JudikaturVwGH

Ra 2021/22/0159 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Juli 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie den Hofrat Dr. Mayr und die Hofrätin Dr. Holzinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, in der Revisionssache des A A, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte OG in 1100 Wien, Keplerplatz 12/23, gegen das am 1. April 2021 mündlich verkündete und mit 21. Mai 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW 151/066/10633/2020 29, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1983 geborene Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Nordmazedonien. Er ist seit 22. Jänner 2019 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Der 2019 geborene gemeinsame Sohn ist ebenfalls österreichischer Staatsbürger. Die Ehefrau und der Sohn des Revisionswerbers leben in Österreich.

2 Am 20. Februar 2020 beantragte der Revisionswerber die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz (NAG). Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. Juli 2020 abgewiesen.

3 Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht Wien mit am 1. April 2021 mündlich verkündetem und mit 21. Mai 2021 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Begründend verwies das Verwaltungsgericht unter anderem darauf, dass aufgrund näher dargelegter beweiswürdigender Überlegungen eine tatsächliche Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers bei dem von ihm genannten Arbeitgeber nicht zu erwarten sei. Aufgrund der demnach allein zu berücksichtigenden nachgewiesenen finanziellen Mittel der Ehefrau des Revisionswerbers sei nicht gesichert, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft iSd § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG führen könne. Weiters habe der Revisionswerber die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts im September 2020 um einen Tag überschritten, weshalb auch der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht sei.

5 Im Rahmen der gemäß § 11 Abs. 3 NAG durchgeführten Interessenabwägung kam das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, dass die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels an den Revisionswerber auch nicht zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9 Die vorliegende Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung ausschließlich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die einzelfallbezogene Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG darstellt (VwGH 24.3.2023, Ra 2022/22/0128, Rn. 16, mwN).

10 In diesem Zusammenhang verweist die Revision zutreffend darauf, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK auch das Kindeswohl zu berücksichtigen ist und dies auch dann gilt, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um das Kind selbst, sondern wie hier um dessen Vater handelt (vgl. VwGH 3.12.2021, Ra 2021/18/0299, Rn. 17). Allerdings hat das Verwaltungsgericht vorliegend das Kindeswohl des Sohnes des Revisionswerbers ohnehin ausreichend in seine Abwägung einbezogen und berücksichtigt, dass dem Revisionswerber eine Weiterführung des persönlichen Kontaktes mit seinem Sohn im bisherigen Umfang für die Dauer des visumfrei zulässigen Aufenthaltes möglich ist (siehe dazu im angefochtenen Erkenntnis unter Punkt 54 und 57 bis 62). Der Kontakt des Revisionswerbers und seines Sohnes ist nicht auf bloß „sporadische Besuche“ oder eine Kommunikation über Telefon oder elektronische Medien beschränkt, weshalb sich die in der vorliegenden Revision zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als nicht einschlägig erweist.

11 Soweit der Revisionswerber ins Treffen führt, dass es sich bei der vom Verwaltungsgericht mit einem Tag angenommenen Überschreitung des zulässigen visumfreien Aufenthalts „höchstens nur um wenige Minuten“ handeln könne, da der Revisionswerber „etwa um Mitternacht“ die Schengen Grenze überquert habe, ist auch dazu darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht diesen Umstand entsprechend berücksichtigt hat. Im Rahmen der Interessenabwägung wurde der festgestellten (und vom Revisionswerber im Ergebnis auch nicht bestrittenen) Überschreitung der sichtvermerkfreien Zeit daher ohnehin nur ein „sehr geringes Gewicht“ zugemessen.

12 Insgesamt zeigt die Revision nicht auf, dass das Verwaltungsgericht Wien in dem angefochtenen Erkenntnis die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK fallbezogen grob fehlerhaft oder unvertretbar vorgenommen hätte.

13 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

14 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 4. Juli 2023

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