Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie den Hofrat Dr. Pürgy, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2022, W220 2146353 1/26E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Dezember 2014 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 9. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte am 26. Jänner 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
2 Am 8. Oktober 2020 reiste der Mitbeteiligte im Rahmen einer unterstützten freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan aus. Daraufhin stellte das BVwG mit Beschluss vom 22. Oktober 2020 das Verfahren gemäß § 24 Abs. 2a AsylG 2005 ein.
3 In Afghanistan heiratete der Mitbeteiligte eine afghanische Staatsangehörige und reiste mit ihr am 8. November 2021 erneut illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo beide der Mitbeteiligte abermals und seine Ehefrau erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.
4 Mit Beschluss vom 5. Jänner 2022 setzte das BVwG unter Berufung auf die Rückkehr des Mitbeteiligten in das österreichische Bundesgebiet dessen Verfahren von Amts wegen fort.
5 In der Folge erkannte das BFA der Ehefrau des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 12. Juli 2022 den Status der Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten statt, erkannte ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass dem Mitbeteiligten damit (ebenfalls) kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Erhebung einer Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
7 In seiner Begründung führte das BVwG aus, dass der (erste) Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz vom 11. Dezember 2014 noch nicht rechtskräftig erledigt worden sei, weshalb der (zweite) Antrag vom 8. November 2021 im anhängigen Beschwerdeverfahren „mitbehandelt“ werden könne. Da die Ehe des Mitbeteiligten (schon) vor der gemeinsamen Einreise in das Bundesgebiet bestanden habe, sei der Mitbeteiligte Familienangehöriger seiner Ehefrau iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Als solcher sei ihm im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 2 iVm Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, der auch seiner Ehefrau gewährt worden sei, zuzuerkennen gewesen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Im eingeleiteten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der die Abweisung der Revision unter Kostenzuspruch beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts der Beurteilung der Familieneigenschaft gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 lit. b AsylG 2005, wonach Familienangehöriger der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sei, „sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat“.
10 Das BVwG habe als maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Familieneigenschaft auf den Zeitpunkt vor der Wiedereinreise des Mitbeteiligten am 8. November 2020 abgestellt, obwohl es das eingestellte Beschwerdeverfahren fortgesetzt und „noch immer“ den Antrag auf internationalen Schutz vom 11. Dezember 2014 behandelt habe, wogegen der Antrag vom 8. November 2020 lediglich als Beschwerdeergänzung gemäß § 17 Abs. 8 AsylG 2005 „mitbehandelt“ worden sei.
11 Die Amtsrevision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als begründet.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat im (zwischenzeitlich ergangenen) Erkenntnis vom 28. März 2023, Ra 2022/20/0391, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass die in § 2 Abs. 1 Z 22 lit. b AsylG 2005 enthaltene Wendung „sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat“ so zu verstehen sei, dass die Ehe bereits zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sein muss, als sich noch keiner der Ehepartner in Österreich aufgehalten hat.
13 Dies ist vorliegend nicht der Fall: Der Mitbeteiligte befand sich seit Dezember 2014 im Bundesgebiet, bevor er den Feststellungen des BVwG zufolge im Zeitraum zwischen seiner Ausreise im Oktober 2020 und seiner Wiedereinreise im November 2020 in Afghanistan seine nunmehrige Ehefrau heiratete. Daraus ergibt sich, dass sich der Mitbeteiligte vor der Eheschließung bereits in Österreich aufgehalten hat. Daran ändert auch der Umstand, dass das Beschwerdeverfahren des Mitbeteiligten während seiner Ausreise aus Österreich und seines Aufenthalts in Afghanistan gemäß § 24 Abs. 2a AsylG 2005 eingestellt war, nichts. Einer Einstellung nach § 24 Abs. 2a AsylG 2005 ist keine endgültig verfahrensbeendende Wirkung beizumessen, weil bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortführung des Verfahrens ein demnach bloß vorläufig eingestelltes Verfahren von Amts wegen fortzusetzen ist, wobei dies erst nach Ablauf von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens nicht mehr zulässig ist (vgl. VwGH 3.5.2018, Ra 2018/19/0020 bis 0022).
14 Somit erfüllt der Mitbeteiligte nicht die gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 notwendige (und sich der Rechtsprechung zufolge nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 richtende) Voraussetzung, in Bezug auf seine Ehefrau Familienangehöriger zu sein. Infolge dessen war es nicht zulässig, dem Mitbeteiligten unter Anwendung des § 34 Abs. 2 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und von der Prüfung Abstand zu nehmen, ob es die von ihm zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat vorgebrachten Gründe rechtfertigten, ihm diesen Status nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 einzuräumen.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
16 Bei diesem Ergebnis war dem Mitbeteiligten gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Aufwandersatz für die Erstattung der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.
Wien, am 19. Oktober 2023