Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Zehetner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revisionen von 1. J A, 2. M A, 3. O A, und 4. Y A, alle in W, alle vertreten durch Mag. Udo Hansmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Doblhoffgasse 7/12, gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 4. Dezember 2023, 1. W284 2276635 2/7E, 2. W284 2276631 2/3E, 3. W284 2276632 2/3E und 4. W284 2276634 2/3E, jeweils betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Beschlüsse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von je € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die revisionswerbenden Parteien die Erstrevisionswerberin und ihre drei minderjährigen Kinder , Staatsangehörige Syriens, stellten am 30. Mai 2023 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge mit Bescheiden vom 4. Juli 2023, zugestellt am 7. Juli 2023, hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten ab, erkannte den revisionswerbenden Parteien den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr.
3 Gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten erhoben die revisionswerbenden Parteien am 7. August 2023 jeweils Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Nach einem Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. September 2023 stellten die revisionswerbenden Parteien mit Schriftsatz vom 28. September 2023 Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
4 Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 2023 wurden die Beschwerden der revisionswerbenden Parteien als verspätet zurückgewiesen.
5 Mit den hier verfahrensgegenständlichen Beschlüssen jeweils vom 4. Dezember 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab und erklärte die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für jeweils nicht zulässig.
6 Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu unter der Überschrift „Feststellungen“ auszugsweise wie folgt aus:
„Fest steht, dass die rechtsfreundliche Vertretung die Information, wann den Beschwerdeführern und ihren Klienten die Bescheide vom Juli 2023, mit denen die Behörde den Erst bis Viertbeschwerdeführern jeweils den Asylstatus versagte und ihnen den Status als subsidiär Schutzberechtigte erteilte, zugestellt wurden, nicht von den Beschwerdeführern erlangte. Die Vertretung bat daher hilfsweise bei der belangten Behörde darum, den Zustellnachweis der Bescheide zur fristgerechten Einbringung der Beschwerde zu übermitteln.
Die Behörde übermittelte einen Zustellnachweis, jedoch nicht jenen, der die Beschriftung ‚Bescheid § 3 neg. 8 pos. + Karte‘ und als Beginn der Abholfrist den 07.07.2023 als Datum trägt, sondern einen Zustellnachweis mit folgender Beschriftung: ‚Karten sub. Schutz Kinder‘, und den 18.07.2023 als Beginn der Abholfrist. Die Behörde übermittelte somit irrtümlich einen anderen als den erbetenen Zustellnachweis.
Obwohl ein Zustellnachweis mit der ausdrücklichen Bezeichnung ‚Karten sub. Schutz Kinder‘ übermittelt wurde, hinterfragte die Vertretung nicht, welcher Zustellvorgang damit beurkundet wurde. ...
Ausgehend von den nach erfolglosem Zustellversuch am 06.07.2023 tatsächlich bereits am 07.07.2023 durch Hinterlegung zugestellten Bescheiden endete die vierwöchige Beschwerdefrist mit Ablauf des 04.08.2023. Die am 07.08.2023 und somit verspätet eingebrachte gemeinsame Beschwerde wurde zuvor mit hg. gemeinsamen Beschluss vom 04.10.2023 (zu näher genannten Zahlen) als verspätet zurückgewiesen.“
7 Begründend hielt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe tatsächlich einen anderen Zustellnachweis als den von der Rechtsvertretung der revisionswerbenden Parteien angefragten übermittelt, nämlich jenen betreffend die Zustellung der „Karten subsidiär Schutzberechtigter“. Ausschlaggebend sei aber, dass die Rechtsvertretung die Bundesagentur für Betreuungs und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) dies hätte erkennen müssen, zumal der Zustellnachweis den Inhalt der Sendung korrekt bezeichne. So sei dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die BBU GmbH übermittelten Zustellnachweis eindeutig die Bezeichnung „Karten sub. Schutz Kinder (Vor und Zuname der Erstrevisionswerberin)“ zu entnehmen. Die BBU GmbH wäre mit Blick auf die Bezeichnung der Sendung sohin verpflichtet gewesen, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nachzufragen, habe es aber unterlassen, jedwede Klärung zum Sendungsinhalt des übermittelten Rückscheines in die Wege zu leiten.
8 Soweit die BBU GmbH ausführe, dass „oftmals“ mit dem Bescheid, mit dem subsidiärer Schutz gewährt werde, auch die entsprechenden Karten in einem Kuvert übermittelt würden, räume sie selbst ein, dass dies nicht durchgehend so gepflogen werde und es daher hierzu keine einheitliche Vorgangsweise der Behörde gebe, auf welche die Rechtsvertretung hätte vertrauen dürfen. Die BBU GmbH, die auf Asylverfahren spezialisiert sei und demnach Kenntnis über die Zustellung „von nicht nur Bescheiden, sondern auch Karten“ habe, hätte sich vielmehr veranlasst sehen müssen abzuklären, ob trotz anderslautender Aufschrift dennoch (auch) die Zustellung der Bescheide an die revisionswerbenden Parteien damit beurkundet worden sei. Dass die Behörde einen Zustellnachweis hilfsweise übermittle, könne die BBU GmbH nicht von dieser Kontrolle entbinden. Dies käme einem Überwälzen der Gefahr zur Wahrung von Rechtsmittelfristen auf die Behörde gleich.
9 Die Rechtsvertretung der revisionswerbenden Parteien habe nicht die sorgfältige, berufsgebotene Kontrolle, welcher Zustellvorgang mit dem übermittelten Nachweis tatsächlich beurkundet worden sei, in die Wege geleitet und sie treffe daher nicht nur ein minderer Grad des Verschuldens.
10 In der Folge wurden die dagegen gerichteten außerordentlichen Revisionen eingebracht, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden.
11 Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revisionen erwogen:
12 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revisionen unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, dergemäß selbst bei Vorliegen eines Verschuldens ein minderer Grad des Versehens jedenfalls unschädlich für die Stattgabe eines Antrages auf Wiedereinsetzung sei. Die revisionswerbenden Parteien und ihre rechtsfreundliche Vertretung hätten im Hinblick auf die (irrtümlich erfolgte) behördliche Bekanntgabe des (falschen) Zustellnachweises nicht auffallend sorglos gehandelt.
13 Die Revisionen erweisen sich aus diesem Grund als zulässig und auch berechtigt.
14 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf daher nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. An berufliche rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen. Die Einhaltung der Rechtsmittelfristen erfordert von der Partei oder ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt (vgl. etwa VwGH 22.2.2024, Ra 2024/20/0079, mwN). Die Partei eines Verfahrens muss sich das Verschulden ihres Vertreters zurechnen lassen (vgl. etwa VwGH 26.3.2025, Ra 2025/20/0040, mwN).
16 Die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat oder ob ein Wiedereinsetzungsgrund ausreichend bescheinigt ist, unterliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes und stellt daher regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. etwa VwGH 14.5.2024, Ra 2022/14/0184, mwN).
17 Das Bundesverwaltungsgericht verneinte das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens der BBU GmbH als Vertreterin der revisionswerbenden Parteien, weil diese nach den getroffenen Feststellungen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar konkret gebeten habe, „den Zustellnachweis der Bescheide zur fristgerechten Einbringung der Beschwerde zu übermitteln“, eine nochmalige Nachfrage bei der Behörde jedoch unterlassen habe, obwohl der übermittelte Zustellnachweis die Bezeichnung „Karten sub. Schutz Kinder (Vor und Zuname der Erstrevisionswerberin)“ getragen habe. Dieser Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch vor dem Hintergrund, dass, wie sich aus der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt, in der praktischen Handhabung des Gesetzesvollzuges durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem Bescheid über die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wiederkehrend auch die infolgedessen auszustellende Aufenthaltstitelkarte für subsidiär Schutzberechtigte in einem Kuvert übermittelt wird, nicht beizutreten. Dass sich die Vertretung der revisionswerbenden Parteien auf die Richtigkeit des bei der Behörde konkret angefragten, von dieser übermittelten Zustellnachweises verließ, war lediglich als minderer Grades des Versehens zu werten.
18 Die angefochtenen Beschlüsse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2025