Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des E R, vertreten durch Mag.a Dr.in Jasmine Senk, Rechtsanwältin in Linz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2024, L517 2286022 1/5E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Linz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Revisionswerbers vom 28. April 2023 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld mangels Zuständigkeit des Arbeitsmarktservice (AMS) zurück.
2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber am 15. Februar 2020 ein Dienstverhältnis in Deutschland begründet habe. Dieses habe er am 18. Jänner 2023 mit Wirkung vom 31. März 2023 gekündigt. Am 28. Februar 2020 habe sich der Revisionswerber in einer am 15. Februar 2020 bezogenen Wohnung in Deutschland angemeldet. Am 27. Jänner 2023 sei diese Wohnung gekündigt worden. Am 27. März 2023 habe sich der Revisionswerber aus der Wohnung in Deutschland abgemeldet, am 31. März 2023 sei er ausgezogen. Am 4. April 2023 habe er einen Nebenwohnsitz an einer Adresse in Linz angemeldet. Am 15. April 2023 habe er einen Hauptmietvertrag für die betreffende Wohnung abgeschlossen. Er sei seit 16. Dezember 2011 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.
3 Nachdem er in Österreich den gegenständlichen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt habe, habe das AMS am 2. Mai 2023 eine Niederschrift zur Feststellung der Grenzgängereigenschaft aufgenommen. Dabei habe der Revisionswerber angegeben, dass er während seiner vollversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland von 15. Februar 2020 bis 31. März 2023 innerhalb des letzten Jahres ca. drei Mal nach Österreich zurückgekehrt sei, um seine Eltern zu besuchen. Er habe die Absicht gehabt, auf Dauer im Ausland zu bleiben. Anfang April sei er mit seiner Lebensgefährtin nach Österreich übersiedelt.
4 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, dass nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Deutschland als der Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung des Revisionswerbers für die Gewährung des Arbeitslosengeldes zuständig sei. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers sei nicht der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt zum Zeitpunkt der Beantragung des Arbeitslosengelds für die Begründung der Zuständigkeit ausschlaggebend.
5Von der beantragten mündlichen Verhandlung sah das Bundesverwaltungsgericht ab, weil der maßgebliche Sachverhalt im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG geklärt sei. Es sei unstrittig, dass der Revisionswerber von 15. Februar 2020 bis 31. März 2023 in Deutschland einer Beschäftigung nachgegangen und in diesem Zeitraum auch in Deutschland wohnhaft gewesen sei.
6Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 In der Revision wird unter diesem Gesichtspunkt vorgebracht, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Gemäß Art. 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sei ein Statutenwechsel vom Beschäftigungsstaat zum Wohnstaat vorgesehen, wenn der letzte Ort der Beschäftigung (hier: Deutschland) und der Wohnort (hier: Österreich) der vollarbeitslosen Person auseinanderfielen. Der Verwaltungsgerichtshof habe vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Kriterien für die Definition des Wohnortes festgelegt. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich jedoch mit diesen Kriterien nicht auseinandergesetzt. Es habe nicht berücksichtigt, dass sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen des Revisionswerbers vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nach Österreich verlagert habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch gegen tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verstoßen, indem es die beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt habe.
11 Der Revisionswerber bestreitet aber nicht, dass er wie er vor dem AMS selbst angegeben hatte während seiner vollversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland von 15. Februar 2020 bis 31. März 2023 innerhalb des letzten Jahres nur ca. drei Mal nach Österreich zurückgekehrt sei, um seine Eltern zu besuchen, und die Absicht gehabt, auf Dauer im Ausland zu bleiben.
12 Mit einer Rückkehr nach Österreich nur ca. drei Mal im Jahr war der Revisionswerber jedenfalls nicht (echter) Grenzgänger im Sinn des Art. 1 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Daraus folgt zwar noch nicht, dass er nicht im Sinn des Art. 65 der Verordnung in Österreich „gewohnt“ hat: Als Wohnort gilt nach Art. 1 lit. j der Verordnung der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person. Eine Person kann nur einen (einzigen) Wohnort in diesem Sinn haben. Der Wohnort ist im Gegensatz zum „vorübergehenden Aufenthalt“ im Sinn des Aufenthaltsbegriffs des Art. 1 lit. k der Verordnungnach der Rechtsprechung des EuGH dadurch gekennzeichnet, dass es sich um den Ort handelt, in dem sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen der betreffenden Person befindet (vgl. VwGH 2.6.2016, Ra 2016/08/0047, mwN).
13 Die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nach einem beweglichen System zu berücksichtigenden Kriterien zur Feststellung des Wohnorts bzw. des gewöhnlichen Mittelpunkts der Interessen der betreffenden Person sind insbesondere die familiären Verhältnisse (z.B. der Wohnort der Familie), die Qualität und Kontinuität des Wohnens und der sonstigen Lebensumstände im präsumtiven Wohnmitgliedstaat bis zur Abwanderung, die Gründe für die Abwanderung, die Art und die Dauer der Tätigkeit (z.B. Saisonarbeit, befristete Beschäftigung) sowie die Wohnund Lebensverhältnisse der betreffenden Person im Beschäftigungsmitgliedstaat (vgl. nochmals VwGH 2.6.2016, Ra 2016/08/0047, mwN).
14 Im Lichte dieser Kriterien ist das Bundesverwaltungsgericht aber ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, dass der Revisionswerber während seiner Beschäftigung in Deutschland auch dort (und nicht in Österreich) gewohnt hat. Die bloße Absicht, den Wohnort (mit Blick auf das Ende der Beschäftigung) zu verlagern mag sie sich auch schon in konkreten Schritten wie dem Abschluss eines Mietvertrages oder (wie vom Revisionswerber im Verfahren vorgebracht) Übersiedlungsmaßnahmen verbunden mit Übernachtungen während der Konsumation des Resturlaubs manifestieren, reicht für die Annahme der Begründung eines Wohnortes außerhalb des Beschäftigungsmitgliedstaats noch während der Beschäftigung nicht aus. Da demnach der Ort der letzten Beschäftigung und der Wohnort des Revisionswerbers zum Zeitpunkt des Endes der Beschäftigung nicht auseinanderfielen, kam der in Art. 65 Abs. 2 und 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausnahmsweise vorgesehene Statutenwechsel von vornherein nicht in Betracht (vgl. auch dazu VwGH 2.6.2016, Ra 2016/08/0047, mwN).
15 Es war auch nicht unvertretbar, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, ist doch die rechtliche Qualifikation des Wohnortes auf Basis unstrittiger Tatsachen im Wesentlichen auf Grund der eigenen Behauptungen des Revisionswerbers erfolgt. Auf die insbesondere im Vorlageantrag ins Treffen geführten Umstände (Übersiedlungsmaßnahmen sowie zwei Übernachtungen in der neuen Wohnung im März 2023, Abschluss eines Vertrags mit einem Fitnessstudio am neuen Wohnort am 31. März 2023, Abschluss eines Internetvertrags mit einem österreichischen Anbieter am 1. April 2023) kam es nach dem oben Gesagten nicht an.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde zurückzuweisen.
Wien, am 25. August 2025