JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0843 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Schartner, Bakk., als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision des R A in W, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, LL.M., Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2024, W280 2283497 1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 30. November 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er begründete diesen im Wesentlichen damit, dass er bei einer Rückkehr in die Russische Föderation zwangsrekrutiert werde und in den Krieg gegen die Ukraine ziehen müsse.

2 Mit Bescheid vom 20. November 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte es mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Der Revisionswerber macht in der Zulässigkeitsbegründung der Revision geltend, das BVwG habe fundamentale Verfahrensvorschriften verletzt. Es habe sich damit begnügt, allein aus einem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu zitieren, einen näher bezeichneten Themenbericht der Staatendokumentation zum Militärdienst in der Russischen Föderation vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges aber unerwähnt lassen. Demzufolge müsse der Revisionswerber mit einer Zwangsrekrutierung durch das Regime Kadyrow in Tschetschenien rechnen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum gerade diese Berichte nicht für die Entscheidungsfindung heranzogen worden seien. Die angefochtene Entscheidung weiche insofern von der „klaren Judikatur des VwGH ab“ (Hinweis auf VwGH 6.3.1996, 95/20/0650), als das Vorbringen des Revisionswerbers zu den Gründen seines Aufenthalts in Österreich in allen Verfahrensschritten gleich, nicht zu spät und miteinander übereinstimmend war. Deshalb wäre es nach näher bezeichneter höchstgerichtlicher Judikatur und unionsrechtlichen Vorschriften den Feststellungen zugrunde zu legen gewesen.

8 Dem ist zu erwidern, dass sich das BVwG in seiner Entscheidung auch mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, in Tschetschenien herrsche Willkür und es drohe dem Revisionswerber dort abweichend von den gesetzlichen Vorschriften betreffend die Wehrpflicht und die Einberufung zum Wehrdienst in der Russischen Föderation eine Zwangsrekrutierung näher auseinandergesetzt hat. Dem Argument des BVwG, der Revisionswerber könnte einer solchen Gefahr nach näher zitierten Länderberichten durch einen Aufenthalt etwa in der Teilrepublik Dagestan jedenfalls entgehen, hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen. Abgesehen davon zog das BVwG in Betracht, dass die in Tschetschenien verbliebenen Brüder des Revisionswerbers nicht rekrutiert worden seien und beide ohne Probleme in Tschetschenien leben könnten, woraus das BVwG vertretbar ableitete, dass es die Gefahr einer tatsächlich drohenden Rekrutierung des Revisionswerbers nicht zu erkennen vermöge.

9 Im Übrigen ist festzuhalten, dass der mit § 45 Abs. 2 AVG normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der gemäß § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anzuwenden ist, bedeutet, dass die Behörde bei der Beweiswürdigung nicht an feste Beweisregeln gebunden ist, sondern den Wert der aufgenommenen Beweise nach bestem Wissen und Gewissen nach deren innerem Wahrheitsgehalt zu beurteilen hat (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 25.3.2020, Ra 2020/14/0130, mwN). Da es sich dabei somit immer um eine die Umstände des konkreten Einzelfalles zu beleuchtende Beurteilung handelt, ist es schon am Boden dieser Rechtslage verfehlt, wenn der Revisionswerber auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes verweist, in der die konkreten Erwägungen des Verwaltungsgerichts (die auch anführten, wann ein Vorbringen grundsätzlich glaubhaft sei, im Folgenden aber fallbezogen die Glaubhaftigkeit verneinte) als vertretbar eingestuft wurden.

10 Soweit sich die Revision darauf beruft, dass beim Revisionswerber eine „entsprechende familiäre und soziale Integration gemäß Art. 8 EMRK ... absolut gegeben“ sei, ist zunächst auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK dem Bestehen einer Ehe mit einem dauerhaft niedergelassenen Partner (vgl. etwa VwGH 27.4.2017, Ra 2016/22/0102, mwN) und einem gemeinsamen Kind große Bedeutung zukommt. Im Fall der Trennung des Fremden von seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Kind ist bei der Interessenabwägung vor allem auch das Kindeswohl zu berücksichtigen und sorgfältig zu prüfen (vgl. etwa VwGH 24.1.2025, Ra 2023/22/0053, mwN).

11 Im gegenständlichen Fall nahm das BVwG eine umfassende Abwägung im oben angeführten Sinn vor und gelangte zu der Einschätzung, dass der Eingriff in das Privat und Familienleben des Revisionswerbers mit seiner in Österreich dauernd aufenthaltsberechtigten Ehegattin und der im März 2024 geborenen Tochter nicht unverhältnismäßig sei. Mit diesen Erwägungen setzt sich die Revision nicht näher auseinander. Eine wie hier in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK, die auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht revisibel (vgl. dazu etwa VwGH 19.11.2024, Ra 2024/14/0643, mwN).

12 Sofern der Revisionswerber vorbringt, ihm wäre ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen gewesen, verkennt er dabei die gegenständlich nicht gegebenen Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels (vgl. dazu ausführlich VwGH 5.8.2021, Ra 2021/20/0254 bis 0257, mwN). Soweit er die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 begehrt, übersieht er, dass das BVwG fallbezogen begründete, weshalb die Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht vorliegen. Dem stellt der Revisionswerber kein konkretes Vorbringen entgegen.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 10. Juni 2025

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