in dieser nicht berücksichtigt.
7 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung der einschlägigen Rechtslage und Judikatur aus, dass sich im gegenständlichen Verfahren die geladenen Familienangehörigen die Ehegattin sowie die beiden minderjährigen Kinder ihrer Aussage entschlagen hätten.
8Wenn sich ein Zeuge berechtigterweise der Aussage entschlage, dürften frühere, außerhalb dieser Verhandlung abgelegte Aussagen nicht verwertet werden (mit Hinweis auf VwGH 16.6.2003, 2003/02/0115; 6.7.2015, Ra 2014/02/0152), und dürfe die Tatsache einer Zeugnisentschlagung schon ihrem Sinn und Zweck nach bei der Beweiswürdigung nicht verwertet werden (mit Hinweis auf VwGH 31.1.1996, 95/03/0271; 20.3.1996, 96/03/0015).
9Die von der belangten Behörde bezogene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 2010, 2009/03/0145, nach der die Behörde gemäß § 46 AVG nicht gehindert sei, bei der Erstattung einer Anzeige getätigte Aussagen der Ehegattin des damaligen Beschwerdeführers, über den gemäß § 12 Abs. 1 WaffG ein Waffenverbot verhängt worden war, auch dann zu verwerten, wenn sie in der Folge im gerichtlichen Strafverfahren von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht habe, sei nicht einschlägig. Dieser Entscheidung habe nämlich einen anderen Sachverhalt die Entschlagung eines Zeugen in einem Strafverfahren betroffen. Hingegen hätten sich die Zeugen im vorliegenden Fall im nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren entschlagen und eine Verwertung ihrer bisherigen Aussagen würde dem Zweck des Entschlagungsrechts der Zeugen zuwiderlaufen. Sämtliche Aussagen dieser Zeugen im verwaltungsbehördlichen Verfahren seien sohin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtlich und nicht zu verwerten.
10 Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich zwar, dass es in der Familie des Mitbeteiligten zu nicht unerheblichen Spannungen zwischen ihm und seiner Ehegattin und den Kindern gekommen sei, nicht aber, dass dieser zur Gewaltausübung seiner Familie gegenüber neige. Er habe zwar zugestanden, seinem Sohn eine Ohrfeige sowie einen Schlag mit der Hand gegen sein Gesäß zugefügt zu haben. Diese beiden körperlichen Übergriffe ließen sich „zwar nicht per se“ rechtfertigen; sie würden jedoch auch nicht rechtfertigen, von einem erhöhten Gewaltpotenzial des Mitbeteiligten auszugehen. Zudem sei ein übermäßiger Alkoholkonsum des Mitbeteiligten nicht erwiesen.
11 Zwar ergebe sich aus der polizeilichen Dokumentation zur Wegweisung des Mitbeteiligten am 31. Oktober 2023, dass sich dieser auch gegenüber den Polizeibeamten in einem alkoholisierten Zustand herabwürdigend, laut und aggressiv verhalten habe. Jedoch dürfe alleine daraus aufgrund der auch für den Mitbeteiligten bestandenen Ausnahmesituation nicht auf eine grundsätzlich aggressive und zu Gewaltanwendung neigende Haltung geschlossen werden. Auch liege dieser Vorfall bereits ein Jahr zurück und sei es seither zu keinen relevanten Vorfällen gekommen; vielmehr sei im Zuge des laufenden Scheidungsverfahrens ein Kontakt des Mitbeteiligten zu seinen Kindern unterstützt worden.
12Das verwaltungsgerichtliche Erkenntnis, mit welchem die Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten gegen die Betretungs- und Annäherungsverbote sowie das vorläufig verhängte Waffenverbot als unbegründet abgewiesen worden sei, habe wenig Relevanz für das gegenständliche Verfahren. In jenem Verfahren sei zu beurteilen gewesen, ob in der damaligen Situation die einschreitenden Polizeiorgane vertretbar davon ausgehen konnten, dass ein gefährlicher Angriff des Mitbeteiligten bevorstehen hätte können. Diese Beurteilung habe keinen Konnex zu der im vorliegenden Fall zu treffenden Prognoseentscheidung nach § 12 Abs. 1 WaffG.
13 Der Mitbeteiligte habe aktenkundig „grundsätzlich ein untadeliges Leben“ geführt und gehe einem verantwortungsvollen Beruf nach. Es lägen keine Hinweise darauf vor, dass befürchtet werden müsse, dass der Mitbeteiligte eine Waffe missbräuchlich verwenden würde. Aus seiner Aussage ergebe sich, dass er nicht unmittelbar und konkret beabsichtige, eine Waffe zu besitzen. Der Ausspruch eines Waffenverbotes sei daher nicht zulässig.
14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde, welche den Inhalt der polizeilichen Einvernahmeprotokolle der Ehegattin und der Kinder des Mitbeteiligten vom 31. Oktober 2023 wiedergibt und zu ihrer Zulässigkeit u.a. ein Abweichen von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rügt, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht vom Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes hinsichtlich der zitierten Einvernahmeprotokolle, welche das Verwaltungsgericht in das Verfahren eingeführt habe, ausgegangen sei. Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung betreffe nur das Verwaltungsstrafverfahren. Auch wenn sich Zeugen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren berechtigterweise ihrer Aussage entschlagen würden, stünde dem die Verwertung von früheren Aussagen dieser Zeugen nicht entgegen.
15 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
16 Die Revision ist aus den von ihr vorgebrachten Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.
17§ 12 Abs. 1 WaffG erlaubt es nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, im Interesse der öffentlichen Sicherheit bestimmten Menschen den Besitz von Waffen überhaupt zu verbieten. Danach ist (zusammengefasst) für die Verhängung eines Waffenverbots entscheidend, ob der angenommene Sachverhalt „bestimmte Tatsachen“ im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG begründet, ob also die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene könnte durch missbräuchliches Verwenden von Waffen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden. Hierbei ist nach dem dem WaffG allgemein innewohnenden Schutzzweck bei der Beurteilung der mit dem Besitz von Schusswaffen verbundenen Gefahr ein strenger Maßstab anzulegen. Schon ein einmaliger Vorfall vermag ungeachtet eines untadeligen Vorlebens die Verhängung eines Waffenverbots nach § 12 Abs. 1 WaffG zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 6.2.2023, Ra 2022/03/0273, mwN).
18Die Frage, ob auch ein „legales Verhalten“ Grundlage für die Verhängung eines Waffenverbotes sein könne, ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits geklärt. So kann ein bestimmter Vorfall auch ungeachtet dessen, dass er nicht zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, als „bestimmte Tatsache“ im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG im Rahmen der Gefährdungsprognose herangezogen werden. Selbst im Falle eines freisprechenden Urteiles haben die Waffenbehörde und das Verwaltungsgericht eigenständig zu beurteilen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der nach den hiefür vom WaffG vorgegebenen Kriterien die Erlassung eines Waffenverbotes rechtfertigen kann. Eine strafrechtliche Verurteilung ist für die Begründung eines Waffenverbotes gemäß § 12 WaffG für sich allein daher weder ausreichend noch erforderlich. Es kommt vielmehr darauf an, ob aus einem bestimmten Sachverhalt die Annahme abgeleitet werden kann, dass der Betroffene durch missbräuchliches Verwenden von Waffen die in der genannten Gesetzesbestimmung angeführten Rechtsgüter gefährden könnte (vgl. zum Ganzen VwGH 22.11.2023, Ra 2022/03/0216, mwN).
19Das Verwaltungsgericht vertrat unter Berufung auf zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 16.6.2003, 2003/02/0115; 6.7.2015, Ra 2014/02/0152) die Auffassung, dass es den Inhalt polizeilicher Einvernahmen der Ehegattin und der Kinder des Mitbeteiligten, die später in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht über die Verhängung des Waffenverbotes als Zeugen die Aussage verweigerten, bei der Entscheidung über das Waffenverbot nicht verwerten dürfe. Dabei übersieht es jedoch, dass die beiden zitierten Entscheidungen Verwaltungsstrafverfahren betrafen, in denen jeweils Angehörige des Beschuldigten von ihrem Recht Gebrauch machten, die Aussage zu verweigern, weswegen einer Verlesung und Verwertung außerhalb der Verhandlung abgelegter (früherer) Aussagen der Zeugen der Unmittelbarkeitsgrundsatz des Verwaltungsstrafrechts entgegenstand.
20Hingegen wird bei einem Waffenverbot nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht über eine strafrechtliche Anklage (vgl. Art. 6 EMRK) entschieden, vielmehr handelt es sich dabei um eine administrativrechtliche Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung (vgl. VwGH 17.4.2024, Ra 2023/03/0173, mwN). Das Verfahren zur Verhängung eines Waffenverbotes ist kein Verwaltungsstrafverfahren nach dem VStG (vgl. VwGH 22.11.2023, Ra 2022/03/0216, mwN), weswegen die vom Verwaltungsgericht bezogene Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist.
21 Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach in Verfahren, die mit dem Revisionsfall vergleichbar sind, ausgeführt, dass die (Berufungs)Behörde gemäß § 46 AVG (und dem dort normierten Grundsatz der „Unbeschränktheit der Beweismittel“) nicht daran gehindert war, die Angaben von Angehörigen bei der Anzeigeerstattung auch dann in einem Verfahren zur Verhängung eines Waffenverbotes zu verwerten, wenn sie in der Folge - im gerichtlichen Strafverfahren - von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch machten. Dass nach dem Zweck des Zeugnisverweigerungsrechtes ein Beweiserhebungsverbot oder ein Beweisverwertungsverbot im Verwaltungsverfahren nach § 12 Abs. 1 WaffG, das die Erlassung einer Administrativmaßnahme zur Verhütung von Gefahren durch Waffenmissbrauch zum Gegenstand hat, bestehen könnte, ist nicht zu erkennen (vgl. VwGH 17.10.2002, 2001/20/0418; 6.9.2005, 2005/03/0039; 22.2.2010, 2009/03/0145; vgl. auch VwGH 17.4.2024, Ra 2023/03/0173; Hengschläger/Leeb, AVG § 46, 13. Lfg 2023, Rn. 14).
22 Nichts anderes gilt in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem Angehörige im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Verhängung eines Waffenverbotes die Aussage verweigern (vgl. in diesem Sinne bereits VwGH 17.10.2002, 2001/20/0418).
23 Das Verwaltungsgericht hat daher zu Unrecht den Inhalt der polizeilichen Einvernahmen der Ehegattin und der Kinder des Mitbeteiligten und ihre Aussagen als Zeugen im Maßnahmenbeschwerdeverfahren gegen die Betretungs- und Annäherungsverbote nicht in die Beweiswürdigung einbezogen, ob bestimmte Tatsachen vorliegen, welche in rechtlicher Hinsicht die Annahme rechtfertigen, dass der Mitbeteiligte durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte, was angesichts des in der Revision wiedergegebenen Inhalts der (auch aktenkundigen) Einvernahmen keineswegs ausgeschlossen war.
24Es hat dadurch sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weswegen dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 23. Juli 2025