JudikaturVwGH

0538/69 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Januar 1971

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsident Dr. Kaniak und die Hofräte Dr. Eichler, Hofstätter, Kobzina und Dr. Straßmann als Richter im Beisein des Schriftführers Dr. Weinke über die Beschwerde der G Co. in W, vertreten durch Dr. Peter Karl Wölf, Rechtsanwalt in Wien I, Schubertring 8, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 6. März 1969, Zl. GA XI-662/68, betreffend Zolltarifierung (Buchleselampen aus Kunststoff), nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwalt Dr. Peter Karl Wolf, und des Vertreters der belangten Behörde, Ministerialsekretär Ing. Dr. HR, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.097,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Am 14. November 1966 stellte das Speditionsunternehmen Sch. Co. als Verfügungsberechtigter für die Beschwerdeführerin dem Zollamt Wien 400 Stück Buchleselampen aus Kunststoff (ohne Glühbirnen) zur Abfertigung im freien Verkehr. Das Zollamt ordnete diese Ware unter die Tarifnummer 39.07 des Zolltarifgesetzes 1958 (ZTG), BGBl. 74, ein und schrieb mit Bescheid vom 23. November 1966 die Eingangsabgaben vor.

Die Beschwerdeführerin berief. Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 1965, Zl. 1277/64, zur Tarifierung von Buchleselampen der gegenständlichen Art beantragte sie, die Ware unter Tarifnummer 85.28. einzureihen. Die Finanzlandesdirektion wies das Rechtsmittel mit Berufungsentscheidung vom 6. März 1969 ab. In der Begründung führte die Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe in einem Parallelfall in der mündlich erklärten Absicht, eine grundsätzliche Entscheidung über die zolltarifische Einreihung von elektrischen Leselampen verschiedener stofflicher Beschaffenheit und unterschiedlicher Ausführung herbeizuführen, u. a. auch Buchleselampen aus Kunststoff zur Abfertigung gestellt. In diesem Verfahren habe das Zollamt die Buchleselampen unter Zolltarif-nummer 39.07 eingereiht. Die Beschwerdeführerin habe in dem anschließenden Berufungsverfahren gleichfalls auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen. Die Behörde habe in diesem unter GA XI-326/9/68 geführten Verfahren der Beschwerdeführerin zwei Sachverständigengutachten und ein Gutachten des beim Bundesministerium für Finanzen errichteten Zollbeirates zur gegenständlichen Tariffrage zur Kenntnis gebracht, die Beschwerdeführerin sei aber auf den Inhalt der Gutachten nicht eingegangen, sondern habe ihrerseits ein Gutachten der Berufungsbehörde vorgelegt. Die belangte Behörde habe nach Abwägung dieser Gutachten als erwiesen angenommen, daß Buchleselampen aus Kunststoff als elektrische Beleuchtungskörper anzusehen seien und ausgehend von diesem Ergebnis des Beweisverfahrens mit Bescheid vom 23. Dezember 1968 entschieden, daß die Buchleselampen aus Kunststoff in die Tarifnummer 39.07 einzureihen seien. Die Beschwerdeführerin habe gegen diesen Bescheid eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht erhoben Daraus habe geschlossen werden können, daß sie die Berufungsentscheidung, der ein umfangreiches Beweisverfahren vorangegangen sei, anerkannt habe. Im Hinblick darauf, daß es sich im gegenständlichen Fall um eine gleichartige Ware wie jene, die Gegenstand des unter Zahl GA. XI-326/9/68 geführten Berufungsverfahrens gewesen sei, handle, werde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung auf die Berufungsentscheidung vom 23. Dezember 1968 verwiesen, deren Ausführungen, soweit sie Buchleselampen aus Kunststoff betreffen, zum Inhalt der Berufungsentscheidung erhoben würden. Im übrigen werde darauf verwiesen, daß der geschäftsführende Gesellschafter der Beschwerdeführerin selbst in der gegenständlichen Berufungsschrift den Ausdruck „Beleuchtungskörper“ gewählt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf gesetzmäßige Anwendung des § 1 des Zolltarifgesetzes (ZTG) und des einen Bestandteil dieses Gesetzes bildenden Zolltarifes verletzt worden zu sein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die in Rede stehende Ware ist nach Ansicht der Behörde in die Tarifnummer 39.07, nach Ansicht der Beschwerdeführerin und im Sinne der bezogenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingegen in die Tarifnummer 85.28 einzuordnen.

Gemäß § 1Abs. 2 ZTG bildet der Zolltarif, der auch die Allgemeinen Tarifierungsvorschriften umfaßt einen Bestandteil des Zolltarifgesetzes 1958. Nach diesen Tarifierungsvorschriften sind für die Einreihung in den Tarif der Wortlaut der Tarifnummern und der Tarif-Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln sowie die Allgemeinen Tarifierungs-vorschriften maßgebend, letztere jedoch nur insoweit, als sie dem Wortlaut der Tarifnummern und der Tarif-Anmerkungen nicht widersprechen.

Die Tarifnummer 83.28 ist eine Tarifnummer des Abschnittes XVI des Kapitels 85 und lautet: „Elektrische Teile von Maschinen und Apparaten, in diesem Kapitel anderweitig weder genannt noch inbegriffen, ......“

Die Tarifnummer 39.07 ist eine Tarifnummer des Abschnittes VII des Kapitels 39 und lautet: „Waren aus Stoffen der Nummern 39.01 bis 39.06.“ Unter diese Tarifnummern fallen. Kunststoffe verschiedener Gattungen.

Von Interesse sind bzw. bezogen wurden im gegebenen Zusammenhang in früheren Verfahren auch die Bestimmungen der Tarifnummer 83.07: „Beleuchtungskörper aller Art, sowie deren Teile, ausgenommen elektrotechnische Teile, aus unedlen Metallen“, die Anmerkung 1 lit. i zu Abschnitt XVI (Maschinen und Apparate; elektrotechnische Waren), wonach von. diesem Abschnitt Waren der Kapitel 82 und 83 ausgenommen sind, und die Anmerkung 1 lit. i zu Kapitel 39, wonach von diesem Kapitel Waren des Abschnittes XVI ausgenommen sind, ferner die Anmerkung 1 lit. g zu Abschnitt XVI, wonach von diesem Abschnitt „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Tarif-Anmerkung 2 zu Abschnitt XV, aus unedlen Metallen (Abschnitt XV) und derartige Teile aus Stoffen des Kapitels 39 (im allgemeinen 39.07)“ ausgenommen sind, ferner die Anmerkung 2 lit. c zu Abschnitt XV, wonach als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit aus unedlen Metallen u. a. auch Waren der Tarifnummer 83.07 zu verstehen sind; diese Tarifnummer umfaßt Beleuchtungskörper aller Art aus unedlen Metallen, schließlich die Anmerkung 1 lit. b zu Kapitel 94, wonach von diesem Kapitel ausgenommen sind „Stehlampen und andere Beleuchtungskörper, die nach. ihrer Beschaffenheit einzureihen sind (Nrn 44 27, 70.14, 83.07 usw.)“.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem von der Beschwerdeführerin bezogenen Erkenntnis vom 29. April 1965, 1277/64, in einer eingehenden, sich auf die angeführten Rechtsvorschriften gründenden rechtlichen Betrachtung die Meinung vertreten, daß auf Waren dieser Art, da sie als solche des Abschnittes XVI anzusehenwird, gemäß Anmerkung 1 lit. i zu Kapitel 39 die Anwendung dieses Kapitels unzulässig sei und sie, da es sich um elektrotechnische Teile von Beleuchtungskörpern. handelt, in die Tarifnummer 85,28 einzureihen seien. Im Erkenntnis vom 29. November 1966, Zl. 442/66, hat er diese Rechtsmeinung aufrechterhalten und ausgesprochen, daß es sich dabei um eine auf den maßgebenden Tarifierungsvorschriften beruhende „rechtliche“ Beurteilung handle.

Die vorliegende Beschwerde stützt sich auf diese beiden Vorerkenntnisse. Sie bringt unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, daß es sich bei der am 23. Dezember 1968 ergangenen Berufungsentscheidung in Ansehung der Tarifierung der in Rede stehenden Ware nicht um einen Testfall gehandelt habe und irgendeine bindende Wirkung sich daraus weder formalrechtlich noch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben ableiten lasse. Es gehe daher auch nicht an, Sachverständigengutachten, die auf besondere Eigenschaften einer zur Abfertigung gestellten Ware bezogen seien, kurzerhand in einem anderen Verfahren zu verwenden, wo sie weder aktenkundig gemacht würden noch der Partei die Möglichkeit geboten werde, zu den Gutachten im neuen Verfahren Stellung zu nehmen. Das von der Beschwerdeführerin vorgelegte Gutachten des Dipl. Ing. G. H. habe sich jedoch nicht auf den. Einzelfall bezogen und sei nach allgemeinen technologischen Gesichtspunkten sowie den Erfordernissen des Zolltarifes erstellt. Die belangte Behörde hätte sich mit dem Gutachten auseinandersetzen müssen, bevor sie, insbesondere durch Verweisung auf eine andere Entscheidung, mittelbar Feststellungen getroffen habe.

Diesem Vorwurf vermag die Behörde nicht. mit Erfolg damit zu begegnen, daß es sich bei dem gegenständlichen Verfahren ebensowenig wie bei dem mit der Berufungsentscheidung vom 23. Dezember 1968 abgeschlossenen Verfahren um eine gleichartige Ware gehandelt habe und die Beschwerdeführerin in dem letzteren, parallel geführten Verfahren ausreichend Gelegenheit gehabt habe, zu allen Gutachten, auf die sich die Entscheidung stütze, Stellung zu nehmen. Der § 183 Abs. 4 BAO verpflichtet nämlich die Behörde, den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich zu äußern. Gemäß § 279 BAO hat im Berufungsverfahren die Abgabenbehörde zweiter Instanz die gleichen Obliegenheiten, die den Abgabenbehörden erster Instanz auferlegt sind. Der in diesen Vorschriften festgelegte Grundsatz des Parteiengehörs erfordert, daß der Entscheidung keine Tatsachen und Beweise zugrunde gelegt werden, zu denen sich der Abgabepflichtige nicht vorher äußern konnte. Um diesem Grundsatz in dem streitgegenständlichen Verfahren zu entsprechen, hätte die belangte Behörde die Heranziehung der im Parallelverfahren verwendeten Beweismittel aktenkundig machen und der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Äußerung geben müssen. Die erhobene Verfahrensrüge erweist sich daher als berechtigt.

Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit des mit dem angefochtenen Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ergibt aber auch, daß die Sachverständigengutachten, die die Grundlage der Entscheidung der belangten Behörde bilden, keine ausreichenden Ausführungen zur Beschaffenheit der Ware enthalten und daher zur Feststellung der zur Lösung der aufgeworfenen Tarifierungsfrage erforderlichen Sachverhaltselemente kaum etwas beizutragen vermögen, sodaß auch unter diesem Gesichtspunkt nicht von einem mängelfreien Verfahren gesprochen werden kann. Die Beiziehung von Sachverständigen dient ja der Erkenntnis von Sachverhaltselementen. Rechtliche Schlußfolgerungen zu ziehen, ist nicht Aufgabe des Gutachters. Die Frage der Tarifierung einer Ware unter Zugrundelegung der festgestellten Sachverhaltselemente ist eine Frage der Subsumtion des Sachverhaltes unter die in Betracht kommenden Rechtsnormen, also eine Frage der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes, die der Behörde zusteht

Wenn die belangte Behörde die vom Verwaltungsgerichtshof in den beiden erwähnten Erkenntnissen zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung für unrichtig hielt, wie dies in ihren Ausführungen vor dem Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck kam, hätte sie die ihrer. Rechtsmeinung zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck bringen müssen. Offenbar der durch dieses Verhalten der belangten Behörde entstandene Eindruck veranlaßt, den Vertreter der Beschwerdeführerin, in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof vorzubringen, daß die Behörde versucht habe, die der strittigen Tarifierungsfrage innewohnende Problematik auf eine Frage der Beweiswürdigung umzudeuten.

Der angefochtene Bescheid war aus den angeführten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 47, § 48 Abs. 1 und § 59 VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I A der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 1965, BGBl. 4. Das Mehrbegehren (Schriftsatzaufwand von S und Aufwand für Umsatzsteuer und Fotokopie) war zufolge der Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes abzuweisen.

Wien, am 15. Jänner 1971