Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätin Mag. Hainz Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Stadt Wien Unternehmung Wiener Gesundheitsverbund, vertreten durch die ATEUS Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Wien vom 14. September 2022, Zl. VGW 123/V/077/4034/2022 12, betreffend ein vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei: L GmbH, vertreten durch die Müller Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 1.1. Die Revisionswerberin führte als Auftraggeberin ein offenes, in Lose gegliedertes Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich betreffend einen Lieferauftrag nach dem Bestbieterprinzip. Die mitbeteiligte Partei hat zu Los 1 (Beschaffung von „Beatmungsgeräten mit Transportfahrgestell“) ein Angebot gelegt.
2 Mit Schreiben vom 14. März 2018 teilte die Revisionswerberin der mitbeteiligten Partei mit, dass ihr Angebot zu Los 1 aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden werde. Dies wurde damit begründet, dass das von der mitbeteiligten Partei angebotene Produkt mit der Funktion „IntelliSync+“ die Mindestanforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ nicht erfülle.
3 Die mitbeteiligte Partei begehrte daraufhin die Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung.
4 1.2. Mit Erkenntnis vom 9. Mai 2018 wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung als unbegründet ab.
5 Gegen dieses Erkenntnis wurde von der mitbeteiligten Partei eine außerordentliche Revision erhoben.
6 1.3. Mit Erkenntnis vom 7. Februar 2022, Ra 2018/04/0140, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
7 Begründend hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, die Revisionswerberin habe mit der (bestandfest gewordenen) Rückfragenbeantwortung vom 19. Juli 2017 ausdrücklich klargestellt, dass die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gelte. Die Revisionswerberin habe damit klar zum Ausdruck gebracht, dass ein angebotenes Produkt mit dieser Funktion jedenfalls die betreffende Anforderung der Ausschreibung erfülle, sodass die am Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter dies bei Angebotslegung voraussetzen durften. Somit hätte die Revisionswerberin das von der mitbeteiligten Partei angebotene Produkt mit der Funktion „IntelliSync+“ nicht mit der Begründung aus dem Vergabeverfahren ausscheiden dürfen, dass es die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ nicht erfülle (aaO, Rn. 24f).
8 2. Im fortgesetzten Verfahren begehrte die mitbeteiligte Partei, das Verwaltungsgericht möge das bisherige Verfahren als Feststellungsverfahren weiterführen und feststellen, dass der Zuschlag im gegenständlichen Vergabeverfahren wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006, die hierzu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares Unionsrecht nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis bzw. dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot erteilt worden und somit rechtswidrig sei.
9 3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 14. September 2022 gab das Verwaltungsgericht dem Feststellungsantrag der mitbeteiligten Partei nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt (Spruchpunkt I.) und trug der Revisionswerberin auf, der mitbeteiligten Partei die von ihr entrichteten Pauschalgebühren in der Höhe von € 2.081,00 zu zahlen. Die Pauschalgebühren für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung in der Höhe von € 1.040,50 habe die mitbeteiligte Partei selbst zu tragen (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde der Gegenantrag der Revisionswerberin auf Feststellung, dass die mitbeteiligte Partei keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt habe, abgewiesen (Spruchpunkt III.). Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig (Spruchpunkt IV.).
10 3.2. In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die mitbeteiligte Partei im Vergabeverfahren ein Produkt angeboten habe, das unstrittig und zweifelsfrei die Funktion „IntelliSync+“ aufweise und somit die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ im Sinn der bestandfesten Ausschreibungsunterlagen erfülle.
11 Das von der Revisionswerberin an die mitbeteiligte Partei gerichtete Aufklärungsersuchen sei von dieser vollständig beantwortet worden. Die mitbeteiligte Partei habe die von der Revisionswerberin gefragte Funktionsweise des angebotenen Produkts vollständig dargelegt und der Revisionswerberin seien alle für eine abschließende Beurteilung des angebotenen Produkts erforderlichen Informationen vorgelegen. Im Zuge der fachlichen Prüfung habe die Revisionswerberin festgestellt, dass das von der mitbeteiligten Partei angebotene System „IntelliSync+“ das Erfordernis einer „proportionalen Druckunterstützung“ im Sinn der Zielsetzung der Ausschreibung und der spezifischen Erfordernisse der Revisionswerberin nicht erfülle.
12 Die Revisionswerberin habe es anschließend unterlassen, die bestandfesten Festlegungen in den Ausschreibungsunterlagen im Wege des Widerrufs des Vergabeverfahrens und einer anschließenden Neuausschreibung zu korrigieren. Stattdessen habe sie ihre eigenen bestandfesten Festlegungen dahingehend ausgelegt, dass ein im Vergabeverfahren angebotenes und über die Funktion „IntelliSync+“ verfügendes Produkt aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden sei, weil es die Mindestanforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ im Sinn der Zielsetzung der Revisionswerberin nicht erfülle.
13 Das Angebot der mitbeteiligten Partei sei erstgereiht gewesen. Ein weiterer Grund, der zum Ausscheiden des Angebots der mitbeteiligten Partei geführt hätte, sei im Nachprüfungsverfahren nicht hervorgekommen.
14 Die Festlegung der Revisionswerberin, dass die Mindestanforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ durch das System „IntelliSync+“ erfüllt sei, gehe auf Angaben der mitbeteiligten Partei über ihr System „IntelliSync+“ zurück. Eine eingehende Prüfung durch die Revisionswerberin, ob das System „IntelliSync+“ ihre Anforderungen an eine „proportionale Druckunterstützung“ tatsächlich erfülle, sei erst im Zuge einer vertieften Angebotsprüfung erfolgt und somit nach der Festlegung, dass diese Mindestanforderung mit dem System „IntelliSync+“ als erfüllt gelte.
15 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin habe bestandfest festgelegt, dass die Anforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt gelte. Da die mitbeteiligte Partei ein Produkt mit eben dieser Funktion angeboten habe, könne dieses Angebot nicht mit der Begründung, das angebotene Produkt erfüllte die Anforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ nicht, aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden werden.
16 Der von der Revisionswerberin herangezogene Ausscheidensgrund der unzureichenden Aufklärung durch die mitbeteiligte Partei liege nicht vor. Die mitbeteiligte Partei sei dem Aufklärungsersuchen der Revisionswerberin betreffend die Funktionsweise des angebotenen Produkts in einer für ein abschließendes Prüfergebnis ausreichenden Weise nachgekommen. Dass die Mindestanforderung einer „proportionalen Druckunterstützung“ durch das angebotene Produkt erfüllt sei, ergebe sich aus der Ausschreibungsunterlage. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die mitbeteiligte Partei das Aufklärungsersuchen der Revisionswerberin unvollständig oder unzureichend beantwortet habe. Der Ausscheidensgrund der unzureichenden Aufklärung liege daher nicht vor.
17 Das Vorbringen der Revisionswerberin, das von der mitbeteiligten Partei angebotene Produkt entspreche dem Ergebnis einer vertieften fachlichen Prüfung zu Folge den spezifischen Erfordernissen einer „proportionalen Druckunterstützung“ nicht, möge zutreffend sein. Jedoch sei in diesem Fall die bestandfeste Festlegung der Revisionswerberin, diese Anforderung gelte durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt, fehlerhaft. Der Fehler einer bestandfesten Festlegung könne nur korrigiert werden, indem die Ausschreibung widerrufen und ein neues Vergabeverfahren (ohne die fehlerhafte Festlegung) durchgeführt werde. Der bestandfesten Festlegung betreffend die Mindestanforderung der „proportionalen Druckunterstützung“ könne nicht der objektive Erklärungswert beigemessen werden, dass ein Produkt mit der Funktion „IntelliSync+“ diese Mindestanforderung nicht erfülle.
18 Das Angebot der mitbeteiligten Partei sei erstgereiht gewesen; die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Ausscheidensgründe seien nicht vorgelegen. Die mitbeteiligten Partei habe somit eine echte Chance auf Erteilung des Zuschlags gehabt. Das Ausscheiden des Angebots der mitbeteiligten Partei aus dem Vergabeverfahren habe sich auf Grund des objektiven Erklärungswertes der bestandfest festgelegten Mindestanforderung an eine „proportionale Druckunterstützung“ als nicht vergaberechtskonform erwiesen.
19 4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
20 5. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
21 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
22 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
23 6.1. In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung von Ausschreibungsbestimmungen ab. Das Verwaltungsgericht habe eine einzelne Festlegung der Revisionswerberin, nämlich die Rückfragenbeantwortung, die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ gelte durch die Funktion „IntelliSync+“ als erfüllt, isoliert betrachtet und bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswertes den Gesamtkontext der Ausschreibungsunterlage unberücksichtigt gelassen.
24 Zudem liege eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „nicht gehörigen Aufklärung“ gemäß § 129 Abs. 2 BVergG 2006 vor. Das Verwaltungsgericht habe in der Frage der Zulässigkeit des Ausscheidens des Angebots der mitbeteiligten Partei einzig darauf abgestellt, ob der Revisionswerberin „prüffähige“ Nachweise zur Funktionalität der „proportionalen Druckunterstützung“ vorgelegt worden seien. Maßgeblich sei aber die inhaltliche Prüfung der vorgelegten Nachweise. Durch diese Sichtweise des Verwaltungsgerichts werde der Auftraggeberin ihre gesetzlich eingeräumte Befugnis zur Prüfung der Angebote maßgeblich abgeschnitten. Dies widerspreche den Grundsätzen eines fairen, transparenten und die Bieter gleichbehandelnden Vergabeverfahrens, weshalb der Klärung dieser Fragestellung eine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
25 6.2. Die Revisionswerberin lässt mit diesen Vorbringen das im vorangegangenen Nachprüfungsverfahren ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Februar 2022, Ra 2018/04/0140, (siehe oben Rn. 6 f) außer Acht.
Darin wurde vom Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Revisionswerberin das von der mitbeteiligten Partei angebotene Produkt mit der Funktion „IntelliSync+“ nicht mit der Begründung aus dem Vergabeverfahren hätte ausscheiden dürfen, dass es die Mindestanforderung „proportionale Druckunterstützung“ nicht erfülle.
26 Ausgehend davon vermag die Revisionswerberin mit dem allein auf die Ausscheidensentscheidung abzielenden Vorbringen im gegenständlichen Revisionsverfahren keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.
27 7.1. Schließlich bringt die Revision vor, das Verwaltungsgericht sei mit dem angefochtenen Erkenntnis von näher genannter Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit eines Widerrufs abgewichen.
28 Nach dieser Rechtsprechung sei der Widerruf eines Vergabeverfahrens dann zulässig, wenn ein sachlicher Grund hierfür vorliege. Dies betreffe insbesondere Fälle, in denen der Auftraggeber die Leistung generell oder in der ausgeschriebenen Form nicht mehr benötige, Änderungen in den Ausschreibungsunterlagen etwa auf Grund neuer Technologien notwendig würden, die budgetäre Bedeckung nachträglich wegfalle, die Bieterzahl bzw. Bieterstruktur sich während der Angebotsfrist wesentlich verändere oder kein oder nur ein Teilnahmeantrag einlange.
29 7.2. Die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG setzt voraus, dass ihr Schicksal, also der Erfolg der Revision, von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung „abhängt“. Es muss daher zumindest die Möglichkeit bestehen, dass die aufgeworfene, im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Rechtsfrage für die Lösung des Falles von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Lösung theoretischer Rechtsfragen befugt, sondern nur solcher, von deren Lösung der Erfolg der Revision tatsächlich abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. zuletzt etwa VwGH 25.9.2025, Ra 2023/04/0279, Rn. 15 mwN).
30 Nachdem ein Widerruf im vorliegenden Fall jedoch nicht erfolgte, ist nicht erkennbar, inwiefern das rechtliche Schicksal der Revision von der aufgeworfenen (und als grundsätzlich angesehenen) Frage, ob ein Widerruf des gegenständlichen Vergabeverfahrens anstelle des Ausscheidens des Angebots der mitbeteiligten Partei zulässig gewesen wäre oder nicht, tatsächlich abhängt.
31 8. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
32 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
33 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 31. Oktober 2025
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