Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des A A M in W, vertreten durch Mag. Wolfgang Standfest, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wallnerstraße 4, 2. Hof, Top MT44, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 2016, Zl. L521 2118586- 1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 4. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 24. November 2015 wurde dieser Antrag gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (I.), dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (II.), sowie gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (III.).
3 Zu Spruchpunkt I. führte das BFA aus, der Revisionswerber habe nachvollziehbar dargelegt, Mossul aus Furcht vor den Milizen des "Islamischen Staates (IS)" verlassen zu haben, eine persönliche Bedrohung durch Gruppen des IS habe dieser jedoch verneint.
4 Die vom Revisionswerber gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 25. August 2016 als unbegründet ab und bestätigte Spruchpunkt I. des Bescheides mit der Maßgabe, dass dieser zu lauten habe:
"Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 04.01.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 iVm § 11 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, abgewiesen."
5 Zudem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG aus, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers in die Stadt Mossul derzeit zwar nicht zumutbar sei, weil der Revisionswerber aufgrund der glaubhaft vorgetragenen engen Zusammenarbeit mit Regierungsstellen und der Armee als Kollaborateur angesehen und eine Verfolgungsgefahr aus politischen Gründen seitens des IS daher nicht ausgeschlossen werden könne. Aus - näher zitierten - länderkundlichen Feststellungen, denen der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen getreten sei, ergebe sich jedoch, dass der Revisionswerber im Fall seiner Rückkehr in den von der kurdischen Regionalregierung kontrollierten Teil des Nordirak, der die Provinzen Erbil, Dohik und Suleimanyia umfasse, nicht der Gefahr einer individuellen Verfolgung durch den Staat oder schiitische Milizen ausgesetzt sei. Es sei vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im autonomen und von Kurden kontrollierten Teil des Nordirak auszugehen. Die Sicherheitslage in den autonomen Kurdengebieten sei - verglichen mit der Situation im übrigen Irak - gut und stabil. Der Revisionswerber habe seinen eigenen Angaben zufolge in einem in dieser Region gelegenen Flüchtlingslager frei von Verfolgung leben können; auch halte sich die Familie des Revisionswerbers nach wie vor dort auf. Dem Revisionswerber sei eine Rückkehr dorthin möglich und zumutbar.
7 Zwar werde nicht verkannt, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in einem Spannungsverhältnis zum gewährten subsidiären Schutz stehe, der dahingehenden Begründung des angefochtenen Bescheides seien jedoch individuelle, den Revisionswerber betreffende Erwägungen zur Gewährung von subsidiärem Schutz nicht zu entnehmen. Das BFA habe in seiner Entscheidungsbegründung zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes an den Revisionswerber nur die allgemeine Feststellung getroffen, dass er bei seiner Rückkehr im Entscheidungszeitpunkt der realen Gefahr einer Rechtsverletzung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt wäre. Auch in der Beweiswürdigung fänden sich über bloß allgemeine Hinweise auf die rechtlichen Grundlagen für die Zuerkennung eines solchen Schutzes keine weiteren individuellen Erwägungen die Person des Revisionswerbers betreffend. Demgegenüber sei das BVwG angehalten, nicht nur Feststellungen zum individuellen Vorbringen des Revisionswerbers zu treffen, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die aktuelle Lage in seinem Herkunftsstaat zu eigenen, aktualisierten länderkundlichen Feststellungen zu gelangen (vgl. § 11 Abs. 2 AsylG 2005). Aus diesen sei wiederum zu gewinnen, dass sich die Lage im Irak gegenwärtig so darstelle, dass der Revisionswerber im Falle der Rückkehr in den von der kurdischen Regionalregierung kontrollierten autonomen Teil des Nordiraks dort weder der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre, noch eine Rückkehr dorthin ihn als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aussetzen würde.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung der Revisionswerber u.a. vorbringt, das BVwG habe den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 offenstehe. Damit weiche das Verwaltungsgericht von - näher zitierter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur dann erlaubt sei, wenn die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben seien.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren durchgeführt und nach Vorlage der Akten des Verfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
10 Die Revision ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet. 11 Gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005
(AsylG 2005), ist der Antrag auf internationalen Schutz wegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann. Schutz ist nach den gesetzlichen Vorgaben gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
Nach § 11 Abs. 2 AsylG 2005 ist bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.
12 Im vorliegenden Fall hat das BFA dem Revisionswerber in seinem Bescheid vom 24. November 2015 (zugestellt am 26. November 2015) den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak zuerkannt. Dieser Teil des erstinstanzlichen Bescheides wurde nicht angefochten und erwuchs daher in (Teil )Rechtskraft. Mit dieser Entscheidung wurde somit bindend festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf den gesamten Herkunftsstaat des Revisionswerbers gegeben waren.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das BFA auch vom BVwG im Beschwerdeverfahren betreffend den Status eines Asylberechtigten zu beachten ist. Sie stehen der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen (vgl. etwa VwGH vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016, 0083, vom 25. März 2015, Ra 2014/20/0022, vom 17. Dezember 2015, Ra 2015/20/0048, vom 19. Jänner 2016, Ra 2015/01/0070, und vom 18. Jänner 2017, Ra 2016/18/0293).
14 Zur Frage der Rechtskraftwirkung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hat der Verwaltungsgerichtshof im zuletzt erwähnten Erkenntnis Ra 2016/18/0293, ausgeführt:
"Eine Durchbrechung dieser Rechtskraftwirkung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung des BFA der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hätten, also eine neue Sache vorgelegen wäre, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden (‚nova reperta'). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. etwa VwGH vom 24. Mai 2016, Ra 2016/03/0050, und vom 13. September 2016, Ro 2015/03/0045).
Die rechtskräftige Zuerkennung von subsidiärem Schutz an den Revisionswerber war daher bei der Beurteilung der Frage, ob ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat offensteht, jedenfalls solange zu beachten, als - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BFA - keine wesentliche Änderung des Sachverhalts vorgelegen ist.
Vor diesem Hintergrund vermögen die zuvor wiedergegebenen Überlegungen des BVwG die Annahme einer inländischen Fluchtalternative für den Revisionswerber nicht zu rechtfertigen. Das BVwG schätzte zwar die Lage im Herkunftsstaat anders ein als das BFA, stützte sich dabei aber auf Beweismittel (insbesondere Länderberichte), die im maßgeblichen Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung des BFA über den subsidiären Schutz bereits vorgelegen waren und daher nach dem bisher Gesagten keine (wesentliche) Änderung des Sachverhalts bezogen auf diesen Zeitpunkt bedeuteten."
15 Im vorliegenden Fall stützte sich das BFA bei der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten für den Revisionswerber auf Länderberichte aus den Jahren 2013 und 2014. Demgegenüber legte das BVwG seine Einschätzung über die stabile Sicherheitslage in den von den Kurden kontrollierten nordirakischen Provinzen ua. Länderberichte aus Dezember 2015 und dem Jahr 2016 - sohin aus Zeiträumen nach Erlassung des Bescheides des BFA - zu Grunde. Der Revisionswerber ist diesen Berichten weder im Verfahren vor dem BVwG noch in der Revision konkret entgegen getreten.
16 Das BVwG hat daher seine Einschätzung im Herkunftsstaat auf Beweismittel (insbesondere Länderberichte) gestützt, die im maßgeblichen Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung des BFA über den subsidiären Schutz noch nicht vorgelegen waren und daher insofern eine wesentliche Änderung des Sachverhalts bezogen auf diesen Zeitpunkt bedeuten, als demnach der Schutz des Revisionswerbers in den nördlichen, kurdisch kontrollierten, Provinzen des Irak gewährleistet und eine Rückkehr dorthin diesem auch zumutbar ist. Das BVwG konnte somit - im Ergebnis - zu Recht vom Vorliegen einer nachträglichen Änderung der Sache ("nova producta") ausgehen. Die materielle Rechtskraft der vom BFA zuerkannten Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Revisionswerber stand damit der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative durch das BVwG nicht entgegen. Davon ausgehend erweist sich die Verweigerung des Status des Asylberechtigten im vorliegenden Fall als rechtmäßig.
17 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 28. Februar 2017