JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0283 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
02. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision der N S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum und Mag. a Andrea Blum, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das am 19. November 2023 mündlich verkündete und mit 1. Februar 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, L515 2277011 1/28E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Armenien, reiste im September 2016 mit einem von Italien für sie ausgestellten Visum in Österreich ein. Sie stellte im Oktober 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Dieser Antrag wurde im Instanzenzug vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 15. März 2017 wegen der nach der Dublin III Verordnung gegebenen Zuständigkeit Italiens zurückgewiesen und mit der Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung verbunden. Eine dagegen an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde blieb erfolglos.

2 Die Revisionswerberin, die in der Folge ab Juni 2018 (bis Oktober 2022) meldebehördlich nicht mehr erfasst war, blieb in Österreich. Am 27. Oktober 2022 stellte sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 20. Juli 2023 ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

4 Mit dem (Teil )Erkenntnis vom 31. August 2023 sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, es werde festgestellt, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid zu Recht erfolgt sei und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt werde (womit sohin der Sache nach die Beschwerde gegen den im Bescheid enthaltenen Ausspruch, mit dem die aufschiebende Wirkung aberkannt worden war, abgewiesen wurde).

5 Die Beschwerde gegen die übrigen behördlichen Aussprüche wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem am 19. November 2023 mündlich verkündeten und mit 1. Februar 2024 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Die Revisionswerberin erhob daraufhin gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 12. März 2024, E 647/2024 5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 In der Folge brachte die Revisionswerberin beim Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Revision gegen das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts ein, der sich nur auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung (sowie erkennbar die rechtlich davon abhängenden Aussprüche) bezog. Dieser Antrag wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 27. Mai 2024 wegen Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung abgewiesen. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.

11 Die Revisionswerberin wendet sich in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) erfolgte Interessenabwägung und macht in diesem Zusammenhang Ermittlungsmängel geltend.

12 Werden Verfahrensmängel als Zulässigkeitsgründe ins Treffen geführt, so muss schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch schon in der Begründung für die Zulässigkeit der Revision auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 31.5.2024, Ra 2024/20/0286, mwN).

13 Dem wird in der Revision nicht nachgekommen. Die Revisionswerberin stellt lediglich von ihr gewünschte Bewertungen und Schlussfolgerungen in den Raum, ohne diesen ein konkretes sachverhaltsbezogenes Substrat zugrunde zu legen (vgl. dazu, dass es sich bei dem Vorbringen, zwischen Personen bestehe ein Familienleben, nicht um ein Tatsachenvorbringen handelt, sondern die Frage, ob ein Familienleben besteht, eine Rechtsfrage darstellt, die anhand der den jeweiligen Einzelfall betreffenden konkreten Umstände, die die Existenz eines Familienlebens belegen, zu beurteilen ist, wobei dies auch für die Beurteilung der Intensität eines allenfalls vorhandenen Familienlebens gilt, VwGH 29.6.2022, Ra 2022/20/0125; so auch VwGH 25.10.2023, Ra 2023/20/0125). Aufgrund welcher konkreten Umstände ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Revisionswerberin und ihrer Mutter bestünde, wird nicht dargelegt. Dass die Mutter einer Pflege bedarf, reicht dafür nicht hin, zumal nach den insoweit unbestritten gebliebenen Feststellungen die Pflege der Mutter durch die im selben Haushalt wie die Mutter wohnende Schwester und Nichten der Revisionswerberin sowie durch Leistungen von Gesundheitseinrichtungen gewährleistet ist.

14 Dem weiteren Vorbringen, die Beweiswürdigung sei wegen des Ermittlungsmangels unschlüssig, ist vor dem Hintergrund, dass es der Revisionswerberin nicht gelingt, einen für das Verfahrensergebnis relevanten Verfahrensmangel darzutun, der Boden entzogen. Warum aber sonst die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts mit einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel behaftet wären (vgl. zum im Revisionsverfahren betreffend die Überprüfung der Beweiswürdigung anzulegenden Maßstab etwa VwGH 7.5.2024, Ra 2024/20/0267, mwN), wird in der Revision nicht näher ausgeführt, sondern lediglich pauschal behauptet.

15 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 21.12.2023, Ra 2023/20/0244, mwN).

16 In der Revision wird nicht aufgezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Durchführung der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien missachtet oder unvertretbar angewendet hätte. Im Besonderen hat das Verwaltungsgericht auf die Beziehung zwischen der Revisionswerberin und ihrer an Krankheiten leidenden Mutter, deren Pflege in Österreich wie bereits oben erwähnt durch die rechtmäßig niedergelassenen und im selben Haushalt wie die Mutter lebenden Schwester und Nichten der Revisionswerberin sowie Leistungen diverser Gesundheitseinrichtungen sichergestellt sei, ausreichend Bedacht genommen. Zu Recht hat das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis auf die beharrliche Missachtung von fremden- und niederlassungsrechtlichen Vorschriften durch die Revisionswerberin betont, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden muss, dass ein Fremder wie hier die Revisionswerberin, deren (zudem zum Teil über vier Jahre gegenüber der Behörde im Verborgenen gehaltener) Aufenthalt in Österreich stets unsicher war mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf den Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.6.2022, Ra 2021/20/0403; 2.3.2023, Ra 2021/21/0158; 18.12.2023, Ra 2022/17/0169 bis 0172, jeweils mwN).

17 Auf das sich allein in den Revisionsgründen findende aber ohnedies bloß kursorisch bleibende Vorbringen, das sich auf Art. 3 EMRK und somit der Sache nach auf die Versagung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz bezieht, war schon zufolge § 34 Abs. 1a und § 28 Abs. 3 VwGG nicht weiter einzugehen (vgl. im Übrigen zur nach § 26 Abs. 3 iVm Abs. 1 VwGG gegebenen Rechtzeitigkeit oder Verspätung einer Revision gegen rechtlich trennbare Aussprüche, wenn zuvor nicht alle, sondern lediglich bestimmte Spruchpunkte Gegenstand eines Antrages auf Gewährung Verfahrenshilfe waren, VwGH 28.1.2015, Ra 2014/20/0121; 11.5.2017, Ra 2015/21/0229; 31.5.2023, Ra 2023/20/0057).

18 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2024

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