JudikaturVwGH

Ra 2024/13/0098 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
30. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger und die Hofrätin Dr. in Lachmayer, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. in Wiesinger und den Hofrat Mag. M. Mayr, LL.M., als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., MA, über die Revision des Stadtsenats der Landeshauptstadt Graz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. Mai 2024, LVwG 61.26 2751/2023 20, betreffend Kanalisationsbeitrag (mitbeteiligte Partei: G, vertreten durch Mag. Dr. Regina Schedlberger, Rechtsanwältin in Graz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid vom 12. Mai 2023 schrieb der revisionswerbende Stadtsenat dem Mitbeteiligten für eine näher genannte Liegenschaft einen Kanalisationsbeitrag in Höhe von 14.179,41 € vor. Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde änderte die Behörde den angefochtenen Bescheid wegen Neufeststellung der Bruttogeschoßflächen mit Beschwerdevorentscheidung insofern ab, als der Kanalisationsbeitrag in der Höhe von 13.985,66 € festgesetzt wurde.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Landesverwaltungsgericht Steiermark den Bescheid vom 12. Mai 2023. Es sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei.

3 Nach den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark sei der Mitbeteiligte im Jahr 2007 Alleineigentümer einer näher genannten Liegenschaft geworden, für die eine Anschlussverpflichtung an das Kanalnetz bestanden habe.

4 Diese Liegenschaft sei ursprünglich Teil eines größeren Grundstücks gewesen, für dessen Bestandsobjekte mit Bescheid vom 18. Dezember 1992 eine Ausnahme von der Anschlussverpflichtung erteilt worden sei.

5 Zum Zeitpunkt des Kaufs des Grundstücks durch den Mitbeteiligten habe eine Lagerhalle mit Dach und Keller bestanden. Mit Bescheid vom April 2008 sei dem Mitbeteiligten die Errichtung eines Zu und Umbaus einer Wartungs und Lagerhalle für Baufahrzeuge erteilt worden. Weitere Baubewilligungsbescheide habe es in den Jahren 2011 und 2013 gegeben. Das Dach der Halle sei bereits im Jahr 2008 abgetragen worden.

6 Im Zeitraum 2009 bis 2018 habe das Erdgeschoß der Halle lediglich aus Fragmenten der Außenwände ohne Dach bestanden, was der Mitbeteiligte mit Kreditproblemen begründet habe. Das Dach und die Halle seien im Jahr 2019 fertiggestellt worden und es sei ein Zubau für den Sozialraum und Büro samt Toilette, welche über die Halle erreichbar und mit dieser verbunden sei, sowie eine Erweiterung im Keller hinzugekommen.

7 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass § 2 Abs. 3 Kanalabgabengesetz 1955 als Abgabentatbestand für die Leistung eines einmaligen Kanalisationsbeitrages ausdrücklich die Durchführung von Umbauten in anschlusspflichtigen Baulichkeiten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes nenne. Diesfalls entstehe die Beitragspflicht mit der erstmaligen Benützung der Baulichkeit oder ihrer Teile.

8 Gemäß § 4 Z 64 Steiermärkisches Baugesetz 1995, auf das § 4 Abs. 6 Kanalabgabengesetz 1955 verweise, sei unter einem Zubau die Vergrößerung einer bestehenden baulichen Anlage der Höhe, Länge oder Breite nach bis zur Verdoppelung der bisherigen Geschoßflächen zu verstehen.

9 Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens könne festgestellt werden, dass es sich bei dem Büro mit Sozialraum und WC sowie dem erweiterten Keller um einen Zubau zur Lagerhalle im Sinne des § 4 Z 64 Steiermärkisches Baugesetz 1995 handle. Es sei festzustellen, dass es sich bei der Lagerhalle mit dem Zubau um ein einheitliches Gebäude handle. § 2 Abs. 3 in Verbindung mit § 4 Abs. 4 Kanalabgabengesetz 1955 sehe die Vorschreibung eines Ergänzungsbeitrages vor. Die Vorschreibung eines einmaligen Kanalisationsbeitrages sei daher zu Unrecht erfolgt.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz mit der gegenständlichen Revision. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurück-, in eventu Abweisung der Revision sowie Aufwandersatz beantragte.

11 Zur Zulässigkeit ihrer Revision bringt die Behörde vor, das Landesverwaltungsgericht Steiermark habe die „Rechtsfrage, ob im vorliegenden Fall das Bauvorhaben als Zu und Umbau oder Neubau zu qualifizieren“ sei, in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen und die Begriffsdefinition „Neubau“ und die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes völlig außer Acht gelassen.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die Revision ist zulässig und begründet.

14 Gemäß § 1 des Gesetzes vom 28. Juni 1955 über die Erhebung der Kanalabgaben durch die Gemeinden des Landes Steiermark (Kanalabgabengesetz 1955) werden die Gemeinden des Landes Steiermark, welche öffentliche Kanalanlagen zur Ableitung von Abwässern errichten und betreiben, ermächtigt, durch Beschluss des Gemeinderates eine einmalige Abgabe zur Deckung der Kosten der Errichtung und der Erweiterung der öffentlichen Kanalanlage (Kanalisationsbeitrag) nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu erheben.

15 § 2 Abs. 1 bis 3 Kanalabgabengesetz 1955, LGBl. Nr. 71/1955 in der Fassung des LGBl. Nr. 87/2013, lautet:

Gegenstand der Abgabe

§ 2 (1) Der Kanalisationsbeitrag ist einmalig für alle Liegenschaften im Gemeindegebiete zu leisten, für welche eine gesetzliche Anschlußpflicht an das bereits bestehende öffentliche Kanalnetz besteht, ohne Rücksicht darauf, ob sie an das Kanalnetz tatsächlich angeschlossen sind oder nicht.

(2) Bei Neulegung öffentlicher Kanäle ist der einmalige Kanalisationsbeitrag für alle anschlußpflichtigen Liegenschaften ohne Rücksicht auf ihren tatsächlichen Anschluß zu leisten. Ein weiterer Kanalisationsbeitrag ist, unbeschadet der Bestimmungen des § 1, auch für den Umbau, die Erneuerung oder die Verbesserung der technischen Einrichtungen von Abwasserreinigungsanlagen für bereits bestehende Kanäle zu entrichten, sofern diese baulichen Maßnahmen im Hinblick auf die technische Entwicklung auf Grund von gesetzlichen Bestimmungen durch Bescheid oder Erkenntnis festgelegt werden. Die Beitragspflicht entsteht zur Hälfte bei Baubeginn und zur Hälfte bei Vorliegen der technischen Anschlußmöglichkeit an die öffentliche Kanalanlage oder Fertigstellung der Abwasserreinigungsanlage.

(3) Bei anschlusspflichtigen Neubauten und bei Zu- und Umbauten in anschlusspflichtigen Baulichkeiten nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entsteht die Beitragspflicht mit der erstmaligen Benützung der Baulichkeit oder ihrer Teile. Bei Wiedererrichtung einer zerstörten, abgetragenen oder beschädigten Baulichkeit ist der Kanalisationsbeitrag nur insoweit zu leisten, als das wiedererrichtete Bauwerk die Ausmaße des früheren überschreitet.“

16 Gemäß § 4 Abs. 6 Kanalabgabengesetz 1955 ist für die Auslegung der in diesem Paragrafen enthaltenen spezifisch baurechtlichen Bestimmungen das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. Nr. 59/1995, heranzuziehen.

17 Nach § 4 Abs. 4 Kanalabgabengesetz 1955 ist bei Zu- und Umbauten von Baulichkeiten der ergänzende Kanalisationsbeitrag (Ergänzungsbeitrag) entsprechend der neu gewonnenen Bruttogeschoßfläche zu berechnen.

18 § 4 des Gesetzes vom 4. April 1995, mit dem Bauvorschriften für das Land Steiermark erlassen werden (Steiermärkisches Baugesetz Stmk. BauG) enthält Begriffsbestimmungen. Dessen Z 48, 58 und 64 lauten:

„48. Neubau: Herstellung einer neuen baulichen Anlage, die keinen Zu- oder Umbau darstellt. Ein Neubau liegt auch dann vor, wenn nach Abtragung bestehender baulicher Anlagen alte Fundamente oder Kellermauern ganz oder teilweise wiederverwendet werden; [...]

58. Umbau: die Umgestaltung des Inneren oder Äußeren einer bestehenden baulichen Anlage, die die äußeren Abmessungen nicht vergrößert oder nur unwesentlich verkleinert, jedoch geeignet ist, die öffentlichen Interessen zu berühren (z. B. Brandschutz, Standsicherheit, äußeres Erscheinungsbild), bei überwiegender Erhaltung der Bausubstanz; [...]

64. Zubau: die Vergrößerung einer bestehenden baulichen Anlage der Höhe, Länge oder Breite nach bis zur Verdoppelung der bisherigen Geschoßflächen;“

19 Der Verweis des § 4 Abs. 6 Kanalabgabengesetz 1955 auf das Stmk. BauG bezieht sich nach dessen Wortlaut auf die Auslegung der in diesem Paragrafen enthaltenen spezifisch baurechtlichen Bestimmungen. Es ist aber davon auszugehen, dass diese baurechtlichen Bestimmungen in gleicher Weise zur Auslegung des § 2 Kanalabgabengesetz 1955 heranzuziehen sind. Es kann dem Gesetzgeber nämlich nicht unterstellt werden, er habe in ein und demselben Gesetz für identische Begriffe im Rahmen der Bemessungsgrundlage (§ 4 Kanalabgabengesetz 1955) eine andere Bedeutung vorsehen wollen, als diesen im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Abgabe zukommt (vgl. zum Zusammenhalt der §§ 2 und 4 Kanalabgabengesetz 1955 mit den Begriffsbestimmungen des Stmk. BauG, VwGH 10.12.2008, 2005/17/0093, mwN). In weiterer Folge sind unter „Neubauten“ im Sinn des § 2 Abs. 3 Kanalabgabengesetz 1955 solche gemäß § 4 Z 48 Stmk. BauG zu verstehen.

20 Die revisionswerbende Behörde verweist zu Recht darauf, dass nach dem § 4 Z 48 Stmk. BauG ein Neubau auch dann vorliegt, wenn nach Abtragung bestehender baulicher Anlagen alte Fundamente oder Kellermauern ganz oder teilweise wiederverwendet werden.

21 Nach den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark habe das Erdgeschoß der Halle des revisionsgegenständlichen Objekts im Zeitraum 2009 bis 2018 lediglich aus Fragmenten der Außenwände ohne Dach bestanden. Ausgehend von diesen Feststellungen hätte sich das Landesverwaltungsgericht mit der Frage zu befassen gehabt, ob ein Neubau der genannten Art, allenfalls eine Wiedererrichtung nach § 2 Abs. 3 2. Satz Kanalabgabengesetz 1955 im Revisionsfall vorhanden ist (vgl. dazu auch VwGH 7.3.2022, Ra 2021/13/0109, mwN).

22 Indem das Landesverwaltungsgericht Steiermark den bei ihm angefochtenen Bescheid abgeleitet aus dem Umstand, dem Mitbeteiligten seien mit „diversen Bescheiden des Stadtsenates [...], vom 17.4.2008, vom 13.01.2011 und vom 08.03.2013 [...] Bewilligungen zur Ausführung des Zu- und Umbaus der Halle erteilt“ worden aufgehoben hat, ohne dabei die selbst getroffene Feststellung, wonach das revisionsgegenständliche Objekt im Zeitraum 2009 bis 2018 somit jedenfalls im Zeitpunkt der beiden letztgenannten Baubescheide lediglich aus Fragmenten der Außenwände ohne Dach bestanden habe, einzubeziehen, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 30. September 2025

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