Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Schartner als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision der T I, vertreten durch Mag. Catherine Schleinzer Fritz, diese vertreten durch Mag. a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2024, I405 2291223 1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Republik Benin, stellte am 31. Jänner 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie im Wesentlichen mit der Furcht vor ihrem Ehemann, mit welchem sie zwangsverheiratet worden sei und welcher sie misshandelt und vergewaltigt habe, begründete.
2 Mit - im zweiten Rechtsgang ergangenen - Bescheid vom 28. März 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte der Revisionswerberin jedoch den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Revisionswerberin in Benin häuslicher Gewalt ausgesetzt gewesen sei und weiterhin von ihrem Mann, mit dem sie zwangsverheiratet worden sei, verfolgt werde. Die von der Revisionswerberin vorgebrachten Fluchtgründe könnten der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt werden. Ihre - im Erkenntnis des BVwG näher dargestellten - Angaben seien vage, unplausibel und widersprüchlich gewesen, sodass von der Konstruiertheit ihres gesamten Fluchtvorbringens auszugehen sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG iSd Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
7 Die Revisionswerberin wendet zur Begründung der Zulässigkeit Begründungsmängel des angefochtenen Erkenntnisses ein. So habe sich das BVwG nicht mit ihrem Vorbringen aus der Beschwerde, insbesondere den darin zitierten Länderberichten zur Untermauerung ihres Fluchtvorbringens auseinandergesetzt. Zudem habe es verabsäumt, die Minderjährigkeit der Revisionswerberin im Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse sowie deren psychische Erkrankung im Rahmen seiner Beweiswürdigung entsprechend näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu würdigen.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass in der Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Parteien ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen es die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. VwGH 25.1.2022, Ra 2021/14/0397 bis 0405, mwN).
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 25.1.2022, Ro 2021/14/0003, mwN).
10 Die Revision macht zu Recht geltend, dass die Revisionswerberin in ihrer an das BVwG gerichteten Beschwerde substantiiertes Vorbringen zur befürchteten Verfolgung und der Schutzunfähigkeit ihres Heimatstaates erstattet sowie sowohl in der Beschwerde als auch im Verfahren näher genannte Befundberichte zu Verletzungsspuren an ihrem Körper vorgelegt hat. Weder traf das BVwG zu diesen Teilen des Vorbringens Feststellungen noch setzte es sich damit im Rahmen seiner Beweiswürdigung auseinander. Auch verabsäumte es das BVwG, das Vorbringen der Revisionswerberin, weshalb sie sich nicht an die Sicherheitsbehörden ihres Heimatstaates habe wenden können, vor diesem Hintergrund zu würdigen. Es wäre jedoch fallbezogen erforderlich gewesen, auf das gesamte Vorbringen der Revisionswerberin, dem im Asylverfahren nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zentrale Bedeutung zukommt, näher einzugehen (vgl. erneut VwGH 25.1.2022, Ro 2021/14/0003, mwN).
11 Das BVwG wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit dem gesamten Vorbringen der Revisionswerberin unter Einbeziehung aktueller Länderberichte ebenso auseinanderzusetzen haben wie mit der vorgebrachten Minderjährigkeit im Zeitpunkt der behaupteten fluchtauslösenden Ereignisse sowie der vorgebrachten psychischen Erkrankung (vgl. zur Berücksichtigung dieser im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten VwGH 18.7.2022, Ra 2021/18/0416, mwN) und auf dieser Grundlage zu beurteilen haben, ob der Revisionswerberin in Benin Verfolgung im Sinne der GFK droht.
12 Da nicht auszuschließen ist, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensfehler im gegenständlichen Fall zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte gelangen können, war das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG schon deshalb aufzuheben.
13 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Juli 2025