Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Posch und die Hofräte Mag. Stickler und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Arbeitsmarktservice Gmunden gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 2022, L511 2236878 1/7E, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld (mitbeteiligte Partei: R F), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 24. August 2020 gab die nunmehr revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) dem Antrag des Mitbeteiligten auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes „vom 01.07.2020“ gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit keine Folge. Der Mitbeteiligte stehe seit 1. Februar 2016 in Deutschland in einem aufrechten Dienstverhältnis.
2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde, in der er insbesondere darauf verwies, dass sein Dienstverhältnis in Deutschland aufgrund der Insolvenz seines Dienstgebers bereits gekündigt und er selbst freigestellt worden sei; er erhalte keinerlei Gehaltszahlung mehr.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 22. Oktober 2020 wies das AMS die Beschwerde des Mitbeteiligten ab. In der Begründung hielt das AMS fest, der Mitbeteiligte sei ab 1. Februar 2016 bei der L GmbH in Deutschland (Köln) beschäftigt gewesen. Während der Beschäftigung im Ausland sei der Mitbeteiligte durchgehend in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen und mindestens einmal wöchentlich nach Österreich zurückgekehrt. Er gelte somit im Sinne des Art. 1 lit. f der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 als „echter“ Grenzgänger und müsse sich der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaates, also Österreichs, zur Verfügung stellen. Die L GmbH habe den Mitbeteiligten ab dem 1. Juli 2020 von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Das Dienstverhältnis sei mit 31. Oktober 2020 durch den Insolvenzverwalter gekündigt worden. Eine der Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sei das Vorliegen von Arbeitslosigkeit. Arbeitslos sei gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 AlVG, wer (insbesondere) eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet habe. Unter Beendigung sei die Beendigung im arbeitsrechtlichen Sinn zu verstehen (Hinweis auf VwGH 29.11.1984, 83/08/0083 ua.). Ein Dienstverhältnis gelte nicht schon dann als beendet, wenn kein Entgeltanspruch mehr bestehe und es somit an einem Wesenselement im sozialversicherungsrechtlichen Sinne mangle. Damit Arbeitslosigkeit iSd § 12 Abs. 1 AlVG (unter dem Gesichtspunkt der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses) vorliege, müsse das Beschäftigungsverhältnis, an das die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpfe, gelöst sein. Das Dienstverhältnis des Mitbeteiligten zur L GmbH sei (erst) mit 31. Oktober 2020 durch den Insolvenzverwalter gekündigt worden; der Mitbeteiligte gelte somit aufgrund dieses Dienstverhältnisses bis 31. Oktober 2020 als nicht arbeitslos.
4 Nach Stellung eines Vorlageantrages durch den Mitbeteiligten behob das Bundesverwaltungsgericht mit der in der Form eines Erkenntnisses (anstelle der für solche Entscheidungen gebotenen Form eines Beschlusses) ergangen angefochtenen Erledigung die Beschwerdevorentscheidung und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurück. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
5 Zum entscheidungswesentlichen Sachverhalt stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Mitbeteiligte habe einen Antrag auf Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Juli 2020 gestellt. Er sei ab 1. Februar 2016 in einem Dienstverhältnis mit der L GmbH in Deutschland gestanden. Aufgrund der Insolvenz der L GmbH sei der Mitbeteiligte im Juni 2020 zum 31. Oktober 2020 gekündigt und ab 1. Juli 2020 widerruflich, ab 29. Juli 2020 unwiderruflich von der Arbeit bei seinem insolventen Dienstgeber freigestellt worden. Ab 1. Juli 2020 habe der Mitbeteiligte kein Entgelt von der L GmbH mehr erhalten, da diese die Gehälter aus der Insolvenzmasse nicht mehr habe bedienen können. In Deutschland lägen für den Mitbeteiligten Versicherungszeiten bis einschließlich 30. Juni 2020 vor. Von 3. Juli 2020 bis einschließlich 9. August 2020 habe der Mitbeteiligte Arbeitslosengeld in Deutschland bezogen. Der Bezug sei bis zum 1. Juli 2021 zugesprochen worden, habe jedoch auf Grund der Ausreise nach Österreich geendet. Die Sozialversicherungsbeiträge seien ab 3. Juli 2020 von der deutschen Bundesagentur für Arbeit bezahlt worden. Von 14. September 2020 bis 31. Oktober 2020 habe der Mitbeteiligte über das AMS ein Fachkräftestipendium erhalten. Seit 1. November 2020 bis laufend stehe er „im Leistungsbezug des AMS“.
6 Im Zuge des Beschwerdeverfahrens habe der Mitbeteiligte mitgeteilt, dass er aufgrund des „deutschen Leistungsbezuges“ nun in Österreich für die Zeiträume 1. Juli 2020 bis 2. Juli 2020 und 1. August 2020 bis 30. September 2020 um Arbeitslosengeld ansuche.
7 Zur rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, gemäß § 12 Abs. 3 iVm Abs. 6 lit. a AlVG gelte als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erziele, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge (die Geringfügigkeitsgrenze) nicht übersteige. Zwischen 1. Juli 2020 und 31. Oktober 2020 sei der Mitbeteiligte noch in einem aufrechten Dienstverhältnis mit der insolventen L GmbH gestanden, habe jedoch keinerlei Entgelte mehr erzielt, weshalb er gemäß § 12 Abs. 3 iVm Abs. 6 lit. a AlVG in diesem Zeitraum als arbeitslos gelte. Die Nichtgewährung der beantragten Leistungen mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit erweise sich somit als rechtswidrig. Da aus der Aktenlage nicht ersichtlich sei, ob die übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld im Einzelnen vorlägen und das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch gar nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gewesen sei, könne das Bundesverwaltungsgericht nur mit einer Zurückverweisung iSd § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgehen, wobei das AMS gemäß § 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG an die rechtliche Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht gebunden sei. Im konkreten Fall bedeute dies, dass der Antrag des Mitbeteiligten auf Arbeitslosengeld nicht erneut unter Hinweis auf das Vorliegen eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses bei der L GmbH abgewiesen werden dürfe.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9 Das AMS bringt zur Begründung der Zulässigkeit und in der Sache insbesondere vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (etwa VwGH 20.9.2006, 2005/08/0160, mwN) abgewichen, wonach bei der Beantwortung der Frage, ob Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 AlVG vorliegt, auf die Beendigung des die Anwartschaft begründenden Beschäftigungsverhältnisses abzustellen sei.
10 Die Revision ist vor dem Hintergrund dieses Vorbringens zulässig und berechtigt.
11 Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat das Bundesverwaltungsgericht verkannt, dass § 12 Abs. 1 Z 1 AlVG [„wer .... eine (unselbständige ...) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat“] für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. grundlegend VwGH 29.11.1984, 83/08/0083, Pkt. 4.4.6.) voraussetzt, dass die anwartschaftsbegründende Erwerbstätigkeit zur Gänze beendet wurde (vgl. näher etwa VwGH 31.7.2014, 2013/08/0282, mwN). Nach den unstrittigen Sachverhaltsfeststellungen wurde das unselbständige Beschäftigungsverhältnis des Mitbeteiligten zur L GmbH, das die Anwartschaft begründet hat (vgl. zur Begründung der Anwartschaft durch in Deutschland erworbene Zeiten VwGH 14.5.2024, Ro 2022/08/0014), jedoch erst zum 31. Oktober 2020 gekündigt.
12 Bis zur Lösung dieses Beschäftigungsverhältnisses war der Mitbeteiligte nach § 12 Abs. 1 Z 1 AlVG somit nicht als arbeitslos anzusehen. Darauf, ob er tatsächlich aus diesem Dienstverhältnis kein oder bloß ein geringfügiges Entgelt bezogen hat, kommt es nicht an.
13 Da das Bundesverwaltungsgericht somit die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 16. Oktober 2025