JudikaturVwGH

0285/71 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. April 1972

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof. hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmelz, Dr. Schmid und Dr. Jurasek als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgerichtsrates Dr. Kremzow, über die Beschwerde des KS in W, vertreten durch Dr. Otto Kainz, Rechtsanwalt in Wien IX, Garnisongasse Nr. 4, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 23. September 1970, Zl. MA 70-IX/Sch 147/70/Strs, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat, dem leide Wien Aufwendungen in: der Hohe von S 390,-- binnen zwei Wochen bei Sonstiger Exekution zu ersetzen.

Mit dem mündlich verkündeten, rechtskräftigen Straferkenntnis hatte die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Döbling, am 26. November 1969 ausgesprochen, es habe der Beschwerdeführer am 31. Oktober 1969 um ca. 15.25 Uhr in Wien 19, Grinzinger Allee a) einen Kombiwagen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und b) mehr Personen befördert, als zulässig gewesen sei; er habe dadurch die Verwaltungsübertretungen nach § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960. in Verbindung, mit § 5 Abs. 1 StVO 1960 bzw. nach § 106 Abs. 3 KFG 1967 begangen und es werde über ihn gemäß § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzarreststrafe 14 Tage) und gemäß § 134 KFG 1967 eine solche von S 5.000, (Ersatzarreststrafe 24 Stunden) verhängt. Nach der Begründung dieses Straferkenntnisses waren diese Verwaltungsübertretungen durch die Wachemeldung, das Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin, das amtsärztliche Gutachten, das Ergebnis der Alkoholprobe sowie durch die Verantwortung des Beschwerdeführers erwiesen.

Mit Eingabe vom 10. August 1970 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und machte geltend, daß in dem, wegen des Unfalles vom 31. Oktober 1969 anhängig gewesenen gerichtlichen Strafverfahren in der Hauptverhandlung am 19. Dezember 1969 der gerichtsärztliche Sachverständige Sanitätsrat Dr. S. ein, Gutachten erstattet habe, wonach nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, daß der Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des Unfalles 0,8%o betragen habe und er fahr-. untauglich gewesen sei. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft sei hierauf die Einholung eines „Übergutachtens“ des Institutes für gerichtliche Mediziner Universität Wien eingeholt und bei der fortgesetzten Verhandlung am 10. August 1970, verlesen werden. Letzteres Gutachten stimme mit dem erstgenannten dahingehend überein, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Unfalles nicht alkoholisiert und fahruntauglich gewesen sei. Zum Beweis für sein Vorbringen berief sich der Beschwerdeführet auf den gerichtlichen Strafakt. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Bundespolizeikommissariat Döbling, vom 1. September 1970 wurde der Wiederaufnahmeantrag abgewiesen, weil die vom Beschwerdeführer geltend gemachten neuen Beweismittel erst nach rechtskräftigem Abschluß des Verwaltungsstrafverfahrens entstanden seien. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid, soweit da-.mit seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der rechtskräftigen Bestrafung Wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand keine Folge gegeben wurde, Berufung. Mit dem Bescheid der Wiener Landesregierung vom 23. September 1970 wurde dieser Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben. Die belangte Behörde verwies in der Begründung des Berufungsbescheides darauf, es sei durch die Ausführungen des Beschwerdeführers selbst offenkundig, daß der gerichtsärztliche Sachverständige Sanitätsrat Dr. S. bzw. das gerichtsmedizinische Institut im Zuge des gerichtlichen Strafverfahrens ihre Gutachten zu einem Zeitpunkt erstellt hätten, als das Verwaltungsstrafverfahren mit dem Straferkenntnis vom 26. November 1969 längst rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei. Daraus ergebe sich, daß es sich hier nicht um ein neues Beweismittel im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 handle, das ohne Verschulden der Partei im Verfahren nicht habe geltend gemacht werden können. Der Beschwerdeführer habe im abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahren die Möglichkeit gehabt, die ihm zur Last gelegte Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO 1.960 zu bestreiten und Beweisanträge zu stellen bzw. gegen das Straferkenntnis Berufung einzubringen. Das habe jedoch der Beschwerdeführer unterlassen, ja er habe nicht einmal das Vorliegen einer Alkoholbeeinträchtigung bestritten, sondern lediglich bezüglich der von ihm getrunkenen alkoholischen Getränke. verschiedene Angaben gemacht. Es sei. Besonders darauf hinzuweisen, daß die Vorschrift des § 69 AVG 1950 keine Handhabe biete, Versäumnisse, die im Verwaltungsverfahren unterlaufen seien hier die unterlassene Geltendmachung einer fehlenden Alkoholbeeinträchtigung nachzuholen, wie dies vier Beschwerdeführer aber meine. Zu den Berufungsausführungen werde noch bemerkt, daß das Strafrecht nur bedingt eine einheitliche Rechtsordnung darstelle, da die Verwaltungsbehörden an die gerichtliche Beweiswürdigung nicht gebunden seien, somit ein verurteilendes Straferkenntnis trotzreiner gerichtlich nicht erfolgten Bestrafung nach § 337 b StG ohne weiteres möglich und rechtlich zulässig sei. Die Beischaffung des Gerichtsaktes sei als entbehrlich anzusehen gewesen, weil die Frage der Alkoholbeeinträchtigung nicht mehr zu prüfen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird bemängelt, daß die belangte Behörde trotz des Antrages des Beschwerdeführers den gerichtlichen Strafakt nicht beigeschafft habe. Durch den gerichtlichen Strafakt, insbesondere durch die beiden vom Gericht eingeholten ärztlichen Gutachten hätte. der Beschwerdeführer seines Erachtens nachgewiesen, daß er im Zeitpunkt des Unfalles nicht alkoholisiert und nicht fahruntauglich gewesen sei. Das Straferkenntnis vom 26. November 1969 steht mit dem gerichtlichen Urteil in einem unlösbaren Widerspruch. Da das Strafrecht eine einheitliche Rechtsordnung darstelle, müsse es eine Möglichkeit geben, diesen Widerspruch zu beseitigen. Der Wiederaufnahmeantrag habe sich ferner auf das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 10. August 1970 berufen, doch habe sich die belangte Behörde mit diesem Wiederaufnahmegrund nicht auseinandergesetzt. Die belangte Behörde sei im Straferkenntnis vom 26. November 1969 durch eine unrichtige Rückrechnung zu einem Blutalkoholwert im Unfallszeitpunkt gekommen, der mit dem im gerichtlichen Verfahren einwandfrei festgestellten in Widerspruch stehe. Die im angefochtenen Bescheid geäußerte Rechtsansicht der belangten Behörde - daß diese Tatsache irreparabel sei, weil die rechtliche Möglichkeit bestehe, daß die Verwaltungsbehörde und das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangen - sei nach Ansicht des Beschwerdeführers unrichtig. Denn das Strafrecht sei eine einheitliche Rechtsordnung, weshalb es verhindert werden müsse, daß zwei sich widersprechende Entscheidungen vorliegen.

Nach der gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden Vorschrift des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsache oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnisse des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zu dieser Gesetzesstelle den Standpunkt vertreten, daß die geltend gemachten neuen Tatsachen oder Beweismittel beim Abschluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden gewesen sein müssen, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich geworden sein muß (vgl. dazu z.B. die Erkenntnisse vom 2. Mai 1966, Zl. 70/66, und vom 8. Juli 1971, Zl. 499/71, sowie die dort angeführten Vorerkenntnis). Auf die nähere Begründung dieser Erkenntnisse wird gemäß Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. 1965/45, verwiesen.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer die beiden bei den gerichtlichen Hauptverhandlungen am 29. Dezember 1969 und am 10. August 1970 erstatteten ärztlichen Gutachten sowie das gerichtliche Urteil vom 10. August 1970 als Wiederaufnahmegründe geltend gemacht. Da das Verwaltungsstrafverfahren am 26. November 1969 rechtskräftig abgeschlossen wurde, handelt es sich bei diesen geltend gemachten Wieder-aufnahmegründen nicht um neu hervorgekommene, sondern um neu entstandene Beweismittel, die einen Wiederaufnahmeantrag nicht zu stützen vermögen. Abschließend sei noch bemerkt, daß eine unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde und durch ein Gericht - zu der es wie im gegenständlichen Fall, vor allem dann kommt, wenn diesen Behörden verschiedene Beweismittel vorlagen - allein noch keinen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 AVG 1950 darstellt.

Die Beschwerde war daher als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich aus die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 19651, BGBl. 4.

Wien, am 12. April 1972

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