JudikaturVwGH

Ra 2024/04/0371 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
02. Juni 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision 1. der C S und 2. des E S, beide in K, beide vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 29. April 2024, Zl. E 015/09/2023.008/0018, betreffend einen Antrag gemäß § 79a GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mattersburg; mitbeteiligte Partei: F GmbH in N, vertreten durch die Niederhuber Partner Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Reisnerstraße 53), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 1. Die Revisionswerber stellten am 17. Februar 2022 bei der belangten Behörde gemäß § 79a Abs. 3 der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) den Antrag auf Einleitung eines Verfahrens gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 zur Erteilung nachträglicher Auflagen in Bezug auf ein Spanplattenwerk an einem näher bezeichneten Standort.

2 Mit Bescheid vom 10. Oktober 2023 wies die belangte Behörde diesen Antrag als unbegründet ab. Die Revisionswerber hätten zwar nachgewiesen, seit der maßgeblichen Änderung der gegenständlichen Betriebsanlage im Jahr 2004 Nachbarn gewesen zu sein, und durch Vorlage eines Privatgutachtens auch anfänglich glaubhaft gemacht, in ihren schutzwürdigen Interessen verletzt zu sein. Insbesondere aufgrund von Gutachten eines schalltechnischen Amtssachverständigen gehe nach Ansicht der belangten Behörde vom konsensmäßigen Betrieb der mitbeteiligten Partei aber keine Gefährdung der Interessen im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1994 aus. Es könnten auch keine Anzeichen für einen (zeitweise) konsenslosen Betrieb festgestellt werden. Die nachträgliche Vorschreibung von Auflagen sei daher nicht geboten.

3 2. Mit Erkenntnis vom 29. April 2024 wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland (Verwaltungsgericht) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass der Antrag der Revisionswerber zurückgewiesen werde. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es sei weder im Antrag noch in dem diesem angeschlossenen Privatgutachten (Geräuschmessbericht) glaubhaft gemacht worden, dass die gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen im vorliegenden Fall nicht hinreichend geschützt seien. Aus den Messergebnissen ergebe sich nicht, dass bei Betrieb der Anlage bei den Nachbarn grundsätzlich höhere Lärmmesswerte aufträten. Zudem seien die Auswirkungen des Verkehrsaufkommens einer naheliegenden Schnellstraße nicht berücksichtigt worden. Bei dem Geräuschmessbericht handle es sich daher um kein parates Beweismittel zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 79a Abs. 3 GewO 1994, weil die Frage, ob die gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen hinreichend geschützt seien, ohne weitere Beweismittel bzw. Sachverständigengutachten nicht beantwortet werden könne. Das Fehlen von Angaben zur Glaubhaftmachung sei einem Verbesserungsauftrag nicht zugänglich. Die Revisionswerber hätten daher keine Parteistellung erlangt und könnten somit auch nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Humanmedizin beantragen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 3. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 4.1. Die Revision bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe mit seiner Entscheidung in Abweichung von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens überschritten, weil die Anträge der Revisionswerber im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen worden seien. Ausgehend davon habe das Verwaltungsgericht über die Beschwerde der Revisionswerber keine Entscheidung getroffen. Der Spruch des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses sei daher nichtig.

9 Dem ist zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hat und somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tritt somit an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides. Dies ist bei der Gestaltung sowohl des Spruchs als auch der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu berücksichtigen (vgl. VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0032, Pkt. A). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf und Entscheidungsbefugnis einen Antrag zurückzuweisen hat (vgl. VwGH 4.3.2024, Ro 2021/14/0002, mwN).

10 Ein Revisionswerber, der entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behauptet, hat konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten Entscheidungen gleicht, das Verwaltungsgericht im revisionsgegenständlichen Fall jedoch anders entschieden hat und damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Hiezu reicht eine bloße Wiedergabe von Rechtssätzen ebenso wenig wie die bloße Zitierung aus Literaturfundstellen ohne jegliche Bezugnahme auf solche Rechtsprechung. (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2017/16/0157, mwN). „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist ungeachtet des durch § 27 VwGVG 2014 vorgegebenen Prüfumfangs jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0049).

11 Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, inwiefern das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens überschritten haben soll, zumal worauf die Revisionswerber auch selbst hinweisen die belangte Behörde die Anträge mit dem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid als unbegründet abgewiesen hat. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es dem Verwaltungsgericht verwehrt sein sollte, im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die von Amts wegen vor einer inhaltlichen Beurteilung des Antrags zu prüfende Antragslegitimation zu thematisieren. Dem ist der in der Revision ins Treffen geführte Fall, dass bei der Zurückweisung eines Antrags durch die belangte Behörde lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht sei, nicht gleichzuhalten.

12 4.2. Die Revision bringt ferner vor, das Verwaltungsgericht habe in Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen falschen Schluss gezogen, indem es eine nicht ausreichende Glaubhaftmachung der Umstände im Sinne von § 79 Abs. 3 GewO 1994 darin erblickt habe, dass das Ermittlungsverfahren der Gewerbebehörde ergeben habe, dass keinerlei Lärmimmissionen wahrnehmbar gewesen seien. Das Verwaltungsgericht vermenge damit die Frage der Prozessvoraussetzung mit der Frage des Sachverfahrens nach § 79 Abs. 1 GewO 1994.

13 Die Revisionswerber übersehen dabei zunächst, dass das Verwaltungsgericht seine Beurteilung, ob die Glaubhaftmachung des Umstandes, dass die gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen nicht hinreichend geschützt sind, gelungen ist, ohnehin – tragend auf den Antrag selbst sowie auf den diesem angeschlossenen Geräuschmessbericht stützte.

14 Weiters ist diesem Vorbringen Folgendes zu entgegnen: Gegenstand der Glaubhaftmachung im Sinne des § 79a Abs. 3 GewO 1994 ist der Nachweis der Wahrscheinlichkeit und nicht der Richtigkeit des Vorliegens der Tatsache, als Nachbar vor den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt zu sein (vgl. VwGH 25.6.2003, 2000/04/0092). Eine Glaubhaftmachung unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (vgl. VwGH 27.5.1998, 97/13/0051).

15 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. zur Überprüfung der Beweiswürdigung aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/04/0036, mwN). Einen derartigen krassen Fehler der Beweiswürdigung zeigt die Revision nicht auf. Dass das Verwaltungsgericht aufgrund der Nichteinbeziehung von berücksichtigungswürdigen Messergebnissen in die dem Antrag zugrundeliegende Tatsachenbehauptung, der Basislärmpegel sei an Tagen des Betriebs um drei Dezibel höher als an Tagen ohne Betrieb, die Glaubhaftmachung der Revisionswerber als nicht gelungen erachtete, ist nicht zu beanstanden, zumal ein Verkehrsgeschehen auf einer zwischen der Betriebsanlage und dem Wohnort der Revisionswerber gelegenen Schnellstraße jedenfalls geeignet ist, das wahrnehmbare Lärmaufkommen maßgeblich zu beeinflussen. Der an sich nur zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 29.11.2017, Ra 2015/04/0014, mwN).

16 4.3. Die Revision führt zur Zulässigkeit letztlich ins Treffen, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es kein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Humanmedizin eingeholt habe, obwohl die Revisionswerber dies beantragt hätten. Das Verfahren sei daher mangelhaft.

17 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Erlangung der Parteistellung nach § 79a Abs. 3 GewO 1994 die Glaubhaftmachung des Umstandes, als Nachbar von den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt zu sein, voraus. Gelingt die Glaubhaftmachung im Antrag nicht, erlangt der Antragsteller keine Parteistellung und ist der Antrag zurückzuweisen (vgl. VwGH 25.6.2003, 2000/04/0092). Da das Verwaltungsgericht die Glaubhaftmachung gemäß § 79a Abs. 3 GewO 1994 als nicht gelungen erachtete, konnten die Revisionswerber keine Parteistellung erlangen. Ein Eingehen auf den hier gerügten Verfahrensmangel, der nur ein meritorisches Verfahren betreffen kann, erübrigt sich daher.

18 4.4. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

19 Die Revision war daher zurückzuweisen.

20 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 2. Juni 2025

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