JudikaturVwGH

Ra 2021/03/0333 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Tiroler Landesregierung gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 1. Dezember 2021, Zl. LVwG 2021/18/2929 11, betreffend befristete Ausnahme vom Verbot des § 36 Abs. 2 erster Satz Tiroler Jagdgesetz 2004 (mitbeteiligte Parteien: 1. Nbund Ö in S, 2. ÖAllianz in W, 3. Uverband in W und 4. W Ö in W), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Eine Zuerkennung von Aufwandersatz findet nicht statt.

1 Mit einer auf § 52a Abs. 8 des Tiroler Jagdgesetzes 2004 (im Folgenden: TJG 2004), LGBl. Nr. 41/2004, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl. Nr. 111/2021, gestützten Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 19. Oktober 2021, LR 1950/5/22 2021, kundgemacht am 20. Oktober 2021 im Boten für Tirol, Stück 42a/2021, wurde festgestellt, „dass von dem Wolf mit der Bezeichnung 118 MATK eine unmittelbare erhebliche Gefahr für Weidetiere, landwirtschaftliche Kulturen und Einrichtungen ausgeht.“ Gemäß Artikel II dieser Verordnung trat diese mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und „mit dem Ablauf des 60. Tages nach dem Tag der Kundmachung eines den Wolf 118 MATK betreffenden Ausnahmebescheids nach § 52a Abs. 9 des Tiroler Jagdgesetzes 2004 auf der Internetseite des Landes Tirol (§ 53a Abs. 2 des Tiroler Jagdgesetzes 2004) außer Kraft.“

2 Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 27. Oktober 2021 wurde, gestützt auf § 52a Abs. 9 TJG 2004, zur Vermeidung ernster Schäden an Kulturen und in der Tierhaltung in näher bezeichneten (und in einer Anlage zum Bescheid kartographisch dargestellten) Jagdteilgebieten „für die Entnahme eines Tieres die Art Wolf (canis lupus) vom Verbot nach § 36 Abs. 2 erster Satz TJG 2004 (ganzjährige Schonung) ab sofort bis zum Ablauf des 60. Tages nach Kundmachung dieses Bescheides auf der Internetseite des Landes Tirol nach § 53a Abs. 2 TJG 2004“ unter Einhaltung näher festgelegter Nebenbestimmungen ausgenommen (Spruchpunkt I). Weiters wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid ausgeschlossen (Spruchpunkt II).

3 Dieser Bescheid wurde am 27. Oktober 2021 auf der Internetseite des Landes Tirol kundgemacht.

4 Gegen diesen Bescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien Beschwerde an das Verwaltungsgericht.

5 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden Folge, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurück. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

6 Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 erhobene außerordentliche Revision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision das Vorverfahren durchgeführt, in dem die zweit- und viertmitbeteiligten Parteien eine gemeinsame Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Abweisung der Revision erstatteten.

8 Über Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes teilte die revisionswerbende Partei mit Stellungnahme vom 20. Juni 2022 mit, sie habe in Entsprechung des aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts ein sachverständiges Gutachten eingeholt, aus welchem sich ergebe, dass die vom Verwaltungsgericht geforderten Ermittlungen faktisch unmöglich zu erbringen seien. Überdies seien die Abgrenzungen des Maßnahmengebietes betreffend den Wolf mit der Bezeichnung 118 MATK nicht mehr aktuell, weswegen sie das fortgesetzte Verfahren mit Aktenvermerk vom 15. Februar 2022 eingestellt habe.

9 Die Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 19. Oktober 2021 stelle für ihr Außerkrafttreten auf die Kundmachung eines den Wolf 118 MATK betreffenden Bescheides auf der Internetseite des Landes Tirol ab. Die Kundmachung sei im Hinblick auf den für die beschwerdelegitimierten anerkannten Umweltorganisationen davon abhängenden Beginn der Beschwerdefrist als verfahrensrechtliche Erlassung des Bescheides (Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung) zu qualifizieren und somit untrennbar mit dem Bescheid als solches verbunden. Durch den aufhebenden Beschluss des Verwaltungsgerichts sei der Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 27. Oktober 2021 ex tunc untergangen, sodass auch die Zustellung an die beschwerdeberechtigten Parteien und die Kundmachung so untergegangen seien, als wären diese niemals rechtlich existent gewesen. Damit sei auch das den Fristlauf für das Außerkrafttreten der Verordnung auslösende Ereignis ex tunc weggefallen, sodass die Verordnung nicht wegen Zeitablaufs habe außer Kraft treten können.

10 Ungeachtet des allfälligen Außerkrafttretens dieser Verordnung bestehe ein aufrechtes Rechtsschutzinteresse der revisionswerbenden Partei an der Klärung, ob die Aufhebung und Zurückverweisung zu Recht erfolgt sei. Unabhängig vom „materiellen Ausgang“ des Verfahrens sei es für die revisionswerbende Partei über den Einzelfall hinaus wesentlich zu wissen, ob das Ermittlungsverfahren in einem für die Voraussetzungen nach § 52a Abs. 9 TJG 2004 ausreichenden Maß geführt worden sei. Diese Frage sei nicht bloß theoretischer Natur.

11 Dem ist Folgendes zu erwidern:

12 Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht zu einer abstrakten Prüfung der Rechtmäßigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung berufen. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt dann nicht vor, wenn eine Entscheidung lediglich über abstrakt theoretische Rechtsfragen herbeigeführt werden soll, denen keine praktische Relevanz mehr zukommen kann. Das Rechtsschutzinteresse ist immer dann zu verneinen, wenn es (auf Grund der geänderten Umstände) für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied mehr macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für ihn keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen somit insoweit nur (mehr) theoretische Bedeutung haben. Diese Rechtsprechung hat auch für eine Amtsrevision Gültigkeit (vgl. VwGH 19.2.2020, Ro 2019/14/0010, mwN).

13 Im vorliegenden Fall war vom Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit eines auf § 52a Abs. 9 TJG 2004 gestützten Bescheids der revisionswerbenden Partei zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurückverwiesen.

14 Die Erlassung eines Bescheides durch die revisionswerbende Partei auf der Grundlage des § 52a Abs. 9 TJG 2004 setzt „die Erlassung einer Verordnung“ nach § 52a Abs. 8 leg. cit. voraus.

15 Die Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 19. Oktober 2021, die rechtliche Voraussetzung für die Erlassung des vom Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss aufgehobenen Bescheides der revisionswerbenden Partei war, trat nach ihrem Art. II „mit dem Ablauf des 60. Tages nach dem Tag der Kundmachung eines den Wolf 118 MATK betreffenden Ausnahmebescheids nach § 52a Abs. 9 des Tiroler Jagdgesetzes 2004 auf der Internetseite des Landes Tirol (§ 53a Abs. 2 des Tiroler Jagdgesetzes 2004) außer Kraft.“ Nach ihrem klaren Wortlaut nimmt die Außerkrafttretensbestimmung auf den tatsächlichen Vorgang der Kundmachung eines solchen Bescheides Bezug, welcher selbst durch eine rückwirkende Aufhebung des Bescheides nicht rückgängig gemacht werden kann. Vom weiteren rechtlichen Schicksal des kundgemachten Bescheides ist das Außerkrafttreten der Verordnung hingegen nicht abhängig.

16 Die Veröffentlichung des Bescheides auf der Internetseite des Landes Tirol erfolgte am 27. Oktober 2021. Ungeachtet der Aufhebung dieses Bescheides mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts ist die Verordnung daher mit Ablauf des 26. Dezember 2021 außer Kraft getreten.

17 Die revisionswerbende Partei hat mitgeteilt, dass sie das Verfahren nach § 52a Abs. 9 TJG 2004 mit Aktenvermerk vom 15. Februar 2022 eingestellt hat. Sie hat somit im fortgesetzten Verfahren bis zum Ablauf des 26. Dezember 2021 nicht neuerlich einen Bescheid erlassen.

18 Da aufgrund des Außerkrafttretens der Verordnung nach § 52a Abs. 8 TJG 2004 mit Ablauf des 26. Dezember 2021 eine rechtlich zwingend erforderliche Voraussetzung für die Erlassung eines Bescheides nach § 52a Abs. 9 leg. cit. durch die revisionswerbende Partei im fortgesetzten Verfahren weggefallen ist, ist das Rechtsschutzinteresse der revisionswerbenden Partei, welches bei Einbringung der Revision noch bestanden hat, nachträglich weggefallen.

19 Vor diesem Hintergrund kommt der Frage, ob das von der revisionswerbenden Partei geführte Ermittlungsverfahren für die Erlassung des Bescheides vom 27. Oktober 2021 ausreichend gewesen ist, sodass das Verwaltungsgericht den Bescheid aus diesem Grund nicht hätte aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverweisen dürfen, nur noch theoretische Bedeutung zu. Zur Klarstellung ist aber anzumerken, dass eine Aussage des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage hier nicht erfolgt.

20 Die Revision war daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Revisionsverfahren einzustellen.

21 In Hinblick darauf, dass die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde, hat der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 58 Abs. 2 zweiter Satz VwGG nach freier Überzeugung entschieden, dass kein Aufwandersatz zuerkannt wird.

Wien, am 27. Juli 2022

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