Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie Hofrätin Mag. a Nussbaumer Hinterauer und Hofrätin Dr. Holzinger als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das am 27. April 2022 mündlich verkündete und mit 29. April 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, VGW 002/007/11214/2019 49, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien; mitbeteiligte Partei: W F in T), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Ausspruches über die verhängte Strafe und die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis vom 8. August 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetz (GSpG) mit vier Eingriffsgegenständen zu Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 6.000,- sowie Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 3 Tagen verurteilt. Weiters wurde er zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von 10 % der verhängten Strafen verpflichtet.
2 Dem Straferkenntnis lag zu Grunde, der Mitbeteiligte habe sich in einem näher konkretisierten Zeitraum von Ende 2018 bis Anfang 2019 an gemäß § 2 Abs. 4 GSpG verbotenen Ausspielungen zur Teilnahme vom Inland aus unternehmerisch beteiligt, indem er ein Lokal im eigenen Namen angemietet und im Rahmen einer Untervermietung einer näher bezeichneten Gesellschaft zur Verfügung gestellt habe, die dort vier Glücksspielgeräte zur Durchführung von Glücksspielen auf eigene Rechnung und Gefahr betrieben habe.
3 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Beschwerde.
4 Dieser Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis unter anderem mit der Maßgabe Folge gegeben, dass die Geldstrafen auf jeweils € 1.950,-, die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 1 Tag und 12 Stunden und der Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verwaltungsstrafverfahrens auf insgesamt € 780,- herabgesetzt wurden. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht ins Treffen, der Mitbeteiligte habe ein Geschäftslokal mit einer vertraglichen Laufzeit von einem Jahr für eine monatliche Miete in der Höhe von € 927,62 (€ 773,02 zzgl. 20 % MWSt.) angemietet. Dieses Lokal habe er sodann an eine näher bezeichnete Gesellschaft für eine monatliche Bruttomiete in Höhe von € 1.320,- (€ 1.100,- zzgl. 20 % MWSt.) untervermietet. In der Folge habe diese Gesellschaft in dem vom Mitbeteiligten an sie untervermieteten Lokal Glücksspielapparate betriebsbereit aufgestellt. Die Gesellschaft habe auch tatsächlich Mietzahlungen an den Mitbeteiligten entrichtet. Dessen Gewinnspanne aus Anmieten und Untervermieten habe monatlich € 326,98 betragen. Im Zuge einer glücksspielrechtlichen Kontrolle durch Organe der Finanzpolizei in dem in Rede stehenden Lokal seien vier Spielapparate („ACT Dreamliner Gold“) sowie ein Ein- und Auszahlungsgerät vorgefunden und vorläufig beschlagnahmt worden.
6 In rechtlicher Hinsicht bestätigte das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung nach § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild GSpG. Die Übertretung sei vorsätzlich begangen worden und das Ausmaß des Verschuldens sei als hoch einzustufen.
7 Zum anwendbaren Strafrahmen hielt das Verwaltungsgericht fallbezogen fest, dass es sich um eine erstmalige Übertretung mit mehr als drei Glücksspielgeräten handle, weshalb der dritte Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG, der die Verhängung einer Geldstrafe in Höhe von € 3.000,- bis € 30.000,- für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand vorsehe, maßgeblich sei. Die Voraussetzungen des § 20 VStG lägen nicht vor.
8 Weiters führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) und insbesondere dessen Entscheidung in der Rs. C-231/20, MT , sowie die darauf Bezug nehmende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, dass die in § 52 Abs. 2 GSpG normierte Bestrafung „für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand“ unionsrechtlich nicht zu beanstanden sei, weil mit der Zahl der Eingriffsgegenstände auch die Möglichkeit zur Bereicherung aus einer konsenslosen Tätigkeit multipliziert werde. Die Anknüpfung an die Zahl der Eingriffsgegenstände sei bei den anderen Tatbildern des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG sachlich, weil mit jedem weiteren Gerät die Gewinnerzielung aus der rechtswidrigen Tätigkeit multipliziert werden könne. Für den konkreten Einzelfall der Übertretung im Sinne des vierten Tatbildes des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG „in Form einer Untervermietung“ sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Vorliegend sei der wirtschaftliche Gewinn aus der Untervermietung in Höhe von € 326,98 pro Monat als Gesamtbetrag für alle vier Geräte festgestellt worden. Die aus dem vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Straferkenntnis resultierende Gesamtstrafe in Höhe von € 24.000,- stehe „in einem groben Missverhältnis zu dem wirtschaftlichen Gewinn aus knapp 2 Monats(-unter-)mieten“. Es sei nicht ersichtlich, dass ein anderer, „fiktiver erwartbarer Gewinn“ statt dieses konkreten Gewinnes als Vergleichsmaßstab herangezogen werden könne. „Aus diesem Verhältnis heraus“ sei die Strafherabsetzung aus unionsrechtlicher Sicht geboten, damit es zu keinem unverhältnismäßigen Auseinanderfallen der Strafe und der Mieteinnahmen als wirtschaftlichem Gewinn komme, wobei ebenfalls ein pönaler Charakter der Strafe erhalten bleiben solle. Der Mindeststrafsatz der nationalen Strafnorm sei wegen des Anwendungsvorrangs von Unionsrecht verdrängt.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Bundesminister für Finanzen die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, deren Anfechtungsumfang sich auf die Herabsetzung der Strafe sowie die Kostenentscheidung beschränkt. Es wurde beantragt, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften im angefochtenen Umfang aufzuheben.
10 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision führt der Amtsrevisionswerber unter anderem ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere von den im Erkenntnis VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013, ausgesprochenen Voraussetzungen für eine „unionsrechtlich gebotene Strafmilderung“ ins Treffen.
12 Mit diesem Vorbringen erweist sich die vorliegende Revision als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
13 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. Dezember 2021, Ra 2020/17/0013, unter Zugrundelegung des Urteils des EuGH vom 14. Oktober 2021, MT , C-231/20, ausgesprochen hat, sind die Rechtsgrundlagen für die Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG für die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 16 VStG im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldstrafen gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG und für die Vorschreibung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens gemäß § 64 Abs. 2 VStG grundsätzlich mit dem Unionsrecht (insbesondere Art. 56 AEUV und Art. 49 Abs. 3 GRC) vereinbar (vgl. VwGH 15.5.2023, Ra 2020/17/0020, Pkt. 8, mwN).
14 Nur sofern im Einzelfall außerordentliche Umstände vorliegen, die vom Gesetzgeber bei der Erstellung des gesetzlichen Strafrahmens bzw. der Normierung des Verfahrenskostenbeitrages nicht hinreichend berücksichtigt worden sind und bei denen auch mit der Anwendung des § 20 VStG nicht das Auslangen gefunden werden kann, ist bei der Anwendung dieser Rechtsgrundlagen sicherzustellen, dass die jeweils bemessene Geldstrafe und die Gesamtsumme der verhängten Geldstrafen nicht außer Verhältnis zu dem durch die geahndeten Taten erzielbaren wirtschaftlichen Nutzen stehen, sowie dass die Dauer der tatsächlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafen der Schwere der Übertretungen entspricht und dass der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens nicht überhöht ist (grundlegend VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013, Rn 50).
15 Vorliegend hat das Verwaltungsgericht mit der Festsetzung einer Strafe in Höhe von € 1.950,- pro Glücksspielgerät die gesetzlich festgelegte Mindeststrafe von € 3.000,- unterschritten. Ausdrücklich wurde festgehalten, dass diese Unterschreitung nicht im Hinblick auf § 20 VStG erfolge, sondern für „unionsrechtlich geboten“ erachtet worden sei, damit es zu keinem unverhältnismäßigen Auseinanderfallen der Strafe und der Mieteinnahmen als wirtschaftlichem Gewinn komme.
16 Wie die Revision zutreffend geltend macht, erweist sich dies schon deshalb als verfehlt, weil es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht darauf ankommt, ob die verhängten Geldstrafen in einem angemessenen Verhältnis zu dem tatsächlich erzielten wirtschaftlichen Gewinn stehen. Vielmehr ist auf die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf den „erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil“ abzustellen (vgl. neuerlich VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013, Rn. 50, sowie unter Bezugnahme auf dieses Erkenntnis etwa VwGH 19.12.2022, Ra 2022/12/0171, Rn. 10). Außerdem ist eine derartige Herabsetzung der verhängten Strafe erst dann vorzunehmen, wenn mit der Anwendung des § 20 VStG nicht das Auslangen gefunden werden kann (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis VwGH 10.12.2021, Ra 2020/17/0013).
17 Da es das Verwaltungsgericht aufgrund seiner diesbezüglich offenkundig zugrunde gelegten unrichtigen Rechtsansicht unterlassen hat, entsprechende Sachverhaltsfeststellungen zu dem erzielbaren wirtschaftlichen Vorteil zu treffen, liegt insoweit ein sekundärer Verfahrensmangel vor.
18 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 22. Oktober 2023