JudikaturVwGH

1645/70 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 1971

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kaniak und die Hofräte Dr. Eichler, Kobzina, Dr. Straßmann und Dr. Draxler als Richter im Beisein des Schriftführers Bezirksrichter Dr. Richter über die Beschwerde des FF, vertreten durch Dr. Otto Adler und Dr. Leo Häusler, Rechtsanwälte in Leibnitz, Schmiedgasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 16. Juni 1970, Zl. B 35/1 VI/70, betreffend Vorschreibung von Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 1.168,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Das Zollamt Graz stellte mit Bescheid vom 28. Oktober 1969 fest, daß für den Beschwerdeführer für 215 kg des jugoslawischen Spritzmittels Gesaprim gemäß § 174 Abs. 3 lit. a des Zollgesetzes 1955 (ZollG) die Zollschuld kraft Gesetzes entstanden ist und forderte ihn auf, aus diesem Grund Eingangsabgaben im Gesamtbetrag von S 10.912,-- zu entrichten. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Untersuchung habe der Beschwerdeführer an Landwirte unverzolltes Gesaprim verkauft, und zwar in den Jahren 1966 und 1967 je 60 kg an HP und im Jahre 1969 95 kg an EK.

Der Beschwerdeführer berief. Er machte u. a. geltend, daß das Zollamt den Bescheid „als Finanzstrafbehörde I. Instanz“ erlassen habe, als solches aber in einem Verfahren nach dem Zollgesetz nicht einschreiten könne, daß der Bescheid keine ausreichende Begründung enthalte, daß das von ihm in den Jahren 1966 und 1967 weiterverkaufte Gesaprim verzollt gewesen und die gegenteilige Annahme der Behörde nicht richtig sei. Hinsichtlich des 1969 verkauften Gesaprims sei er nur Zwischenhändler gewesen und sei die Zollschuld gegen denjenigen entstanden, der die Ware nicht verzollt habe. Aber selbst wenn die Zollschuld auch gegen ihn entstanden wäre, hätte die Heranziehung der Beteiligten zur ungeteilten Hand ausgesprochen werden müssen. Die Abgabenschuld sei unrichtig berechnet worden. Der Verkaufspreis von Gesaprim in inländischen Fachgeschäften betrage für 1 kg S 180,--, der von ihm gezahlte Einkaufspreis S 100,--.

Die belangte Behörde gab dem Rechtsmittel mit Berufungsentscheidung vom 16. Juli 1970 durch Ausscheiden des 1967 verkauften Gesaprims aus der Berechnungsgrundlage der Abgabenschuld und die Annahme eines Normalpreises von S 180,-- für 1 kg statt der bisherigen S 200,-- für das 1969 verkaufte Gesaprim - teilweise statt, wodurch sich die Abgabenschuld auf S 7.417,-- verminderte. Im übrigen wies sie die Berufung ab. Soweit es für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist, führte sie aus, der Beschwerdeführer sei den Beweis für seine Behauptung schuldig geblieben, daß er das 1966 verkaufte jugoslawische Gesaprim um S 130,-- je kg von einem unbekannten Grenzbewohner gekauft habe, daß die Ware verzollt gewesen und er die bezughabenden Zollquittungen erhalten habe, diese aber verloren gegangen seien. Er habe sich weder einen der auf den Quittungen vermerkten Namen gemerkt, noch wisse er den Namen des Veräußerers der Ware. Selbst wenn die Ware, wie der Beschwerdeführer anhand einer Rechnung vorgebracht habe, in Jugoslawien um S 65,-- je kg zum Verkauf gelange und sich bei einer Zollleistung von S 50,-- daraus ein Einkaufspreis von S 115,-- je kg ergebe, sodaß ein Verkaufspreis von 5 135,-- gewinnbringend sei, so sei damit noch nicht bewiesen, daß es sich um nichtgeschmuggelte Ware gehandelt habe. Der Überlegung stehe gegenüber, daß die Ware darnach dreimal den Besitzer gewechselt haben. müßte, wobei die Vorbesitzer die Verkäufe doch nicht nur getätigt hätten, um ihre Spesen abzudecken, sondern auch um Gewinn zu erzielen. Die Behörde hat daraus in freier Beweiswürdigung geschlossen, daß es sich um zollhängige, unverzollte Ware gehandelt hat. Hinsichtlich der Teilmenge von 95 kg jugoslawischem Gesaprim wies sie darauf hin, daß nach § 174 Abs. 3 lit. a ZollG die Zollschuld auch gegen denjenigen entstehe, der eine zollhängige Ware an sich bringt, obwohl ihm die Zollhängigkeit bekannt war oder nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen ist. Bei Vorhandensein von mehreren Abgabenschuldnern habe die Behörde die Möglichkeit, einen Gesamthaftungsbescheid gemäß § 179 ZollG bzw. § 199 BAO zu erlassen oder an jeden einzelnen Abgabenschuldner einen gesonderten Bescheid zu richten. Sie könne einen solchen Bescheid auch an eine Person richten. Der Partei stehe hinsichtlich der Auswahl der Abgabenschuldner kein Einfluß zu. Die Abgabenberechnung sei unter Zugrundelegung des jeweiligen Normalpreises im Wege der Schätzung gemäß § 184 BAO und § 2 Abs. 1 ZollG ermittelt worden, weil eine rechnungsmäßige Ermittlung des. Normalpreises nicht möglich gewesen sei. Die Abgabenberechnung sei unter Zugrundelegung eines Normalpreises von S 200,-- je kg im Jahre 1966 und S 180,--,im Jahre 1969 erfolgt. Die Behörde habe wohl bei der Erlassung des Bescheides den für Strafbescheide nach dem Finanzstrafgesetz vorgesehenen Stempelaufdruck verwendet. Tatsächlich sei aber keine andere Behörde eingeschritten als die nach der Bundesabgabenordnung und nach § 10 des Bundesgesetzes über den Aufbau der Abgabenverwaltung des Bundes zuständige Behörde. Die Verwendung einer unrichtigen Funktionsbezeichnung sei Acht so relevant, daß dadurch das vom Beschwerdeführer bezogene Recht auf Durchführung des Zollverfahrens durch die zuständige Behörde verletzt worden wäre. Das Verfahren sei nach den Bestimmungen des Zollgesetzes und der Bundesabgabenordnung und nicht nach denen des Finanzstrafgesetzes durchgeführt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 174 Abs. 3 lit. a ZollG entsteht die Zollschuld kraft Gesetzes für den, der über eine einfuhrzollpflichtige zollhängige Ware erstmalig vorschriftswidrig so verfügt, als wäre sie im freien Verkehr, oder der eine solche Ware an sich bringt, obwohl ihm die Zollhängigkeit bekannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war.

Der Beschwerdeführer bestreitet die Entstehung einer Zollschuld nach dieser Bestimmung gegen ihn nur hinsichtlich des 1966 verkauften Gesaprims. Hinsichtlich der 1969 verkauften 95 kg wendet er diesbezüglich unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides lediglich ein, der Behörde bleibe es überlassen, welchen. Solidarschuldner sie bei einem Gesamthandschuldverhältnis zur Zahlung heranziehe. Der § 199 BAO räume der Behörde die Möglichkeit ein, einen einheitlichen Abgabenbescheid zu erlassen. Der § 179 ZollG verpflichte sie aber, das Gesamtschuldverhältnis bescheidmäßig festzustellen, da nur eine solche Feststellung rechtlich die Voraussetzung dafür abgebe, daß die anderen Gesamthandschuldner: bei Zahlung der Zollschuld durch einen der Mitschuldner aus der Gesamthandhaftung entlassen werden.

Der Bestimmung des § 179 (2) ZollG, derzufolge mehrere Zollschuldner in derselben Sache für die Zollschuld zur ungeteilten Hand haften, kann allerdings die vom Beschwerdeführer behauptete Verpflichtung der Behörde, das Gesamtschuldverhältnis bescheidmäßig festzustellen, was zur Begründung seiner Heranziehung erforderlich gewesen wäre, nicht entnommen werden.

In den übrigen Einwendungen wird der angefochtene Bescheid unter dem Gesichtspunkt einem Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Die Beschwerde macht einmal geltend, daß der erstinstanzliche Bescheid vom Zollamt „als Finanzstrafbehörde I. Instanz“ erlassen worden sei und damit eine unzuständige Behörde entschieden habe, was zur Aufhebung des Bescheides durch die Rechtsmittelbehörde hätte führen müssen.

Im Beschwerdefall ist die im Sinne des § 52 BAO und des Abgabenorganisationsgesetzes BGBl. 1954/149 zuständige Behörde unbestrittenermaßen das Zollamt Graz. Das gleiche Zollamt ist aber nach den Bestimmungen des i 58 Abs. 1 Finanzstrafgesetz auch die zur Durchführung des Finanzstrafverfahrens erster Instanz zuständige Behörde und hat als solche ein Straferkenntnis gegen den Beschwerdeführer gefällt. Daß es den in der Sache erlassenen erstinstanzlichen Abgabenbescheid offenbar irrtümlich mit dem Stempelaufdruck „als Finanzstrafbehörde I. Instanz“ versehen hat, stellt sich lediglich als eine unrichtige Funktionsbezeichnung dar. Ein solches Vergreifen kann, aber eine Rechts7Verletzung solange nicht begründen, als der Beschwerdeführer nicht darzutun vermag, daß der Bescheid von einem im Abgabenverfahren nicht vorgesehenen Organ des Zollamtes (Spruchsenat gemäß § 58 Abs. 2 Finanzstrafgesetz) erlassen wurde.

Der Beschwerdeführer wendet im Zusammenhang auch ein, daß das Verfahren nicht nach den Bestimmungen des Zollgesetzes und der Bundesabgabenordnung, sondern nach denen des Finanzstrafgesetzes durchgeführt worden sei, was sich dar-

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aus ergebe, daß eine Ermittlungstätigkeit nur nach dem Fi-nanzstrafgesetz stattgefunden habe. Wie aber der Verwal-tungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist es der Ab-gabenbehörde nicht verwehrt, bei der Bewe saufnahme nach

183 BAO Aussagen von Personen als Beweismittel heranzu-ziehen, die diese als Beschuldigte in einem wegen Finanz-vergehens anhängigen Verfahren gemacht haben (vgl. das hg.. Erkenntnis vom 15. November 1917, Zl. 65/67). Keines¬falls kann aus der Verwertung solcher Aussagen berechtig¬terweise gefolgert werden, daß eine Ermittlungstätigkeit der entscheidenden'Behörde überhaupt nicht stattgefunden hat.

Ebenso verfehlt ist der Vorwurf, die Behörde habe trotz des in der Berufung gemäß § 284 BAO gestellten Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine solche nicht durchgeführt. Diese Bestimmung bezieht sich auf das. Verfahren vor den Berufungssenaten, denen aber eine Entscheidungsbefugnis über Berufungen nur in den im § 260 Abs. 2 BAO aufgezählten Angelegenheiten zukommt, zu denen Bescheide über Eingangsabgaben nicht gehören.

Die Beschwerde wendet weiters ein, die Behörde habe gegen die Bestimmungen des § 119 BAO verstoßen. Sowohl seine Ehegattin Aloisia als auch der Zeuge HP hätten im Strafverfahren angegeben, daß der Beschwerdeführer 1966 verzollte Ware eingebracht hat, womit er seiner Offenlegungspflicht entsprochen habe, Der gleiche Verstoß sei der Behörde hinsichtlich der rechnungsmäßigen Ermittlung des Normalpreises anzulasten. Der Beschwerdeführer sei seinen diesbezüglichen Verpflichtungen durch die Vorlage einer Rechnung, aus der sich der Ankaufspreis jugoslawischen Gesaprims im Jahre 1966 mit 32,50 Dinar für das kg ergibt, nachgekommen. Die Behörde hätte davon ausgehend die Berechnung des Normalpreises vornehmen müssen und hätte nicht schätzen dürfen. Es sei verfehlt gewesen, als Normalpreis, insbesondere hinsichtlich des 1969 verkauften Gesaprims, den für 1 kg Gesaprim österreichischer Provenienz in österreichischen Detailgeschäften erzielbaren Preis heranzuziehen. Denn es handle sich um jugoslawisches Gesaprim, das vor allem deshalb nach Österreich eingebracht werde, weil es preisgünstiger sei als Gesaprim österreichischer Herkunft, und es könne daher der Normalpreis für jugoslawisches Gesaprim nie die Höhe erreichen; die in österreichischen Geschäften für österreichisches Gesaprim bezahlt werden müsse.

Soweit der Beschwerdeführer sich damit gegen die in freier Beweiswürdigung gewonnene Feststellung der Behörde wendet, daß es sich bei dem 1966 verkauften Gesaprim um unverzollte und zollhängige Ware gehandelt hat, vermag der Verwaltungsgerichtshof in dem Umstand allein, daß die Behörde den bezogenen Aussagen unter den gegebenen Verhältnissen nicht genug Gewicht beigemessen hat, um zu einer gegenteiligen Feststellung zu gelangen, eine Rechtswidrigkeit nicht zu erblicken. Denn die Ehegattin des Beschwerdeführers, auf deren Aussage sich der Beschwerdeführer bereits in dem gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Rechtsmittel bezogen hat, hat wohl am 4. September 1969 angegeben, gesehen zu haben, wie ein Mann ihrem Ehegatten Gesaprim übergeben und ihm grüne Scheine (gemeint Zollquittungen) gezeigt habe, in einer früheren Einvernahme, am 28. April 1969, aber angegeben, ihr Ehegatte habe ihr gegenüber niemals eine Erwähnung gemacht, daß er Gesaprim eingekauft bzw. verkauft habe. Herbert P. hat dazu angegeben, er habe einen Verzollungsnachweis nicht gefordert und der Beschwerdeführer habe ihm einen. solchen nicht gezeigt. Er hat allerdings auch angegeben, daß er vom Beschwerdeführer bei dem 1966 erfolgten Ankauf von Spritzmitteln getäuscht worden sei und sich dabei 30 kg des Spritzmittels Radokor befunden hätten. Mit dieser Aussage, die der Annahme eines Verkaufes von 60 kg Gesaprim entgegen steht, hätte sich die Behörde auseinandersetzen müssen und ist insoweit die erhobene Verfahrensrüge gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer ist auch im Recht, wenn er geltend macht, daß er der Aufforderung der Behörde vom 4. Oktober 1970, „Beweise dafür zu erbringen, daß die gegenständliche Ware wie angegeben in Jugoslawien um S 65,-- erhältlich war“, durch die Vorlage einer Rechnung vom 26. März 1966 entsprochen hat, aus leer sich ergibt, daß damals 1 kg Gesaprim zum Preise von 32,50 Dinar in Jugoslawien verkauft wurde. Die Behörde, die den ihrer Abgabenberechnung zugrunde gelegten Normalpreis (§ 2 Abs. 1 Wertzollgesetz) für 1966 mit S 200,-- und für 1969 mit S 180,7 je kg geschätzt hat, kann bei dieser Sachlage die Schätzung nicht, wie sie dies in der Gegenschrift darzulegen versucht, damit rechtfertigen, der Beschwerdeführer habe dem Vorhalt vom 10. April 1970 nicht entsprochen, sodaß auch diesbezüglich die Verfahrensrüge berechtigt ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß 4 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 47, § 48 Abs. 1 und § 59 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. 1 A der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 1965, BGBl. 4. Das Kostenmehrbegehren war im Hinblick auf die Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes abzuweisen.

Wien, am 22. Oktober 1971

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