Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. M W A, 2. R A und 3. (mj.) M A, alle in W und vertreten durch Mag. Dr. Anton Alexander Havlik, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 18 20/5, gegen das am 18. Februar 2025 mündlich verkündete und mit 5. März 2025 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien Zlen. 1. VGW 152/062/17563/2024 69, 2. VGW 152/062/17565/2024 und 3. VGW 152/062/17566/2024, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Sache die Anträge des Erstrevisionswerbers, eines syrischen Staatsangehörigen, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sowie seiner Ehefrau, der Zweitrevisionswerberin, und seiner minderjährigen Tochter, der Drittrevisionswerberin, auf Erstreckung der Verleihung gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) sowie §§ 16 Abs. 1 und 17 Abs. 1 iVm § 18 leg. cit. ab.
2 Begründend stützte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf insgesamt sieben rechtskräftige Bestrafungen des Erstrevisionswerbers wegen im Zeitraum Juni 2020 bis Dezember 2022 begangener Übertretungen der StVO, der GewO, des Preisauszeichnungsgesetzes, des Wiener Jugendschutzgesetzes sowie des Lebensmittelsicherheits und Verbraucherschutzgesetzes (LMSVG). Weiters sei über den Erstrevisionswerber mit Straferkenntnis der Stadt Wien vom 24. April 2024 eine (infolge einer noch anhängigen Beschwerde) eine Geldstrafte wegen Verstoßes gegen die GewO verhängt worden. Schließlich sei gegen den Erstrevisionswerber ein Strafverfahren nach § 83 Abs. 1 StGB wegen einer von ihm am 23. Dezember 2024 begangenen Körperverletzung anhängig.
3 Der Erstrevisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht versucht, seine Verstöße überwiegend zu relativieren, insbesondere habe er trotz Videomaterials und eines ärztlichen Befunds über die Prellungen des Geschädigten die ihm angelastete Körperverletzung weiterhin abgestritten.
4 Insgesamt liege daher seit dem letzten Vorfall (Körperverletzung) vom 23. Dezember 2024 ein zu kurzes Wohlverhalten vor, zumal dieses Verhalten nach dem Zeitpunkt (24. Februar 2024) des Antrags auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gesetzt worden sei und sich daher nachteilig für den Erstrevisionswerbers auswirkten. Auch die gravierenden Verstöße gegen das LMSVG in Zusammenhalt mit den anderen verwaltungsstrafrechtlichen Verstößen lägen noch nicht ausreichend lange zurück.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Entgegen dem diesbezüglichen Zulässigkeitsvorbringen in der Revision sind die fallbezogen maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt und ist das Verwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung auch nicht abgewichen:
9 Demnach ist bei der Prüfung des Verleihungshindernisses nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG eine Prognose über das zukünftige Wohlverhalten des Verleihungswerbers zu treffen und im Hinblick auf das Ziel des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts, die Verleihung der Staatsbürgerschaft als Abschluss einer erfolgreichen Integration des Fremden in Österreich zu sehen, bei der Prüfung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. etwa VwGH 18.9.2023 Ra 2023/01/0250, mwN).
10 Zum hier maßgeblichen zweiten Fall des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auch auf von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die allenfalls negative Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen zum Ausdruck (vgl. VwGH 11.10.2023, Ra 2021/01/0196, mwN).
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine negative Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG als rechtmäßig beurteilt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht von längerem Wohlverhalten des Antragstellers seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden konnte (vgl. etwa VwGH 8.11.2023, Ra 2023/01/0292, mwN).
12 Wesentlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung des, einer negativen Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG entgegenstehenden, längeren Wohlverhaltens des Antragstellers ist das für die negative Prognose als tragend angesehene Fehlverhalten. Dabei fallen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit besonders ins Gewicht. Im Allgemeinen ist nach derartigen Taten ein ausreichend langer Zeitraum des Wohlverhaltens erforderlich, um eine positive Prognose gerechtfertigt erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 19.1.2024, Ra 2023/01/0369, mwN).
13 Das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG setzt auch nicht eine gerichtliche Verurteilung wegen einer als erwiesen angesehenen Straftat voraus. Vielmehr knüpft § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht an eine gerichtliche Verurteilung, sondern an das Verhalten des Einbürgerungswerbers an. Auch Taten hinsichtlich derer es zur Verfahrenseinstellung (z.B. nach einer Diversion) kommt, gehören zum Gesamtverhalten, von dem die belangte Behörde bzw. das Verwaltungsgericht bei der Prüfung auszugehen hat (vgl. VwGH 12.3.2025, Ra 2025/01/0047, mwN).
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch der Umstand, dass Verwaltungsübertretungen aus der Zeit nach Stellung des Ansuchens um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft resultieren, zu Recht als Argument gegen die Annahme zukünftigen Wohlverhaltens des Verleihungswerbers miteinbezogen werden (vgl. VwGH 3.9.1997, 96/01/0810); dies gilt selbstredend auch für gerichtlich strafbare Handlungen.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch betont, dass für die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, ob im Zeitpunkt der Entscheidung von einem längeren Wohlverhalten des Verleihungswerbers seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden könne, auch der vom Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung gewonnene persönliche Eindruck von Bedeutung ist (vgl. auch dazu VwGH Ra 2023/01/0369, mwN).
16 Die Frage, ob der Zeitraum des Wohlverhaltens eines Verleihungswerbers für eine positive Prognose im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG hinreichend ist, obliegt demnach der einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Diese Beurteilung ist im Revisionsmodell vom Verwaltungsgerichtshof nur aufzugreifen, wenn sie in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. abermals VwGH Ra 2023/01/0369, mwN).
17 Entsprechend diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall im Rahmen der getroffenen (negativen) Verhaltensprognose nicht nur die mehrfachen Verwaltungsübertretungen des Erstrevisionswerbers (vgl. etwa die dem erwähnten Beschluss VwGH Ra 2023/01/0250 zu Grunde liegende Konstellation) berücksichtigt.
18 Es hat insbesondere zu Recht die dem Erstrevisionswerber zur Last gelegte bereits während des laufenden Verleihungsverfahrens begangene Körperverletzung und den in diesem Zusammenhang auch vom Erstrevisionswerber im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnenen (negativen) Eindruck ins Kalkül gezogen.
19 Ausgehend davon kann in der vorliegenden Rechtssache keine krasse bzw. unvertretbare Beurteilung des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht im Rahmen der dargestellten Grundsätze bzw. Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes erkannt werden (vgl. etwa VwGH 15.1.2025, Ra 2024/01/0411, mwN).
20 Insbesondere kommt es auf die in den Zulässigkeitsausführungen aufgeworfene Frage, ob das Verwaltungsgericht die vom Erstrevisionswerber als verwaltungsstrafrechtlich verantwortliches Organ eines Gastgewerbebetriebs (unstrittig) begangenen Verstöße gegen das LMSVG, die GewO und das Wiener Jugendschutzgesetz im Einzelnen zu Recht als „schwerwiegend“ qualifiziert hat, fallbezogen nicht an (zumal bereits die unter Rn. 18 dargestellten Umstände für sich die Abweisung des Verleihungsansuchens des Erstrevisionswerbers tragen); entgegen dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen ist dem Verwaltungsgericht auch keine Verletzung der Begründungspflicht oder eine unvertretbare Beweiswürdigung vorzuwerfen.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. Juni 2025