JudikaturVwGH

Ra 2023/10/0364 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 19. Juni 2023, Zl. LVwG AV 1985/001 2023, betreffend Aufhebung und Zurückverweisung in einer Angelegenheit nach dem NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha; mitbeteiligte Partei: D K in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28. April 2023 wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei vom 11. April 2023 auf Zuerkennung von Leistungen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und auf Leistungen zur Befriedigung des Wohnbedarfs gemäß § 5 NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz NÖ SAG mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, die mitbeteiligte Partei, die lediglich über einen Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ verfüge, sei nicht zum dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt.

2 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurück. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine Revision gegen diesen Beschluss nicht zulässig sei.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf hg. Rechtsprechung zu § 5 Abs. 2 NÖ SAG (VwGH 28.4.2022, Ra 2021/10/0042) aus, die Auffassung der belangten Behörde, der Sozialhilfeantrag sei schon deshalb abzuweisen, weil lediglich ein Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ vorliege, sei unzutreffend. Vielmehr hätte die belangte Behörde den Aufenthalt der mitbeteiligten Partei im Bundesgebiet im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch ein „materiell rechtliches“ dauerndes Aufenthaltsrecht infolge einer Aufenthaltsverfestigung in Österreich in Betracht komme, zu beurteilen gehabt. In weiterer Folge könne sich die Notwendigkeit zu Ermittlungen zum Vorliegen einer sozialen Notlage gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 NÖ SAG ergeben.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Niederösterreichischen Landesregierung.

5 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zuzulassen und den angefochtenen Beschluss infolge Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zu beheben.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 § 5 NÖ Sozialhilfe Ausführungsgesetz (NÖ SAG), LGBl. Nr. 70/2019 in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 69/2022, lautet:

§ 5

Anspruchsberechtigte Personen

(1) Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe haben nach Maßgabe dieses Abschnittes Personen, die

1. von einer sozialen Notlage betroffen sind,

2. ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen dauernden Aufenthalt in Niederösterreich haben und

3. zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind.

(2) Zum Personenkreis nach Abs. 1 Z 3 gehören:

1. österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen sowie deren Familienangehörige, die über einen Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger‘ gemäß § 47 Abs. 2 NAG verfügen und seit 5 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sind;

2. Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz sowie deren Familienangehörige im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden oder die Einreise nicht zum Zweck des Bezuges von Leistungen der Sozialhilfe erfolgt ist;

3. Asylberechtigte gemäß § 3 AsylG 2005;

4. Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel

a) ‚Daueraufenthalt EU‘ gemäß § 45 NAG oder

b) ‚Daueraufenthalt EU‘ eines anderen Mitgliedstaates und einem Aufenthaltstitel gemäß § 49 NAG

(3) [...]

(4) Keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe des Landes haben insbesondere:

[...]

6. Personen, welche nicht vom Personenkreis nach Abs. 2 erfasst sind.

[...]“

8 In ihren Zulässigkeitsausführungen macht die Revisionswerberin Rechtsfragen in Zusammenhang mit der am 1. Dezember 2022 in Kraft getretenen Novelle LGBl. Nr. 69/2022 zum NÖ SAG geltend; damit sei normiert worden, dass Personen, welche nicht vom Personenkreis des § 5 Abs. 2 NÖ SAG umfasst seien, keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe des Landes hätten (Hinweis auf § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG). Für den hier maßgeblichen Leistungszeitraum ab 11. April 2023 sei die novellierte Fassung des NÖ SAG anzuwenden gewesen.

9 Die Revision ist im Hinblick darauf zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.

10 Die Rechtsrüge der Revisionswerberin führt zunächst die durch die erwähnte Novelle LGBl. Nr. 69/2022 eingefügte Bestimmung des § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG ins Treffen, welche nunmehr (entgegen der vom Verwaltungsgericht zitierten hg. Rechtsprechung; vgl. oben Rz 3) „klargestellt“ habe, dass es sich bei dem in § 5 Abs. 2 NÖ SAG genannten Personenkreis um eine taxative Aufzählung handle.

11 Die genannte Novelle LGBl. Nr. 69/2022 ist am 1. Dezember 2022 in Kraft getreten und war daher im Verfahren über den am 11. April 2023 eingegangenen sozialhilferechtlichen Antrag der mitbeteiligten Partei anzuwenden. § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG, der die Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Sozialhilfe u.a. für Personen ausschließt, welchen nicht die in Abs. 2 Z 4 genannten Aufenthaltstitel zukommen, war daher zu beachten.

12 Mit Erkenntnis vom 11. März 2025, G 63/2024, hob der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes die Bestimmung des § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG zwar als verfassungswidrig auf, sprach aber (unter anderem) aus, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. März 2026 in Kraft trete und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft träten. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis wie hier eine Frist für das Außerkrafttreten gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden (Art. 140 Abs. 7 letzter Satz B VG). Die aufgehobene Bestimmung des § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG idF LGBl. Nr. 69/2022 ist im vorliegenden Revisionsfall der kein Anlassfall ist daher weiterhin anzuwenden.

13 Das Verwaltungsgericht hat § 5 Abs. 4 Z 6 NÖ SAG, der Personen, die wie die mitbeteiligte Partei über keinen in Abs. 2 Z 4 leg. cit. genannten Aufenthaltstitel verfügen (und bei denen auch kein Tatbestand der Z 1 bis 3 leg. cit. erfüllt ist), von der Anspruchsberechtigung ausschließt, außer Acht gelassen und der belangten Behörde daher unzutreffend unter Berufung auf hier nicht (mehr) anzuwendende hg. Judikatur zur Rechtslage vor der Novelle des NÖ SAG mit LGBl. Nr. 69/2022 aufgetragen, das Aufenthaltsrecht der mitbeteiligten Partei infolge einer Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Beschluss des Verwaltungsgerichtes, mit welchem dieses den verwaltungsbehördlichen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen hat, eine Rechtsverletzung dadurch bewirken, dass das Verwaltungsgericht entweder von der Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung getroffen hat oder von einer für das weitere Verfahren bindenden unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist (vgl. etwa VwGH 19.11.2024, Ra 2022/05/0101; 4.5.2023, Ra 2021/06/0044, jeweils mwN).

15 Letzteres ist hier wie oben gezeigt wurde der Fall, weshalb der angefochtene Beschluss mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet ist. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 28. Mai 2025

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