Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des I S, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traunaustraße 23/8/5, gegen das am 5. April 2022 mündlich verkündete und am 14. Juli 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W122 2120729 3/33E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein im Irak aufgewachsener Staatsangehöriger des Iran kurdischer Volksgruppenangehörigkeit, stellte am 4. Juli 2019 seinen dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Bezugnehmend auf seine vorangegangenen Fluchtvorbringen brachte er in diesem nun gegenständlichen Antrag vor, als Kurde im Irak nicht anerkannt zu werden; man wolle ihn weder im Iran noch im Irak. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer kurdischen Partei habe er Probleme mit dem Regime im Irak gehabt und bei einer Abschiebung in den Iran würde es zu Problemen mit dem iranischen Regime kommen. Zudem sei sein psychischer Gesundheitszustand schlecht und er habe versucht, sich das Leben zu nehmen.
2 Nachdem im ersten Rechtsgang über diesen Antrag hinsichtlich des begehrten Asylstatus bereits rechtskräftig negativ entschieden worden war, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 10. August 2020 im zweiten Rechtsgang den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt II.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.), stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt IV.) und legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.). Unter einem erkannte es einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 25. September 2020 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hob diese Entscheidung des BVwG mit Erkenntnis vom 31. August 2021, Ra 2020/14/0482, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Es sei kein geklärter Sachverhalt vorgelegen und wäre das Verwaltungsgericht verhalten gewesen, eine auch ausdrücklich beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG soweit für das gegenständliche Verfahren relevant aus, der Revisionswerber könne im Iran seine grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse befriedigen, ohne in eine existenzbedrohende oder lebensgefährliche Situation zu geraten. Seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der (sunnitischen) Kurden hindere ihn nicht daran, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und medizinische Versorgung zu erhalten. Es sei ihm auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte und Ortskenntnisse möglich, im Iran Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härte zu führen. Zudem verfüge er trotz seines langjährigen Aufenthalts aus näher dargestellten Gründen über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben in Österreich und würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.
7 Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Februar 2023, E 2921/2022 13, wurde das Erkenntnis des BVwG, soweit damit die Beschwerde gegen das auf zwei Jahre befristete Einreiseverbot abgewiesen worden war, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufgehoben. Im Übrigen lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 19. April 2023, E 2921/2022 15, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
8 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision eingebracht, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe im Zusammenhang mit der Prüfung, ob dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, keine ganzheitliche Bewertung der Gefahren vorgenommen, weil es nicht auf die persönliche Situation des Revisionswerbers sowie die allgemeine Menschenrechtslage im Iran Bedacht genommen habe. Zudem sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da die im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung auf keiner einwandfreien Grundlage erfolgt sei. Der Revisionswerber lebe seit über neun Jahren im Bundesgebiet und liege aus näher genannten Gründen in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht eine außergewöhnliche Integration vor.
9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Frage des subsidiären Schutzes eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0537, mwN).
14 Das BVwG traf im gegenständlichen Fall nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung konkrete, die persönliche Situation des Revisionswerbers betreffende Feststellungen und setzte sich auch mit einschlägigen Länderberichten auseinander, auf deren Grundlage es Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers traf. Unter Berücksichtigung seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit sowie seines Gesundheitszustandes führte das BVwG weiter aus, dass es dem jungen, arbeitserfahrenen und trotz seiner psychischen Probleme arbeitsfähigen Revisionswerber, welcher mit der iranischen Kultur vertraut sei sowie über Kenntnisse der Sprachen Farsi, Kurdisch Sorani und Arabisch verfüge und Zugang zur medizinischen Grundversorgung habe, möglich sei, seinen Lebensunterhalt in seinem Herkunftsstaat zu bestreiten. Ihm drohe daher trotz der erschwerenden Umstände im Falle einer Rückkehr in den Iran keine Gefahr der Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte.
15 Dem hält die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nur entgegen, das BVwG habe aktuelle Ermittlungen und Feststellungen zur Lage im Iran unterlassen, ohne diese Behauptung näher zu begründen und sich mit den gegenteiligen Beweisergebnissen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auseinanderzusetzen. Sie zeigt damit nicht auf, weshalb dem BVwG ein relevanter Begründungs- oder Ermittlungsmangel unterlaufen wäre.
16 Der Revisionswerber wendet sich weiters gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. § 9 BFA Verfahrensgesetz (BFA VG) und führt ins Treffen, dass er sich im Entscheidungszeitpunkt bereits über neun Jahre in Österreich aufgehalten habe, eine außergewöhnliche Integration vorliege und Verfahrensverzögerungen an der unterlassenen Ermittlungstätigkeit der Erstbehörde liegen würden.
17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel (vgl. VwGH 24.4.2023, Ra 2023/18/0097, mwN).
18 Das persönliche Interesse nimmt zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu, die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. wiederum VwGH 24.4.2023, Ra 2023/18/0097, mwN).
19 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung alle entscheidungswesentlichen Umstände. Dabei würdigte es insbesondere die über neunjährige Aufenthaltsdauer, die Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 sowie die Einstellungszusagen zugunsten des Revisionswerbers und seinen Willen, einen Beruf auszuüben. Es bezog in die Abwägung jedoch auch ein, dass er über keine engen familiären oder sozialen Bindungen für Österreich verfüge, nicht selbsterhaltungsfähig sei und sich insgesamt nur in geringem Maße integriert habe. Zudem sei der Revisionswerber in einem iranischen Familienverband sozialisiert worden und daher mit dem Kulturkreis und der Sprache vertraut und könne sich in die iranische Gesellschaft integrieren. Der Revisionswerber habe sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein müssen und sei bereits in der Vergangenheit einer bestehenden Rückkehrentscheidung nicht nachgekommen.Eine Unvertretbarkeit im Sinne der zitierten Rechtsprechung vermag die Revision nicht darzutun.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. Juli 2023