Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr. in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lukacic Marinkovic, über die Revision des Ing. R als Erbe nach Ing. H in W, vertreten durch Dr. Rebekka Stern, Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin in 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 15/1/30, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 13. August 2024, RV/7103293/2020, betreffend Einkommensteuer 2017 und 2018, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
1 Der Stiefvater des Revisionswerbers machte im Rahmen seiner Arbeitnehmerveranlagungen für die Jahre 2017 und 2018 verschiedene Aufwendungen u.a. „Appartementkosten“ (Pensionistenheim), Kosten für Arzneimittel und Arzthonorare aufgrund einer Behinderung als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt geltend.
2 Das Finanzamt erkannte diese Aufwendungen nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens zum Teil gar nicht, zum Teil nur als außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt an und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide. Begründend führte es u.a. an, der vorgelegte Behindertenpass gelte erst ab dem Jahr 2019.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit gesonderten Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet ab, woraufhin der Stiefvater des Revisionswerbers einen Vorlageantrag stellte.
4 In der Folge nahm das Finanzamt aufgrund einer elektronisch übermittelten Mitteilung über geleistete Spenden die beiden Einkommensteuerverfahren „automatisiert“ wieder auf und erließ am 29. Juli 2020 neue Sachbescheide, in denen es die geleisteten Spenden als Sonderausgaben berücksichtigte; im Übrigen entsprachen die Bescheide jenen ursprünglich erlassenen. Anschließend legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet ab und sprach aus, dass die angefochtenen Bescheide abgeändert und (gemeint wohl: die Einkommensteuer) „wie in den Einkommensteuerbescheiden vom 29. Juli 2020 festgesetzt“ würden. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.
6 Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen aus, der Stiefvater des Revisionswerbers sei nach seiner Pensionierung im Jahr 1995 in ein Seniorenheim gezogen. In den folgenden Jahren seien bei ihm vermehrt gesundheitliche Probleme aufgetreten. Ab dem Jahr 2000 habe er sich mehreren Operationen unterzogen, habe Probleme mit der Lunge gehabt und habe einen Herzschrittmacher eingesetzt bekommen.
7 Er habe in den verfahrensgegenständlichen Jahren weder Pflegegeld bezogen noch einen Behindertenausweis beantragt.
8 Im 90. Lebensjahr habe er beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die Ausstellung eines Behindertenpasses beantragt. Zu diesem Zweck sei nach einer Untersuchung ein Sachverständigengutachten erstellt worden, in dem für die einzelnen Erkrankungen, die bis ins Jahr 2002 zurückgereicht hätten, im Jahr 2019 nur ein Grad der Behinderung von jeweils zwischen 10 % und 40 % festgestellt worden sei. In Summe sei ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 % festgestellt worden. Das Sachverständigengutachten habe die Behinderung nicht rückwirkend festgestellt. In der Folge sei dem Stiefvater des Revisionswerbers ein Behindertenpass (unbefristet) ausgestellt worden.
9 Auch nach einer nochmaligen Aufforderung durch das Finanzamt sei kein Sachverständigengutachten, das eine rückwirkende Behinderung bescheinigt hätte, vorgelegt worden.
10 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, Voraussetzung für die Berücksichtigung tatsächlicher Kosten als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt sei ebenso wie bei den pauschalen Freibeträgen, dass gemäß § 35 Abs. 1 EStG 1988 eine eigene körperliche Behinderung vorliege, wobei die Tatsache und der Grad der Behinderung gemäß § 35 Abs. 5 EStG 1988 ausdrücklich durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachgewiesen werden müssten.
11 Die Bescheinigung durch dazu befähigte Organe sei dadurch begründet, dass nur ein medizinischer Sachverständiger den Gesamtgrad einer Behinderung feststellen könne. Es sei einem medizinischen Sachverständigen vorbehalten, das Zusammenwirken einzelner vorhandener Krankheiten in einen Gesamtzusammenhang zu bringen und zu beurteilen. Nur ein Sachverständiger könne beurteilen, ab welchem Zeitpunkt oder Zeitraum welcher Grad der Behinderung vorliege, da chronische Erkrankungen sukzessive zu einer Verschlechterung führen würden.
12 Im vorliegenden Fall habe das zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen im Jahr 2019 einen Grad der Behinderung von 60 % festgestellt. Eine rückwirkende Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, die für die verfahrensgegenständlichen Jahre einen entsprechenden Gesamtgrad der Behinderung bescheinigt hätte, sei nicht vorgelegt worden.
13 Besondere Betreuungs oder Pflegebedürftigkeit liege bei einem behinderten Steuerpflichtigen vor, wenn er behinderungsbedingt einen besonderen Betreuungs oder Pflegebedarf habe; diesen habe er nachzuweisen.
14 Der Stiefvater des Revisionswerbers habe aufgrund seiner Krankheiten nie Pflegegeldleistungen bezogen und er habe auch keine Bescheinigung über den Grad der Behinderung für die verfahrensgegenständlichen Jahre vorgelegt, sodass die tatsächlichen Kosten für das Seniorenwohnheim nicht berücksichtigt werden könnten. Die geltend gemachten und nachgewiesenen Krankheitskosten könnten ebenfalls mangels Nachweis einer Behinderung nur gemäß § 34 EStG 1988 mit Selbstbehalt berücksichtigt werden. Der Selbstbehalt sei in beiden verfahrensgegenständlichen Jahren allerdings nicht überschritten worden.
15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Revisionswerbers als Erbe nach seinem Stiefvater. In dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren hat die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
16 Zur Zulässigkeit der Revision wird u.a. vorgebracht, das Bundesfinanzgericht weiche von der näher angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Nachweis einer Behinderung bei Geltendmachung tatsächlicher Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen ab.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Die Revision ist zulässig aber nicht begründet.
19 Zunächst ist zu bemerken, dass dann, wenn ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides tritt, die Bescheidbeschwerde gemäß § 253 BAO auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet gilt. Ein derartiger Fall liegt insbesondere wie hier vor, wenn im Laufe des Beschwerdeverfahrens (noch vor Vorlage der Beschwerde und daher iSd § 300 Abs. 1 BAO wirksam) das Verfahren wiederaufgenommen und ein neuer Sachbescheid erlassen wird (vgl. dazu die Gesetzesmaterialien zum Abgaben Rechtsmittel Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, IA 666/A 21. GP 46, zum damaligen § 274 BAO). Wenn das Bundesfinanzgericht im vorliegenden Fall ausgesprochen hat, dass die angefochtenen Bescheide im Sinne der Einkommensteuerbescheide vom 29. Juli 2020 abgeändert würden, so diente dies (lediglich) weil mit Abweisung der Beschwerde ohnehin ein mit dem Spruchinhalt der Einkommensteuerbescheide vom 29. Juli 2020 übereinstimmendes Erkenntnis erlassen wurde (vgl. etwa VwGH 8.3.2021, Ra 2018/16/0109, mwN) der Klarstellung des Inhalts der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts.
20 Nach § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988 (idF des AbgÄG 2012, BGBl. I Nr. 112/2012) können Aufwendungen im Sinne des § 35 EStG 1988, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden, ohne Berücksichtigung des Selbstbehalts abgezogen werden (§ 35 Abs. 5 EStG 1988). Diese Bestimmung sieht somit vor, dass die genannten Aufwendungen „an Stelle“ der in § 35 Abs. 3 EStG 1988 geregelten Freibeträge geltend gemacht werden können und diesfalls der Selbstbehalt gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 nicht zum Tragen kommt. Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser (tatsächlichen) Aufwendungen (ohne Selbstbehalt) ist daher das Vorliegen einer Behinderung des Steuerpflichtigen selbst, oder seines (Ehe )Partners oder Kindes; nur dann liegen Aufwendungen „im Sinne des § 35“ vor. Die Tatsache der Behinderung ist nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen im Folgenden näher genannten Stelle nachzuweisen.
21 Dass der Gesetzgeber die Geltendmachung tatsächlicher behinderungsbedingter Aufwendungen (ohne Selbstbehalt) an andere Voraussetzungen knüpfen wollte als die Geltendmachung der Freibeträge, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Systematik der genannten Bestimmungen. Die Möglichkeit, tatsächliche Aufwendungen „an Stelle“ der Freibeträge geltend zu machen, bedingt vielmehr, dass die Kriterien für die Geltendmachung der Freibeträge damit auch der Nachweis des Vorliegens einer Behinderung in der vorgesehenen Form, somit durch eine amtliche Bescheinigung grundsätzlich erfüllt sein müssen. Diesfalls hat der Steuerpflichtige die Wahl, entweder die Freibeträge gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 oder seine tatsächlichen Aufwendungen (dann ohne Selbstbehalt) geltend zu machen.
22 Diese Sichtweise findet auch in der Genese der genannten Bestimmungen Bestätigung. Die ausdrückliche Verankerung der Möglichkeit der Geltendmachung behinderungsbedingter Aufwendungen in Form außergewöhnlicher Belastungen mittels eines Pauschbetrages erfolgte erstmals mit dem Einkommensteuergesetz 1953 (EStG 1953, BGBl. Nr. 1; vgl. ErlRV 175 BlgNR 7. GP 137; vgl. dazu Gold , Einkommensteuergesetz 1953 [Wien 1954], 128; Jiresch/Zapletal , ÖStZ 1954, 1 und 15 f). Nach dem damaligen § 102 Abs. 1 EStG 1953 konnten „Körperbehinderte“ auf Antrag u.a. einen Pauschbetrag „zur Abgeltung etwaiger außergewöhnlicher Belastungen, die durch die Körperbehinderung“ veranlasst waren, geltend machen. Die Körperbehinderung wurde in Abs. 2 leg.cit. näher definiert und Abs. 3 leg.cit. sah vor, dass das Ausmaß der Behinderung „durch eine amtliche Bescheinigung der für die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zuständigen Behörde“ nachzuweisen war. Mit der Einkommensteuernovelle 1964 (BGBl. Nr. 187) wurde - neben dem Entfall der Regelung über jene Personen, die als körperbehindert galten (Abs. 2 leg.cit.; siehe dazu VfGH 20.3.1964, G 20/63, VfSlg. 4681) u.a. der frühere Abs. 3 leg.cit. in Abs. 2 umnummeriert und dahingehend geändert, dass nicht nur das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern auch die Tatsache der Körperbehinderung durch eine amtliche Bescheinigung der genannten zuständigen Behörden nachzuweisen waren (vgl. zum Hintergrund den Bericht des Finanz und Budgetausschusses 501 BlgNR 10. GP 7).
23 Auch nach der damaligen Rechtslage konnten tatsächliche behinderungsbedingte Aufwendungen grundsätzlich (bei Erfüllung der dafür notwendigen Voraussetzungen) als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden, dies allerdings (mangels einer entsprechenden Ausnahmebestimmung) nur nach Berücksichtigung des damals in § 33 Abs. 4 EStG 1953 geregelten und als „zumutbare Mehrbelastung“ bezeichneten Selbstbehaltes (vgl. in diesem Zusammenhang erneut VfGH 20.3.1964, G 20/63, VfSlg. 4681).
24 Mit der Neukodifikation des Einkommensteuerrechts durch das Einkommensteuergesetz 1967 (EStG 1967, BGBl. Nr. 268) wurde die Bestimmung des § 102 EStG 1953 (idF BGBl. Nr. 187/1964) weitgehend übernommen und in einem neu gefassten Abs. 4 um eine Regelung ergänzt, wonach im Fall, dass ein „Körperbehinderter an Stelle des Pauschbetrages gemäß Abs. 2 seine tatsächliche außergewöhnliche Belastung aus diesem Titel“ (gemäß § 33 EStG 1967) geltend machte, der in § 33 Abs. 4 EStG 1967 geregelte Selbstbehalt nicht anzuwenden war. Diese in der Regierungsvorlage zum EStG 1967 ursprünglich nicht enthaltene (vgl. ErlRV 545 BlgNR 11. GP 46 f und 66) Regelung ging auf einen im Finanz- und Budgetausschuss eingebrachten Abänderungsantrag zurück und sollte gewährleisten, dass „Körperbehinderte, für die der Pauschbetrag wegen außergewöhnlicher Belastung nicht ausreicht, ihre tatsächlichen diesbezüglichen Aufwendungen ohne Kürzung um die zumutbare Mehrbelastung (§ 33 Abs. 4) voll als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt erhalten“ (vgl. Bericht des Finanz und Budgetausschusses 610 BlgNR 11. GP 2 und 4; vgl. Jiresch/Fasching/Langer , Einkommensteuergesetz 1967, § 102 Anm. 4).
25 Mit dem neu eingefügten § 102 Abs. 4 EStG 1967 hat der historische Gesetzgeber keine eigenständige Regelung für den Nachweis der Behinderung getroffen; es wurde insbesondere nicht vorgesehen, dass die Tatsache der Behinderung bei Geltendmachung der tatsächlichen Kosten - anders als bei der Geltendmachung des Pauschbetrages - auf andere Weise als durch Vorlage einer amtlichen Bescheinigung der im Gesetz genannten Stellten nachgewiesen werden konnte. Dass dies trotz Fehlens einer entsprechenden Bestimmung dennoch die Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, kann im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut (Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien) auch nicht angenommen werden: Vorgesehen war, dass „ein Körperbehinderter an Stelle des Pauschbetrages“ tatsächliche Aufwendungen geltend machen konnte. Bei „Körperbehinderten“ (gemäß § 102 Abs. 1 leg.cit.) war aber gemäß § 102 Abs. 2 zweiter Satz leg.cit. die „Tatsache der Körperbehinderung“ durch eine amtliche Bescheinigung einer der genannten Stellen nachzuweisen.
26 Im Einkommensteuergesetz 1972 (EStG 1972, BGBl. Nr. 440) wurden die Bestimmungen des § 33 EStG 1967 übernommen, an die Individualbesteuerung angepasst und aufgrund der vorgenommenen Neunummerierung der bisherigen Paragraphen des EStG 1967 in einen neuen § 34 EStG 1972 überführt (vgl. ErlRV 474 BlgNR 13. GP 54 und 71). Der ergänzend dazu neu eingeführte § 34 Abs. 8 EStG 1972 (diese Bestimmung ging auf einen im Finanz und Budgetausschuss eingebrachten Abänderungsantrag zurück; vgl. Bericht des Finanz und Budgetausschusses 547 BlgNR 13. GP 3 und 27) sah zudem vor, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für näher definierte Kinder, die infolge „körperlicher oder geistiger Behinderung“ voraussichtlich dauernd außerstande waren, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ohne Anwendung der in § 34 Abs. 4 EStG 1972 geregelten Bestimmungen über den Selbstbehalt als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen waren (vgl. dazu Schubert/Pokorny/Schuch , Einkommensteuerhandbuch § 34 Anm. 40 ff). Weiters war vorgesehen, dass die Behinderung „von der nach § 106 Abs. 2 zuständigen Stelle zu bescheinigen“ war.
27 Im neuen § 106 EStG 1972 wurden auch die früheren Bestimmungen des § 102 EStG 1967 (über die Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen von „Körperbehinderten“) weitgehend übernommen (vgl. ErlRV 474 BlgNR 13. GP 80: „Die Bestimmung entspricht dem § 102 EStG 1967...“; vgl. Schubert/Pokorny/Schuch , Einkommensteuerhandbuch § 106 Anm. 1 ff). Dementsprechend sah § 106 Abs. 4 EStG 1972 wie schon § 102 Abs. 4 EStG 1967 vor, dass „Körperbehinderte“ an Stelle des in Abs. 3 geregelten Freibetrages (vgl. dazu etwa VwGH 28.5.1986, 85/13/0119) ihre tatsächlichen Aufwendungen geltend machen konnten und zwar ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1972. Zu dieser Bestimmung wurde bereits damals im Schrifttum die Rechtsansicht vertreten, dass auch bei Geltendmachung der tatsächlichen (behinderungsbedingten) außergewöhnlichen Belastung die Körperbehinderung durch eine Bescheinigung im Sinne des Abs. 2 nachgewiesen werden müsse (vgl. Schubert/Pokorny/Schuch , Einkommensteuerhandbuch § 106 Anm. 11; ebenso Schubert/Pokorny/Schuch/Quantschnigg , Einkommensteuer Handbuch 2 § 106 Anm. 15).
28 Mit dem Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988, BGBl. Nr. 400) wurden zum einen die wesentlichen Bestimmungen des § 34 EStG 1972 über die außergewöhnlichen Belastungen unter Beibehaltung der Paragraphennummer, jedoch nunmehr als Einkommensermittlungsvorschriften konzipiert und sprachlich überarbeitet - übernommen, zum anderen die Regelungen des § 106 EStG 1972 (über die Abgeltung außergewöhnlicher Belastungen von „Körperbehinderten“) in einen neuen § 35 EStG 1988 übergeführt. Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der Gesetzgeber dabei die grundsätzliche Regelungstechnik der außergewöhnlichen Belastungen beibehalten wollte (vgl. ErlRV 621 BlgNR 17. GP 84 f).
29 Die Systematik der im Revisionsfall anwendbaren Bestimmungen über die Geltendmachung behinderungsbedingter Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen in der Form eines Pauschbetrages (Freibetrag) oder in tatsächlich angefallener Höhe geht wie bereits dargelegt auf das EStG 1967 zurück. Die damals erstmalig geschaffene Möglichkeit, tatsächliche Aufwendungen ohne Selbstbehalt geltend zu machen (§ 102 Abs. 4 EStG 1967), zielte auf Steuerpflichtige ab, die die Voraussetzungen für die Geltendmachung eines behinderungsbedingten Pauschbetrages dem Grunde nach erfüllten bei denen somit die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine amtliche Bescheinigung festgestellt wurde (§ 102 Abs. 2 zweiter Satz EStG 1967) , für die der Pauschbetrag allerdings „nicht ausreicht[e]“ (vgl. erneut Bericht des Finanz- und Budgetausschusses 610 BlgNR 11. GP 2). Die mit dem EStG 1972 eingeführte Bestimmung über die Geltendmachung behinderungsbedingter außergewöhnlicher Belastungen ohne Selbstbehalt für Kinder des Steuerpflichtigen (§ 34 Abs. 8 EStG 1972) sah ausdrücklich einen Nachweis durch amtliche Bescheinigung (§ 106 Abs. 2 EStG 1972) vor. Auch daran zeigt sich, dass der historische Gesetzgeber die Feststellung einer Behinderung - des Steuerpflichtigen selbst oder seiner Kinder - stets einer bestimmten Stelle, die eine (amtliche) Bescheinigung auszustellen hatte, vorbehalten wollte.
30 Der Revisionswerber stützt seine Rechtsansicht, wonach bei Geltendmachung tatsächlicher behinderungsbedingter Aufwendungen gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 iVm § 35 Abs. 5 EStG 1988 die Tatsache der Behinderung nicht zwingend durch eine amtliche Bescheinigung nachgewiesen werden müsse, auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 2023, Ra 2023/13/0016. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass im damaligen Revisionsfall die betreffenden, als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen für eine Pflegegeld beziehende Person angefallen waren (vgl. ebenso VwGH 14.8.2024, Ra 2023/13/0061). Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass in einem solchen Fall aufgrund des Vorliegens eines Bescheides über die Zuerkennung von Pflegegeld (das gemäß § 4 Abs. 1 Bundespflegegeldgesetz nur dann gebührt, wenn u.a. auf Grund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung ein ständiger Pflegebedarf besteht) als gleichwertige „amtliche Bescheinigung“ die Tatsache der Behinderung gemäß § 166 BAO und somit unter Heranziehung sämtlicher zweckdienlicher Beweismittel zu beurteilen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat im genannten Erkenntnis weiters ausgesprochen, dass der Bezug von Pflegegeld das Vorliegen einer Behinderung indiziert, zumal bei Geltendmachung außergewöhnlicher Belastungen (Mehraufwendungen) gemäß § 34 Abs. 6 Teilstrich 6 EStG 1988 (somit bei Bezug pflegebedingter Geldleistungen; nunmehr § 34 Abs. 6 Teilstrich 5 EStG 1988 idF des Steuerreformgesetzes 2020, BGBl. I Nr. 103/2019) iVm § 35 Abs. 1 EStG 1988 ein bestimmter Grad der Behinderung (oder Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach dem Gesetz nicht erforderlich ist.
31 Im vorliegenden Revisionsfall hat der Rechtsvorgänger des Revisionswerbers im verfahrensgegenständlichen Zeitraum weder Pflegegeld bezogen, noch eine amtliche Bescheinigung gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 (die im Übrigen den Grad der Behinderung - entgegen der Rechtsansicht der Finanzverwaltung in den LStR 2002 Rz 839f grundsätzlich auch rückwirkend bescheinigen kann; vgl. dazu ausführlich VwGH 11.11.2015, Ra 2014/11/0109; 26.8.2022, Ra 2021/11/0175) zum Nachweis seiner Behinderung vorgelegt. Das Bundesfinanzgericht hat daher im angefochtenen Erkenntnis zu Recht den Nachweis einer Behinderung für die verfahrensgegenständlichen Jahre als nicht erbracht angesehen (vgl. zur Beweislast des Steuerpflichtigen bei Geltendmachung von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung etwa VwGH 13.3.2023, Ra 2020/13/0057; 5.3.2020, Ra 2019/15/0159; 25.5.2004, 2001/15/0027, jeweils mwN).
32 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 19. Februar 2025