JudikaturVwGH

Ra 2023/04/0281 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Januar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die Revision der S GmbH in W, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 11. Oktober 2023, Zl. VGW 123/077/9126/2023 32, betreffend ein vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei: W GmbH in W, vertreten durch die Schiefer Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Rooseveltplatz 4 5/5),

1. zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

I.

1 1. Die mitbeteiligte Partei führte als Auftraggeberin im Jahr 2023 ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung zur Vergabe eines Auftrags (betreffend die Planung, die Errichtung und den Betrieb einer Multifunktionshalle) im Oberschwellenbereich durch.

2 Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2023 beantragte die Revisionswerberin (die als bevollmächtigte Vertreterin einer Bietergemeinschaft zunächst einen Teilnahmeantrag und in der Folge ein Erstangebot abgegeben hatte) beim Verwaltungsgericht Wien, die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin vom 30. Juni 2023, in eventu die Wahl des Vergabeverfahrens der Direktvergabe zur Erteilung des Zuschlags an die präsumtive Zuschlagsempfängerin, für nichtig zu erklären; zudem beantragte sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

3 Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Juli 2023 abgewiesen, weil die Revisionswerberin kein Letztangebot gelegt habe und ihr daher kein Schaden drohen könne.

4 Mit Schriftsatz vom 30. August 2023 zog die Revisionswerberin den Nachprüfungsantrag zurück und ersuchte um „Veranlassung der Rückerstattung des ersatzfähigen Teils der Pauschalgebühren“.

5 2. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 11. Oktober 2023 stellte das Verwaltungsgericht das gegenständliche Nachprüfungsverfahren wegen erfolgter Zurückziehung des Nachprüfungsantrags ein (Spruchpunkt I.). Der Revisionswerberin wurde auferlegt, binnen 14 Tagen € 49.639,50 an ausständigen Pauschalgebühren bei sonstiger Exekution zu entrichten (Spruchpunkt II.). Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revisionswerberin die von ihr entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen habe (Spruchpunkt III.). Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt IV.).

6 Das Verwaltungsgericht hielt in seiner Entscheidung zunächst fest, dass die Revisionswerberin für ihre Anträge (auf Nichtigerklärung sowie auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung) Pauschalgebühren in der Höhe von insgesamt € 39.339, entrichtet habe.

7 Zu den Pauschalgebühren hielt das Verwaltungsgericht Folgendes fest:

„Zu Folge der Schätzung der Kosten und des Auftragswertes durch den Auftraggeber überwiegen die Bauleistungen und prägen den Auftrag als Bauauftrag, wohingegen die Dienstleistungen in den Hintergrund treten. Es liegt daher ein Bauauftrag vor.“

Anschließend erfolgten Ausführungen dazu, dass für die Ermittlung des Auftragswertes zutreffender Weise die Einnahmen, die durch den Betrieb der Veranstaltungshalle über eine Laufzeit von 50 Jahren zu erwarten seien, in Abzug gebracht worden seien. Der verbleibende Teil der Kosten betrage mehr als das 40 fache des EU Schwellenwertes für Bauaufträge. Gemäß § 2 Abs. 3 Wiener Pauschalgebührenverordnung seien die Pauschalgebühren daher mit dem Neunfachen der Pauschalgebühren für Bauaufträge im Oberschwellenbereich zu bemessen. Somit ergebe sich eine Pauschalgebühr für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung von € 34.222,50 und für den Antrag auf Nichtigerklärung (nach einer Reduktion um 20 % infolge der Antragszurückziehung) von € 54.756, . Nach Abzug der bereits entrichteten Gebühren ergebe sich eine ausständige Gebührenschuld in der Höhe von € 49.639,50.

8 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu Spruchpunkt 2:

10 1.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 1.2. Die Revisionswerberin beantragt, „den angefochtenen Beschluss“ aufzuheben. Zudem wird (einleitend bzw. zu den Revisionspunkten) festgehalten, der Beschluss werde „in seiner Gesamtheit“ bzw. „seinem gesamten Inhalt nach“ angefochten bzw. bekämpft. Ungeachtet dessen bezieht sich die Zulässigkeitsbegründung (wie im Übrigen auch die Revisionsgründe und die Ausführungen zum Revisionspunkt) nur auf die in Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses auferlegte Verpflichtung zur Entrichtung von zusätzlichen, noch ausständigen Pauschalgebühren bzw. auf die Bemessung dieser Pauschalgebühren. Die Revision enthält hingegen keine Ausführungen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffend die als trennbar anzusehenden Spruchpunkte I. und III. des angefochtenen Beschlusses (vgl. zur getrennten Prüfung der Zulässigkeit einer Revision bei trennbaren Absprüchen etwa VwGH 3.9.2024, Ra 2021/04/0101, Rn. 14).

14 Ausgehend davon war die vorliegende Revision, soweit sie sich nicht gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses richtet, bereits mangels Darlegung einer grundsätzlichen Rechtsfrage wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt 1:

15 2.1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) zur Berechnung des geschätzten Auftragswertes bzw. zur Bestimmung der maßgeblichen Auftragsart bei gemischten Aufträgen abgewichen. Insbesondere habe sich das Verwaltungsgericht nicht in erkennbarer Weise mit dem Vorbringen der Revisionswerberin zum Vorliegen eines Dienstleistungsauftrags auseinandergesetzt und es fehlten Feststellungen sowie beweiswürdigende Erwägungen dazu, weshalb das Verwaltungsgericht vom Vorliegen eines Bauauftrages ausgegangen sei und die von der Revisionswerberin (auf Basis des Vorliegens eines Dienstleistungsauftrages) entrichteten Pauschalgebühren dementsprechend als nicht ausreichend erachtet habe.

16 Die Revision erweist sich diesbezüglich als zulässig und auch berechtigt.

17 2.2. Gemäß § 14 Abs. 1 und 2 des Wiener Vergaberechtsschutzgesetzes 2020, LGBl. Nr. 34, ist für Anträge (wie die hier gegenständlichen) bei Antragstellung jeweils eine Pauschalgebühr gemäß den von der Landesregierung durch Verordnung festzusetzenden Gebührensätzen zu entrichten. Gemäß § 1 der Wiener Vergabe Pauschalgebührenverordnung 2020 (WVPVO 2020), LGBl. Nr. 33 (idF LGBl. Nr. 11/2023) beträgt die Pauschalgebühr bei Bauaufträgen im Oberschwellenbereich € 7.605, und bei Dienstleistungsaufträgen im Oberschwellenbereich € 2.534, . Gemäß § 2 Abs. 3 WVPVO 2020 beträgt die zu entrichtende Pauschalgebühr das Neunfache der jeweils gemäß § 1 WVPVO 2020 festgesetzten Gebühr, wenn der geschätzte Auftragswert bzw. der Auftragswert den Schwellenwert (hier: gemäß § 12 Abs. 1 und 2 BVergG 2018) um mehr als das 40 fache übersteigt.

18 Das Verwaltungsgericht geht (ebenso wie die Revisionswerberin) vorliegend davon aus, dass der zugrundeliegende Auftrag unterschiedliche Auftragsarten, nämlich sowohl Bauleistungen als auch Dienstleistungen, umfasst.

19 Nach § 8 Abs. 1 BVergG 2018 sind Aufträge, die mehr als eine Art von Leistung gemäß den §§ 5 bis 7 (Bauleistung, Lieferung oder Dienstleistung) umfassen, nach den Regelungen jener Leistungsart zu vergeben, die den Hauptgegenstand des Auftrages bildet (dies entspricht der Regelung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU).

20 Die Erläuterungen (RV 69 BlgNR 26. GP 29 f) halten dazu fest, dass der Hauptgegenstand des Auftrages nach den vom EuGH in seiner näher zitierten Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen im Rahmen einer objektiven Prüfung des Gesamtvorhabens zu bestimmen ist, auf das sich das gegenständliche Vergabeverfahren bezieht. Dabei ist auf die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, die den Leistungsgegenstand als solche prägen, und nicht auf die Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Leistungsgegenstand folgen. Der jeweilige Wert der dabei erbrachten Einzelleistungen ist insoweit nur ein Kriterium unter anderen, die bei der Ermittlung des Hauptgegenstandes zu berücksichtigen sind.

21 Nach Erwägungsgrund 8 zur Richtlinie 2014/24/EU sollte ein Auftrag nur dann als Bauauftrag gelten, wenn er speziell die Ausführung der in Anhang II aufgeführten Tätigkeiten zum Gegenstand hat, und zwar auch dann, wenn er sich auf andere Leistungen erstreckt, die für die Ausführung dieser Tätigkeiten erforderlich sind. Umgekehrt können Dienstleistungsaufträge, insbesondere im Bereich der Grundstücksverwaltung, unter bestimmten Umständen Bauleistungen umfassen. Sofern diese Bauleistungen jedoch nur Nebenarbeiten im Verhältnis zum Hauptgegenstand des Vertrags darstellen und eine mögliche Folge oder eine Ergänzung des Letzteren sind, rechtfertigt die Tatsache, dass der Vertrag diese Bauleistungen umfasst, nicht eine Einstufung des Dienstleistungsauftrags als Bauauftrag.

22 Für die Bestimmung des Hauptgegenstandes ist der Bedarf festzustellen, den der Auftraggeber mit der Auftragsvergabe in erster Linie decken möchte (vgl. C. Gruber/H. Pesendorfer , in Schramm/Aicher/Fruhmann [Hrsg.], BVergG 3 [2020] § 8 Rz. 21, mwH).

23 2.3. Im Hinblick auf die (wie dargelegt) unterschiedlichen Gebührensätze für Anträge betreffend Bauaufträge einerseits und Dienstleistungsaufträge andererseits ist für die Beurteilung der Auferlegung weiterer Pauschalgebühren in Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses in einem ersten Schritt maßgeblich, ob der hier vorliegende gemischte Auftrag als Bauauftrag oder als Dienstleistungsantrag einzustufen war.

24 Das Verwaltungsgericht hat den Auftrag als Bauauftrag eingestuft. Begründend hat es ohne nähere Feststellungen etwa zu den den Leistungsgegenstand prägenden wesentlichen Verpflichtungen bzw. zu dem vom Auftraggeber mit dem Vorhaben zu deckenden Bedarf oder ergänzende Ausführungen zu treffen zum einen auf die (nicht offengelegte) Kostenschätzung und den Auftragswert durch den Auftraggeber und zum anderen darauf verwiesen, dass die Bauleistungen den Auftrag als Bauauftrag „prägen“. Diese nicht näher substantiierte Begründung ist für den Verwaltungsgerichtshof aber nicht hinreichend, um eine Überprüfung dieser Beurteilung anhand der dargestellten Parameter zu ermöglichen. Das Verwaltungsgericht hat seinen Beschluss daher insoweit mit einem Verfahrensmangel belastet (vgl. auch VwGH 12.12.2007, 2007/04/0167). Diesem Verfahrensmangel kommt auch Relevanz zu, weil bei einer allfälligen Einstufung des Auftrags als Dienstleistungsauftrag die in Spruchpunkt II. erfolgte Auferlegung von (zusätzlichen) Pauschalgebühren in der getroffenen Form rechtswidrig wäre.

25 Ausgehend davon erübrigt es sich, auf das weitere Vorbringen betreffend die Ermittlung des Auftragswertes einzugehen.

26 2.4. Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

27 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. Jänner 2025

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